Auch wir waren
Gemeinde!

Agrargemeinschaften in Tirol. Entschädigungslose Enteignung der Tiroler Bauern im 21. Jhdt
Hermann Hörtnagl, Obmann der Agrargemeinschaft Unterperfuß, erklärt die falschen Grundbucheintragungen auf „Gemeinde“ damit, dass die Bauern Ende des 19. Jahrhunderts ihre jeweilige Dorfgemeinschaft mit der Gemeinde identifizierten. Ein Unterschied zwischen dem alten Gemeinschaftsvermögen und dem Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde sei ihnen nicht aufgefallen.

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Auch wir waren Gemeinde

Herman Hörtnagl widerspricht wehement der vorherrschenden Meinung, wonach die Agrarbehörde in Tirol die Ortsgemeinden enteignet hätte.  Hörtnagl: „Es widerspricht den wahren historischen Verhältnissen eindeutig, wenn heute behauptet wird, dass die Agrarbehörde im Zuge der Regulierungsverfahren die heutigen Ortsgemeinden enteignet hätte. Vielmehr war die Grundbucheintragung auf `Gemeinde Unterperfuss´ schlicht und einfach falsch.“

Hermann Hörtnagl, geb. 14.03.1957, seit 2014 Obmann der Agrargemeinschaft Unterperfuß, Vater von vier Kindern, ist Eigentümer des Hörtnaglhofes in Unterperfuß, samt dem damit verbundenen Mitgliedschaftsrecht an der Agrargemeinschaft Unterperfuß. Seit jeher waren sämtliche Stammliegenschaftsbesitzer von Unterperfuß zu gleichen Teilen am unverteilten Besitz der historischen „Wirtschaftsgemeinde Unterperfuß“ beteiligt.

Seit 1950 ist dieser Gemeinschaftsbesitz als Agrargemeinschaft organisiert. Noch im Jahr 1967, Hermann Hörtnagl war damals gerade zehn Jahre alt, haben die damaligen Mitglieder der Agrargemeinschaft Unterperfuß ein letztes Mal solchen Gemeinschaftsgrund aufgeteilt, den so genannten „Bach-Acker“. Dies mit dem „Segen“ der Agrarbehörde und per Agrarbehördenbescheid! Niemand im ganzen Land hatte dagegen etwas einzuwenden.

Hermann Hörtnagl: „Bereits im Februar 1941 haben sich unsere Vorfahren an die Agrarbehörde gewandt mit dem Antrag, die Gemeinschaftsliegenschaften der alten `Wirtschaftsgemeinschaft Unterperfuß´ zu regulieren. Diese waren im Grundbuch missverständlich als `Gemeinde Unterperfuß´ angeschrieben, was zu Problemen geführt hatte. Geschehen ist aber nichts und es musste im März 1947 ein neuer Antrag gestellt werden. Erst da hat die Agrarbehörde reagiert. Im August 1950 wurde dann das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft Unterperfuß festgestellt. Dies völlig zu Recht, weil das Grundbuch falsch war.“

 

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Nur Miteigentümer können untereinander teilen

Hermann Hörtnagl ist felsenfest davon überzeugt, dass die ursprüngliche Grundbucheintragung auf „Gemeinde Unterperfuß“ falsch war, weil ein Agrarbehördenprotokoll aus dem Jahr 1953 in allen Einzelheiten erklärt, warum die Unterperfer Gemeinschaftsliegenschaften, obwohl Eigentum der Wirtschaftsgemeinschaft der Unterperfer Bauern, im Jahr 1902 im Grundbuch als „Gemeindegründe“ erfasst wurden. „Die Bauern haben es damals nicht besser gewusst, weil sie sich als `Gemeinde´ betrachteten und dem Grundbuchjuristen war das offensichtlich Recht!“ Zur Illustration zieht Hermann Hörtnagl die Kopie eines Agrarbehördenprotokolls aus der Tasche. Dieses ist handgeschrieben und stammt vom damaligen Oberregierungsrat Dr. Oswald Vogel, damals Leiter der Tiroler Agrarbehörde. Dokumentiert ist eine Verhandlung im Gemeindeamt in Unterperfuß am 17. März 1953, wo der Besitzstand der Agrargemeinschaft Unterperfuß überprüft wurde. Die Parteien erklärten übereinstimmend, dass auch das Wohnhaus Unterperfuß Nr 1 samt Garten ein Eigentum der Agrargemeinschaft Unterperfuss sei. Dieses Haus samt Garten war ursprünglich bei der Erfassung des Eigentums der alten Wirtschaftsgemeinschaft der Unterperfer Bauern vergessen worden.

Die Grundbucheintragung war falsch!

Folgendes wird dazu im Behördenprotokoll vom 17. März 1953 festgestellt: „Die Liegenschaft Unterperfuß 1 habe in der Zeit 1870 bis 1880 Gervasius K. gehört, der wegen Geisteskrankheit die Wirtschaft nicht mehr weiterführen konnte. Die neun Bauern haben die Landwirtschaft samt Gebäuden und Grundstücken gegen Leistung des vollen Unterhaltes an K. in den 1870iger Jahren übernommen und seither gemeinschaftlich genutzt. Die neun Bauern haben sich damals als Gemeinde bezeichnet, weil außer ihnen kein Besitzer in der Gemeinde war und daher niemand daran dachte, zwischen Gemeinde und den neun Besitzern zusammen einen Unterschied zu finden. Tatsächlich haben die neun Besitzer nach der Übernahme den Unterhalt für K. gemeinschaftlich voll bestritten und auch das Anwesen allein genützt. Beim Bau der Arlbergbahn errichteten sie im Haus Unterperfuß Nr. 1 eine Kantine und schließlich einen Gastwirtschaftsbetrieb. Auch dann noch haben sich die neun Bauern als Gemeinde – mit heutigem Ausdruck als Gemeinschaft – betrachtet, welcher der Gastbetrieb gehört und die Konzession haben sie auf die Gemeinde Unterperfuß erwirkt, als welche sie sich betrachteten und fühlten.“
Der Gemeindevertreter Anton Kössler hat laut diesem Behördenprotokoll den Sachverhalt als richtig bestätigt und er hat ausdrücklich anerkannt, dass die Liegenschaft Eigentum der neun Bauern war.

Hermann Hörtnagl: „Die neun Bauern von Unterperfuß haben sich damals als Gemeinde bezeichnet, weil außer ihnen kein Besitzer in der Gemeinde war und daher niemand daran dachte, zwischen Gemeinde und den neun Besitzern zusammen einen Unterschied zu finden. Deshalb haben sie auch im Jahr 1902, als die Grundbuchanlegung in Unterperfuß erfolgte, das Eigentum auf `Gemeinde Unterperfuß´ eintragen lassen!“

Hermann Hörtnagl: „Als der Agrarstreit 2008 losging, wusste ich lange nicht, wie ich mit dem Verdacht eines unrechten Erwerbes umgehen sollte. Schließlich war unser Gemeinschaftsbesitz im Jahr 1902 tatsächlich auf `Gemeinde´ im Grundbuch erfasst worden. Seit ich dieses Protokoll gelesen habe, ist mir klar, dass unsere Vorfahren unter dem Begriff „Gemeinde Unterperfuß“ ihre Nachbarschaft verstanden haben. Wie das Behördenprotokoll vom März 1953 festhält: `Die neun Grundbesitzer haben sich damals als Gemeinde bezeichnet, weil außer ihnen kein Besitzer in der Gemeinde war und daher niemand daran dachte, zwischen Gemeinde und den neun Besitzern zusammen einen Unterschied zu finden.´ Objektiv war die Grundbucheintragung von 1902 somit falsch und keiner hat das bemerkt! Erst die Agrarbehörde hat die Verhältnisse im Zuge des Regulierungsverfahrens richtig gestellt. Es widerspricht den wahren historischen Verhältnissen eindeutig, wenn heute behauptet wird, dass die Agrarbehörde im Zuge der Regulierungsverfahren die heutigen Ortsgemeinden enteignet hätte. Vielmehr war die Grundbucheintragung auf `Gemeinde Unterperfuss´ schlicht und einfach falsch.“


MP

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