Die Söldener „Fraktionen“ waren Nachbarschaften!

Agrargemeinschaften in Tirol. Entschädigungslose Enteignung der Tiroler Bauern im 21. Jhdt
So sehen Sieger aus! Markus Pirpamer, Jahrgang 1965, ist Eigentümer des Weinhofes in Vent und seit 2005 Obmann der Agrargemeinschaft Vent. Obwohl die Agrarbehörde bereits im Jahr 1979 rechtskräftig entschieden hat, dass die „Fraktion Altgemeinde Vent“ eine Nachbarschaft war, stellte die Agrarbehörde im März 2010 ein „atypisches Fraktionsgut“ fest; der Landesagrarsenat bestätigte diese Entscheidung im August 2010. Erst das Machtwort des Verwaltungsgerichtshofs vom Oktober 2011 verpflichtete die Tiroler Agrarbehörde, die rechtskräftige Entscheidung des Jahres 1979 auch weiterhin anzuerkennen. Agrargemeinschaft Vent ist so vom Substanzanspruch der Ortsgemeinde Sölden verschont geblieben!

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„Fraktion“ = „Nachbarschaft“

Der Weinhof in Vent ist einer der fünf alten Höfe, aus denen sich die Nachbarschaft Vent, mit Ausnahme der zwei Rofenhöfe, seit jeher zusammensetzte. In der Agrargemeinschaft Vent ist ein wesentlicher Teil des Gemeinschaftseigentums der fünf Venter Nachbarn organisiert. Dies seit den Jahr 1979.

Die Tiroler Grundbuchanlegung hatte im Jahr 1912 eine obskure Eigentümeretikette hervorgebracht, um das Gemeinschaftseigentum der fünf Venter Bauern zu erfassen: „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Neun Liegenschaften insgesamt wurden dieser Eigentümeretikette „Fraktion Altgemeinde Vent“ zugeschrieben.

Der Eigentumstitel für diese Grundbucheintragung lautete unter anderem „Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli 1848“. Diese Urkunde vom 14.6.1848 enthält folgende Anerkennung von Privateigentum: Die „Heimweide und Alpe Ramol“ sowie das „Zunther und Krüppelholz in Niedertal“ aufgrund Urkunde vom 14.11.1415 sowie vom 08.07.1563“. Das bedeutet, dass die Eigentumsanerkennung im Jahr 1848 auf Urkunden gestützt wurde, die aus den Jahren 1415 und 1563 stammten.

Wenn freilich jenes Gebilde, welches im Zuge der Grundbuchanlegung als „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ erfasst wurde, bereits im Jahr 1415 bzw 1563 existiert hat, so ist es ausgeschlossen, dass es sich dabei um die heutige Ortsgemeinde Sölden oder ein juristisches Teilgebilde derselben handelt: „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ war vielmehr die Nachbarschaft, die sich aus den fünf Venter Höfen zusammensetzte. (Zur Entstehung der heutigen Ortsgemeinden: s https://recht.agrar-info.at/blog/1945-wiedererrichtung-der-ortsgemeinden//)

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Richtigstellung des Grundbuchs für „Alpe Ramol“

Eine der neun Liegenschaften, welche ursprünglich als Eigentum der „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden“ erfasst wurde, war die „Alpe Ramol“. Bei dieser Liegenschaft wurde aufgrund Beschlusses des Gemeinderats von Sölden vom 02.03.1924 bereits in den 1920er Jahren die Eigentümerbezeichnung von „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ auf die fünf Hofbesitzer von Vent  berichtigt.

Die fünf Hofbesitzer von Vent wurden als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen. Grundlage für diese Richtigstellung der Eigentumsverhältnisse war ein „Überlassungsvertrag“ vom 31. 08.1927. Darin hat die Ortsgemeinde Sölden ausdrücklich anerkannt, dass die wahren Eigentümer der Alpe Ramol die fünf Venter Bauern wären. In diesem Sinn wurde das Grundbuch bereits in den 1920er Jahren berichtigt.

Richtigstellung des Grundbuches für weitere Liegenschaften

Vier weitere Liegenschaften aus dem Fundus „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ waren in den 1970er Jahren Gegenstand eines agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens.

Die Liegenschaften sollten als „Agrargemeinschaft Vent“ in einem eigenständigen Rechtsträger organisiert werden. Die Ortsgemeinde Sölden ist dem entgegengetreten. Im Verfahren wurde vorgebracht, dass „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ eine politische Ortsfraktion gewesen wäre. Die Ortsgemeinde Sölden wollte deshalb selbst als Rechtsnachfolgerin von „Fraktion Altgemeinde Vent“ und damit als Eigentümerin von Grund und Boden anerkannt werden. Die Ortsgemeinde Sölden forderte im Agrarverfahren das Eigentumsrecht.

Mit Bescheid vom 15.11.1979 entschied die Agrarbehörde unter Hinweis auf die Urkunde vom 14.11.1415, dass „Fraktion Altgemeinde Vent“ nur eine „Nachbarschaft Vent“ gewesen sein könne. Das Eigentum stehe einer Agrargemeinschaft zu. Diese Agrargemeinschaft, „Agrargemeinschaft Vent“ genannt, bestehe nur aus den fünf Venter Bauern. Der Ortsgemeinde Sölden wurde kein Anteilsrecht zuerkennt; der Antrag der Ortsgemeinde Sölden, die Agrarbehörde möge feststellen, dass nur die Ortsgemeinde Sölden Eigentümerin der Liegenschaften sei, wurde abgewiesen.

Die Behörde: Strittig war in diesem Verfahren, wem das Grundeigentum am Regulierungsgebiet zukommt. Die Gemeinde Sölden hat die Ansicht vertreten, dass die Gemeinde Sölden Rechtsnachfolgerin der im Grundbuch aufscheinenden Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden unter Ausschluss der Rofenhöfe sei. Der Gemeinderat der Gemeinde Sölden hatte darüber abgestimmt, ob das Eigentum der Agrargemeinschaft zustehe und war man der Auffassung, dass die Ortsgemeinde Eigentümerin sei und es auch bleiben sollte. Die Anteilsberechtigten haben dem gegenüber den Standpunkt eingenommen, dass ihnen als Agrargemeinschaft das Eigentum zustehen müsste.

Die Agrarbehörde entschied nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wie folgt: „Gemäß § 38 Abs 1 TFLG 1978 wird festgestellt, dass die oben erwähnten Grundstücke in EZl 201 II (Venter Sonnenberg), EZl 203 II (Venter Sonnenberg), EZl 206 II und EZl 487 II (Thalleit Alpe) agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 33 Abs 1 lit b TFLG 1979 sind und, soweit es sich um die EZl 201 II, 203 II und 206 II handelt zur Gänze und soweit es sich um die EZl 487 II handelt, zur Hälfte im Eigentum der Agrargemeinschaft Vent stehen.“

Unter Pkt VI „Bücherliche Durchführung“ enthält der Bescheid folgende normative Anordnung:
„Aufgrund dieses Bescheides sind im Grundbuch der KG Sölden nachstehende Eintragungen von Amts wegen durchzuführen:
1) In EZl 201 II, 203 II und 206 II:
Die Einverleibung des Eigentumsrechtes zugunsten der Agrargemeinschaft Vent, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaft in EZl … zu … Anteilen
2) In EZl 487 II:
In B-OZl 1a die Einverleibung des Eigentums zur Hälfte zugunsten der Agrargemeinschaft Vent, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaften in EZl … zu … Ant
eilen“

In der Folge begründet die Agrarbehörde im Bescheid vom 15.11.1979 ausführlich, dass weder in der Urkunde vom 14. November 1415, noch in einer solchen aus dem Jahr 1745 von einer „Fraktion“ die Rede sei. Die Agrarbehörde: „So wird bereits in der Urkunde vom 14. November 1415 von der `Thalgemeinschaft von Vend´ gesprochen, die das Besitz- und Nutzungsrecht am Ramolkogl hat. Aber auch in späterer Zeit wat nicht von einer Fraktion die Rede. So wurde im Jahre 1745 ein Vergleich niedergelegt, welcher zwischen der `Nachbarschaft Fendt´ und deren Rofenhofsinhabern abgeschlossen wurde. Hiebei ging es um die Weiderechte der Nachbarschaft Vent.
Dies lässt eindeutig darauf schließen, dass es sich bei der hier vorliegenden Gemeinschaft nicht um meine Fraktion handelt, deren Rechtsnachfolgerin die Gemeinde Sölden sein könnte, sondern um eine agrarische Gemeinschaft gem § 33 Abs 1 lit b TFLG 1978. Das Grundeigentum steht daher nicht der Gemeinde Sölden zu. Daran vermag auch die Bezeichnung `Alt-Gemeinde´ im Grundbuch nichts zu ändern, da es sich hiebe offensichtlich um einen zur Zeit der Grundbuchanlegung gebräuchlichen Begriff gehandelt hat, der in der Urkunden von 1415, welche die Grundlage für die Grundbucheintragung bildet, gar nicht vorkommt
.“

Diese Entscheidung der Agrarbehörde über die wahren Eigentumsverhältnisse ist seit über 35 Jahren rechtskräftig.

„FRAKTION“ ALS KOMPROMISS?

Warum gerade in Sölden – anders als in der angrenzenden Gemeinde Längenfeld – bei der Grundbuchanlegung alle Almliegenschaften auf eine „Fraktion“ angeschrieben wurden, enthüllen die Grundbuchanlegungsprotokolle.
Laut Protokoll Nr 251 vom 23.10. 1912 betreffend die Lenzen- und Timmel-Alpe forderte der Gemeindevorsteher Johann Prantl im Zuge der Grundbuchanlegung in der Ortsgemeinde Sölden ein Gemeindeeigentum an den beiden Alpen. Die Alpinteressenten forderten das Eigentum für ihre Interessentschaft. Nur sie, die Alminteressenten, hätten die Almen „besessen, benützt und versteuert“.

Der Grundbuchbeamte entschied sich für „Fraktionen“ als Eigentümer:
Die Fraktion (Parzelle) Sölden steht im Besitz der Timmel-Alpe.
Die Fraktion Zwieselstein steht im Besitz der Lenzen-Alpe.
Die Interessenten besitzen Weiderecht
.“
Der Beamte glaubte, dass im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 das Eigentum zwei „Fraktionen“ zugesprochen worden sei.

Weil der Gemeindevorsteher Johann Prantl bei allen Almliegenschaften Eigentum für die Ortsgemeinde Sölden einforderte, wurde überall nach dem Muster vorgegangen wie im Fall der Lenzen- und Timmel-Alpe: Rund 50 Almliegenschaften wurden in der Katastralgemeinde Sölden auf die Eigentümeretikette „Fraktion“ einverleibt:
„Fraktion Sölden“, „Fraktion Gurgl“, „Fraktion Obergurgl“, Fraktion Untergurgl, Fraktion Kaisers, Fraktion Winterstall, Fraktion Zwieselstein, Fraktion Heilig-Kreuz, Fraktion Hochwald, Fraktion Grünwald, Fraktion Innerwald, usw).

SÖLDENER HABEN DAS GRUNDBUCH RICHTIGGESTELLT

Bald nach Abschluss der Grundbuchanlegungsarbeiten erkannten die Söldener die Unrichtigkeit dieser Eigentümerbezeichnungen. Eine „Berichtigungswelle“ in den 1920er Jahren war die Folge.

Ein Beschluss der Gemeindevorstehung von Sölden vom 2. März 1924, stellte klar, dass die Eigentümerbezeichnungen „Fraktion“ falsch seien. Seitens der Gemeinde Sölden und der Landesregierung als Gemeindeaufsicht wurde allen „Interessenten“ die Berichtigung der Eigentumsverhältnisse angeboten.

Obzwar das Söldener Gemeindearchiv, gegen Wildwasser ungeschützt, verloren gegangen ist, kann der wesentliche Inhalt dieser Entscheidung in den „Überlassungsverträgen“ nachgelesen werden, die in der Folge mit den wahren Eigentümern, den „Alpinteressenten“, errichtet wurden.
Die Gemeinde Vorstehung Sölden hat mit Ausschußbeschluss vom 2. März 1924, der von der Tiroler Landesregierung genehmigt wurde, beschlossen, sämtliche Alpen der politischen Gemeinde Sölden, die bisher der Gemeinde Sölden oder deren Fraktionen seit der Anlegung des Grundbuches als Eigentum zugeschrieben waren, den Alpinteressenten, die praktisch ohnedem aufgrund ihrer Weiderechte die alleinigen Benützer dieser Alpen waren, zu deren freiem Eigenthume zu überlassen.“

In den Jahren 1927 bis 1931 wurden in der Katastralgemeinde Sölden 23 (!) Almliegenschaften von „Fraktion“ auf Miteigentum der jeweiligen Hofeigentümer umgeschrieben.  Die „Überlassungsverträge“ stellten dazu einheitlich fest, dass der „Fraktion“ nichts gebührte, außer dem „formellen Titel Eigentum“.

Tatsächlich waren die im Grundbuch von Sölden als Eigentümer von Almliegenschaften ausgewiesenen „Fraktionen“ Nachbarschaften. Die Ortsgemeinde hatte an diesen Almliegenschaften nie ein Eigentum besessen.

MP

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