Wie Gemeindegut entstanden ist

Otto Friedrich von Gierke (* 11. Januar 1841 in Stettin als Otto Friedrich Gierke; † 10. Oktober 1921 in Berlin) war ein deutscher Rechtshistoriker und Politiker. In seinen Hauptwerken, „Das deutsche Genossenschaftsrecht“, 4 Bde., Berlin 1868, 1873, 1881, 1913 (unvollendet) und „Deutsches Privatrecht“, 3 Bde., Leipzig 1895, hat Otto von Gierke trefflich herausgearbeitet, wie die historische „nachbarschaftliche Gemeinde“ als Erscheinung des Privatrechts und die neue politische Ortsgemeinde als Schöpfung des modernen Staates sich entwickelt haben und wie diese um die Zuständigkeit für das Gemeinschaftseigentum konkurrieren.

 

Wie Gemeindegut entstanden ist


Gemeindegut ist ein agrargemeinschaftlich genutztes Gemeinschaftseigentum der Nachbarn, das sich innerhalb der modernen Ortsgemeinde als „Tabularbesitz“ (Buchbesitz) einer Gemeinde oder „Fraktion“ erhalten hat. Dieses Phänomen gründet auf vielen Ursachen und sind die Entwicklungen in den verscheidenen Ländern und Regionen zum Teil sehr unterschiedlich verlaufen.

Eine wesentliche Ursache für dieses Phänomen ist der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Grundbuchanlegung diese Gemeinschaftsliegenschaften keinem anerkannten Organisationsmodell der modernisierten Rechtsordnungen entsprochen haben. Die Gemeinschaftsliegenschaften und ihre Eigentüer waren „Gemeinden“ nach dem Rechtsverständnis des „Gemeinen Rechts des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ –  und somit juristische Personen nach Privatrecht, kurz „Nachbarschaften“. 

Mit der Neuorganisation der Staatsverwaltung auf „Gemeindeebene“ wurden überall in den Europäischen Staaten auf klarer gesetzlicher Grundlage politische Gemeinden geschaffen, mit klarer Verwaltungsstruktur und eindeutigen Grundlagen über die autonome Wahl von Verwaltungsorganen durch die Gemeindeglieder. Die Grundbesitzer selbst haben ihre Gemeinschaftsliegenschaften mit den Strukturen der neuen politischen Gemeinde verwaltet. (ausführlich dazu: am Beispiel Niederösterreich, am Beispiel Vorarlberg,  am Beispiel Tirol) Die Gemeinschaftsliegenschaften wurden in die politische Gemeindeverwaltung eingegliedert.

Gerade in Tirol wurden an vielen Orten die Gemeinschaftsliegenschaften als Eigentum der neuen, politischen  Ortsgemeinden angesehen, zumal jene Personen, die als Gemeindeglieder wahlberechtigt waren,  im wesentlichen dem Personenkreis der Grundbesitzer des betreffenden Dorfes entsprochen haben (mehr zur Historie). Lehrer und Pfarrer, mit dem Schulgebäude und dem Widum, wahlberechtigt nach der Gemeindewahlordnung 1866 aber keine Grundbesitzer, wurden anstandslos in den Kreis der Grundbesitzer integriert! Die Grundbesitzer (samt dem Lehrer und dem Pfarrer) bildeten den Kreis der wahrberechtigten Gemeindeglieder, weshalb das Gemeinderegime im Wald und auf der Alm als Selbstverständlichkeit empfunden wurde. (mehr lesen)

Erst mit Inkrafttreten der modernen Bodenreformgesetze (Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz 1883, Tiroler Teilungs- Regulierungs-Landes-Geset 1909) ergab sich eine rechtliche Grundlage dafür, ein solche „gemeindeverwaltete Gemeinschaftsliegenschaft“  aus der allgemeinden (politischen) Gemeindeverwaltung herauszulösen – entweder durch Teilung oder durch „zusätzliche, besondere Verwaltungsstatuten“).

Solange eine agrarische Operation nicht eingeleitet war, erfolgt die Verwaltung solcher Liegenschaften nach Gemeinderecht; die Gemeinde agiert als „vermuteter Eigentümer“ gem § 372 ABGB.

Ganz egal, wie lange dieser Zustand andauert – der bessere Anspruch auf das Eigentum verbleibt der nicht (regulierten) Agrargemeinschaft, weil das Flurverfassungsrecht für die Rechtsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften weder Ersitzung noch Verjährung kennt.

Um die vermutete Eigentümerstellung der Ortsgemeinde zu beenden, müssen die (berechtigten) Nachbarn die Durchführung einer agrarische Operation veranlassen.

Nur im Zuge einer agrarischen Operation können die besseren Rechte der berechtigten Nachbarn auf das Eigentum durchgesetzt werden: die Agrargemeinschaft wird als Eigentümerin festgestellt.

Obwohl die Ortsgemeinde dem besseren Eigentumsanspruch der berechtigten Nachbarn, die eine Agrargemeinschaft bilden, weichen muss, gebührt ihr nach Flurverfassungsrecht ein Anteilsrecht an der gesamten Agrargemeinschaft, sofern keine anderes Parteienübereinkommen erzielt wird.

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Wie Gemeindegut entstanden ist

 

Inhalt:

1. Aufspaltung der historischen Markgemeinde
2. Verschiedene Gemeindebegriffe
3. Gemeindeeigentum ist nicht Gemeindeeigentum
4. „GRP-Gemeinde 1819“ und „Gemeindegut“
5. Verwaltung der „alten Agrargemeinde“
a) Gemeindeordnung und Gemeinschaftsliegenschaften
b) Organisation der „Agrargemeinden“
c) Politische Ortsgemeinde als Vertreterin
d) Politische Gemeinde als vermutete Eigentümerin

6. Verwaltungs- und Vertretungstätigkeit und Eigentum
7. Schenkung an die politischen Ortsgemeinden?
8. „Umgründung“ der Agrargemeinden
9. „Gemeindegut“ im historischen Gemeinderecht
10. Zusammenfassung

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1. Aufspaltung der historischen Markgemeinde

Die heutige, moderne, politische Ortsgemeinde war eine Schöpfung der bürgerlichen Freiheitsbewegung, die sich im Revolutionsjahr 1848 entladen hatte. Eine der Forderungen der „Revolutionäre“ war die Einrichtung von demokratischen staatlichen Einheiten auf lokaler Ebene, welchen in inneren Angelegenheiten Autonomie zu gewähren sei.

In Ausführung des § 33 der Verfassung 1849 erließ Kaiser Franz Joseph I. am 17. März 1849 das sog. „Provisorische Gemeinde-Gesetz“. (Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die Reichsverfassung für das Kaisertum Österreich enthaltend, RGBl 1849/150; Kaiserliches Patent vom 17. März 1849, womit ein provisorische Gemeinde-Gesetz erlassen wird, RGBl 1849/170)

So wie die Verfassung 1849 selbst, wurde auch das Prov. Gemeindegesetz 1849 weitgehend ein Opfer der Restaurationsbemühungen des Kaisers: die liberalen Errungenschaften des Revolutionsjahres 1848 sollten nach Möglichkeit wieder abgeschafft, besser erst gar nicht umgesetzt werden: Bereits mit kaiserlicher Entschließung vom 29.10.1849, RGBl 1849/440, wurde die Ausführung des Provisorischen Gemeinde-Gesetzes sistiert – dh nichts anderes, als dass die Umsetzung des Gesetzes gestoppt wurde.  Die neuen demokratischen, staatlichen Einrichtungen auf der untersten Staatsebene sollten nicht errichtet werden.

Kaiser Franz-Josef hat es jedoch nicht geschafft, die die Uhren, die im Revolutionsjahr 1848 in Gang gesetzt wurden, vollständig zurückzudrehen. Vorerst einmal war er gezwungen, das Provisorische Gemeinde-Gesetz teilweise wieder in Kraft zu setzen. Mit einem der sog. Silvesterpatente von 1851 folgte der neue Schlag der Restauration: die „Märzverfassung 1849“ wurde außer Kraft gesetzt; durch Allerhöchstes Kabinettsschreiben vom 31.12.1851 RGBl 4/1852 wurden die wesentliche Teile des Prov. Gemeindegesetzes 1849 (wieder) außer Kraft gesetzt.

In diesem verfassungsrechtlichen Hin und Her konnte niemand genau sagen, inwieweit die heutigen politischen Ortsgemeinden bereits auf der Grundlage des Prov. Gemeindegesetzes 1849 eingerichtet wurden. In einem Erkenntnis aus dem Jahr 1961 setzte sich der Oberste Agrarsenat in allen Einzelheiten mit der Entwicklung der heutigen Ortsgemeinde in Tirol auseinander und gelangte zu dem Ergebnis, dass die heutigen Ortsgemeinden in Tirol erst auf Grundlage des Ausführungsgesetzes zum Reichsgemeindegesetz 1866, der TGO 1866, LGBl 1866/1, eingerichtet wurden. Dies hat viel für sich, weil offensichtlich auf der Grundlage des Provisorischen Gemeinde-Gesetzes 1849 keine Wahlen zum neuen (politischen) Gemeindeausschuss stattgefunden hatten.

Der Oberste Agrarsenat im Erkenntnis 267-OAS/61 aus dem Jahr 1961 zusammenfassend: „Da aber die mit dem prov. GemG begonnene Organisierung der Gemeinden bereits im Jahr 1851 wieder sistiert wurde, in der Folge neue Grundsätze für die Gemeindeorganisation ausgearbeitet und erlassen wurden, die zum Teil überhaupt nicht in Wirksamkeit traten und schließlich erst mit der Gesetzgebung der Jahre 1862 ff das Gemeindewesen endgültig organisiert und geregelt wurde, muss festgehalten werden, dass bis zu diesem Zeitpunkt die bestehenden Gemeinden noch keine voll ausgebildeten politischen Verwaltungskörper, also politische Gemeinde oder Ortsgemeinden im heutigen Rechtssinn waren, sondern vielmehr den Nachbarverband verkörpernde Gemeinwesen mit eigentümlichen, aus den nachbarlich-örtlichen Kollektivbedürfnissen erwachsenen Aufgaben, insbesondere agrarisch-wirtschaftlicher Art waren.“

Während die „politische“ GRP-Gemeinde 1819 und die für ihre Mitglieder vorgesehenen „politischen“ Beteiligungsrechte in der neuen politischen Ortsgemeinde aufgingen, wurde die historische (Agrar-)Gemeinde nach bürgerlichem Recht weder verwandelt noch beseitigt. Einhellig steht die österreichische Verfassungsgeschichtswissenschaft vielmehr auf dem Standpunkt, dass die heutige politische Ortsgemeinde keine Fortsetzung irgendwelcher historischer Einrichtungen sei. (Vgl nur: Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol 2010, 196 ff).  Diskussionspunkt kann deshalb nur sein: Was ist mit dem Vermögen der historischen Agrargemeinden nach bürgerlichem Recht geschehen?

Zur Klärung dieser Frage ist es sinnvoll in der Geschichte zurück an die Anfänge des historischen Gemeindewesens gehen, zur historischen Ur-Gemeinde, welche örtliches Gemeinwesen war und ländliche Wirtschaftsgenossenschaft in einer Person. Diese Gemeinde wird in der Wissenschaft als „Markgemeinde“ bezeichnet. Otto v. Gierke, einer der bedeutendsten Rechtsgelehrten der zweiten Hälfte des 19. Jhdts definierte das Wesen der historischen Markgemeinde durch drei Merkmale: 1. Sie erfülle den doppelten Beruf eines politischen Gebietskörpers und einer agrarischen Produktivgesellschaft der Genossen. 2. Das Verbindende sei zugleich Personenvereinigung und Markgemeinschaft. 3. In der Markgemeinde herrsche die genossenschaftliche Ordnung. Einheitliches Gesamtrecht der Gemeinde und mitgliedschaftliches Sonderrecht ergänzen und begrenzen einander. (Otto von Gierke, Deutsches Privatrecht, I, 577f, 587)

Die Wirtschaftsgenossenschaft (= Gemeinde nach bürgerlichem Recht) wurde sukzessive durch die Verteilung des Gemeinschaftslandes verkleinert. Dieser Vorgang würde für die gemeinschaftlichen Heimweiden (auch „Hutweiden“ genannt) in den Österreichischen Erblanden mehrfach gesetzlich angeordnet, aber nur unvollständig ausgeführt. Man spricht von Weideteilungspatenten, die besonders unter Kaiserin Maria Theresia in Kraft gesetzt wurden (Patente von Maria Theresia vom 5. Nov. 1768, Politische Gesetzessammlung Nr 1064, 388; vom 24. März 1770, Politische Gesetzessammlung Nr. 1184, 179 und weitere Patente vom 23. August 1770 und 14. März 1771). Kaiser Josef II. hat die Aufteilungsanordnung mit Patent vom 17. April 1784 wiederholt.

Auch bei den Wäldern gab es Teilungsakte, wenn auch nur selten aufgrund staatlicher Anordnung, sondern vor allem aufgrund ausdrücklichen Ersuchens der jeweiligen Gemeinde. Solche Teilungsakte wurden im Inntal und Wipptal auf Ersuchen der jeweiligen Gemeinde jeweils für bestimmte Wälder unter Mitwirkung der staatlichen Autorität vollzogen. Für das Pustertal ist bekannt, dass Kaiser Ferdinand 1550 eine Aufteilung der Wälder angeordnet hatte, welche in den Jahren 1550 bis 1554 vollzogen wurde (sog die Pustertaler Waldbereitung).

Soweit Aufteilungen von Weide- oder Waldflächen vollzogen wurden, entstand Einzelbesitz der Haus- und Hofbesitzer. Dieser Einzelbesitz an ehemaligen Gemeinschaftsflächen wurde den jeweiligen Hofliegenschaften zugeschlagen. Bei der Erstellung des Franziszei´schen Steuerkatasters in Tirol, dem Vorläufer des heutigen Grundbuches in den 1850er Jahren, wurden die aufgeteilten Wälder – nicht anders als die aufgeteilten Felder – als Privateigentum des jeweiligen Hofbesitzers bestätigt. Erst 40 bis 50 Jahres später, im Zuge der Grundbuchanlegung, wurde ein Gemeindeeigentum unter dem Teilwaldrecht „entdeckt. Das Tiroler Phänomen der „Teilwälder“ repräsentiert den ersten großen Agrarirrtum in Tirol.

Mit der Einrichtung der politischen Gemeinden durch den Staat wurde die politische Seite der historischen Markgemeinde verselbständigt – in Tirol bereits im Jahr 1819. Im Gemeinderegulierungspatent 1819 hat der historische Gesetzgeber die Gemeinschaftsliegenschaften gerade nicht der politischen Gemeinde, sondern den Gemeindegliedern zugeordnet: Der Gesetzgeber spricht in diesem Gesetz vom „verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten“ (§ 3 TGRP 1819 Prov.GSlg für Tirol und Vorarlberg, Band 6, 755ff).

Der Gesetzgeber des Jahres 1819 ging somit implizit davon aus, dass die Gemeindeglieder Eigentum an den Gemeinschaftsgütern besitzen. (Argument: § 3 TGRP 1819: verjährtes Eigentum der Gemeindeglieder) Es ist deshalb für den Tiroler Rechtsraum schon ab dem Jahr 1819 ein eigenständiges rechtliches Schicksal des Gemeinschaftseigentums der historischen Gemeindeglieder anzunehmen. Dieses gemeinschaftliche Eigentum steckt in einer juristischen Person, die nach historischem „gemeinen Recht des Reiches“ seit jeher bestand hatte und anerkannt war: die Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ (vgl § 27 ABGB) .

2. Verschiedene Gemeindebegriffe

Was war das Schicksal der privaten Agrargemeinden nach Einrichtung der heutigen politischen Ortsgemeinden? Eine juristische Person existiert jedenfalls so lange sie Vermögen besitzt. Auf der Grundlage des kaiserlichen Forstregulierungspatentes 1847 wurden die Rechtspositionen der Agrargemeinden iSd § 27 ABGB im Regalitätsforstbezirk (im heutigen Nordtirol) entweder als Eigentum der Agrargemeinde purifiziert oder als Forstservituten der berechtigten Gemeindeglieder abgelöst und die Ablöseliegenschaften den (unter Umständen neu gebildeten) Agrargemeinden in das Eigentum übertragen.

Immer, wenn in der Geschichte von „Gemeinde“ die Rede ist, muss danach unterschieden werden, um welche Art von „Gemeinde“ es sich handelt. Wenn etwa in der Chronik des Dorfes Igls davon die Rede ist, dass am 16. August 1847 die Gemeinde Igls durch ihren damaligen Gemeindevorsteher Johann Spörr bei der Forsteigentums-Purifikationskommission das Eigentum an den Waldungen „am oberen Berg“, „Igler Weide“, sowie „unter den Gelles“ angemeldet habe, weil sich diese Wälder seit unvordenklicher Zeit im Besitz der „Gemeinde Igls“ befunden hätten, so ist völlig eindeutig, dass die Privatforsteigentums-Purifikationskommission das Eigentumsrecht nur zu Gunsten der (privaten) Agrargemeinde Igls bestätigen konnte. Diese Zuordnung der Eigentumsanerkennung zur Agrargemeinde Igls ist aufgrund der inhaltlichen Beschreibung des Rechtsvorganges: „Beanspruchung des Eigentumsrechtes wegen Nutzung seit unvordenklicher Zeit“ zwingend. Als Privateigentum purifiziert wurden diese Waldungen deshalb, weil die „holzbezugsberechtigte Gemeinde Igls“ die Eintragung dieser Liegenschaften in den Theresianischen Grundsteuerkataster (angelegt in Tirol zwischen 1775 und 1785) erwirkt und seither die Grundsteuer bezahlt hatte. Die FEPT des Landgerichtes Sonnenburg, im Jahr 1847 das zuständiges Gericht für Igls, nennt deshalb zur näheren Beschreibung der „Objekte“ die betreffenden Nummern des Theresianischen Steuerkatasters. Die Eigentumspurifikation durch die kaiserliche Kommission und die Eintragung in die FEPT gründete deshalb auf eine Rechtstatsache, welche zur Zeit von Kaiserin Maria Theresia gesetzt wurde (FEPT Landgericht Sonnenburg vom 10.02.1848, verfacht 30.05.1849, Fol. 151 und 152). Damals hat die spätere politische Ortsgemeinde Igls (während der NS-Zeit nach Innsbruck eingemeindet) zweifelsfrei noch nicht existiert. Überlegungen zur Frage, wer in welcher Weise die Grundsteuer für die gemeinschaftlichen Liegenschaften bezahlte, erübrigen sich deshalb.

3. Gemeindeeigentum ist nicht Gemeindeeigentum

Bereits im Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) von 1796 war unterschieden worden, ob das jeweilige Korporationseigentum zum Gebrauch der Gesellschaftsmitglieder bestimmt sei (ausdrücklich genannt wurden Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Weiden, Waldungen, Wege) oder zur Bestreitung der Auslagen der Gesellschaft diene (zu denken sei vor allem an die Gemeinschaftskasse). Die ersteren Vermögensgegenstände werden „das Gemeindegut“ genannt; die letzteren „das Gemeindevermögen“ (§§ 7 f zweiter Teil, Ur-Entwurf zum ABGB; dieselbe Unterscheidung findet sich freilich bereits im Codex Theresianus von 1765, Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 135 – 137). Beide Arten von Sachen bilden das Eigentum der „Gemeinde“.
In der 1812 in Kraft getretenen Endfassung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches war diese Unterscheidung beibehalten worden (§ 288 ABGB). Die verantwortlichen Legisten des ABGB haben die „Gemeinde“ als Private behandelt und ihr Eigentum beim Privateigentum geregelt; das Vermögen dieser Gemeinden war demnach Privateigentum genau so wie dasjenige einzelner natürlicher Personen; die Rechte der Gemeindemitglieder daran sind Privatrechte.

Das Prov. Gemeindegesetz 1849 übernahm bei der Regelung der Vermögensverhältnisse der politischen Ortsgemeinde diese Differenzierung und Terminologie, so wie diese im Bürgerlichen Recht für die Verhältnisse der privaten Gemeinden üblich war: Es wurde Gemeindeeigentum, welches den Gemeindegliedern zum Gebrauch offen steht, vom Gemeindeeigentum, welches zur Bestreitung der laufenden Auslagen bestimmt war, unterschieden – Gemeindegut und Gemeindevermögen. (§ 22 prov. Gemeinde-Gesetz 1849, §§ 72 ff leg. cit) Auch wenn sich im Reichsgemeindegesetz von 1862 diese Terminologie nicht (mehr) findet, so sind doch die dazu zwischen 1864 und 1866 erlassenen Ausführungsgesetze, die Landes-Gemeindeordnungen, zB TGO 1866, auf diese Unterscheidung zurückgekommen. (ZB § 63 Tiroler Gemeindeordnung 1866, § 63 Vorarlberger Gemeindeordnung 1864)

Das Staatsrecht lehnte sich zur Regelung des Vermögensrechts der politischen Ortsgemeinde somit an die Terminologie des Bürgerlichen Rechts zum Vermögen der privaten Korporationen, zB der „Agrargemeinden“, an.
Absolut falsch ist es zu behaupten, das Recht der politischen Ortsgemeinde hätte Unklarheit wegen des Schicksals des Vermögens der „alten Agrargemeinden“ nach bürgerlichem Recht mit sich gebracht, wie beispielweise Walter Schiff behaupten will (Schiff, Österreichs Agrarpolitik, 202) Das Gegenteil ist der Fall: § 26 des Prov. Gemeindegesetzes 1849 sowie die Landesausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 stellten übereinstimmend klar: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben unverändert.“ (§ 12 Tiroler Gemeindegesetz 1866; § 11 Vorarlberger Gemeindegesetz 1864 sowie die Parallelbestimmungen in den Ausführungsgesetzen der anderen Kronländer)

Die Agrargemeinden, zusammengesetzt aus der Klasse der ehemals Holzbezugsberechtigten, die Träger der Eigentums- und Nutzungsrechte an den Gemeinschaftsliegenschaften waren, blieben dementsprechend weiterhin Eigentümer ihres Vermögens. „Sie bilden regelmäßig innerhalb der neuen (politischen) Gemeinde eine eigene Privatgenossenschaft, welche ihre besonderen Interessen selbständig wahrnehmen“ konnte. (Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts, 2. Aufl (1866), 302. Ausführlich dazu Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Agrargemeinde, 196 ff; Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, 245 ff; Ogris/Oberhofer, das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, 151 ff)
Um jeder Verwirrung vorzubeugen lieferte ein Erlaß vom 11. Dezember 1850 (Z. 13353) eine „Anleitung zur Verwaltung des Gemeinde-Eigenthums“; die Bestimmung des § 26 Prov. Gemeindegesetz 1849 wurde ausführlich erläutert: „Zum Gemeinde-Eigenthume können nicht jene Sachen gerechnet werden, welche gewissen Classen von Gemeindegliedern angehören. So haben in manchen Gemeinden bloß die Bauern mit Ausschluß der Häusler den Genuß gewisser Waldungen, Weiden etc, so haben an anderen Orten Zünfte, Innungen, die Besitzer gewisser Häuser, wie z.B. die brauberechtigten Bürger, ein eigenes Vermögen oder besondere Rechte. …“ (§ 8 des Erlasses des MdI vom 11.12.1850, Zl. 13353: Das Gemeinde-Gesetz vom 5. März 1862 (MTA IX), Wien 1869, 224ff (226).

In der Praxis ergaben sich dessen ungeachtet mannigfache Unterscheidungsschwierigkeiten. Dies nicht zuletzt wegen eines allgemeinen Sprachgebrauchs, welcher die verschiedenen „Gemeindevermögen“ nicht unterschieden hat. So weist Fernand Stamm in seinem aus dem Jahr 1850 stammenden Praxishandbuch „Die wichtigsten Angelegenheiten der Gemeinde“ (Prag 1850), 23 f ausdrücklich darauf hin, dass die meiste Schwierigkeit bei der Verwaltung des Vermögens der neuen politischen Ortsgemeinde die Trennung des Gemeindevermögens von dem Vermögen einzelner Klassen der Gemeindeglieder bieten würde (§ 26 prov. GemG 1849), „weil man es auch Gemeindevermögen nannte, ohne dass es diesen Namen im Sinn des Gemeindegesetzes verdient.“ Vgl Adamovich, Handbuch des Österr. Verwaltungsrechts II 5. Aufl (1953) 108 oder Veiter, Ortschaft (Gemeindefraktion), ZÖR NF 8, 490, die von „Gemeindesondergut“ sprechen, welches auf die Allmende als Gesamthandeigentum der Markgenossen zurückgehe und durch die aufgrund des Reichsgemeindegesetzes erlassenen Landes-Gemeindeordnungen überall aufrechterhalten worden sei. Im Einzelnen dazu: Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Agrargemeinde, 187ff.

Trotz dieser Klarstellungen im Recht der neuen politischen Ortsgemeinden entstanden gravierende Unterscheidungsprobleme: Ab dem Zeitpunkt, als die politischen Ortsgemeinden durch die ersten Wahlen konstituiert und Gemeindeorgane gewählt wurden, stand ein Regelwerk zur Verfügung, anhand dessen „Gemeindeeigentum“ verwaltet werden konnte. Juristen wollen klare Regelwerke, welche Lösungen für die jeweiligen Lebenssachverhalte bieten. Unklarheit ist ihnen wesensmäßig verhasst. Wenn deshalb – nachweisbar anhand vieler Einzelfälle – das private Vermögen der Agrargemeinden nach bürgerlichem Recht durch die Organe der politischen Ortsgemeinde verwaltet wurde, so ist dies ein geradezu natürlicher Vorgang. Entstand ein Streit unter den Nachbarschaften wegen der Grenzen, waren natürlich die gewählten Ausschussmitglieder gefordert, diesen Streit zu schlichten. Ohnehin hatten in den Tiroler Landgemeinden die Eigentümer von Grund und Boden alleine das Sagen. Die politischen Gemeindeorgane fungierten als privatrechtlich bestellte Vertretungs- und Verwaltungsorgane der „Agrargemeinde“; das Vermögensverwaltungsrecht der Gemeindeordnung wurde als vertraglich vereinbarte Rechtsgrundlage („lex contractus“) zur Anwendung gebracht.


4. „GRP-Gemeinde 1819“ und „Gemeindegut“

Bereits mit Einrichtung der „politischen“ GRP-Gemeinde 1819 wurden die historischen Markgemeinden der Stammliegenschaftsbesitzer in Tirol und Vorarlberg aufgespaltet: Die bisherigen politischen Agenden, vermehrt um weitere zugewiesene Staatsaufgaben, wurden einer neu eingerichteten „politischen“ Gemeinde als Einrichtung des Staates zugewiesen, die in ein staatliches Aufsichtssystem eingebunden war. Daneben bestand das gem § 3 GRP 1819 den Gemeindegliedern zugeordnete Eigentum an den „gemeinschaftlichen Liegenschaften und Realitäten“. (GRP = Gemeinderegulierungspatent: Provinzialgesetzgebung von Tirol und Vorarlberg, Band 6, Innsbruck 1823, Nr 168/1819, 755 ff, Die Regulierung der Gemeinden und ihrer Vorstände in Tirol und Vorarlberg betreffend vom 26. Oktober 1819)

Die Entwicklung in der GRP-Gemeinde Miemingerberg zeigt, dass die Stammliegenschaftsbesitzer zumindest dort, wo sie ortschaftsweise getrennte Wald- und Alpungsrechte besaßen, in der ersten Hälfte des 19. Jhdt diese Gemeinschaftsrechte sehr wohl von der politischen Gemeinde zu unterscheiden wussten. Dies zeigen die Rechtsakte, welche zur Trennung der GRP-Gemeinde Miemingerberg im Winter 1832/1833 führten. Das Vermögen der politischen Gemeinde Miemingerberg wurde dabei in allen Einzelheiten aufgelistet und es bestand dieses aus gemeinschaftlichen Feuerlöschgerätschaften und einem Armenfonds. Schon die 3 Schulen und die 3 Kirchen wurden 3 eigenständigen Seelsorge- bzw Schulbezirken zugeordnet, welche den zu bildenden 3 neuen GRP-Gemeinden Obsteig, Untermieming und Widermieming entsprechen würden. „Kein Seelsorgs- und Schulbezirk hat bisher dem anderen etwas beigetragen, und ebenso wenig das Konkretum der ganzen Gemeinde Miemingerberg zu diesen Institutionen eine Aushilfe geleistet.“ (Bericht des k.k. Kreisamtes im Oberinntal die Regulierung der Gemeinden am Miemingerberg, Landgericht Silz, betreffend vom 28. Dezember 1832, Reisik, Der Raum Obsteig und seine Umgebung (Verlag der Gemeinde Obsteig, Urkunde Nr 17)

Die verschiedenen Gruppen von Stammliegenschaftsbesitzern zuzuordnenden Gemeinschaftsliegenschaften, wie die Alpe Seeben (gem Alpbrief vom 10.11.1696 sind die Stammliegenschaftsbesitzer von Untermieming berechtigt) oder die Alpe Feldern (berechtigt sind gem Markbrief vom 17. August 1778 die Stammliegenschaftsbesitzer von Obermieming), wurden in diesen Dokumenten nicht erwähnt, ebenso wenig die ortschaftsweise gemeinschaftlich bewirtschafteten Wälder, die unverteilten genauso wenig wie die verteilten.


5. Verwaltung der „alten Agrargemeinde“

Mit der Errichtung der heutigen politischen Ortsgemeinden auf Basis des § 33 der Verfassung 1849 sowie des Prov. Gemeindegesetzes 1849, RGBl 1849/170, bzw seiner Nachfolgeregelungen (Reichsgemeindegesetz 1862 RGBl 1862/18 und die Ausführungsgesetze der Länder) traten „politische Gesetze“ in Kraft, welche einheitlich für das gesamte Kaisertum Österreich die moderne politische Ortsgemeinde schufen.
Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die spezifischen Bestimmungen zur Verwaltung des Eigentums dieser neuen politischen Ortsgemeinde auch für die „alten Agrargemeinden“ angewandt werden sollten. Diese Frage stellt sich unabhängig davon, dass die neue politische Ortsgemeinde kein Eigentum am Vermögen der Agrargemeinde erlangt hatte und diese auch insbesondere nicht „beerben“ sollte. Schlagenden Beweis dafür bieten die reichen Quellen zum Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883, auf die hier nur zu verweisen ist (Rightbar: Gemeinderecht/Bodenreformrecht: Lösung für …)

a) Gemeindeordnung und Gemeinschaftsliegenschaften

Prüft man den Wortlaut der §§ 72 ff Prov. GemG 1849, so ergibt sich zweifelsfrei, dass diese Gesetzesbestimmungen nur für Eigentum der politischen Ortsgemeinde gedacht waren; nichts anderes gilt für die einschlägigen Bestimmungen der Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862, zB §§ 60 ff TGO 1866. Die Bestimmungen der Gemeindeordnung zur Verwaltung des Gemeindeigentums galten deshalb nicht für die Vermögensverwaltung der Agrargemeinden, genauso wenig wie umgekehrt Eigentum der politischen Ortsgemeinde – und sei es zur Nutzung durch die Gemeindeglieder gewidmetes Gemeindegut – von einem aus dem Kreis der Nutzungsberechtigten gewählten Ausschuss zu vertreten und zu verwalten sei. (VwGH 23. September 1892 Slg Budw 6.762) Das politische Gemeinderecht, welches sich jedweden Einflusses auf die Privatrechtsverhältnisse ausdrücklich enthalten wollte (§§ 11 bzw 12 der Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862), war somit nicht als eine gesetzliche Grundlage für die Verwaltung von Gemeinschaftsliegenschaften gedacht – so müssen diese Regelungen jedenfalls nach ihrem ursprümglichen Konzept verstanden werden.

Dies bestätigte das k.k. Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1871, welche im Zusammenhang mit einem Streit um das Bürgervermögen des „Marktes Eisenärtz“ erging, welches in der Landtafel des k.k. Landgerichtes Graz unter der Benennung „der Markt zu Eisenärtz mit den untertänigen Realitäten im Brucker Kreise“ eingetragen war. Das Reichsgericht entschied, dass darüber entstandene Streitigkeiten auf dem Zivilrechtsweg auszutragen seien: „Dieses Vermögen ist demnach nicht der politischen Gemeinde Eisenerz eigentümlich, also weder Gemeindegut noch Gemeindevermögen; sondern wie es der § 11 der Gemeindeordnung für das Herzogtum Steiermark anerkennt, das einer Klasse von Gliedern der Gemeinde Eisenerz gehörige Vermögen, bezüglich dessen nach diesem § Eigentums- und Nutzungsrechte durch die Bestimmungen der Gemeindeordnung nicht geändert worden sind. Fragen über Besitz, Eigentums- und Nutzungsrechte sind, auch bei einem Consortialvermögen, privatrechtlicher Natur. Der Ausdruck ’Bürger das Marktes Eisenärtz’ ist im gegenwärtigen Falle nur in dem Sinn eines Teilhabers (Consorten), nicht aber im Sinn der bestehenden Gemeindeordnung als eine besondere Art von Gemeindemitgliedern zu nehmen; denn hier handelt es sich nicht um die Beziehung zur politischen Gemeinde, nicht um den Gemeindeverband und die Art des selben, sondern um die Beziehung der unter dem Namen „Bürger“ begriffenen Personen … zu dem oben erwähnten Vermögen in Bezug auf den landtäflichen Besitz und den Genuss – Fragen, die privatrechtlicher Natur und nach § 88 der erwähnten Gemeindeordnung auf dem Rechtsweg auszutragen sind.“ (k.k. Reichsgericht vom 29. April 1871, Entscheidungssammlung 1871/14)

b) Organisation der „Agrargemeinden“

Die Eigentümer solcher „Klassenvermögen“, die „Teilhaber“ bzw „Consorten“ hätten deshalb ihr „Consortialvermögen“ (= Gemeinschaftsvermögen) grundsätzlich außerhalb der politischen Ortsgemeinde zu organisieren gehabt.

Dort, wo ein entsprechendes Bewusstsein entwickelt wurde, war freilich erst eine Rechtsgrundlage zu finden, anhand derer das Gemeinschaftsvermögen nachhaltig und rechtssicher verwaltet werden konnte. Die rudimentären Regelungen des ABGB betreffend die Gemeinde als moralische Person waren – obwohl eigentliche Rechtsgrundlage – offensichtlich nicht attraktiv genug; gleiches gilt für die infolge Verweisung allenfalls heranzuziehenden Bestimmungen über Miteigentums-Gesellschaften. So hatte sich die „Leobner Wald- und Wirtschafts-Realgemeinschaft“, das waren die Eigentümer und Miteigentümer bestimmter 152 bürgerlicher Häuser in Leoben, die im Jahre 1630 (!) die Stadt Leoben gebildet hatten, aufgrund des kaiserlichen Patentes vom 26.11.1852 als „Verein“ konstituiert. (Obersten Agrarsenates vom 2.10.1963, 323-OAS/63)

Im Außerfern wurden insbesondere zur Verwaltung des Gemeinschaftsvermögens der „Großpfarren“ „Pfarrausschüsse“ gebildet, so zB für das ehemalige markgemeinschaftliche Vermögen der „Pfarre Praytenwang“ am 17.1.1865, in welchen die beteiligten Gemeinden Breitenwang, Ehenbichl und Reutte Vertreter nach dem Verhältnis ihrer Grundsteuerleistung entsandten. (F. Grass, Die alte Großpfarre Breitenwang in Tirol und ihre Aufteilung, FS Karl Haff (1950), 79; dazu auch Wörle, Die mittelalterlichen Großpfarren im Raum des heutigen Außerfern, Außerferner-Buch, Schlernschriften 111,1955, 77ff)

Die Agrargemeinde Volders, damals bestehend aus 66 Haus- und Gutsbesitzern aus Volders, hatte sich 1870 als „Wald-Interessentschaft“ konstituiert, welche seit damals alle Lasten, Wirtschafts- und Verwaltungsauslagen sowie Steuern getragen hat, ohne dass die politische Ortsgemeinde einen Anteil an den Nutzungen oder Lasten zu tragen hatte. (Antrag der 66 Haus- und Gutsbesitzer von Volders vom 24. März 1950 auf Errichtung einer Agrargemeinschaft, Akt III b1 -01/1 des Amtes der Tiroler Landesregierung und Feststellungen im Akt dazu)

Von der alten Agrargemeinde Igls ist bekannt, dass im Jahr 1885 eine „Igler Waldinteressentschaft“ zur Verwaltung des Gemeinschaftsvermögens gegründet wurde, deren Statuten am 14.10.1885 vom Gemeindeausschuss der damaligen politischen Ortsgemeinde Igls anerkannt wurden. Die Waldinteressentschaft Lans beantragte mit Eingabe an das Bezirksgericht Innsbruck, eingelangt am 21. Oktober 1900, TZ 2056, die Einverleibung von Nutzungseigentum zu ihren Gunsten ob der Liegenschaft in Ezl 35 II KG Lans. Auch in Mutters muss sich eine Wald-Interessentschaft konstituiert haben. Schließlich hatte eine Mutterer Wald- und Alpinteressentschaft Anfang des Jahres 1920 beim Agrarkommissariat in Innsbruck um Rodung der Gp 297 KG Mutters unterhalb des Gärberbaches um Rodung angesucht; dies in der Absicht dort Schrebergärten anzulegen; zu Zl 231/7 wurde der Interessentschaft seitens des Agrarkommissariats unter dem 12. April 1920 beschieden, dass eine Rodung nur zur Anlage von Wiesen bewilligt würde.

Vergleichbare Rechtsakte müssten von der „Waldgemeinschaft Kappl – See“ (Liegenschaft in EZ 105 GB See) existieren, von der „Lehensassengenossenschaft Rattenberg – Radfeld“ (Liegenschaft in EZ 1 GB Radfeld), von der „Zweidrittelgericht Landeck“ ((EZ. 178 GB 84004 Grins, Liegenschaften in EZ. 149, 150, 151, 364 GB 84010 St. Anton a. A., EZ. 46, 47 GB 86020 Kaisers, EZ. 95 GB 84002 Flirsch), von der „Gedingstatt Zams“ (EZ 218 GB Zams), von der Bergdrittel Alpinteressentschaft (Liegenschaft in EZ 80 GB Kaunertal), von der Zwei Drittel Galtalpinteressentschaft (EZ 81 GB Kaunertal), oder von der Landdrittel Alpinteressentschaft (Liegenschaft in EZ 82 GB Kaunertal) ebenso in Rinn (das GAP Nr 115 II KG Rinn weist eine „Waldinteressentschaft Vorberg“ als historische Steuerträgerin aus). Rechtsgeschichtlich ist diesbezüglich noch Vieles unaufgearbeitet.

Viele Gemeinschaftsliegenschaften wurden in Anwendung des politischen Gemeinderechts verwaltet. Eine der Ursachen erklärt ein zeitgenössischer Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses aus dem Jahr 1878, wonach die alte Organisation der Nachbarschaft zertrümmert sei; zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht nicht so begrifflich geschieden waren, hätte diese im modernen Staat den öffentlichen Charakter verloren, ohne dass man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten. „Die ‚Gemeinde’ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass Letztere gestorben wäre.“ (Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode)
Der Vorgang der „Beerbung“ ist bildlich als Umschreibung der faktischen Verhältnisse gedacht, wie diese auch in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage und im Bericht des Commassionsausschusses des Abgeordnetenhauses bei Schaffung der drei agrarischen Reichsrahmengesetze im Jahr 1883 zum Ausdruck kamen. Die Gesetzesmaterialien sprechen von „Überresten der alten Agrargemeinde“, an welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse bestehen. (Rightbar: Gemeinderecht/Bodenreformrecht: Lösung für …)

Wie Hugelmann schon 1916 (!) zum zitierten Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses aus dem Jahr 1878 richtig bemerkte, war die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaft durch die politische Ortsgemeinde nur eine mögliche Variante. Die Alternative, dass nämlich die alten ‚Nachbarn’ ihr ausschließliches Recht am ‚Gemeindenutzen’ im alten Sinn behaupteten, dass das alte Genossenrecht als reines Privatrecht fortlebte, sei genauso vorgekommen. (Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, 1916, 128)

Eine von der Organisation der politischen Ortsgemeinde losgelöste eigenständige Verwaltung findet sich vornehmlich bei Gemeinschaftsliegenschaften, welche den Stammliegenschaften einzelner Dörfer oder Weiler innerhalb eines größeren politischen Gemeindeverbandes zuzuordnen waren, geradezu notwendig dann, wenn Gemeinschaftsbesitz bestand, der einem Teil der Stammliegenschaftsbesitzer aus der einen und einem Teil der Stammliegenschaftsbesitzer aus einer anderen politischen Ortsgemeinde zugeordnet war. So im Fall der Liegenschaften der alten Agrargemeinde Frohnhausen-Gschwendt, zwei Weiler, die eine einheitliche Agrargemeinde bildeten, von denen der eine (Frohnhausen) als Ergebnis der politischen Gemeindeteilung des Jahres 1832/1833 in Mieming zu liegen kam, der andere (Gschwent) in Obsteig
Eigenständige Organisationen hatten sich generell dann erhalten, wenn Gemeinschaftsbesitz bestand, der Stammliegenschaftsbesitzern mehrerer politischer Gemeinden zuzuordnen war. (Lehensassengenossenschaft Rattenberg – Radfeld; der Waldgemeinschaft Kappl – See, der Zweidrittelgericht Landeck (Stanzertal) oder der Bergdrittel Alpinteressentschaft, Landdrittel Alpinteressentschaft und Zweidrittel Alpinteressentschaft, Kaunertal)

Besonders zu erwähnen sind die Alpliegenschaften, die regelmäßig eigenständig organisiert waren; die Geschäfte führten gewählte Alpmeister. Wie die Agrargemeinde nach bürgerlichem Recht, welche durch „Stellvertreter“ (§ 867 ABGB) bzw „Verwalter“ (§ 290 ABGB) bzw „Vorsteher, Verwalter oder Bevollmächtigte“ handelte, zu derartigen Vertretern gelangte, zeigt der „Verhandlungsmodus“ für die Waldservitutenablösung 1847 (AVA Wien, Hofkanzlei 20968/1847, Erlass vom 29. Juni 1847): Die Gemeinde war zur Wahl eines oder mehrerer solcher Vertreter zu versammeln und durch einen Akt des bürgerlichen Rechts war eine Vollmacht (verbunden mit einem Auftrag) zu errichten. Die nach dem Verhandlungsmodus der Forstservituten-Ablösung 1847 vorgegebene Zahl an Vertretern von 6 oder 12, je nachdem, ob eine kleine oder große Agrargemeinde angenommen wurde, wirkt bis in die Gegenwart in den Ausschüssen der Agrargemeinschaften fort.

c) Politische Ortsgemeinde als Vertreterin

Es liegt nahe, dass jene Agrargemeinden, welche alle Stammliegenschaftsbesitzer des politischen Gemeindegebietes erfassten, anstelle der unsicheren und rudimentären Regeln des ABGB die Anwendung des politischen Gemeinderechts als Verwaltungsgrundlage vorzogen. Solange eine Mehrheit der Stammliegenschaftsbesitzer die Verwaltungstätigkeit der politischen Ortsgemeinde ausdrücklich befürwortete oder auch nur stillschweigend billigte, müssen die Organe der politischen Ortsgemeinde als legitime Vertreter bzw Verwalter der Agrargemeinde nbR angesehen werden; dies kraft zivilrechtlichen Bevollmächtigungsaktes. Das bürgerliche Recht, nach welchem die Agrargemeinde ihre Vertretungs- und Geschäftsführungsorgane bestellte, ist auf einen ausdrücklichen schriftlichen Rechtsakt nicht angewiesen. Das Vermögensverwaltungsrecht der „politischen“ Gemeindeordnungen wurde dieser Beauftragung als „lex contractus“ zu Grunde gelegt.

§ 63 TGO 1866 traf nähere Regelungen betreffend die Nutzung des Gemeindegutes und begründete eine Verwaltungskompetenz des Gemeindeausschusses (§ 63 Abs 2 TGO 1866). Es wurde auf die „gültige Übung“ verwiesen, nach der man sich bei der Nutzung zu benehmen hätte; hilfsweise bestand eine Zuständigkeit des Ausschusses der politischen Ortsgemeinde, um Streitigkeiten bei der Benützung beizulegen. Schließlich war vorgesehen, dass Nutzungen aus dem Gemeindegut, welche nach Deckung aller rechtmäßig gebührenden Ansprüche übrig blieben, in die Gemeindekasse abzuführen seien (§ 63 Abs. 4 TGO 1866).
Diese Regeln entsprachen vollständig der Art und Weise, wie die alte Markgemeinde ihre private Wirtschaft über Jahrhunderte geführt hatte. Nach diesen Regeln haben die Stammliegenschaftsbesitzer auch in der neuen politischen Gemeinde weiter gewirtschaftet. Die Öffnung und Demokratisierung dieser neuen Gemeinde ist unter den Tiroler Verhältnissen Jahrzehnte lang in aller Regel nicht aufgefallen. Solange sich der Kreis der Gemeindebürger nach dem politischen Gemeinderecht im Wesentlichen mit dem Kreis der nutzungsberechtigten Korporationsmitglieder deckte, war es nicht einmal unbillig, wenn Überschüsse aus der Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften in eine Gemeinschaftskasse der politischen Ortsgemeinde und der Agrargemeinde flossen. Die Stammliegenschaftsbesitzer dominierten die politische Gemeinde zu dieser Zeit vollständig; sie Stammliegenschaftsbesitzer brachten die wesentliche Steuerleistung auf; die wenigen Gewerbetreibenden in den Landgemeinden fielen demgegenüber nicht ins Gewicht.

Wie in den Gemeinden damals gearbeitet wurde, dokumentiert zum Teil noch heute das händisch geführte Grundbuch: Als man im Jahr 1877 in Hinterthiersee eine neue Schule errichtete, finanzierten die Stammliegenschaftsbesitzer die Kosten für den Kauf der Liegenschaft und die Errichtung des Schulgebäudes wie folgt: Aufteilung aller Zahlungspflichten auf die Grundbesitzer nach dem Verhältnis der von jedem Liegenschaftsbesitzer in Hinterthiersee zu tragenden Grundsteuer. Die Grundbuchsanlegung hatte im Eigentumsblatt folgendes vermerkt: „Aufgrund Kaufvertrages vom 28. Mai 1877 Eigentumsrecht für Gemeindefraktion Hinterthiersee“, welche Lasten und Nutzungen „nach Verhältnis der von der Fraktion zu entrichtenden Grundsteuer zu tragen und zu genießen hat“. Dieses im Eigentumsblatt des Grundbuches offen gelegte Innenverhältnisses einer historischen Gemeinde nach bürgerlichem Recht definiert geradezu klassisch die Real-(Agrar-)Gemeinde: Nur die Eigentümer von Grund und Boden waren grundsteuerpflichtig; im Verhältnis der Grundsteuerlasten haben die Liegenschaftseigentümer von Hinterthiersee zum Ankauf im Jahr 1877 beigetragen; im selben Verhältnis sollten diese Nutzungen und Lasten tragen. Eintritt und Austritt aus der Schulerrichtungs- und -erhaltungsgemeinde nach bürgerlichem Recht „Gemeindefraktion Hinterthiersee“ wurde durch An- oder Verkauf eines grundsteuerpflichtigen Stammsitzes vollzogen. Wer damals nicht Eigentümer einer steuerpflichtigen Liegenschaft war, hatte offensichtlich zum Ankauf der Liegenschaft nicht beigetragen und nicht mitentschieden; er sollte (selbstverständlich) auch an den weiteren Lasten und Nutzungen nicht partizipieren. Eine „politische Gemeindefraktion“ Hinterthiersee existierte ohnehin nicht, sodass auch keinerlei Verwechslungsgefahr bestand.

d) Politische Gemeinde als vermutete Eigentümerin

Aufgrund ihrer umfassenden Kompetenz zur Entscheidung über strittige Eigentums- und Besitzverhältnisse beurteilt die Agrarbehörde auch die Richtigkeit der historischen Grundbuchseintragungen. Das Flurverfassungsrecht geht von irrigen Grundbuchseintragungen geradezu aus und knüpft daran Rechtsfolgen. (§ 22 f FlVerfGG 1951; vgl Oberster Agrarsenat 02.06.1951, 66-OAS-1951: „Welche Rechte die politische Ortsgemeinde aufgrund der irrigen Eintragung als Eigentümerin im Grundbuche ableiten kann, ist in den Bestimmungen des § 51 des Gesetzes vom 06.06.1935 (Tir FLG) eindeutig geregelt“.) Nachdem – wie bereits angesprochen – die Konstruktion „juristischer Personen“, wie wir sie heute kennen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts strittig war und die Rechtspraxis iS der Pandektistik eine nicht regulierte Agrargemeinschaft gar nicht als juristische Person anerkannte, sind objektiv unrichtige Grundbuchseintragungen für agrargemeinschaftliche Vermögen nahezu als Regelfall anzunehmen. (Bartsch, Das österreichische allgemeine Grundbuchsgesetz6 (1928) 702)
Hier interessiert die Frage, wie die Rechtsstellung der Ortsgemeinde zu beurteilen ist, wenn ihr im Zuge der Grundbuchsanlegung irrig die Rechtsposition einer Eigentümerin zugewiesen wurde.

Die Rechtsstellung desjenigen, der zu Unrecht in den öffentlichen Büchern als Eigentümer aufscheint, ist zunächst nach allgemeinen, das heißt zivilrechtlichen Regeln zu beantworten. Das ABGB kennt die Rechtsfigur des „rechtlich vermuteten Eigentums“ (§ 372 ABGB). Schon im römischen Recht entwickelt, schützt diese Rechtsfigur denjenigen, der nicht alle Voraussetzungen für den Eigentumserwerb nach „strengem Recht“ erfüllt, sich jedoch gegenüber dem Prozessgegner als besser berechtigt erweist. Dem Wortlaut nach stellt § 372 ABGB auf einen „gültigen Titel“ ab und die „echte Art“, wodurch der Besitz erlangt wurde. Sind beide Voraussetzungen erfüllt, wird ein solcher („publizianischer“) Besitzer „für den wahren Eigentümer gehalten“ („vermutetes Eigentum“); dies insoweit und solange, als der potentielle Prozessgegner „keinen oder nur einen schwächeren Titel seines Besitzes anzugeben vermag“ (§ 372 S 2 ABGB).

Das Innenverhältnis zwischen dem zu Unrecht in den öffentlichen Büchern ausgewiesenen und dem titulierten (außerbücherlichen) Eigentümer ist nach allgemeinem Zivilrecht durch die Rechtsfigur des sogenannten „nackten Tabularbesitzes“ charakterisiert: Der titulierte (außerbücherliche) Eigentümer kann den Tabularbesitzer auf Aufsandung des Eigentums und Bereicherungsausgleich, allenfalls auf Schadenersatz vor dem Zivilgericht in Anspruch nehmen. Diese Rechtsfolgen nach allgemeinem bürgerlichen Recht werden jedoch durch die spezielleren Regelungen des Flurverfassungsrechts weitgehend verdrängt. Die Rechtsposition der Agrargemeinschaft nach Flurverfassungsrecht unterscheidet sich grundlegend von jener des wahren Eigentümers nach allgemeinem Zivilrecht.

aa) Der historische Gesetzgeber wollte mit dem Sonderrecht für agrargemeinschaftlich genutztes Eigentum insbesondere die Auseinandersetzung zwischen den historischen Nachbarschaften („Realgemeinden“, „Alt-Gemeinden“ usw) und den neu geschaffenen politischen Ortsgemeinden einer spezialgesetzlichen Regelung unterwerfen, wobei diese in den 1870er Jahren entbrannten Streitigkeiten der Kompetenz der Zivilgerichte entzogen werden sollten. (AB 582 BlgAH IX. Session 13: Der Ausschuss „ging vielmehr von der Ansicht aus, dass es sich in dem vorliegenden Gesetze nicht so sehr um die Auseinandersetzung unter den Genossen selbst, als vielmehr um die Auseinandersetzung zwischen den Genossen einerseits und den Gemeinden als solchen andererseits handelt“; Aus den Debattenbeiträgen im AH vgl zB: Sten Prot des AH des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9225 (1883), Dr. Johannes Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses; aaO Seite 9221, Dr. Josef Kopp; aaO Seite 9234 derselbe, uam)

Es sollte an die Stelle des klassischen Eigentumsstreits vor dem Zivilgericht, an dem in der Regel nur zwei Parteien teilnehmen, eine allumfassende reformatorische Neugestaltung der Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse treten, wobei in diesem größeren Rahmen der „agrarischen Operation“ uno actu auch die Eigentumsfrage (zumindest als Vorfrage) gelöst werden konnte. (AB 582 BlgAH IX. Session 12; Vgl nur die Ausführungen des Regierungsvertreters Ministerialrat Ritter von Rinaldini, Sten Prot des AH des österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221) Diese „agrarische Operation“ (Teilung und/oder Regulierung) sollte alle rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte einer optimierten Liegenschaftsnutzung in einem Verfahren umsetzen, dessen Ziel die Neugestaltung der Nutzungs- und Eigentumsverhältnisse war und ist. (Vgl Dr. Josef Kopp, Sten Prot des AH des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9234) Das materielle Recht, das dabei zur Anwendung kommt, ist ein spezielles, denn auf diese besonderen Verhältnisse passen weder die ABGB-Bestimmungen über das Miteigentum ) noch die Normen des (politischen) Gemeinderechts, die nach Auffassung des historischen Gesetzgebers die Benutzung unzulänglich regelten und auch keinerlei Bestimmungen über die Eigentumsverhältnisse am Gemeinschaftsgut enthielten. ) (AB 582 BlgAH IX. Session 12; aus den Sten Prot des AH des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, vgl nur Seite 9921 -Regierungsvertreter Ministerialrat Ritter von Rinaldini; AB 582 BlgAH IX. Session 12; aus den Sten Prot des AH des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221 – Regierungsvertreter v Rinaldini, Seite 9222 f – Abgeordneter Dr. Josef Kopp, Seite 9230 f – Abgeordneter Dr. Georg Granitsch)

bb) Die materiell-rechtlichen Vorgaben des Flurverfassungsrechts zur reformatorischen Gestaltung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind nur rudimentär ausgestaltet. Allerdings ist festzustellen, dass die Ortsgemeinde als Tabularbesitzerin von der Agrargemeinschaft nicht wegen früherer Dispositionen über das (im Innenverhältnis) fremde Eigentum verantwortlich gemacht werden kann: Das Flurverfassungsrecht knüpft nämlich bei den aktuellen „faktischen“ Verhältnissen an; einer Teilung oder Regulierung kann also nur das aktuell (noch) vorhandene Gemeinschaftsvermögen unterzogen werden, soweit es (noch) in Gemeinschaftsnutzung steht. Anderes Vermögen wird – jedenfalls den Grundsätzen nach – unter dem Titel „Gemeindevermögen“ aus der agrarischen Operation ausgeschieden und verbleibt der Ortsgemeinde. Unter diesen Voraussetzungen wäre eine Auseinandersetzung betreffend die Vergangenheit geradezu systemwidrig. Das Flurverfassungsrecht „genehmigt“ damit indirekt alle Dispositionen der Ortsgemeinde aus der Zeit vor Einleitung der agrarischen Operation. Vor diesem Hintergrund ist die Anerkennung der Ortsgemeinde als Verwaltungs- und Vertretungskörper der nicht regulierten Agrargemeinschaft, wie sie durch die Praxis (Vgl Erkenntnis 13.06.1979, LAS-115/3–79) – in Vorarlberg sogar durch eine jahrzehntelang bestehende gesetzliche Regelung (§ 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965, LGBl 45/1965 (unverändert § 99 Gemeindegesetz 1985) – erfolgt ist, nur konsequent.

cc) Ungeachtet eines Eigentumstitels, der sich in aller Regel auf die (nicht regulierte) Agrargemeinschaft bezieht, erweist sich die Ortsgemeinde somit für die Zeit vor Einleitung der agrarischen Operation als verfügungsberechtigt. Aufgrund dieses Verfügungsrechts kommt die Rechtsposition der Ortsgemeinde jener eines (titulierten) „vermuteten Eigentümers“ gemäß § 372 ABGB durchaus nahe. In diesem Sinne wären auch die Rechtsfolgen für den publizianischen Besitz anzuwenden, wonach ein solcher Besitzer solange „für den wahren Eigentümer gehalten“ wird, bis ein besser Berechtigter seinen diesbezüglichen Anspruch durchzusetzen vermag. Die grundlegende Wertung des § 372 ABGB trifft auch auf die Rechtsposition einer Ortsgemeinde hinsichtlich jener (agrargemeinschaftlichen) Liegenschaften zu, die ihr zu Unrecht grundbücherlich zugeschrieben worden waren. Dies gilt nicht nur im Außenverhältnis gegenüber unbeteiligten Dritten, sondern gerade auch im Innenverhältnis gegenüber der nicht regulierten Agrargemeinschaft und ihren Mitgliedern, denen – abgesehen vom Nutzungsrecht (regelmäßig als Annex des Stammsitzes) – ein Anteilsrecht an der „Nachbarschaft“ (heute Agrargemeinschaft) zusteht. Die Ortsgemeinde ist hinsichtlich der ihr grundbücherlich zugeschriebenen Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung als „rechtlich vermutete Eigentümerin“ zu behandeln – dies so lange, bis die Agrarbehörde rechtskräftig über die Eigentumsverhältnisse entschieden hat.

Anschaulich wird die Anwendbarkeit der Rechtsfigur des vermuteten Eigentums in jenen Fällen, in denen der Eigentumstitel auf eine Forstservitutenablösung zurückgeht. ) Beispielsweise ist auf das Servitutenpatent 1853, Kaiserliches Patent vom 05.07.1853, zu verweisen, wodurch die Bestimmungen über die Regulirung und Ablösung der Holz-, Weide- und Forstprodukten-Bezugsrechte, dann einiger Servituts- und gemeinschaftlichen Besitz- und Benützungsrechte festgelegt werden, RGBl 130/1853 oder älteren Vorläufern in den verschiedenen Bundesländern.
Das ABGB nennt nämlich (§ 373) einzelne konkrete Fallkonstellationen, in denen der „Geklagte (…) dem Kläger weichen“ muss. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Geklagte „die Sache ohne Entgelt, der Kläger aber gegen Entgelt erhalten hat“. Liegenschaften, welche als Ablöseleistung im Zuge einer „Servitutenoperation“ übertragen wurden, repräsentieren den Wert der abgelösten Nutzungsrechte und sind deshalb entgeltlich iS des § 373 ABGB erworben. Wenn sich die Rechtsnachfolger der seinerzeit abgelösten Nutzungsberechtigten als Agrargemeinschaft konstituieren, ist selbstverständlich dieser Gemeinschaft und nicht der Ortsgemeinde das Eigentumsrecht zuzusprechen.

6. Verwaltungs- und Vertretungstätigkeit und Eigentum

Unabhängig von einer allfälligen Verwaltungstätigkeit der politischen Ortsgemeinde erfolgte die Nutzung des Gemeinschaftsvermögens weiterhin durch die Stammliegenschaftsbesitzer. Die Einbeziehung der Gemeinschaftsliegenschaften in die Vermögensverwaltung einer Ortsgemeinde konnte unter diesen Umständen keinen Eigentumsübergang an diesen Liegenschaften auf die Ortsgemeinde bewirken. Dies umso weniger, als das Teilungs- Regulierungs- Recht und später das Flurverfassungsrecht die Rechtsinstitute der Ersitzung und Verjährung für solche Sachverhalte ausgeschlossen hat.

Zwar hatten die politischen Ortsgemeinden zur Zeit der Tiroler Grundbuchanlegung in vielen Fällen schon mehrere Jahrzehnte kraft stillschweigender Beauftragung die förmliche Vertretung der „alten Agrargemeinde“ ausgeübt. Und in den Fällen, wo innerhalb der politischen Ortsgemeinde verschiedene Nachbarschaften eigenständiges Eigentum besaßen, bedienten sich diese der gemeinderechtlichen Organisationsform der „Fraktion“ (nach dem Tiroler „Fraktionengesetz“ – Leftbar: Gemeinderecht/Fraktionengesetz 1893; Leftbar: Grundbuch/Fraktion ist eine Nachbarschaft). Nicht zuletzt aus diesem Grund wurden viele dieser Gemeinschaftsliegenschaften im Zuge der Grundbuchanlegung auf „Gemeinde“ bzw „Fraktion“ als Eigentümerin registriert. Trotzdem resultierte daraus kein Eigentumserwerb zu Gunsten der Ortsgemeinde kraft Ersitzung, weil die Stammliegenschaftsbesitzer die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften für ihre privaten Zwecke genutzt haben und – wie bereits ausgeführt – weil das Teilungs- Regulierungs- Recht und später das Flurverfassungsrecht die Rechtsinstitute der Ersitzung und Verjährung für solche Sachverhalte ausgeschlossen hat.

7. Schenkung an die politischen Ortsgemeinden?

Die moderne politische Ortsgemeinde konnte als juristische Person Vermögen nach den Bestimmungen des ABGB von der Agrargemeinde erwerben. Dies ist für spezielle Kategorien des Eigentums der historischen Markgemeinde auch tatsächlich zu unterstellen: Insoweit ursprüngliches Vermögen der Markgemeinde zur Erfüllung von öffentlich-sozialen Aufgaben gewidmet war, ist tatsächlich ein Eigentumsübergang auf die politische Gemeinde zu unterstellen. Als Beispiele wäre auf das Armenhaus, die Gemeindehalle, die Schule, das Spital, den Friedhof und ähnliches zu verweisen. Hier war jedenfalls keine ausschließliche Nutzung durch die Stammliegenschaftsbesitzer gegeben; und diese Liegenschaften standen in keiner agrargemeinschaftlichen Nutzung. Ein Eigentumserwerb kraft Ersitzung zu Gunsten der neuen politischen Ortsgemeinde war und ist deshalb nicht durch das Flurverfassungsrecht ausgeschlossen.

Ein Eigentumsübergang kann jedoch nicht von Gesetzes wegen angenommen werden, weil dies eine entsprechende Spezialnorm erfordern würde – die es nicht gibt. Die Grundlage dafür ist vielmehr im (allgemeinen) Privatrecht zu suchen: Stillschweigende Eigentumsaufgabe (Dereliktion) und Aneignung (Okkupation) oder eben Ersitzung. Die Gemeinde nach bürgerlichem Recht hat ihr Eigentumsrecht aufgegeben; die politische Ortsgemeinde hat das Eigentumsrecht okkupiert.

Insoweit Gemeinschaftsvermögen der alten Agrargemeinde jedoch dem besseren Fortkommen der Einzelwirtschaften der Stammliegenschaftsbesitzer gewidmet war (gemeinsame Weide, Gemeinschaftswald, Gemeinschaftsalpe, Sennerei, Schlachthaus, Schottergrube, Steinbruch, Sandgrube, Mühlen, das Brunn- oder Röhrwasser usw – der Codex Theresianus erwähnt zusätzlich Brauhäuser, Leimgruben, Bäder, Schießstätten (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 137), kann von einer Eigentumsaufgabe zu Gunsten der politischen Gemeinde gerade nicht die Rede sein. Wenn ein Vermögen ausschließlich zur Nutzung durch einen bestimmten Personenkreis, den Kreis der Stammliegenschaftsbesitzer, gewidmet ist, wäre es absurd, eine Eigentumsaufgabe zu Gunsten der politischen Ortsgemeinde zu unterstellen. Insoweit das Gemeinschaftsvermögen „agrargemeinschaftlich genutzt“ wurde, stand dem Eigentumserwerb kraft Ersitzung zusätzlich das Flurverfassungsrecht im Wege.

8. „Umgründung“ der Agrargemeinden

Durch die ausdrückliche Regelung in den politischen Gemeindegesetzen, wonach die Privatrechtsverhältnisse im Allgemeinen und insbesondere das Privateigentum der Gemeindeglieder oder ganzer Klassen derselben unberührt bleiben (§§ 26 prov. GemG 1849; 12 TGO 1866), wurde folgendes klargestellt: Die Korporationen privaten Ursprungs, die alten Agrargemeinden nach bürgerlichem Recht, bleiben neben und innerhalb der politischen Ortsgemeinde weiter bestehen. (Leftbar: Wissenschaft/Keine Kommunalisierung der Allmenden)

Solange Gesellschaftsvermögen existiert, kann auch kein Untergang der juristischen Person, der dieses Eigentum zugeordnet ist, angenommen werden. Die alte Agrargemeinde mag bei den Gemeindegliedern in Vergessenheit geraten sein, weil die Verwaltung des Vermögens der politischen Ortsgemeinde übertragen worden war und die Nutzung kraft eigenen, mit dem jeweiligen Stammbesitz verbundenen, privaten Rechts erfolgte. Dies ändert nichts am Fortbestehen der „alten Agrargemeinde“, welche durch das Vorhandensein ihres Vermögens gewährleistet wurde. Erst mit dem Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz vom 7. Juni 1883, RGBl 1883/94 wurde eine neue Rechtsgrundlage dafür geschaffen, dass die Gemeinschaftsgüter geteilt und die gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte an den Gemeinschaftsgütern von Seiten der Behörde reguliert werden konnten. Das Tiroler Ausführungsgesetz dazu wurde allerdings erst am 19. Juni 1909(!) erlassen. Erst mit Verabschiedung dieses Gesetzes stand in Tirol eine klare Rechtsgrundlage zur „Umgründung“ der alten Agrargemeinde zur Verfügung. (Rightbar: Richter über Gemeindegut/Das Agrarrecht kommt nach Tirol) Ungeachtet dessen wurden zahllose Gemeinschaftsliegenschaften weiterhin nach Gemeinderecht verwaltet. Dort wo die Stammliegenschaftsbesitzer sich nicht für einen Regulierungsantrag entschieden haben, gilt dieser Zustand noch heute unverändert. Das Bodenreformrecht (Flurverfassungsrecht) greift erst ab dem Zeitpunkt ein, zu welchem eine agrarische Operation eingeleitet wird. Solange das nicht der Fall ist, gelten für die Verwaltung die Regeln des Gemeinderechts. (Leftbar: Konkurrenzen/Gemeinderecht, Agrarrecht, Überschneidungen, Historie)

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9. „Gemeindegut“ im historischen Gemeinderecht

Als die modernen politischen Ortsgemeinden errichtet wurden, hat das Staatsrecht den Begriff „Gemeindegut“ aus dem Recht der alten „Nachbarschafts-Gemeinden“ übernommen (gl § 288 ABGB und die korrespondierenden Gesetzesstellen im Westgalizischen Gesetzbuch sowie bereits im Codex Theresianus; s Hauptstück: „Gemeinde“, das waren …).

In den Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz 1862, zB § 63 Tiroler Gemeindeordnung von 1866, wurde die Nutzung eines „Gemeindeguts“ geregelt, ohne dass zum Ursprung oder zur Rechtsnatur dieses Gutes ein Wort verloren würde.

EIGENTUM DER GEMEINDE?

§ 63 Tiroler Gemeindeordnung 1866 (und die praktisch wortgleichen Gesetzesregelungen der anderen historischen Landesgesetze) definieren das Gemeindegut nicht als ein Gut der Ortsgemeinde. Geregelt wird eine Aufsichtspflicht und ein Maßstab für die richtige Nutzung (§ 63 Abs 1 TGO 1866); und der Ortsgemeinde wird eine Gegenleistung zuerkannt dafür, dass diese Aufsichtspflicht besteht (§ 63 Abs 4 TGO 1866).
„§63 TGO 1866. (1) In Bezug auf das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes ist sich nach der bisher gültigen Übung zu benehmen, mit der Beschränkung jedoch, daß, sofern nicht spezielle Rechtstitel Ausnahmen begründen, kein zum Bezuge berechtigtes Gemeindemitglied aus dem Gemeindegute einen größeren Nutzen ziehe, als zur Deckung seines Haus- und Gutsbedarfes notwendig ist.
(2) Wenn und insoweit eine solche gültige Übung nicht besteht, hat der Ausschuß mit Beachtung der erwähnten beschränkenden Vorschrift die, die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes regelnden Bestimmungen zu treffen.
(3) Hiebei kann diese Teilnahme von der Entrichtung einer jährlichen Abgabe, und anstatt oder neben derselben von der Entrichtung eines Einkaufsgeldes abhängig gemacht werden.
(4) Diejenigen Nutzungen aus dem Gemeindegute, welche nach Deckung aller rechtmäßig gebührenden Ansprüche erübrigen, sind in die Gemeindekasse abzuführen.“

Daraus darf und kann nicht abgeleitet werden, dass das Eigentumsrecht am Gemeindegut der Nachbarschafts-Gemeinden auf die neuen politischen Ortsgemeinden übertragen worden wäre. Dem neuen Recht der politischen Ortsgemeinde kann gerade nicht unterstellt werden, dass die alten Nachbarschafts-Gemeinden enteignet werden sollten. Das Gegenteil ist der Fall!

ENTEIGNUNG DURCH GEMEINDEGESETZ?

Ausdrücklich ist im Gesetz nämlich folgendes geregelt: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Classen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.
(§ 26 der provisorischen Gemeindeordnung 1849; die idente Bestimmung ist in allen Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz 1862 enthalten, zB § 12 TGO 1866; § 11 VGO 1864 – Vorarlberger Gemeindeordnung vom 22. April 1864; § 11 KGO 1864 – Kärntner Gemeindeordnung vom 15. März 1864).

Auch muss man sich vor Augen führen, dass es moderne politische Gemeindegesetze gibt, die überhaupt keine Gesetzesregelung über ein „Gemeindegut“ enthalten. Tirol ist da das beste Beispiel. Tirol war das einzige Kronland, in welchem bereits nach dem Ende der Napoleonischen Kriege ein modernes, politisches Gemeindegesetz in Geltung gesetzt wurde. (Gemeinderegulierungspatent 1819 – GRP 1819; dazu: Leftbar GEMEINDERECHT, Gemeinderegulierung 1819) Dieses Gesetz kennt keine Regelung über ein Gemeindegut; es gibt in diesem Gesetz keine Gesetzesbestimmung, die für die Gemeinschaftsnutzung von Alm, Feld und Wald angewandt werden könnte.

Damit ist aber nicht gesagt, dass der Gesetzgeber des Jahres 1819 die Existenz der Gemeinschaftsliegenschaften, der „Allmendliegenschaften“, übersehen hätte. Das Gegenteil ist der Fall! Bereits in § 3 GRP 1819 werden die Gemeinschaftsgüter der Gemeindeglieder ausdrücklich erwähnt.
Mit dieser Gesetzesbestimmung wurde die Einteilung der Gemeinden damals genau so wieder hergestellt, wie diese vor Abtretung Tirols im Frieden zu Preßburg 1805 an das damalige Königreich Bayern bestanden hatte. Ausdrücklich wird diese Wiederherstellungsanordnung damit begründet, dass diese Einteilung der Gemeinden mit dem „verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten“ vollkommen übereinstimmte. Die Grenzen für die Gemeinschaftsgüter der Gemeindeglieder sollten in der Regel auch die Grenzen der politischen Gemeindeverwaltung bilden.

In Niederösterreich hat man sich dafür entschieden, den Begriff „Gemeindegut“ gerade nicht in die moderne NÖ Gemeindeordnung vom 31. März 1864 aufzunehmen. Es gibt dort den Begriff des „Stammeigentums“ der Gemeinde, das „Stammvermögen oder Stammgut“ sei (§ 62 NÖ GO 1864). Es liegt nahe, dass man den Begriff „Gemeindegut“ deshalb nicht in der modernen Gemeindeordnung verwenden wollte, weil dieser Begriff völlig unklar erscheinen musste. § 64 NÖ Gemeindeordnung vom 22. April 1864 spricht nur vom „Gemeinde-Eigenthum“ und den Nutzungsrechten daran.

ÜBERNOMMEN AUS DEM ABGB

Bevor der Begriff des „Gemeindeguts“ Eingang in die meisten Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862, zB § 63 TGO 1866, gefunden hatte, war dieser Begriff bereits im provisorischen Gemeinde-Gesetz vom 17. März 1849 aufgetaucht.
„Gemeindegut“ sei, so wie das „Gemeindevermögen“, ein Eigentum der neuen, politischen Ortsgemeinde, das nicht unter den Gemeindebürgern aufgeteilt werden dürfe. (§ 74 prov. GemG 1849)

Warum das liberalen „provisorische Gemeinde-Gesetzes“ von 1849 – anderes als das Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819 – Gesetzesregeln zum „Gemeindegut“ enthält, ist nach wie vor unerforscht. Das prov. Gemeinde-Gesetz 1849 gilt als Privatarbeit des damaligen Innenministers Franz Seraphicus Stadion, Graf von Warthausen und Thannhausen, kurz: Graf Stadion. Gesetzesmaterialien, die Graf Stadions Überlegungen zur damaligen Regelung des § 74 prov. GemG 1849 enthüllen, wurden bisher nicht aufgefunden.

Bereits 50 Jahre zuvor war der Begriff „Gemeindegut“ im Entwurf für ein neues Bürgerliches Recht – dem „Westgalizischen Gesetzbuch“ – zur Erklärung der Rechtsverhältnisse am Nachbarschaftseigentum verwendet worden, das in Form von „Gemeinden“ organisiert war (Rightbar: Gemeinden das waren …/Gemeinden und andere Private). Im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1811 wird der Begriff „Gemeindegut“ ebenfalls zur Erklärung des Vermögensrechts der „nachbarschaftlichen“ Gemeinde, einer Gesellschaft der Privaten, verwendet:
§ 286 ABGB: Die Sachen in dem Staatsgebiethe sind entweder ein Staats- oder ein Privat-Gut. Das Letztere gehört einzelnen oder moralischen Personen, kleinern Gesellschaften, oder ganzen Gemeinden.
§ 288 ABGB: Auf gleiche Weise machen die Sachen, welche nach der Landesverfassung zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes einer Gemeinde dienen, das Gemeindegut; diejenigen aber, deren Einkünfte zur Bestreitung der Gemeindeauslagen bestimmt sind, das Gemeindevermögen aus.
(Rightbar: Gemeinden das waren …/“Gemeinde“ im ABGB von 1811)

Die Bestimmung des § 74 prov. GemG 1849 spricht freilich nur ein „Gemeindegut“ an, das ein Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde ist, ohne Aufschluss über die Herkunft dieses Guts zu geben: § 74 prov. GemG. „Da das Gemeindevermögen und Gemeindegut Eigentum der Gemeinde als moralische Person, und nicht der jeweiligen Gemeindeglieder ist, so ist jede Veräußerung des Gemeindevermögens und Gutes und jede Verteilung desselben untersagt, und nur ausnahmsweise kann unter gehöriger Begründung die Bewilligung hiezu von dem Landtage erteilt werden.“

EIGENTUMSVERHÄLTNISSE BLEIBEN OFFEN

Vergleicht man die Gesetzesbestimmungen zum Vermögensrecht der neuen politischen Ortsgemeinde im prov. Gemeinde-Gesetz 1848 mit den Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz 1862, welche den begriff „Gemeindegut“ verwenden (so beispielsweise §§ 60ff TGO 1866), so entsteht der Eindruck entstehen, dass in den Gemeindeordnungen der Länder aus den jahren 1863 bis 1866 nur das „Stammvermögen“ und das „Stammgut“ der Gemeinde als ihr Eigentum verstanden wurde (§§ 60 bis und 62 TGO 1866); hinsichtlich des „Gemeindegutes“ (§ 63 TGO 1866) bleiben die Eigentumsverhältnisse nach dem Gesetzeswortlaut offen.

TGO 1866. §§ 60 – 82. Fünftes Hauptstück. Vom Gemeindehaushalt und von den Gemeindeumlagen.
§ 60. Das gesamte bewegliche und unbewegliche Eigentum und sämtliche Gerechtsame der Gemeinde und ihrer Anstalten und Fonde sind mittels eines genauen Inventars in Übersicht zu halten. Jedem Gemeindemitgliede ist die Einsicht in dasselbe zu gestatten.
§ 61. Das Stammvermögen und das Stammgut der Gemeinden und ihrer Anstalten und Fonde ist ungeschmälert zu erhalten.
Ein vorzügliches Augenmerk hat die Gemeinde auf die Erhaltung und nachhaltige Pflege ihrer Waldungen zu richten, und sie hat die forstpolizeilichen Vorschriften genau zu befolgen und befolgen zu machen.
Zur Verteilung des Stammvermögens und des Stammgutes oder eines Teiles desselben unter die Gemeindeglieder ist ein Landesgesetz erforderlich.
§ 62. Das gesamte erträgnisfähige Vermögen der Gemeinden und ihrer Anstalten ist derart zu verwalten, dass die tunlich größte nachhaltige Rente daraus erzielt werde. Zurückbezahlte Kapitalien sind sobald wie möglich wieder sicher und fruchtbringend anzulegen.
Die Jahresüberschüsse sind zur Deckung der Erfordernisse im nächsten Jahre zu verwenden, und insofern sie hiezu nicht benötigt werden, fruchtbringend anzulegen, und zum Stammvermögen zu schlagen.
Eine Verteilung der Jahresüberschüsse unter die Gemeindemitglieder kann nur bei besonders berücksichtigenden Umständen und jedenfalls nur unter der Bedingung stattfinden, dass sämtliche Gemeindeerfordernisse ohne Gemeindeumlagen bestritten wurden, und dass dieselben voraussichtlich auch in Hinkunft ohne Gemeindeumlagen bestritten werden können. (§ 87)
§63 TGO 1866. In Bezug auf das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes ist sich nach der bisher gültigen Übung zu benehmen, mit der Beschränkung jedoch, daß, sofern nicht spezielle Rechtstitel Ausnahmen begründen, kein zum Bezuge berechtigtes Gemeindemitglied aus dem Gemeindegute einen größeren Nutzen ziehe, als zur Deckung seines Haus- und Gutsbedarfes notwendig ist.
Wenn und insoweit eine solche gültige Übung nicht besteht, hat der Ausschuß mit Beachtung der erwähnten beschränkenden Vorschrift die, die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes regelnden Bestimmungen zu treffen.
(3) Hiebei kann diese Teilnahme von der Entrichtung einer jährlichen Abgabe, und anstatt oder neben derselben von der Entrichtung eines Einkaufsgeldes abhängig gemacht werden.
(4) Diejenigen Nutzungen aus dem Gemeindegute, welche nach Deckung aller rechtmäßig gebührenden Ansprüche erübrigen, sind in die Gemeindekasse abzuführen.“
§ 64. Das Verwaltungsjahr der Gemeinde fällt mit jenem des Staates zusammen.
§ …“

Die Schlussfolgerung des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis VfSlg 9336/1982, wonach das Gemeindegut im Sinn des § 63 TGO 1866 als ein Eigentum der Ortsgemeinde gedacht war, weil § 74 prov. GemG 1849 das Gemeindeeigentum in ein „Gemeindevermögen“ und ein „Gemeindegut“ aufgegliedert hatte, erscheint somit durchaus problematisch!

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9. Zusammenfassung

Gemeindegut ist ein agrargemeinschaftlich genutztes Gemeinschaftseigentum der Nachbarn, das sich innerhalb der modernen Ortsgemeinde als „Tabularbesitz“ (Buchbesitz) einer Gemeinde oder „Fraktion“ erhalten hat.

Solange eine agrarische Operation nicht eingeleitet ist, erfolgt die Verwaltung solcher Liegenschaften nach Gemeinderecht; die Gemeinde agiert als „vermuteter Eigentümer“ gem § 372 ABGB.

Ganz egal, wie lange dieser Zustand andauert – der bessere Anspruch auf das Eigentum verbleibt der nicht (regulierten) Agrargemeinschaft, weil das Flurverfassungsrecht für die Rechtsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften weder Ersitzung noch Verjährung kennt.

Um die vermutete Eigentümerstellung der Ortsgemeinde zu beenden, müssen die (berechtigten) Nachbarn die Durchführung einer agrarische Operation veranlassen.

Nur im Zuge einer agrarischen Operation können die besseren Rechte der berechtigten Nachbarn auf das Eigentum durchgesetzt werden: die Agrargemeinschaft wird als Eigentümerin festgestellt.

Obwohl die Ortsgemeinde dem besseren Eigentumsanspruch der berechtigten Nachbarn, die eine Agrargemeinschaft bilden, weichen muss, gebührt ihr nach Flurverfassungsrecht ein Anteilsrecht an der gesamten Agrargemeinschaft, sofern keine anderes Parteienübereinkommen erzielt wird.

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MP

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