Gemeindegut ist nicht Gemeindegut

 

Agrargemeinschaften in Tirol. Entschädigungslose Enteignung der Tiroler Bauern im 21. Jhdt
Theodor „Theo“ Öhlinger (* 22. Juni 1939 in Ried im Innkreis) ist ein österreichischer Verfassungsjurist und Hochschullehrer. (mehr: wikipedia)

 

Gemeindegut ist nicht Gemeindegut

Em. o. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger hat im Jahr 2010 in einer umfangreichen Abhandlung zum Thema “ Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH“, veröffentlicht in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 223ff, die Grundlagen des so genannten „Mieders-Erkenntnisses“ des VfGH vom 11.06.2008 Slg 18.446 einer kritischen Überprüfung unterzogen. Diese Grundlage ist das Erkenntnis VfSlg 9336/1982. In diesem Erkenntnis hat der VfGH die politische Kampfparole, wonach ein Gemeindegut immer ein Eigentum der  Ortsgemeinde sein müsse, als zentralen Rechtssatz zementiert und wortreich begründet.

Weil der VfGH diesen Rechtsssatz im Jahr 2008 auf die Ergebnisse des Regulierungsverfahrens zum Gemeindegut Mieders aus dem Jahr 1963 angewandt hat,  wurde das atypische Gemeindegut und das Substanzrecht der Ortsgemeinde hervorgebracht.

1963 hatte die Agrarbehörde entschieden, dass das Gemeindegut in Mieders ein agrargemeinschaftliches Eigentum der neu errichteten Agrargemeinschaft sei. Im Licht des 1982 vom VfGH erfundenen Rechtssatzes vom zwingenden Gemeindeeigentum an einem Gemeindegut wurde eine Enteignung im 1963 unterstellt. Das vom VfGH „gefundene“ Substanzrecht der Ortsgemeinde ist das Korrektiv dazu. Dies gebiete die verfassungskonforme Interpretation – so der VfGH im Mieders-Erk VfSlg 18.446/2008.

Theo Öhlinger hat in seiner wissenschaftlichen Untersuchung nachgewiesen, dass in der Rechtspraxis bis zu dieser höchstgerichtlichen Entscheidung aus 1982 auch jene Liegenschaften als „Gemeindegut“ bezeichnet und verstanden wurden, bezüglich derer – in den Worten des VfGH (Slg 9336/1982) – „’die Gemeinde’ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist“.

Öhlinger hat somit nachgewiesen, dass es ein Gemeindegut gibt, welches – ungeachtet dieser Bezeichnung – ein materielles Eigentum der nicht regulierten Agrargemeinschaft, der Nachbarschaft bzw „Realgemeinde“ ist. Und dieses Gemeindegut, das kein Eigentum der Ortsgemeinde ist, war in der Gesetzgebung und in der Praxis der Agrarbehörden anerkannt. In der Unterscheidung von Gemeindegut und Gemeindesondergut habe diese doppelbödige Bedeutung des Begriffs „Gemeindegut“ eine rechtsdogmatische Fundierung gefunden.

Deshalb sei es grundfalsch – so Öhlinger – jedes Gemeindegut zu einem Eigentum der Ortsgemeinde zu stempeln. Auch der VfGH hätte im Fall des Gemeindeguts von Mieders nicht einfach ein Eigentum der Ortsgemeinde unterstellen dürfen.

Notwendig ist es vielmehr – so Öhlinger – dass in jedem Einzelfall konkret geprüft wird, welche Art von Gemeindegut vorliegt – Eigentum einer Agrargemeinschaft oder Eigentum einer Ortsgemeinde!

 

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„Zwischenergebnisse“ Öhlingers:
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Der VfGH versteht in seiner neueren Judikatur unter „Gemeindegut“ ausschließlich (Voll-)Eigentum der politischen Ortsgemeinde (in römisch-rechtlicher Privatrechtstradition), auf welchem im öffentlichen Recht gegründete Nutzungsrechte der Gemeindeangehörigen lasten. Das heißt aber umgekehrt: Liegenschaften, die mit privatrechtlich begründeten Nutzungsrechten irgendwelcher Personen belastet sind, bilden nach dem Verständnis des VfGH kein Gemeindegut im Sinn der politischen Gemeindegesetzgebung.

Die Tiroler Landesregierung ging in ihrer Stellungnahme im Verfahren VfSlg 9336/1982 von einem völlig anderen Begriffsverständnis des „Gemeindegutes“ aus: Sie verstand unter Gemeindegut wahres Eigentum der Realgemeinde, das die politische Ortsgemeinde als „Quasi-Erbin“ in ihre Disposition gebracht habe, eben nicht zu Eigentum, sondern als AGM.Im Einleitungsbeschluss zum Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 hatte der Gerichtshof noch den Gedanken einer generellen Vermögensüberleitung auf die politische Ortsgemeinde aufgegriffen. Offensichtlich in Ermangelung einer Rechtsnorm, welche diese „Nebenwirkung“ der Errichtung der heutigen politischen Ortsgemeinden rechtfertigen könnte, hat der Gerichtshof im Erkenntnisteil selbst sich einer konkreten Stellungnahme zur Herkunft des Gemeindeeigentums enthalten (vgl. Slg 9336/1982 Pkt. III Z 1 Abs. 4).

Die Fiktion einer generellen Vermögensüberleitung hätte die Argumentation des Gerichtshofes unweigerlich in die Nähe der teilweise unschlüssigen Theorien der Tiroler Landesregierung geführt, weil der behauptete Eigentümerwechsel, der sich auf keinen Rechtstitel stützen kann, eben genau dazu führt, dass krause Rechtsverhältnisse entwickelt werden, um diese Rechtsbeziehung zu definieren: In Ermangelung eines Eigentumstitels entstehen Rechtsfiguren wie diejenige einer Erbenstellung nicht zu Eigentum, sondern als Agrargemeinschaft, womit das Gemeindegut als neues Sachenrecht in die Privatrechtstheorie eingeführt worden wäre.

Ohne eine konkrete Aussage zur Herkunft des Eigentums der heutigen politischen Ortsgemeinden im Allgemeinen oder zur Herkunft von Gemeindegut im Speziellen zu treffen, hat der Gerichtshof klargestellt, dass dem Gemeinderecht kein anderer Eigentumsbegriff zu unterstellen ist, als sonst auch in der Rechtsordnung. Gemeindeeigentum, das heißt Gemeindevermögen oder Gemeindegut, ist wahres Eigentum der Gemeinde – was sonst.

Die §§ 60 ff der als Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 ergangenen Gemeindeordnungen von 1863 bis 1866 beanspruchen gerade nicht, dass Teile des Gemeindeeigentums aus dem Eigentum irgendwelcher historischer Personenverbände, welche in der Amtssprache als „Gemeinde“ zusammengefasst wurden, übergeleitet wurden. Das wird noch näher darzulegen sein (Siehe unten III. 3. b. aa). Sie setzen vielmehr offensichtlich Eigentum voraus, das nach allgemeinen Grundsätzen erworben wurde – durch Enteignung oder Ersitzung oder Okkupation oder aus welchem Titel immer.

Das historische Verständnis der Tiroler Landesregierung hinsichtlich des Begriffsinhaltes „Gemeindegut“, im Einzelnen dargelegt in dem zitierten Aufsatz vom Mair, und dasjenige verschiedener historischer agrarbehördlicher Entscheidungen (dazu noch näher unten III. 5. a. aa) ist vor dem Hintergrund der neueren Judikatur des VfGH überholt. Gemeindegut ist wahres Eigentum der politischen Ortsgemeinde, auf welchem im öffentlichen Gemeinderecht wurzelnde Berechtigungen von Gemeindebürgern lasten. Mit Nutzungsrechten privaten Ursprungs belastetes Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten oder derart belastetes Eigentum einer Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten oder mit solchen privaten Rechten belastetes Eigentum der politischen Ortsgemeinde stellt dagegen kein Gemeindegut im Sinn der politischen Gemeindegesetze dar.

Dies entbindet die Behörden auch in Zukunft nicht, ungeachtet der Deklaration einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ zu prüfen, inwieweit dieser Ausdruck historisch im Sinne des politischen Gemeinderechts (und damit im Einklang mit der Judikatur des VfGH) oder aber im Sinn der – wenngleich überholten – früheren Praxis der Agrarbehörden zu verstehen ist. Es würde jeder juristischen Sorgfalt und Genauigkeit widersprechen, den historischen Bescheiden der Tiroler Agrarbehörden, die vor der Veröffentlichung des Erkenntnisses des VfGH Slg 9336/1982 erlassen wurden, einen Inhalt zu unterstellen, der vom damals geltenden Flurverfassungsrecht nicht gedeckt ist.

Auch in der Novelle zum TFLG 1984 geht der Tiroler Landesgesetzgeber noch von einem der Auffassung des VfGH widersprechenden Verständnis des Gemeindegutes aus, stellt doch der Landesgesetzgeber in der Neufassung des § 33 Abs 2 lit c TFLG idF Novelle 1984 nicht auf den öffentlich-gemeinderechtlichen Ursprung der Nutzungsberechtigung ab, sodass der Wortlaut der Norm auch Nutzungsrechte privaten Ursprungs erfasst, welche durch das Eigentum an einer Stammsitzliegenschaft vermittelt werden, die irgendwo gelegen sein kann – im Gemeindegebiet oder außerhalb desselben (siehe zu letzterem auch noch unten III. 3. b. bb).

Zusammenfassung Öhlingers

  1. Nach dem Erkenntnis des VfGH Slg 9336/1982 ist der Begriff des Gemeindegutes in den Gemeindeordnungen abschließend und in einer für die gesamte Rechtsordnung maßgeblichen Weise definiert. Danach ist das Gemeindegut (privatrechtliches) Eigentum der Gemeinden, das mit öffentlich-rechtlichen Nutungsrechten bestimmter Gemeindebürger belastet ist.

 

  1. In der Rechtspraxis wurden dagegen bis zu dieser höchstgerichtlichen Entscheidung auch jene Liegenschaften als „Gemeindegut“ bezeichnet und verstanden, bezüglich derer – in den Worten des VfGH (Slg 9336/1982) – „’die Gemeinde’ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist“. Dieses blieb als materielles Eigentum der „Realgemeinde“ in der Gesetzgebung und der Praxis der Agrarbehörden anerkannt. In der Unterscheidung von Gemeindegut und Gemeindesondergut fand diese doppelbödige Bedeutung des Begriffs „Gemeindegut“ eine rechtsdogmatische Fundierung.

 

  1. Ein Übergang dieses Eigentums der Realgemeinde auf die politische Gemeinde hat in keinem Zeitpunkt des schrittweisen Entwicklungsprozesses des modernen Gemeindebegriffs stattgefunden. Die diesen Prozess zum Abschluss bringenden Gemeindeordnungen der 1860er Jahre besagen vielmehr ausdrücklich: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert“ (siehe etwa § 12 TGO 1866).

 

  1. Das Erkenntnis des VfGH Slg 9336/1982 hat in diesem Punkt eine neue Rechtslage geschaffen, die in sich widersprüchlich erscheint. Konsequenterweise muss nunmehr angenommen werden, dass das historische Eigentum einer „Realgemeinde“ überhaupt nicht Gemeindegut im Sinne der Gemeindeordnungen ist. Eine Subsumtion dieses Eigentums unter den Begriff des Gemeindegutes, so wie ihn der VfGH versteht, würde vielmehr einer entschädigungslosen Enteignung gleichkommen, die weder mit Art 5 StGG noch mit Art 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK in ihrer jeweiligen Auslegung durch den VfGH und den EGMR vereinbar wäre. Soweit durch rechtskräftige Bescheide einzelnen Agrargemeinschaften explizit das Eigentum „als Gemeindegut“ zugesprochen wurde, ließe sich der innere Widerspruch einer solchen Aussage in einfacher Weise durch die Interpretation des Begriffes „Gemeindegut“ in einem agrarrechtlichen Sinn auflösen. Jede andere Deutung läuft ebenfalls auf eine (partielle) entschädigungslose Enteignung der jeweiligen Agrargemeinschaft hinaus.

 

  1. Um diese – unvermeidlich weit ausholenden – Ausführungen auf den Punkt zu bringen: Gemeindegut ist nicht gleich Gemeindegut. Wenn der VfGH nur das im Gemeinderecht so bezeichnete Vermögen einer Gemeinde als Gemeindegut gelten lässt (und dieses zu Recht als „wahres“ Eigentum der Gemeinde qualifiziert), so lässt sich eben nicht alles darunter subsumieren, was im Flurverfassungsrecht und in der Praxis der Agrarbehörden im 19.Jhdt., im 20. Jhdt. bis zum Erkenntnis Slg 9336/1982 und auch noch später so bezeichnet wurde. Ältere einschlägige Rechtstexte müssen in diesem differenzierten Sinn interpretiert werden.

 

Die ungekürzte Abhandlung:

Em. o. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, aus: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 223ff.

 

Bernd Oberhofer

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