Nummernspiel des VwGH

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Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ist das in Österreich für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständige Höchstgericht. Es ist damit neben dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) und dem Obersten Gerichtshof (OGH) eines von drei Höchstgerichten in Österreich.
Als der Verfassungsgerichtshof im so genannten „Unterlangkampfenerkenntnis 2010“ (VfSlg 19.262) die Aufgabe der mit dem Mieders(V)Erkenntnis 2008 eingeleiteten Enteignungs-Judikatur vorbereitet hatte, hat der Verwaltungsgerichtshof „verweigert“ und mit der Judikaturentwicklung „Nummernspiel“ die Absurdität der Judikatur zum Substanzrecht der Ortsgemeinde geradezu überhöht. (Bildrechte: Extrajournal.Net-1000 × 858-Bildersuche ©ejn; https://extrajournal.net)

 

Nummernspiel statt Bescheidauslegung?

Inhalt:
I. Eigentum der Ortsgemeinde als Bedingung
II. „Gemeindegutqualifizierung“ als Eigentumstitel?
III. „Qualifizierung“ ist Zuständigkeitsentscheidung
IV. Zusammenfassung
Das üble Nummernspiel des VwGH

Abstract

Am 30.06.2011 hat der Verwaltungsgerichtshof über ein gutes Dutzend von Beschwerden von Tiroler Agrargemeinschaften entschieden, welche eine Beurteilung des jeweiligen Regulierungsgebietes mit Blick auf den neuen Tatbestand des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 („atypisches Gemeindegut“) forderten. Aus einer Analyse dieser Erk des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2011 (Leit-Erk Zl 2010/07/0091 VwSlg 18.171 A/2011) ergibt sich, dass die im Erk VfSlg 9336/1982 gründende Fehlentwicklung im Flurverfassungsrecht, eine Eigendynamik entfaltet, deren Konsequenzen unabsehbar sind.

 Das unter Berufung auf das Erfordernis zur verfassungskonformen Interpretation behauptete Anteilrecht der Ortsgemeinde auf den Substanzwert (VfGH VfSlg 18.446/2008 Mieders-Erk“) soll nach dieser Judikatur nicht mehr aus wahrem ehemaligem Eigentum (im Zeitpunkt vor dem agrarbehördlichen Einschreiten) abgeleitet werden, sondern aus der historischen Anwendung des Tatbestandes „Gemeindegut“ als Anknüpfung für die Zuständigkeit der Agrarbehörde. Die Behördenentscheidung in einer Zuständigkeitsfrage soll danach die Hauptfrage präjudizieren, wessen Eigentum die agrargemeinschaftliche Liegenschaft gewesen ist und dieser Umstand soll die verfassungskonforme Anpassung des Regulierungsergebnisses rechtfertigen. Durch die historische Anknüpfung im Regulierungsverfahren bei der Zuständigkeitsnorm des § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 (bzw des entsprechenden Landesausführungsgesetzes) wäre unwiderlegbar, rechtskräftig und den VwGH bindend, entschieden worden, dass die jeweilige agrargemeinschaftliche Liegenschaft vor dem Einschreiten der Agrarbehörde angeblich öffentliches Eigentum (Gemeindeeigentum) war. In Konsequenz soll daraus ein Anteilrecht der Ortsgemeinde entstanden sein, welches den „Substanzwert“ umfasst (§ 33 Abs 5 TFLG 1996).

 Die Vorfragenbeurteilung zur Zuständigkeit greift nach dieser Interpretation in den Spruch des Bescheides über die Hauptsache ein. Der Entscheidung in der Hauptsache, mit der darüber abgesprochen wurde, wer wahrer Eigentümer ist (und war), wird damit zwangsläufig ein anderer Sinn und Inhalt gegeben. Die Entscheidung über die Hauptsache auf Klärung der Eigentumsverhältnisse, wurde damit vom VwGH in eine Entscheidung der Agrarbehörde umfunktioniert, mit der zwangsläufig öffentliches Eigentum in Verwaltung der Ortsgemeinde in das Eigentum einer Agrargemeinschaft übertragen wurde, „ohne dass die Eigenschaft Gemeindegut verloren ging“.

 Im Erk VfSlg 18.446/2008 (Mieders-Erk) war für die Unterstellung eines solchen Regulierungsergebnisses noch a) wahres Eigentum der Ortsgemeinde vor der agrarischen Operation, b) eine Behördenentscheidung auf „nacktes Recht“ und c) Rechtswidrigkeit der Eigentumsübertragung vorausgesetzt worden. Die Auslegung des VwGH verzichtet auf jedes weitere Tatbestandselement. Dies mit unabsehbaren Folgen für jede Agrargemeinschaft Österreichweit, welche nach einem der Tatbestände entsprechend § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 reguliert wurde.

 Diese rein formale am historischen Bescheidinhalt anknüpfende Interpretation kann nicht überzeugen. Die Anpassung des Regulierungsplanes an geänderte Verhältnisse wurde im Erk VfSlg 18.446/2008 direkt aus dem Verfassungsrecht entwickelt („Eigentumsschutz“). Ausgehend vom festgestellten ursprünglichen Eigentum der Ortsgemeinde im Zeitpunkt vor der Regulierung, wurden die historischen Verfahrensergebnisse verfassungskonform interpretiert; dies im Sinn des jeweiligen wahren historischen Eigentümers. Nur zum Schutz eines ehemaligen wahren Eigentümers können (allenfalls) Regulierungspläne unter diesem Gesichtspunkt angepasst werden.

 Schon diese Judikatur stand in Kollision mit dem rechtskräftig regulierten Anteilsrecht des einzelnen Mitgliedes, welches Eigentumsschutz geniest. Wenn man nun auch noch das Tatbestandselement des ehemaligen (wahren) Eigentums der Ortsgemeinde als Voraussetzung des „Restitutionsanspruches“ der Ortsgemeinde beseitigt und durch eine angeblich unüberprüfbare, konstitutive Entscheidung der Agrarbehörde ersetzt, die gelten soll, egal ob richtig oder falsch, dann fehlt jeder Ansatzpunkt dafür, rechtskräftige Regulierungsergebnisse, insbesondere die Entscheidung über die Anteilsrechte, verfassungskonform zu interpretieren.

 Diese Judikatur, welche nicht mehr beim wahren ehemaligen Eigentum einer Ortsgemeinde anknüpft, sondern bei einer vermeintlich unüberprüfbaren historischen Entscheidung der Agrarbehörde im Regulierungsverfahren, bringt keinerlei Element hervor, welches geeignet wäre, der Rechtsposition der anteilsberechtigten Mitglieder entgegen zu wirken. Mit weit besserem Recht als die Ortsgemeinde, die sich auf die Zuständigkeitsentscheidung gem § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 berufen möchte, berufen sich die anteilsberechtigten Mitglieder auf den rechtskräftigen Bescheid, mit dem die Anteilsrechte rechtskräftig festgestellt wurden. Danach existiert gerade kein Anteilsrecht, welches die Substanz des Regulierungsgebietes der Ortsgemeinde zusprechen würde.

 Mit der Rechtstatsache, dass die Anteilsrechte auf rechtskräftigen, eigenen Bescheiden beruhen, hat sich weder das Erk VfSlg 18.446/2008 auseinander gesetzt, noch der VwGH in den Erk vom 30.6.2011. Das rechtskräftig regulierte Anteilsrecht geniest jedoch Eigentumsschutz nach EMRK (VfGH 21.09.2010 B B1470/09; Theo Öhlinger, Agrargemeinschaftliche Anteilsrechte und der Eigentumsschutz, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 281 ff). Dies umso mehr, wenn das Anteilsrecht aus Miteigentum reguliert wurde.

 Die konstitutive historische Behördenentscheidung, mit der angeblich unwiderlegbar historisches Eigentum der Ortsgemeinde festgestellt worden sei, kann jedenfalls eine Änderung des Bescheides betreffend die Feststellung der Anteilsverhältnisse dann nicht rechtfertigen, wenn die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten Eigentümerin des Regulierungsgebietes war. Der Bescheid betreffend die Anteilsrechte gestaltet konstitutiv für die Gegenwart und Zukunft.

 Historisches Eigentum der Ortsgemeinde geschaffen durch möglicher Weise rechtswidrigen (!) Behördenakt, bietet keinen Ansatzpunkt dafür, Bescheide betreffend die Anteilsrechte der Mitglieder zu ändern. Vielmehr ist eine verfassungskonforme Interpretation des Gesamtergebnisses der Regulierung im Sinne des Eigentumsschutzes für die nutzungsberechtigten Mitglieder der Agrargemeinschaft geboten!

 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Herleitung eines „atypischen Gemeindegutes“ aus angeblich unüberprüfbaren Zuständigkeitsentscheidungen der Agrarbehörde, das vom VfGH postulierte Gebot der verfassungskonformen Bescheidauslegung gerade zu konterkariert. Solcherart kann historisches Unrecht weder festgestellt, noch restituiert werden. Vielmehr wird neues Unrecht geschaffen!

I. Eigentum der Ortsgemeinde als Bedingung

Restitutionsbelastetes, „atypisches“ Eigentum iSd Erk VfSlg 18.446/2008 kann nur aus ehemaligem (wahrem) Eigentum der Ortsgemeinde entstehen (In diesem Sinn ganz deutlich: § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 idF LGBl 2010/7, ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde!). Zentrale Voraussetzung eines Verfahrens zur Regulierung des Substanzwertes gem VfSlg 18.446/2008 ist deshalb, dass die Ortsgemeinde im Zeitpunkt der historischen Regulierung wahre Eigentümerin war. Eigentum der Ortsgemeinde im Zeitpunkt der historischen Regulierung bedarf jedenfalls eines Eigentumstitels.

Auszugehen ist davon, dass die Agrargemeinschaft heute im Sinne des § 431 ABGB als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist. Die Tatsache der Eintragung begründet zugleich die – widerlegbare – Vermutung, dass die seinerzeitige Einverleibung auf einem gültigen Titel beruhte, dh dass diese rechtmäßig war (vgl: VfGH B 634/10 Pkt A II. 2.3.3. der Begründung; vgl. OGH 30.4.1996, 5 Ob 2036/96i; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I 13. Aufl [2006] 352). Die Eigentumseinverleibung als Ergebnis eines Agrarbehördenverfahrens zur Regulierung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte gem dem zweiten Hauptstück des Flurverfassungs-Landesgesetzes setzt voraus, dass die Agrarbehörde die wahren Eigentumsverhältnisse geprüft und rechtskräftig übder die wahren Eigentumsverhältnisse entschieden hat. Es ist deshalb vorauszusetzen, dass die Agrarbehörde das Eigentum der Agrargemeinschaft gem § 38 Abs 1 bescheidmäßig festgestellt hatte und dass dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen war. Anderenfalls hätte eine Einverleibung der Agrargemeinschaft nicht stattfinden dürfen.

Wurde deshalb im historischen Regulierungsverfahren gem § 38 Abs 1 über die wahren Eigentumsverhältnisse bescheidmäßig entschieden und ist dieser Bescheid gegenüber der Ortsgemeinde rechtskräftig, so steht der Behauptung der Unrichtigkeit dieser Entscheidung deren Rechtskraft entgegen (§ 14 Agrarverfahrensgesetz).

II. „Gemeindegutqualifizierung“ als Eigentumstitel?

Der Bescheid der Tiroler Agrarbehörde zur Agrargemeinschaft Mieders vom 09.11.2006, AgrB-R741/362-2006, dessen Feststellungen im Erk VfSlg 18.446/2008 (= Mieders-Erk) beurteilt wurden, knüpfte für die Unterstellung einer „atypischen Eigentumsregulierung“ bei der Zuständigkeitsentscheidung im Agrarbehördenverfahren an. Unterstellt wurde, dass ein „Gemeindegut“ nicht in dem Sinn beurteilt werden könnte, dass dieses das Eigentum einer Agrargemeinschaft sei. Dies deshalb, weil das Gemeinderecht ein „Gemeindegut“ zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinde definiere. Die Agrarbehörde hätte das Eigentum der Ortsgemeinde lediglich als Agrargemeinschaft organisieren wollen.

Bei diesen Thesen wurde grundlegend verkannt, dass das Gemeinderecht nur das Gemeindegut im Allgemeinen regelt und das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung dem Vollzugsbereich des Flurverfassungsrechts zuweist. (Artikel III. LGBl 1935/36 in Verbindung mit §§ 117, 140 und 164 Abs 2 zweiter Satz TGO 1935 sowie die Nachfolgebestimmungen, wie § 82 TGO 1949 bis § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“)

Bereits Morscher war Anfang der 80er Jahre der Fehler unterlaufen, dass er das Gemeindegut im Allgemeinen, dessen Rechtsverhältnisse in der Gemeindeordnung geregelt sind, vom Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, dessen Rechtsverhältnisse die Flurverfassung regelt, nicht zu unterscheiden vermochte. Irritiert sprach Morscher davon, dass die Agrarbehörden nicht einmal vor dem Nonsense zurückschrecken würden, an Gemeindegut Eigentum einer Agrargemeinschaft festzustellen. (Morscher, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 1982, 1ff 5 in FN 32). Tatsächlich hat Morscher die Sach- und Rechtslage grundlegend verkannt. Das Gemeindegut im Allgemeinen ist eben vom Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung zu unterscheiden! Die Gemeindegesetze der Länder machen die Unterscheidung hinreichend deutlich.

Nur beispielhaft sei auf die Steirische Novelle zur Gemeindeordnung vom 6. Juli 1948 verwiesen, LGBl 52/1948, mit welcher die Bestimmungen zum „Gemeindegut“ wie folgt neu gefasst wurden: „§ 61. Gemeindegut. (1) Sachen, welche zum Gebrauche eines jeden Gemeindemitgliedes einer Gemeinde dienen, bilden das Gemeindegut. Insbesonders gehören zum Gemeindegut Grundstücke, welche von allen oder nur von gewissen Gemeindemitgliedern einer Gemeinde oder einer Ortschaft zur Deckung ihres Guts- und Hausbedarfes gemeinschaftlich oder wechselseitig benützt werden. (2) […] (3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 5, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu. (4) Die Gemeindebehörde hat darauf zu achten, dass die Nutzungen der Gemeindemitglieder nicht über den notwendigen Guts- und Hausbedarf hinaus in Anspruch genommen werden und diese Nutzungen der nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundstückes, insbesondere bei Waldungen, entsprechen. Nötigenfalls ist die Entscheidung der Agrarbehörde einzuholen.“

Es ist deshalb schlicht falsch, wenn aus der Verwendung des Begriffes „Gemeindegut“ in den historischen Bescheiden der Agrarbehörde die Schlussfolgerung gezogen würde, damit sei Gemeindegut im Allgemeinen gemeint, welches durch die Gemeindegesetze zum Eigentum der Ortsgemeinde gestempelt sei. In den Agrarbehördenbescheiden werden typischer Weise Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung behandelt. Der Verfassungsgerichtshof hat deshalb völlig zu Recht in der Grundsatzentscheidung vom 10.12.2010 VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen-Erk) – unter Berufung auf Öhlinger – klargestellt, dass es der historischen Rechtslage entsprochen habe, mit dem Begriff „Gemeindegut“ wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft zu beschreiben. (VfGH 10.12.2010 VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3: „[…] der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs 2 lit d des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff `Gemeindegut´ im Sinne von `Eigentum der Agrargemeinschaft´ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger [FN 235] 223 [250 f.]) […].“).

Die Feststellung von „Gemeindegut“ in einem Agrarbehördenbescheid ist für die Begründung des Anspruchs der Ortsgemeinde auf den Substanzwert gem § 33 Abs 5 TFLG 1996 in keinster Weise ausreichend. Weil der Begriff „Gemeindegut“ auch im Sinn von „wahrem Eigentum der Agrargemeinschaft“ verwendet wurde, kann eine bescheidmäßige Feststellung, wonach „Gemeindegut“ im Eigentum der Agrargemeinschaft vorliege, selbstverständlich nicht als Eigentumstitel der Ortsgemeinde verstanden werden. Dies insbesondere dann nicht, wenn ein Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gegenständlich war.

Die Verhältnisse liegen komplexer und zugleich einfacher: Die Tiroler Agrarbehörde hat im Zeitraum bis zum Bekanntwerden des Erk VfSlg 9336/1982 den Begriff „Gemeindegut“ ganz im Sinn des Flurverfassungsrechts und im Sinn der an das Flurverfassungsrecht angepassten Gemeinderechte der als Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung verstanden. Dieses „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ konnte wahres Eigentum der Ortsgemeinde oder auch wahres Eigentum der Agrargemeinschaft sein.

Aus der bloßen Anknüpfung der Agrarbehörde beim Zuständigkeitstatbestand „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ kann deshalb hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse gar nichts abgeleitet werden. Maßgeblich ist vielmehr die Eigentumsentscheidung. Die Anknüpfung des VwGH ist deshalb grundfalsch!

III. „Qualifizierung“ ist Zuständigkeitsentscheidung

Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vom Gemeindegut im Allgemeinen zu unterscheiden. (Vgl schon Mair in Kohl ea, Agrargemeinschaften Tirol 9 f; Kühne/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 323 ff; Pernthaler/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 449f; Bundeskanzleramt, Zl 156.486–6, ex 1935 „Ausscheidung aus der Gemeindevermögensverwaltung“) Der Eigentumsstreit betreffend das erstere ist vor der Agrarbehörde zu führen (§ 34 Abs 4 FlVerfGG 1951 und § 35 Abs 1 FlVerfGG 1951; zur Ermittlungspflicht betreffend die Eigentumsverhältnisse am „Operationsgebiet“: siehe § 31 FlVerfGG 1951; vgl § 10 Abs 3 FlVerfGG 1951; vgl §§ 38 Abs 1 NÖ FLG 1934; 38 Abs 1 Tiroler FLG 1935; § 37 Vlbg FLG 1951; Pernthaler/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 444 ff) Über die Eigentumsverhältnisse am sonstigen „Gemeindegut“ entscheidet die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit.

Die Beurteilung eines Grundstücks als Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung hat daher keine andere Rechtsfolge als die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Entsprechende Feststellungen in agrarbehördlichen Bescheiden bezweckten also nur eine Begründung der eigenen (agrarbehördlichen) Zuständigkeit; keinesfalls sollten sie die der Agrarbehörde vorbehaltene und von dieser erst zu treffende Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse vorwegnehmen bzw auf dem Umweg über das Gemeinderecht präjudizieren.

Für das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gilt dem Grunde nach nichts anderes als für jedes andere behauptete Gemeindeeigentum: Eine behauptete Gemeindestraße – zweifellos „Gemeindegut im Allgemeinen“ – steht keinesfalls kraft Gemeinderecht unwiderlegbar im Eigentum der Ortsgemeinde. Vielmehr hat jedermann die Möglichkeit, die Behauptung von Gemeindeeigentum in einem streitigen Zivilverfahren zu widerlegen. Eigentümer ist schließlich, wer vom Zivilgericht rechtskräftig als Eigentümer festgestellt wird.

Unterliegt die Ortsgemeinde in einem solchen Eigentumsstreit, so liegt dies in der Regel am besseren Eigentumstitel des Klägers und nicht daran, dass das Zivilgericht auf eine verfassungswidrige Eigentumsentziehung erkannt hätte. In diesem Sinne hatte die Agrarbehörde bei der Feststellung der Eigentumsverhältnisse anhand des Zivilrechts zu entscheiden, wobei die Parteien des Agrarverfahrens – noch viel eindringlicher als im zivilgerichtlichen Petitorium – anzuleiten sind, sich über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften und deren „reformatorische Neugestaltung“ zu vergleichen. (Zu den Handlungsmaximen des Agrarbeamten: Kühne, Zu Agrargemeinschaften in Vorarlberg, in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich, 347 (368), („Don´t litigate, don´t arbitrate, find a settlement“)

IV. Zusammenfassung

„Schlicht unnachvollziehbar ist es, dass der Verwaltungsgerichtshof in einer ersten Serie von Entscheidungen vom 30.6.2011 den Standpunkt eingenommen hat, jede Entscheidung der historischen Agrarbehörde zum Tatbestand `Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung´ indiziere unwiderlegbar ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde.

Die von der TFLG-Novelle 2010 geforderte Prüfung der historischen Eigentumsverhältnisse wurde nicht vorgenommen, sondern unterstellt, dass jede Entscheidung zum Tatbestand „Gemeindegut“ zwingend ehemaliges Eigentum der heutigen Ortsgemeinde voraussetze.

Zwangsläufig hat dies die groteske Konsequenz, dass die historische Agrarbehörde mit einer Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet zu Gunsten der Agrargemeinschaft, gleichzeitig die „Substanz“ zu Gunsten der Ortsgemeinde enteignet hätte!“ (Hans R. Klecatsky)

 Das ist wahrlich absurd!

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Das üble Nummernspiel des VwGH

 

MP