„Verjährtes Eigentum der Gemeindeglieder“ im Jahr 1819

Im Jahr 1814 war Tirol wieder mit dem Kaisertum Österreich vereinigt worden. Unter der französisch-bayrischen „Zwischenregierung“ hatten zahlreiche Gewaltmaßnahmen die traditionelle Ordnung gestört. Auch die Einteilung der lokalen Dorfgemeinden war davon betroffen. Im jahr 1819 verfügt Kaiser Franz I für Tirol und Vorarlberg die Wiederherstellung der Gemeinden in den Grenzen bis 1805.

Von genereller Bedeutung ist die Begründung, die im Gesetzestext für diese Maßnahme gegeben wird – das offen gelegte Motiv der kaiserlichen Verwalter: Die Einteilung der Gemeinden in den Grenzen bis 1805 ist wiederherzistellen, weil diese Einteilung

mit dem verjährten Eigentum der Gemeindeglieder
über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten
vollkommen übereinstimmt.

Zusammenfassung: Wenn im weiteren Verlauf der Tiroler Geschichte die Allmenden („die gemeinschäftlichen Güter und Realitäten“) zum Gegenstand gesetzlicher Regelungen wurden (insbes. Forstregulierungspatent 1947), dann muss man auch vor Augen haben, dass die kaiserliche Verwaltung schon einmal – nämlich im Jahr 1819 – ein Eigentum der Tiroler Nachbarschaften (= Dorfgemeinden = Summe der Gemeindeglieder) anerkannt hatte.

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1819: Die Tiroler Dorfgemeinden werden wiederhergestellt und politisch und steuertechnisch neu aufgestellt!

Nach der Niederlage Österreichs gegen Napoleon musste die Grafschaft Tirol im Frieden zu Preßburg 1805 an den Feind abgetreten werden. Die bayrische Herrschaft beseitigte die Mitwirkungsrechte der Landstände und versuchte Tirol als Provinz eines modernen Zentralstaates umzugestalten. Ein neuerlicher Krieg zwischen Österreich und Frankreich im Jahr 1809 gab den Ausschlag für die Tiroler Freiheitskämpfe. Im Frieden von Schönbrunn am 14. Oktober 1809 musste Kaiser Franz I. erneut förmlich auf Tirol verzichten. Die Tiroler Aufgebote wurden zwei Wochen später am 1. November 1809 (vierte Schlacht am Bergisel) besiegt. 1810 folgte die Aufteilung der Grafschaft auf das Königreich Bayern (Nordtirol sowie Südtirol bis Klausen und Meran sowie das Pustertal bis Welsberg), das Kaiserreich Frankreich bzw. die von Napoleon geschaffene Provinz Illyrien (das Hochpustertal ab Toblach und Osttirol) und das (napoleonische) Königreich Italien (Südtirol südlich von Klausen und Meran sowie Italienischtirol). Als die Grafschaft Tirol 1814 wieder unter die österreichischen Länder der Habsburger eingereiht wurde, mussten Verwaltung und Justiz reorganisiert werden. Dies betraf insbesondere die alte Gerichtseinteilung; die „Gerichte“ waren damals auch Vollzugsbehörden, vergleichbar den heutigen Bezirkshauptmannschaften. „Reorganisation“ war – nach der dringenden Empfehlung des Guberniums für Tirol und Vorarlberg – auch für die Tiroler Gemeinden angeraten.

Mit allerhöchster Entschließung vom 14. August 1819 betreffend die Regulierung der Gemeinden und ihrer Vorstände („Gemeinderegulierungspatent – GRP 1819“ – Provinzialgesetzgebung von Tirol und Vorarlberg, Band 6, Innsbruck 1823, Nr 168/1819, 755 ff, Die Regulierung der Gemeinden und ihrer Vorstände in Tirol und Vorarlberg betreffend vom 26. Oktober 1819) errichtete Kaiser Franz I. eine eigenständige gesetzliche Regelung für Tiroler und Vorarlberger Gemeinden. Es wurde eine politische Gemeinde definiert, welche unterste Ebene der staatlichen Verwaltung war und zugleich Steuergemeinde. Als Gemeindeglied dieser politischen Einrichtung war jeder Untertan anerkannt, der aus dem Gemeindegebiet steuerpflichtige Einkünfte lukrierte; dies unabhängig vom Wohnsitz. Die politische Gemeindemitgliedschaft knüpfte nach der gesetzlichen Regelung gerade nicht beim Wohnsitz (modern gesprochen: dem Mittelpunkt der Lebensinteressen) an, sondern eben beim Faktum der steuerpflichtigen Einnahmen aus dem Gemeindegebiet. Die Klarstellung des Gesetzgebers, „die bloße Einwohnung bringt die Eigenschaft eines Gemeindegliedes nicht hervor“ (§ 1 GRP 1819), könnte nicht mehr deutlicher sein. Mit der grundsätzlich demokratischen Konzeption, welche der heutigen politischen Ortsgemeinde schon durch das provisorische Gemeindegesetz 1849 zu Grunde gelegt wurde, hatte dieses Konzept einer staatlichen Einrichtung auf der Ebene des lokalen Siedlungsverbandes nichts gemein. Theoretisch denkbar wäre eine GRP-Gemeinde, welche sich ausschließlich aus auswärtigen Grundbesitzern zusammensetzt. Die fremden Grund bewirtschaftenden Einwohner der Katastralgemeinde hätten unter solchen Bedingungen keinerlei politische Beteiligungsrechte. Als politisches Beteiligungsrecht wurde den „GRP-Gemeindegliedern“ unter anderem das aktive und passive Wahlrecht zu den politischen Gemeindeorganen eingeräumt.

Unter einem wurde mit dem Gemeinderegulierungspatent 1819 die Einteilung der Gemeinden genauso wiederhergestellt, wie diese bis 1805 bestanden hatte, „da diese Einteilung mit dem verjährten Eigentume der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten vollkommen übereinstimmt, durch die Steuerkataster wesentlich befestigt und durch das alte Herkommen geheiligt wird“ (GRP 1819, § 3 2. Satz). Ausdrücklich wurde angeordnet, dass die Verfügungen der italienischen und der illyrischen Regierungen, welche verschiedene Gemeinden in „Comunen“ zusammengezogen und Güter einzelner Gemeinden in „Comunal-Vermögensmassen“ vereinigt hatten, null und nichtig seien (GRP 1819, § 4 Abs 1).

Wiederherstellung der Dorfgemeinden nach altem Herkommen

Das Gemeinderegulierungspatent 1819 definierte eine politische Gemeinde, welche zugleich Steuergemeinde war. Wie schon der Gesetzwerdungsprozess des § 288 ABGB (1811), so zeigt auch das Gemeinderegulierungspatent 1819 (GRP 1819) verschiedene Bedeutungen des Begriffes „Gemeinde“.

In § 1 Abs 1 GRP 1819 wird eine Steuergemeinde definiert, deren Mitglieder politische Rechte genießen, wobei die bloße „Einwohnung“ gem § 1 Abs 2 GRP 1819 ausdrücklich für irrelevant erklärt wurde. Aktives und passives Wahlrecht zu den (politischen) Gemeindeorganen besaß derjenige, der auf Gemeindegebiet steuerpflichtige Einkünfte lukrierte – unabhängig vom Wohnsitz. Mitgliedschaft bei mehreren dieser GRP-Gemeinden wurde danach in Kauf genommen. § 2 GRP 1819 legitimierte den Fortbestand von althergebrachten Einkaufsregelungen, wonach der Eintritt in die politische (bzw die Steuer-) Gemeinde von Geldleistungen an die Gemeindekasse abhängig gemacht werden konnte (Jäger, Einkaufsordnungen in Nordtirol, Tiroler Heimat 1999, 193 ff).

§ 3 und § 4 Abs 1 GRP 1819 beziehen sich der Sache nach auch auf die Dorfgemeinden bzw Agrargemeinden und ihrem Liegenschaftsbesitz: Es wird die Wiederherstellung der Grenzen vor 1805 angeordnet und implizit ein Eigentumserwerb durch Ersitzung „an den gemeinschäftlichen Gütern und Realitäten“ anerkannt. Die weiteren Bestimmungen des GRP 1819 widmen sich ausschließlich der an das steuerpflichtige Einkommen anknüpfenden politischen Gemeinde und deren politischer Repräsentation.

Zusammenfassung: Wenn im weiteren Verlauf der Tiroler Geschichte die Allmenden („die gemeinschäftlichen Güter und Realitäten“) zum Gegenstand gesetzlicher Regelungen wurden (insbes. Forstregulierungspatent 1947), dann muss man auch vor Augen haben, dass die kaiserliche Verwaltung schon einmal – nämlich im Jahr 1819 – ein Eigentum der Tiroler Nachbarschaften (= Dorfgemeinden = Summe der Gemeindeglieder) anerkannt hatte.

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Allerhöchste Entschließung vom 14. August 1819 zur „Regulierung des Gemeindewesens in Tirol und Vorarlberg“, ProvGSTirVbg 1819 / CLXVIII:

„§ 3 GRP 1819. „Die Einteilung der Gemeinden ist genau wieder so herzustellen, wie sie ehemals unter der k.k. österreichischen Regierung bis zum Jahr 1805 bestanden hat; da diese Einteilung mit dem verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten vollkommen übereinstimmt, durch die Steuerkataster wesentlich befestigt und durch das alte Herkommen geheiligt wird.“

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Allerhöchster Entschließung vom 14. August 1819 zur „Regulierung des Gemeindewesens in Tirol und Vorarlberg“, ProvGSTirVbg 1819 / CLXVIII

Seine k.k. Majestät haben mit allerhöchster Entschließung vom 14. August des Jahres 1819 und hoher Eröffnung der hochlöblichen vereinigten Hofkanzlei vom 25. darauf Zahl 26522-2282, den Anträgen zur Regulierung des Gemeindewesens in Tirol und Vorarlberg unter folgenden Bestimmen, die allerhöchste Genehmigung zu erteilen geruhet:

I. Von der künftigen Gemeinderegulierung überhaupt.

§ 1 Als Mitglieder einer Gemeinde, welche auch zu den Gemeindelasten beizutragen haben, werden alle diejenigen erklärt, welche in dem Umfange der Gemeinde besteuerte Gründe, oder Häuser, oder Grundzinse und dergleichen eigentümlich, oder pachtweise besitzen, und diejenigen, welche in der Gemeinde ein Gewerbe oder einen Erwerb ausüben.
Der Umstand, ob die Gemeindeglieder in der Gemeinde wohnen, oder nicht, begründet keinen Unterschied, und die bloße Einwohnung bringt die Eigenschaft eines Gemeindegliedes nicht hervor.

§ 2 In Beziehung der bei einigen Gemeinden Tirols und Vorarlbergs aus alter Übung bestehenden wahlmäßigen Aufnahme, und der Einkaufung der Gemeindeglieder, wird nachträglich entschieden werden, ob es bei dieser Übung, wenn sie auf guten Gründen beruht, da, wo sie besteht, ferner werde belassen oder ob sie zum Vorteile der Gemeindekasse allgemein werbegestattet werden.

§ 3 Die Einteilung der Gemeinden ist genau wieder so herzustellen, wie sie ehemals unter der k.k. österreichischen Regierung bis zum Jahr 1805 bestanden hat; da diese Einteilung mit dem verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten vollkommen übereinstimmt, durch die Steuerkataster wesentlich befestigt und durch das alte Herkommen geheiligt wird.

§ 4 Die Verfügung der italienischen und illyrischen Regierung, wonach die vormaligen Gemeinden teils zerrissen, teils in Communen zusammengezogen und die Güter der einzelnen Gemeinden oder Gemeindeteile zur gemeinschäftlichen Communal-Vermögensmasse vereinigt worden sind, muss daher aufgehoben und durch die Wiederherstellung der vormaligen Gemeinde-Einteilung ersetzt werden.
Bloß im Ansehen der Steuereinteilung hat die gegenwärtige Gemeinde-Einteilung, soferne solche von der künftigen verschieden ist, und wo Kontrakte mit kautionierten Steuereinhebern bestehen, so lange fortzudauern, bis die Dauer dieser Kontrakte abgelaufen ist, wonach die Kontrakte über die Steuereinhebung gemäß der durch gegenwärtige Vorschrift festgesetzten Gemeindeeinteilung wie in den folgenden §§ bemerkt ist, zu errichten wären.

II. Von der Regulierung der Landgemeinden

§ 5 Jede Gemeinde hat aus ihrer Mitte
a) einen Gemeindevorsteher
b) zwei Gemeindeausschüsse
c) einen Gemeindekassier, wie es durch die mittels Gubernialzirkular vom 3. April 1816 Zl 7624 neuerlich bekanntgegebene Gubernialvorschrift vom 31. Oktober 1785 befohlen ist und endlich
d) einen eigenen Steuereintreiber zu wählen oder einen kautionierten Steuereinheber aufzustellen, oder wenn schon einer kontraktmäßig besteht, denselben durch die Dauer des Kontrakts fortbestehen zu lassen.

§ 6 Die Wahl dieser Individuen soll von dem landesfürstlichen oder Patrimonial-Gericht, dem die Gemeinde untersteht, jedes Mal bestätigt werden. Daher es diesen Gerichten auch frei steht, die ihrem Ermessen nach verwerflichen Individuen, soferne nicht schon besondere Vorschriften darüber bestehen, oder nachfolgen, gegen Vorbehalt des Rekurses ganz auszuschließen.

§ 7 Die Vereinigung zweier dieser Ämter in einer Person, darf der Natur der Sache nach, nicht gestattet werden.

§ 8 Der Gemeindevorsteher hat die Ordnung, und die Polizei handzuhaben, die Ausschüsse haben ihm dabei an die Hand zu gehen und ihn zu vertreten, wenn er abwesend oder krank ist.

§ 9 Der Gemeindekassier, der das Gemeindevermögen, sei es nun groß oder klein, verwaltet, wird durch den Vorsteher und durch die Ausschüsse bei seinem Amt kontrolliert.

§ 10 Der auf eben diese Weise zu kontrollierende Steuereintreiber hat in der Gemeinde nur die Steuern einzutreiben, welche mit den Gemeindegeldern vorschriftsmäßig nicht vermengt werden dürfen.

§ 11 …

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Die „regulierte“ Gemeinde von 1819