Anpassung des Gemeinderechts
an das Flurverfassungsrecht

Hans Kelsen | Foto: Mohr Siebeck Verlag
Hans Kelsen (* 11. Oktober 1881 in Prag, Böhmen, Österreich-Ungarn; † 19. April 1973 in Orinda bei Berkeley, USA) war als einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Und dieser war der „Architekt“ der österreichischen Bundesverfassung von 1920. Nach Ausrufung des am 30. Oktober 1918 gegründeten Staates Deutschösterreich als Republik am 12. November 1918 wurde Kelsen vom sozialdemokratischen Staatskanzler Karl Renner immer wieder als Experte für Verfassungsfragen herangezogen. Im März 1919 wurde er mit der Ausarbeitung der Verfassung des neuen Staates beauftragt. Die von der Konstituierenden Nationalversammlung beschlossene Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, im wesentlichen heute noch das Fundament des Staates Österreich, ist ganz maßgeblich von ihm gestaltet worden. Kelsen, in Prag geboren, 1933 aus Deutschland vertrieben und 1940 in die USA emigriert, wo er auch gestorben ist, gilt als einer der weltweit berühmtesten Juristen des 20. Jahrhunderts und wichtigster Rechtstheoretiker deutscher Muttersprache. Foto: Mohr Siebeck Verlag

Abstract:

Mit dem Erkenntnis des VfGH von 1982, VfSlg 9336/1982, wurde die Verfassungswidrigkeit des Bundes-Flurverfassungsgrundsatzgesetzes (FlVerfGG) in der Bestimmung über die Regulierung und Teilung des agrargemeinschaftlichen Gemeindegutes behauptet. § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG wurde wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit aufgehoben.

Dieses Erkenntnis gründet auf der Fiktion, dass das agrargemeinschaftliche Gemeindegut in den (Landes-)Gemeindeordnungen als ein Eigentum der politischen Ortsgemeinden definiert sei. Diese Rechtseigenschaft, die in den Landegemeindegesetzen  geregelt sei, müsse – so das Verfassungsgericht – auch für das Bundes-Flurverfassungs-grundsatzgesetz gelten.

Die Behauptung, dass das Landes-Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse des „Gemeindeguts“, das im Bundes-Flurverfassungs-Grundsatz geregelt war, gestalten würde, ist eine absurde These.

Landesrecht kann generell niemals Bundesgrundsatzrecht brechen!  WARUM? Weil der Landesgesetzgeber gar keine eigene Regelungskompetenz besitzt, wo nach der Verfassung der Bundes-Grundsatzgesetzgeber eine Rechtsnorm erlassen hat.

Der Landesgesetzgeber kann in einem solchen Fall nur mehr ein Ausführungsgesetz zum Bundes-Grundsatzgesetz erlassen, das konform dem Bundes-Grundsatzgesetz sein muss. Keinesfalls kann der Landesgesetzgeber mit einem Landesgesetz zum Gemeinderecht das Bundes-Grundsatzgesetz brechen! (Konkurrenz: Flurverfassung-Gemeinderecht)

Die Kernthese des Erk VfSlg 9336/1982 ist deshalb offenkundig gesetz- bzw verfassungswidrig.  Dies wegen der verfassungsgesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (Art 10 fortfolgende Bundes-Verfassungsgesetz). Davon handelt der unten stehende Artikel.

Ab dem Zeitpunkt, zu welchem der Bund auf der Grundlage von Artikel 12 B-VG ein Bundes-Grundsatzgesetz zum Flurverfassungsrecht erlassen hatte – das war im Jahr 1934, konnte der Gemeindegesetzgeber eine Materie des Bodenreformrecht nicht mehr regeln. (s Konkurrenz: Gemeinderecht-Flurverfassung)

Wenn der VfGH im Erk VfSlg 9336/1982 behauptete, dass das Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gestaltet hätte, so war das mit der seit 1920 geltenden Verfassungsrechtslage, wonach der Bundes-Grundsatzgesetzgeber über die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung entscheidet, schlicht unvereinbar. (Zur historischen Entwicklung der Regelungskompetenz für agrargemeinschaftliches Gemeindegut)

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 leidet freilich noch an anderen Mängeln (siehe ausführlich: DAS VERKENNTNIS VFSLG 9336/1982 und 1982: Systembruch im Agrarrecht)

Inhalt

GEMEINDEGUT IST NICHT GLEICH GEMEINDEGUT!
„BODENREFORM“: TABU FÜR GEMEINDEGESETZGEBER
KONKURRENZ:  GEMEINDE- vs FLURVERFASSUNGS-G
GEMEINDERECHT ALS ÜBERGANGSRECHT
VERFASSUNGSRECHTLICHE VORGABEN
WAS REGELTE DAS GEMEINDERECHT?
a. ZUR STEIRISCHEN GEMEINDEORDNUNG 1948
b. ZUR OBERÖSTERREICHISCHEN GEMEINDEO 1948
c. DIE GEMEINDEORDNUNGEN VORARLBERGS UND TIROLS
aa) DAS GEMEINDERECHT VORARLBERGS
bb) DAS GEMEINDERECHT TIROLS
d) 1938 – NS-STAAT: GEMEINDERECHT UND AGRAR
e) VORGABEN DER BUNDESREGIERUNG
ZUSAMMENFASSUNG

GEMEINDEGUT IST NICHT GLEICH GEMEINDEGUT!

Der Bundes-Verfassungsgesetzgeber hat die Tatbestände „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder unterworfen (Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG in der Fassung vom 1. Oktober 1920). Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist Teilmaterie des Kompetenztatbestandes „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“, während das sonstige Gemeindegut Teilmaterie des Gemeinderechts ist, das in Gesetzgebung der Zuständigkeit der Länder unterliegt (Art 15 B-VG). „Auf den Punkt gebracht: Gemeindegut ist nicht gleich Gemeindegut!“ (Öhlinger, Das Gemeindegut in der Rechtsprechung des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 255; Kühne, Zu Agrargemeinschaften in Vorarlberg, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 350ff; vgl schon: Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 375 ff; sowie aus historischer Sicht: Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 207 ff).

Dies entspricht der verfassungsgesetzlichen Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, wie diese schon seit dem ersten Inkrafttreten der österreichischen Bundesverfassung (B-VG), Staatsgesetzblatt 1920 Nr 450  vom 1. Oktober 1920 gegolten hat.

Die Rechtstatsache, wonach das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung (= Gemeindegut, welches eine Agrargemeinschaft bildet), dem Bodenreformrecht (Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG idF 1920; heute: Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) unterliegt, lässt sich anhand des Gemeinderechts der Länder nachweisen. Nach der für die Monarchie geltenden Verfassung spielte es keine wesentliche Rolle, ob die „Kronländer“ das agrarische Gemeindegut im Gemeinderecht geregelt hatten oder in eigenen Teilungs- und Regulierungsgesetzen. Mit Inkrafttreten der neuen Verfassung für die Republik Österreich war hingegen zu unterscheiden: Die Bundes-Verfassung erlaubte es nicht mehr, dass die Länder als Gemeindegesetzgeber Bodenreformmaßnahmen regelten. Die Landesgemeindegesetze, die ursprünglich alle aus der Monarchie stammten (1860er Jahre) und kraft Rechtsüberleitungsgesetz in der Republik weiter gegolten haben, wurden deshalb sämtlich entsprechend angepasst, sobald die Länder Flurverfassungsgesetze verabschiedet hatten.

(Artikel III. (Tiroler) LGBl 1935/36 in Verbindung mit §§ 117, 140 und 164 Abs 2 zweiter Satz TGO 1935 sowie die Nachfolgebestimmungen, wie § 82 TGO 1949 bis § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform.Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“; § 102 Abs 3 Vlbg Gemeindeordnung 1935 (Vorarlberger) LGBl 1935/25: „Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes, werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“ § 91 Abs 4 Vorarlberger Gemeindegesetz 1965 (LGBl 45/1965) = § 99 Vorarlberger Gemeindegesetz 1985: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II. Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ § 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der (Steirischen Gemeindeordnung, LGBl 52/1948): „(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 3, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.“ Uam)

„BODENREFORM“: TABU FÜR GEMEINDEGESETZGEBER

Diese Klarstellung von Seiten der Landes-Gemeindegesetzgeber war kein friktionsfreier Prozess, sondern musste schon wegen der Komplexität der Materie von der Bundesregierung im Detail instruiert werden.

a) Anders als der Reichsgesetzgeber der Jahres 1883 schuf die Bundesverfassung nicht einen rechtlichen Rahmen, von dem die Gesetzgebung der Länder nach Belieben auch in verschiedenen Materiengesetzen (Teilungs- und Regulierungsrecht, Gemeinderecht usw) Gebrauch machen konnte oder auch nicht. Die Bundesverfassung ordnet die Rechtsverhältnisse für die Sachmaterie „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ vielmehr dahingehend, dass die Grundsatzgesetzgebung des Bundes maßgeblich ist; an diese Bundes-Grundsatzgesetzgebung ist die Ausführungsgesetzgebung der Länder gebunden.

Mit Bundesgesetz vom 2. August 1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung (FlVerfGG 1932, BGBl 1932/256; EB 78 Blg sten.Prot. NR IV. GP; AB 380 Blg sten.Prot. NR IV. GP) machte der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz in der Sachmaterie „agrarische Operationen“ gem Art 12 Abs 2 Z 3 B-VG Gebrauch. Der Anwendungsbereich der geschaffenen Regelungen zur Teilung oder Regulierung von Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung wurde in § 15 FlVerfGG 1932 ident dem bereits im TRRG 1883 definierten Zuständigkeitsbereich der „Comassionsbehörden“ geregelt.

(Der Grundtatbestand der agrargemeinschaftlichen Grundstücke, definiert in § 15 Abs 1 lit a und b FlVerfGG 1932, entspricht wörtlich der Regelung in § 1 lit a und lit b TRRG 1883. In der Folge definiert das Gesetz in scheinbarer Erweiterung der Grundtatbestände, in Wahrheit jedoch beispielhaft, „Grundstücke, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind“ und „das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnungen unterliegende Gemeindegut (Ortschafts-, Fraktionsgut)“ als Tatbestände agrargemeinschaftlicher Grundstücke. Die älteren Ausführungsgesetze zum TRRG 1883, zB Mähr-TRLG 1884, stellen noch ausdrücklich klar, dass die weiteren Anwendungstatbestände wie das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung nur beispielhafte Klarstellungen zum Generaltatbestand darstellen.)

b) Nach dem im TRRG 1883 der Landesgesetzgebung vorgegebenen Rahmen waren die „Commassionsbehörden“ diejenigen Behörden, welche insbesondere auch hinsichtlich des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (reformatorisch) zu regeln und über die Eigentumsfrage zu entscheiden hatten.

Die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung waren und sind somit nach verfassungsrechtlichen Vorgaben im Anwendungsbereich des Flurverfassungsrechts zu beurteilen und in Vollziehung der Agrarbehörden reformatorisch zu gestalten bzw zu entscheiden (Bundeskompetenz in den Grundsätzen: Art 12 B-VG). Dabei hat die Agrarbehörde zur Beurteilung der Rechtsverhältnisse (als Ausgangslage) insbesondere das Zivilrecht (Regeln für den Eigentumserwerb!) anzuwenden.

c) Die im Geltungsbereich des TRRG 1883 als „Reichsrahmengesetz“ mögliche und in den Ausführungsgesetzen der Länder (TRLGs 1885 bis 1921) vorgesehene Regelung der Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung durch „Ergänzung der Gemeindeordnungen im Einzelfall“ stand auf dem Boden der Bundes-Verfassung als Regulierungsalternative nicht mehr zur Verfügung. (§ 12 Abs 2 des Mähr-TRLG 1884; § 7 Abs 2 NÖ-TRLG 1886; § 7 Abs 2 Krain-TRLG 1887, § 12 Abs 2 Schles-TRLG 1888; § 12 Abs 2 Slbg-TRLG 1892; §§ 3 Abs 2 St-TRLG 1909 = 3 Abs 2 T-TRLG 1909 = 3 Abs 2 OÖ-TRLG 1909; § 3 Abs 2 Vlbg-TRLG 1921. S zB §§ 3 Abs 2 St-TRLG 1909 = 3 Abs 2 T-TRLG 1909 = 3 Abs 2 OÖ-TRLG 1909: „Die Regulierung der Verwaltungsrechte bezüglich gemeinschaftlicher Grundstücke findet nach diesem Gesetz nur insofern statt, als die Verwaltung solcher Grundstücke nicht schon durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt ist oder insofern innerhalb der letzterwähnten Regelung noch besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung von als Gemeindegut benützten Grundstücken notwendig erkannt werden.“)Zu dieser Variante der agrarischen Operation: RIGHTBAR BODENREFORM/Ergänzung der Gemeindeordnung)

KONKURRENZ:  GEMEINDE- vs FLURVERFASSUNGS-G

Während der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 die Idee eines Gemeindeguts als notwendiges Eigentum der Ortsgemeinde auf sein Panier geheftet hat, verfolgte der historische Gesetzgeber tatsächlich ganz andere Gedanken.  Es ist kaum zu glauben! Der historische Gesetzgeber hat in Wahrheit genau das Gegenteil als Gesetzeszweck verfolgt: Das Gemeinderecht wurde im Blick auf das neue Flurverfassungsrecht ganz bewusst so umgestaltet,  dass die Entscheidungen der Agrarbehörde als gesetzlicher Richter über das Gemeindegut vom Gemeinderecht in keinster Weise tangiert werden!

Der Verfassungsgesetzgeber hat die Tatbestände „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder unterworfen (Art 12 B-VG). Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist Teilmaterie des Kompetenztatbestandes „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“. Dies wurde insbesondere auch aus der Sicht der Landes-Gemeindegesetzgeber klargestellt.

Mit Bundesgesetz vom 2. August 1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung (FlVerfGG 1932, BGBl 1932/256[1]) machte der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz in der Sachmaterie „agrarische Operationen“ gem Art 12 Abs 2 Z 3 B-VG Gebrauch. Der Anwendungsbereich der geschaffenen Regelungen betreffend Teilung oder Regulierung von Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung wurde in § 15 FlVerfGG 1932 ident dem im TRRG 1883 definierten Zuständigkeitsbereich der „Comassionsbehörden“ geregelt[2]. Bereits nach dem im TRRG 1883 der Landesgesetzgebung vorgegebenen Rahmen waren die „Commassionsbehörden“ diejenige Behörde, welche insbesondere auch hinsichtlich des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (reformatorisch) zu regeln und über die Eigentumsfrage zu entscheiden hatten[3]. Die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung waren und sind somit nach verfassungsrechtlichen Vorgaben im Anwendungsbereich des Flurverfassungsrechts zu beurteilen und in Vollziehung der Agrarbehörden reformatorisch zu gestalten bzw zu entscheiden. Dabei hat die Agrarbehörde zur Beurteilung der Rechtsverhältnisse (als Ausgangslage) insbesondere das Zivilrecht (Regeln für den Eigentumserwerb!) anzuwenden.

Die unter dem Geltungsbereich des TRRG 1883 als „Reichsrahmengesetz“ mögliche und in den Ausführungsgesetzen der Länder vorgesehene Regelung der Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung durch Ergänzung der Gemeindeordnungen im Einzelfall stand als Regulierungsalternative[4] nicht mehr zur Verfügung.

Gleichzeitig wurde eine klare Systementscheidung dahingehend getroffen, dass die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Grundstück und die Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft in jeder Hinsicht getrennt beurteilt werden.

GEMEINDERECHT ALS ÜBERGANGSRECHT

„Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ist Teilmaterie des Kompetenztatbestandes „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“, weshalb der Bund als Grundsatzgesetzgeber und die Länder als Ausführungsgesetzgeber zuständig ist, die Rechtsverhältnisse zu regeln. Nicht die Gemeindegesetze sind deshalb zur Beurteilung der Rechtsverhältnisse maßgeblich, sondern das Flurverfassungsrecht. Das Flurverfassungsrecht selbst widmet sich freilich nur der reformatorischen Gestaltung; die rechtlichen Vorfragen, insbesondere diejenige der Eigentumsverhältnisse oder der beschränkten dinglichen Rechte an der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften sind in Anwendung der einschlägigen Gesetze, insbesondere des Zivilrechts, zu entscheiden.

Es ist deshalb für das Flurverfassungsrecht von untergeordneter Bedeutung, wie die Gemeindegesetze das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung (Tatbestand gem § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 idF VfSlg 9336/1982: „das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnungen unterliegende Gemeindegut [Ortschafts-, Fraktionsgut]) definieren. Nach einer eindeutigen Verfassungslage (Art 12 B-VG idF 1929) ist die „reformatorische Gestaltung“ der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften Angelegenheit des Bundesgrundsatzgesetzgebers und damit des Flurverfassungsrechts. Dies auch dann, wenn diese Liegenschaften Gemeindeeigentum sein sollten. Das Flurverfassungsrecht setzt somit „das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnungen unterliegende“ agrargemeinschaftliche Grundstück als Anwendungsfall des Teilungs- und Regulierungsrechts voraus. Solange nicht ein dem Gesetz entsprechendes Verfahren eingeleitet wurde, verbleibt es beim Status quo, was bedeutet, dass das Gemeinderecht weiterhin anzuwenden ist. Die einmal begründete „Anwendung der Gemeindeordnung“ – egal ob diesem Faktum wahres Eigentum der Ortsgemeinde zu Grunde liegt oder Klassenvermögen, welches im allseitigen Konsens der Anwendung der Gemeindeordnung unterworfen wurde – bedarf eines Rechtsaktes nach Flurverfassungsrecht, eben einer agrarischen Operation mit dem Ziel der reformatorischen Feststellung und Gestaltung der Rechtsverhältnisse.

Wie immer sich die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten im Verlauf der typischer Weise über viele Jahrhunderte zurück zu verfolgenden Geschichte der einzelnen Gemeinschaftsliegenschaften organisiert haben – immer muss der „Übertritt“ in das Bodenreformrecht, in das Regime des Teilungs- und Regulierungsrechts, entsprechend dem Gesetz bewirkt werden. Die „Anwendung der Gemeindeordnung“ stellt sich damit als Übergangsrecht dar; die Aufrechterhaltung des „status quo“ ist nicht reformatorisch und insofern nicht Gegenstand des „Bodenreformrechts“ und insbesondere nicht „agrarische Operation“ (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG).

Ganz besonders deutlich macht dies das positive Recht in Vorarlberg: § 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965, unverändert § 99 Gemeindegesetz 1985, ordnete deshalb folgendes an: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“

VERFASSUNGSRECHTLICHE VORGABEN

Gem Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG ist die Bundesgesetzgebung zuständig, in Angelegenheiten der „agrarischen Operation am Gemeindegut“ bzw Angelegenheiten der „Bodenrefom-Maßnahmen“ am Gemeindegut grundsatz-gesetzliche Regelungen zu treffen; der Landesgesetzgebung obliegt die Ausführungsgesetzgebung. Mit Inkraftsetzung entsprechender bundes-grundsatzgesetzlicher Regelungen und dem Ablauf der seitens des Bundes gesetzten Abpassungsfristen für entgegenstehendes landesrecht, wird landesrecht, welches den grundsatzgesetzlichen Vorgaben nicht entspricht, verfassungswidrig.

Mit Inkrafttreten des entsprechenden Bundesgrundsatzgesetzes im August 1932 (BGBl 1932/256) waren die Landesrechte anzupassen. Sowohl Tirol, als auch Vorarlberg haben die Anpassung im Jahr 1935 vollzogen; Tirol in zweifacher Hinsicht, durch Ablösung des TRLG 1909 durch das TFLG 1935 und durch entsprechende Klarstellungsregelungen in der Gemeindeordnung. Vorarlberg hat nur die Klarstellungen in der Gemeindeordnung vollzogen; zu einem VFLG hat man sich erst 1951 aufgerafft. Aber auch die anderen Bundesländer haben das Gemeinderecht im Blick auf die Verfassungslage und das (Bundes-) Flurverfassungs- Grundsatzgesetz angepasst. Seither Inkrafttreten des Gesetzes betreffend die Grundsätze zur Flurverfassung[1]bzw des wiederverlautbarten Grundsatz-Gesetzes 1951[2] ist beim Gemeindegut zu unterscheiden:

Gemeindegut im Allgemeinen (unterliegt uneingeschränkt der Gemeindeordnung) und Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung (unterliegt als agrargemeinschaftliches Grundstück auch der Flurverfassung);  2. innerhalb des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist danach zu unterscheiden, ob die betreffende Maßnahme Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operation ist oder nicht (letzteres regelt das Flurverfassungsrecht). Welche rechtlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen dem Flurverfassungsrecht unterliegen, bestimmt sich nach dem historischen Verständnis der Begriffe „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ (im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel der Bundesverfassung im Jahr 1925 – „Versteinerungszeitpunkt“). Kernmaterien der agrarischen Operation sind insbesondere zwei Aufgabenbereiche der Agrarbehörden: a) Prüfung und Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlich genutztem gemeindegut; b) Regulierung der Nutzungsrechte.

Insoweit Maßnahmen am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung nicht dem historischen Begriffsverständnis von „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ zugeordnet werden können, besteht eine „Restkompetenz“ des Landesgesetzgebers als Gemeindegesetzgeber. Tatsächlich sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ nicht in den Gemeindeordnungen der Länder geregelt, sondern es besteht nur eine „Restkompetenz“ des Gemeindegesetzgebers insoweit, als die Rechtsverhältnisse nicht im „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operation“ (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) geregelt sind. Die unbegründeten Behauptungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 9336/1982 stehen somit in offenem Widerspruch zu Bundesverfassung selbst!

Im Einzelnen ist zur komplexen Verfassungslage auf die Ausführungen Peter Pernthalers, Die Gesetzgebungskompetenz für Gemeindegut, in: Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, (2011) 409 ff, zu verweisen.

 WAS REGELTE DAS GEMEINDERECHT?

Mit dem Kernsatz, dass die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung in den Gemeindeordnungen der Länder derart definiert wären, dass Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung notwendig Eigentum der Ortsgemeinde sei, hat der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung getroffen, welche auch das positive Gemeinderecht, wie es in den Gemeindeordnungen für jedermann leicht nachvollziehbar niedergeschrieben ist, verletzt.

a. ZUR STEIRISCHEN GEMEINDEORDNUNG 1948

Die Steirische Gemeindeordnung wurde erst 1948 an das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung geregelt wird. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung als Eigentum der Ortsgemeinde definiert ist. Umso klarer ist die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet.

§ 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der Gemeindeordnung, LGBl 52/1948:

„§ 61. Gemeindegut. (1) Sachen, welche zum Gebrauche eines jeden Gemeindemitgliedes einer Gemeinde dienen, bilden das Gemeindegut. Insbesonders gehören zum Gemeindegut Grundstücke, welche von allen oder nur von gewissen Gemeindemitgliedern einer Gemeinde oder einer Ortschaft zur Deckung ihres Guts- und Hausbedarfes gemeinschaftlich oder wechselseitig benützt werden.

(2) …

(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 5, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.

(4) Die Gemeindebehörde hat darauf zu achten, dass die Nutzungen der Gemeindemitglieder nicht über den notwendigen Guts- und Hausbedarf hinaus in Anspruch genommen werden und diese Nutzungen der nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundstückes, insbesondere bei Waldungen, entsprechen. Nötigenfalls ist die Entscheidung der Agrarbehörde einzuholen.“

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze von Vorarlberg von 1864 und von Tirol von 1866 als angeblich repräsentativ präsentiert, ist skandalös.

b. ZUR OBERÖSTERREICHISCHEN GEMEINDEO 1948

a) § 67 Oö Gemeindeordnung 1948, Anlage 1 zum Gesetz vom 7. Juli 1948 LGBl 22/1949 lautete wie folgt:

„Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 15, Abs (2), Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahr 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insofern Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht im Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

b) In der Oberösterreichischen Gemeindeordnung 1965, LGBl 45/196, § 71 Gemeindegut Abs 7 wird die Unterscheidung zwischen Gemeindegut im Allgemeinen, welches der Gemeindeordnung unterliegt und Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, welches dem Flurverfassungsrecht unterliegt, konsequent fortgesetzt. Nach dieser Bestimmung, welche in erster Linie klarstellenden Charakter hat, gilt:

Oö Gemeindeordnung 1965 LGBl 45/196 § 71 (7). „Die gesetzlichen Bestimmungen auf dem Gebiet der Bodenreform werden durch die Bestimmungen der Abs 1 bis 6 nicht berührt.“

c) Das Oberösterreichische LG vom 29. April 1936, Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936 regelte das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung wie folgt:

§ 67 Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936. „Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15, Absatz 2, Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahre 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht in Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

Ergänzend regelte § 69 Abs 5 derselben Gemeindeordnung für Oberösterreichisch Folgendes: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinn der Grundsätze für die Flurverfassung (BGBl Nr 256/1932), entscheiden nach Inkrafttreten des Landes-Ausführungsgesetzes im Streitfalle die Agrarbehörden.“

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze von Vorarlberg von 1864 (!) und von Tirol von 1866 (!) als angeblich repräsentativ präsentiert, ist skandalös.

c. DIE GEMEINDEORDNUNGEN VORARLBERGS UND TIROLS

Das Verfassungsgerichtshoferkenntnis VfSlg 9336/1982 hatte die Gemeindeordnungen von Vorarlberg und von Tirol zum Gegenstand. Man könnte deshalb den Standpunkt vertreten, dass die Nichtbeachtung der Gemeindeordnungen von Steiermark und Oberösterreich eine lässliche Sünde sei. Verfassungsrichter können nicht die Gemeindeordnungen aller Bundesländer kennen!

Die Frage ist, wie das Gemeinderecht Vorarlbergs und das Gemeinderecht Tirols das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung im Zeitpunkt der Entscheidung, dh im Jahr 1982 geregelt hatten. Zur Klärung dieser Frage hatte sich der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 umfangreich mit der Vorarlberger Gemeindeordnung 1864 (!) auseinandergesetzt; ebenso mit der Tiroler Gemeindeordnung 1866 (!). Die Frage ist: Warum setzt sich der Verfassungsgerichtshof mit den Gemeindeordnungen aus der Zeit des Kaiserthums Österreich auseinander? Warum werden Gemeindeordnungen analysiert, welche aus einer Zeit stammen, als das „moderne“ Flurverfassungsrecht, welches in seinen Ursprüngen auf das TRRG 1883 zurückgeht, noch nicht existierte? Warum werden Gemeindeordnungen analysiert, welche nicht auf der Grundlage der Österreichischen Bundes-Verfassung geschaffen wurden?

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Teilungs- und Regulierungsrechts, in der Terminologie der geltenden Bundesverfassung „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ stammt von 1920; das Bundes-Grundsatzgesetz dazu stammt von 1931. Die relevanten Regelungen in den Gemeindeordnungen der Länder müssen deshalb aus der Zeit ab 1931 stammen! Diese relevanten Regelungen des Gemeinderechts, welche voll und ganz mit dem Flurverfassungsrecht harmonisiert wurden, lauten wir folgt:

aa) DAS GEMEINDERECHT VORARLBERGS

a1) Gem § 102 Abs 3 Vlbg Gemeindeordnung 1935 LGBl 1935/25 wurde die Konkurrenz zwischen Gemeinderecht und Flurverfassung nicht weniger klar geregelt:

§ 102 Abs 3 Vlvg GO 1935 LGBl 1935/25: „Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes, werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“

b1) § 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordnete deshalb folgendes an: § 91 Abs 4 Vlbg GG 1965, LGBl LGBl 1965/45. „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ [1]

c1) Den Gesetzesmaterialien zur Vlbg Gemeindeordnung 1965 ist dazu Folgendes zu entnehmen: Der Vorarlberger Gemeindegesetzgeber geht davon aus, dass „das bisher in den §§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935 genannte Gemeindegut ausschließlich aus agrargemeinschaftlich genutzten Grundstücken“ bestehe. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung seien inzwischen im Flurverfassungsgesetz, LGBl. Nr. 4/1951, geregelt. […] Die Ordnung der Verhältnisse des Gemeindegutes im Einzelnen ist zwar schon weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Um für die Übergangszeit für eine geordnete Verwaltung vorzusorgen, erweise es sich als zweckmäßig, den Gemeinden die Verpflichtung aufzuerlegen, die bisher geübte vorläufige Verwaltung bis zur Regulierung weiterzuführen. § 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordnete deshalb folgendes an: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert diese Bestimmungen und setzt sich stattdessen mit dem Vorarlberger Gemeinderecht ex 1864 auseinander! Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen das Gemeindegesetz von Vorarlberg aus dem Jahr 1864 (!) analysiert, ist skandalös.

bb) DAS GEMEINDERECHT TIROLS

Wie war die historische Rechtslage in Tirol aus der Sicht des Jahres 1982 zu beurteilen? Konnte zumindest für Tirol behauptet werden, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ihn den Tiroler Gemeindeordnungen im Sinne der Behauptungen des Erk VfSlg 9336/1982 als „Eigentum der Ortsgemeinde“ definiert war? Auch diese frage ist mit einem klaren NEIN zu beantworten.

Das Tiroler Gemeinderecht ordnete ebenfalls schon im Jahr 1935[2] die Konkurrenz zum Flurverfassungsrecht klar und eindeutig im Sinn der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Art 12 Abs 1 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz. Danach galten für die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften des Gemeindeguts im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes die Bestimmungen des TFLG 1935; diese Bestimmung war für das „Fraktionsgut“ sinngemäß zur Anwendung zu bringen war.

§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935: „Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“

§ 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“

§ 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“

§ 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935: „Nutzungsrechte haften an der Liegenschaft und können im Allgemeinen nur mit dieser rechtsgültig übertragen werden. (2) Für die ausnahmsweise Übertragung von Nutzungsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“

Gem § 140 TGO 1935 galt dies auch für Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung.

§ 164 letzter Satz TGO 1935: „Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“

Gemäß Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 wurde folgende Übergangsregelung getroffen: „Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3.  Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“

Die TGO 1949 hat an der Rechtslage, wonach agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut nach den gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung zu behandeln war, nichts geändert. Die Klarstellung, wonach das Gemeinderecht absoluten Nachrang gegenüber dem Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen einschließlich des Gemeindeeigentums in agrargemeinschaftlicher Nutzung besitzt, findet sich in jeder späteren Fassung der Tiroler Gemeindeordnung: § 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze von Vorarlberg von 1864 (!) und von Tirol von 1866 (!) als angeblich repräsentativ präsentiert, ist skandalös.

d) 1938 – NS-STAAT: GEMEINDERECHT UND AGRAR

Nur am Rande sei das folgende erwähnt. Selbst das  Recht des Nationalsozialistischen Staates hat die Kompetenz der Agrarbehörde als gesetzlicher Richter über das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung respektiert. Die einschlägige Formulierung in § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429, diente den späteren Gemeindeordnungen der Länder offensichtlich als Formulierungsvorlage. § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429: „Die Bestimmungen dieser Verordnung finden auf jene Teile des Gemeindegliedervermögens, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Abs 2 d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes, BGBl Nr 256/1937, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetze und den die Flurverfassung regelnden Gesetzen der ehemaligen österreichischen Länder nicht in Widerspruch stehen.“

e) VORGABEN DER BUNDESREGIERUNG

aa) Der Tiroler Landtag hatte 26. April 1935 einen Gesetzesbeschluss betreffend eine neue Tiroler Gemeinde-Ordnung gefasst. Dagegen hatte das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 Einwendungen erhoben, weil dieses Gesetz in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthalte, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 BGBl 256/1932) nicht in Einklang stehen. Dies veranlasste eine Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935), „Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz“ B 256/1932, an die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck. Darin führte das Bundeskanzleramt folgendes aus und forderte die Änderungen der bereits beschlossenen neuen Tiroler Gemeindeordnung ein.

„1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.

2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.

3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

(Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, An die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck, Abschrift der Abschrift vom 1. August 1935)

bb) In diesem Zusammenhang berichtete das Bundesministerium für Land- und Forstswirtschaft, Zl 41.322-4/35 betreffend Gemeindeordnung, Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes; Musterentwurf. Zl 3677 von Pkt 28.9.1935 wie folgt an den Rechnungshof in Wien: Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Zl 41.322-4/35. Gemeindeordnung, Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes; Musterentwurf. Zl 3677 v. 28.9.1935.  An den Rechnungshof in Wien.  Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft beehrt sich mitzuteilen, dass es gegen die Versendung des Musterentwurfes in der vorliegenden Fassung von seinem Resortstandpunkt keine Einwendungen erhebt: Es wird jedoch bemerkt: Die Gemeindeordnungen für Tirol und Vorarlberg haben in den von den Landtagen ursprünglich beschlossenen Fassungen den Vorschriften des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes BGBl Nr 256 ex 1932 in den Bestimmungen über das Gemeindegut mehrfach nicht Rechnung getragen. In Tirol wurde das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits erlassen und kundgemacht, in Vorarlberg ist erst ein Entwurf hiefür in Vorbereitung. Die Tiroler Gemeindeordnung vom 10. Juli 1935, LGBl Nr 36 hat den Wünschen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft durch die geänderte Fassung der §§ 79, 114 (3), 117, 120 (2), 164 (1) und Schlusssatz Rechnung getragen. Der neue aufgenommene Art III ist ohne praktische Bedeutung geblieben, da das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits in Wirksamkeit getreten ist. In die Vorarlberger Gemeindeordnung wurde dagegen lediglich in § 102 Abs 3 eine allgemeine Bestimmung aufgenommen. Vom ho. Standpunkt und wohl auch vom Standpunkt der leichteren Handhabung der Bestimmungen der Gemeindeordnung über das Gemeindegut ist der von Tirol gewählte Vorgang vorzuziehen, da dort immerhin bei allen unter dem Gesichtspunkte des Flurverfassungs-Landesgesetz in Betracht kommenden Bestimmungen der Gemeindeordnung auf das Flurverfassungsgesetz ausdrücklich verwiesen ist. Die vorarlberger Gemeindeordnung enthält dagegen eine Reihe von Bestimmungen über das Gemeindegut, die bei dem Umstande, dass das Gemeindegut vielfach unter § 15 (2) d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes fällt, praktisch nicht zur Anwendung kommen können, wobei aber mangels einer analogen Verweisung – wie in Tirol bei jeder einzelnen einschlägigen Bestimmung der Gemeindeordnung – ein Irrtum in der Handhabung der Gemeindeordnung vielleicht möglich ist. In dieser Hinsicht wird auf die §§ 29 (2) und 102 (2), 103 (3), 109 (2), 29 (2) und 74 der Vorarlberger Gemeindeordnung verwiesen. Es wäre daher vom ha Resortstandpunkt sehr erwünscht, dass die in Betracht kommenden Landeshauptmannschaften insbesondere auf den vom Lande Tirol gewählten Vorgang aufmerksam gemacht würden.

Bundesministerium für Land- und Forstswirtschaft, Zl 41.322-4/35 vom 26. Oktober 1935. Für den Bundesminister: Braun

cc) Noch unter dem 1. August 1935 hatte sich das Bundeskanzleramt zu Zl 156.486-6 (ex 1935), Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932 wie folgt an den Landeshauptmann für Tirol in Innsbruck gewandt:

Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932

An die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck.  Gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeindeordnung für Tirol, wurden vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Einwendungen erhoben, weil derselbe in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932, B.256) nicht in Einklang stehen. Denn gemäß § 15 Abs 2 Punkt d, Flurverfassungs-Grundsatzgesetz sind die einer gemeinschaftlichen Benützung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnungen unterliegenden Teile des Gemeindegutes Ortschafts-, Fraktionsgutes) als agrargemeinschaftliche Grundstücke anzusehen, welche den Bestimmungen der Bundes- und Landesflurverfassungsgesetzes über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken, die von den Bestimmungen der Gemeindeordnungen über das Gemeindegut vielfach abweichen, unterliegen. So steht die Entscheidung, ob eine Liegenschaft eine agrargemeinschaftliche Liegenschaft ist (§ 17 Bundes-Grundsatz-Gesetz), wie auch ob agrargemeinschaftliches Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliegt (§ 35 Bundes-Grundsatz-Gesetz), dann über den Bestand und Umfang von Anteilsrechten (§ 35 Bundes-Grundsatz-Gesetz), schließlich die Genehmigung der Veräußerung, Belastung und Teilung von Agrargemeinschaftlichen Grundstücken (§ 18 Bundes-Grundsatz-Gesetz) jederzeit den Agrarbehörden zu. Weiters obliegt den Agrarbehörden ausschließlich die Teilung und Regulierung agrargemeinschaftlicher Grundstücke, zu welch letzteren auch die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und Verwaltungssatzungen gehört (§ 33 B-GG). In der Tat stehen diese agrargesetzlichen Bestimmungen mit den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnung über die Gemeindefinanzverwaltung, welchen bisher als Teil des Gemeindeeigentums auch der in agrargemeinschaftlicher Nutzung stehende Teil des Gemeindegutes unterlag, in Widerspruch. Zwecks Abgrenzung der Zuständigkeit wurde der Vorschlag gemacht, den gemäß den Flurverfassungsgesetzen als Gegenstand einer Agrargemeinschaft geltenden Teil des Gemeindegutes nicht mehr in den Gemeindeordnungen, sondern ausschließlich in den Landesflurverfassungsgesetzen zu behandeln, da ja dieser Teil des Gemeindegutes für den Gemeindehaushalt ohnehin nahezu gar keine Rolle Spielt. Dieser Vorschlag wurde vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vor Allem mit der Begründung abgelehnt, dass die Agrarbehörden bei ihrer derzeitigen Organisation nicht in der Lage wären, die ihnen in diesem Falle notwendig zufallenden zahlreichen Aufgaben zu erfüllen. Auch legte das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft großen Wert darauf, die bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieses agrargemeinschaftlichen Teiles des Gemeindegutes auch weiterhin in der Gemeindeordnung zu belassen, und zwar einerseits wegen des Hinweises auf die Gemeindeordnungen in § 15, Abs 2, Punkt d, Flurverfassungs-Gesetz, vor allem aber um eine längere vacatio legis zu vermeiden, da nicht abzusehen ist, wann die Landesflurverfassungsgesetze in Kraft treten werden.

Das Bundeskanzleramt beehrt sich, im Einvernehmen mit den Bundesministerien für Land- und Forstwirtschaft und für Finanzen zwecks Abgrenzung der Zuständigkeit der Agrarbehörden einerseits, der Gemeinde- und der Gemeindeaufsichtsbehörden andererseits, in dieser Sache folgenden Vorschlag zu empfehlen:

1.) Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt. 2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat. 3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“ 1. August 1935. Für den Bundesminister: Ruber

Alle Tiroler Gemeindeordnungen seit 1935 haben ausdrücklich klargestellt, dass deren Regelungen betreffend das Gemeindegut im Allgemeinen das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, welches der Flurverfassung zu Regelung zugewiesen ist, nicht betreffen (zB § 82 TGO 1949; zuletzt § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“)

ZUSAMMENFASSUNG

Weil das Bodenreformrecht gem Art 12 B-VG in den Grundsätzen Bundeskompetenz ist und weil die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung dem Kompetenztatbestand Bodenreformrecht zugewiesen sind, sind diese Regelungen konsequent und verfassungsrechtlich geboten.

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert diese Bestimmungen und setzt sich stattdessen mit dem Tiroler Gemeinderecht ex 1866 auseinander! Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen das Gemeindegesetz von Tirol aus dem Jahr 1866 (!) analysiert hat, ist skandalös. Die Behauptung im Erk VfSlg 9336/1982, dass die Gemeindeordnungen der Länder das Gemeindegut als Gut im Eigentum der Ortsgemeinden definieren würden, ist zwar für die Rechtslage der 60er Jahre des 19. Jhdts zutreffend, weil das Teilungs- und Regulierungsrecht (TRRG 1883) und das FlVerfGG 1932 damals nicht existierte. Aus der Sicht des Jahres 1982 und bezogen auf das Jahr 1982 und auch auf das heute noch geltende Recht, war diese Behauptung hingegen schlicht  f a l s c h . Das Erk VfSlg 9336/1982 wollte oder konnte die Differenzierung im geltenden Gemeinderecht nicht nachvollziehen.

Das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ist keinesfalls in den Gemeindeordnungen der Länder als Eigentum der Ortsgemeinden definiert. Die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vielmehr „agrarische Operation“ gem Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG.

Erst wenn die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden hat, wer Eigentümer eines Gemeindegutes ist, steht mit urteilsgleicher Wirkung fest (§ 14 Agrarverfahrensgesetz), wer Eigentümer ist. Derjenige, der von der Agrarbehörde rechtskräftig als Eigentümer festgestellt wird, ist Eigentümer im Rechtssinn!

 

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MP

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