Übersicht:
Blick über den Gartenzaun
Der Vorarlberger Weg
Einsames Tirol
BLICK ÜBER DEN GARTENZAUN
Gemeinschaftsgüter, heute „Agrargemeinschaften“, waren neben dem „feudalen Grundbesitz“ ursprünglich die dominierende Form des Grundbesitzes: Nicht nur in den Kronländern des Kaiserthums Österreich, sondern in ganz Europa gab es Nachbarschaftsliegenschaften, die allen Nachbarn gemeinsam gehörten. (Beispiele zur historischen Gemeindewirtschaft: „Alte Bodenordnungen„)
In Vorarlberg steht heute noch ca. die Hälfte der Landesfläche in Gemeinschaftsbesitz. Die flächenmäßig größte Agrargemeinschaft Nenzing organisiert rund 8.150 ha Grundfläche bei aktuell ca 700 Mitberechtigten. Besonders augenfällig sind die Verhältnisse im Burgenland, wo von ca 220 Agrargemeinschaften größer 10 ha die weit überwiegende Anzahl als „Urbarialgemeinde“ konstituiert wurde; dies nach Ungarischem Recht aus der Zeit von Kaiser Franz und Andreas Hofer. Die größte Burgenländische Agrargemeinschaft ist Apetlon mit einem Grundbesitz von ca 1.300 ha.
Ungeachtet angeblich verfassungsrechtlicher Erfordernisse (Vorgaben des Mieders-Erkenntnisses VfSlg 18.446/2008) gibt es außerhalb Tirols keine Bemühungen agrargemeinschaftliches Vermögen der Verstaatlichung zu unterwerfen. (Was geschieht anderenorts?)
Tirol steht mit seiner Enteignungspolitik (Schaffung der „Tirolkolchosen„) alleine da.
Nur in Vorarlberg gab es Ansätze für eine Umgestaltung der Agrargemeinschaften im Sinn des Mieders-Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom Jahr 2008.
Während in Tirol noch im Jahr 2008 hektische Bemühungen entfaltet wurden, die Rechtssätze des Mieders-Erkenntnis auf Punkt und Beistrich umzusetzen (s dazu: Meilensteine einer Enteignung), hat man in Vorarlberg zuerst einmal die Rechtsverhältnisse analysiert. Während in Tirol noch im Jahr 2008 eine ganze Riege von zusätzlichen Vollzugsbeamten verpflichtet wurde, um das „atypische Gemeindegut“ zu finden, wurde in Vorarlberg eine Kommission eingesetzt, die jeden potenziellen Einzelfall genau untersucht hat.
Bei dieser Auseinandersetzung mit den einzelnen Regulierungsverfahren und dem gleichzeitigen Blick auf den Sachverhalt, zu welchem der Verfassungsgerichtshof im Mieders-Erkenntnis 2008 entschieden hatte, ist eine entscheidende Schwäche des Mieders-Erkenntnisses in die Augen gefallen: Nicht ein einziger Rechtssatz wird darin auf die historische Tatsache verwandt, dass alle Regulierungsverfahren betreffend „Gemeindegut“ – in Vorarlberg nicht anders als in Tirol – auf Parteienübereinkommen zwischen der Ortsgemeinde und den Nutzungsberechtigten gründen, dh auf einem Vertrag.
Selbst dann, wenn eine Ortsgemeinde wahre Eigentümerin gewesen sein sollten, lagen alle Voraussetzungen vor, dass vereinbarte Eigentumsverfügungen nach damals geltendem Recht wirksam waren. Wenn eine Ortsgemeinde vertraglich verfügt und alle Genehmigungserfordernisse nach geltendem Recht vorliegen, ist diese Verfügung nicht weniger wirksam, als die Verfügung eines Privaten. Und jede Rechtsordnung auf der Welt respektiert den obersten aller fundamentalen Rechtssätze: „pacta sunt servanda! – Verträge sind einzuhalten! Dies gilt natürlich auch für Parteienübereinkommen, die vor der Agrarbehörde abgeschlossen und von dieser Behörde beurkundet werden.
DER VORARLBERGER WEG
Die Vorarlberger Landesregierung hat deshalb die Landesregierung keinen Handlungsbedarf gesehen, amtswegig gegen das Agrargemeinschaftsvermögen einzuschreiten. In Vorarlberg gab es deshalb einen Agrarstreit nur in Ansätzen. In Konsequenz des Erkenntnisses VfSlg 18.446 setzte der Vorarlberger Landtag einen Ausschuss ein, der die einzelnen Regulierungsfälle geprüft und eine Einschätzung dazu abgegeben hat.
Nach einer längeren Phase der Prüfung der historischen Verhältnisse durch diesen Ausschuss, hat schließlich die Ortsgemeinde Weiler ein Musterverfahren gestartet. Unbeeinflusst von der Politik ist dieses Verfahren ganz anders ausgegangen wie vergleichbare Verfahren in Tirol:
Sowohl die Agrarbezirksbehörde Bregenz als I.-Instanz (Oktober 2011), als auch der Landesagrarsenat Vorarlberg als II. Instanz (Jänner 2012), haben ausgesprochen, dass die Voraussetzungen, an welche das Mieders-Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs anknüpfe, im konkreten Fall nicht vorliegen würden.
Ein „atypisches Gemeindegut“ würde bei der Agrargemeinschaft Weiler nicht existieren.
Der Verfassungsgerichtshof hat die dagegen erhobene Beschwerde zurückgewiesen (Juni 2012); der Verwaltungsgerichtshof hat in der Sache nicht mehr entschieden, weil Agrargemeinschaft Weiler und Gemeinde Weiler eine Vereinbarung getroffen haben.
Im 2. Musterfall, der Agrargemeinschaft Rankweil betroffen hat hat die Agrarbezirksbehörde Bregenz im September 2012 entschieden: Auch bei dieser Agrargemeinschaft wurde kein „atypisches Gemeindegut“ gefunden. Die Beschwerde dagegen an den Landesagrarsenat wurde nach einer Vereinbarung zwischen der Ortsgemeinde und der Agrargemeinschaft zurückgezogen.
Im Vorarlberger Landtag gab es betreffend die Vorgehensweise gegen Agrargemeinschaften dazu im Herbst 2018 mehrere Anfragen von Seiten der LAbg Dr. Sabine Scheffknecht, NEOS. Die Beantwortungen dazu (zuletzt: 20.12.2018, Landesrat Christian Gantner Zl 20.01.448) zeigt die Vorarlberger Vorgehensweise insgesamt auf. Im Ergebnis wird davon aufgegangen, dass dass der durch das Mieders-Erkenntnis VfSlg 18.446 ausgelöste Agrarstreit für Vorarlberg endgültig erledigt ist.
EINSAMES TIROL
Gefühlt 100 Mal hat Landeshauptmann Günther Platter öffentlich erklärt, dass das Mieders-Erkenntnis von 2008 in Tirol „auf Punkt und Beistrich“ umgesetzt werde. Entsprechend diesen Vorgaben hat die Tiroler Agrarbehörde jede Menge atypisches Gemeindegut identifiziert. Praktisch alle größeren Agrargemeinschaften wurden von einer wahren juristischen Sturmflut erfasst und enteignet. Tirol ist das einzige Bundesland, wo agrargemeinschaftliches Vermögen im Blick auf das Mieders-Erkenntnis 2008 den Privaten entzogen wird.
Besonders bitter ist das für die Betroffenen, weil die Agrarbehörde und der Verwaltungsgerichtshof ein „atypisches Gemeindegut“ nicht danach identifizieren, ob ein historisches Unrecht geschehen ist. Maßgeblich soll eine historische „Gemeindegutsqualifizierung“ sein. Ein Unrecht wird im Blick auf eine „Gemeindeguts- bzw Fraktionsgut-Qualifizierung“ unwiderlegbar fingiert. Die wahren historischen Eigentumsverhältnisse werden nicht geprüft.
Nur die Geschichte wird lehren, wie nachhaltig diese „Tiroler Spezialität“ wirklich ist. Derzeit gibt es schlimme Auswirkungen: 150.000 ha Grund und Boden samt allem was dazugehört wurden entschädigungslos den Privaten weggenommen und den Ortsgemeinden zur Verfügung und Nutzung zugewiesen.
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Tirol: Zurück in´s Mittelalter
MP