Fraktionengesetz 1893

Das (Tiroler) Fraktionengesetz von 1893

 Abstract

Tatsache ist, dass das historische Eigentum der „Realgemeinden“, wie die Nachbarschaften oft auch bezeichnet werden, im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung regelmäßig auf Eigentumsträger mit der Bezeichnung „Gemeinde“ oder „Fraktion“ einverleibt wurde. Ein wesentlicher Grund dafür war die Tatsache, dass die führenden Kreise der Tiroler Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert die moderne Ortsgemeinde und die historische Realgemeinde nicht zu unterscheiden vermochten.

Während in anderen Bundesländern die Einführung eines Teilungs- Regulierungs- Landesgesetzes vorangetrieben wurde (Kärnten: 1885, Niederösterreich: 1886, Krain: 1887, Schlesien: 1887, Salzburg: 1892), passierte in Tirol ganz etwas anderes: Als Unikum im Kreis der Kronländer wurde in Tirol ein „Fraktionengesetz“ geschaffen (LGuVoBl 1893/32). In Tirol sah man in den Agrargemeinschaften einem Bestandteil der neuen politischen Ortsgemeinde, weshalb man kein Teilungs- Regulierungs- Landesgesetz geschaffen hat, sondern eben ein „Fraktionengesetz„.

Es war die erklärte Absicht des historischen Gesetzgebers, jene Gebilde, die wir heute als Agrargemeinschaften verstehen, als Unterorganisationen der politischen Ortsgemeinden einzurichten. Als solche sollten diese auch spezifische politische Mitwirkungsrechte auf Gemeindeebene besitzen. Die Ortsgemeinde wurde als Summe der verschiedenen Nachbarschaften verstanden. Dass diese Nachbarschaften ein gemeinschaftliches Privatvermögen verwalteten, wurde übersehen.

Bezeichnend ist, dass die Resolution des Tiroler Landtages vom 31. März 1892, welche den „einzelnen Gemeindeteilen (Fractionen) in der Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung den ihnen gebührenden Einfluss“ wahren wollte, auch die Vorsorge gegen Streitigkeiten bei der Nutzung der Gemeinschaftsgüter im Auge hatte. Der Tiroler Landtag des Jahres 1892 erfasste diesen Sachverhalt als Streitigkeiten über die „Nutzung des Gemeindevermögens“; eine bessere Regelung in den §§ 10 und 63 der Tiroler Gemeindeordnung 1866 sollte diesen Streitigkeiten vorbeugen.

Dies alles ganz anders, als etwa im Land Kärnten, wo in den Jahren 1876, 1877 und 1878 der idente Sachverhalt wiederholte Resolutionen des Landtages hervorgebracht hatte, wonach ein Regulierungsgesetz geschaffen werden möge,  um die gemeinschaftlichen Benützungsrechte „mehrerer Insassen einer Ortschaft oder verschiedener Ortschaften“ einer Ablösung oder Regulierung zuzuführen. (Blg Nr II stenProt Kärnter LT 1884). In Kärnten hatte man genau verstanden, dass die Gemeinschaftsliegenschaften kein Gemeindevermögen sondern Privateigentum waren.


Übersicht:
Das Fraktionengesetz LGBl 1893/32 und sein Umfeld
Begriff und Rechtsnatur der Fraktionen (LGBl 1893/32)
Gesetzgebungsgeschichtlicher Rahmen des Fraktionengesetzes

 

1. Das Fraktionengesetz LGBl 1893/32 und sein Umfeld

Erheblich wichtiger als die gemeinderechtlichen Fraktionen nach dem ProvGemG 1849 waren jene Fraktionen, mit denen sich der Tiroler Landtag gegen Ende des 19. Jahrhunderts auseinandersetzen mußte. Eine Wurzel des Problems lag in einer Ergänzung, die der Tiroler Landtag selbst jener Gesetzesvorlage hinzugefügt hatte, die von der Wiener Zentralregierung für die Gemeindegesetze der Länder entworfen worden war. Der dadurch modifizierte § 65 der Tiroler Gemeindeordnung 1866 enthielt die Bestimmung, wonach dann, wenn eine Gemeinde aus mehreren „Fraktionen“ bestünde, die Erträgnisse „getrennter Vermögenheiten und die abgesonderten Bedürfnisse“ in den Voranschlägen und Jahresrechnungen der Gemeinde besonders ersichtlich zu machen seien. (§ 65 Abs 5 TGO 1866) Damit wurde der Begriff der „Fraktion“ allerdings vorausgesetzt; er korrelierte nämlich mit keiner anderen Regelung der TGO 1866 und bildete in deren Gesamtsystem einen Fremdkörper. Es war daher kein Wunder, dass diese Fraktionen, wie man später feststellte, „behördlich so viel als möglich ignoriert“ wurden. (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)

Dessen ungeachtet fanden 1892 „Fractionen“ als „Gemeindetheile“ bzw als „Theile dieser Gemeinde“ (dh der politischen Ortsgemeinde) sehr punktuell in ein Gesetz Eingang, das die Verwaltung des Gemeindeeigentums regelte. (LGBl 1892/17, § 2, § 14, § 34) Auch dabei kam es aber zu keiner vertieften Auseinandersetzung mit dem Fraktionsbegriff. Dies kann kaum erstaunen; im Landtag wußte man nur zu gut, dass dieses Problem erst seiner Lösung harrte: Wenige Monate zuvor, in seiner Sitzung vom 31. März 1892, hatte der Landtag nämlich eine Resolution beschlossen, worin der Landesausschuss aufgefordert wurde, Erhebungen und Überlegungen im Hinblick auf verschiedene Änderungen des Gemeindewesens anzustellen. Insbesondere betraf dies, neben zwei hier nicht näher darzustellenden Problemkreisen (einer Abänderung der Regeln zur Gemeindegutsnutzung sowie einer Verlängerung der Wahlperiode der Gemeindevertretungen bei Einführung periodischer Ergänzungswahlen), die Fraktionen (StenProt Tiroler LT, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 89ff); dazu formulierte die Resolution:

„Um den einzelnen Gemeindetheilen (Fractionen) in der Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung den ihnen gebührenden Einfluß zu wahren, wird als zweckmäßig anerkannt, daß in größern Gemeinden, welche aus mehrern selbständigen Theilen bestehen, bei den Gemeindewahlen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde entfallenden Vertreter, nach Gemeindetheilen (Fractionen) im Verhältnisse der Bevölkerungsziffer aufgetheilt werden. (…) Der Landesausschuß wird beauftragt die nöthigen Erhebungen zu pflegen, welche Bestimmungen der Gemeindewahlordnung bezw. der Gemeindeordnung abgeändert werden müssen, um (…) die Rechtsverhältnisse der Gemeindefractionen überhaupt in zweckentsprechender Weise zu regeln.“ (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

Hintergrund der Beschäftigung mit den Fraktionen war der Befund, dass zahlreiche Gemeinden „nicht lebensfähig“ erschienen. Die „volle Wahrung der Gemeindeautonomie“ verhinderte eine zwangsweise Vereinigung dieser Gemeinden; auch war es „seit 9. Jänner 1866 noch nicht gelungen (…), Gemeinden zur vollkommen freiwilligen Vereinigung zu veranlassen“. In dieser Hinsicht sollte mit der Ausgestaltung der Fraktionen ein Anreiz geboten werden, um den größeren „Sammelgemeinden“ das „Beisammensein zu erleichtern, und andererseits den jetzt selbständigen lebensunfähigen Gemeindegebilden ihre Verschmelzung mit anderen zu erleichtern“. (StenProt Tiroler Landtag, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 90. Schon in dem Bericht des Gemeindeausschusses, der dem Resolutionsbeschluss voranging, zeigte sich allerdings eine dogmatische Unsicherheit; einerseits erschien es notwendig, den nicht lebensfähigen Gemeinden „ihre wohlberechtigten autonomen Interessen zu wahren“, andererseits sollten sie sich nicht als „Privatverbände oder Privatvereine“ verstehen.)

In Ausführung der „Aufträge“ des Landtages legte der Landesausschuss mit 30. März 1893 einen Bericht sowie drei Gesetzentwürfe vor, darunter einen solchen „über die Vertretung der Gemeindefractionen“. Als Berichterstatter fungierte das langjährige Ausschussmitglied Anton Graf von Brandis, zu dieser Zeit bereits Landeshauptmann von Tirol. Sein Bericht lässt erkennen, was man sich unter dem Begriff „Fraktion“ vorgestellt hatte, auch wenn man sich offenkundig schwer tat, diesen Gegenstand exakt zu definieren:

„Die großen Gemeinden, mit Ausnahme einiger weniger geschlossener Orte, bestehen durchweg aus mehreren getrennten Dörfern, Weilern, kurz gesagt Fractionen. Bei den kleinen Gemeinden dürfte sich wohl in den allermeisten Fällen geschichtlich nachweisen lassen, daß sie ursprünglich Theile eines größeren Gemeindewesens bildeten, mit anderen Worten, daß sie aus ehemaligen Fractionen selbstständige Gemeinden wurden.“ „Eine weitere Veranlassung der gegenwärtigen Vorlage ist das Bedürfnis, den Fractionen endlich einmal den ihnen gebührenden Platz in unserer Gemeinde-Gesetzgebung zu verschaffen. Unser Gemeindegesetz kennt eigentlich nur Ortsgemeinden mit ihrer Vertretung. Daß diese Ortsgemeinden auch aus Theilen, Fractionen, bestehen können, wird insoferne anerkannt, als diese Fractionen auch eigenes Vermögen besitzen können[,] welches sie, und zwar unter Oberaufsicht der gemeinsamen Gemeindevertretung, selbstständig verwalten sollen; wie aber diese Verwaltung geschehen soll? durch wen? wer die Fraction vertreten soll? das ist der rechtsgiltigen Übung anheimgestellt. Diese rechtsgiltige Übung nun ist ein sehr vielgestaltiges Etwas, und läßt mitunter auch bezüglich ihrer Rechtsgiltigkeit begründete Zweifel aufkommen. Es sind dies größtentheils Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte, die man aber behördlich so viel als möglich ignorirte, weil sie nicht in den Rahmen der neuen Gesetzgebung hineinpaßten, und die so möglichst uncontrollirt fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach.“ (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

Die Zielsetzung, „Gemeindetheilen“ als „Fraktionen“ den „ihnen gebührenden Platz“ in der Tiroler Gemeindegesetzgebung zu verschaffen, wurde jedoch dadurch erschwert, dass sich der Landesausschuss weder zu einer exakten Definition des Gegenstandes durchringen konnte noch in der Frage nach dessen Rechtsnatur eindeutig Stellung bezog. Diese Probleme spiegelten sich in weiterer Folge auch in dem schließlich beschlossenen Fraktionengesetz vom 14. Oktober 1893, LGBl 1983/32; dessen zentrale Bestimmung lautete wie folgt.

§ 1 (1) Bei Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen, kann über Ansuchen oder in Folge von Beschwerden einer oder mehrerer Fractionen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde nach § 14 der Gemeindeordnung entfallenden Ausschußmitglieder und Ersatzmänner unter eben diesen Gemeindefractionen aufgetheilt werden.

(2) Ob und in welcher Art diese Auftheilung und wie die Vornahme der Wahl zu geschehen habe, bestimmt die k.k. Statthalterei im Einverständnisse mit dem Landesausschusse, wobei folgende Grundsätze zu beobachten sind: [Es folgen Abs 3 und 4; abgedruckt unten b.]

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2. Begriff und Rechtsnatur der Fraktionen (LGBl 1893/32)

Schon der Bericht des Landesausschusses hatte den Ausdruck „Fractionen“ zunächst nur als eingeklammertes Synonym verwendet und den „Gemeindetheilen“ nachgestellt; als Beispiele genannt wurden „Dörfer“ und „Weiler“. Dabei überwog der Charakter einer Beschreibung; eine möglichst genaue Definition wurde offenkundig gar nicht angestrebt. In Zusammenhang damit standen auch historische Überlegungen zur Entstehung kleiner Gemeinden aus ehemaligen Fraktionen größerer. Mit „Gemeindetheilen (Fractionen)“sollten somit aus der älteren Gemeindeverfassung stammende Gebilde erfasst werden, „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen“, deren Bestand darauf zurückzuführen war, dass man „nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte“. Unsicherheiten hinsichtlich des Fraktionsbegriffs und hinsichtlich der Art, wie der undefinierte Gegenstand den ihm „gebührenden Platz“ in der modernen Gesetzgebung erhalten sollte, zeigte bereits der Landesausschussbericht durch zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: Einerseits nahm er auf einen örtlichen Siedlungszusammenhang („Dörfer“, „Weiler“) Bezug, andererseits auf die Existenz „eigenen Vermögens“; letzteres durch Hinweis auf die im Rahmen der „älteren Gemeindeordnungen“ bestehende „rechtsgiltige Übung“ betreffend Vermögensverwaltung und Vertretung der Fraktionen. Dies liefert einen Anhaltspunkt für einen eigenständigen Rechtsträger. Das Fraktionengesetz kombinierte diese beiden möglichen Anknüpfungspunkte und betraf daher „Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen“.

Die hier offenbar werdenden Schwierigkeiten bei der juristischen Erfassung eines historischen Phänomens sind durchaus nachvollziehbar, stand man dabei doch vor einem recht spezifischen Problem. Im Gegensatz zu Tirol, wo mangels grundherrschaftlicher Strukturen die lokalen Gemeinschaften als „Markgemeinden“ einen „doppelten Beruf“ als örtliche Gemeinwesen und als ländliche Wirtschaftsgenossenschaften bewahrten, hatten nachbarschaftliche Organisationsformen im anderen Ländern keine Bedeutung mehr: Der Niederösterreichische Landesausschuss stellte dazu 1878 fest, dass die „alte Organisation der Nachbarschaft“ zertrümmert sei und im modernen Staate den öffentlichen Charakter verloren hätte. Es verwundert daher nicht, wenn der Verwaltungsgerichtshof eineinhalb Jahrzehnte später, 1894, erklärte, dass „der Ausdruck „Gemeinde“ [auch] als gleichbedeutend mit „Ortschaft“ aufzufassen“ sein könne. (Budwinski (Red), Erkenntnisse des k.k. Verwaltungsgerichtshofes 1894, Nr. 8032)

Im Gegensatz zu Niederösterreich bestand daher für Tirol die Notwendigkeit oder zumindest das Bedürfnis, die – vielfach aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Vermögenswerte – erhalten gebliebenen örtlichen Gemeinwesen in die moderne Gemeindeverfassung zu integrieren und durch politische Beteiligungsrechte auf Gemeindeebene als „Erscheinung gemeinderechtlicher Art“ anzuerkennen. Dies erfolgte jedoch nicht durch eine generelle und grundlegende Veränderung des Charakters dieser historischen Gemeinschaften als Erscheinungen des Privatrechts, sondern dadurch, dass einigen von ihnen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine zusätzliche rechtliche Stellung eingeräumt werden konnte (nicht aber mußte), die als weitere Funktion im Rahmen des politischen Gemeinderechtes zu ihrer Rechtsnatur als privatautonom gegründete „moralische Person“ (§ 26f ABGB) hinzutrat.

Dazu hatte der Tiroler Landesausschuss dem Landtag folgendes berichtet: Es möge nun der Versuch gemacht werden, diese alten Einrichtungen innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes mit den gegenwärtigen Rechtsverhältnissen in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe ist durchaus nichts Unmögliches, ja sie ist vielleicht nicht einmal so schwierig als sie auf den ersten Anblick aussehen mag.

Unsere alten Gemeindeordnungen waren ja keine so starren Eisgebilde, als man sich heutzutage mitunter vorstellt. Der allgemeine Rahmen blieb allerdings durch manche Jahrhunderte hindurch unverändert der gleiche; aber innerhalb dieses Rahmens fanden manche Entwicklungen und Veränderungen statt, insbesondere betrafen diese Veränderungen die Art der Vertretung und die Competenz der einzelnen Gemeinde-Funktionäre. Es ist daher gar kein so unerhörter Eingriff in die alten Formen, wenn man heute festsetzt, der Dorfmeister, Regolano, oder wie er immer heißen mag, bleibt Vorsteher der Fraction, wird aber in Hinkunft nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 9. Jänner 1866 gewählt. Er hat an seiner Seite nach Bedarf einen Ausschuß, früher von … jetzt von … Männern, die in gleicher Weise gewählt werden.

Die „alten Einrichtungen“ der historischen Nachbarschaften als private „Gemeinden“ (moralische Personen gem § 26f ABGB) konnten somit in den „Rahmen des Gemeindegesetzes“ gestellt und als Fraktionen „nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes“ anerkannt werden. Die politische Institutionalisierung wurde durch Reglementierung und Kontrolle erkauft; dies betraf insbesondere das Verhältnis von Gemeinde- und Fraktionsvorsteher, das Vertretungsrecht und das Fraktionsbudget (Fraktionsvorsteher: § 2 Fraktionengesetz 1893; Gemeindevorsteher als Vertreter der Fraktion: § 3 Abs 1 Fraktionengesetz 1893; Kontrolle durch Gemeindeausschuss: § 3 Abs 3 Fraktionengesetz 1893 iVm LGBl 1892/17):

Wenn es heißt, „innerhalb des Rahmens der Gemeindegesetze“, so sind da gewisse allgemeine Gesichtspunkte, welche festgehalten werden müssen. So ist vor allem der Gemeindevorsteher nicht nur Vorsteher der Hauptgemeinde, sondern auch aller ihrer einzelnen Theile, er hat die Interessen derselben ebenso wie die der Hauptgemeinde gewissenhaft zu wahren, und erforderlichen Falles nach Außen zu vertreten. Der Gemeindevorsteher ist verantwortlicher Rechnungsleger nicht nur für die Hauptgemeinde, sondern auch für alle einzelnen Theile derselben. Damit will durchaus nicht gesagt sein, daß das Gesetz annehme, der Vorsteher sei immer auch selbst der Verfasser der Gemeinderechnung. Im Gegentheile, man weiß wohl, daß insbesondere in größeren Gemeinden Verfasser der Rechnung der Gemeindekassier sei. Aber der Vorsteher ist für diese Arbeit seines untergeordneten Beamten verantwortlich, er hat sie deshalb vorerst selbst genau zu prüfen, ehe er sie unter seinem Namen und unter seiner Verantwortung dem Ausschusse vorlegt. In ähnlicher Weise wird Niemand zweifeln, daß der Gemeindevorsteher nicht selbst die Rechnungen für die einzelnen Gemeinde-Fractionen verfaßt, sondern daß dies zunächst Aufgabe des Fractions-Vorstehers sei, der nach Umständen auch wieder einen Fractions-Kassier an der Seite haben kann, aber vor dem allgemeinen Gemeindeausschusse übernimmt gleichfalls in erster Linie der Vorsteher der Gesammtgemeinde die Verantwortung für die Richtigkeit der Rechnungslegung.

Das hat, oder soll vielmehr die Folge haben, daß vorerst der Gemeindevorsteher, und dann auch der Gemeindeausschuß den Theilrechnungen eine ebensolche Sorgfalt zuwende, als der Hauptrechnung. Darin liegt eben eine Controlle, die nach den vielfach gemachten Erfahrungen gewiß nicht überflüssig ist.

Ebenso entspricht es, wie bereits bemerkt, dem Gemeindegesetze, speciell dem § 52, daß im Allgemeinen der Gemeindevorsteher nicht nur die Hauptgemeinde, sondern auch deren sämmtliche Theile nach Außen vertritt. Handelt es sich aber um besondere Fractions-Angelegenheiten, insbesondere um solche Fälle, wo der Gemeindevorsteher, der doch auch irgend einer innerhalb der Gemeinde befindlichen Fraction angehört, einigermaßen befangen erscheinen könnte, so mußte bisher immer nur fallweise durch Bestellung eines Amtsvertreters vorgesorgt werden, da wie erwähnt, der Fractionsvorsteher eigentlich keine bestimmte rechtliche Stellung hatte innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes. Diesem Mangel soll für die Zukunft abgeholfen werden, insbesondere dadurch, daß den sehr vagen und bisher durchschnittlich sehr wenig befolgten Bestimmungen des § 51 eine etwas concretere Gestalt gegeben werde.

Politisch-administrative Bedeutung sollte jedoch nicht jeder vorhandenen Fraktion zukommen: Unter Festhaltung solcher allgemeiner Grundsätze möge man jedoch vertrauensvoll den ausführenden Organen, nämlich der k.k. Regierung im Einverständnisse mit dem Landesausschusse es überlassen, wie die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Gemeindelebens mit den Anforderungen des Gemeindegesetzes in Einklang gebracht werden können, und zwar durch Entscheidungen von Fall zu Fall, unter Berücksichtigung der an jedem Orte obwaltenden besonderen Verhältnisse.

Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse. Im allgemeinen dürfte wohl die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal sein, doch kann es auch Fractionen geben ohne eigenem Vermögen, die doch alle übrigen Erfordernisse einer selbstständigen Stellung in sich tragen, während mitunter kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht darauf erheben können, als eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt zu werden.

Dem Tiroler Landesausschuss war demnach sehr deutlich bewusst, dass nur einem Teil der vorausgesetzten, also bereits vor Erlassung des Fraktionengesetzes vorhandenen Fraktionen – Ortschaften bzw Korporationen – auch ein politisch-administrativer Charakter beigelegt werden sollte. Dabei zeigt der Hinweis auf „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung“, dass die Kenntnis des alten zivilrechtlichen Gemeindebegriffs noch vorhanden war; nach historischen Rechtsvorstellungen reichte eine Anzahl von drei Beteiligten aus, um eine solche Gemeinde zu bilden.

Allerdings war auch der Landesausschussbericht nicht frei von Widersprüchen, insbesondere unterstellte er eine Identität von moderner Ortsgemeinde und Summe der historischen Gemeinschaftsorganisationen auf Gemeindegebiet, indem er die Vorstellung vertrat, der Gemeindevorsteher würde „doch auch irgend einer innerhalb der Gemeinde befindlichen Fraction“ angehören: Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 4.

Die Entscheidung darüber, welcher dieser Gemeinden auch im „Rahmen des Gemeindegesetzes“ Bedeutung zukommen sollte, schien jedoch zu schwierig, um sie generell-abstrakten Regeln des Gesetzgebers zu unterwerfen. „Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse.“ Daher sollte diese Frage „vertrauensvoll den ausführenden Organen“, also der Exekutive – Regierung und Landesausschuss – überlassen werden. Die Anerkennung als „eigentliche Gemeinde-Fractionen“ mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung war nach dem Gesetzestext einer Entscheidung der k.k. Statthalterei im Einverständnis mit dem Landesausschusse vorbehalten. (§ 1 Abs 2 – 4 Fraktionengesetz 1893) Der Landesausschussbericht hatte dazu nur vage Entscheidungskriterien genannt; insbesondere schien „die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal“, das allerdings nicht zu weit gehen sollte – einerseits gedachte man möglicher „Fractionen (…) ohne eigenem Vermögen“, andererseits sollten „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht“ auf Anerkennung als politische Gemeindefraktionen erwerben. Im Fraktionengesetz wurde schließlich eine bestimmte Mindeststeuerleistung verlangt:

§ 1 (3): Die Gesammtzahl der Ausschußmitglieder und Ersatzmänner ist unter die zur selbständigen Wahl berufenen Fractionen nach Verhältnis des Gesammtbetrages der Steuer-Jahresschuldigkeit (§ 12 der Gemeindewahlordnung) zu der Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten der einzelnen Fractionen zu vertheilen.

(4) Wenn die Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction nicht jene Ziffer erreicht, welche sich aus der Theilung der für die Gemeinde ermittelten Gesammtsumme der Steuer-Jahresschuldigkeiten durch die Zahl der Gemeinde-Ausschußmitglieder ergibt, so ist diese Fraction mit einer benachbarten Fraction zu vereinigen. (§ 1 Abs 3 und 4 Fraktionengesetz LGBl 1893/32)

Nur bei Vorliegen entsprechender Einzel-Steuerleistungen („Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction“) war also eine politisch-administrative „Gemeinde-Fraktion“ im Sinne des Fraktionengesetzes anzunehmen. Ein „kleinere[s] Corporatiönchen“, dessen Steuerleistung nicht die für ein Gemeindeausschussmandat erforderliche Verhältniszahl erreichte, sollte – nur für die politisch-administrativen Zwecke des Fraktionengesetzes – jeweils „mit einer benachbarten Fraction“ vereinigt werden. Diese Zusammenlegung änderte jedoch nichts an allfälligen Privateigentumsverhältnissen der beteiligten Eigentumsträger und an deren Charakter als „private“ Fraktionen: Es ist kein Zufall, dass auch jene Korporationen, die keine ausreichende Steuerleistung erbrachten und daher nicht als „eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt“ waren, vom Gesetz als Fraktionen bezeichnet wurden. Daran ist logisch anzuknüpfen: Wenn mehrere vorausgesetzte („private“) Fraktionen erst gemeinsam – infolge ihrer Zusammenlegung – eine gemeinderechtliche Fraktion im Sinne des Fraktionengesetzes bildeten, so bewahrte auch die Fraktion mit ausreichender Steuerleistung einen Doppelcharakter als privatautonomer Rechtsträger und politisch-administrative Einrichtung. Die gemeinderechtliche Anerkennung brachte den privatrechtlichen Charakter solcher Fraktionen nicht zum Erlöschen. Gegen jede andere Auffassung spricht schon ein sehr einleuchtender Grund: Das Verhältnis der Fraktions-Steuerleistung zur Gesamtsteuerleistung unterlag naturgemäß Schwankungen. So wie sich beim „Dreiklassenwahlrecht“ das Stimmgewicht jedes einzelnen Wählers von Gemeindeausschusswahl zu Gemeindeausschusswahl verändern konnte, so war auch der politisch-administrative Status als „Gemeinde-Fraktion“ niemals abgesichert; die Voraussetzungen konnten von Wahl zu Wahl verloren gehen oder neu erworben werden. Ohne die Annahme eines doppelten Charakters der Fraktion wäre deren Stellung als Privatrechtsträger von der nicht zu beeinflussenden Steuerleistung anderer Wahlberechtigter abhängig gewesen! Damit bestätigt auch und gerade das Fraktionengesetz trotz seines primär gemeinderechtlichen Zweckes die Verwendung des Begriffes „Fraktion“ zur Erfassung privater Rechtsträger von Gemeinschaftsliegenschaften.

Das Fraktionengesetz 1893 legte also bestimmten vorgefundenen Fraktionen eine gemeinderechtliche Bedeutung bei. Damit wird auch deutlich, was man sich unter jenen gemeinderechtlichen Fraktionen vorzustellen hat, die 1938 als „Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ von § 1 der Verordnung über die Einführung der Deutschen Gemeindeordnung im Lande Österreich erfaßt und beseitigt wurden. Fraktionen mit Doppelcharakter verloren spätestens damit wieder ihre politisch-administrative Bedeutung, während die (ältere) privatrechtliche Stellung der mit dem Begriff „Fraktion“ benannten „moralischen Personen“ (Körperschaften) als Eigentumsträger erhalten blieb. (DRGBl I 1938, S. 1167f, § 1)

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3. Gesetzgebungsgeschichtlicher Rahmen des Fraktionengesetzes

Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 gehört zu jenen Normen, mit denen sukzessive einzelne Aspekte der ländlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung an das sich langsam verändernde, sich auf die politische Ortsgemeinde verengende Gemeindeverständnis angepasst und mit der modernen politischen Gemeindegesetzgebung in Einklang gebracht wurden. Dabei war vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen eine zunehmende Differenzierung des zunächst umfassenden Gemeindebegriffs erforderlich, teils eine Abwicklung verschiedener historischer Gemeinschaftsverhältnisse. In diesem Sinne führten die Landesgesetzgeber schon seit 1866, den ursprünglichen Intentionen des Jahres 1849 Rechnung tragend, Jagdgenossenschaften anstelle von „Gemeindejagden“ ein.

(Vgl. zu diesem Themenkomplex mwN Kohl, Otto Bauer und das Jagdrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeindejagd, Zeitschrift für Jagdwissenschaft 40 (1994) 253 ff; Kohl, Jagd und Revolution. Das Jagdrecht in den Jahren 1848 und 1849 (=Rechtshistorische Reihe 114), Frankfurt/Main 1993, 59ff, 90ff; Kohl, Zur Rechtsnatur des österreichischen Jagdrechts, in: Juristische Blätter 1998, 755ff)

1874 löste der Gesetzgeber die religiösen Aspekte aus dem säkularen Gemeindewesen und stellte klar: „Alle einen kirchlichen Gegenstand betreffenden Rechte und Verbindlichkeiten, welche in den Gesetzen den Gemeinden zugesprochen oder auferlegt werden, gebühren und obliegen den Pfarrgemeinden.“ (§ 35 Abs 2 RGBl 1874/50) Mit dem Fraktionengesetz sollte der Vielfalt historischer Siedlungseinheiten („Ortschaften“, „Weiler“ etc) Rechnung getragen werden: So wie man die jagdberechtigten oder kirchlichen Gemeinschaften von den „Gemeinden“ unterschieden hatte, so wollte man auch die verschiedenen geschichtlich gewachsenen Siedlungen von der „politischen Ortsgemeinde“ unterscheiden, allerdings – und darin liegt eine Abweichung von den Jagd- oder Pfarrgemeinden – um sie anschließend mittels besonderer Bestimmungen mit den Ortsgemeinden in Einklang zu bringen.

Deutlich zeigt sich auch eine Parallele zwischen dem Fraktionengesetz und der Bodenreformgesetzgebung, insbesondere den Teilungs- und Regulierungsgesetzen: So wie sich das TRRG 1883 (RGBl 1883/94) nach den dazu vorliegenden Erläuternden Bemerkungen mit Liegenschaften beschäftigte, die sich als „Überreste der alten Agrargemeinde“ innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten hätten (EB zur Regierungsvorlage, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33), so zeigen die Materialien zum Tiroler Fraktionengesetzes von 1893 (Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93) die Absicht einer Auseinandersetzung mit einem „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“.

Die enge Verwandtschaft dieser Problemkreise wird dann deutlich, wenn solche historischen Siedlungseinheiten (Nachbarschaftsstrukturen) keine mit den Tiroler Verhältnissen vergleichbare Rolle als örtliche Gemeinwesen spielen konnten. In Niederösterreich, wo die realen Siedlungseinheiten von verschiedenen grundherrschaftlichen Zugehörigkeiten überlagert und dadurch rechtlich weniger stark verbunden gewesen waren, hatten sie keine solche Bedeutung – und erlangten sie auch nach dem Ende der Grundherrschaften nicht mehr. Der niederösterreichische Landtag beschäftigte sich daher auch nicht mit der Frage, ob und inwieweit historischen Siedlungsverbänden ein Gewicht innerhalb der modernen politischen Ortsgemeinden beigelegt werden sollte. Stattdessen wollte er vor allem Eigentum und Nutzungsberechtigung an den Gemeinschaftsliegenschaften geklärt haben und forderte ein Reichsgrundsatzgesetz, um die fehlende Kompetenz des Landesgesetzgebers für den Bereich des Zivilrechtes auszugleichen. Umgekehrt waren in Tirol, dessen Landtag sich mit den Fraktionen beschäftigte, Streitigkeiten um Eigentum und Nutzung von Gemeinschaftsliegenschaften kein Thema; dies selbst im Jahr 1909, als man sich über Veranlassung der Reichsregierung mit der Teilung und Regulierung von Gemeinschaftsliegenschaften auseinandersetzen musste. (Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 218f)

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ZUSAMMENFASSUNG

 So erscheinen Fraktionen und Gemeinschaftsliegenschaften geradezu als zwei Lösungsvarianten des gleichen Problems historischer Gemeindeverhältnisse: Das TRRG 1883 setzte sich mit den Gemeinschaftsliegenschaften als „Überresten der alten Agrargemeinden“ auseinander, das Fraktionengesetz 1893 mit „Überbleibsel[n] der älteren Gemeindeordnungen“.

Während das TRRG das Problem der alten Gemeindeverhältnisse durch deren „Privatisierung“ und Ausscheidung aus der neuen politischen Ortsgemeinde löste, diente das Tiroler Fraktionengesetz 1893 deren Integration in die neue Gemeindeverfassung.

 Nach TRRG gingen alte und neue Gemeinden also getrennte Wege, nach dem Tiroler Fraktionengesetz 1893 wurde manchen alten Nachbarschaften politische Beteiligung zugestanden, um Spaltungstendenzen innerhalb der Ortsgemeinden vorzubeugen (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3), somit unter bestimmten Voraussetzungen Mitbestimmungsrechte an der modernen Gemeinde eingeräumt.

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