Nordtirol 1847: Ca. 250 Servituten- Ablösungsvergleiche errichtet

Jedes Vergleichsprotokoll trägt die Unterschrift des Ministers Ferdinand Joseph Ivo Freiherr von Thinnfeld (* 1793; † 1868). Von 1848 bis 1853: k. k. Minister für Landeskultur und Bergwesen. Er studierte Rechtswissenschaften, Mineralogie und Bergwesen; absolvierte Studienreisen nach Deutschland, Frankreich und England. Im Alter von 21 Jahren wurde Thinnfeld in den steirischen Landtag eingeführt und viermal zu dessen ständischem Verordneten gewählt; 1848 wurde er als Abgeordneter in den Reichsrat in Wien gewählt. Ferdinand Freiherr von Thinnfeld hat den Servitutenablösungsvergleich für das Berwangertal vom 21. Oktober 1848 in seiner Eigenschaft als k. k. Minister für Landeskultur und Bergwesen genehmigt und zum Zeichen dafür eigenhändig unterfertigt.
Die ältesten Vergleichsprotokolle wurden noch vom Finanzminister unterfertigt; den Großteil der Vergleichsprotokolle hat jedoch Ferdinand Joseph Ivo Freiherr von Thinnfeld (* 1793; † 1868), von 1848 bis 1853´k. k. Minister für Landeskultur und Bergwesen unterfertigt.  Ferdinand von Thinnfeld studierte Rechtswissenschaften, Mineralogie und Bergwesen; absolvierte Studienreisen nach Deutschland, Frankreich und England. Im Alter von 21 Jahren wurde Thinnfeld in den steirischen Landtag eingeführt und viermal zu dessen ständischem Verordneten gewählt; 1848 wurde er als Abgeordneter in den Reichsrat in Wien gewählt. Ferdinand Freiherr von Thinnfeld hat den Servitutenablösungsvergleich für das Berwangertal vom 21. Oktober 1848 in seiner Eigenschaft als k. k. Minister für Landeskultur und Bergwesen genehmigt und zum Zeichen dafür eigenhändig unterfertigt.

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Abstract

Die gesetzliche Vorgabe zur Lösung der Streitigkeiten um das landesfürstliche Obereigentum lautete dahingehend, dass im sogenannten Regalitätsforstbezirk, d. h. im Bereich des gesamten heutigen Nordtirol, die Forstservituten insgesamt, vor allem aber die Holzbezugsservituten („Beholzugservitut“) der Stammliegenschaftsbesitzer, abgelöst werden sollten.

Die Rechtssphären sollten getrennt werden: Die Stammliegenschaftsbesitzer sollten Gemeinschaftswälder erhalten; in den verbleibenden Landesfürstlichen Wäldern sollten die Holzbezugsrechte verschwinden. Dies alles als Grundsatz.

Die Ablösung sollte gegen Abtretung von Gemeinschaftseigentum an einem Teil der belasteten Wäldern bewerkstelligt werden. Es sollten einerseits Staatsforste entstehen, die freigestellt waren von allen Holzungsrechten der damaligen Bevölkerung, andererseits sollten Forste im Privateigentum der jeweiligen Nachbarschaften entstehen.

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DER GESETZESWORTLAUT

Art 3 der Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847  lautet wie folgt:
(1) Seine Majestät geruhen allergnädigst zu bewilligen, dass in den künftig vorbehaltenen Staatswäldern die Holzbezugsrechte oder Gnadenholzbezüge der Untertanen, insoferne ihnen solche nach den alten Waldordnungen zukommen, durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das volle Eigentum, und zwar nicht der einzelnen Untertanen, sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist, abgelöst werden.

(2) In Ansehung derjenigen einzelnen Berechtigten, welche sich weigern würden, dem Willen der Mehrzahl der Gemeindeglieder beizutreten, werden von Seiten der k.k. vereinigten Hofkanzlei die nötigen Bestimmungen getroffen werden, um solche vereinzelte Einstreuungen im Interesse des Staates und der Gemeinden selbst zu beseitigen.

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NUR WER EIN HOLZBEZUGSRECHT HAT … 

„… dass in den künftig vorbehaltenen Staatswäldern die Holzbezugsrechte oder Gnadenholzbezüge der Untertanen, insofern ihnen solche nach den alten Waldordnungen zukommen, abgelöst werden.
Um die Tiroler Forstregulierung 1847 und ihre Auswirkungen zu verstehen, muss man zuerst und vor allem wissen, dass der Kaiser, der „allerhöchste Landesfürst“ von Tirol, in Nordtirol keinen Waldboden verschenken wollte.  Vielmehr wollte er ein Geschäft machen: Diejenigen Landesbewohner, die ein Recht hatten, in den Wäldern Holz zu nutzen, sollten abgefunden werden; wem kein Recht auf Holznutzung zustand, wurde auch im Zuge der Forstregulierung kein Waldbesitzer!

Wer im Jahr 1847 im Tiroler Wald holzbezugsberechtigt war, definierte der Gesetzgeber in einer eigenen „Instruktion“ – nach heutigem Rechtsverständnis eine Verordnung. Die „Instruction für die Commission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols“ vom 1. Mai 1847, regelt im Zusammenhang mit der Definition des Holzbezugsrechts Folgendes:
Die Beholzungsservitut. Sie besteht dem Befugnisse, aus den gemeinen Waldungen das zum Haus- und Gutsbedarf erforderliche Brenn- und Bauholz (auf Auszeigung des gemeinen Waldmeisters) unentgeltlich zu beziehen. Die Ablösungscommission hat sich gegenwärtig zu halten, dass dieses Befugniß nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht; dem Gewerbstande kann es im Allgemeinen nach Analogie mit Titel II. Buch IV. der Tiroler Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbestandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen. …

nur Stammsitze, keine Neubauten

Immer wieder wird die falsche Behauptung verbreitet, dass die Servitutenablösung der Jahre 1847 bis 1849 in Nordtirol ein Geschäft gewesen sein, an dem alle Einwohner der damaligen politischen Gemeinden beteiligt gewesen seien. Dem Landesfürsten sei es ferne gelegen, irgendjemanden vom Beholzungsrecht auszuschließen.  Alle Einwohner Tirols und nicht nur die Eigentümer der „alten Stammsitze“ seinen holzbezugsberechtigt gewesen.

Die Behauptung, jeder Einwohner Tirols sei ursprünglich berechtigt gewesen, seinen Holzbedarf in den Tiroler Wäldern zu decken, ist offenkundig gesetzwidrig. Die „Instruction für die Commission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols“ vom 1. Mai 1847 widerlegt diese Behauptung schlagend. Zum einen regelt diese Instruktion „die Ablösungscommission hat sich gegenwärtig zu halten, dass dieses Befugniß nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht; zum anderen wurde eine wichtige Klarstellung in Bezug auf weichende Erben und Zuzügler getroffen: „… Hinsichtlich der Neubauten und der Vergrößerung bestehender Bauten kann das Recht der Einforstung nicht zugestanden werden; auf die Herhaltung der mit Feuerstattzinsen belegten Häuser ist jedoch gebührend Rücksicht zu nehmen. …“

Die Eigentümer von „Neubauten“ waren nicht holzbezugsberechtigt und selbst der Eigentümer eines alten Stammsitzes hatte kein Recht für die Bedürfnisse eines Zubaues, einer Vergrößerung des Stammsitzes usw, den Holzbedarf gratis im landesfürstlichen Wald zu decken. Dessen ungeachtet mussten die Bewohner eines solchen Zubaues nicht frieren. Sie mussten einfach das benötigte Holz kaufen – so wie alle anderen Landesbewohner –  in Tirol und in den anderen Ländern des Kaiserthums Österreich.

die „betreffende Gemeinde“

Mit dieser eindeutigen gesetzlichen Klarstellung zum Kreis der Holzbezugsberechtigten, ist auch klar gestellt, welcher „Gemeinde“ die Ablösefläche zusteht: nämlich der Summe jener Hofbesitzer, denen die abgelösten Holzbezugsrechte zustanden.

Art 3 der Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847  regelt zu den Eigentumsverhältnissen an den Ablöseflächen, dass die Ablöseflächen „in das volle Eigentum“ überwiesen werden sollen, „und zwar nicht der einzelnen Untertanen, sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist“.
Immer wieder wird in dieser Gesetzesstelle die Wurzel für das heute behauptete Eigentum der politischen Ortsgemeinde an den Nord-Tiroler Wäldern zu vermutet. Ein solches Gesetzesverständnis ginge jedoch in die Irre, weil die historische Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ vernachlässigt wird. Mit der Bezeichnung „Gemeinde“ wurde ehemals jede beliebige Personenmehrheit erfasst, wie heute noch  verwendeten Begriffe bezeugen – beispielsweise  „Kirchengemeinde“, „Schulgemeinde“, „Trauergemeinde“ oder „Fangemeinde“.  (ausführlich dazu: right bar, „Gemeinde“, das waren …)

Wie sich die „Gemeinden der Tiroler Forstservitutenablösung“ zusammen setzten,  wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie die Ablöse von statten gehen sollte, wenn ein „Gemeindeeigentum“ im Sinn des Art 3 der Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847  nicht möglich wäre – eine Option, die der Gesetzestext voraussetzt („… sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist„). Dann  kämen nämlich die „einzelnen Untertanen“ zum Zuge.
Für diese Variante ergibt sich ganz offenkundig aus der Natur der Sache, dass nur derjenige, dessen Holzbezugsrecht (Gnadenholzbezug) abgelöst wird, Vertragspartner für die Entgegennahme der Gegenleistung sein kann. „Servitutenablösung“ ist ein „synallagmatisches“ Geschäft; dh: es liegt ein Leistungsaustausch zu Grunde – typischer Weise Holzbezugsrecht auf einer größeren Fläche, gegen Eigentum auf einer kleineren Fläche und beides in nachbarschaftlicher Gemeinsamkeit.

Die „betreffende Gemeinde“, der das volle Eigentum an der Ablösefläche im Austausch gegen die Holzbezugsrechte zugewiesen wurde, kann deshalb nur die Gemeinschaft der holzbezugsberechtigten Bauern sein – die Nachbarschaft der Stammsitzeigentümer. (ausführlich dazu: right bar KAISER FERDINAND BEFIEHLT, overview: Gemeindebegriff der Forstregulierung)

Insoweit deshalb der Gesetzgeber der Tiroler Forstregulierung für das „Geschäft“ der Servitutenablösung eine Eigentumsübertragung auf die „betreffende Gemeinde“ vorgesehen hat, so war damit die „berechtigte Gemeinde“, die Gemeinschaften der holzbezugsberechtigten Nachbarn (und nur diese) gemeint!

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DIE VERTRAGSPARTNER DES LANDESFÜRSTEN

Die Forstservituten-Ablösung auf der Grundlage der a. h. Ent­schließung vom 6. Februar 1847, Tiroler Forstregulierungs­patent, war eine Maßnahme, welche der Landesfürst nur mit den Eigentümern jener Liegenschaften vollzog, welchen nach der damaligen Rechtslage Forstservituten zugeschrieben waren. Mit welchen Liegenschaften solche Rechte konkret verbunden waren, definiert die Instruktion für die Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols vom 1. Mai 1847 mit gesetzesgleicher Wirkung.

Die Aufgabe der Forstservituten-Ablösungskommission war es, diese Rechtsgrundlage im Einzelfall anzuwenden. Diese Aufgabe war heikel. Einerseits sollten die Kommissionsmitglieder dem Landesfürsten möglichst umfangreiche, servitutsfrei gestellte Wälder erhalten; andererseits mussten die Stammliegenschaftsbesitzer davon überzeugt werden, dass ein Ablösungsvergleich aus deren Sicht vorteilhaft sei. Die Servitutenablösung erfolgte in Nordtirol als freiwilliges Geschäft, zu welchem die Stammliegenschaftsbesitzer im Wege von gewählten Vertretern ihre freie Einwilligung erteilt (und manchmal auch verweigert) haben.

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„ACTUM BERWANG 1848“

Am 30. November 1847 versammelten sich in Rinnen vor dem Landgerichtsadjunkten Plattner, der vom Aktuar Alber unterstützt wurde, 50 Personen, die ausdrücklich als „volle Versammlung“ der „vorgetragene[n] Gemeinde Berwang aus mehreren Fraktionen bestehend“ charakterisiert wurden. Sie wählten, nachdem sie, wohl durch den Landgerichtsadjunkten, über „den Gegenstand der Frage deutlich und klar schon unterrichtet“, also über Hintergründe, Rechtsgrundlagen und Erfordernisse des einzuleitenden Verfahrens belehrt worden waren, zwölf „Vertretter“ für die „Verhandlungen, welche die k. k. Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols zu pflegen hat“. Darüber wurde sogleich ein Wahlprotokoll aufgenommen. Anschließend an die Wahl erhielten die Gewählten eine Vollmacht auf der Basis eines standardisierten Textes: Darin wurden die zwölf Männer von den Unterzeichnern bevollmächtigt, „Sie Gemeinde in ihren Fraktionen resp. sie Gemeindeglieder (…) zu vertretten“, was in der Folge durch Aufzählung speziell zu erwartender Aspekte des abzuschließenden Rechtsgeschäfts ergänzend konkretisiert wurde. Die Vollmacht erstreckte sich demnach nicht nur auf Verhandlungen, sondern auch auf den Abschluss entgeltlicher und unentgeltlicher Verträge, auf Prozessführung, „Vergleiche“ und „Kompromiße“. Restlos klar war der Umfang dieser Geschäfte aber nicht einmal den staatlichen Funktionären: Sicherheitshalber wurde die Vollmacht nämlich auch auf Verhandlungen erstreckt, die der Forstservituten-Ablösungskommission „allenfalls durch etwa noch nachfolgende Instruktionen zur Pflicht gemacht werden sollten“.

Über die während der folgenden Monate stattgefundenen Verhandlungen wissen wir nichts; knapp ein Jahr nach Wahl und Bevollmächtigung der Vertreter, am 24. Oktober 1848, kam es jedenfalls zum Abschluss eines Vergleichs zwischen der „Gemeinde Berwang“ und der „Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission“. Den Kern dieses Akts bildet ein „Vergleichs-Protocoll“ von 17 Seiten, ergänzt durch Vermarkungs- bzw. Grenzfeststellungsprotokolle und ähnliche Unterlagen im Umfang von weiteren 71 Seiten.

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EIN DOKUMENT VON 88 SEITEN

Das „Vergleichs-Protocoll“ besteht aus einem fünfseitigen, in neun Punkte gegliederten lithographierten Standardtext, der teilweise ähnlich einem Formular durch Orts-, Parteien- und Personennamen zu ergänzen war – hier wurde auch die vierseitige Abschrift des Bevollmächtigungsprotokolls eingelegt –, sowie einem die konkreten Verhandlungsergebnisse, also die Vergleichsbestimmungen des Einzelfalles enthaltenden Text. Umfang und Inhalt dieses Teils waren naturgemäß von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängig; im Fall von Berwang benötigte man dafür zwölf Seiten. Dieser einzelfallbezogene Teil des Vergleichsprotokolls begann mit dem noch lithographierten Punkt „Zehntens“: „Die in das Eigenthum der Gemeinde … übergehenden Wälder sind folgende“. Eine bloße Aufzählung genügte hier freilich nur selten, einerseits weil den abgestuften Nutzungen und allenfalls weiterbestehenden Servituten Rechnung zu tragen war, andererseits weil – wie im Fall von Berwang – verschiedene Korporationen zuvor Nutzungsberechtigter als „Gemeinden“ verschiedene Waldteile ins Eigentum übertragen erhielten. So wurde gleich im zitierten Punkt „Zehntens“ die im Formular gelassene Lücke durch den Namen einer Gemeinde – nämlich „Fraction Stokach“ – gefüllt und dieser der „Kampwald“, der „Hochbrandwald“ und andere Liegenschaften übereignet. In den folgenden acht Vergleichspunkten folgten Waldeigentumsübertragungen an insgesamt acht weitere als „Fraktionen“ bezeichnete moralische Personen, nämlich Bichlbächle, Gröben, Berwang, Rinnen, „Brand mit Anrauth“, Mitteregg, Kelmen und Namlos – eine „Gemeinde Berwang“ erhielt kein Eigentum. Damit nicht genug, wurde ein „Theil des Schönbichlwaldes“ den „Fractionen“ Berwang und Gröben in gemeinschaftliches Eigentum übertragen, und zwar „nach Verhältniß ihrer Feuerstätten“.

Insgesamt wurden die Rechte an 48 Wäldern geklärt sowie 21 verbale Lage- und Grenzbeschreibungen vorgenommen – letztere mussten in weiterer Folge mit den Nachbarliegenschaften abgestimmt und in der Natur vermarkt werden. Alle anderen Wälder „im Gemeindebezirke Berwang“ wurden „für das k. k. Aerar als Eigenthum vorbehalten“. Auch in diesem Fall erfolgte aber keine restlose Beseitigung der Servituten; so wurde „der Fraction Mitteregg aus dem vorbehaltenen Gröber Staatswalde der unentgeltliche Bezug von Lärchstämmen für den Haus- und Guts-Baubedarf zugesichert“. Im Allgemeinen wurde das angestrebte Ende der Waldservituten jedoch erreicht: Ein eigener Punkt („Siebtens“) des lithographierten Standardtextes enthielt dazu den „feierlichsten Verzicht“ der „Gemeinde“ Berwang „für sich und sämmtliche Gemeindeglieder auf alle ihr von der k. k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission nicht ausdrücklich vorbehaltenen Nutzungen und Bezüge“.

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DAS GENEHMIGUNGSVERFAHREN

Mit dem Vergleichsabschluss war die Aufgabe der Fostservituten-Ablösungs-Kommission (FSAK) aber noch nicht beendet: Nun hatten die Kommissionsmitglieder ihre individuellen Stellungnahmen zur Frage der Annehmbarkeit und Angemessenheit des Vergleichs abzugeben, worüber ein Protokoll aufzunehmen war. Dieser Verfahrensabschnitt harrt noch einer detaillierten Untersuchung hinsichtlich der Praxis, etwa der unterschiedlichen Standpunkte, der Kräfteverhältnisse und Mechanismen der Meinungsbildung innerhalb der Kommission. Immerhin macht der Fall von Berwang aber deutlich, dass die FSAK gegenüber den Zentralstellen weniger den einzelnen Vergleich als das gesamte Ablösungsverfahren des jeweiligen Landgerichtssprengels beurteilte: Der an das Finanzministerium am 1. November 1848 übersendete „Hauptbericht“ über die „Ablösungs-Verhandlungen des Landgerichtes Reutte“ enthielt die „Verhandlungsakten“, bestehend aus „Vergleichen samt den dazu gehörigen forstämtlichen u[nd] landgerichtlichen Ausweisen, dem Begründungsprotokolle der Kommissionsglieder und einem Hauptkonspekte“. Dieser „Konspekt“ enthielt in tabellarischer Form Informationen über Art und Ausmaß der Holzbezugsrechte, die zur „Deckung des rechtlichen Holzbezuges bestimmten belasteten Staatswälder“, die „zur Deckung des Mangels bestimmten reservirten Staatswaldungen“ sowie die „künftighin vorbehaltenen Staatswaldungen“, jeweils mit Angaben über deren „productiv[e]“ und „unproductive“ Fläche.

Im umfangreichen „Protocoll, welches mit sämtlichen Komissionsgliedern über die im Landgerichtsbezirke Reutte von Seite der kk. Waldservituten-Ausgleichungs-Komission abgeschloßenen Vergleiche aufgenommen wurde“, reihten sich die Stellungnahmen der Kommissionsmitglieder aneinander. Es handelte sich also nicht um das Protokoll mündlicher Verhandlungen oder Diskussionen. Jedes Kommissionsmitglied schrieb sein Votum offensichtlich mit eigener Hand, wobei auf allgemeine Gesichtspunkte deutlich mehr Gewicht gelegt wurde als auf einzelne Details zu den jeweiligen Vergleichsverhandlungen oder -urkunden; letztere dienten eher als Illustration der allgemeinen Ausführungen. Die erste Stellungnahme stammte von Georg Kink, dem von allen Kommissionsmitgliedern mit den Ortsverhältnissen wohl am Besten vertrauten Landrichter von Reutte, auf ihn folgten Moritz von Kempelen, „kk. Berg- u[nd] Salinen D[irekt]ions-Sekretär, als Salinen Vertreter“, Dr. Anton Janiczek, „Aushilfsreferent der kk. tirol. Kammerprokuratur“, sowie schließlich Jakob Gaßer, „kk. Gubernial Sekretär“. Die Voten war unterschiedlich detailliert und dementsprechend auch verschieden umfangreich: Während sich Kink und Gaßer mit jeweils etwa acht Folioseiten begnügten, benötigte Janiczek 23, Kempelen gar 29 Folioseiten für seine Stellungnahme. Darüber hinaus hatte Kempelen auch den „Hauptbericht“ im Umfang von 27 Folioseiten verfasst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass interessante Informationen über Berwang gerade aus seiner Feder stammen.

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DAS PROTOKOLL DER KOMMISSIONSMITGLIEDER

Für Berwang hatte der „Konspect“ Holzbezugsrechte im Ausmaß von 2040 Klaftern (zu je 108 Kubikfuß) verzeichnet, wovon nur 1867 Klafter als „rechtlicher Bezug“ charakterisiert wurden. Zur Deckung dieses Holzbedarfs waren Staatswälder im Umfang von 3206 Joch belastet; nur 23 Joch erschienen unproduktiv. 3183 Joch produktiver Waldfläche lieferten durchschnittlich 1041 Klafter Holz, also deutlich weniger als sogar der „rechtliche Bezug“ ausmachte. Selbst nach Einbeziehung „der zur Deckung des Mangels reservierten Staatswaldungen“ blieb ein Mangel von jährlich 250 Klaftern. In seiner Stellungnahme führte Kempelen dazu aus: „Der bedeutende Mangel der Gemeinde Berwang rechtfertigt die Übergabe eines Theiles des reserv[ierten] Schönbichlwaldes umsomehr, als aus diesem Walde auch bisher Abgaben an Lerchholz an die Gemeinde erfolgten, und dagegen die übrigen reserv[ierten] Wälder[,] aus denen gleichfalls Gem. Aushilfen ertheilt worden waren, ohne Last reservirt werden konnten.“ Der Vergleich schien für das Aerar also günstig.

Mit der schlechten Holzertragslage war Berwang übrigens kein Einzelfall; es gehörte im Gegenteil sogar zu den Gemeinden mit einem eher besseren Verhältnis zwischen Bedarf und Ertrag. Im „Hauptbericht“ beschrieb Kempelen die Situation der Wälder des Außerfern insgesamt als ungünstig: „Das Landgericht Reutte ist nemlich, wie bekannt, von dem übrigen Tirol durch den Fernberg geschieden, der sich dem Norden zu abdacht, gegen welche Himmelsgegend sich auch das Hauptthal, u[nd] die einzelnen Nebenthäler öffnen. Dieser nördlichen und zugleich hohen Lage der Gegend ist es zuzuschreiben, daß sich der Ertrag der Wälder im Durchschnitt nirgends auf 0,4 Kl[a]ft[er] je Jauch erhebt (…) Aus diesem ungünstigen Ertragsverhältniße erklärt sich die im Vergleiche mit anderen Landgerichtsbezirken bedeutend größere Zutheilung an Waldflächen.“ Mehrere Gemeinden, darunter auch Berwang, „deren Wälder den Ertrag v[on] 0,3 Kl[a]ft[er] je J[au]ch übersteigen, haben auch eine verhältnißmäßig kleinere Fläche von 10,9 bis 25,0 Jauch je Fam[ilie] erhalten.“ In dieser relativ geringeren Zuteilung lag möglicherweise eine Gefahr für die Zukunft; jedenfalls begründete Kempelen an anderer Stelle seines Hauptberichts, warum der Berwanger Vergleich die vorbehaltenen Staatswälder nicht konkret benannte, also namentlich aufzählte: „Die künftig vorbehaltenen Staatswälder sind nicht in allen Vergleichen nomine angeführt, weil man, wie bei (…) Berwang, mit Grund befürchtete, daß deren Aufzählung nur neue Anforderungen hervorrufen und den Abschluß erschweren würde.“

Solcher Art waren die Informationen, die den zuständigen Wiener Zentralstellen zur Verfügung standen, um die zugleich vorgelegten Vergleichsprotokolle beurteilen und genehmigen zu können. In diesem vorletzten Verfahrensabschnitt spiegelt sich besonders deutlich der Umstand, daß die Forstregulierung in einen der turbulentesten Zeiträume der österreichischen Verfassungsgeschichte fiel, die Revolutionsjahre 1848/49, in denen der Übergang vom Kollegial- zum Ministerialsystem und in weiterer Folge die Ausdifferenzierung des Ministerialverwaltungsapparates erfolgten. Hatte die Instruktion für die FSAK vom 1. Mai 1847 noch an die Notwendigkeit erinnert, die privaten Vertragspartner an den „Vorbehalt der Genehmigung des Hofkammerpräsidiums“ zu erinnern, so enthielt der formularhaft vorgedruckte Teil des Vergleichstextes teilweise schon die Bestimmung, wonach sich die FSAK „die Ratifikation des hohen Finanzministeriums vorbehält“. Bis dahin war nur die jeweilige Gemeinde, nicht aber das Aerar an den Vergleich gebunden.

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DER MINISTER GENEHMIGT DEN VERGLEICH

Im Fall von Berwang wurde das alte Formular handschriftlich ausgebessert, also das Wort „Hofkammerpräsidium“ durchgestrichen und durch das Wort „Finanzministerium“ ersetzt. In diesem Sinne waren die Akten im November 1848 auch dem Finanzministerium vorgelegt worden, doch hatte dieses noch vor der entscheidenden Erledigung die Zuständigkeit bereits wieder abgegeben: Erst am 15. Oktober 1849 – somit knapp zwei Jahre nach der Wahl bevollmächtigter Vertreter und fast genau ein Jahr nach dem Vergleichsabschluss – wurde das „Vergleichsprotokoll (…) von Seite des k. k. Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen (…) bestätigt“; es trägt die eigenhändige Unterschrift des Landeskulturministers Ferdinand Ritter von Thinnfeld.

Für die verzögerte Genehmigung der Vergleichsabschlüsse des Sprengels Reutte war unter anderem – wohl neben der veränderten ministeriellen Zuständigkeit – eine Beschwerde der „sogenannten Mächler, welche Rechen, Sensen-Stiele, Hackenstiele etc verfertigen“, und der Sensenschmiede aus Ehrwald und Biberwier verantwortlich, auf die bei der Berechnung der Ablöseflächen keine Rücksicht genommen worden war. Im Hinblick darauf konnte man sich im Landeskulturministerium offenbar vorstellen, die „mit den Gemeinden Lermoos, Biberwier und Ehrwald bereits abgeschloßenen Waldservituten Ablösungsvergleiche rückgängig“ zu machen. „Gegen eine solche Verfügung“ sprach sich die FSAK allerdings „mit Entschiedenheit“ aus: „Die in Frage stehenden Mächler und Feldrequisiten Verfertiger sind Personal Gewerbe u[nd] dürfen als solche zu Folge der Komissions Instruktion nicht in den rechtlichen Holzbezug aufgenommen, also auf keine Weise bei Ermittlung des an die Gemeinde zu überlaßenden Wald Aequivalentes berücksichtigt werden. Diese Gewerbe haben sohin wie bisher auch künftighin mit ihrem nöthigen Holzmateriale sich im rechtlichen Wege selbst zu versehen“. Diese Argumentation überzeugte; das Ministerium ordnete die Zurückweisung der Beschwerde an und genehmigte die Vergleichsabschlüsse des Sprengels.

Der letzte Akt des Verfahrens fand wieder in Tirol statt. Am 13. November 1852 wurde das genehmigte Protokoll am zuständigen Gericht in Reutte verfacht, womit die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse abgeschlossen war.

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ZUSAMMENFASSUNG: FORSTSERVITUTENABLÖSUNG 1847

Im Rahmen der Tiroler Forstregulierung kam es unter anderem zu einer Forstservitutenablösung. Die dafür eingesetzte Forstservitutenablösungskommission verhandelte mit den eigens dazu unter Aufsicht der Landgerichte gewählten Vertretern der bis dahin an den aerarischen Wäldern jeweils Nutzungsberechtigten.

 

Dabei handelte es sich um sechs oder zwölf Personen, die als Bevollmächtigte auf der Grundlage einer vor dem zuständigen Landgericht errichteten und amtlich beurkundeten Bevollmächtigungsurkunde agierten. Die Vertretungsbefugnis der Bevollmächtigten war gesetzlich geregelt; sie waren uneingeschränkt hinsichtlich jeder Art von Forstservituten verhandlungs- und vertretungsbefugt.

 

Mit diesen Bevollmächtigten schloß die Forstservitutenablösungskommission auf freiwilliger, privatrechtlicher Grundlage, entgeltliche Rechtsgeschäfte in der Form von Vergleichen ab, die in der Folge von den Wiener Zentralstellen genehmigt und als Eigentumstitel anerkannt, verfacht und verbüchert wurden.

 

Die damaligen politischen Gemeinde gemäß Gemeinderegulierungspatent 1819 als partielle Vorläuferin der heutigen politischen Ortsgemeinde war in die Vorbereitung des Ablösungsgeschäftes mit der Durchführung angeordneter Erhebungen eingebunden. Anhand eines vorgegebenen Fragenkataloges hatten die Gemeindevorsteher Sachverhaltsgrundlagen für die jeweilige „Servitutenoperation“ zu erheben.

 

Nur die nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer konnten jedoch die vom Aerar geforderte Freistellung bestimmter Forstflächen von ihren Holznutzungsrechten bieten; nur die nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer hatten in Form einer durch das Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 konstituierten „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ Anspruch auf die Gegenleistung des Ablösungsgeschäfts, das freie Eigentum an anderen Teilflächen.

 

Aus verschiedenen Gründen wollte der historische Gesetzgeber kein Einzeleigentum der nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer, sondern ein Gemeinschaftseigentum der jeweiligen Nachbarschaft als „betreffende Gemeinde“ (= holzbezugsberechtigte Gemeinschaft). (argumentum: Die Ablösung sollte erfolgen „durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das volle Eigentum, und zwar nicht der einzelnen Untertanen, sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist, …“)

 

Vom Kreis der Vertragspartner blieben daher jene ausgeschlossen, denen nach dem im Jahr 1847 geltenden Recht keine Forstnutzungsrechte an landesfürstlichen Waldungen zustanden, sei es, daß sie aufgrund von Teilung oder Verleihung bereits über so viel privates Waldeigentum verfügten, daß daraus ihr Haus- und Gutsbedarf gedeckt werden konnte, sei es, daß sie generell von Einforstungsrechten ausgeschlossen gewesen waren.

 

Der historische Gesetzgeber setzt ausdrücklich voraus, dass nur die holzbezugsberechtigten Stammsitzeigentümer am Ablösegeschäft teilnehmen und das waren grundsätzlich nur die „Besitzer von Grund und Boden“, die Bauern. Liegenschaften, auf denen ein Gewerbe betrieben wurde, wurde nur unter besonderen Umständen ein Holzbezugsrecht zugestanden; die Eigentümer von „Neubauten“ waren generell ausgeschlossen.

Die „jeweilige Gemeinde“, die im Zuge der Forstservitutenablösung Eigentümerin der jeweiligen Ablösefläche werden sollte, war somit keine politische Gemeinde und genauso wenig eine Kirchengemeinde. Es handelte sich vielmehr um die Gemeinschaft der ehemals Nutzungsberechtigten, die als „Gemeinde der Nutzungsberechtigten“ zusammengeschlossen wurden.

In der heutigen Diskussion um die Legitimität des agrargemeinschaftlichen Eigentums wird das historische Verständnis des Gemeindebegriffes missbraucht, um ein vermeintliches Substanzrecht der heutigen Ortsgemeinden zu begründen, das freilich nie existiert hat.

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