Die Gemeinschafts-
liegenschaften und
das Grundbuch

Dr. iur. ao. Univ.-Prof. Gerald Kohl, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien.Die Grundbuchanlegung – in Tirol und anderweitig – ist einer der Forschungsschwerpunkte von Univ.-Prof. Dr. Kohl.Die Verwendung von Ortsbezeichnungen in Verbindung mit Begriffen wie „Ortschaft“, „Weiler“, Dorf, „Fraktion“, Gemeinde usw tauchen auch in anderen Bundesländern als Verlegenheitslösung zur Erfassung von agrargemeinschaftlichem Eigentum auf, wobei durchaus regionale Unterschiede nachweisbar sind. Während die Grundbuchanlegungsbeamten in Kärnten den Begriff „Ortschaft“ bevorzugten, wurde in Tirol am häufigsten der Begriff „Fraktion“ gewählt.

Abstract:

Die Rechtslehre der Pandektistik, an der sich die Österreichische Rechtswissenschaft im ausgehenden 19. Jhdt orientierte, hat beschränkte dingliche Rechte an eigener Sache („servitus iuris germanici“) strikt abgelehnt. Nichts anderes gilt für das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811. Aus diesem Grund stellte die typische Agrargemeinschaft, wo das Miteigentum des einzelnen im Nutzungsrecht seines Hofes zum Ausdruck kommt, für die Österreichischen Grundbuchanlegungsbeamten ein rechtsdogmatisch  überwindbares Problem dar.

Insoweit die Nutzungsverhältnisse an einer Liegenschaft sich in Bruchteilen bzw Quoten ausdrücken ließen, konnte ein Eigentum nach Bruchteilen angenommen werden. Miteigentum nach ideellen Quoten ist eine dem (österreichischen) ABGB bekannte Rechtssituation (§§ 825ff  ABGB). Typisch ist das jedoch nur für Almliegenschaften, wo – ausgehend von „Kuh- oder Schafrechten“, den so genannten „Auftriebsrechten“ – jedem Mitbesitzer eine Quote vom Ganzen zugeordnet wurde.  Im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung wurden zahlreiche Almliegenschaften als ein derartiges Miteigentum zu Bruchteilen im Grundbuch erfasst.

Wenn die Nutzungsverhältnisse an einer Liegenschaft nicht in Bruchteilen bzw Quoten ausgedrückt werden konnten, war nach dem Theorieverständnis der Rechtsschule der Pandektisten ein Miteigentum der Nutzungsberechtigten ausgeschlossen. Die Tatsache, dass verschiedene Hausbesitzer bei einer bestimmten Liegenschaft das Recht hatten, ihren jeweiligen Hofbedarf an Holz, Streu, Kalk und Steinen aus dieser Liegenschaft zu beziehen, repräsentiert jedoch genau den typische Sachverhalt einer Tiroler Agrargemeinschaft. Nach der Dogmatik der Pandektistik war ein solcher Sachverhalt jedoch einfach nicht vorgesehen. Ein solcher Sachverhalt wurde deshalb ignoriert.

Der Begriff des „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war mit dem Österreichischen Rechtsverständnis des ausgehenden 19. Jhdts nicht vereinbar. Anders das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB von 1896, in Kraft seit 1.1.1900), welches in § 1009 BGB, im Abschnitt über das Miteigentum nach Buchteilen, ausdrücklich berücksichtigt, dass Miteigentümer an der Gemeinschaftsliegenschaft servitutsberechtigt sein können. Im Geltungsbereich des (dt) BGB war es deshalb unproblematisch eine „Rechtlergemeinschaft“, wie die Agrargemeinschaften in Südbayern genannt werden, als Miteigentum im Grundbuch zu erfassen.

Die Österreichischen Juristen waren im Gegensatz zu den deutschen durch die Vorgaben der Rechtsordnung motiviert, zur Erfassung einer nicht regulierten Agrargemeinschaft eine  (juristische) Person zu erfinden, der das Eigentum an einem solchen Miteigentum zugeordnet wurde, weil ein Miteigentum, an dem jedem einzelnen Miteigentümer Servitutsrechte zustehen, als rechtliches Impossibilium erschien. Beispielsweise wurden im Tirol hunderte Waldstücke,  wo den Hausbesitzern im Dorf Servituten auf Holz- und Streubezug  zustanden, als Eigentum der „Fraktion“ einverleibt.
Die Grundbuchanlegungsbeamten erachteten es als undenkbar, dass die Servitutsberechtigten als Gesamtheit die Miteigentumsgemein-schaft bilden –  nicht anders als heutzutage in einer Wohnungseigentumsgemeinschaft, wo die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten die Miteigentumsgemeinschaft  bildet.

Bis zum Einschreiten der Agrarbehörde geisterten die verschiedensten, teilweise geradezu absurden Eigentümerbezeichnungen durch das Grundbuch. Solche existieren zum Teil bis heute. Beispielhaft ist auf die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden“, Eigentümerin im Grundbuch Sölden, zu verweisen.

 

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1. Die Gemeinschaftsliegenschaften als „unbewältigtes Sachenrecht“

a) Die Beurteilung der Tiroler Grundbuchanlegung

Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 den Standpunkt, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung bei der Beurteilung der agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre. Bei Grundstücken, die von mehren Nachbarn oder einer ganzen Dorfgemeinschaft  seit eh und je gemeinschaftlich genutzt wurden, sei ausschließlich vom zuständigen Beamten abhängig gewesen, welchen „Ausdruck“ dieser zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse wählte. Die Palette hätte von der Einverleibung der Berechtigten als Miteigentümer bis zur Einverleibung einer Gemeinde, Fraktion, „Weiler“als Eigentümerin gereicht.
Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal „die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer“ eingetragen. „Gemeindegut“ sei deshalb das Ergebnis dieser willkürlichen Vorgehensweise der Grundbuchanlegungsbeamten. „Gemeindegut“ sei das Ergebnis historischer Zufälligkeiten beim grundbuchstechnischen Erfassen der Liegenschaften. „Gemeindegut“ sei deshalb nur eine von mehreren „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“. Es gelte der Grundsatz, dass gleich gelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln seien; dies ungeachtet des Umstandes, welchen Begriff die Grundbuchanlegungsbeamten gewählt hätten, um die Eigentumsverhältnisse darzustellen. So die Tiroler Landesregierung in dieser Stellungnahme.

Offensichtlich war die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre überzeugt, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung zahlreiche Liegenschaften zu Unrecht einer „Gemeinde“ (oder einer „Fraktion“) zugeschrieben wurden. Agrarische Gemeinschaftsliegenschaften, die von einer größeren Personenanzahl, insbesondere einer ganzen Dorfgemeinschaft genutzt wurden, wurden im Zuge der Tiroler Grundbuchsanlegung sogar typischer Weise falsch beurteilt. Bei solchen Liegenschaften waren im Grundbuch die Eigentumsverhältnisse deshalb regelmäßig objektiv unrichtig dargestellt. Dies ist die Schlussfolgerung aus dem von der Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er behaupteten Sachverhalt, wonach bei der Grundbuchsanlegung einmal die „Gemeinde“, dann wieder eine „Nachbarschaft“, eine „Fraktion“, eine „Interessentschaft“, die „Katastralgemeinde“ oder die „Berechtigten als Miteigentümer“ eingetragen wurde und dass es allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten lag, welcher Ausdruck zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse verwendet wurde.

Im Grunde genommen ist es den Grundbuchanlegungsbeamten auch gar nicht zu verübeln, dass diese die Gemeinschaftsliegenschaften nicht richtig erfasst hatten. Selbst dort, wo die Grundbuchsanlegung die Bezeichnung „Nachbarschaft X, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Y, bestehend aus folgenden Grundbuchskörpern dieses Grundbuches: a) … b) …“ gewählt hatte – was nur in den drei Osttiroler Katastralgemeinden Kartisch, Außervillgraten und Innervillgraten, erfolgte, geschah dies auf höchst anfechtbarer Grundlage. Nach damals wie heute geltendem Recht ist eine „Nachbarschaft“ nun einmal keine juristische Person. Eine Rechtsgrundlage, um „Nachbarschaften“ als Eigentümer im Grundbuch anzuschreiben, hat nie bestanden.
Egal wie der Grundbuchbeamte eine Gemeinschaftsliegenschaft in den neuen Grundbüchern erfasst hat – er konnte seine Arbeit eigentlich nur falsch machen!

b) Das Aufgabenfeld der Agrarbehörde

Ausgehend von der Tatsache, dass die Grundbücher „hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen“ enthalten hatten – so die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre – erklärt sich der Auftrag an die Agrarbehörde. Diese hatte die wahren Eigentumsverhältnisse zu klären und den richtigen Eigentümer festzustellen. Die unrichtigen Eintragungen auf „Gemeinde“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“, „Interessentschaft“, „Genossenschaft“, „Katastralgemeinde“, realrechtlich gebundenes Miteigentum oder schlichtes Miteigentum waren zu berichtigen. Insoweit die „Gemeinde“, die „Fraktion“, die „Nachbarschaft“, die „Interessentschaft“ usw zu Unrecht als Eigentümerin im Grundbuch einverleibt war, weil das Eigentumsrecht in Wahrheit einer agrarischen Gemeinschaft zuzuordnen war, versteht es sich von selbst, dass die Agrarbehörde das Grundbuch richtig stellen musste. Mit einer Enteignung der ursprünglich einverleibten Gebilde – von „Gemeinde“ bis „Interessentschaft“ oder der Miteigentümer – hat das nichts zu tun.

Anhand einer Vielzahl von Regulierungsakten lässt sich schließlich nachweisen, dass die Agrarbehörde sorgfältig differenziert hatte: Typischer Weise wurden in einem eigenen Verfahrensabschnitt all diejenigen Grundstücke aus dem Verfahren ausgeschieden, welche anderen agrarischen Gemeinschaften, der Ortsgemeinde oder Einzelpersonen als Eigentum zuzuordnen waren. Diese Trennung des agrargemeinschaftlichen Vermögens vom Vermögen anderer Beteiligter, vornehmlich der politischen Ortsgemeinde, war genau deshalb erforderlich, weil vielfach weder die Gemeindebürger selbst, noch die Grundbuchanlegungsbeamten das gemeinschaftliche Privatvermögen der „alten“ Nachbarschaften und das Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde unterschieden hatten.

c) Generelle Unsicherheit bei der grundbücherlichen Erfassung

Offensichtlich wurden nicht nur in Tirol die Gemeinschaftsliegenschaften in den öffentlichen Büchern unrichtig angeschrieben, sondern es handelte sich dabei um ein generelles Phänomen.

Die Dogmatik der Pandektistik stand Ende des 19. Jahrhunderts bei den Juristen hoch  im Kurs. Die Pandektistik hat jedoch beschränkte dingliche Rechte an eigener Sache („servitus juris germanici“) strikt abgelehnt. Genau ein solcher Sachverhalt, nämlich Rechte an Liegenschaften, an denen der Berechtigte zusätzlich ein Miteigentümer ist, liegt der typischen Agrargemeinschaft zu Grunde. Nach der Dogmatik der Pandektistik war ein solcher Sachverhalt jedoch einfach nicht vorgesehen. Er wurde deshalb ignoriert. Der Begriff des „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war mit dem Österreichischen Rechtsverständnis des ausgehenden 19. Jhdts offensichtlich nicht vereinbar. Eine durch die Grundbuchanlegung im Osten Österreichs im auslaufenden 19. Jhdt veranlasste literarische Diskussion zur Art und Weise der Verbücherung der Gemeinschaftsliegenschaften belegt die Komplexität der Rechtslage und die Unsicherheit aller Beteiligten.

Bereits im Jahre 1885 beklagte Hoegel im Zusammenhang mit der Verbücherung der „gemeinschaftlichen Weiden und Waldungen“ eine „Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität“ heranwachse.

Pfersche hat in einer Abhandlung aus dem Jahr 1894 die Verhältnisse treffend zusammengefasst, wenn er formulierte: „Die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsgüter ist sehr verschiedenartig, … Die gerichtlichen Entscheidungen bei Grundbuchsgesuchen und bei Prozessen sind fortwährend schwankend, und da die Motivierung, namentlich auch der oberstgerichtlichen Urteile, keine feste und klare Rechtsansicht verraten, so erscheint der Ausgang jeder derartigen Rechtsache als ein unberechenbarer Zufall.“

Es greift freilich zu kurz, wollte man vor allem die (unverschuldete) Inkompetenz der historischen Akteure für diesen Zustand verantwortlich machen, wie dies in der Abhandlung von Amschl aus dem Jahr 1893 ankling. Wesentlicher erscheint der legislative Mangel: Bereits zur Zeit der Grundbuchsanlegung hatte den agrarischen Gemeinschaften kein allgemein anerkanntes Organisationsmodell mehr entsprochen, weil die Rechtsfigur der „Gemeinde als moralische Person nbR“ Ende des 19. Jhdts für die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bereits völlig in die Bedeutungslosigkeit versunken zu sein schien. Dies aufgrund eines massiven „Verdrängungs-“ besser „Überlagerungsprozesses“, „der von einer die Rechtsverhältnisse der lokalen Siedlungsverbände völlig beherrschenden juristischen Neuschöpfung, der heutigen politischen Ortsgemeinde, ausging“.

Wen wundert es, wenn die historischen Akteure das Eigentumsrecht einmal bei den Stammliegenschaftsbesitzern als Miteigentümer vermuteten, ein andermal realrechtlich gebundenes Eigentum annahmen oder Genossenschaften oder Nachbarschaften oder Interessentschaften als Eigentümer vermuteten. Schon aus Gründen der Arbeitsökonomie lag es nahe, eine Sammelbezeichnung zu verwenden; mit den Begriffen „Gemeinde“ oder „Fraktion“ standen zumindest theoretisch anerkannte Organisationsmodelle zur Verfügung.

Klar verfehlt wäre es jedenfalls, im konkreten Einzelfall beim Wortlaut der historischen Eigentümerbezeichnungen anzusetzen, um die wahren Eigentumsverhältnisse an einer bestimmten Liegenschaft zu ergründen. Man würde auf unverlässlicher Grundlage aufbauen und an Umstände anknüpfen, welche von der Willkür und dem subjektivem Gutdünken juristisch überforderter Grundbuchsbeamter (und anderer Beteiligter) abhängig waren. Man würde sich in Widerspruch mit den in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen der Tiroler Agrarbehörde setzen, welche die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften als reine Willkür erkannt hatte. Man würde sich in Widerspruch mit der „amtlichen Rechtsauffassung“ der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1982 setzen, wonach die Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften im Ergebnis willkürlich (schlichtes) Miteigentum oder realrechtlich gebundenes Miteigentum, Interessentschaften oder Nachbarschaften, Genossenschaften, Ortschaften, Fraktionen, Gemeinden oder Katastralgemeinden einverleibt habe. Nachdem eine breite literarische Diskussion der Grundbuchanlegung zu genau diesem Themenkomplex eine österreichweit einheitliche Problematik nachweist, würde eine solche Vorgehensweise jedwede juristische Sorgfalt vermissen lassen.

Richtiger Weise sind deshalb in jedem Einzelfall die historischen Eigentumsverhältnisse anhand aller zur Verfügung stehenden Umstände abzuklären. Die Darstellung der Rechtsverhältnisse durch die Grundbuchsanlegung hat dabei lediglich den Charakter einer Rechtsvermutung, zumal das Vertrauensprinzip nur dem Dritten gegenüber gilt, nicht aber auch zwischen den Parteien. Nichts anderes gilt hinsichtlich des Grundsatzes der formellen Rechtskraft der Verbücherung, die trotz Ablaufs der Ediktalfristen zwischen den Parteien nicht zur Auswirkung kommen kann: Der „nicht titulierte Tabularbesitzer“ hat dem wahren Berechtigten jederzeit zu weichen!

2. Titulus und Modus des Rechtserwerbs

Der Eigentumserwerb durch die heutige Ortsgemeinde setzt – genauso wie der Erwerb jedes anderen Sachenrechts – einen gültigen Titel voraus. „Dingliche Rechte an Liegenschaften entstehen zwar grundsätzlich durch die Eintragung im Grundbuch, aber nur dann, wenn ihnen ein gültiger Titel zu Grunde liegt. Das Grundbuchsanlegungsverfahren kann einen solchen Titel nicht ersetzen. Das Grundbuchsanlegungsgesetz betrifft nur die inneren Einrichtungen der neu anzulegenden Grundbücher; eine im Richtigstellungsverfahren unterlassene Anfechtung hat nur die formelle Rechtskraft einer bei Anlegung des Grundbuches erfolgten Eintragung zur Folge, kann aber den materiell Berechtigten nicht hindern, sein Recht im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.“ Nicht die grundbücherliche Anschreibung ist somit maßgeblich, sondern die wahren Rechtsverhältnisse. Insofern kann niemand aus unrichtigen Grundbuchseintragungen für sich Eigentum ableiten. Anderes gilt für den Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten unter Vertrauen auf den Buchstand, ein Fall, der mangels praktischer Relevanz im hier untersuchten Umfeld nicht weiter zu behandeln ist.

3. Der Wortlaut der Grundbuchseintragungen

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die im Grundbuch vorgefundene Bezeichnung eines Eigentumsträgers als „Gemeinde“ gerade keinen zwingenden Rückschluss auf die wahren Eigentumsverhältnisse erlaubt. Zum einen war es im Sprachgebrauch der frühen Neuzeit bis Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jhdts – ganz im Sinne des weiten Gemeindebegriffs im ABGB – üblich, auch Gemeinschaften von Nutzungsberechtigten als „Gemeinde“ zu bezeichnen. Die Flurverfassungsgesetze setzten derartige „Gemeinden“ (als Gesellschaften der Nutzungsberechtigten) voraus – so der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982.

Zum anderen kam es im Zuge der Grundbuchsanlegung immer wieder zu Verwechslungen, weil zur Rechtfertigung der Eigentumseintragung historische Titel vorgelegt wurden, in welchen der Gemeindebegriff im Sinne einer „Gemeinde als moralischen Person nach Privatrecht“ gebraucht worden war. Dieses Phänomen hatte der Niederösterreichische Landesausschuss in seinem Bericht aus dem Jahr 1878 plastisch geschildert: Die „Gemeinde“ war in allen Urkunden aufgeschienen und so hätte die moderne Gemeinde ihre „Mutter“, die Nachbarschaft, „beerbt“, ohne dass letztere gestorben wäre. Diese Schilderung scheint gerade die Verhältnisse der Tiroler Grundbuchanlegung treffend zu charakterisieren. Die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 macht dies deutlich. Offensichtlich wurde aufgrund gleichartiger Eigentumstitel in einem Fall Eigentum einer „Gemeinde“, im anderen Fall Eigentum der „Berechtigten als Miteigentümer“ einverleibt oder einer Interessentschaft, einer Nachbarschaft oder gar einer „Katastralgemeinde“.

Derartige Eigentümerbezeichnungen deuten freilich auch auf mangelnde Fähigkeit auf Seiten der vollziehenden Beamtenschaft hin, wie dies der Oberste Agrarsenat aus Anlass der Beurteilung einer „Commune Markt Ysper“ in Oberösterreich klar ausgesprochen hatte: Mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung sei man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten nicht bewusst geworden. Gerade die mangelnde Fähigkeit der Rechtspraxis (einschließlich der Grundbuchsanlegung) zur Unterscheidung dieser komplexen Rechtsverhältnisse hatte die Schaffung des TRRG 1883 und die daran geknüpfte Tätigkeit der Agrarbehörden zur Regulierung der Gemeinschaftsliegenschaften motiviert. Genau zur Bewältigung dieser Unterscheidungsprobleme hat das Flurverfassungsrecht an den „geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (die Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet“. Die Agrarbehörden wurden also insbesondere dazu geschaffen, im Zuge von Regulierungs- oder Teilungsverfahren die aus den öffentlichen Büchern gerade nicht nachvollziehbaren Eigentums- und Nutzungsverhältnisse zu klären und rechtskräftig zu entscheiden.

4. Literaturverzeichnis

Paris, Die Gemeinschaften (Gemeinden – Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich 1875/7, 449f

Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse. Nebst einem Gesetzesentwurf über die Zusammenlegung der Grundstücke, die Ablösung und Regulierung der gemeinschaftlichen Nutzungsrechte und die Ablösung von nach dem Patente vom 5. Juli 1853 regulierten Nutzungsrechten samt Durchführungsverordnung, Formularien und Motivenberichten (1877)

Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode

Hoegel, Aus der Grundbuchpraxis, JBl 1885, 592: Die Einlagen für gemeinschaftliche Weiden und Waldungen

Alfred Amschl, k.k. Bezirksrichter, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine Österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7, 49

Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung (1894) 129

Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit 1916, 126 ff, 134 ff, 144 ff, 153 f, 159 f.

Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 24

Kohl, Territoriale Rechtsvielfalt und gesamtstaatliche Rechtsvereinheitlichung in der Habsburgermonarchie: Die Einführung des Grundbuchs in Tirol, in: Haidacher / Schober (Red), Bericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck (Veröffentlichungen des Verbandes österreichischer Historiker und Geschichtsvereine 33), Innsbruck 2006, 248ff

Kohl, Die Grundbuchanlegung in Tirol und das „Fraktionseigentum“, in Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) 177ff

Kohl, Oberhofer, Pernthaler, Gemeindeeigentum und Agrargemeinschaft, JBl 2014, 425

 

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Agrargemeinden und Grundbuchanlegung

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