Die Glaserbäuerin in Tulfes will’s wissen

Wie das Gemeindegut in Tulfes entstanden ist

Bereits 1951 hatte die Glaserbäuerin Maria Feichtner beim Obersten Agrarsenat in Wien die Entscheidung erwirkt, dass der Nachbarschaftswald in Tulfes kein Gemeindegut sei. Der Oberste Agrarsenat hatte erkannt, dass die Ortsgemeinde zu Unrecht im Grundbuch eingetragen war. 1849 haben die Tulfer Nachbarn eine Servitutenablösung vereinbart: Der eine Teil des Hochwaldes wurde Nachbarschaftseigentum, der andere Teil nutzungsfreier Staatswald. So sind der Bundesforstwald und der Agrargemeinschaftswald in Tulfes entstanden. Heute soll auch der Agrargemeinschaftswald wieder Staatseigentum sein, über das die Ortsgemeinde verfügt.

Der Name der Nachbarschaft Tulfes ist erstmals nachgewiesen in einer Urkunde der Benediktiner-Abtei St. Georgenberg aus dem Jahr 1266. Die Vogtei über die Nachbarschaft wurde der Abtei

übertragen. Die älteste Urkunde der Nachbarschaft selbst verwahrt das Tiroler Landesarchiv. Am 29. Mai 1550 wurde ein Vergleich über den Tulfer Wald errichtet. Parteien waren die „Ehrsame Nachtperschafft zu Tulfs Vorperg“ und das „firstliche Pfannhaus Ambt zu Hall im Ynntal“, der staatliche Salinebetrieb. Anlass waren Beschwerden der „Pfannhaus Ambtsherren“, weil die „gemain Nachtperschafft zu Tulfs“ sich unterstehen würde, „je länger je mehr hinauf in den Ambtswald zu greifen und dort das Holz niederzuschlagen“. Die Urkunde dokumentiert die Grenzfestlegung und deren Vermarkung: Unterhalb der vermarkten Grenze ist „Nachtperschaft zu Tulfs Vorperg und gemainer Wald“; oberhalb derselben „Amtswald“ im Eigentum des Landesfürsten. Gleichzeitig wurden die Rechte der „Nachtpern zu Tulfs und ihrer Nachkommen“ auf Holzbezug aus dem Amtswald reguliert: Den Nachbarn sollte „Kachlofen, Schintl und Pfreten Holz, auch Saag und Zimerholz zu irer gebirenden Haußnottdurft“ nach altem Herkommen durch den „Ambtswaldmaister vergunnt und bewilligt“ werden. Schließlich wurde von der Saline zugestanden, dass ausschließlich die Tulfer Nachbarn das Holz im Tulfer Amtswald für den Salinebetrieb „hacken, verkohlen und liefern“ dürfen; dies gegen „gebirliche Besoldung“.

WALDTEILUNG IN TULFES

Im Jahr 1638 wurde der „gemaine Wald“ um das Dorf aufgeteilt. So sind ca. 500 Waldteile in der Größe von jeweils weniger als 1,1 ha entstanden. Im Jahr 1848 wurden diese Waldparzellen als Privateigentum anerkannt. Die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Hall dokumentiert, dass diese Waldung laut Steuerkataster „frei luteigen“ sei. Die Grundbuchanlegung fasste im Jahr 1904 alle Waldteile in einer Einlagezahl zusammen und schrieb das Eigentumsrecht einer Nachbarschaft zu. Mit „Teilwälder-Übertragungsurkunde“ vom Februar 1935 wurden diese Waldparzellen den jeweiligen Besitzern der Waldteile in das Eigentum übertragen. Die Urkunde erklärt, dass diese Nachbarschaft in Wahrheit eine „Agrargemeinschaft (Realgemeinde)“ sei, die nun aufgeteilt würde. Das Eigentum der einzelnen Tulfer Nachbarn an diesen Waldteilen ist auch heute unbestritten.

Mit Gesetz vom 6. Februar 1847, dem Tiroler Forstregulierungspatent, hat Kaiser Ferdinand I. die Ablösung der Holznutzungsrechte in den Tiroler Staatswäldern angeordnet. Den Stamm­liegenschaftsbesitzern sollte zur Ablösung ihrer Rechte ein Gemeinschaftseigentum an einem Teil des belasteten Staatswaldes angeboten werden. Die Tulfer haben das kaiserliche Angebot angenommen: Mit Servitutenablösungsvergleich vom 14. März 1849 wurden ihre Rechte im Tulfer Amtswald abgelöst. Moritz von Kempelen, k. k. Berg- und Salinen-Direktions-Sekretär berichtete am 6. Juni 1849 Folgendes an das Ministerium für Landeskultur und Bergwesen in Wien: Gemäß einer Urkunde vom Jahre 1550 ist den Tulfern das Recht zugesichert, aus dem Amtswald das „Bach-, Kachl-, Ofen-, Schintl-, Spalten-, Sag- und Zimmer-Holz zu ihren gebührenden Hausnotdürften“ zu beziehen. Diese Holzbezugsrechte seien im Steuerkataster eingetragen und würden als veräußerlich betrachtet. Es handle sich um 77 ½ Holzteile à zwei Klafter jährlich, wobei zusätzlich das nötige Bau-, Brunnröhren- und Stangenholz bezogen würde. Zur Ablöse dieser Rechte seien 591 Jauch produktiven Bodens aus dem Amtswald als Eigentum der Nachbarn vorgesehen. Zur Abdeckung der Salinebedürfnisse würden als nutzungsfreier Staatswald 370 Jauch produktiver Waldboden verbleiben. Die Tulfer würden dort auf alle Rechte verzichten. Der Landeskulturminister Ferdinand Ritter von Thinnfeld hat den Vergleich am 25. Jänner 1850 genehmigt.

FORSTSERVITUTENABLÖSUNG IN TULFES

Die Nachbarn von Tulfes hatten somit auf ihre Holzbezugsrechte auf Staatsgrund verzichtet; im Gegenzug hatten sie einen Teil des ursprünglich belasteten Grundes als Gemeinschaftseigentum erhalten. Von 961 Jauch staatlichen Waldbodens insgesamt entfielen 591 Jauch auf die Nachbarn von Tulfes, heute Gp 1857/1 Grundbuch Tulfes im Ausmaß von 255 ha; 370 Jauch hat die Servitutenablösungskommission für den Staat zurückbehalten, heute Gp 1858/1 im Ausmaß von 134 ha. Die Kommission hatte auf eine Teilung des seinerzeitigen Tulfer Amtswaldes in einen östlichen und einen westlichen Teil entschieden, wobei für den Staat der kleinere, westliche Teil Richtung KG Rinn vorbehalten wurde. Jenseits der Gemeindegrenze begegnet uns die Vorbehaltsfläche aus dem Servitutenablösungsvergleich mit den Rinner Nachbarn. Die heutigen Bundesforste als Verwalter der ehemals „aerarischen Wälder“ verfügen deshalb im Grenzbereich zwischen den Katastralgemeinden Tulfes und Rinn über ein geschlossenes Gebiet von heute insgesamt ca. 220 ha Waldfläche.

Im Oktober 1904 hatten die Grundbuchanlegungsbeamten die Rechtsverhältnisse zu beurteilen. Nach den Erhebungen sei der Hochwald in Gp 1857/1 in der Nutzung unter den Hofbesitzern der ganzen Gemeinde Tulfes so verteilt, dass das jährlich schlagbare Holz in 76 ½ Anteile (Lose) geteilt und verlost wird. Das Schnee- und Winddruckholz wird von der Gemeinde verkauft, der Erlös fließt nicht in die Gemeindekasse, sondern in eine abgesondert verwaltete Kasse, aus welcher die auf den Wald entfallenden Steuern, die Auslagen für Waldhüter, Weginstandhaltungen etc. bestritten werden. Im Steuerkataster vom Jahr 1787 findet sich bei den berechtigten Häusern bzw. Höfen folgende Bemerkung: „Derzeit wird ein ganzer (eventuell halber) Holzteil genossen. Das von den Berechtigten nicht zum Haus- und Gutsbedarf benötigte Holz kann ohne weiteres verkauft werden.“ Die Grundbuchsanlegung entschied: Die Gemeinde Tulfes sei Eigentümerin; die gesamte Holznutzung entfalle auf die Nachbarn als Servitutsberechtigte nach genau definierten Anteilen.

DIE GLASERBÄUERIN LEGTE BESCHWERDE EIN

In den 1940er Jahren entstanden Differenzen zwischen den Servitutsberechtigten und der Ortsgemeinde Tulfes. Die Ortsgemeinde hat Holzschlägerungen im „Gemeindewald“ vorgenommen, was Maria Feichtner vlg. Glaser und Genossen nicht dulden wollten. Über deren Beschwerde entschied die Agrarbehörde mit Bescheid vom 30. Dezember 1949, dass der Gemeinde Tulfes das Holzbezugsrecht auf Gp 1857/1 nur in dem Umfang zustehe, wie es ihr als Eigentümerin des Hauses Steinbriggen zukomme. Der gesamte Holznutzen sei in Form von Servitutsrechten auf 72 berechtigte Höfe aufgeteilt. Die Gemeinde sei Eigentümerin eines berechtigten Hofes. Dagegen erhob die Gemeinde Berufung an den Landesagrarsenat, der mit Erkenntnis vom 13. November 1950 entschied, dass ein Gemeindegut vorliege. Zur Regelung der Rechtsverhältnisse daran und um künftige Streitigkeiten ein für allemal auszuschließen, wurde das Regulierungsverfahren nach Flurverfassungsrecht eingeleitet und der Agrarbehörde aufgetragen, dieses durchzuführen.

Gegen das Erkenntnis des Landesagrarsenates erhoben die Glaserbäurin in Tulfes und Genossen Berufung an den Obersten Agrarsenat in Wien. Die Glaserbäurin wollte eine Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaft Gp 1857/1 als „Gemeindegut“ nicht akzeptieren. Mit Erkenntnis vom 2. Juni 1951 entschied der Oberste Agrarsenat wie folgt: Es sei weder von Servitutsrechten noch von Gemeindegut auszugehen. Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens stehe den jeweiligen Besitzern der Tulfer Höfe „weit mehr als ein bloßes Recht auf Holzbezug“ zu, nämlich „ein Anteilrecht an dem agrargemeinschaftlichen Gut“. Der Oberste Agrarsenat weiter: „Die irrige Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin des Gutes ist nur darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Grundbuchanlegung die alte Agrargemeinde mit der politischen Gemeinde irrtümlicherweise gleichgesetzt wurde.“

Auf dieser Grundlage wurde in der Folge das Regulierungsverfahren an der Liegenschaft Gp 1857/1 durchgeführt. Mit Bescheid vom 20. März 1954 entschied das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz, dass der Ortsgemeinde Tulfes ein Anteilsrecht von 10 % bzw. von 8 ½ Anteilsrechten zustehe; den 70 Nutzungsberechtigten wurden jeweils Anteilsrechte zwischen ½ und 2 ½ Anteilen zuerkannt. Mit Bescheid vom 23. Juni 1955 entschied das Amt der Tiroler Landesregierung über die Eigentumsverhältnisse an der Gp 1857/1: Das Eigentumsrecht stehe der Agrargemeinschaft Tulfes zu, die sich aus den Anteilsberechtigten zusammensetze. Die Dienstbarkeiten des Holzbezuges seien zu löschen, weil an deren Stelle das Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft trete. Die Nutzungen aus dem Eigentum und alle damit verbundenen Lasten seien nach den Anteilrechten zu tragen.

2013: GEMEINDEGUT WIRD GEFUNDEN

63 Jahre, nachdem der Oberste Agrarsenat ausgesprochen hatte, dass kein Gemeindegut vorliege, sondern Anteilsrechte an einem Gemeinschaftsgut, erkannte der Landesagrarsenat in Tirol mit Erkenntnis vom 19. Juni 2013, dass heute ein „atypisches Gemeindegut“ vorliege. Der Ortsgemeinde Tulfes sollen deshalb 100 % der Substanz und zusätzlich der Großteil der Holznutzung zustehen. Die übrigen Mitglieder der Agrargemeinschaft werden auf einen historischen Hof- und Gutsbedarf gekürzt. Eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos.