Von der Dorfgemeinde
zur Agrargemeinschaft

I. Die Untertanen des Kaisers waren entweder „Gemeinden“ oder einzelne Personen

Die heutige politische Ortsgemeinde ist ein Kind des Revolutionsjahres 1848. Es wurde eine allgemeine unterste Staatsebene neu geschaffen, die von den Bürgern in gewisser Selbstverwaltung, Autonomie und Demokratie geleitet werden sollte. Diese neue, unterste Ebene des Kaiserstaates wurde in den verschiedenen Verfassungsentwürfen geregelt, die seit dem Frühjahr 1848 geschaffen wurden. (mehr dazu) Die Rechtsentwicklung zeigt, dass diese neue politische Gemeinde, die den Bürgern gewisse neue Rechte sichern sollte, im Zentrum intensiver politischer Überlegungen stand. (mehr dazu) Erst das Reichsgemeindegesetz von 1862 und die Ausführungsgesetze der Länder dazu (von 1863 bis 1866) ordneten diese Einrichtung endgültig. (mehr dazu) Per gesetzlicher Anordnung aus dem Jahr 1945 gründen die heutigen Ortsgemeinden in Österreich auf den Einrichtungen, die aufgrund dieser Landesgemeindegesetze von 1863 bis 1866 konstituiert wurden. (mehr dazu)

Die Rechtsquellen aus der Zeit vor dem Revolutionsjahr 1848 meinen die verschiedensten „Gemeinde-Gebilde“ – Steuergemeinden, Schulgemeinden, Wehrgemeinden, Kirchengemeinden, Dorfgemeinden und andere – ein direkter Rechtszusammenhang (Rechtsnachfolgezusammenhang) zwischen diesen vielgesichtigen Gemeindegebilden und den heutigen Ortsgemeinden, ist gesetzlich nicht angeordnet. (mehr dazu) Speziell  die Eigentumsfrage betreffend ist das in den politischen Gemeindegesetzen 1849 und 1863 bis 1866 sogar explizit angeordnet. (mehr dazu) Die Angelegenheit war so wichtig, dass im Jahr 1850 ein eigener Erlass zur Verwaltung des Gemeindeeigentums veröffentlicht wurde, der klar stellt, dass das Gemeinschaftsvermögen der Gemeindebürger unangetastet bleiben muss (mehr dazu).

Hier interessiert besonders die Dorfgemeinde, der durch Gemeinsamkeiten der Ansiedler an einem bestimmten Ort geschaffene juristische Zusammenhang der Ansiedler, der sich durch gemeinsame Rechte (Alm, Wald, Weide, Wasser, Brunnen, Mühlen,  usw) und gemeinsame Pflichten (Wegerhaltung, Hochwasserschutz, Kriegslasten usw) manifestierte: „Gemeinde“, das waren Hauseigentümer mit Rechten und Pflichten (mehr dazu), Hauseigentümer, die im selben Waldstück Holzrechte ausübten (mehr dazu),  Hauseigentümer, die gemeinsame Weiderechte besaßen (mehr dazu) usw. Die Rechtsordnung des Kaiserstaates  definierte diese (Dorf-) Gemeinde als Privatperson, nicht anders als die Einzelindividuen. Bezeichnend ist die „Gemeindedefinition“ des „Gesetzbuches der Kaiserin Maria-Theresia“ („Codex Theresianus“), der die „Gemeinde“ als Zusammenschluss von mindestens drei natürlichen Personen definiert. (mehr dazu) Die (Dorf-)Gemeinde des Kaisertums ist demnach nichts anderes als das, was wir heute Gesellschaft nach bürgerlichem Recht nennen.

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1. Allgemeines

„Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“. So lautet § 6 des 2. Teiles des Entwurfes zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, den der Tiroler Freiherr Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, im Jahr 1796 seinem Kaiser vorlegte. Der Ur-Entwurf zum ABGB, auch genannt „Entwurf Martini“, macht die Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ zum Ende des 18. Jhdt deutlich.
Damals sollte das teilweise aus dem Mittelalter überlieferte, unter Heranziehung des Römischem Rechts neu strukturierte, mit kirchenrechtlichen („kanonischen“) Rechtsgedanken angereicherte „gemeine Recht des Reiches“ auf dem Staatsgebiet der Österreichischen Erblande durch eine moderne Zivilrechtskodifikation abgelöst werden. Das „gemeine Recht des Reiches“ war das Recht, das im sog. Heiligen Römischen Reiches dt. Nation gegolten hat, das immer dann herangezogen wurde, wenn sich aus den lokalen Rechtsvorschriften keine Regelung der betreffenden Sachmaterie ergeben hat.

Eine „Gemeinde“ ist nach diesem Gesetzesentwurf von Freiherr Karl Anton Martini zu Wasserburg ein „Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft“. Die „Gemeinde“ ist juristische Person nach privatem Recht, ein privater Zusammenschluss der Bürger – nicht Genossenschaft im heutigen Sinn, sondern eben „Gemeinde“ nach bürgerlichem Recht – eine heute in Vergessenheit geratene Gesellschaftsform. Die Rechtswissenschaft, welche sich der Bearbeitung des „gemeinen Rechtes“ widmete, sprach von einer Korporation, einer „persona moralis“.
Der neutrale Blick aus heutiger Sicht ist durch die Verengung des Verständnisses vom Begriff „Gemeinde“ verstellt. Karl Anton Martini hat den Text seines Gesetzesentwurfes natürlich auf der Grundlage des damaligen sprachlichen Verständnisses erarbeitet. Der Begriff „Gemeinde“ als Bezeichnung der untersten Ebene des Staates hat damals nicht existiert, weil der damalige Staat nicht bis auf diese (heute) unterste Ebene durchorganisiert war. Eine „Gemeinde“ war danach damals eine private Personenvereinigung – nicht mehr und nicht weniger – eine Personenvereinigung aus mindestens „drei Personen“. Drei Personen, die sich zur Verfolgung eines bestimmten Zweckes zusammen geschlossen hatten, bildeten nach dem damaligen Sprachgebrauch eine „Gemeinde“. Heute würde man sagen eine „Gesellschaft nach bürgerlichem Recht“.

Aus heutiger Sicht auffällig ist die Tatsache, dass Karl Anton Martini bei seiner Aufzählung der privaten Untertanen des Kaisers die Gemeinden noch vor den einzelnen Personen nennt. Die Gemeinden erscheinen bei Martini im Vergleich zu den einzelnen Personen als die „wichtigeren“ Untertanen. Dieser Eindruck ist unter den Kommunikations- und Informationsverhältnissen des 18. Jhdts durchaus nachvollziehbar: Der Herrscher hat es vorgezogen seine Untertanen sozusagen in „Hundertschaften“ anzusprechen, weil nur organisierte Verbände von Untertanen für die politische Führung wirklich „greifbar“ waren – und das im wahrsten Sinn des Wortes: Steuern wurden „gemeindeweise“ erhoben; Kriegslasten wurden „gemeindeweise“ auferlegt usw. Die Größe einer Gemeinde hatte man damals nicht nach der Anzahl der Einwohner erhoben, sondern nach der Anzahl der Häuser, „der Feuerstätten“ erhoben („Feuerstättenzählung“).

2. Die „Gemeinde“ ist juristische Person des Privatrechts

Die Korporation „Gemeinde“ war über Jahrhunderte die wichtigste Erscheinungsform der juristischen Person nach Privatrecht, gebildet aus einer Personenmehrheit. Als juristische Person war die Gemeinde schon im historischen Griechenland („polis“) und im römischen Rechtskreis unter der Bezeichnung „communitas“, „vicus“, „colonia“ anerkannt. Das Privatrecht im Heiligen Römischen Reich dt. Nation im Allgemeinen bzw. der Österreichischen Erblande im Speziellen hielt viel auf die römisch-rechtlichen Traditionen: Die Privatrechtsordnung, das „gemeine Recht des Reiches“, war ein schwer überblickbares Gemisch aus römischem Recht, kanonischem Recht und lokalen Rechtsvorschriften unterschiedlichster Herkunft, aus welchem die Wissenschaft im 18. und 19. Jhdt ein einheitliches Rechtsystem zu schaffen versuchte. Die „Gemeinde“ war demnach ein Verband von Personen, der sich zur Förderung eines erlaubten, die Mitglieder selbst überdauernden Zweckes zusammengeschlossen hatte.

Die ersten Versuche des historischen Gesetzgebers bei der Vorbereitung der Kodifikation des Zivilrechtes, die wichtigste juristische Person nach Privatrecht, die Gemeinde, zu definieren, blieben allerdings reichlich unklar. Der Codex Theresianus, ein im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia 1766 vorgelegter Entwurf für eine Kodifikation des gesamten bürgerlichen Rechts, definierte die Gemeinde wie folgt: „Alle anderen zu den Gemeinden gehörige Sachen sind in ihrem Eigentum, welche in dieser Absicht als sittliche Personen betrachtet und hierunter die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften wie auch alle und jede weltliche Versammlung mehrerer in größerer oder kleinerer Anzahl bestehender Personen, welche rechtmäßig errichtet und von Uns bestätigt sind, verstanden werden, also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“ Dass Kaiserin Maria Theresia ein Gesetzeswerk mit derart konfusen Regelungen verworfen hat, verwundert nicht. Losgelöst von den sachenrechtlichen Regelungen und bereinigt um die „Versammlung“, welche verfehlter Weise der „Gemeinde“ zu Seite gestellt wurde, ist dieser legistische Regelungsversuch etwa wie folgt zu verstehen: „Die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften, welche privates Eigentum besitzen, werden als sittliche Personen betrachtet, wobei wenigstens drei Personen eine Gemeinde ausmachen können.“

3. Die „Gemeinde“ hatte persönliche Rechte

Die Rechtswissenschaft des „gemeinen Rechtes“ hatte freilich bereits Grundsätze über die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ erarbeitet. Für die Gemeinden, welche in der Regel aus der fortgesetzten Niederlassung von Menschen an demselben Ort, einem „Siedlungsverband“, hervorgingen, war anerkannt, dass sich ein gemeinsamer Zweck des Zusammenschlusses erst allmählich herausgebildet hatte. Den „Gemeinden“ war Vermögensfähigkeit zugestanden, die Fähigkeit zum Besitz, die Fähigkeit zum Prozessieren sowie die volle Erbfähigkeit. Insbesondere konnten die Gemeinden auch Verträge mit ihren Mitgliedern abschließen, mit Externen (zB kirchlichen Einrichtungen) und natürlich auch mit anderen Gemeinden weltlicher oder geistlicher Art oder mit der Obrigkeit.Irgendeiner staatlichen Bestätigung bedurfte die Bildung einer Gemeinde nicht. Zu Recht wird behauptet, dass viele derartige Personenverbände, weltliche oder kirchliche Gemeinden, ebenso alt oder älter als der damalige Staat gewesen sind. (Baron, Pandekten § 31; vgl auch Dernburg, Pandekten § 63 Z 1)

4. Die Gemeindedefinition des Tirolischen Guberniums von 1784

1784 lieferte das Gubernium für Tirol und Vorarlberg einen Befund zum Gemeindeverständnis nach damaligem Tiroler Landesrecht: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (Tiroler Landesarchiv (TLA), Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249, zitiert nach Wilfried Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol aus rechtsgeschichtlicher Perspektive, Tiroler Heimat 2008, 162)
Erkennbar spricht das Gubernium in diesem Gutachten von einer Variante der Gemeinde, welche jedenfalls keine geistliche Gemeinde, dh keine Kirchengemeinde ist. Beim beschriebenen Gemeindetypus geht es um Höfe (gemeint deren Eigentümer), welche sich zusammengeschlossen hatten, um gewisse „Nutzbarkeiten“ an Weiden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden zu „genießen“. Die gemeinschaftliche, Dritte ausschließende Nutzung bestimmter Liegenschaften (möglicher Weise in Verbindung mit Pflichten) und ein Gemeinschaftsvermögen („gemeinschaftlicher Beutel oder Cassa“) charakterisieren die Gemeindebildung durch lokale Siedlungsverbände. Es ist leicht ersichtlich, dass diese Definition deutlich klarer beschreibt, was „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ sein kann, als der Definitionsversuch des Codex Theresianus von 1766. Von diesem Gemeindetypus, charakterisiert durch den „gemeinschaftlichen Genuss bestimmter Nutzbarkeiten an Liegenschaften“, von dieser „Agrargemeinde nach bürgerlichem Recht“, soll im Folgenden hauptsächlich die Rede sein.

TEXT VERBERGEN

II. Die (Dorf-)Gemeinde und ihre Gemeinschaftsliegenschaft

1. Die Dorfgemeinde und andere Gemeinden

Als sich Freiherr Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, in den 90er Jahren des 18. Jhdts an die Arbeit machte, um für seinen Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch das Sachenrecht zu formulieren, definierte er in § 3, dass die Sachen im Staatsgebiet entweder dem Staat insgesamt gehören oder bestimmten Mitgliedern desselben, den Privaten.
Die anschließenden §§ 4 und 5 behandelten die Sachen des Staates.

In § 6 definierte Martini die Eigentümer von Privatvermögen, die „Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft“, die Untertanen des Kaisers: Diese privaten Untertanen waren bei Martini entweder (Dorf-)Gemeinden oder einzelne Personen.
Die nächstfolgenden §§ 7 und 8 widmete Martini dem Eigentum der Gemeinden und führte dazu Folgendes aus: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Dass der Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1796 an so prominenter Stelle des Sachenrechts dem Gemeindeeigentum eine umfangreiche Regelung widmete, ist kein Zufall. Die Historiker erachten die Gemeinde sozusagen durch den Gemeinschaftsbesitz eines Siedlungsverbandes an Grund und Boden definiert. (Beimrohr, Tiroler Heimat 2008, 163; Die Wortwurzel „gemain“ wird substantivisch zur Bezeichnung des Gemeindeverbandes angewendet, als Vereinigung all jener, welche an der Nutzung der Gemeinschaftsgüter des jeweiligen Siedlungsverbandes beteiligt sind (Wopfner, Allmendregal, 2) Auch in der Gemeindedefinition, die vom Tiroler Gubernium aus dem Jahr 1784 überliefert ist, wonach unter „Gemeinde“ eine Anzahl von Häusern zu verstehen war, „die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich … genießen …“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249), sind die Gemeinschaftsliegenschaften das „konstituierende Element“. Die „Nutzbarkeiten“ an den Gemeinschaftsliegenschaften sind der eigentliche „Materialisationspunkt“, um den herum sich die private Gemeinde in den Dörfern entwickelt hatte. Wir wollen diesen Gemeindetypus – eng geknüpft an die Definition des Tiroler Guberniums – als „Agrargemeinde“ bezeichnen. Der Begriff „Gemeinde“ war darüber hinaus auch für andere Zusammenschlüsse von Personen gebräuchlich – beispielsweise für die kirchliche Gemeinschaften, die „geistliche Gemeinden“, die „Pfarrgemeinden“, die Schulgemeinden, die Jagdgemeinden, die Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden usw. Im Großen ergibt sich folgende Einteilung: Es gibt die Gruppe der geistlichen Gemeinden, die Gruppe der politischen Gemeinden und die Gruppe der Gemeinden nach bürgerlichem Recht.

Die geistlichen Gemeinden gründen im Recht der Kirche; ihre Gewalt über die Gemeindeglieder ist von der Kirche delegiert – in der römisch-katholischen Kirche letztlich vom Papst als Oberhaupt. Solche geistlichen Gemeinden müssen nach dem Recht der Kirche, kodifiziert im Codex Juris Canonici, errichtet sein. Wenn Stammliegenschaftsbesitzer sich zusammenschließen, um eine Kapelle zu errichten oder einen Widum zu bauen, bilden diese (vorerst) eine Gemeinde nach bürgerlichem Recht, eine „Kapellengemeinde der Nachbarn“, eine „Widumgemeinde der Nachbarn“. Inwiefern daraus eine geistliche Gemeinde nach dem Recht der Kirche entsteht, zB eine Pfarrgemeinde, hängt alleine von den weiteren Rechtsakten der Kirche ab: Die zuständige kirchliche Autorität muss im ersten Rechtsschritt eine kirchliche Gemeinde durch kirchenrechtlichen Hoheitsakt einrichten; in einem zweiten Rechtsschritt, der ausschließlich nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, muss das Eigentum an der Kapelle, am Widum usw, auf die neue Kirchengemeinde übertragen werden.

Politische Gemeinden gründen im staatlichen Recht. Ihre Entstehung bedarf eines staatlichen Rechtsaktes. Genauso gründet die Existenz von Teilen der politischen Gemeinden, sogenannter politischer Fraktionen, im staatlichen Recht. Die politische Gemeinde muss einen Rechtsakt setzen, kraft dessen eine politische Fraktion entsteht. Ohne einen solchen hoheitlichen Rechtsakt kann weder eine politische Gemeinde noch eine politische Fraktion derselben entstehen. Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden sind politische Gemeinden; ebenso die heutige politische Ortsgemeinde. Politische Gemeinden erfüllen Staatsaufgaben und gründen unmittelbar im Staatsrecht und nicht auf privatem Willensentschluss der Gemeindebürger.

Gemeinden nach bürgerlichem Recht erfüllen private Zwecke. Sie entstehen durch Zusammenschluss von Privaten zu privatem Zweck, zB einen Wald, eine Alm, bestimmte Weideflächen zu bewirtschaften, eine Mühle zu betreiben, einen Brunnen zu bauen, einen Gemeinschaftsbackofen zu betreiben, einen Widum zu erbauen, eine Kapelle zu errichten, mit der Pfarre einen Vertrag abzuschließen (um einen Pfarrer in den Ort zu bringen). Historische Gemeinden nach bürgerlichem Recht wurden jedoch auch errichtet, um eine Wasserleitung zu bauen oder einen Fluss zu regulieren („zu verarchen“). Der Codex Theresianus nennt als Gemeindegut der historischen Gemeinde nach bürgerlichem Recht ausdrücklich „Brunn- und Röhrwasser“ (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 137).

„Verarchungsaufgaben“ als Zweck der Gemeinde finden sich schon in der Gemeindedefinition des Tiroler Guberniums von 1784. Im Norden Deutschlands finden sich interessante Parallelerscheinungen zu den Verarchungsgemeinden in den Alpen: die Deichgemeinden. Zum Schutz der Felder und Häuser hat man gemeinsam einen Deich errichtet. Die einzelnen Nachbarn hatten sich als Deichgemeinde zu dessen Erhaltung und Wartung verpflichtet. Alle diese Aufgaben waren in der Vergangenheit private Aufgaben der Stammliegenschaftsbesitzer. Zu deren gemeinschaftlicher Bewältigung wurden „Gemeinden“ gegründet.

2. Die Gemeinschaftsliegenschaft und die Agrargemeinde

Man kann mit Recht behaupten, dass Gemeinschaftsbesitz einer Mehrheit von Stammliegenschaftsbesitzern den hauptsächlichen Anlass für die Bildung von Gemeinden nach bürgerlichem Recht bildete. Man muss sich das so vorstellen, dass die historischen Stammliegenschaftsbesitzer nicht aus Jux und Tollerei mit ihren Nachbarn irgendwelche Gemeinschaften gebildet haben, sondern nur dann, wenn es Veranlassung dazu gab. Eine Veranlassung zur Gemeindebildung erwächst insbesondere aus gemeinschaftlichem Besitz. Dieser Gemeinschaftsbesitz, den die Historiker durchgehend mit dem Begriff „Allmende“ definierten, hieß in Tirol „Gemain(d)“. Unter Gemain ist jener Grund und Boden zu verstehen, der von einer Siedlungsgemeinschaft gemeinsam genutzt und bewirtschaftet wurde, eben von jenem Verband, der hier als „Agrargemeinde“ bezeichnet werden soll, den die Tiroler meist „Nachbarschaft“ nannten; viel seltener sprechen die historischen Quellen von „Gemeinde“. Keinesfalls ist die landwirtschaftliche Nutzung des Gemeinschaftsbesitzes Bedingung der Gemeindebildung, wie man an historischen Brunnengemeinden ersehen kann: Zu Verweisen ist etwa auf die Brunnengemeinschaften von Lermoos; Mader, Ortskunde von Lermoos, Das Außerfernerbuch, Schlern-Schriften Nr 111 (1955) 195, erwähnt einen Brunnenbrief aus dem Jahr 1560. Die Grundbuchsanlegung hat „Brunnen-Interessentschaften“ auch als Liegenschaftseigentümer erfasst (s zB hist B-Blatt der Liegenschaft in Ez 172 II KG Obsteig). Auch eine gemeinschaftliche Pflicht kann Veranlassung zur Gemeinschafts-, dh Gemeindebildung, geben, wenn diese Pflicht nur bedeutsam genug ist. Zu denken ist an die bereits im Gutachten des Guberniums von 1784 erwähnte Verpflichtung, einen bestimmten Flussabschnitt zu regulieren. Eine derartige Aufgabe wird bedeutsam genug erscheinen, um sich zu deren Bewältigung mit seinen Nachbarn zu einer Gemeinschaft, einer Gemeinde, zu verbinden. Die betreffende Gemeinde könnte als „Verarchungsgemeinde“ charakterisiert werden. Insoweit dieser für jeden lokalen Siedlungsverband bedeutsamen, großen Aufgabe, eine materielle Ausstattung dauernd gewidmet wurde, beispielsweise ein entsprechendes Landstück, wo die erforderlichen Steine und das Bauholz gewonnen wurden, könnte sich der Name „Archenwald“ eingebürgert haben. Alle Nutzbarkeiten aus den Liegenschaften Archenwald wären der Verarchungsgemeinde zuzuordnen.
Die FEPT Landgericht Sonnenburg, Tabelle Nr 55 Fortsetzung, erwähnt im Zusammenhang mit einer Anmeldung für „Gemeinde Kematen“, eine ungeteilte Gemeindewaldung von 118 Morgen betreffend, ausdrücklich folgendes: „Dieser Wald ist zur Verarchung des Melachbachs gewidmet“. Offensichtlich ist aus diesem Gemeinschaftswald die heutige Agrargemeinschaft Archberg- Winkelbergwald Kematen hervorgegangen. In Weer existiert eine Agrargemeinschaft, in welcher ebenfalls ein „Archenwald“ reguliert ist (Agrargemeinschaft Archen- und Ganglwald, Weer).

3. Die Summe der Nutzungsberechtigten als Agrargemeinde

 

Fortsetzung folgt.