DER SCHACHZUG DES VERFASSUNGSGERICHTS
Bereits in älteren Erkenntnissen hatte der Österreichische Verfassungsgerichtshof im Blick auf das Gemeinschaftsvermögen der Stammliegenschaftsbesitzer schwer nachvollziehbare Rechtspositionen eingenommen. Zu verweisen ist beispielsweise auf das Erkenntnis VfSlg 5666/1968 vom 4. März 1968, wo eine naive Sichtweise der Unterinstanzen auf einen angeblichen Okkupationsakt der Ortsgemeinde im Zuge der Grundbuchanlegung fortgeschrieben wurde! Bei der Grundbuchanlegung sei der heutigen politischen Ortsgemeinde das Eigentumsrecht zugestanden worden? Von wem und Kraft welchen Eigentumstitels, wird nicht erörtert!
„Wie […] von der Behörde festgestellt wurde, hat die frühere Realgemeinde im Jahr 1832 durch einen Vergleich mit dem Ärar die Liegenschaft mit den Lasten, also den Nutzungsrechten der Realgemeindemitglieder übernommen. Diese Art Realgemeinde hatte verschiedene Lasten zu tragen (Wegerhaltung, Armenfürsorge usw). Als nun die politische Gemeinde an die Stelle der Realgemeinde trat, hat die politische Gemeinde diese Lasten übernommen. Die politische Gemeinde beanspruchte deshalb im Allgemeinen das Eigentum an diesen gemeinschaftlich genutzten Liegenschaften. Bei der Grundbuchanlegung wurde daher den Gemeinden das Eigentum zugestanden, in den Gemeindeordnungen aber hinsichtlich der Nutzungen die bisher unangefochtene Übung aufrechterhalten. …“ (VfSlg 5666/1968 vom 4. März 1968)
Die naheliegende Klarstellung, dass Gemeinderecht gerade keinen Rechtstitel für die Enteignung der alten Wirtschaftsgemeinschaften enthalten hat, wurde unterlassen (§ 26 prov. GemG 1849 sowie die §§ 11 resp 12 der Ausführungsgesetze zum RGG 1862). Genauso wurde der Hinweis unterlassen, dass im Zuge der Grundbuchanlegung die alten Wirtschaftsgemeinschaften schon in Ermangelung einer Rechtsgrundlage für ihre Konstituierung als Agrargemeinschaften immer wieder mit den neuen Ortsgemeinden verwechselt wurden (vgl etwa Oberster Agrarsenat, 245-OAS/58 Agrargemeinschaft Commune Markt Ysper. In diesem Erkenntnbis wird klar gestellt wird, dass man sich bei der Grundbuchsanlegung vielfach der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung nicht bewusst wurde, weshalb es zur Anschreibung von Eigentum der alten Wirtschaftsgemeinden als Eigentum der Ortsgemeinden kam).
Schlag gegen das Gemeinschaftseigentum
Den entscheidenden Schlag gegen das Gemeinschaftseigentum setzte der VfGH mit dem Erkenntnis VfSlg 9336/1982, indem er das Recht der politischen Ortsgemeinde als Deckmantel heranzog, das gesamte Gemeinschaftseigentum der alten Wirtschaftsgemeinden als Eigentum der neuen Ortsgemeinden hinzustellen, sofern das betreffende Gut in Verwaltung der Ortsgemeinde steht. In diesen Fällen wird nämlich ein „Gemeindegut“ vorausgesetzt und dieses sei – so der VfGH – zwingend ein Eigentum der politischen Ortsgemeinde.
Der VfGH, VfSlg 9336/1982, Pkt III. 1. (Abs 4) der Begründung: „[…] Was nämlich zum Gemeindegut iS der nach dem Reichsgemeindegesetz 1862 erlassenen Gemeindeordnungen geworden ist, wurde damit – bei allem Vorbehalt überkommener Nutzungsrechte – wahres Eigentum der neuen (politischen) Gemeinde, die übrigens auch verschiedene Lasten übernommen hatte, von denen früher die Realgemeinde betroffen gewesen war.“
Diese Behauptung, wonach die Gemeindeordnungen aus den 1860er Jahren die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut abschließend als Eigentum der Ortsgemeinde geregelt hätten und dass diese Rechtslage im Jahr 1982 noch Relevanz gehabt hätte, ist grundfalsch: Die auf der Grundlage der geltenden Verfassung von 1920 idF 1929 (Art 12 Bundes-Verfassungsgesetz B-VG) gestalteten heutigen Gemeindeordnungen wurden ausgeblendet. Die Rechtstatsache, dass die Gemeindeordnungen der Länder ab dem Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 das in agrargemeinschaftlicher Nutzung stehende Gemeindegut der Kompetenz der Agrarbehörden zur (reformatorischen) Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zuweisen, wurde nicht einmal angesprochen. Die das Erk tragende falsche Behauptung, dass die Gemeindeordnungen das Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde definieren würden, steht im offenen Widerspruch mit Art 12 B-VG.
WARUM ENTSCHEIDET NUR DIE AGRARBEHÖRDE ÜBER AGRARGEMEINSCHAFTLICHES GEMEINDEGUT?
Der Begriff „Gemeindegut“ im Tiroler Landesrecht
1) Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 2010 (erstmals) richtig festgestellt, dass „Gemeindegut“ (auch) ein Eigentum einer Agrargemeinschaft sein könne. (Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlf 19.262/2010: „[…] der Bescheid […] durchaus auch dahin ausgelegt werden [könnte], dass die bescheiderlassende Behörde auf den in §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.])“ (VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3 Abs 1 der Begründung vom 10.12.2010)
Nach dem Gesetzesverständnis des VfGH-Erk Slg. 19.262/2010 bedeutete sohin „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“) im Tiroler Flurverfassungsgesetz 1935 Eigentum einer Agrargemeinschaft.
2) Die Tiroler Landesregierung erklärte im Gesetzesprüfungsverfahren VfGH Slg 9336/1982 den Begriff „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“), wie dieser vom Tiroler Landesgesetzgeber im Tiroler Flurverfassungsgesetz bis Anfang der 80er Jahre verwendet wurde, nämlich als wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft:
„Für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende haben sich eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet […]. Sie gelten heute als Agrargemeinschaften. In vielen Gemeinden war jedoch die Gemeinde als solche, nämlich die alte so genannte “Realgemeinde“ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen. Dafür wurde dann der Begriff Gemeindegut verwendet.“ […] „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ „Die historischen Zufälligkeiten einer rein tatsächlichen Vorgehensweise dürfen nicht einseitig gesehen werden, weil dann das Gegenteil dessen erreicht werden würde, wozu der Gleichheitssatz verpflichtet, nämlich gleichgelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln. So gesehen scheinen die in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen dem Gleichheitssatz nicht zu widersprechen. Sie bedeuten insbesondere nicht eine gleichheitswidrige Einbeziehung des Gemeindeguts in eine auf bestehende agrarische Gemeinschaften abgestellte Regelung. Mit diesem Vorwurf wird übersehen, dass die Gemeinde hinsichtlich des Gemeindegutes eben nicht als (politische) Gemeinde auftritt, sondern mangels einer eigenen rechtlichen Verfassung der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft ex lege bildet. […]“
(Amt der Tiroler Landesregierung, Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren, VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung)
Die Tiroler Landesregierung hat somit im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 einen spezifischen „Gemeindegutsbegriff“ des Tiroler Landesgesetzgebers erklärt: In Tirol und nach Tiroler Landesgesetz (zuständiger Ausführungsgesetzgeber gem Art 12 B-VG) wurde der Begriff „Gemeindegut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht verwendet, um Agrargemeinschaften in Gemeindeverwaltung zu charakterisieren, entstanden aufgrund des Chaos der Tiroler Grundbuchanlegung: Die Tiroler Landesregierung zu dieser Problematik Anfang der 1980er Jahre im Verfahren VfSlg 9336/1982: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ „Die historischen Zufälligkeiten einer rein tatsächlichen Vorgehensweise dürfen nicht einseitig gesehen werden, weil dann das Gegenteil dessen erreicht werden würde, wozu der Gleichheitssatz verpflichtet, nämlich gleichgelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln.“
Vgl auch: Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012):
„Das Problem der unklaren Differenzierung zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsgütern gab es in nahezu allen Kronländern im späten 19. Jahrhundert, in Böhmen xliii (Karl Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsgerichtliche Studie, Prag 1879, zu den damaligen Verhältnissen in Böhmen) und Niederösterreich xliv (Bericht des NÖ Landesausschusses an den Niederösterreichischen Landtag vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode), in Kärnten, in Küstenland und Dalmatien, in der Bukowina, in Salzburg und Tirol. xlv (Kohl, Gemeinde- oder Gemeinschaftsgut, 3 ff). Auf dringendes Insistieren der Landtage insbesondere von Niederösterreich und Kärnten hat der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 auf diesen Missstand reagiert und mit dem Reichsrahmengesetz vom 7. Juni 1883, RGBl. Nr. 94, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der darauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte einen rechtlichen Rahmen für die reformatorische Gestaltung der Rechtsverhältnisse am Gemeinschaftseigentum in agrargemeinschaftlicher Nutzung geschaffen.“
3) Auch der Landesagrarsenat Tirol, der als weitere Landesbehörde zuständig für den Vollzug des Tiroler (!) Flurverfassungsrechts ist, erläuterte eine Begriffsverwendung für „Gemeindegut“ im TFLG im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft:
„Da die Nutzung des Gemeindegutes rechtshistorisch gesehen aus der gemeinschaftlichen Allmendnutzung hervorgegangen ist, ist […] das Eigentum der Rechtsnachfolgerin der auf Gewohnheitsrecht beruhenden Realgemeinde, nämlich der körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft, einzuräumen.“
(LAS Tirol vom 5.8.1969 LAS-104/17 (Gemeindegut Trins, Regulierung) unter dem Vorsitz des späteren Richters am Verfassungsgerichtshof, Dr. Andreas Saxer)
4) Der Verfassungsgerichtshof hat im grundlegenden Erkenntnis Slg 9336/1982 dieses andere Bild des Begriffes „Gemeindegut“ im Tiroler Landesgesetz bis 1982 (!) hervorgehoben und zum Anlass seines Einschreitens genommen:
„Dieses – im gemeinderechtlichen Befund (angeblich) nicht gedeckte – Bild der Bodenreformgesetze ist es, von dem auch die Tir. Landesregierung in ihrer Äußerung ausgeht; sie verkennt dabei allerdings, daß man bei diesem Bild nicht haltmachen darf, sondern auf die Regelungen des Gemeinderechtes zurückgreifen und die Auswirkung der mangelnden Übereinstimmung untersuchen muß.“
(VfSlg 9336/1982 Pkt III. 2. Abs 1)
Der Verfassungsgerichtshof hat somit schon im Jahr 1982 klar gestellt, dass im Tiroler Flurverfassungsrecht der Terminus „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“) bis zum Eingriff des VfGH im Wege des Erk Slg 9336/1982 im Sinn von wahrem Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde.
Tiroler Gemeinderecht und Tiroler Flurverfassungsrecht
5) Der Tiroler Landesgesetzgeber hat am 26. April 1935 eine Neufassung der Gemeindeordnung beschlossen und am 06. Juni 1935 das Tiroler Flurverfassungs- Landesgesetz. Gegen die Neufassung der Gemeindeordnung hatte das Landwirtschaftsministerium Einwendungen erhoben, welche durch das Bundeskanzleramt an den Landeshauptmann in Tirol herangetragen wurden. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden: Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert, ausdrücklich auszunehmen.
Das BKA Verfassungsdienst:
„Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.“
(Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, Note an den Landeshauptmann in Tirol, „Abschrift der Abschrift“ (1. August 1935)
„In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“
[Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, An die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck.]
In Konsequenz dieser Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst. Geändert wurden die §§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935, 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935, 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935, 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935, 140 TGO 1935, 164 letzter Satz TGO 1935, Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36.
Die Tiroler Gemeindeordnung wurde angepasst
§ 79: „Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“
§ 114 Abs 3: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“
§ 117: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“
§ 120 Abs 2: „(1) Die Nutzungsrechte haften an der Liegenschaft und können im Allgemeinen nur mit dieser rechtsgültig übertragen werden. (2) Für die ausnahmsweise Übertragung von Nutzungsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“
„Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“
6) Die heutigen Ortsgemeinden wurden nach Wiedererrichtung der Republik Österreich im Jahr 1945 wieder hergestellt (Gesetz vom 10. Juli 1945 über die vorläufige Neuordnung des Gemeinderechts (vorläufiges Gemeindegesetz – VGemG), Staatsgesetzblatt 1945/66).
Gem Art 1. VGemG galt: Das Gesetz vom 5. März 1862, RGBl Nr 18 (Reichsgemeindegesetz), alle Gemeindeordnungen und Gemeindewahlordnungen sowie die sonstigen auf dem Gebiete der Gemeindeverfassung erlassenen Vorschriften (Gemeindestatute, Stadtrechte) werden in dem Umfange, in dem sie vor Einführung der dt Gemeindeordnung in den österreichischen Ländern in Kraft gestanden sind, nach Maßgabe der folgenden Artikel wieder in Wirksamkeit gesetzt. Art 2. (1) Von der Inkraftsetzung nach Art 1 sind diejenigen Bestimmungen ausgenommen, die mit den seit der Wiedererrichtung der Republik erlassenen verfassungsrechtlichen oder sonstigen Vorschriften in Widerspruch stehen. […].
Damit wurden 1945 jene Regelungen der Tiroler Gemeindeordnung 1935, mit welchen das Tiroler Gemeinderecht im Jahr 1935 der Bundesverfassung 1920 und dem gem Art 12 B-VG vom Bund in Kraft gesetzten Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst wurde, mit Stichtag 15.Juli 1945 (Stichtag des Inkrafttretens des VGemG 1945) wieder geltendes Recht in Tirol.
Was war ein „Gemeindegut“ in Tirol?
In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf zu verweisen, welche Liegenschaften die Tiroler Vollzugsbehörde für die agrarischen Operationen gem Art 12 B-VG, das Amt der Tiroler Landesregierung, als „Gemeindegut“ bzw Fraktionsgut“ beurteilt hat: Das aus der Tiroler Forstregulierung 1847 hervorgegangene Eigentum der Tiroler Stammliegenschaftsbesitzer, welches im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung rechtsirrig auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ einverleibt wurde.
Dezeniumsbericht 1949 bis 1958, III b1 vom 28. Juli 1959, „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde“:
„Die tiefere Wurzel der auf dem Gebiet der tirolischen bäuerlichen Nutzungsrechte an den Gemeinde- und Fraktionswäldern in Österreich einzigartigen kritischen und komplizierten Situation ist auf die falsche Auslegung der Waldzuweisung aus dem Jahre 1847 zurück zuführen. Die kaiserliche Waldzuweisung wollte eindeutig den Bäuerlichen alten Wirtschafts- und Realgemeinden die Waldungen zu besitz und Nutzung zuweisen und man hat trotz dieses klaren Gesetzeswillens durch die spätere Gemeindegesetzregelung in einer völlig falschen rechtlichen Beurteilung und Auslegung des Waldzuweisungspatentes diese Wirtschaftsgemeinden mit den erst nach der Waldzuweisung 1847 entstandenen politischen gemeinden und diesen politischen gemeinden grundbücherlich dann auch in den meisten Fällen das Eigentum am agrargemeinschaftlichen Gut einverleibt.“
Während der Bericht vom 28. Juli 1959 von „Waldzuweisung 1847“ spricht, hat die neueste Forschung freilich hervorgebracht, dass in den Jahren 1847 bis 1849 in ganz Nordtirol eine Forstservitutenablösung durchgeführt wurde, sohin die ganze Maßnahme ein entgeltliches Rechtsgeschäft war, im Zuge dessen ca 100.000 ha Staatsforste „holzbezugsfrei“ gestellt wurden. Wie jüngst Roman Sandgruber klargestellt hatte, ist die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ der Tiroler Forstservituten-Ablösung jedenfalls eine „Gemeinde der Nutzungsberechtigten“. Dies hat auch der Verfassungsgerichtshof bereits im Jahr 1982 am Beispiel der Servitutenablösung in Salzburg klar gestellt.
Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012):
„xxxiv Der Befund, den Kohl/Oberhofer, Gemeinschaftsgut und Einzeleigentum, 36, bezüglich der Forstservituten-Ablösungskommission geben, trifft sicher zu: „Für die Tiroler Forstregulierung von 1847 lässt sich schlüssig nachweisen, dass ortschafts- und gemeindeweise die Anzahl der berechtigten Liegenschaften erhoben wurde und dieser geschlossenen Anzahl von Berechtigten (der holzbezugsberechtigten Gemeinde als solcher) Gemeinschaftseigentum übertragen wurde. Damit ist klar, dass die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ der Tiroler Forstregulierung 1847 eine private war, eine „moralische Person“ gem §§ 26 f ABGB. Die Gemeinde der Tiroler Forstregulierung 1847 war keine öffentlich-rechtliche „Staatseinrichtung“, insbesondere keine Rechtsvorgängerin der politischen Ortsgemeinde. Das gemeinschaftliche Eigentum war die Gegenleistung für eine genau definierte Anzahl an Nutzungsrechten genau bestimmter Güter bzw. Feuerstätten.“ “.
Vgl VfGH Slg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung, wo ausdrücklich anerkannt wurde, dass ein Gut, das als Ablöseleistung aus einer Servitutenregulierung hervorgegangen ist, nur ein Gemeinschaftseigentum der abgelösten Nutzungsberechtigten als Gemeinschaft sein kann; diese Gemeinschaften wurden auch „Gemeinde“ genannt!
„Das Gemeindegut wird in beiden zu prüfenden Bestimmungen neben den … Grundstücken genannt, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten (statt den Servitutsberechtigten als Einzeleigentümer) einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Nutzung und gemeinsamen Besitz abgetreten worden sind.“ Es „ist daher die … Erscheinung, dass `die Gemeinde´ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, […] von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, […]“ – weshalb das Gemeindegut von den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften, die aus Servitutenablösung herstammen, streng zu trennen ist. Ausführlich dazu Pernthaler, Die Rechtsnatur der Agrargemeinschaften, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 258 ff;
Aus der Tiroler Forstregulierung 1847, insbesondere der Forst-Servitutenablösung 1847, ist sohin tatsächlich Eigentum der Stammliegenschaftsbesitzer hervorgegangen, wie der „Dezeniumsbericht der Agrarbehörde von 1959 klar stellt. Und die Tiroler Grundbuchanlegung hat tatsächlich systematisch Gemeinschaftseigentum falsch als Gemeindeeigentum erfasst. Auch dieser Umstand, bei dem die Agrarbehörde im Dezeniumsbericht vom 28.Juli 1959 für den Tiroler Begriff des Gemeindegutes in Tirol anknüpft, wird von der neuesten Forschung uneingeschränkt bestätigt.
Zuletzt: Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012): „Das Problem der unklaren Differenzierung zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsgütern gab es in nahezu allen Kronländern im späten 19. Jahrhundert, in Böhmen xliii (Karl Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsgerichtliche Studie, Prag 1879, zu den damaligen Verhältnissen in Böhmen) und Niederösterreich xliv (Bericht des NÖ Landesausschusses an den Niederösterreichischen Landtag vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode), in Kärnten, in Küstenland und Dalmatien, in der Bukowina, in Salzburg und Tirol. xlv (Kohl, Gemeinde- oder Gemeinschaftsgut, 3 ff). Auf dringendes Insistieren der Landtage insbesondere von Niederösterreich und Kärnten hat der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 auf diesen Missstand reagiert und mit dem Reichsrahmengesetz vom 7. Juni 1883, RGBl. Nr. 94, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der darauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte einen rechtlichen Rahmen für die reformatorische Gestaltung der Rechtsverhältnisse am Gemeinschaftseigentum in agrargemeinschaftlicher Nutzung geschaffen.“
Gemeindegut war in Tirol niemals ein Eigentum der Ortsgemeinden
7) Die Klarstellungen des Tiroler Gemeindegesetzgebers vom 10.7.1935 zu denjenigen Teilen des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bildeten (bzw bilden), können deshalb keinesfalls als materiell verfassungswidrig hingestellt werden: Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hat vielmehr die Klarstellung vollzogen, dass in Tirol tatsächlich seit jeher jene Teile des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bildeten, Eigentum einer Agrargemeinschaft waren, weil dieses Eigentum nur wegen falscher Grundbucheintragungen in die Gemeindekompetenz einbezogen wurde. Diese Feststellung ist im Übrigen eine reine Tatsachenfeststellung zu faktischen Verhältnissen in Tirol und dazu, wie der Tiroler Gemeindegesetzgeber am 10.Juli 1935 auf diese reagiert hat. Mit allgemeinen gemeinderechtlichen Überlegungen, die der Verfassungsgerichtshof im Erk 9336/1982 anstellte, hat das nichts zu tun. Das Gemeindegut im Allgemeinen, dh jenes welches keine Agrargemeinschaft im Sinn der Flurverfassung darstellte, war und blieb Eigentum der Ortsgemeinde. Diese Unterscheidung zu ziehen, war jedenfalls Kompetenz des Tiroler Gemeindegesetzgebers!
8) Der Tiroler Gemeindegesetzgeber des Jahres 1949 (TGO 1949 LG vom 31. März 1949, LGBl 1949/24) hat die hier maßgeblichen Regelungen der der TGO 1935 zusammengefasst und die Herausnahme derjenigen Teile des „Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft im Sinn der Flurverfassung bilden“ aus dem Gemeinderecht wie folgt gesetzestechnisch umgesetzt: „§ 82 TGO 1949. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ Dieser Gesetzesinhalt wurde bis zur heute geltenden Gemeindeordnung fortgeführt: TGO 1966 LGBl 1966/4: „§ 85 TGO 1966. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ TGO 2001 LGBl 2001/36: „§ 74 TGO 2001. Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“
ZUSAMMENFASSUNG
Die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes in den Erkenntnissen VfSlg 9336/1982 und 18.446/2008, wonach die Gemeindeordnungen – bekanntlich Landesrecht! – das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinden definiert hätten, ist grundfalsch. Dies jedenfalls für Tirol, weil das Tiroler Gemeinderecht wie es im Jahr 1982 gegolten hat, ausdrücklich anordnete, dass gerade nicht das Gemeinderecht maßgebliche Rechtsgrundlage für das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ sei, sondern ausschließlich das Flurverfassungsrecht!
Das Tiroler Flurverfassungsrecht bestimmt dazu, dass ein „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ein Gut mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen ist und dass erst nach rechtskräftiger Entscheidung der Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse geklärt ist, wem dieses wirklich gehört.
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MP