Boarischer Rummel. Tirol in Feindeshand

Heerlager des bayrischen Kurfürsten Max Emanuel in Wilten, Sommer 1703, im Hintergrund Stift Wilten und die Basilika Wilten (noch in ihrer Form vor dem Neubau in den Jahren 1751 bis 1756). Fresko in der Stiftskirche Wilten.
Heerlager des bayrischen Kurfürsten Max Emanuel in Wilten, Sommer 1703, im Hintergrund Stift Wilten und die Basilika Wilten (noch in ihrer Form vor dem Neubau in den Jahren 1751 bis 1756). Fresko in der Stiftskirche Wilten.

 

Da Boarische Rummel: Juni 1703. Tirol in Feindeshand

von
Bernd Oberhofer


Im Sommer des Jahres 1703 hatte Tirol den bis dorthin schwersten feindlichen Angriff seit dem Bestehen der Grafschaft zu erleiden. Es war das dritte Jahr des sogenannten Spanischen Erbfolgekrieges (1701 bis 1714). Österreich kämpfte damals im Bund mit England, Holland und einem Teil der deutschen Fürsten gegen Frankreich, auf dessen Seite insbesondere der Kurfürst Max Emanuel von Bayern stand. Am 14. Juni 1703 brach Kurfürst Max Emanuel an der Spitze von 9.000 bayrischen und 2.500 französischen Soldaten von Rosenheim auf, um Tirol zu besetzen.

Noch am 14. Juni, dem Tag des Abmarsches der bayrischen Armee in Rosenheim, erreichte die Schreckensnachricht den „Geheimen Rat“ des Kaisers in Innsbruck. Bis zum letzten Augenblick hatte niemand glauben wollen, dass der bayrische Kurfürstgegen Tirol vorgehen werde. Umso größer war der Schrecken, als die Nachricht vom Anmarsch des bayrisch-französischen Heeres in Innsbruck eintraf. In Tirol war das Einvernehmen zwischen den gewählten Landständen und dem Geheimen Rat des Kaisers nicht das Beste. Im Geheimen Rat misstraute man dem Volk und seiner Fähigkeit zur Landesverteidigung. Man führte sogar Klage beim Kaiser wegen der vermeintlichen Unzuverlässigkeit des Tiroler-Volkes. Die Aufgebote von Bürgern und Bauern nach den „Defensions- und Zuzugsordnungen“ waren am 19. Mai vom Hofkriegsrath in Wien zwar befohlen worden. Der mit der Verteidigung Tirols beauftragte kaiserliche General Johann Martin Freiherr Gschwind von Pöckstein verzögerte die Durchführung jedoch mit fadenscheiniger Begründung. General Gschwind erwartete sich vom Aufgebot der Gerichte und Gemeinden „mehr Verwirrung als Hülfe“.

„Chaosgeneral Gschwind“ stiftet Schaden

An regulären Truppen waren in Nordtirol zu dieser Zeit nur einige hundert Rekruten. Als am 14. Juni die Gerichte und Gemeinden nach der Defensionsordnung des Landes endlich aufgeboten wurden, erschienen am 17 Juni mehrere tausend Bauern in Innsbruck, um Waffen und Munition zu fassen. Anstatt die aufgebotenen Zuzüge landesweit zu organisieren, eilte General Gschwind noch in der Nacht vom 17. Juni auf den 18. nach Kufstein, wo der erste Angriff der Bayern erwartet wurde. Bereits am 17. Juni hatten die Bayern die Vorposten der Grenzfestung Kufstein erreicht, die noch am Folgetag in ihre Hände fielen. Am Abend des 18. Juni erschienen sie vor den Stadtmauern und der Festung Kufstein. Zeitgleich war General Gschwind in Kufstein eingetroffen. Angesichts des Feindes wusste er nichts Besseres, als das Niederbrennen der außerhalb der Stadtmauern gelegenen Häuser, Ställe und Hütten zu befehlen, um sich dann Richtung Rattenberg zurück zu ziehen.

Es kam wie es kommen musste: Zu einem Zeitpunkt, als der Feind die ganze Aufmerksamkeit fesselte, war der Befehl zum Niederbrennen der Bauten vor den Stadtmauern ein entsetzlicher Missgriff. Die Bayern, die als Zuschauer warteten, was aus dem Brand werden sollte, staunten nicht schlecht, als die Stadt Kufstein selbst in Flammen aufging. Als der Stadtkommandant Peter von Wolkenstein seine Soldaten in die Festung zurückziehen wollte, war es bereits zu spät! Das Festungstor und die von der Stadt zur Festung führende Brücke standen in hellen Flammen. Die Soldaten und Bürger konnten sich nur mehr durch Flucht aus der Stadt in Sicherheit bringen. Nach Abklingen der Brände erkletterten bayrische Grenadiere den Festungsfelsen und drangen über eine ausgebrannte Fensteröffnung ein. Praktisch widerstandslos fiel die Festung Kufstein noch am Abend des 18. Juni samt reicher Beute an Geschützen, anderen Waffen und großen Vorräten in bayrische Hände. Die stark befestigte Stadt Kufstein und die stärkste Festung des Landes waren innerhalb eines Tages dem Feind zugefallen. Bereits am 20. Juni konnte Kurfürst Max Emanuel aufbrechen, um Stadt und Festung Rattenberg einzunehmen. Rattenberg kapitulierte nach dreitägiger Gegenwehr.

Von keinen Verteidigungstruppen aufgehalten, rückte Kurfürst Max Emanuel mit den bayrisch-französichen Truppen bis Hall vor, wo er noch am 25. Juni mit aller Pracht einzog. Bei der Aufwartung des Magistrates der Stadt verlangte der Kurfürst 60 Stück Rinder für die Verpflegung seiner Armee. Man kann sich den Schrecken der Haller vorstellen, war diese Forderung doch nur für die Bedürfnisse eines Tages gedacht. Am 27. Juni verlegte der Kurfürst sein Hauptquartier von Hall nach Mühlau bei Innsbruck. Es folgte die Besetzung der Brennerpässe, wobei die bayrischen Soldaten bis Sterzing vordrangen. Es wurden Eliteabteilungen von insgesamt 350 Mann Grenadieren, Füsilieren und Dagonern ins Oberinntal zur Besetzung des Passes Finstermünz entsandt sowie 1.500 Mann Reiterei und Fußvolk zur Besetzung der Festung Ehrenberg im Außerfern. Auch zur Festung Scharnitz wurden Soldaten entsandt. Am 2. Juli hielt Kurfürst Max Emanuel seinen feierlichen Einzug in Innsbruck. Das bayrisch-französische Heer lagerte auf den Feldern von der Mühlauer Brücke bis Wilten.

Der Widerstand organisiert sich

In der Landbevölkerung machte der leicht errungene Erfolg des Feindes und das Versagen von General Gschwind einen furchtbaren Eindruck. Man war empört über die Unfähigkeit, glaubte sich verraten und schritt zu Gewalttaten. Bereits am Rückzug von Kufstein nach Rattenberg wurde General Gschwind von Aufgeboten der Bauern beschossen; mehrere seiner Leute wurden dabei getötet. Fluchtwägen der Beamten und Adeligen auf dem Weg durch das Wipptal oder nach Vorarlberg wurden am Brenner, in Telfs, in Flauerling und in Zirl geplündert. Zwei landesfürstliche Beamte, der Pfleger des Gerichtes Stein am Ritten, Georg Plankenstein, und der Oberstwachtmeister der Landmiliz im Burggrafenamt, Vigil von Hohenhauser, wurden von aufgebrachten Bauern des Verrates bezichtigt und erschlagen. Mit dem Tode bedroht, zog sich General Gschwind mit der restlichen Garnison von Rattenberg, dem Rest der Garnison von Kufstein und einer Schar Landmiliz zuerst nach Ambras bei Innsbruck und am 25. Juni nach Matrei am Brenner zurück. Die Bayern und Franzosen setzten bereits am 27. Juni nach und drangen südwärts über den Brenner bis Sterzing vor. General Gschwind, der sich zwischenzeitlich bis Brixen zurückgezogen hatte, hatte verabsäumt die Brücken zerstören lassen, um das Nachrücken des Feindes zu behindern.

Die Nachricht vom Fall der Festungen Kufstein und Rattenberg und vom Eindringen der Bayern und Franzosen im Unterinntal rief gleichzeitig in den Gemeinden südlich des Brenners eine gewaltige Bewegung hervor. In Bozen war ein Ausschuss zur Landesverteidigung zusammengetreten; ein zweiter Verteidigungsausschuss, bestehend aus Vertretern des Adels, des Bürger- und des Bauernstandes hatte sich in Meran gebildet. Nach Aufgebot der Landesdefension in den Gemeinden des Etschlandes, im Burggrafenamt und im Vinschgau sammelten sich tausende Waffenfähige in Bozen und der Adel stellte sich an dessen Spitze. Am 27. Juni brach dieses Heer gegen Brixen auf. Am 1. Juli trafen in Sterzing auch die Aufgebote aus dem Burggrafenamt ein, die über den Jaufen gezogen waren. Es folgen Zuzüge aus dem Pustertal und den umliegenden Bergen. Unterstützt wurden diese durch 200 Mann der regulären Armee und 50 Dragonern, die von den Gschwind´schen Truppen noch übrig in Brixen lagen. Das vereinigte Aufgebot unter der Führung des Franz Adam Wilhelm von Brandis sowie des Andreas Flugi von Aspermont drängte die Bayern in Brixen ab und zwang sie zum Rückzug auf den Brenner. Die Tiroler Scharfschützen bewährten sich trefflich. Mit einer vorzüglichen Waffe versehen, waren sie dem regulären Militär nicht unterlegen und fügten den Bayern und Franzosen große Verluste zu. Die besten unter den Schützen sollen ihre Kugeln auf eine Entfernung von 500 Schritten ins Ziel gebracht haben.

Überraschungsschlag im Oberland

Das Versagen der landesfürstlichen Verteidigungseinrichtungen im Kreis Unterinntal hatte nicht nur an Etsch und Eisack sowie im Pustertal zur autonomen Mobilisierung der Tiroler Wehrverfassung geführt. Im Tiroler Oberland nahmen Johann Linser, Postwirt zu Landeck, und der Pflegverwalter von Laudeck-Ried, Martin Andreas Sterzinger, die Sache des Vaterlandes in die Hand. Am 27. Juni kamen Gschwind´sche Truppen durch Landeck, die sich aus den nördlichen Grenzfestungen Ehrenberg und Scharnitz zurückgezogen hatten. Linser und Sterzinger versuchten diese für einen Kampf an der Seite der Oberländer Aufgebote zu motivieren. Ihre Befehlshaber wollten sich jedoch lieber „rückwärts konzentrieren“. Die Oberländer waren auf sich allein gestellt.

Am 29. Juni 1703 versammelten sich im Postgasthaus des Johann Linser in Landeck, wo auch die bayrischen und französischen Offiziere Quartier genommen hatten, die Vertreter der Gemeinden des oberen Inntals. Unter den Augen der Feinde, aber ohne dass diesen etwas bekannt geworden wäre, wurden die Pläne zu ihrer Vernichtung beraten. Linser und Sterzinger beschlossen, zuerst gegen die Truppen vorzugehen, die zur Besetzung des Passes Finstermünz vorrücken wollten. Diese sollten in die Schluchten von Prutz vorgelassen und dort aufgerieben werden. An der Landecker Brücke sollte der Rückzug versperrt werden. Am 30. Juni besetzte Sterzinger mit den Aufgeboten der Gerichte Laudeck, Pfunds und Naudersberg die Gegend um die Pontlatzer Brücke. Die Brücke wurde abgebrochen.

Obwohl viele Leute in Landeck vom Plan wussten, fand sich niemand, der dem Feind etwas ausgeplaudert hätte. Am 1. Juli setzten die bayrischen und französischen Truppen den Vormarsch inntalaufwärts fort – unbegreiflicherweise alle Aufklärung vernachlässigend. Vom Widerstand der Tiroler am Brenner war man ohne Kenntnis. Der Imster Bürger Christian Seelos hatte unweit Imst den Kurier des Kurfürsten vom Pferd geschossen und die Depeschen dem Magistrat übergeben. Ohne Verdacht zu schöpfen, kamen die bayrisch-französischen Truppen bis in die Nähe der Pontlatzer Brücke. Ein entsetzliches Verderben brach nun über sie herein. Hinter jedem Baum, hinter jedem Stein blitzte das tödliche Feuer der tirolischen Gewehre. Steinlawinen wurden gelöst und donnerten auf die Reihen des Feindes herab. Martin Sterzinger in einem Brief zu den Verlusten der Bayern und Franzosen: „Es war ein Elend, die Straßen mit toten Soldaten und Pferden bedeckt zu sehen.“ Dem bayrisch-französischen Trupp blieb nichts anderes übrig als der Versuch zum Rückzug. Aber dieser war abgeschnitten: Planmäßig hatte sich das Aufgebot des Gerichts Landeck erhoben und die Brücke am Südausgang des Ortes Landeck besetzt. So wurde dem Feind die Flucht inntalabwärts versperrt. Nicht einer von den insgesamt 350 Soldaten vermochte zu entrinnen. Die Gefangenen wurden zuerst ins Schloss Landeck gebracht, dann teils nach Bregenz, teils nach Südtirol abgeführt. Auf Tiroler Seite waren nur ein Toter und wenige Verwundete zu beklagen.

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