Vorgeschichte im
Königreich Böhmen

Inhalt:

Einführung
Streit um die Gemeindegründe in Böhmen
Debattenbeiträge des Dr. Johannes Zak

 

Einführung

Im Königreich Böhmen führte eine andere Ausgangslage bald nach Errichtung der modernen, politischen Ortsgemeinden in den 1860er Jahren grundlegend anderen Verhältnissen als man diese in Tirol gewohnt war. Während in Tirol der Gemeinschaftswald, die Gemeinschaftsalm und die gemeinschaftliche Heimweide durch den Ausschuss der neuen politischen Ortsgemeinde nach der TGO 1866 verwaltet wurde, weil in den Tiroler Dorfgemeinden in der Praxis nur Gemeindebürger wohnten, die auch Stammsitzeigentümer waren, war dies in Böhmen anders. In Böhmen standen die Stammsitzeigentümer  größeren Gruppen von neuen Gemeindebürgern gegenüber, die erst im Zuge der so genannten Grundentlastung Grundbesitzer und damit Steuerzahler geworden waren.

In Konsequenz der Grundentlastung wurden auch ursprünglich unfreie Bauern, die der lokale Grundherr auf seinen Eigengütern als Arbeitskräfte angesiedelt hatte, zu Grundbesitzern und Steuerzahlern. Gemäß den neuen Gemeindewahlordnungen war jedoch jeder Steuerzahler wahlberechtigt und er war damit Gemeindeglied. Verständlich, dass diese neuen Gemeindebürger, die oft sehr zahlreich waren – je nach der Ansiedelungspolitik, die der lokale Grundherr auf seinen Eigengütern gepflogen hatte – Ansprüche erhoben haben: „Wir sind nun auch Gemeindebürger und wollen Beteiligung an den Gemeindegründen!“ Rechtsstreitigkeiten um die „Gemeindegründe“ lagen somit in der „Böhmischen Luft“. Dies haben Advocaten und andere Rechtsberater zum Anlass genommen, um die Stammsitzeigentümer zu vorbeugenden Rechtsschritten zu motivieren.

STREIT UM DIE GEMEINDEGRÜNDE IN BÖHMEN

Karl Cizek , Verwaltungsjurist in Böhmen, beklagt in in einer Streitschrift aus dem Jahr 1879 Praktiken im Kronland Böhmen, wonach die Mitglieder der „alten Gemeinde“ [= die bisherigen Nachbarn; die Stammsitzeigentümer] die Errichtung der neuen politischen Ortsgemeinde zum Anlass genommen hätten, die neue politische Ortsgemeinde auf Anerkennung des Eigentumsrechtes an den „Gemeindegründen“ zu verklagen. In die neue politische Ortsgemeinde hätten nämlich zahlreiche neue Gemeindeglieder Aufnahme gefunden, die an der bisherigen Nachbarschaft (und damit am Nachbarschaftseigentum) nicht beteiligt waren. Diese forderten eine Beteiligung an den „Gemeindegründen“, was die Stammsitzeigentümer typischer Weise verweigert haben. Das Zivilgericht sollte deshalb entscheiden und feststellen, dass kein Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde vorlag.

Karl Cizek stellt sich in dieser Streitschrift aus dem Jahr 1879 als politischen Gründen auf die Seite der neuen Gemeindeglieder.
Die Glieder der Altgemeinde, in Böhmen „Rustikalisten“ genannt, würden das Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung für sich in Anspruch nehmen und sie würden von allen Zivilgerichten in Böhmen als wahre Eigentümer anerkannt. Die neuen politischen Gemeinden würden sämtliche Rechtsstreitigkeiten verlieren. Die „Rustikalisten“ würden in der Folge die als ihr Privatrecht erstrittenen „Gemeindegründe“ unter sich aufteilen, weshalb das Gemeindegut verschwinden würde, was Cizek aus ideologischen Gründen ablehnt. Beschwerden gegen diese Praxis und gegen derartige Urteile bei den politischen Behörden seien jedoch erfolglos geblieben.
(Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsrechtliche Studie (Prag 1879); ausführlich zu diesen Streitigkeiten auch Dr. Johannes Zak in seinem Debattenbeitrag im Reichstag 1883 aus Anlass der Beschlussfassung über das TRRG 1883 – dazu sogleich).

Diese Episode böhmischer Gemeindewirtschaft fand sogar in den Debatten der Abgeordneten bei der Beschlussfassung über die drei Agrargesetze des Jahres 1883 ihren Niederschlag: So schilderte der Abgeordnete Dr. Johannes Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, folgende Begebenheiten: „Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde – ich muss sagen als wirklich zu beklagender Kurator – derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe, welche 900 Metz sehr gute Gründe betragen, besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. Nun ist es wohl voraussichtlich, welchen Erfolg ich eben als Kurator in dem Prozess haben werde. Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden und so, meine Herren, geht es in sehr vielen, ja in den meisten Fällen.“ (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9234).

 

DEBATTENBEITRÄGE DES DR. JOHANNES ZAK

Berichterstatter des Commassionsausschusses, Advocat und Notar, Mitglied des Böhmischen Landesausschusses und Abgeordneter Dr. Johannes Zak:

Ich muss konstatieren, dass die Streitigkeiten zwischen den Klassen in den Gemeinden, oder, wenn sie wollen, zwischen der Gemeinde als solcher einerseits und zwischen den gewissen Singularristen auf der anderen Seite, auf der Tagesordnung sind. Wer einmal Gelegenheit hatte, die Agenda des Landesausschusses im Kronlande Böhmen – und ich glaube es wird in anderen Kronländer auch nicht anders sein – einzusehen, wird finden, dass das größte Perzent derselben Streitigkeiten um die so genannten Gemeindegründe sind. (Seite 9225)

Ich selbst habe einen Fall beim böhmischen Landesausschuss anhängig, der sich schon fünf bis sechs Jahre hinzieht und der böhmische Landesausschuss ist nicht in der Lage – ich kann ihm dies nicht verdenken – die Sache zu entscheiden, denn dieselbe ist so verworren und so schwierig, dass der Landesausschuss immer und immer wieder Erhebungen und Einvernehmungen von Gedenkmännern verfügt und dennoch immer nicht vorwärts kommt. Und wenn der Landesausschuss endlich einmal die Entscheidung gefällt haben wird, dann geht derjenige Teil, der mit der Entscheidung nicht zufrieden ist an den Verwaltungsgerichtshof und wenn er auch hier Sachfällig wird, betritt er den gerichtlichen Rechtsweg.

Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden und schließlich: Um was handelt es sich denn in den meisten gerichtlich anhängig gemachten Prozessen? Derjenige Teil, der mit der Klage auftritt, behauptet gewöhnlich, er habe das Eigentum der so genannten Gemeindegründe ersessen. Zu diesem Behufe findet er fast immer die Gedenkmänner, durch welche bewiesen wird, dass die altangesessenen das so genannte Gemeindegut von Alters her wirklich besessen, genutzt, verwaltet und daraus die Nutzungen gezogen haben und die Gerichte müssen selbstverständlich der Klage stattgeben. Das Gemeindegut wird sofort dem Einzelnen als ihr Privateigentum zuerkannt, die Gemeinde zahlt die Gerichtskosten und verliert ihr Vermögen.

Und doch hat man gemeint, es wären aus diesem Gesetze alle diejenigen Fälle auszuscheiden, wo es sich um das so genannte Gemeindegut handelt. Mit dem Gemeindegut hat es auch seine eigene Bewandtnis. Ich kenne sehr viele Fälle, wo das so genannte Gemeindegut überhaupt das Gemeindevermögen entweder im Kataster oder selbst im Grundbuch der Gemeinde zugeschrieben ist. Aber was kauft sich die Gemeinde dafür? Dieses Gemeindevermögen benützen einzelne wenige und wenn sie von diesem Vermögen die Steuer zahlen, so sind sie noch – ich möchte sagen – sehr gute Leute; gewöhnlich lassen sie noch die Gemeinde die Steuer zahlen. So stehen die Verhältnisse.

Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde – ich muss sagen als wirklich zu beklagender Kurator – derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe, welche 900 Metz sehr gute Gründe betragen, besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. Nun ist es wohl voraussichtlich, welchen Erfolg ich eben als Kurator in dem anhängig zu machenden Prozesse haben werde. Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden und so, meine Herren, geht es in sehr vielen, ja in den meisten Fällen. (Seite 9225)

Ja meine Herren, man wird vielleicht einwenden, dass das Gesetz, wenn es sich um ein wirkliches Gemeindegut handelt, wirklich wohltätige Wirkungen haben könnte, weil denn doch vorauszusetzen ist, dass im Laufe der Verhandlungen in den meisten Fällen zwischen den Berechtigten und der Gemeinde als solcher ein akzeptabler Vergleich werde geschlossen werden. Und ich gebe mich dieser Hoffnung hin, weil ich glaube, dass diejenigen, welche jetzt im Besitze der Nutzungen sind, höchstwahrscheinlich es verschmerzen werden, wenn sie einen gewissen Teil desjenigen Vermögens zu Handen der Gemeinde herauszugeben haben werden, welches sie bisher ausschließlich benutzt und besessen haben. (Seite 9225f)

Allein, wenn wir hier auch von dem Gemeindegut als solchem absehen, und uns nur mit dem unbestrittenen bloßen Klassenvermögen beschäftigen, so sind auch auf diesen Fall die Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches ganz und gar unanwendbar. Sehen wir nun, wie es mit der Verwaltung solcher Grundstücke, seien dieselben ein Gemeinde- oder ein Gemeingut, bestellt ist. Erfahrungsgemäß ist diese Verwaltung eine so schlechte, dass es in der Tat nicht mehr zu begreifen ist, wie in unserem Jahrhunderte etwas derartiges noch Platz greifen kann, und ich glaube, die Regierung hat nicht bloß das Recht, sonder auch die Pflicht, nicht bloß die unglaublich schlechte Bewirtschaftung solcher Grundstücke, sondern auch den Gegenstand selbst zu amoviren, welcher letzterer in den Gemeinden nur dazu zu seien scheint, um einen ewigen Zankapfel zu bilden, bei jeder Gemeindewahl als Kampfobjekt hingestellt zu werden, um nach vollzogener Gemeindewahl abermals wieder der Devastation zu verfallen, nicht anders, als es vorher der Fall gewesen ist. (Seite 9226)

„Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen. Man hat sehr oft vollen Grund, sich über die Entscheidungen des Landesausschusses und der Gerichte namentlich darüber zu wundern, wem das strittige Vermögen zugewiesen wurde. Wen wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden, und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Was die Gemeindeordnungen und insbesondere die böhmische Gemeindeordnung betrifft, so kann ich in der Tat sagen, dass ich in derselben fast gar keine Anhaltspunkte für die Entscheidung dieser Frage finde. Wenn man sich auf die bisherige unangefochtene Übung beruft und nach dieser entscheidet, so ist das ganz gewiss eine ganz hinfällige Basis.“ (Seite 9226)

Daraus ergibt sich demnach die Notwendigkeit, dass den Landtagen die Gelegenheit und Möglichkeit geboten werde, alles dasjenige vorzukehren und zu verfügen, was bezüglich des Gemeindegutes und Klassenvermögens notwendig ist. Die Landtage haben in der Tat nach unserer Vorlage diesfalls den freiesten Spielraum und vollauf Gelegenheit, alle eigentümlichen Verhältnisse ihres Landes zu berücksichtigen. (Seite 9226)

Berichterstatter Dr. Johannes Zak in seinem abschließenden Debattenbeitrag (Seite 3235 sten.Prot).

Es ist schon von einer Seite betont worden, die Verwaltung dieses Vermögens, der sogenannten Gemeindegründe, gehöre gegenwärtig in den Wirkungskreis des Gemeindeausschusses bzw des Gemeindevorstandes. Ich bitte jedoch, sich die Sachlage zu vergegenwärtigen. Entweder besteht der Gemeindevorstand oder Gemeindeausschuss aus den sogenannten alt Angesessenen, nämlich aus den Rustikalisten und dann werden diejenigen, welche gleichzeitig Mitglieder des Vorstandes und des Ausschusses sind, sich in ihr – wie sie von ihrem Standpunkte ganz richtig sagen – Privatrecht und in ihre Privatdispositionen eben nicht von dem Ausschusse selbst hineinreden lassen, oder aber es besteht der Ausschuss entweder ausschließlich oder in der Majorität aus den sogenannten Häuslern, welche bisher gar kein Benutzungsrecht von diesem Grunde hatten, dann ist gewiss der Zeitpunkt gekommen, wo ein Streit in der Gemeinde entbrennt und die Sache entweder im politischen oder gerichtlichen Weg oder – nachdem der politische Weg zurückgelegt worden ist – noch im gerichtlichen Weg zur Entscheidung gelangt.

Wenn keine andere Rücksicht ausschlaggebend wäre, so wäre es in der Tat die Rücksicht, dass keine Gemeindeordnung im Stande ist, den Rechtsweg den Parteien zu versperren. Solange der Rechtsweg offen bleibt, werden die misslichen Verhältnisse des Gemeindevermögens nicht besser, sie werden fortbestehen, die schlechte Verwaltung wird fortbestehen, der Streit in der Gemeinde um diese Gründe wird andauern; kurz diese unseligen Verhältnisse werden kein Ende nehmen. Es ist aber selbstverständlich schon sehr an der Zeit, diese Verhältnisse endlich einmal zu beseitigen, die in Rede stehenden Grundstücke einer rationellen und ordentlichen Bewirtschaftung zuzuführen, dass von demjenigen, was in der Gemeinde noch an Hutweiden oder Gemeindewaldungen übrig bleibt, dem Einzelnen zuzuteilen und in sein Privateigentum zu übertragen auf dass er es gehörig und rationell bewirtschaften könne. Solange das Gemeindevermögen als solches besteht, wird die Sache als res nullius angesehen und jedermann, dem es gefällt, nützt dieselben nach seinem schrankenlosen Belieben aus.

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MP