Unterlangkampfen-Erk

Verfassungsrichter Hon.-Prof. Dr. Willibald Liehr (Bild: VfGH/Achim Bieniek – Wikipedia; * 7. Dezember 1941 in Wien; † 31. Mai 2011) war Jurist und Mitglied des Verfassungsgerichtshofes der Republik Österreich. Er stand als Jurist von 1964 bis 1996 im Niederösterreichischen Landesdienst, langjährig als Leiter des Verfassungsdienstes. Seit Juni 1991 war Liehr Honorarprofessor an der Technischen Universität Wien. Am 12. Februar 1996 wurde Liehr zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofes ernannt. Mit 31. März 2011 trat Liehr aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig als Verfassungsrichter zurück.
Verfassungsrichter Hon.-Prof. Dr. Willibald Liehr war offensichtlich kein Freund des Mieders-Erkenntnisses 2008 des Verfassungsgerichtshofes. Auch wenn er die von Verfassungsrichter Univ.-Prof. Dr. Karl Spielbüchler (Pensionseintritt zum 31.12.2009) dominierte Judikatur nicht verhindern konnte oder wollte, so übernahm er doch im Verlauf des Jahres 2010 – allerdings bereits schwer erkrankt – das Kommando in Sachen Agrar im Gerichtshof. Das Unterlangkampfen-Erkenntnis vom Dezember 2010, mit welchem dem Mieders-Erk 2008 entgegen getreten werden sollte, war das Ergebnis der letzten Session des Gerichtshofes, an der Liehr als Richter teilnehmen konnte. Im Februar 2011 war er bereits aus Gesundheitsgründen an der Sitzungsteilnahme verhindert; zum 31. März 2011 resignierte Liehr aus Gesundheitsgründen vom Richteramt, am 31. Mai 2011 hatte er den Kampf gegen die Krankheit verloren und verstarb.
Sein großer Gegenspieler in Sachen AGRAR, Karl Spielbüchler, verstarb am 09.01.2012, nur rund neun Monate später.

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DER VFGH REAGIERT AUF DIE KRITIK

Im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 („Unterlangkampfen-Erkenntnis 2010“) vom 10.Dezember 2010 ist der Verfassungsgerichtshof den Agrargemeinschaften und der Kritik am Mieders-Erk 2008 weitgehend entgegen gekommen.

Ein „atypisches Gemeindegut“ aus heutiger Sicht dürfe nicht schematisch unterstellt werden. Vielmehr müssten im Einzelfall verschiedene Interpretationsschritte gesetzt werden.

 a) Es müssen die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt vor der Regulierung erhoben werden, weil nur wahres Eigentum der Ortsgemeinde im Zeitpunkt vor dem agrarbehördlichen Einschreiten den Restitutionsanspruch gem VfSlg 18.446/2008 rechtfertigen könne. Die historischen Eigentumstitel besitzen demnach Relevanz, weil es auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung ankomme. Von Interesse sei – selbstverständlich – nur der letzte Eigentumserwerb im Zeitpunkt vor der Regulierung.

 b) Auf den historischen Grundbuchstand, der durch die Grundbuchanlegung geschaffen wurde, könne man sich bei der Prüfung der wahren Eigentumsverhältnisse nicht verlassen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Grundbuchstand unrichtig sein könne. Klar gestellt wurde in diesem Zusammenhang, dass der Grundbuchstand lediglich deklariative Wirkung entfalte.

 c) Der durch die Agrarbehörde geschaffene Grundbuchstand könne die Vermutung der Richtigkeit gem § 431 ABGB für sich in Anspruch nehmen; dies umso mehr, als die Agrarbehörde mit konstitutiver Wirkung entscheide;

 d) Der Begriff „Gemeindegut“ wurde im historischen Recht verwendet, um Eigentum der Agrargemeinschaft zu definieren.
Dieser Rechtssatz, den der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 im Anschluss an Öhlinger definiert hat, gilt generell für das Flurverfassungsrecht und für das Gemeinderecht ab Inkrafttreten des BG über die Grundsätze der Flurverfassung (BGBl 1932/256) – jedenfalls bis zur Veröffentlichung des Erkenntnisses VfSlg 9336/1982, was sich anhand der Entwicklung des Gemeinderechts leicht beweisen lässt . Ältere Rechtstexte müssen deshalb differenziert interpretiert werden .

e) Es fehlt jede Rechtsgrundlage, um eine Existenzbeendigung bei der historischen Wirtschaftsgenossenschaft zu unterstellen; und es fehlt jede Rechtsgrundlage, um einen Eigentumserwerb der Ortsgemeinde Kraft Gesetzes zu unterstellen. Die unter dem Begriff „Quasi-Erbschaft der Ortsgemeinde“ kursierende Theorie von der Beerbung der Nachbarschaften durch die moderne Ortsgemeinde „ex lege“, wurde im Erk VfSlg 19.262/2010 ausdrücklich verworfen. 

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DIE EINZELNEN INTERPRETATIONSSCHRITTE

Wann liegt atypisches Gemeindegut laut Unterlangkampfen-Erk des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg 19.262/2010) vor?

1. Die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet sind zu prüfen

VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.1. der Begründung (Unterlangkampfen-Erk):
„Die Agrarbehörden sind bei Verfahren wie diesem mithin gehalten, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären und dabei alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen.“

2. Die historische Grundbucheintragung kann unrichtig gewesen sein

VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.1. (Unterlangkampfen-Erk)
„Weiters ist allerdings einerseits zu berücksichtigen, dass Grundbuchseintragungen unrichtig sein können, […] weswegen der Grundbuchsstand nicht zwingend die wahren Eigentumsverhältnisse wiedergeben muss.“

3. Die historische Agrarbehörde kann mit dem Begriff „Gemeindegut“ ein Gut einer Ortsgemeinde oder ein Gut einer Agrargemeinschaft gemeint haben, je nachdem ob der Begriff „Gemeindegut“ im Sinn des Gemeinderechts verstanden wurde oder im Sinn des Flurverfassungsrechts

VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3 Abs 1 (Unterlangkampfen-Erk)
„…- der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol, 250f) –“

4. Aus der Tatsache der heutigen grundbücherlichen Eintragung der Agrargemeinschaft ist die Rechtsvermutung abzuleiten, dass der jeweilige Bescheid, mit dem über die Eigentumsverhältnisse entschieden wurde, mit dem Begriff „Gemeindegut/Fraktionsgut“ Eigentum einer Agrargemeinschaft gemeint hat

VfGH VfSlg 19.262/2010 Pkt A II. 2.3.3. (1) (Unterlangkampfen-Erk)
„Sie [Anm: die Agrargemeinschaft] ist in Ansehung der von der Regulierung erfassten Liegenschaften im Sinne des §431 ABGB als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Die Tatsache der Eintragung begründet zugleich die – widerlegbare, aber vorliegend nicht widerlegte – Vermutung, dass die Eintragung auf einem gültigen Titel beruht (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13 [2006] 352).“

5. Die Agrarbehörde entscheidet konstitutiv – was die Behörde entschieden hat, gilt!

VfSlg 19.262/2010, II.A. 2.3.6.1. der Begründung:
„Die Agrarbehörden sind bei Verfahren wie diesem mithin gehalten […] zu berücksichtigen, dass […] die Verbücherung agrarischer Operationen nur deklarativ die Rechtsänderungen nachvollzieht, die durch die Anordnungen der Agrarbehörde eingetreten sind (so auch OGH 11.2.2003, 5 Ob 2/03k; ebenso in Bezug auf Nutzungsrechte an Agrargemeinschaften VwGH 8.7.2004, 2003/07/0087), weswegen der Grundbuchsstand nicht zwingend die wahren Eigentumsverhältnisse wiedergeben muss.“

6. Das Gemeinderecht vermittelt keinen Eigentumstitel – wider die „Quasi-Erbschaft“

VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.4.2. Abs 2 der Begründung:
„Bei dieser Sicht erweist sich auch die Feststellung der belangten Behörde, die Fraktion sei „Rechtsvorgängerin der Gemeinde“ (Seite 17 des angefochtenen Bescheides), als verfassungsrechtlich unbedenklich, weil sie offenkundig nicht auf dem Gedanken einer „Quasi-Erbschaft“ der politischen Ortsgemeinde beruht (vgl. dazu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [228 ff.]).“

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KONSEQUENZEN DES UNTERLANGKAMPFEN-ERK?

Offensichtlich ist, dass der VfGH im Unterlangkampfen-Erk 2010 ganz andere Schwerpunkte gesetzt hat als im Mieders-Erk vom 11.06.2008.

Und es entsteht der Eindruck, dass der Tiroler Agrarstreit eine ganz andere Wendung genommen hätte, wenn die Tiroler Agrarbehörde ab Dezember 2010 das Unterlangkampfen-Erk des VfGH (VfSlg 19.262/2010) systematisch angewandt hätte. Tatsächlich ist nur ein einziger Bescheid der Tiroler Agrarbehörde bekannt geworden, in welchem die Grundsätze des Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010 angewandt wurden. Es handelt sich um den Bescheid vom 12.05.2011 AgrB-R578/105-2011 (Gemeindegutsbeurteilung bei Larsenn-Langesbergalpe).

Die Tiroler Agrarbehörde im O-Ton:
„Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10.12.2010, B 639/10 u. B 640/10, aufgezeigt, ist diese Folgerung allerdings nicht zwingend, der Bescheid (Anm.: Regulierungsplan) könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs 2 lit d des Flurverfassungsgesetzes vom 06.06.1935, LGB. Nr. 42 (Anm.: Diese Norm entspricht der hier relevanten Bestimmung des § 36 Abs 2 lit d FLG 1952), angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte. Der Gerichtshof stellt weiters klar, dass es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung ankommt, woraus folgt, dass die Agrarbehörde in einem Verfahren zur Feststellung von Gemeindegut gehalten ist, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären. Zu berücksichtigen ist, dass Grundbuchseintragungen unrichtig sein können und das Grundbuch Rechtsänderungen nur deklarativ nachvollzieht. Der Grundbuchsstand muss daher nicht zwingend alle wahren Eigentumsverhältnisses wiedergeben (vgl nochmals VfGH v. 10.12.2010, B 639/10, B 640/10).
Diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes lassen bei einer Gesamtschau der geprüften Umstände einzig den Schluss zu, dass das Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft Larsenn-Langesberg zum Zeitpunkt der Regulierung nicht im wahren Eigentum der Gemeinde Schönwies stand, sondern vielmehr im Eigentum der als unregulierte Interessentschaft Larsenn-Langesbergalpe organisierten Nutzungsberechtigten. Hiefür sprechen die vom Gemeindevertreter gemäß § 110 FLG 1952 in der Instruierungsverhandlung vom 29.01.1954 anerkannten Feststellungen, wonach das Regulierungsgebiet zwar grundbücherlich der Gemeinde Schönwies zugewiesen war (vgl hiezu auch die Ausführungen unter Pkt b), jedoch von gewissen Anteilsberechtigten allein und ausschließlich genutzt wurde, welche seit jeher zur Alpinteressentschaft Larsenn-Langesbergalpe zusammengeschlossen waren.“

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1. Zum Hintergrund:

Pernthaler hat in einer Abhandlung aus dem Jahr 2010 die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 (Mieders- Erk) entwickelten Voraussetzungen für die Anerkennung eines Restitutionsanspruches der Ortsgemeinden trefflich zusammen gefasst. Gemeindegut (gemeint als Eigentum der Ortsgemeinde) müsse vor der agrarischen Operation existiert haben und das Gemeindegut müsse nach der agrarischen Operation weiter existieren .

Am Beginn des Verfahrens beweise sich das „Gemeindegut“ als (wahres) Eigentum der Ortsgemeinde. Am Ende des Regulierungsverfahrens existiere das „Gemeindegut“ (= Substanzrecht der Ortsgemeinde) deshalb (noch), weil nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes die Agrarbehörde das so entscheiden wollte . „Gemeindegut“ sollte – so die unbestrittenen Feststellungen der Tiroler Agrarbehörde im Bescheid I. Instanz – weiter „bestehen bleiben“ , woraus der Verfassungsgerichtshof ableitete, dass diesfalls der „Substanzwert“ der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften (nach wie vor) der Ortsgemeinde zustehen müsse .

a) Der historische „Gemeindegutsnachweis“

Gemeindegut vor Beginn der agrarischen Operation erfordert insbesondere wahres Eigentum der Ortsgemeinde vor dem Einschreiten der Agrarbehörde (und zusätzlich Nutzungsrechte der Gemeindeglieder). Unterscheidbarkeit zu den anderen Agrargemeinschaften gewährleistet nur die Klärung der historischen Eigentumsfrage; dies mit höchster Zuverlässigkeit, weil die Kriterien für den Eigentumserwerb im Gesetz präzise definiert sind. Wer als Eigentümer anerkannt werden will, braucht einen Eigentumstitel; zusätzlich müssen die nötigen Formvorschriften beachtet worden sein (Lehre von titulus und modus). Zwingend notwendig von den zwei Elementen „titulus und modus“ und somit unverzichtbar, ist der Eigentumstitel. Wer einen Eigentumstitel besitzt, kann gegen denjenigen, der nur der äußeren Form nach als Eigentümer erscheint, dh gegen jeden im Grundbuch einverleibten „Scheineigentümer“, im Wege eines Rechtsstreites dessen Löschung als Eigentümer im Grundbuch erwirken .

Umgekehrt muss derjenige, der im Grundbuch als (Schein-)Eigentümer aufscheint ohne einen wirklichen Eigentumstitel zu besitzen, demjenigen, der das bessere Recht besitzt, dh dem „wahren Eigentümer“, im Rechtsstreit um das Eigentum („Petitorium“) den „Tabularbesitz“ übertragen (das „Eigentum aufsanden“). Dies gilt unabhängig davon, dass der im Grundbuch einverleibte „rechtmäßige Besitzer“ allen Dritten gegenüber wie ein Eigentümer agieren konnte. Solange der wahre Eigentümer sein (besseres) Recht nicht geltend macht, wird der im Grundbuch Einverleibte wie ein Eigentümer behandelt. Die Rechtsordnung behandelt nämlich einen rechtmäßigen Besitzer einer Sache so lange wie einen Eigentümer, bis der wahre Eigentümer auftritt und die Herausgabe seines Eigentums fordert. Solange dies nicht der Fall ist, wird der rechtmäßig im Grundbuch Einverleibte von der Rechtsordnung wie ein Eigentümer behandelt, obwohl er kein wahres Eigentum besitzt. Die Rechtsordnung vermutet lediglich die Kompetenzen eines Eigentümers. Der Nichtberechtigte kann deshalb Handlungen setzen, die üblicher Weise nur ein Eigentümer setzen kann. Die Rechtsdogmatik behandelt dieses Phänomen unter dem Begriff des „publizianischen Besitzes“ .

Gemeindegut (im Sinn von Eigentum der Ortsgemeinde) kann somit immer dann ausgeschlossen werden, wenn die Ortsgemeinde keinen Eigentumstitel besessen hat. Auf die äußere Form, auf den bei der Grundbuchanlegung geschaffenen Grundbucheintrag, kommt es gerade nicht an . Genauso wenig kommt es auf ein historisches Auftreten der Ortsgemeinde als Eigentümerin an. Wer – wenn auch rechtsirrig – im Zuge der Grundbuchanlegung als Eigentümerin einverleibt wurde, ist jedenfalls „rechtmäßiger Besitzer“ gem § 372 ABGB. Eine Ortsgemeinde, die im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung – wenn auch rechtsirrig – als Eigentümerin einverleibt wurde, konnte deshalb agieren wie eine Eigentümerin (§ 372 ABGB definiert eine entsprechende Rechtsposition einer „publizianischen Besitzerin“ ). Dies freilich nur so lange, bis die wahre Eigentümerin (die Agrargemeinschaft) ihr Eigentum einfordert. Fehlt es am historischen Eigentumstitel der Ortsgemeinde, ist keine weitere Prüfung der Rechtsverhältnisse mehr erforderlich. „Atypisches Gemeindegut“ bzw „Substanzwertanspruch der Ortsgemeinde“ kann keinesfalls entstanden sein. Jeder Restitutionsanspruch ist auszuschließen.

b) Der „Gemeindegutsnachweis“ nach erfolgter Regulierung

aa) Allgemeines

Auch dann, wenn die Gemeinde einen Eigentumstitel besessen haben sollte (das Regulierungsgebiet war dann ursprünglich „wahres“ Eigentum der Ortsgemeinde), bedeutet dies gerade nicht zwangsläufig, dass heute „atypisches Gemeindegut“ bzw „Substanzwertanspruch der Ortsgemeinde“ existiert. Ein allfälliger Eigentumseingriff im Zuge einer agrarischen Operation führt nämlich nicht zwangsläufig zu einem Restitutionsanspruch der Ortsgemeinde gem VfSlg 18.446/2008 (Mieders- Erk). Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 klar gestellt hat, ist folgendes zu bedenken: Alle Rechtspositionen der Ortsgemeinde als historische Eigentümerin könnten in Konsequenz der Neugestaltung der Rechtsverhältnisse im Regulierungsverfahren untergegangen sein .

Die theoretische Grundlage für den Untergang aller Rechtspositionen eines historischen Eigentümers im Zuge eines Regulierungsverfahrens ist leicht erklärt: Die Agrarbehörde entscheidet nach allen Landes-Ausführungsgesetzen zum Bundesgesetz über Grundsätze der Flurverfassung 1932 in jedem Regulierungsfall über das Eigentum am Regulierungsgebiet . Die agrarische Operation ist deshalb auch in Tirol seit dem Inkrafttreten des TFLG 1935 notwenig ein Verfahren, in dem über das Eigentumsrecht entschieden wird (= „Petitorium“); das Gesetz verlangt eine Feststellungsentscheidung über die Eigentumsverhältnisse . Wer als Eigentümer in diesem Verfahren festgestellt wird, ist Eigentümer im Rechtssinn . Weil das Eigentumsrecht an einer Sache das Recht an der „Substanz“ dieser Sache mitumfasst , bedeutet die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse grundsätzlich auch eine Entscheidung über die Substanz, weil „Substanz“ ein Teil des Eigentumsrechts ist .
Weil „Substanz“ grundsätzlich kein vom Eigentum eigenständiges rechtliches Schicksal nehmen kann, muss die „Substanz“ – genauso wie die Nutzung – grundsätzlich dem Eigentumsrecht folgen. Die „atypische Gemeindegutsregulierung“ bzw der „Substanzwertanspruch der Ortsgemeinde“ setzt deshalb den Nachweis voraus, dass im Bescheid zur Entscheidung über das Eigentumsrecht gem § 38 Abs 1 TFLG (= Petitorium) gerade nicht hinsichtlich der Substanz des Regulierungsgebietes (zu Gunsten der Agrargemeinschaft) entscheiden wurde.

Das „atypische Gemeindegut“ (= substanzloses Eigentum der Agrargemeinschaft) bzw der „Substanzwertanspruch der Ortsgemeinde“, ist deshalb schwierig zu identifizieren. Es existiert keine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Trennung von Eigentumsrecht und Substanzrecht, an der man sich orientieren könnte. Weder das Bürgerliche Recht, noch das Verfassungsrecht berücksichtigen die Möglichkeit einer Trennung von Eigentumsrecht und Substanz . Die dauerhafte Abspaltung eines „Substanzrechts“ vom Eigentumsrecht gem § 354 ABGB muss mit Blick auf den Typenzwang im Sachenrecht, mit Blick auf die Institutionsgarantie des Art 5 StGG 1867 und mit Blick auf Art 7 StGG 1867 als eine Ausnahme erscheinen.

bb) Guggenbergers Begründungsversuch

Josef Guggenberger hat in seinem Bescheid vom 9.11.2006 , mit welchem er – laut eigenen Aussagen – ein neues Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes provozieren wollte , umfangreiche Feststellungen betreffend die Herausbildung des Substanzrechts der Ortsgemeinde getroffen. Der Verfassungsgerichtshof fasst die wesentlichen Eckpunkte dieser Feststellungen gem Bescheid vom 9.11.2006 AgrB-R741/362-2006 im Erk VfSlg 18.446/2008 (Mieders-Erk) wie folgt zusammen (Seiten vier bis acht des Originalerkenntnisses):

Ausgehend von der Feststellung des Regulierungsplans, es handle sich um Gemeindegut und dieses „Gemeindegut“ stehe im Eigentum der Agrargemeinschaft, hatte Josef Guggenberger folgende Überlegungen angestellt und seinem Bescheid zu Grunde gelegt bzw entsprechende Feststellungen getroffen:

„Gerade diese beiden Festlegungen im Regulierungsplan zeigen aber, nach Auffassung der Agrarbehörde, deutlich, dass im Zuge von Regulierungsverfahren über das Gemeindegut der politischen Gemeinden – rechtlich gesehen – in der Landesvollziehung agrargemeinschaftliche ‚Sondergebilde‘ geschaffen wurden.“
„Den Regulierungsurkunden zum Gemeindegut kann nicht (gegen das Gesetz und gegen die Verfassung) eine Bedeutung und jener Inhalt unterlegt werden, dass Aufgabe und Inhalt der Gemeindegutsregulierung gewesen wäre, Gemeindegut nach den Regelungen der Bodenreform rechtlich zu beenden und zu vernichten. Das Gegenteil ist der Fall, das Vorliegen von Gemeindegut war rechtliche Voraussetzung, dass an diesem Gemeindegut die alten öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen und Nutzungsverhältnisse in einem Regulierungsplan der Agrarbehörde festgeschrieben werden konnten, […]“.
„… lediglich die Verwaltung und Bewirtschaftung des Gemeindegutes sollte durch Regulierung mehr geordnet und gesichert werden. Damit ist aber die rechtliche Qualifikation als Gemeindegut keineswegs untergegangen!“
„Die Zuordnung des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft als Regulierungsmaßnahme … erfolgte ohnehin als nudum jus, als nacktes Recht, weil der Regulierungsplan für Gemeindegut regelmäßig nur die damals (allein zulässige!) agrargemeinschaftliche Wald- und Weidenutzung festschrieb. Mehr Recht sollte und wurde auch durch die Zuordnung von Eigentum an die AG als Regulierungsmaßnahme der Agrarbehörde nicht vermittelt […].“
„Dies [Anm: Sondergebilde in der Landesverwaltung zu schaffen und lediglich die Verwaltung und Bewirtschaftung des Gemeindegutes durch Regulierung mehr zu ordnen und zu sichern] war den leitenden Beamten der Agrarbehörde und den an solchen Gemeindeguts-Agrargemeinschaften Beteiligten, vorrangig den jeweiligen Gemeinden, natürlich bewusst.“
„An dieser Tatsache ändert auch nichts der Umstand, dass im Zuge dieser Regulierung – mit gleichzeitiger Feststellung im Regulierungsplan als Gemeindegut – das Eigentum am Gemeindegut der Agrargemeinschaft Mieders zugeordnet wurde. Der Regulierungsplan Mieders legt ausdrücklich fest, dass sich diese Behördenentscheidung auf die agrargemeinschaftliche Nutzung in Holz und Weide bezieht […]“
„Die Zuregulierung des Eigentums am Gemeindegut an die AGM Mieders konnte daher nur für diesen, im Regulierungsbescheid festgelegten Zweck erfolgt sein. Dies ist eine wichtige Besonderheit, die in den Regulierungsplänen zum Gemeindegut regelmäßig steckt. Als rechtliche `Besonderheit´ unterscheiden sich Gemeindegutsagrargemeinschaftsgebilde eben von üblichen Agrargemeinschaften.“

Alle diese Feststellungen leitete Josef Guggenberger offensichtlich aus dem Inhalt historischen Regulierungsplans betreffend Agrargemeinschaft Mieders aus dem Jahr 1963 ab, wonach es sich beim Regulierungsgebiet um Gemeindegut handle, welches im Eigentum der Agrargemeinschaft stehe. Weder hatte Guggenberger nämlich irgendein Ermittlungsverfahren durchgeführt, noch hatte Guggenberger die Parteien zu den Ergebnissen seiner „Aktivitäten“ angehört . Die historische Feststellung im Regulierungsplan von Agrargemeinschaft Mieders, wonach der Regulierungsgebiet Gemeindegut sei, welches im Eigentum der Agrargemeinschaft Mieders stehe, war offensichtlich die einzige Anknüpfung für alle weiteren, im Mieders- Erk vom VfGH als besonders relevant hervorgehobenen Feststellungen (zumindest hatte der Landesagrarsenat keinerlei Ermittlungstätigkeit feststellen können).

Guggenberger verstand das „festgestellte“ Gemeindegut als Substanz der Ortsgemeinde einerseits und als Nutzungsrechte der Agrargemeinschaftsmitglieder andererseits. Während die Nutzungsrechte in der Agrargemeinschaft reguliert worden seien, sei die Substanz bei der Ortsgemeinde verblieben. Insoweit müsse die Regulierung von Gemeindegut in einer Agrargemeinschaft nach Guggenberger dazu führen, dass „atypisches Gemeindegut“ entstehe.

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2. Elemente des atypischen Gemeindeguts

a) Historisches Eigentum der Ortsgemeinde als Voraussetzung

Das Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 (Mieders-Erk 2008) setzte wahres Eigentum der Ortsgemeinde am Regulierungsgebiet voraus. Weil im Bescheid I. Instanz vom 10. Oktober 2006 Eigentum der Ortsgemeinde als Ausgangspunkt der Regulierung behauptet worden war und weil im gesamten Verfahren niemand Gegenteiliges vorgebracht hatte, konnte – ja musste – der Verfassungsgerichtshof von Eigentum der Ortsgemeinde ausgehen. Der historische Grundbuchstand, auf welchen sich der Verfassungsgerichtshof – sozusagen hilfsweise – berufen hatte, ist freilich nur ein Indiz für wahres ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde – nicht mehr und nicht weniger .

Im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen-Erk) stellte der Verfassungsgerichtshof noch einmal ausdrücklich klar, dass das Erk VfSlg 18.446/2008 ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde zwingend voraussetze. Um prüfen zu können, ob „atypisches Gemeindegut“ gem VfSlg 18.446/2008 vorliege oder nicht, müssten die ehemaligen Eigentumsverhältnisse erhoben werden. Eine Einschau in das historische Grundbuch sei dafür keineswegs ausreichend. Vielmehr müsse dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der historische Grundbuchstand unrichtig gewesen sein könnte .

Die Eigentumsverhältnisse müssten deshalb im Einzelfall geprüft werden, dies nicht nur anhand des Grundbuchstandes, sondern auch anhand jeder Dokumente, welche dem Grundbuchstand zu Grunde liegen oder sogar noch älter sind . Ausdrücklich hatte der Verfassungsgerichtshof klar gestellt, dass auch eine Verleihungsurkunde aus dem Jahr 1670 Bedeutung haben könnte. Erweist die Prüfung der historischen Eigentumsverhältnisse, dass die Ortsgemeinde nie Eigentümerin war, dann kann aus heutiger Sicht unmöglich „atypisches Gemeindegut“ vorliegen.

b) „Atypisches Gemeindegut“ (Substanz der Ortsgemeinde) in der Agrargemeinschaft

aa) Wie Öhlinger bereits klar gestellt hat, sind historische Bescheide auf der Grundlage des historischen Rechts auszulegen. Dh insbesondere, dass Rechtsbegriffen, die in historischen Bescheiden verwendet wurden, kein anderer Inhalt beigegeben werden darf, als das historische Gesetz vorgeschrieben hat.

Nach dem historischen Landes-Flurverfassungsrecht bedeutete der unbestimmte Gesetzesbegriff „Gemeindegut“ Eigentum einer Agrargemeinschaft. Dieser Begriffsinhalt nach historischem Recht wurde vom VfGH schon im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 aufgedeckt. Zusätzlich ist ein entsprechender Sprachgebrauch seitens der Tiroler Landesregierung noch im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 erwiesen. Im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass der Tiroler Landesgesetzgeber den unbestimmten Gesetzesbegriff „Gemeindegut“ im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet hat .

bb) Bis zur TFLG-Novelle 1984 (LGBl 18/1984) bzw bis zum Inkrafttreten der Aufhebung der Bestimmung in § 32 Abs 2 lit c TFLG 1978 war der unbestimmte Gesetzesbegriff „Gemeindegut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht somit definiert als „wahres Eigentum der Agrargemeinschaft“ . Öhlinger stellt dies an jener Stelle, auf welche der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen-Erk) verweist, eindeutig klar:

„Wenn in der Agrargesetzgebung bis in die Gegenwart von Gemeindegut die Rede ist, so werden […] damit in Wahrheit diese zuletzt geschilderten Eigentumsverhältnisse [Anm: Gemeindegut im Sinn von Eigentum der Agrargemeinschaft] vorausgesetzt. Folgerichtig wird auch in der Praxis der Agrarbehörden dem Terminus „Gemeindegut“ diese Bedeutung unterstellt. So heißt es in den Regulierungsplänen diverser AGM aus der zweiten Hälfte des 20. Jhdt. regelmäßig (sinngemäß): Das Regulierungsgebiet ist ein agrargemeinschaftliches Grundstück gem. § 36 Abs 2 lit d TFLG vom 16. 7. 1952 und steht im Eigentum der Agrargemeinschaft X. Diese Formel resultiert nachweislich aus dem historischen Begriffsverständnis der Tiroler Agrarjuristen dieser Periode, welches sich nicht nur in der Abhandlung Albert Mairs aufzeigen lässt, sondern auch in der Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 sowie in der Judikatur des Obersten Agrarsenates. Würde man hier den Begriff „Gemeindegut“ als „wahres Eigentum der (politischen) Gemeinde“ verstehen, so enthielte dieser Kernsatz eines Regulierungsplanes einen offensichtlichen und unauflöslichen Widerspruch zwischen seinem ersten und seinem zweiten Halbsatz: Eigentum einer Gemeinde wird uno actu als Eigentum im gleichen Umfang einer anderen juristischen Person, nämlich einer Agrargemeinschaft, zuerkannt. Während allerdings der zweite Halbsatz in seiner Aussage („… steht im Eigentum der Agrargemeinschaft X“) in rechtlicher Hinsicht völlig eindeutig erscheint, wäre der erste Halbsatz einer „korrigierenden“ Auslegung durchaus zugänglich: Unter „Gemeindegut“ (= agrargemeinschaftliches Grundstück gem § 36 Abs 2 lit d TFLG 1952) ist hier eben nicht das Gemeindegut im Sinne des politischen Gemeinderechts, sondern im Sinne des Agrarrechts zu verstehen – also im Sinn jenes Begriffsbildes, das auch nach der Judikatur des VfGH […] der Bodenreformgesetzgebung vor Augen stand. Nur wenn dieser Begriffsinhalt unterstellt wird, behalten diese Bescheide eine innere Logik: Dass es sich um „Gemeindegut“ handle, das im Eigentum der Agrargemeinschaft steht, sind zwei Feststellungen, die in einem diametralen Gegensatz zueinander stehen, wenn man den ersten Satz im Sinne der politischen Gemeinderechtsgesetzgebung auslegt, die sich jedoch problemlos ineinander fügen, wenn man den Begriff des Gemeindegutes in jenem Sinn versteht, den ihm die Bodenreformgesetzgebung seit jeher zulegte.“

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3. Praktische Anwendung des Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010

Es man wenig überraschen, dass jener einzige Bescheid, in welchem die Tiroler Agrarbehörde das Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010 angewandt hat, in die Feststellung mündete, dass kein „Gemeindegut“ vorliege. Es war dies der Bescheid vom 12.5.2011 AgrB-R578/105-2011 (Agrargemeinschaft Larsenn-Langesbergalpe). Der Sachverhalt ist mit hunderten, heute als atypisches Gemeindegut beurteilten Agrargemeinschaften voll und ganz vergleichbar:

AgrB-R578/105-2011, 12.05.2011. Bescheid. Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz (Abteilung Agrargemeinschaften) entscheidet gemäß § 56 AVG iVm §§ 33, 38 und 69 Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996, LGBl. Nr. 74/1996 idF LGBl. Nr. 7/2010 (TFLG 1996), über die Anträge der Gemeinde Schönwies vom 10.12.2010 sowie der Agrargemeinschaft Larsenn – Langesberg vom 21.02.2011 wie folgt:

II. Dem Antrag der Agrargemeinschaft Larsenn – Langesberg vom 21.02.2011, die Agrarbehörde möge feststellen, dass das Regulierungsgebiet kein Gemeindegut gemäß § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 darstellt, wird Folge gegeben und festgestellt, dass die Grundstücke des Regulierungsgebietes der Agrargemeinschaft Larsenn – Langesberg Nr. 1498, 1500, 1501, 2011/1, 2011/2, 2011/4, 2011/5, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018/2, 2018/3 und 961 (KG Zamserberg) in EZ 406 GB Schönwies, kein Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996, LGBl. Nr. 74/1996 idF LGBl. Nr. 7/2010, darstellen.

Die Agrarbehörde hat wie folgt erwogen:

b) Das Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft Larsenn – Langesberg besteht gemäß Abschnitt II. der Haupturkunde des Regulierungsplanes vom 25.07.1961, Zl. IIIb1-1153/36, aus den agrargemeinschaftlichen Grundstücken des Grundbuchskörpers EZ 406 GB Schönwies. Die agrargemeinschaftlichen Grundstücke waren ehedem – vor Regulierung – in der EZ 112 II GB Schönwies vorgetragen und wurden mit Regulierungsplan vom 25.07.1961, Zl. IIIb1-1153/36, in die neu gebildete EZ 406 GB Schönwies abgeschrieben. Bei Grundbuchsanlegung wurde in der EZ 112 II GB Schönwies das Eigentumsrecht für die Gemeinde Schönwies aufgrund Ersitzung und des Vergleichs der Waldservitutenausgleichskommission vom 15.12.1847, verfacht am 05.08.1852 sub folio 1385, hinsichtlich der hier relevanten Grundstücke, einverleibt (Grundbuchsanlegungsprotokoll Nr. 150).
c) Im November 1953 beantragten nutzungsberechtigte Interessenten der Larsenn – Langesbergalpe die Regelung der Besitz- und Auftriebsverhältnisse. Am 29.01.1954 fand in der Volksschule Schönwies die Verhandlung der Agrarbehörde zur Instruierung dieses Antrages statt, an welcher für die Gemeinde der mit Erlass der Gemeindeaufsichtsbehörde vom 12.01.1954, Abt. Ib-Zl.874/49-53, bevollmächtigte Vertreter teilnahm. Bereits in dieser Verhandlung traf der Verhandlungsleiter die einvernehmlichen Feststellungen, dass das Regulierungsgebiet zum damaligen Zeitpunkt im grundbücherlichen Eigentum der Gemeinde stand und als Gemeindegut von gewissen bekannten Anteilsberechtigten der Gemeinde, welche seit jeher zur Alpinteressentschaft Larsenn –Langesbergalpe zusammengeschlossen waren allein und ausschließlich genutzt wurde. Ebenso, dass die Gemeinde Schönwies weder irgendwelche Lasten des Regulierungsgebietes trug, noch an der Verwaltung desselben teilnahm. Weiters, dass sämtliche Steuern einschließlich der Grundsteuer der Interessentschaft zur Vorschreibung gelangten und von dieser allein bezahlt wurden. Alle Verbesserungsmaßnahmen wie zB der Neubau von Almhütten, seien von den Beteiligten allein und ohne Beihilfe der Gemeinde finanziell bestritten worden. Die Teilhaber der Larsenn – Langesbergalpe seien seit jeher zu einer Interessentschaft zusammengefasst gewesen, welche sich selbständig verwaltete.
Mit Bescheid vom 02.02.1954, Zl. IIIb-155/5, leitete die Agrarbehörde das Verfahren zur Regulierung der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte an der Larsenn- und Langesbergalpe in EZ 112 II GB Schönwies ein.
Am 08.06.1954 erging zu Zl. IIIb-391/12, der Bescheid „Liste der Parteien“, am 30.10.1954 zu Zl. IIIb-1095/15, der Bescheid „Verzeichnis der Anteilsrechte“. Ein Anteilsrecht der Gemeinde Schönwies im Sinne des § 62 FLG 1952 iVm § 51 Abs 2 FLG 1952 wurde nicht ermittelt.
Der Regulierungsplan für die Agrargemeinschaft Larsenn– und Langesbergalpe (nunmehr Agrargemeinschaft Larsenn – Langesberg, vlg. hiezu die mit Bescheid vom 09.11.1998, IIIb1-R578/91-1998, erlassenen Verwaltungssatzungen) erging mit Bescheid vom 25.07.1961, Zl. IIIb1-1153/36. Er enthält unter Pkt. IV. „Rechtliche Verhältnisse“ nach der Bezeichnung des Regulierungsgebietes als Gemeindegut im Sinne des § 36 Abs 2 lit d FLG 1952 wörtlich wiedergegeben die Festlegung:
„Gestützt auf das Anerkenntnis des Bürgermeisters der Gemeinde Schönwies als im Verfahren bestellter Gemeindevertreter wird gemäß § 38 Abs 1 FLG hiemit agrarbehördlich festgestellt, dass das Regulierungsgebiet im Eigentum der Agrargemeinschaft Larsenn- und Langesbergalpe steht, die mit den einen wesentlichen Bestandteil dieses Regulierungsplanes bildenden Verwaltungssatzungen körperschaftlich eingerichtet wird und die gemäß § 37 Abs 1 FLG daher rechtsfähig ist.
d) Zur Feststellung, ob agrargemeinschaftliche Grundstücke Gemeindegut im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 18.446 sind, traf der Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung in mehreren Erkenntnissen (vgl. LAS vom 26.06.2009, Zl. 859/22-06, vom 08.04.2010, Zlen. 944/18-08, 987/9-09) grundlegende Äußerungen. Demnach kommt einem Feststellungsbescheid, dass Gemeindegut vorliegt, maßgebliche Bedeutung zu. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10.12.2010, B 639/10 u. B 640/10, aufgezeigt, ist diese Folgerung allerdings nicht zwingend, der Bescheid (Anm.: Regulierungsplan) könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs 2 lit d des Flurverfassungsgesetzes vom 06.06.1935, LGB. Nr. 42 (Anm.: Diese Norm entspricht der hier relevanten Bestimmung des § 36 Abs 2 lit d FLG 1952), angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte. Der Gerichtshof stellt weiters klar, dass es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung ankommt, woraus folgt, dass die Agrarbehörde in einem Verfahren zur Feststellung von Gemeindegut gehalten ist, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären. Zu berücksichtigen ist, dass Grundbuchseintragungen unrichtig sein können und das Grundbuch Rechtsänderungen nur deklarativ nachvollzieht. Der Grundbuchsstand muss daher nicht zwingend alle wahren Eigentumsverhältnisses wiedergeben (vgl nochmals VfGH v. 10.12.2010, B 639/10, B 640/10).
Diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes lassen bei einer Gesamtschau der geprüften Umstände einzig den Schluss zu, dass das Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft Larsenn-Langesberg zum Zeitpunkt der Regulierung nicht im wahren Eigentum der Gemeinde Schönwies stand, sondern vielmehr im Eigentum der als unregulierte Interessentschaft Larsenn-Langesbergalpe organisierten Nutzungsberechtigten. Hiefür sprechen die vom Gemeindevertreter gemäß § 110 FLG 1952 in der Instruierungsverhandlung vom 29.01.1954 anerkannten Feststellungen, wonach das Regulierungsgebiet zwar grundbücherlich der Gemeinde Schönwies zugewiesen war (vgl hiezu auch die Ausführungen unter Pkt b), jedoch von gewissen Anteilsberechtigten allein und ausschließlich genutzt wurde, welche seit jeher zur Alpinteressentschaft Larsenn-Langesbergalpe zusammengeschlossen waren. Wenn sich aktenkundig ergibt, dass die Gemeinde Schönwies weder an den Lasten des Regulierungsgebietes noch an der Verwaltung desselben teilnahm, so festigt dies die Wahrscheinlichkeit der Eigentümerposition der unregulierten Agrargemeinschaft bzw deren Interessenten. Dass auch die Grundsteuer für das Regulierungsgebiet von den Alpsinteressenten zu entrichten war zeigt, dass die Gemeinde vom Eigentum der Nutzungsberechtigten ausging. Hiefür spricht zugleich der Umstand, dass sich die Gemeinde in keiner Weise an den Verbesserungen auf der Alm beteiligte. Dem gesamten Verfahrensakt ist keine Eigentümerhandlung der Gemeinde Schönwies zu entnehmen.
Ein weiteres Indiz, welches dafür spricht, dass auch die historische Regulierungsbehörde (richtig) nicht von Gemeindeeigentum am Regulierungsgebiet ausging ist, dass die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren keinen Gemeindeanteil gemäß § 61 FLG 1952 für erforderlich befand und ein solcher von der Gemeinde auch nicht beansprucht wurde.
Wesentlich für den Nachweis des bereits zum Zeitpunkt der Regulierung nicht mehr vorhandenen Gemeindeeigentums ist letztlich die Tatsache, dass sich die Agrarbehörde im Jahre 1961 bei der Feststellung des Eigentums zugunsten der Agrargemeinschaft auf ein Anerkenntnis des Bürgermeisters der Gemeinde Schönwies berief, sohin de facto keine Eigentumsübertragung am Regulierungsgebiet auf die Agrargemeinschaft vornahm. Zum Anerkenntnis führte der Landesagrarsenat in seiner Entscheidung vom 27.05.2010, Zl LAS-701/15, unter Verweis auf Dittrich/Tades, § 1375 ABGB aus, dass die Anerkennungserklärung, welche in der Haupturkunde des Regulierungsplanes als Eigentumstitel der Agrargemeinschaft genannt wird, mit einem konstitutiven Anerkenntnis vergleichbar ist. Somit kann den Ausführungen der Antragsgegnerin nicht entgegengetreten werden, wonach die Agrarbehörde im Regulierungsplan 1991 lediglich das Grundbuch richtig stellte.
Aus den dargelegten Gründen gelangt die Agrarbehörde zur Ansicht, dass die Grundstücke, welche im grundbücherlichen Eigentum der Antragsgegnerin stehen nicht Gemeindegut sind und die Agrargemeinschaft Larsenn-Langesberg nicht aus der Regulierung von Gemeindegut stammt. …“ (Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde, Bescheid vom 12.5.2011 AgrB-R578/105-2011)

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Schlussfolgerung

Ausdrücklich hat der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010 klar gestellt, dass im historischen Flurverfassungsrecht der Begriff „Gemeindegut“ verwendet wurde, um ein Eigentum der Agrargemeinschaft zu bezeichnen.

Zusätzlich wurde den Agrarbehörden zur Pflicht gemacht, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Regulierung tatsächlich ein ehemaliges wahres Eigentum der Ortsgemeinde zu Grunde lag.

Bei dieser Prüfung müsse auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Grundbuchstand unrichtig gewesen sein könne.

Damit hatte der Verfassungsgerichtshof den Weg frei gemacht, die Irrungen des Mieders-Erk 2008 zu Gunsten der Tiroler Agrargemeinschaften zu überwinden. Das letzte Wort sollte allerdings der Verwaltungsgerichtshof haben, weil der Verfassungsgerichtshof seine offensichtlich noch gegenteiligen Rechtssätze im Mieders-Erk 2008 nicht als „denkunmöglich“ brandmarken wollte.

Die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde hat im Bescheid vom 12.5.2011 AgrB-R578/105-2011, Agrargemeinschaft Larsenn-Langesbergalpe, die Grundsätze des Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010 ein einziges Mal zur Anwendung gebracht. Obwohl die Alpe bei der Grundbuchanlegung fälschlich auf „Gemeinde Schönwies“ als (Schein-)Eigentümerin registriert worden war, erkannte die Agrarbehörde I. Instanz in Anwendung der Grundsätze laut VfSlg 19.262/2010, dass kein atypisches Gemeindegut vorliege.

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MP

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