Agrargemeinschaftliches Gemeindegut

I. Mühevoller Gesetzwerdungsprozess:

Der Verfassungsgesetzgeber des B-VG hat die Tatbestände „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder unterworfen (Art 12 B-VG). Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist Teilmaterie des Kompetenztatbestandes „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“, während das sonstige Gemeindegut Teilmaterie des Gemeinderechts ist. „Auf den Punkt gebracht: Gemeindegut ist nicht gleich Gemeindegut!“ (Öhlinger, Das Gemeindegut in der Rechtsprechung des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 255; Kühne, Zu Agrargemeinschaften in Vorarlberg, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 350ff; vgl schon: Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 375 ff; sowie aus historischer Sicht: Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 207 ff)

Die Rechtstatsache, wonach dem Flurverfassungsrecht das Gemeindegut, insofern es agrargemeinschaftlich genutzt wird, der Vorrang gebührt, wurde insbesondere auch aus der Sicht der Landes-Gemeindegesetzgeber klargestellt. (Artikel III. (Tiroler) LGBl 1935/36 in Verbindung mit §§ 117, 140 und 164 Abs 2 zweiter Satz TGO 1935 sowie die Nachfolgebestimmungen, wie § 82 TGO 1949 bis § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“; § 102 Abs 3 Vlbg Gemeindeordnung 1935 (Vorarlberger) LGBl 1935/25: „Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes, werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“ § 91 Abs 4 Vorarlberger Gemeindegesetz 1965 (LGBl 45/1965) = § 99 Vorarlberger Gemeindegesetz 1985: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II. Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ § 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der (Steirischen Gemeindeordnung, LGBl 52/1948): „(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 3, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.“ Uam)

Diese Klarstellung von Seiten des Landes-Gemeindegesetzgebers war kein friktionsfreier Prozess, sondern musste – im Blick auf die Komplexität der Materie von der Bundesregierung im Detail instruiert werden. Die historischen Abläufe lassen sich aus dem Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935), rekonstruieren.

II. Die Bundesregierung instruiert den Tiroler Landtag

a) Der Tiroler Landtag ignoriert das neue FlVerfGG des Bundes

Gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, wurden vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 (Zl 144.471/6-1935 des Bundeskanzleramtes) Einwendungen erhoben, weil der Gesetzesbeschluss in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 B 256) nicht in Einklang stünden.
Die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungsgesetz einer gemeinschaftlichen Benützung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegenden Teile des Gemeindegutes (Ortschaft-Fraktions-Gutes) seien als agrargemeinschaftliche Grundstücke anzusehen, welche den Bestimmungen der Bundes- und Landesflurverfassungsgesetze über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken unterliegen, die von den Bestimmungen der Gemeindeordnungen über das Gemeindeeigentum vielfach abweichen.
So stünde die Entscheidung, ob eine Liegenschaft eine agrargemeinschaftliche Liegenschaft sei (§ 17 BGG), wie auch, ob agrargemeinschaftliches Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliege (§ 35 BGG), dann über den Bestand und Umfang von Anteilsrechten (§ 35 BGG), schließlich die Genehmigung der Veräußerung, Belastung und Teilung agrargemeinschaftlichen Grundstücken (§ 18 BGG) jederzeit bei den Agrarbehörden. Weiters obliege den Agrarbehörden ausschließlich die Teilung und Regulierung agrargemeinschaftlicher Grundstücke, zu welch letzteren auch die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und Verwaltungssatzungen gehört (§ 33 BGG). In der Tat stünden diese agrargesetzlichen Bestimmungen mit den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnungen über die Gemeinde-Finanzverwaltung, welchen bisher als Teil des Gemeindeeigentums auch der agrargemeinschaftlichen Nutzung stehende Teile des Gemeindegutes unterlagen, in Widerspruch.

b) Beratungen in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes

Zwecks Abgrenzung der Zuständigkeiten insbesondere der Gemeindeaufsichts-behörden und der Agrarbehörden fand in der Abt 6 des Bundeskanzleramtes (Ministerialrat Dr. Kramer) eine Besprechung mit Vertretern des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft (Ministerialrat Dr. Strictius), des Bundesministeriums für Finanzen (Ministerialrat Dr. Weinzierl) und der Abteilung 1 des Bundeskanzleramtes (Min.Oberkom. Dr. Petz) statt.

a) Der Vorschlag, demgemäß den Flurverfassungsgesetzen als Gegenstand einer Agrargemeinschaft geltenden Teil des Gemeindegutes nicht mehr in den Gemeindeordnungen, sondern ausschließlich in den Landesflurverfassungsgesetzen zu behandeln, da ja dieser Teil des Gemeindegutes für den Gemeindehaushalt ohnehin nahezu gar keine Rolle spielt, wurde abgelehnt, vor allem mit der Begründung, dass die Agrarbehörden derzeit nicht in der Lage wären, die ihnen in diesem Fall notwendig zufallenden Aufgaben zu erfüllen. Auch legte der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums großen Wert darauf, die bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieses agrargemeinschaftlichen Teiles des Gemeindegutes auch weiterhin in der Gemeindeordnung zu belassen und zwar einerseits wegen des Hinweises auf die Gemeindeordnungen im § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz, vor allem aber um eine längere vacatio legis zu vermeiden, da nicht abzusehen ist, wann die Landesflurverfassungsgesetze in Kraft treten werden.

b) Nach eingehender Erörterung einigte man sich auf folgende gesetzliche Regelung: „1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums bzw. des Gemeindevermögens und Gemeindegutes diese gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.
2. Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht nur die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.
3. In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum oder über das Gemeindevermögen und Gemeindegut finden auf die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz BGBl Nr 256/1932 und dem … Flurverfassungs-Landesgesetz LGBl Nr … nicht in Widerspruch stehen.“

(Aus: Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 ex 1935)

c) Das Bundekanzleramt beeinsprucht den Gesetzesbeschluss

Das Bundeskanzleramt Verfassungsdienst hat in der Folge entsprechende Einwendungen gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, erhoben. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden. Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert, ausdrücklich auszunehmen. Es sei darüber hinaus im Tiroler Gemeindegesetz klar zu stellen, dass die Bestimmungen des Tiroler Gemeindegesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung finden, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.

III. Der Tiroler Landtag passt seinen Gesetzestext an

a) Zu den Vorgaben der Bundesregierung

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat in der Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, als zuständiger Gesetzgeber für das Tiroler Gemeinderecht, den klaren gesetzgeberischen Willen umgesetzt, dass das „Gemeindegut/Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“, weil dieses Eigentum einer Agrargemeinschaft ist, gerade nicht länger im Tiroler Gemeinderecht, sondern im Tiroler-Landes-Flurverfassungsrecht geregelt wird. Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hatte den ausdrücklichen Willen, folgende Vorgabe aus dem Bundeskanzleramt umzusetzen:
„1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.
2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.
3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

b) Was hat der Tiroler Landesgesetzgeber am Gesetzestext geändert?

In Konsequenz der Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst.
Geändert wurden die §§
79 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935,
117 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“),
120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“),
140 TGO 1935 (Das zum Gemeindegut Gesagte, gelte auch für Fraktionsgut.),
164 letzter Satz TGO 1935 („Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), und
Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 („Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“)

c) Was besagen die Gesetzesmaterialien?

Aus den Verhandlungsschriften des „Ständischen, verfassungsgebender Tiroler Landtags, Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, ergibt sich dazu das Folgende:

Zu Pkt 1 der Tagesordnung: Beilage 5. Beschlussfassung über die Regierungsvorlage betreffend die Gemeindeordnung für das Land Tirol. Berichterstatter Dr. Adolf Platzgummer:

„Ich kann mich nach der ausführlichen Darlegung in der gestrigen begutachtenden Sitzung zu diesem Gegenstand heute in der beschließenden Sitzung jedenfalls kurz fassen. Das Bundeskanzleramt hat gegen die von uns beschlossene Vorlage Einspruch erhoben, und zwar wegen einiger angeblicher, zum Teil auch wirklicher Verfassungswidrigkeiten. Wir sind selbstverständlich nicht angestanden, diese Änderungen vorzunehmen.“ Bei dieser Gelegenheit hat das Bundeskanzleramt auch betont, dass es nach seiner Auffassung gut wäre, wenn das Flurverfassungs-Landesgesetz in der Gemeindeordnung eingebaut und außerdem noch einige andere kleinere Änderungen vorgenommen würden. Was das Flurverfassungsgesetz betrifft, so ist das Grundsatzgesetz schon im Jahr 1932 erschienen, die Ausführungsgesetze lassen aber auf sich warten. Wir haben unser Ausführungsgesetz am 6. Juni hier beschlossen, es ist derzeit in Wien und es läuft noch die Einspruchsfrist. Das Flurverfassungsgrundsatzgesetz enthält noch die Bestimmung, dass das Ausführungsgesetz erst mit diesem in Kraft zu treten habe, daher ist die Situation derzeit so, dass beide Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind. Deshalb war es uns bei der Verabschiedung der Gemeindeordnung nicht möglich, das Flurverfassungs-Landesgesetz zu berücksichtigen, weil es noch nicht existiert. Wir haben aber die Bestimmungen in die Gemeindeordnung so aufgenommen, als ob diese beiden Gesetze bereits in Kraft wären, und damit dem Verlangen des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft Rechnung getragen. Die übrigen Änderungen sind, insoweit sie sich als Empfehlungen der Bundesregierung darstellen, bis auf 3 ganz unwesentliche Punkte berücksichtigt worden. …“
Die Landesregierung hat diese Gelegenheit genützt, um auch noch ihrerseits einige kleinere Änderungen in der Vorlage vorzunehmen, denen der Landtag vollinhaltlich zugestimmt hat.
Somit haben wir eine Gemeindeordnung, die wirklich nach allem gesichtet ist, und ich kann nur den Antrag stellen, der Hohe Landtag möge die Vorlage zum Gesetzesbeschluss erheben.“

IV. Zur Relevanz dieser Systementscheidung des Gemeindegesetzgebers

Die im Jahr 1935 vollzogene Anpassung des Tiroler Gemeinderechts wirkt bis heute nach: Alle späteren Neufassungen der Tiroler Gemeindeordnung haben den absolute Vorrang des Flurverfassungsrechts in Bezug auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung respektiert und gesetzlich umgesetzt: So die TGO 1949: § 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt“.

An diesem Normwortlaut hat sich bis zur TGO 2001 LGBl 2001/36 nichts Wesentliches geändert. § 74 TGO 2001: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war und ist nach Tiroler Landesrecht somit seit dem Jahr 1935 ausdrücklich aus dem allgemeinen gemeinderechtlichen Gemeindegutsbegriff der Gemeindeordnung ausgeschieden. Seit dem Jahr 1935 verlangt die TGO beim Gemeindegut eine gesetzliche Differenzierung: Agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut unterliegt den Bodenreformmaßnahmen, insbesondere den agrarischen Operationen (Art 12 B-VG). „Bodenreformmaßnahmen, insbesondere agrarische Operationen“ betreffend kann die Gemeindeordnung keine Regelungen treffen.
Bereits Albert Mair hat darauf hingewiesen, dass mit Blick auf das Gemeinderecht ein agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut und ein Gemeindegut im Allgemeinen zu unterscheiden sei. (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 9f: „Es muss diesbezüglich angenommen werden, dass der Gesetzgeber von der Annahme ausging, dass ein zweifacher Gemeindegutsbegriff möglich ist, einerseits der des agrargemeinschaftlichen Gemeindegutes, bestehend aus Grundstücken, die einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung fähig sind und andererseits der des nicht zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken zu zählenden Gemeindegutes, das aus im Gemeindeeigentum stehenden Sachen und Rechten nicht agrargemeinschaftlichen Charakters besteht wie z.B. von allen Gemeindebürgern benützte Schottergruben, gemeinschaftliche Bibliotheken und dergleichen.“)

V. Zur Reaktion der anderen Landes-Gemeindegesetzgeber

Mit dem Kernsatz des Erk VfGH Slg 9336/1982, dass die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung in den Gemeindeordnungen der Länder derart definiert wären, dass Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung notwendig Eigentum der Ortsgemeinde sei, hat der Verfassungsgerichtshof eine Rechtsbehauptung aufgestellt, welche das positive Gemeinderecht der Bundesländer massiv verletzt. Ein solcher Eingriff in das Gesetzesrecht – sei es Bundesrecht, sei es Landesrecht – steht dem Verfassungsgericht nicht zu!

a. Die Steirischen Gemeindeordnung 1948 definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Die Steirische Gemeindeordnung wurde erst 1948 an das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung geregelt wird. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung als Eigentum der Ortsgemeinde definiert ist. Umso klarer ist die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet. § 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der Gemeindeordnung, LGBl 52/1948:
„§ 61. Gemeindegut. (1) Sachen, welche zum Gebrauche eines jeden Gemeindemitgliedes einer Gemeinde dienen, bilden das Gemeindegut. Insbesonders gehören zum Gemeindegut Grundstücke, welche von allen oder nur von gewissen Gemeindemitgliedern einer Gemeinde oder einer Ortschaft zur Deckung ihres Guts- und Hausbedarfes gemeinschaftlich oder wechselseitig benützt werden.
(2) …
(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 5, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.
(4) Die Gemeindebehörde hat darauf zu achten, dass die Nutzungen der Gemeindemitglieder nicht über den notwendigen Guts- und Hausbedarf hinaus in Anspruch genommen werden und diese Nutzungen der nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundstückes, insbesondere bei Waldungen, entsprechen. Nötigenfalls ist die Entscheidung der Agrarbehörde einzuholen.“

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze von Vorarlberg von 1864 (!) und von Tirol von 1866 (!) als angeblich repräsentativ präsentiert, und das prov. Gemeindegesetz von 1849 (!) als maßgeblich hinstellt, ist skandalös.

b. Die OÖ Gemeindeordnung 1936 definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Die Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936, LG vom 29. April 1936, regelte das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung wie folgt: § 67 Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936:

„Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15, Absatz 2, Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahre 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht in Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

Ergänzend regelte § 69 Abs 5 derselben Gemeindeordnung für Oberösterreichisch Folgendes: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinn der Grundsätze für die Flurverfassung (BGBl Nr 256/1932), entscheiden nach Inkrafttreten des Landes-Ausführungsgesetzes im Streitfalle die Agrarbehörden.“

Im Jahr 1948 wurde das OÖ Gemeindegesetz durchgreifend novelliert. Glasklar ist weiterhin die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet. § 67 Oö Gemeindeordnung 1948, Anlage 1 zum Gesetz vom 7. Juli 1948 LGBl 22/1949 lautete wie folgt:
„Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 15, Abs (2), Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahr 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insofern Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht im Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

In der Oberösterreichischen Gemeindeordnung 1965, LGBl 45/196, § 71 Gemeindegut Abs 7 wird die Unterscheidung zwischen Gemeindegut im Allgemeinen, welches der Gemeindeordnung unterliegt und Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, welches dem Flurverfassungsrecht unterliegt, konsequent fortgesetzt. Nach dieser Bestimmung, welche in erster Linie klarstellenden Charakter hat, gilt: OÖ Gemeindeordnung 1965 LGBl 45/196 § 71 (7). „Die gesetzlichen Bestimmungen auf dem Gebiet der Bodenreform werden durch die Bestimmungen der Abs 1 bis 6 nicht berührt.“

c. Die Vorarlberger Gemeindeordnung definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Das Verfassungsgerichtshoferkenntnis VfSlg 9336/1982 hatte die Gemeindeordnungen von Vorarlberg und von Tirol zum Gegenstand. Man könnte deshalb den Standpunkt vertreten, dass die Nichtbeachtung der Gemeindeordnungen von Steiermark und Oberösterreich eine lässliche Sünde sei. Verfassungsrichter können nicht die Gemeindeordnungen aller Bundesländer kennen!

Die Frage ist, wie das Gemeinderecht Vorarlbergs und das Gemeinderecht Tirols das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung im Zeitpunkt der Entscheidung, dh im Jahr 1982 geregelt hatten. Zur Klärung dieser Frage hatte sich der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 umfangreich mit der Vorarlberger Gemeindeordnung 1864 (!) auseinandergesetzt; ebenso mit der Tiroler Gemeindeordnung 1866 (!). Die Frage ist: Warum setzt sich der Verfassungsgerichtshof mit den Gemeindeordnungen aus der Zeit des Kaiserthums Österreich auseinander? Warum werden Gemeindeordnungen analysiert, welche aus einer Zeit stammen, als das „moderne“ Flurverfassungsrecht, welches in seinen Ursprüngen auf das TRRG 1883 zurückgeht, noch nicht existierte? Warum werden Gemeindeordnungen analysiert, welche nicht auf der Grundlage der Österreichischen Bundes-Verfassung geschaffen wurden?

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Teilungs- und Regulierungsrechts, in der Terminologie der geltenden Bundesverfassung „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ stammt von 1920; das Bundes-Grundsatzgesetz dazu stammt von 1931. Die relevanten Regelungen in den Gemeindeordnungen der Länder müssen deshalb aus der Zeit ab 1931 stammen! Diese relevanten Regelungen des Gemeinderechts, welche voll und ganz mit dem Flurverfassungsrecht harmonisiert wurden, lauten wir folgt: aa) Gem § 102 Abs 3 Vlbg Gemeindeordnung 1935 LGBl 1935/25 wurde die Konkurrenz zwischen Gemeinderecht und Flurverfassung nicht weniger klar geregelt:

§ 102 Abs 3 Vlbg GO 1935 LGBl 1935/25:
„Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes, werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“

§ 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordnete den Vorrang der Bodenreformgesetze folgendes an:
§ 91 Abs 4 Vlbg GG 1965, LGBl LGBl 1965/45. „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ (§ 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965, LGBl 1965/45 (unverändert § 99 Gemeindegesetz 1985, aufgehoben durch das “Gemeindegutsgesetz 1998“, Vlbg LGBl 1998/49)

Den Gesetzesmaterialien zur Vlbg Gemeindeordnung 1965 ist dazu Folgendes zu entnehmen:
„Der Vorarlberger Gemeindegesetzgeber geht davon aus, dass „das bisher in den §§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935 genannte Gemeindegut ausschließlich aus agrargemeinschaftlich genutzten Grundstücken“ bestehe. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung seien inzwischen im Flurverfassungsgesetz, LGBl. Nr. 4/1951, geregelt. […] Die Ordnung der Verhältnisse des Gemeindegutes im Einzelnen ist zwar schon weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Um für die Übergangszeit für eine geordnete Verwaltung vorzusorgen, erweise es sich als zweckmäßig, den Gemeinden die Verpflichtung aufzuerlegen, die bisher geübte vorläufige Verwaltung bis zur Regulierung weiterzuführen. § 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordnete deshalb folgendes an: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert diese Bestimmungen und setzt sich stattdessen mit dem Vorarlberger Gemeinderecht ex 1864 auseinander! Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen das Gemeindegesetz von Vorarlberg aus dem Jahr 1864 (!) analysiert, ist skandalös.

d. Die Tiroler Gemeindeordnung definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Wie war die historische Rechtslage in Tirol aus der Sicht des Jahres 1982 zu beurteilen? Konnte zumindest für Tirol behauptet werden, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ihn den Tiroler Gemeindeordnungen im Sinne der Behauptungen des Erk VfSlg 9336/1982 als „Eigentum der Ortsgemeinde“ definiert war? Auch diese Frage ist mit einem klaren NEIN zu beantworten.

Das Tiroler Gemeinderecht ordnete ebenfalls schon im Jahr 1935, LG vom 10. Juli 1935 LGBl 1935/36, die Konkurrenz zum Flurverfassungsrecht klar und eindeutig im Sinn der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Art 12 Abs 1 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz. Danach galten für die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften des Gemeindeguts im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes die Bestimmungen des TFLG 1935 (§ 117 TGO 1935: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“); diese Bestimmung war für das „Fraktionsgut“ sinngemäß zur Anwendung zu bringen war (§ 140 TGO 1935: „Die Verwaltung des Fraktionsvermögens und des Fraktionsguts hat nach den für das Gemeindevermögen und das Gemeindegut geltenden Bestimmungen zu erfolgen.“).
Die TGO 1949, LG vom 31. März 1949, LGBl 1949/24, hat an der Rechtslage, wonach agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut nach den gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung zu behandeln war, nichts geändert (§ 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“). Die Klarstellung, wonach das Gemeinderecht absoluten Nachrang gegenüber dem Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen einschließlich des Gemeindeeigentums in agrargemeinschaftlicher Nutzung besitzt, findet sich in jeder späteren Fassung der Tiroler Gemeindeordnung (§ 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“).

§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935.
Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.

§ 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935.
Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.

§ 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935.
„Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“

§ 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935.
Nutzungsrechte haften an der Liegenschaft und können im Allgemeinen nur mit dieser rechtsgültig übertragen werden. (2) Für die ausnahmsweise Übertragung von Nutzungsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.

Gem § 140 TGO 1935 galt dies auch für Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung.

§ 164 letzter Satz TGO 1935.
„Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“

Gemäß Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 wurde folgende Übergangsregelung getroffen:
„Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen:
1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag.
2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen.
3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung.
4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden.
5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.

e) Musterentwurf. Zl 3677 von 28.9.1935 des Rechnungshofes „Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes“

Am 28.9.1935 erstellte der Rechnungshof einen Musterentwurf „Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes“ zu Zl 3677 vom 28.09.1935. Dieser Musterentwurf war dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft zu Stellungnahme übermittelt worden. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft antwortete zu Zl 41.322-4/35 am 26.10.1935 wie folgt:

„Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Zl 41.322-4/35. Gemeindeordnung, Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes; Musterentwurf Zl 3677 v. 28.9.1935. An den Rechnungshof in Wien. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft beehrt sich mitzuteilen, dass es gegen die Versendung des Musterentwurfes in der vorliegenden Fassung von seinem Ressortstandpunkt keine Einwendungen erhebt. Es wird jedoch bemerkt:
Die Gemeindeordnungen für Tirol und Vorarlberg haben in den von den Landtagen ursprünglich beschlossenen Fassungen den Vorschriften des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes BGBl Nr 256 ex 1932 in den Bestimmungen über das Gemeindegut mehrfach nicht Rechnung getragen. In Tirol wurde das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits erlassen und kundgemacht, in Vorarlberg ist erst ein Entwurf hierfür in Vorbereitung.
Die Tiroler Gemeindeordnung vom 10. Juli 1935, LGBl Nr 36 hat den Wünschen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft durch die geänderte Fassung der §§ 79, 114 (3), 117, 120 (2), 164 (1) und Schlusssatz Rechnung getragen. Der neue aufgenommene Art III ist ohne praktische Bedeutung geblieben, da das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits in Wirksamkeit getreten ist.
In die Vorarlberger Gemeindeordnung wurde dagegen lediglich in § 102 Abs 3 eine allgemeine Bestimmung aufgenommen.
Vom ho. Standpunkt und wohl auch vom Standpunkt der leichteren Handhabung der Bestimmungen der Gemeindeordnung über das Gemeindegut ist der von Tirol gewählte Vorgang vorzuziehen, da dort immerhin bei allen unter dem Gesichtspunkte des Flurverfassungs-Landesgesetz in Betracht kommenden Bestimmungen der Gemeindeordnung auf das Flurverfassungsgesetz ausdrücklich verwiesen ist. Die Vorarlberger Gemeindeordnung enthält dagegen eine Reihe von Bestimmungen über das Gemeindegut, die bei dem Umstande, dass das Gemeindegut vielfach unter § 15 (2) d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes fällt, praktisch nicht zur Anwendung kommen können, wobei aber mangels einer analogen Verweisung – wie in Tirol bei jeder einzelnen einschlägigen Bestimmung der Gemeindeordnung – ein Irrtum in der Handhabung der Gemeindeordnung vielleicht möglich ist. In dieser Hinsicht wird auf die §§ 29 (2) und 102 (2), 103 (3), 109 (2), 29 (2) und 74 der Vorarlberger Gemeindeordnung verwiesen.
Es wäre daher vom ha Ressortstandpunkt sehr erwünscht, dass die in Betracht kommenden Landeshauptmannschaften insbesondere auf den vom Lande Tirol gewählten Vorgang aufmerksam gemacht würden. 26. Oktober 1935. Für den Bundesminister: Braun“

V. Schlussfolgerungen im Blick auf VfGH Slg 9336/1982

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert alle Gesetzes-Bestimmungen des Gemeinderechts samt allen einschlägigen Nachfolgeregelungen und setzt sich stattdessen mit dem Gemeinderecht ex 1864 bzw 1866 und dem prov. Gemeindegesetz 1849 auseinander!

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze aus den Jahren 1864 (!) und 1866 sowie das prov. Gemeindegesetz 1849 (!) analysiert, ist skandalös.

Selbst das Recht des Nationalsozialistischen Staates hat die Kompetenz der Agrarbehörde respektiert; die einschlägige Formulierung in § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429, diente den späteren Gemeindeordnungen der Länder offensichtlich als Formulierungsvorlage. § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429. „Die Bestimmungen dieser Verordnung finden auf jene Teile des Gemeindegliedervermögens, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Abs 2 d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes, BGBl Nr 256/1937, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetze und den die Flurverfassung regelnden Gesetzen der ehemaligen österreichischen Länder nicht in Widerspruch stehen.“

Das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ist somit keinesfalls in den Gemeindeordnungen der Länder als Eigentum der Ortsgemeinden definiert. Die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vielmehr „agrarische Operation“ gem Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG.

Erst wenn die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden hat, steht mit urteilsgleicher Wirkung fest (§ 14 Agrarverfahrensgesetz), wer Eigentümer ist. Der festgestellte Eigentümer ist Eigentümer im Rechtssinn!

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MP