Artenvielfalt
im Grundbuch

Dr. iur. ao. Univ.-Prof. Gerald Kohl, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, hat die Tiroler Grundbuchanlegung systematisch erforscht. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass für die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften die wunderlichsten Eigentümerbezeichnungen gefunden wurden.

 

1. Kreative Grundbuchanlegungsbeamte erfanden unzählige Eigentümerbezeichnungen

Gemeinschaftsliegenschaften zeichneten sich bereits sehr früh als ein Problem für die Grundbuchsanlegung ab. Im Oktober 1897 gab das Justizministerium den „mit der Grundbuchsanlegung betrauten richterlichen Organen (…) Directiven zur entsprechenden Würdigung und Darnachachtung“, wobei diese Richtlinien insbesondere jene „Gattungen von Liegenschaften“ betrafen, die „in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen“. Dazu wurden neben den typischen „aerarischen“ Grundstücken insbesondere jene der Kirchen, geistlichen Orden und Korporationen, Friedhöfe, Schulen, Stiftungen etc gerechnet. Als ein „allgemeiner Grundsatz“ wurde den Grundbuchsanlegungskommissären eingeschärft, „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; dabei müsse „darauf gesehen werden, dass die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen und nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“. Schon darin zeichnet sich das Dilemma der nicht mit einer Satzung versehenen Personengemeinschaften, der im Sinne des ABGB „moralischen Personen“, ab – darauf wird noch einzugehen sein.

Blickt man nun in die Tiroler Grundbücher, so findet man nicht nur eine große Vielfalt höchst bemerkenswerter Eigentümerpersönlichkeiten, sondern auch nicht wenige Fälle, in denen die Grundbuchsanlegungskommissäre nicht nach den ihnen erteilten – und tatsächlich wohl auch unzureichenden – Direktiven vorgegangen waren. Für die Vielfalt kann etwa die KG Prägraten im historischen Gerichtsbezirk Windisch-Matrei als Beispiel dienen. Hier wurden bei der Grundbuchsanlegung folgende Eigentümerpersönlichkeiten festgestellt: „Fraktion St. Andrä“, „Fraktion Bobojach“, „Fraktion Hinterbühel“, „Fraktion Wallhorn“, „Fraktion Obermauern der Gemeinde Virgen“, „Göriach Bobojacher Alpenwald-Genossenschaft“, „Nachbarschaft Bühel“, „Hintertösen Weidegenossenschaft“, „Gemeinde Virgen ohne die Fraktion Mitteldorf“, „Gemeinde Schlaiten“, „Bobojach u. Wallhorner Sägegenossenschaft“, „Forstlehnmoos Genossenschaft“, „Groder-Mair-Felder-Schwaiggenossenschaft“, „Toinigweidegenossenschaft“ sowie die „Stierfleckgenossenschaft St. Andrä Dorf“. Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder nur denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und/oder Zweckvermögen konfrontiert, dennoch fehlten hier einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“.

GERICHTSGEMEINDEN IM GRUNDBUCH

Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und Zweckvermögen konfrontiert. Dennoch fehlten einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“. Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, die Schulgebäude im Zweifel auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eigenes Rechtssubjekt einzutragen“. So wurden in der KG Längenfeld bei „Schulliegenschaften“ folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schul­gemeinde Bruggen“, „Schulgemeinde Dorf“ und „Schulgemeinde Unterried“. Als Vergleichsbeispiel finden sich in anderen Gemeinden die den Dorfschützen gewidmeten Übungsplätze, die zum Beispiel als ­„k. k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, „k. k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder als „k. k. Gemeinde Schieß­stand Innervillgraten“ eingetragen wurden. Aus der Zeit der Grundbuchanlegung findet man nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“ als Eigentümer. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft“ in Mieders, das „Gerichtsviertel untere Schranne“ in Ebbs oder der „Rustikalgerichtsfonds Sillian“ (bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen). Ähnliche Wurzeln haben die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“, die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“, die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg-Radfeld“.

Gerne wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen. Beispiele dafür lassen sich u.a. nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld), Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle) sowie Zamserberg, wo sowohl die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“ stolze Eigentümerin war. Die Tiroler Landesregierung hatte schon 1982 auf dieses Wirr-Warr hingewiesen und klar gestellt, dass bei der Grundbuchsanlegung einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen wurden. Es sei allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten gelegen, welchen Ausdruck er verwendete. Besonders häufig haben die Grundbuchbeamten den Begriff „Fraktion“ zur Bezeichnung eines Liegenschaftseigentümers verwendet.

FRAKTIONEN IM GRUNDBUCH

„Fraktion“ als historische Eigentümerbezeichnung findet sich in den Tiroler Grundbüchern in jeder denkbaren Spielart und Kombination, wie ein Streifzug durch die historischen Grundbücher deutlich macht. Fraktionen bestehend aus vollständig aufgezählten Liegenschaften (z. B. in Untertilliach), Genossenschaften bestehend aus Fraktionen (z. B. Mullitz-Alpgenossenschaft, bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach), Nachbarschaften bestehend aus Fraktionen (z. B. Nachbarschaft Unterbach und Grünau, bestehend aus der Fraktion Unterbach der Gemeinde Bach und den Fraktionen Ober- und Untergrünau der Gemeinde Elbigenalp) sind nur ein kleiner Auszug aus diesem bunten Wortgewirr. Diese Erscheinungen sind heute ganz überwiegend aus dem Grundbuch verschwunden, auch wenn das elektronische Tiroler Grundbuch in Summe noch über 70 derartige Liegenschaften nachweist. Alleine im Grundbuch der KG Windisch-Matrei Land (heute: Grundbuch 85103 Matrei-Land) waren im Zuge der Grundbuchsanlegung 13 unterschiedliche „Fraktionen“ als Liegenschaftseigentümer einverleibt; hinzu kamen jedenfalls eine „Genossenschaft bestehend aus Fraktionen“, und eine „Genossenschaft bestehend aus einer Fraktion und taxativ aufgezählten Höfen“. All diese Eigentümerpersönlichkeiten sind seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sukzessive als Agrargemeinschaften identifiziert worden, sodass heute im elektronischen Grundbuch dieser Katastralgemeinde keine einzige „Fraktion“ mehr nachweisbar ist.

Diese Veränderungen erfolgten nicht schlagartig, sondern im Rahmen eines „Erosionsprozesses“, der am Beispiel der KG Matrei-Land, GB 85103, gut illustriert werden kann: Aus den erwähnten 15 „Fraktionen“ und „Fraktions-Gesellschaften“ wurden 13 Agrargemeinschaften reguliert und zwar drei in den 1920er Jahren, drei in den 1930er Jahren, sechs in den 1940er Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft und schließlich eine in den 1960er Jahren. Die gleiche Erosion, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, zeigt sich im Grundbuch Umhausen: Hier hatte die Grundbuchsanlegung acht Eigentümer mit der Zusatzbezeichnung Fraktion festgestellt. Die „Fraktion Farst“ und „Fraktion Köfels“ wurden mit Bescheid vom 1. März 1949 als Agrargemeinschaften reguliert. Die „Fraktion Umhausen“ folgte am 10. August 1959, die „Fraktion Östen“ am 5. Oktober 1959. Erst 1982 wurde die „Fraktion Niederthai Neaderseite“ umgegründet, 1983 die „Fraktion Tumpen“ und aus der „Fraktion Niederthai Sonnseite“ wurden die Agrargemeinschaften Sonnseite Sennhof (1982) und 1990 die Agrargemeinschaft Bichl-Höfle.

RECHTFERTIGUNG FÜR DIE BEGRIFFSWAHL

Überlegungen der Grundbuchbeamten dazu, warum als Eigentümerbezeichnung so oft der Begriff „Fraktion“ verwendet wurde, lassen sich nur ganz selten nachweisen. Eine Ausnahme bildet das Grundbuch-Anlegungsprotokoll Nummer 482 der ehemaligen Katastralgemeinde „Windisch-Matrei Land“. Dort wurde vom Grundbuchanlegungsbeamten im Juni 1906 folgende Begründung festgehalten: „Die Schilder Alpgenossenschaft ist Eigentümerin aufgrund Ersitzung und besteht aus den Fraktionen a) Mattersberg und b) Moos der Gemeinde Windisch-Matrei. Wenngleich von der Fraktion Mattersberg das Brenneranwesen und von der Fraktion Moos verschiedene Anwesen in die Schilderalpe nicht auftriebsberechtigt sind, so besitzt die Schilderalpe trotzdem für die Fraktionen Mattersberg und Moos den Charakter einer Fraktionsalpe. Es darf also von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht weiterverkauft werden, ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer, in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde. Die Grasrechte sind mit anderen Worten fest verbunden mit den ganzen Anwesen oder wenigstens mit den einzelnen Stücken der Fraktionen Mattersberg und Moos. Die bestimmte Stückzahl, mit der die einzelnen Anwesen auftriebsberechtigt sind, entspricht der Größe der betreffenden Anwesen und wurde vor ungefähr 20 Jahren im gegenseitigen Einverständnis unter den Hofbesitzern geregelt. Nachdem es sich bei der Schilderalpe um eine Fraktionsalpe handelt, gründen sich die Auftriebsrechte der einzelnen Anwesen auf den § 63 der Gemeindeordnung.“ Alles klar?

2. Was man so alles im historischen Tiroler Grundbuch findet!

SCHULGEMEINDEN UND ANDERE

Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, „Schulgebäude“ würden, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ sei, „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen sein“ (Pkt 6). Eine derartige „dritte Person“ fanden die Grundbuchsanlegungsbeamten eben in speziellen „Schulgemeinden“: So wurden in der KG Längenfeld bei diversen, Schulzwecken gewidmeten Liegenschaften nicht die Schulen als solche, sondern folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schulgemeinde Bruggen“, „Schulgemeinde Dorf und „Schulgemeinde Unterried“. Der gegenteilige Vorgang zeigt sich bei „Schießstattgemeinden“: Hier erfolgte, vielleicht in Anlehnung an die für Schulen getroffene Anordnung, gerade nicht die Verbücherung einer „Gemeinde“, sondern des jeweiligen Schießstandes selbst: Als Rechtsträger begegneten daher zum Beispiel der „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, der „k.k. Gemeindeschießstand Längenfeld“ der „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder der „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“. Dies stand im Widerspruch zur Anordnung, es sei „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; in diesem Sinne erfolgte – typischerweise erst Jahrzehnte nach der Grundbuchsanlegung – eine Berichtigung auf den wahren Rechtsträger, also einen Schützenverein bzw eine „Schützengilde“. Schulgemeinden wurden in der Regel auf politische Ortsgemeinden berichtigt.

Im Rahmen der Grundbuchsanlegung begegneten nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“, in der Regel aus „Gemeinden“ oder „politischen Gemeinden“ zusammengesetzt. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg“, das „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“, der „Rustikalgerichtsfond Sillian, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“, das „Zweidrittelgericht Landeck“ oder die „Gedingstatt Zams“. Weitere Beispiele für „überörtliche Realgemeinden“ sind die „Pfarrgemeinde Breitenwangbestehend aus den Gemeinden Ehenbichl, Pflach, Reutte und Breitenwang“, die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“, die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“, die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“, die „Zwei Drittel Galtalpinteressentschaft“, die „Landdrittel Alpinteressentschaft“, die „Waldgemeinschaft Kappl–See“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg–Radfeld“. Einen besonderen Fall findet man in Mutters; hier bilden mehrere quotenlose Gemeinschaften – die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“, die „Nachbarschaft Raithis“ und die „Gemeinde Kreith“ – gemeinsam eine Miteigentümergemeinschaft nach Quoten. Teilweise konnten diese „überörtlichen Realgemeinden“ öffentlichen Interessen gewidmet sein, teilweise waren sie der privaten Nutzung durch die beteiligten „Wirtschaftseinheiten“ vorbehalten.

Weiters wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen, worauf schon 1982 die Tiroler Landesregierung hingewiesen hatte. Beispiele dafür lassen sich jedenfalls nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld), Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle), Reith bei Seefeld sowie Zamserberg; hier fanden sich als Eigentümer sowohl die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“.

VIER „GEMEINDEN MUTTERS“?

Mit den „überörtlichen“ Gemeinden einerseits bzw den Katastralgemeinden andererseits sind jene Erscheinungen zu vergleichen, bei denen als Eigentümer nicht einfach „Gemeinden“ mit jeweils einem einzelnen (geographischen) Namenszusatz verbüchert wurden, sondern bei denen eine genauere Definition dieser Eigentümerpersönlichkeiten durch einen weiteren Zusatz erfolgte, nämlich „Gemeinden ohne …“ oder „Gemeinden mit Ausschluss …“ bestimmer Objekte. Von Gemeinden ausgenommen wurden meist bestimmte „Nachbarschaften“ oder „Weiler“, die dann im Gegenzug über eigenes Liegenschaftsvermögen verfügten. Dies ist etwa der Fall in der bereits erwähnten KG Mutters, wo einerseits die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“ , andererseits die „Nachbarschaft Raithis“ begegnet, darüber hinaus aber auch eine schlichte „Gemeinde Mutters“ wohl als „Gesamtgemeinde“ sowie sogar ausdrücklich eine „Gemeinde Mutters einschließlich der Nachbarschaft Raithis“ , letztere sozusagen als Gegenstück zur „Gemeinde ohne…“.

„GEMEINDE SCHARNITZ MIT AUSSCHLUSS DER NACHBARSCHAFT INNRAIN“

Vergleichbares findet sich in der KG Kematen mit der „Gemeinde Kematen ohne Afling“ (in der benachbarten KG Grinzens abgewandelt definiert als „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ ), der „Nachbarschaft Afling“ , der „Gemeinde Kematen“ sowie schließlich der „Gemeinde Kematen mit Afling“ . Weitere Beispiele sind die KG Grinzens mit dem „Weiler Neder“ und der „Gemeinde Grinzens ohne Neder“ , die KG Scharnitz mit der „Gemeinde Scharnitz“ , der „Nachbarschaft Innrain“ und der „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ oder die KG St. Sigmund mit der „Gemeinde St. Sigmund“ , der „Nachbarschaft Praxmar“ sowie der „Gemeinde St. Sigmund mit Auschluss der Nachbarschaft Praxmar und der Höfe in Kreuzlehen (…)“ . In allen diesen Fällen aus der „Frühzeit“ der Tiroler Grundbuchsanlegung – in Kematen und St. Sigmund wurden die Grundbücher 1899, in Mutters 1900, in Grinzens 1901 und in Scharnitz 1905 eröffnet – gab es demnach zwei bis vier verschiedene „Gemeinden“; die verschiedenen Ausprägungen von „Gemeinde“ wurden dabei kommentarlos als jeweils eigenständige Rechtsträger in jeweils eigenen Grundbuchsanlegungsprotokollen behandelt, die inhaltlich in keinem Bezug miteinander standen.

Die Eigentumsverhältnisse in der eben erwähnten KG St. Sigmund zeigen übrigens, dass die Exklusion aus Gemeinden („Gemeinde ohne…“) kein zwingendes Merkmal der „Nachbarschaften“ war. In der KG St. Sigmund wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung neben der „Nachbarschaft Praxmar“ drei weitere „Nachbarschaften“ als Eigentümerinnen einverleibt, nämlich die „Nachbarschaft Gleirsch“, die „Nachbarschaft Haggen“ und die „Nachbarschaft Peida“; dazu kam noch eine „Alpgenossenschaft Kraspes“. Ausschließlich diese „Alpgenossenschaft Kraspes“ wurde bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung aufgelöst und in realrechtlich gebundenes Miteigentum überführt.

Hinsichtlich einiger – nicht jedoch aller (!) – der „Nachbarschaft Gleirsch“ zugeordneten Liegenschaften erfolgte später eine entsprechende Klarstellung durch die politische Ortsgemeinde St. Sigmund: Sie erklärte mit Gemeindeausschussbeschluss vom 19. Juni 1912, dass die Eigentümerin dieser Liegenschaften in Wahrheit eine realrechtlich gebundene Miteigentumsgemeinschaft sei, zusammengesetzt aus drei Stammsitzen zu unterschiedlichen Anteilen. Damit nahm die politische Ortsgemeinde 1912 eine Funktion wahr, die nach TRRG 1883 und TRLG 1909 eigentlich Kompetenz der Agrarbehörde gewesen wäre; sie agierte quasi „in agrarbehördlicher Funktion“.

Eine andere Variante der „Gemeinde ohne…“ existierte im Grundbuch der zuvor genannten KG Prägraten, nämlich eine „Gemeinde ohne Fraktion“: Die „Gemeinde Virgen ohne Fraktion Mitteldorf“ besaß nach den Ergebnissen der Grundbuchsanlegung im Gemeindegebiet von Prägraten Miteigentum mit „Gemeinde Prägraten“. Fraktionen waren in den Tiroler Grundbüchern allenthalben zu finden und sind dies teilweise auch bis heute. Dies und der Umstand, dass der Fraktionsbegriff mehrdeutig und im Hinblick auf die Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts besonders umstritten ist, rechtfertigen eine gesonderte, ausführliche Betrachtung des „Fraktionseigentums“.

Siehe dazu „Fraktion ist eine Nachbarschaft