Streit um die
Gemeindegründe

Der Streit um die „Gemeindegründe“

a) Allgemeines

Wegen ihres Grundbesitzes haben Agrargemeinschaften in ihrem lokalen Umfeld gewisse ökonomische Bedeutung.
Die vom Grundbesitz vermutlich größte Agrargemeinschaft Westösterreichs sollte die Agrargemeinschaft Nenzing mit einem Liegenschaftseigentum von 8.165 Ha sein – Details dazu auf: www.agrar-nenzing.at; die vermutlich größte Agrargemeinschaft in den „östlichen“ Bundesländern sollte die „Leobner Realgemeinschaft“ zu sein, das ist die Vereinigung der Rechtsnachfolger der 152 „bürgerlichen Häuser von Leoben“ des Jahres 1630, mit einem Liegenschaftseigentum von 6.492 Ha, Stand 1963 (Oberster Agrarsenat 2.12.1963, 323 – OAS/63)

Es verwundert deshalb nicht, dass diese Gemeinschaften immer wieder zum Gegenstand politischer Streitigkeiten wurden und werden. Rechtliche Auseinandersetzungen lassen sich in verschiedenen Bundesländern jedenfalls bis an die Anfänge des heutigen modernen Gemeindewesens nachweisen. (Grundlegend Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder nach den Bestimmungen der neuen Gemeindegesetze, insbesondere in Württemberg, Hessen und Baden, nebst beurteilender Darstellung des neuen österreichischen Gemeindegesetzes, Leipzig 1849; Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse. Nebst einem Gesetzesentwurf über die Zusammenlegung der Grundstücke, die Ablösung und Regulierung der gemeinschaftlichen Nutzungsrechte und die Ablösung von nach dem Patente vom 5. Juli 1853 regulierten Nutzungsrechten samt Durchführungsverordnung, Formularien und Motivenberichten (Wien 1877); Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878 über die Petition der Gemeinden Schrattenberg und Reintal vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode; Karl Cisek, Der Streit um die Gemeinde-Gründe (Prag 1879). Dr. S, Über Realgenossenschaften in Österreich, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, 1886, Nr 46 ff.)

Die vorgebrachten Argumente wiederholen sich durch die Jahrzehnte und jetzt schon über Jahrhunderte. Liest man etwa die Replik J. Pairhubers aus dem Jahr 1880 auf Michael Hermans Abhandlung aus dem Jahr 1879, so wird deutlich, dass eine auf die Demokratisierung des politischen Gemeindewesens im 19. Jhdt zurückgehende Auseinandersetzung der Klasse der „Urhausbesitzer“ mit der modernen Ortsgemeinde, welche ganz überwiegend in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts ausgefochten wurde, im heutigen „Tiroler Agrarstreit“ eine getreulich kopierte Neuauflage findet. (Pairhuber, Über Klassenvermögen in den Gemeinden und Gemeindevermögen, Österreichische Zeitschrift für Verwaltung 1880, Nr 21; Michael Herman, Das Genossenschaftsvermögen in den Gemeinden, Österreichische Zeitschrift für Verwaltung 1879, 217 ff)

Insofern bewahrheitet sich im 21. Jhdt neuerlich, was Julius Weiske schon im Jahr 1849 (!) am Beispiel der neuen Gemeindegesetze in verschiedenen Deutschen Ländern festgestellt hatte: „Die Erfahrung der Länder, welche neue Gemeindeordnungen erhalten haben, hat nun bereits gelehrt, wie große Nachteile für das Gemeindeleben, wie viele Streitigkeiten und Prozesse daraus entstehen, und gerade erst durch die neue Gesetzgebung hervorgerufen werden, dass dieselbe den Gemeindegütern und ihrer verschiedenen Benützungsart nicht die nötige Aufmerksamkeit und Fürsorge zuwendete.“ (Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder nach den Bestimmungen der neuen Gemeindegesetze, insbesondere in Württemberg, Hessen und Baden, nebst beurteilender Darstellung des neuen österreichischen Gemeindegesetzes, Leipzig 1849, Seite 4)

b) Die Entwicklung in Tirol

Im Zuge der Debatten im Tiroler Landtag des Jahres 1909 im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Tiroler Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetzes waren Auseinandersetzungen in den Gemeinden zwischen „Altberechtigten“ und „Häuslern“ bzw „Inwohnern“ kein Thema (Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 218). Handlungsbedarf des Landesgesetzgebers wurde jedoch bei den Gemeinschaftsalpen erkannt. Im Zeitraum unmittelbar nach dem Inkrafttreten des TRLG 1909 wurde deshalb das Schwergewicht der Regulierungstätigkeit auf die Gemeinschaftsalpen gelegt, welche unter dem Mangel eines eigenständigen Organisationsrechts besonders gelitten hatten. Bereits in den 20er und 30er Jahren des 20. Jhdts richteten Gemeinden des Mittelgebirges südlich von Innsbruck – aber auch andere Ortsgemeinden wie beispielsweise Lermoos – Anträge auf Regulierung der Gemeinschaftswälder an die Agrarbehörde.

Anfang der 1980er Jahre formulierte Siegbert Morscher Thesen zur Begründung der Verfassungswidrigkeit der „Gemeindegutsnutzungen“ wegen behaupteter Gleichheitswidrigkeit dieser Einrichtung vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Gesellschaft (Morscher, Gemeinnutzungsrechte am Gemeindegut, ZfV 1982, 1 ff). Entgegen der positiven Rechtslage (§ 26 prov. GemG, § 11 bzw § 12 der Landesgemeindeordnungen der Jahre 1863-1866) argumentierte Morscher mit der Behauptung, dass das Eigentumsrecht an den Allmenden auf Grundlage der Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 (Gesetz vom 05.03.1862, RGBl 18/1862) von den historischen Gemeinschaften, den „Realgemeinden“, auf die neuen politischen Ortsgemeinden übergegangen wäre (Morscher, Gemeinnutzungsrechte am Gemeindegut, ZfV 1982, 5).

1991 publizierte Eberhard Lang erste Überlegungen zur „Rekommunalisierung“ der Agrargemeinschaften (Eberhard Lang, Tiroler Agrarrecht Bd II, 275 f). Auch Lang unterstellte einen Eigentumsübergang von den historischen Nutzungsgemeinschaften auf die heutige politische Ortsgemeinde; dies ebenfalls ohne fundierte rechtliche Untersuchung. (Lang, Tiroler Agrarrecht Bd II, 25, deutet einen kaiserlichen Gnadenakt des Jahres 1847 als Rechtsgrundlage an, der in Tirol das „Gemeindegut“ entstehen ließ, eine „Theorie“, welche auf Stefan von Falser, Wald und Weide im Tiroler Grundbuch, 1932, 19 f zurückgeht. An anderer Stelle, Die Teilwaldrechte in Tirol, 1978, 58 ff, scheint Lang die Theorie zu favorisieren, dass sich die historischen „Wirtschaftsgenossenschaften“ des Mittelalters und der Neuzeit in die heutigen politischen Ortsgemeinden „verwandelt“ hätten. Wie Heinz Mayer überzeugend darlegt, fehlt es an einer Rechtsgrundlage für einen derartigen Eigentumsübergang; Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 187 ff; ausführlich dazu auch Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 228 ff) Lang bemühte in diesem Zusammenhang einen Vergleich der Rechtsposition der Tiroler Landbevölkerung an ihren Gemeinschaftsliegenschaften, den „Gemainen“, mit den Jagdgründen nomadisierender Völkerstämme. (Eberhard Lang, Tiroler Agrarrecht Bd II, 292)

Mit Blick auf völlig unterschiedliche Lebensbedingungen (Sesshaftigkeit einerseits und nomadisierende Lebensweise andererseits) ist dieser Vergleich weit hergeholt. Der Eigentumsanspruch an den „gemainen Liegenschaften“ gründet auch nicht auf das Jagdrecht, sondern auf kontinuierliche Nutzung in der Überzeugung, die Gemain gemeinschaftlich zu besitzen und jeden Dritten davon auszuschließen. (Vgl nur die Allerhöchster Entschließung vom 14. August 1819 zur „Regulierung des Gemeindewesens in Tirol und Vorarlberg“, ProvGSTirVbg 1819 / CLXVIII: „§ 3 GRP 1819. „Die Einteilung der Gemeinden ist genau wieder so herzustellen, wie sie ehemals unter der k.k. österreichischen Regierung bis zum Jahr 1805 bestanden hat; da diese Einteilung mit dem verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten vollkommen übereinstimmt, durch die Steuerkataster wesentlich befestigt und durch das alte Herkommen geheiligt wird.“)

Die ausschließliche Rechtsposition der Tiroler Nachbarschaften an ihren jeweiligen Gemeinschaftsliegenschaften war im Verhältnis zu anderen Privaten unbestritten. Schon ein Gutachten des Tiroler Guberniums aus dem Jahr 1784 stellt dies klar: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249; vgl Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, Tiroler Heimat 2008, 162) Auch stand diese Rechtsposition der Nachbarschaften nur in Konkurrenz mit dem „Obereigentum“ des Landesfürsten bzw anderer „Lehensherren“ wie der Erzbischöfe von Salzburg und Brixen oder der Äbte der Stifte Wilten und Stams.

Zusammenfassung: Auch wenn immer wieder versucht wurde, den Stammliegenschaftsbesitzern das Eigentum an den Nachbarschaftsgründen streitig zu machen, so kann dies am legitimen Anspruch der Nachbarschaften auf das Eigentum nichts ändern.  Alle allen gängigen Kriterien, anhand derer Juristen einen Eigentumserwerb begründen, weisen auf die Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Nachbarn. Das moderne Gemeinderecht wollte gerade keine Enteignung der Nachbarschaften. Das Eigentumsrecht verblieb deshalb den Nachbarn, auch wenn die Verwaltung  in Anwendung des Gemeinderecht erfolgte!