Category Archives: Gemeindegut

„Die Holzbezugs-
berechtigte Gemeinde“ 1847

Clemens Graf Brandis (* 4. Februar 1798 in Lana; † 26. Mai 1863 in Schleinitz) war ein österreichischer Jurist, Politiker und Historiker. Von 1841 bis 1848 war er Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol. Das Tiroler Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 wurde unter seiner Amtsführung erlassen. 

Clemens Graf Brandis wurde als Sohn des Johann Baptist Graf Brandis, Verordneter der steierischen Stände und Vizepräsident der Einlösungs- und Tilgungs-Deputation in Steiermark, geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaft und trat am 7. Februar 1824 als unbesoldeter Kreiskommissär in den Staatsdienst ein. 1836–1838 war er Kreishauptmann von Bozen. 1838 wurde er zum Hofrat bei der Vereinigten Hofkanzlei in Wien ernannt. Am 28. Januar 1841 übernahm er das Amt des Gouverneurs und Landeshauptmanns von Tirol. Im Revolutionsjahr 1848 widersetzte sich Brandis der Forderung der Fortschrittlichen nach Trennung des Amtes des Landeshauptmanns von dem des Gouverneurs. Am 30. April 1848 nahm Kaiser Ferdinand jedoch seinen Rücktritt als Landeshauptmann an und am 17. Juli 1848 musste er auch sein Amt als Gouverneur niederlegen. Kaiser Ferdinand I. holte ihn nach Wien und ernannte ihn zum Oberhofmeister. Clemens Graf Brandis war auch Mitglied des Herrenhauses. 

Clemens Graf Brandis war ein geistig hochbegabter, mit dem Verwaltungsdienst auf das engste vertrauter, großzügiger Beamter voll Initiative und Tatkraft, dabei von geistigen, literarischen und künstlerischen Interessen beseelt. Seine besondere Förderung galt dem Aufblühen und der Ausgestaltung des Landesmuseums Ferdinandeum, dessen oberster Vorstand er zeitlebens blieb. Für sein Interesse an der Erhaltung alter Denkmäler ist bezeichnend, dass er gegen den Innsbrucker Magistrat eingeschritten ist, als dieser die wertvollen Monumente aus dem alten Friedhof an Steinmetze verkaufte.  Als Landeshauptmann von Tirol förderte er ein umfangreiches Straßenbauprogramm der Stände. Er erreichte die Umwidmung des so genannten Approvisionierungsfonds, der zur Tilgung der Schulden aus den Napoleonischen Kriegen eingerichtet worden war. Nach deren Bezahlung der Kriegsschulden blieb dieser erhalten und wurde für den Straßenbau eingesetzt. Damit schuf Clemens Graf Brandis die Grundlagen für das moderne Fernverkehrsnetz in Tirol.  

Ein besonderes Augenmerk seiner Verwaltung legte Clemens Graf Brandis auf den Tiroler Waldbestand und dessen Erhaltung und Verbesserung. Er unterzog sich der Mühe, durch weite Fußreisen durch das Land sich einen persönlichen Eindruck von dem damals argen Zustand der Waldungen zu machen, um mit allem Nachdruck in Wien auf Abstellung der vorhandenen Übelstände bei den vorgesetzten Hofstellen zu drängen. In das Ende seiner Regierungszeit fiel die Tiroler Forstregulierung 1847, das große Reformprogramm, mit welchem die feudale Rechtsverhältnisse an den Tiroler Wäldern grundlegend umgestaltet und einer Privatisierung des Waldeigentums weichen mussten. Die seit Jahrhunderten in der Tiroler Landesordnung geregelten Nutzungsrechte der Hofbesitzer an „landesfürstlichen Wäldern“ wurden in freies Gemeinschaftseigentum der Nachbarschaften umgewandelt. Im Gegenzug entstanden Staatswälder, heute „Bundesforste“, die von den Nutzungsrechten der Hofbesitzer freigestellt waren. Die privaten Grundbesitzer als Nachbarschaften und die staatliche Forstverwaltung konnten sich aufgrund dieser Maßnahmen in größten Teils getrennten Waldstrecken der nachhaltigen Forstpflege und Forstnutzung widmen.
Clemens Graf Brandis (* 4. Februar 1798 in Lana; † 26. Mai 1863 in Schleinitz) war ein österreichischer Jurist, Politiker und Historiker. Von 1841 bis 1848 war er Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol. Das Tiroler Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 wurde unter seiner Amtsführung erlassen.

Clemens Graf Brandis wurde als Sohn des Johann Baptist Graf Brandis, Verordneter der steierischen Stände und Vizepräsident der Einlösungs- und Tilgungs-Deputation in Steiermark, geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaft und trat am 7. Februar 1824 als unbesoldeter Kreiskommissär in den Staatsdienst ein. 1836–1838 war er Kreishauptmann von Bozen. 1838 wurde er zum Hofrat bei der Vereinigten Hofkanzlei in Wien ernannt. Am 28. Januar 1841 übernahm er das Amt des Gouverneurs und Landeshauptmanns von Tirol. Im Revolutionsjahr 1848 widersetzte sich Brandis der Forderung der Fortschrittlichen nach Trennung des Amtes des Landeshauptmanns von dem des Gouverneurs. Am 30. April 1848 nahm Kaiser Ferdinand jedoch seinen Rücktritt als Landeshauptmann an und am 17. Juli 1848 musste er auch sein Amt als Gouverneur niederlegen. Kaiser Ferdinand I. holte ihn nach Wien und ernannte ihn zum Oberhofmeister. Clemens Graf Brandis war auch Mitglied des Herrenhauses. 

Clemens Graf Brandis war ein geistig hochbegabter, mit dem Verwaltungsdienst auf das engste vertrauter, großzügiger Beamter voll Initiative und Tatkraft, dabei von geistigen, literarischen und künstlerischen Interessen beseelt. Seine besondere Förderung galt dem Aufblühen und der Ausgestaltung des Landesmuseums Ferdinandeum, dessen oberster Vorstand er zeitlebens blieb. Für sein Interesse an der Erhaltung alter Denkmäler ist bezeichnend, dass er gegen den Innsbrucker Magistrat eingeschritten ist, als dieser die wertvollen Monumente aus dem alten Friedhof an Steinmetze verkaufte. Als Landeshauptmann von Tirol förderte er ein umfangreiches Straßenbauprogramm der Stände. Er erreichte die Umwidmung des so genannten Approvisionierungsfonds, der zur Tilgung der Schulden aus den Napoleonischen Kriegen eingerichtet worden war. Nach deren Bezahlung der Kriegsschulden blieb dieser erhalten und wurde für den Straßenbau eingesetzt. Damit schuf Clemens Graf Brandis die Grundlagen für das moderne Fernverkehrsnetz in Tirol. 

Ein besonderes Augenmerk seiner Verwaltung legte Clemens Graf Brandis auf den Tiroler Waldbestand und dessen Erhaltung und Verbesserung. Er unterzog sich der Mühe, durch weite Fußreisen durch das Land sich einen persönlichen Eindruck von dem damals argen Zustand der Waldungen zu machen, um mit allem Nachdruck in Wien auf Abstellung der vorhandenen Übelstände bei den vorgesetzten Hofstellen zu drängen. In das Ende seiner Regierungszeit fiel die Tiroler Forstregulierung 1847, das große Reformprogramm, mit welchem die feudale Rechtsverhältnisse an den Tiroler Wäldern grundlegend umgestaltet und einer Privatisierung des Waldeigentums weichen mussten. Die seit Jahrhunderten in der Tiroler Landesordnung geregelten Nutzungsrechte der Hofbesitzer an „landesfürstlichen Wäldern“ wurden in freies Gemeinschaftseigentum der Nachbarschaften umgewandelt. Im Gegenzug entstanden Staatswälder, heute „Bundesforste“, die von den Nutzungsrechten der Hofbesitzer freigestellt waren. Die privaten Grundbesitzer als Nachbarschaften und die staatliche Forstverwaltung konnten sich aufgrund dieser Maßnahmen in größten Teils getrennten Waldstrecken der nachhaltigen Forstpflege und Forstnutzung widmen. (Bild: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck)

 

-.-.-.-.-.-

In der Tiroler Forstregulierung 1847 tritt uns unter dem Etikett „Gemeinde“ die Gemeinschaft der (früher nur) Holzbezugsberechtigten gegenüber.

NUTZUNGSBERECHTIGTE ALS GEMEINSCHAFT

Die „Gemeinde“ der Tiroler Forstregulierung 1847 setzt sich aus den „Holzungsberechtigten“ zusammen; es handelt sich um eine „Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten“. Die ‚Ortsgemeinde’ nach modernem Verständnis wurde in Österreich erst 1849 begründet; die heutigen Ortsgemeinde gehen auf das Reichsgemeindegesetz 1862 und die Landesausführungsgesetze dazu zurück.

Im Forstregulierungspatent 1847 wird eine Gemeinde der Nutzungsberechtigten als Eigentümerin eingesetzt: Nutzungsberechtigte, die im Gegenzug für den Verlust ihrer bisherigen Holzservituten ein (gemeinschaftliches) moderneres Eigentumsrecht erhielten. Die Holznutzungsrechte im Staatsforst wurden abgelöst; die bisher nur Servitutsberechtigten erhielten ein Gemeinschaftseigentum an einer verkleinerten Waldfläche.

Den Stammliegenschaftsbesitzern standen Holz- und Streunutzungsrechte im Staatsforst zu; diese Rechte wurden dorfweise gemeinschaftlich abgelöst. Die Summe der individuellen, beschränkten Berechtigungen auf Holznutzung im Staatsforst wurde in Eigentum an einer verkleinerten nutzbaren Fläche umgewandelt.

Ausdrücklich sprechen archivalische Quellen von „Servitutenablösung“ bzw von Abfindung der bisher Servitutsberechtigten.

STEIGERUNG DES GEMEINWOHLES

So entstanden nutzungsfrei gestellte Staatsforste (heute: Bundesforste in Nordtirol) und Gemeinschaftswälder der Nachbarschaften, damals Nutzungsgemeinschaften und zugleich Eigentümergemeinschaften.

Die einzelnen Berechtigten behielten ihre Rechte, die sich nur mehr auf die verkleinerte Ablösefläche bezogen haben. Diese verkleinerte Ablösefläche stand im Gemeinschaftseigentum der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten. Die verbliebenen Staatsforste wurden dagegen von den Nutzungsrechten freigestellt.

Durch die nachhaltige Bewirtschaftung dieses gemeinschaftlichen Privateigentums erwartete man sich schon damals eine Steigerung der Hektarerträge. Auch im verbleibenden Staatsforst erwartete man sich verbesserte Erträge. Das unfruchtbare Zusammenwirken von privaten Nutzungen auf fremdem Grund und Boden (Staatsforst) wurde aufgehoben.

NUTZUNGSBERECHTIGTE ALS GEMEINDEGLIEDER

Die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten war als (Agrar-)Gemeinde Eigentümerin; die Nutzungsrechte existieren auf dem in der (Agrar-)Gemeinde organisierten Gemeinschaftseigentum. Diese Konstruktion schuf eine dem „geteilten Eigentum“ verwandte genossenschaftliche Struktur, wobei die auf Dauer eingerichtete „Gemeinde“ als Eigentümerin, die einzelnen Angehörigen als Nutzungsberechtigte und Anteilseigentümer in der Gemeinde erscheinen.

Es versteht sich von selbst, dass eine Eigentumsfläche, die Gegenleistung für den Verzicht auf Nutzungsrechte sein soll, nur denjenigen zustehen kann, die Verzicht geleistet haben. Im konkreten Fall bildeten die neue Gemeinschaft die jeweiligen „Stammliegenschaftsbesitzer“, die gemeinschaftlich Verzicht geleistet haben.

Die Bestimmungen über das Miteigentum (16. Hauptstück des ABGB) waren und sind für derartige Verhältnisse ungeeignet, sodass im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847 eben nicht gewöhnliches Miteigentum, sondern Eigentum einer „Gemeinde als solche“ geschaffen werden sollte.

VORTEILE DES ORGANISATIONSMODELLES

Diese Struktur wahrte das Interesse der Nachhaltigkeit. Bei einem modernen (romanistisch geprägten) Quotenmiteigentum wären durch die potentielle Kommerzialisierung der Anteile zahllose Probleme entstanden, etwa aufgrund des jedem Miteigentümer zustehenden Teilungsanspruchs (§ 830 ABGB) mit der (im Falle agrargemeinschaftlicher Verhältnisse für die übrigen Berechtigten existenzbedrohenden) Gefahr einer Zivilteilung (§ 843 ABGB).

Für eine (Agrar-) Gemeinde „als solche“ galten andere Rechtsfolgen als für das Miteigentum: Damit wurde einerseits die Verfügungsmöglichkeit der Einzelnen beschränkt, die in einer gesetzlichen Zwangskorporation zusammengeschlossen wurden; andererseits blieb eine Aufsicht der „Landesstelle als Kuratelsbehörde“ gewährleistet, weil solche Gemeinschaften unter dem besonderen Schutz der Gesetze standen.

„GEMEINDE“ UND FLURVERFASSUNG

Die historische Rechtstradition, wonach der Begriff „Gemeinde“ auch eine solche Gemeinschaft bezeichnen kann, die aus einer Servitutenablösung hervorgegangen ist, hat im modernen Flurverfassungsrecht ihren Niederschlag gefunden. In Fortführung dieser Tradition erfasst noch das heute geltende Flurverfassungsrecht die aus Servitutenablösung entstandenen Eigentumsgemeinschaften mit dem Begriff „Gemeinde“.

So führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30.6.2011 Zl 2010/07/0091 (Agrargemeinschaft Obergarten), Pkt 6.3.2 der Begründung, folgendes aus: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze.“

-.-.-.-.-.-

Im 19. Jahrhundert waren die Rechtsverhältnisse an den Tiroler Wäldern so unübersichtlich geworden, dass man sich zu einer Bereinigung entschloss. Die mit kaiserlicher Entschließung vom 6. Februar 1847 befohlene „Regulirung der Tiroler Forstangelegenheiten“ (Provinzialgesetzsammlung für Tirol und Vorarlberg für das Jahr 1847/XXXVI, 253ff; auch in: Landesregierungsarchiv für Tirol, Gub 1847, Forst 9357) ordnet sich in eine ganze Reihe von Gesetzgebungsakten des 19. Jahrhunderts ein, mit denen die überkommenen geteilten Berechtigungen beseitigt und durch moderne Eigentumsrechte ersetzt werden sollten, wie etwa Grundentlastung oder Lehensallodifikation.

Konkret sollten die Tiroler Wälder, abgesehen von individuell benannten Ausnahmen, von dem bisher behaupteten landesfürstlichen Hoheitsrecht befreit werden, im Gegenzug auch dessen Belastungen durch die „untergeordneten“ Berechtigungen enden.

In diesem Sinne wurden jene „Wälder Tirols, welche bisher [dem Monarchen] aus dem Hoheitsrechte vorbehalten waren, unter gleichzeitigem Erlöschen der auf denselben wider das Aerar bestandenen Holzbezugs- oder sonstigen Rechte, (…) den bisher zum Holzbezuge berechtigten oder mit Gnadenholzbezügen betheilten Gemeinden, als solchen, in das volle Eigenthum (…) überlassen“.

Daneben sollten auch „in den künftig vorbehaltenen Staatswäldern die Holzbezugsrechte oder Gnadenholzbezüge der Unterthanen (…) durch Ausscheidung und Ueberweisung einzelner Forsttheile in das volle Eigenthum, und zwar nicht der einzelnen Unterthanen, sondern der betreffenden Gemeinden, so weit es nur immer zulässig ist, abgelöst werden.“

 
SERVITUTENABLÖSUNG 1847

Schon den Zeitgenossen war bewusst, dass in Nordtirol eine Servitutenablösung durchgeführt wurde: Es sei demnach „angeordnet [worden], auch in den Regalitätsforsten die Servituten und Gnadenholzbezüge der Unterthanen (…) durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forsttheile in das volle Eigenthum der betreffenden berechtigten Gemeinden abzulösen.“ (Schopf, Forstverfassung 203f) Zu Recht wurde das Forstregulierungspatent (in der Folge: FRP 1847) daher auch noch später als ein „älterer Versuch zur Lösung der Servitutenfrage“ beurteilt (Schiff, Agrarpolitik 50ff), womit „zahlreiche wirkliche Privateigentumswaldungen“ (Falser, Wald und Weide 35) geschaffen worden waren.

Damit ist eine Kernfrage berührt, nämlich jene nach dem der Forstregulierung zugrundeliegenden Gemeindebegriff. Dieser Begriff ist nach den herkömmlichen juristischen Auslegungsregeln unter Berücksichtigung des sachlichen Zusammenhanges und des zeitgenössischen Verständnisses auszulegen.

So etwa war im öffentlichen Recht in der Mitte des 20. Jahrhunderts – und wohl auch noch heute – „nach dem Sprachgebrauch der österreichischen Gesetzgebung (…) unter dem Ausdruck Gemeinde grundsätzlich die politische Gemeinde zu verstehen“, womit der VwGH eine widerlegliche Vermutung für einen bestimmten Begriffsinhalt aufstellte (VwGH 11.11.1954 VwSlg 3560/A).

Für den Bereich des im Flurverfassungsrecht geregelten, agarischen Gemeinschaftseigentums ist diese Judikatur freilich überholt: Der Verfassungsgerichtshof hat bereits 1982 klar gestellt – und der Verwaltungsgerichtshof ist diesem darin gefolgt – dass eine Servitutenablösung „Gemeinden“ hervorbringe, die eine Organisation der Nutzungsberechtigten darstellen (VfSlg 9336/1982).  Der VwGH ist diesem Gesetzesverständnis für den Anwendungsbereich des Agrarrechts mit Erkenntnis vom 30.6.2011 ausdrücklich beigetreten: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. Gleiches gilt für die Fälle von Grundstücken gem § 15 Abs. 1 lit. b Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951. „Gemeinde“ bedeute in dieser Gesetzesbestimmung eine Gemeinschaftsorganisation der Nutzungsberechtigten. (VwGH 30.6.2011, Zl 2010/07/0091, 6.3.2)

 
GEMEINDE DER NUTZUNGSBERECHTIGTEN

Die Forstregulierung 1847 in Nordtirol wurde ohne staatliche Zwangsgewalt auf der Grundlage privatrechtlicher Verzichtsleistung vollzogen: Nutzungsverzicht im Staatsforst gegen ein gemeinschaftliches Privateigentum. Die Frage nach dem Gemeindebegriff der Tiroler Forstservitutenablösung 1847 ist deshalb in wesentlichen Aspekten privatrechtliche Frage, die für die Mitte des 19. Jahrhunderts zu beantworten ist. In diesem Sinne hatte der VwGH 1894 festgestellt, dass „der Ausdruck „Gemeinde“ [auch] als gleichbedeutend mit „Ortschaft“ aufzufassen“ sein könne (BUDWINSKI, Erkenntnisse des k.k. Verwaltungsgerichtshofes 1894, Nr. 8032). Der Gemeindebegriff war also unscharf und interpretationsbedürftig.

Die zentrale Quelle des Privatrechts bildete 1847 das ABGB. Auf das „allgemeine bürgerliche Recht“ verweist etwa auch Artikel 9 FRP. Die Frage nach dem Gemeindebegriff des ABGB ist schon seit vielen Jahren gründlich untersucht: „Unter dem Begriff ‚Gemeinde’ versteht das ABGB keineswegs die Ortsgemeinde oder ein ähnliches territoriales Gebilde“, sondern es „gilt (…) als ‚Gemeinde’ eine Moralische Person, die als ‚Gemeinschaft’, ‚Körper’ aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482), ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht, durch ‚Stellvertreter’ handelt (§ 867), über ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. über ‚Gemeindegüter’ verfügen kann (§ 290) und von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189) geleitet wird.“ (Wilhelm Brauneder, Von der moralischen Person des ABGB zur Juristischen Person der Privatrechtswissenschaft, in: Wilhelm Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts, 1994, 159–200)

 
„GEMEINDE“ WAR JEDE ORGANISIERTE PERSONENMEHRHEIT

Dies kann durch zahllose zeitgenössische Quellen belegt werden; schon die Register zum ABGB oder zur Politischen Gesetzessammlung zeigen die Vielfalt verschiedener „Gemeinden“. Zitiert sei hier bloß, stellvertretend für dieses Verständnis, der wichtigste Redaktor und erste Kommentator des ABGB, Franz von Zeiller. Er erläuterte zu § 27 ABGB: „Die unter öffentlicher Authorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die (!) der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besondern Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte. Die Vorsicht fordert demnach, daß diejenigen, welche mit Gemeinheiten (!) Rechtsgeschäfte eingehen, sich zuvor genaue Kenntniß erwerben, ob und inwieweit dieselben oder ihre Vorsteher in der Verwaltung des Vermögens eingeschränkt oder begünstiget seyn.“ (Franz Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, Wien-Triest 1812, 132f)

Zeiller kennt also eine Vielzahl verschiedener Gemeinden, für die er bloß Beispiele anführt („wie die“) und die er synonym auch als „Gemeinheiten“ bezeichnet. In diesem Sinne verweist auch das Register von Zeillers Kommentar unter „Gemeinden“ auf „Gesellschaft“ und umgekehrt von „Gesellschaft“ auch auf „Gemeinden“ und „Gemeinschaft“; ebenso synonym erschienen die Begriffe „Gemeinde“ und „Gesellschaft“ bei Joseph Linden, Das früher in Österreich übliche gemeine und einheimische Recht nach der Paragraphenfolge des neuen bürgerlichen Gesetzbuches I (Wien und Triest 1815) 101.

Gerade diese mögliche Vielfalt machte es erforderlich, im Rahmen des FRP die zweifellos recht sperrige Formulierung von den „bisher zum Holzbezuge berechtigten, oder mit Gnadenholz betheilten Gemeinden“ mehrfach zu wiederholen bzw abzuwandeln („holzbezugsberechtigte Gemeinden“ (ProvGSTirVbg 1847 / XXXVI, Art 9) und zu betonen, dass das Eigentum „den bisher zum Holzbezuge berechtigten oder mit Gnadenholzbezügen betheilten Gemeinden, als solchen“ (!) überlassen werden sollte (ProvGSTirVbg 1847 / XXXVI, Art 6). Im Zuge der Forstregulierung tritt uns unter dem Etikett „Gemeinde“ also die Gemeinschaft der (früher nur) Holzbezugsberechtigten gegenüber. Rechtsansprüche „anderer Gemeinden“ waren gegen die neuen Eigentümer geltend zu machen.

 
POLITISCHE GEMEINDE AUSGESCHALTET

Man mag in diesem Zusammenhang, unter anderem gestützt auf eine unfundierte Behauptung Stephan Falsers (Stephan Falser, Wald und Weide im tirolischen Grundbuch, Innsbruck 1932, 20, an jene Gemeinden denken, die mittels kaiserlicher Entschließung vom 14. August 1819 zur „Regulierung des Gemeindewesens in Tirol und Vorarlberg“ geregelt wurden.

Mit diesen gab es tatsächlich auch Gemeinden mit öffentlich-rechtlichen Funktionen (zB §§12 bis 14) und eigens bestimmten Funktionären; die genannte Norm sah einen „Gemeindevorsteher“, zwei „Gemeindeausschüsse“, einen „Gemeindecassier“ und einen eigenen „Steuereintreiber“ vor (§§ 5f).

Allerdings wurden gerade diese Organe nicht mit Aufgaben betraut: Der von den Wiener Zentralstellen für die Forstservitutenablösung entworfene „Verhandlungsmodus“ (AVA Wien, Hofkanzlei 20968/1847) macht dies deutlich: Für diese Ablösungsverfahren hatten die „Gemeinden“ nämlich Vertreter zu wählen, die als Bevollmächtigte aufzutreten und die Ansprüche der Berechtigten anzumelden hatten; es handelte sich dabei eben um „Stellvertreter“ im Sinne des § 867 ABGB. Man griff also nicht auf gesetzlich bereits konstituierte Organe, nämlich die Funktionäre der 1819 „regulierten“ Gemeinden als solche, zurück.

Dies wäre wohl geschehen, hätte man diese mit öffentlich-rechtlichen Funktionen ausgestattete Gemeinde auch zur Eigentümerin aufgrund des FRP machen wollen; statt dessen sah man eigens eine besondere Wahl von „Vertretern“ – übrigens in einer von der Zahl der Funktionäre der 1819 regulierten Gemeinden sogar abweichenden Anzahl – vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung solch spezieller Wahlvorgänge nicht in eine Zeit besonders hochentwickelter basisdemokratischer Tendenzen fiel, sondern in die Blütezeit des vormärzlich-antidemokratischen Systems.

„Vertreter“ mußten demnach einfach deshalb gewählt werden, weil die (erst durch das FRP konstituierten) „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ solche noch nicht hatten. Die Bevollmächtigung wurde von den Unterzeichnern vielfach mit einer typisch privatrechtlichen Formulierung „für sich und ihre Erben“ erteilt; auch sollten die Bevollmächtigten „alles vor[…]kehren, damit sie [dh die Unterzeichner und ihre Erben] in dem Besitze ihrer Güter verbleiben können“. Dazu wurden die „Gewählten (…) ermächtigt, alles das anzubringen, was ihnen von der Gemeinde oder von den Einzelnen aufgetragen wird“; sie sollten nach ihrem „besten Wissen und Gewissen im Interesse der Gemeinde“ tätig werden – damit war, wenngleich indirekt, die aus der Summe individueller Berechtigungen konstruierte, überzeitliche Gemeinde definiert.

Diesen privatrechtlich-korporativen Charakter der FRP-Gemeinde zeigen auch die Bestimmungen über die „Ausübung der Weide (…) in den vorbehaltenen Staatswaldungen“ gemäß Punkt „Drittens“ der (formularhaften) Vergleichsprotokolle. Diese sollte in der Regel „nach der bisherigen Übung“ gestattet werden, und zwar „mit der Beschränkung auf jenen Viehstand, welchen die Gemeinde auf ihren eigenen Gütern zu überwintern vermag“. Gelegentlich wurde diese Standardformulierung durch Bezugnahme auf die bis dahin „versteuerten Grasrechte“ ersetzt; dies resultierte möglicherweise daraus, dass die erteilte Vollmacht hinsichtlich der Viehauftriebsrechte den Verhandlungsspielraum der Bevollmächtigten durch die „ausdrückliche Bestimmung“ einschränkte, „dass so viel Austriebsrecht erhalten werde, als Vieh auf den Gütern der Gemeinde überwintert werden kann“. Wie auch immer: Einen derart zu überwinternden eigenen Viehstand als Ausdruck eines eigenen Wirtschaftsbetriebes hatte eine „Gemeinde“ als solche in der Regel nicht – „Gemeinde“ ist hier eben die Summe der Berechtigten.

Die Bezugnahme auf die der gesamten Aktion ab 1847 letztlich zugrundeliegenden individuellen Rechtspositionen wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn „mit den (…) gewählten Bevollmächtigten eine Ausgleichung nicht zu Stande käme“: Diesfalls sollte „die individuelle Berufung der Servitutsberechtigten, oder mit Gnadenholzbezügen betheilten Gemeindeglieder vorbehalten“ bleiben „und dann über die Annahme der von der Kommission vorgeschlagenen Abfindung die Stimmen der Mehrheit der als servitutsberechtigt oder bisher mit Gnadenbezügen betheilt anerkannten Gemeinde Glieder für die ganze Gemeinde bindend erscheinen, die formellen Vergleichsabschlüße aber in diesem Falle, wo dieselben nicht mit den Bevollmächtigten, sondern unmittelbar mit der Mehrzahl der Gemeindeglieder zu Stande kommen, von eben dieser Mehrzahl gefertigt werden“.

 
DIE HEUTIGEN ORTSGEMEINDEN

Die Annahme, 1847 habe „die politische Gemeinde“ längst existiert, nämlich in Gestalt der 1819 regulierten Gemeinde, würde schon nach den oben getroffenen Feststellungen für die Frage der Eigentumszuweisung an die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ als moralische Person im Sinne des ABGB ohne Bedeutung sein.

Um aber jeden Zweifel an der Person des Eigentümers auszuschließen, ist auch noch darauf hinzuweisen, dass nach der einhelligen und bislang unangefochtenen Verfassungsgeschichtslehre „die politischen Gemeinden“ erst durch das Provisorische Gemeindegesetz 1849 entstanden sind.

(Dazu: Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (Wien 2005) 130, bezeichnet die „Gemeinden als einheitliche Lokalgewalten“ für das Land als „etwas völlig Neues“; mit „der Errichtung der Gemeinden im heutigen Österreich wird 1850 (…) begonnen“. Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (Linz 2007) 196f; Ernst C. Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte2 (Wien-New York 1974) 367f; Werner Ogris, Die Entwicklung des österreichischen Gemeinderechts im 19. Jahrhundert, in: Wilhelm Rausch (Hrsg), Die Städte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert (Linz 1983) 83–101; Rudolf Hoke, Gemeinde, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I (Berlin 1971) 1494–1496; vgl auch Hans Neuhofer, Gemeinderecht2 (Wien-New York 1998) 3f. Selbst nach Walter Schiff „schuf [der Gesetzgeber von 1849] die moderne polit. Ortsgemeinde“: Walter Schiff, Agrarische Gemeinschaften, in: Ernst Mischler / Josef Ulbrich (Hrsg), Österreichisches Staatswörterbuch I2 (Wien 1905) 73–84, hier 75)

„Die ‚Ortsgemeinde’ nach modernem Verständnis wurde in Österreich erst 1849 begründet; die heutigen Ortsgemeinde gehen auf das Reichsgemeindegesetz 1862 und die Ausführungsgesetze der Länder dazu, zurück.

Vorher gab es nicht eine ‚Politische Gemeinde’ (…), sondern mehrere wie etwa die Katastralgemeinde, die Steuergemeinde, denen es aber an Selbstverwaltung ermangelte! Vor allem aus diesem Grund kann die ‚Gemeinde’ des ABGB mit der Gemeinde im heutigen Sprachgebrauch nicht gleichgestellt werden.“

(Brauneder, Von der moralischen Person 165, FN 21; vgl Lehner, Verfassungsgeschichte 196, FN 54: „Die Ortsgemeinden waren nicht identisch mit den für die Einhebung der Grundsteuer bestehenden Katastralgemeinden.“ – 1917 stellte man im Ministerium des Innern aus Anlaß eines konkreten Falles historische Nachforschungen über die „Gemeindeverhältnisse (…) in Tirol an und kam zum Ergebnis, „für die früheren Zeiten [könne] nur auf Grund spezieller Untersuchung jedes einzelnen Falles ein Urteil über das Verhältnis zweier Gemeinden gefällt werden. Steuergemeinde, Wirtschafts- und politische Gemeinde fallen in jener Zeit nicht immer zusammen, sondern stehen zu einander in verschiedenartig abgestuftem Verhältnisse“: AVA Wien, MdI, 14181/1917)

Die ab 1849 konstituierten Ortsgemeinden traten an die Stelle der in Tirol seit 1819 regulierten und mit einzelnen öffentlichen Aufgaben betrauten „Gemeinden“, diese bestanden also nicht weiter. Dementsprechend lösten neue Organe die vom Gemeinderegulierungspatent 1819 vorgesehenen Funktionäre ab und die Ortsgemeinden von 1849 übernahmen auch das allenfalls vorhandene Vermögen der 1819 regulierten Gemeinden. Dieser Vermögensübergang betrifft allerdings nicht jedes einer „Gemeinde“ gehörige Vermögen, wie schon am Fortbestand des Vermögens von Pfarrgemeinden deutlich wird.

-.-.-.-.-.-

Aus: Gerald Kohl,
Überlegungen zur „Gemeinde“ der Tiroler Forstregulierung,
in: Grundlagen der Österreichischen Rechtskultur.
Festschrift für Werner Orgis zum 75. Geburtstag (2010).

..

PM

„Gemeinde Hötting“ als Sammelname für Weideberechtigte

 

Franz Fischer (*01.11.1887 in Innsbruck; † 14.04.1943 ebendort) war Bürgermeister von Innsbruck von 1929 bis 12. März 1938 und Tiroler Landtagsabgeordneter von 1921 bis 1934. Bereits in seiner Amtszeit als Innsbrucker Bürgermeister hat die Stadtgemeinde Innsbruck anerkannt, dass die Weiderechte in den Höttinger Wäldern nicht den Gemeinden Innsbruck und Hötting zustehen, weil die Gemeinden in der Serv. Reg. Urkunde vom 1. März 1890 Nr 28412/920 Serv. nur als Sammelnamen der Viehbesitzer genannt sind. Franz Fischer stammt aus einer Innsbrucker Kaufmannfamilie. Nach dem Besuch von Gymnasien in Innsbruck, Rovereto und Feldkirch trat er in die väterliche Firma ein. Nach dem Kriegsdienst übernahm Fischer mit seinem Bruder die väterliche Firma. Als Christlichsozialer wurde er 1919 in den Gemeinderat gewählt; von 1923 bis 1929 war er Vizebürgermeister, von 1929 bis 1938 Bürgermeister von Innsbruck. Von 1921 bis 1934 war er Mitglied des Tiroler Landtages, er war Präsident der Tiroler Wasserkraftwerke AG und im Vorstand der Sparkasse Innsbruck engagiert. Im Ständestaat wurde Fischer als Vertreter der Selbständigen im Handel zum Mitglied des Bundeswirtschaftsrates gewählt (von 1934 bis 1938). Am 12. März 1938, mit Beginn der NS-Herrschaft, wurde Fischer aus allen Ämtern entfernt und ohne Pensionsansprüche entlassen; sein Nachfolger als „Oberbürgermeister“ von Innsbruck wurde der NSDAP-Politiker Egon Denz. 1940 wurde Fischer mit „Gauverbot“ belegt; er musste nach Salzburg übersiedeln, wo er im April 1943 verstarb.
Franz Fischer (*01.11.1887 in Innsbruck; † 14.04.1943 ebendort) war Bürgermeister von Innsbruck von 1929 bis 12. März 1938 und Tiroler Landtagsabgeordneter von 1921 bis 1934. Bereits in seiner Amtszeit als Innsbrucker Bürgermeister hat die Stadtgemeinde Innsbruck anerkannt, dass die Weiderechte in den Höttinger Wäldern nicht den Gemeinden Innsbruck und Hötting zustehen, weil die Gemeinden in der Serv. Reg. Urkunde vom 1. März 1890 Nr 28412/920 Serv. nur als Sammelnamen der Viehbesitzer genannt sind.
Franz Fischer stammt aus einer Innsbrucker Kaufmannfamilie. Nach dem Besuch von Gymnasien in Innsbruck, Rovereto und Feldkirch trat er in die väterliche Firma ein. Nach dem Kriegsdienst übernahm Fischer mit seinem Bruder die väterliche Firma. Als Christlichsozialer wurde er 1919 in den Gemeinderat gewählt; von 1923 bis 1929 war er Vizebürgermeister, von 1929 bis 1938 Bürgermeister von Innsbruck. Von 1921 bis 1934 war er Mitglied des Tiroler Landtages, er war Präsident der Tiroler Wasserkraftwerke AG und im Vorstand der Sparkasse Innsbruck engagiert. Im Ständestaat wurde Fischer als Vertreter der Selbständigen im Handel zum Mitglied des Bundeswirtschaftsrates gewählt (von 1934 bis 1938). Am 12. März 1938, mit Beginn der NS-Herrschaft, wurde Fischer aus allen Ämtern entfernt und ohne Pensionsansprüche entlassen; sein Nachfolger als „Oberbürgermeister“ von Innsbruck wurde der NSDAP-Politiker Egon Denz. 1940 wurde Fischer mit „Gauverbot“ belegt; er musste nach Salzburg übersiedeln, wo er im April 1943 verstarb.

.
DIE WEIDEBERECHTIGTEN ALS “GEMEINDE HÖTTING”

In den 1880er Jahren wurde in der damaligen politischen Gemeinde Höttig ein bedeutendes Servitutenregulierungsverfahren durchgeführt. Unter anderem wurde in mehreren Entscheidungen geklärt, wie viele Stück Kühe, Jungvieh, Pferde, Schafe und Ziegen in den Höttinger Wäldern zu welchen Zeiten geweidet werden dürfen.

Am 1. März 1890 entschied die k.k. Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungs-Landes-Commission in Betreff des Weiderechts in den Höttinger Privatwäldern. Das Erkenntnis der k.k. Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungs-Landes-Commission stellte als servitutsbelastetes Weidegebiet eine Fläche von ca 845,92 ha an Privatwäldern fest, die im Besitz der verschiedensten Personen standen.

Als servitutsberechtigt wurden festgestellt:
a) die „Gemeinde Hötting als solche grenzend gegen Norden an die Gemeinden Scharnitz und Arzl, gegen Osten an die Gemeinden Arzl, Mühlau und Innsbruck, gegen Süden an die Gemeinden Innsbruck, Wilten und Völs und gegen Westen an die Gemeinde Zirl“,
b) „die Stadtgemeinde Innsbruck, jedoch nur rücksichtlich des am linken Innufer gelegen Stadtteiles“.

Zu „Beschaffenheit und Umfang des Servitutsrechts“ führt das Erkenntnis folgendes aus:
Aufgrund alten Herkommens und unbeanstandeter Übung wird seitens der Gemeinde Hötting bzw deren Viehbesitzern und seitens der Stadtgemeinde Innsbruck bzw der Viehbesitzer in dem Stadtteil am linksseitigen Innufer das Weiderecht beansprucht bzw ausgeübt und zwar mit 300 Stück Rindvieh, 350 Schafen, 120 Ziegen und ca 40 Zicklein.

Das Erkenntnis legt weiters den Umfang des Weiderechts fest, die Weidezeiten sowie nähere Modalitäten der Weideausübung. Die Geschäftszahl dieses Erkenntnisses lautet 28412/920-Serv, verfacht sub Fol 111 III. Teil im Verfachbuch des Gerichts Innsbruck.

.
EINE SERVITUTSBERECHTIGTE „GEMEINDE“

Die Tatsache, dass in der Servitutenregulierungsurkunde vom 1. März 1890 (28412/920 – Servitut) als berechtigte Partei zwei „Gemeinden“ festgestellt wurden, nämlich a) die „Gemeinde Hötting“ und b) die „Stadtgemeinde Innsbruck jedoch nur rücksichtlich des am linken Innufer gelegen Stadtteiles“ hat über Jahrzehnte kein weiteres Interesse hervorgerufen.
Erst in den 1920er Jahren, als die Weiderechte teilweise einer Erweiterung der Wohngebiete weichen und in Geld abgelöst werden sollten, entstand ein konkretes Interesse daran, wer denn die „servitutsberechtigten Gemeinden“ in Wahrheit wären und wer für diese Entscheidungskompetenz hätte.

.
WER IST DIE “BERECHTIGTE GEMEINDE”?

Im Jahr 1924 beschloss der Gemeinderat von Hötting (die Eingemeindung nach Innsbruck folgte 1938), dass die Agrarbehörde im Bereich Ölberg und auf dem Hungerburgplateau eine Servituten-Ablösung durchführen solle. 1931 wurden deshalb die Viehbesitzer von Hötting und am linken Innufer von Innsbruck erhoben; 1935 haben die Viehbesitzer gemeinsame Bevollmächtigte gewählt, genauso die belasteten Grundbesitzer. In drei Verhandlungen zwischen dem 02. April und dem 25. Mai 1936 wurde ein Konsens erzielt. Es wurde festgelegt, dass diese Weiderecht in Geld und nicht in Grund und Boden abgelöst werden und wie hoch die Geldbeträge sein sollten.

Zuvor war zwischen den Viehbesitzern und den Gemeinden, nämlich Stadtgemeinde Innsbruck und (Land-)Gemeinde Hötting, zu klären, wer im Rechtssinn servitutsberechtigt sei. Dazu definierte die Servituten-Regulierungs-Urkunde (SRU) vom 1. März 1890 Nr 28412/920-Serv, das oben genannte Erkenntnis der k.k. Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungs-Landes-Commission, berechtigte „Gemeinden“ in bestimmter flächenmäßiger Ausdehnung, nämlich
a) Hötting vollständig und
b) Innsbruck linksseitig des Inns.

Die SRU (Servituten-Regulierungs-Urkunde) definierte aber auch eine inhaltliche Rechtsgrundlage des Servitutsrechts:
Das Weiderecht würde aufgrund alten Herkommens und unbeanstandeter Übung seitens der Gemeinde Hötting bzw deren Viehbesitzern und seitens der Stadtgemeinde Innsbruck bzw seitens der Viehbesitzer in dem Stadtteil am linksseitigen Innufer ausgeübt.

Weil zu berücksichtigen ist, dass Weiderechte durch Jahrhunderte lange Weideausübung entstanden sind, ist die „berechtigte Gemeinde“ schnell definiert: Nur die Gemeinschaft der viehhaltenden Hofbesitzer kann die berechtigte Gemeinde bilden, weil nur ein Viehbesitzer ein Weiderecht ausüben kann.

Die SRU vom 1. März 1890 Nr 28412/920-Serv verwendete somit den Begriff „Gemeinde“ im Sinn von „Gemeinde der Nutzungsberechtigten“.

.
ANERKENNTNIS VOM 16. APRIL 1936

Am Donnerstag, den 16. April 1936 wurde im Gemeindeamt Hötting vor dem Regierungs-Kommissär Dr. Oswald Vogl, Rechtsabteilung für Bodenreform der Landeshauptmannschaft, im Beisein des Amtssachverständigen Alpinspektor Emanuel Rieger, in die Verhandlung darüber eingetreten, wer die Servitusberechtigten seien.
Die Vertreter der Viehbesitzer erklärten, dass nur die Viehbesitzer in der Gemeinde Hötting und am linken Innufer von Innsbruck als Berechtigte anzusehen seien und gerade nicht die (politische) Gemeinde Hötting und die Stadt Innsbruck als solche.

Dieser Auffassung schlossen sich der Vertreter der Stadtgemeinde Innsbruck, Dr. Fringer, und der Amtsverwalter der Gemeinde Hötting, Josef Holzmann, an. Sie erklären, dass sie weder für die Landgemeinde Hötting, noch für die Stadtgemeinde Innsbruck das Weiderecht in Anspruch nehmen würden. Dies deshalb, weil die Gemeinden Hötting und die Stadtgemeinde Innsbruck in der Servituten-Regulierungs-Urkunde vom 1. März 1890 Nr 28412/920-Serv nur als Sammelnamen der Viehbesitzer genannt seien.

.
„GEMEINDE“ ALS SAMMELNAME DER VIEHBESITZER

In der Folge haben alle anwesenden Parteienvertreter, einschließlich der Vertreter der belasteten Liegenschaftseigentümer, vereinbart, dass nur die viehhaltenden Hofbesitzer in Hötting und linksseitig des Inns, damals insgesamt 148 Stammsitzeigentümer, weideberechtigt gemäß SRU vom 1. März 1890 seien.

Damals war Franz Fischer Bürgermeister von Innsbruck. Obwohl dieser aus einer Innsbrucker Kaufmannsfamilie stammte, ist er offensichtlich nicht auf die Idee verfallen, wegen eines geänderten Verständnisses von Gemeindebegriff

1960er: NEUE DIFFERENZEN ZUM GEMEINDEBEGRIFF

Weiterer Bedarf nach Servitutsfreistellung gab neuen Anlass für ein Einschreiten der Agrarbehörde.
1954 wurden die Eigentümer der weidedienstbaren Grundstücke seitens der Agrarbehörde neu organisiert; ebenso die weideberechtigten Viehbesitzer – letztere als „Weideinteressentschaft Hötting“.

In den 1960er Jahren entstanden Differenzen zwischen der Stadtgemeinde Innsbruck und der Weideinteressentschaft Hötting, die Ende April 1967 ausgeräumt wurden. Ausdrücklich bestätigte die Stadtgemeinde Innsbruck im Zuge dieser Einigung die Vertretung der Weideberechtigten durch die Weideinteressentschaft Hötting. Und die Stadtgemeinde Innsbruck hat anerkannt, dass nur die Weideinteressentschaft Hötting bei Servitutsaufhebungen die Weideablösebeträge kassieren dürfe.

.
1967: “GEMEINDE” BEDEUTET 89 BAUERNHÖFE

Mit Bescheid vom 5. Mai 1967 hat die Agrarbehörde im Sinn dieses Konsenses festgestellt, dass die in der SRU vom 1. März 1890 Zl 28412/920-Serv definierten Weiderechte in den Höttinger Wäldern 89 genau bezeichneten Gütern zustehen, die als “Weideinteressentschaft Hötting” organisiert seien.
Der Bescheid ist auch gegenüber der Stadtgemeinde Innsbruck in Rechtskraft erwachsen. Mit Erklärung vom 10.01.1990 gegenüber der Agrarbehörde hat die Stadtgemeinde Innsbruck ausdrücklich noch einmal den Konsens vom April 1967 bestätigt.

Im Dezember 1993 wurde schließlich ein Vertrag zwischen der Stadtgemeinde Innsbruck und der Weideinteressentschaft Hötting errichtet; dies zur einvernehmlichen Beilegung von Differenzen, die im Zuge der Regulierung der Agrargemeinschaft Hötting aufgetreten waren. Wörtlich wurde darin folgendes vereinbart:

„Soweit nicht durch diesen Vergleichsvertrag die Höttinger Bauernschaft Eigentum erwirbt […], anerkennt die Stadtgemeinde Innsbruck die bereits seit langem ausgeübten Weiderechte und zwar a) für Schafe […]. Hinsichtlich der Weidemodalitäten gelten die Bestimmungen in der Servitutenregulierungsurkunde vom 1. März 1890 Nr 28412/920-Serv, das ist das Weiderecht für 350 Stück Schafe […]. b) für Rindvieh […].“

.
“GEMEINDE” = “SERVITUTSBERECHTIGTE GÜTER”

Seit dem Jahr 1936 ist somit seitens der größten Tiroler Gemeinde, der Stadtgemeinde Innsbruck, anerkannt, dass in einer Servitutenregulierungsurkunde vom Ende des 19. Jahrhundert der Begriff „Gemeinde“ bzw „Stadtgemeinde“ als Sammelname für nutzungsberechtigte Hofbesitzer verwendet wurde.

Naheliegend ist, dass es sich dabei nicht um den einzigen Fall handelt, wo die k.k. Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungs-Landes-Commission eine solche Terminologie verwendet hat.

-.-.-.-.-.-

MP

„Gemeinde“ im ABGB von 1811

Franz Anton Felix Edler von Zeiller (* 14. Jänner 1751 in Graz; † 23. August 1828 in Wien) war ein österreichischer Jurist und von 1803 bis 1807 Rektor der Universität Wien. 1802 war er Hofrat bei der Obersten Justizstelle. Franz von Zeiller gilt neben seinem Lehrer Karl Anton von Martini (1726–1800) als der bedeutendste Vertreter des Vernunftrechts in der Habsburgermonarchie. Beide verbanden das Ius Romano-Germanicum mit dem Naturrecht. Beide haben das Vernunftrecht in den Dienst der Privatrechtskodifikation gestellt und es so der Praxis nutzbar gemacht. Franz von Zeiller gilt als der Schöpfer des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) von 1811 und der juridisch-politischen Studienordnung von 1810, zudem war er der Referent des 1. Teils des Strafgesetzbuchs von 1803.  Franz von Zeiller war der Sohn einer Grazer Handelsfamilie. Schon 1768 schloss er im Alter von 17 Jahren eine Ausbildung als Doctor phil. ab. Danach beschloss er Rechtswissenschaften an der Universität Wien zu studieren. Dort lernte er seinen Lehrer Karl Anton von Martini (* 1726; † 1800) kennen, der neben Zeiller zu den bedeutendsten Vertretern des Vernunftrechts in der Habsburgermonarchie zählt. Er selbst arbeitete eine Zeit lang auch als Hauslehrer des Sohnes von Martini. 1778 schloss er als Doctor juris sein Studium der Rechtswissenschaften ab und wurde 1782 als Nachfolger Martinis ordentlicher Professor für Naturrecht und Kriminalistik an der juridischen Fakultät in Wien.  Zwischenzeitlich arbeitete er auch als Hauslehrer des Erzherzogs Joseph und unterrichtete in der Folge auch die Erzherzöge Anton, Johann, Rainer, Ludwig und Rudolf. 1794 wurde er ordentlicher Referent am niederösterreichischen Appellationsgericht und ab dem 24. Februar 1797 war er als Beisitzer der Hofcommission in Justizsachen tätig. Noch im selben Jahr wurde der Jurist in den Adelsstand erhoben. 1802 wurde er von seiner Lehrtätigkeit an der Universität freigestellt und beteiligte sich an der Ausarbeitung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), das 1811 in Kraft trat. 1803 bis 1804 und erneut 1807 bis 1808 war Zeiller Rektor der Universität Wien. 1806 bis 1809 war er der Herausgeber der ersten juridischen deutschen Fachzeitschrift Österreichs.  Wegen gesundheitlicher Probleme wurde er am 07. September 1816 vom Referat an der obersten Justizstelle enthoben, seine weitere Verwendung bei der obersten Gesetzgebungs-Hofcomission wurde jedoch vorbehalten und so geht die Ausarbeitung eines vollständigen Entwurfes zu einer neuen Ausgabe des Criminalgesetzbuches auf ihn zurück. Weiters erwirkte Von Zeiller mit einem Gesuch beim Kaiser die Einrichtung der Juridischen Fakultät an der Grazer Universität. Am 23. August des Jahres 1828 soll Franz von Zeiller mitten in der Arbeit einen Schlaganfall erlitten haben und so im Alter von 77 Jahren gestorben sein. Er wurde in einem Ehrengrab auf dem Hietzinger Friedhof beigesetzt. Am 18. Juli 1894 wurde im 16. und 17. Bezirk in Wien die Zeillergasse nach ihm benannt.[6] 1891 wurde das von Emanuel Pendl geschaffene Denkmal Franz Anton von Zeiller im Arkadenhof der Universität Wien enthüllt.  Franz von Zeiller erlangte vor allem aufgrund des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für Österreich und die Deutschen Erblande (ABGB) Bekanntheit. Dies kann gleichzeitig als sein Lebenswerk gesehen werden. Darüber hinaus gilt er auch als der Verfasser des ersten Teiles des Strafgesetzbuches von 1803 sowie als der Schöpfer der juridisch-politischen Studienordnung aus dem Jahr 1810. Aufgrund seiner Leistungen auf diesen Gebieten wird er als einer der bedeutendsten österreichischen Rechtsgelehrten angesehen.
Franz Anton Felix Edler von Zeiller (* 14. Jänner 1751 in Graz; † 23. August 1828 in Wien) war ein österreichischer Jurist und von 1803 bis 1807 Rektor der Universität Wien. 1802 war er Hofrat bei der Obersten Justizstelle. Franz von Zeiller gilt neben seinem Lehrer Karl Anton von Martini (1726–1800) als der bedeutendste Vertreter des Vernunftrechts in der Habsburgermonarchie. Franz von Zeiller gilt als der Schöpfer des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) von 1811 und der juridisch-politischen Studienordnung von 1810, zudem war er der Referent des 1. Teils des Strafgesetzbuchs von 1803.
Franz von Zeiller war der Sohn einer Grazer Handelsfamilie. Schon 1768 schloss er im Alter von 17 Jahren eine Ausbildung als Doctor phil. ab. Danach beschloss er Rechtswissenschaften an der Universität Wien zu studieren. Dort lernte er seinen Lehrer Karl Anton von Martini (* 1726; † 1800) kennen, der neben Zeiller zu den bedeutendsten Vertretern des Vernunftrechts in der Habsburgermonarchie zählt. 1778 schloss er als Doctor juris sein Studium der Rechtswissenschaften ab und wurde 1782 als Nachfolger Martinis ordentlicher Professor für Naturrecht und Kriminalistik an der juridischen Fakultät in Wien.
Zwischenzeitlich arbeitete er auch als Hauslehrer des Erzherzogs Joseph und unterrichtete in der Folge auch die Erzherzöge Anton, Johann, Rainer, Ludwig und Rudolf. 1797 wurde er in den Adelsstand erhoben. 1802 wurde er von seiner Lehrtätigkeit an der Universität freigestellt und beteiligte sich an der Ausarbeitung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), das 1811 in Kraft trat. 1803 bis 1804 und erneut 1807 bis 1808 war Zeiller Rektor der Universität Wien. 1806 bis 1809 war er der Herausgeber der ersten juridischen deutschen Fachzeitschrift Österreichs.
Er wurde in einem Ehrengrab auf dem Hietzinger Friedhof beigesetzt. Am 18. Juli 1894 wurde im 16. und 17. Bezirk in Wien die Zeillergasse nach ihm benannt.
 -.-.-.-.-.-.-

.

Übersicht:
„Gemeinde“ war private juristische Person
Gemeinde = Gesellschaft = Gemeinschaft
Geschichte des Gemeindebegriffes
Einwohnergemeinde und Agrargemeinde
Mehrdimensionaler Gemeindebegriff
Zusammenfassung
-.-.-.-.-
Abstract:

„Unter dem Begriff ‚Gemeinde’ versteht das ABGB keineswegs die Ortsgemeinde oder ein ähnliches territoriales Gebilde“.
Die Ortsgemeinde nach heutigem Verständnis wurde in Österreich erst 1849 begründet; vorher gab es nicht eine „Politische Gemeinde“, sondern mehrere wie die Katastralgemeinde, die Steuergemeinde, die Schulgemeinde, denen es aber an Selbstverwaltung ermangelte. Vor allem aus diesem Grund kann die `Gemeinde´ des ABGB mit der Gemeinde im heutigen Sprachgebrauch nicht gleichgestellt werden.
Grundsätzlich gilt als `Gemeinde´im ABGB eine Moralische Person, die als ‚Gemeinschaft’, ‚Körper’ aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482), ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht, durch ‚Stellvertreter’ handelt (§ 867), über ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. über ‚Gemeindegüter’ verfügen kann (§ 290) und die von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189) geleitet wird.
Der Begriff der Moralischen Person des ABGB umfasst allgemein als `erlaubte Gesellschaft´ und insbesondere als `Gemeinde´ stets nur organisierte Personenmehrheiten, die durch Organe handeln.
(
Wilhelm Brauneder, Von der moralischen Person des ABGB zur Juristischen Person der Privatrechtswissenschaft, in: Wilhelm Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts, 159ff)

-.-.-.-.-

 „GEMEINDE“ WAR PRIVATE PERSON

Das heute noch in Geltung stehenden „altehrwürdige“ Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, kurz `ABGB´ aus dem Jahre 1811, verstand unter dem Begriff  „Gemeinde“ eine moralische (= juristische) Person, die aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482) oder ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht.  Diese juristische Person handelte  durch ‚Stellvertreter’ (§ 867) und diese juristische Person besaß ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. verfügte über ‚Gemeindegüter’ (§ 290).  Schließlich wurde diese juristische Person geleitet von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189).

Den Begriff „Gemeinde“ im ABGB 1811 kennzeichnet also jede organisierte Personenmehrheit. Diese Auffassung kann durch zahllose zeitgenössische Quellen belegt werden . Schon die Register zum ABGB oder zur Politischen Gesetzessammlung zeigen die Vielfalt verschiedener „Gemeinden“. Zitiert sei hier bloß, stellvertretend für dieses Verständnis, der wichtigste Redaktor und erste Kommentator des ABGB, Franz von Zeiller.

Franz von Zeiller erläuterte in seinem Kommentar zum ABGB, geschaffen in den Jahren 1812 bis 1815 zu § 27 ABGB : „Die unter öffentlicher Authorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die [Gemeinden] der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besonderen Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte. Die Vorsicht fordert demnach, daß diejenigen, welche mit Gemeinheiten (!) Rechtsgeschäfte eingehen, sich zuvor genaue Kenntniß erwerben, ob und inwieweit dieselben oder ihre Vorsteher in der Verwaltung des Vermögens eingeschränkt oder begünstiget seyn.“ (Franz von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, Wien-Triest 1812, 132f).

GEMEINDE = GESELLSCHAFT = GEMEINSCHAFT

Zeiller kennt also eine Vielzahl verschiedener Gemeinden, für die er bloß Beispiele anführt (arg. „wie die“) und die er synonym auch als „Gemeinheiten“ bezeichnet. In diesem Sinne verweist auch das Register von Zeillers Kommentar unter „Gemeinden“ auf „Gesellschaft“ und umgekehrt von „Gesellschaft“ auch auf „Gemeinden“ und „Gemeinschaft“. (Franz von Zeiller, Alphabetisches Register zu dem Commentare über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Wien-Triest 1813, 99, 104f. Ebenso synonym erschienen die Begriffe „Gemeinde“ und „Gesellschaft“ bei Joseph Linden, Das früher in Österreich übliche gemeine und einheimische Recht nach der Paragraphenfolge des neuen bürgerlichen Gesetzbuches I, Wien und Triest 1815, 101).

Nicht wenige der ABGB-Bestimmungen beziehen sich beispielsweise auf die von Zeiller genannten „geistlichen Gemeinden“. Die „geistlichen Gemeinden“ nennt auch Georg Scheidlein, Handbuch des österreichischen Privatrechts I, Wien und Triest 1814, 22).

Auch die Literatur zu einer der im Vormärz umstrittensten Kontroversen bei der Auslegung des ABGB, nämlich zur Frage der Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes von „Gemeinden“, zeigt deutlich, dass man dabei an ganz unterschiedliche Verhältnisse dachte (Thomas Dolliner, Über die Beurtheilung der Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes einer Gemeinde nach dem § 337 des b. G. B., in: Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde 1835/II, 103ff; Franz von Minasiewicz, Noch Einiges über die Redlichkeit und Unredlichkeit des Besitzes einer Gemeinde, in: Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde 1836/I, 100ff; Thomas Dolliner, Gegenbemerkungen zur (…) Abhandlung über die Redlichkeit des Besitzes bey Gemeinden, in: Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde 1836/I, 104ff.)

GESCHICHTE DES GEMEINDEBEGRIFFES

Wer die Geschichte des Gemeindebegriffes verstehen möchte, muss sich von Vorstellungen befreien, welche das einfließen lassen, was heute eine politische Ortsgemeinde darstellt. Die historischen Markgemeinden, welche zu den Anfangszeiten der heutigen Besiedlung ein bestimmtes Territorium in Besitz genommen haben, hatten politisch-soziale Aufgaben wahrgenommen und solche wirtschaftsgenossenschaftlicher Art. Treffend spricht Otto Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd I (1895) 577 vom „doppelten Beruf“ der Markgemeinde: örtliches Gemeindwesen und ländliche Wirtschaftsgenossenschaft.

„Gemeinde“ war demnach eine Privatorganisation, die auch öffentliche Aufgaben wahrgenommen hat.

Je nach der lokaler Rechtsentwicklung wurden die politischen Aufgaben früher oder später in staatlich „implementierte Rechtsträger“ ausgelagert. Dieses staatliche Gemeindegebilde, das im Verlauf der Geschichte durch Hoheitsakt in die historische Privatgemeinde hineinverpflanzt wurde,  entspricht heute der modernen politischen Ortsgemeinde.

Dieses durch staatlichen Hoheitsakt entstandene politische Gemeindegebilde ist streng zu unterscheiden von der zurückbleibenden „wirtschaftsgenossenschaftlichen Seite der Markgemeinde“.  Diese Unterscheidung ist deshalb notwendig, weil die Entscheidung des Staates, als der Ebene der Gemeinden einen staatlich-politischen Rechtsträger zu installieren, keine „Liquidation“ der ursprünglichen „nachbarschaftlichen Privatgemeinde“ nach sich zog. Insoweit diese „nachbarschaftliche Privatgemeinde“ Träger von nachbarschaftlichen Privatrechten war (gemeinschaftlicher Besitz, gemeinschaftliche Kasse) existierte diese natürlich weiter.

Die ursprüngliche, „nachbarschaftlichen Privatgemeinde“ hat sich zur heutigen Agrargemeinschaft fortentwickelt, als Eigentumsträger von typischer Weise unbesiedeltem Land, von Heimweiden, Wäldern und Almen. Durch die Regulierung der betreffenden Gemeinschaftsliegenschaften seit Beginn des 20. Jhdts entstanden die heutigen „körperschaftlich eingerichteten“ Agrargemeinschaften.

EINWOHNERGEMEINDE UND AGRARGEMEINDE

Im Dezember des Jahres 1801 nahm eine Hofkommission in Gesetzessachen, wesentlich dominiert von ihrem Referenten Franz Anton Felix von Zeiller, die Beratungen über die eingegangenen Erinnerungen zum „Entwurf Martini“, den so genannten „Ur-Entwurf des ABGB“, auf. § 3 des Sachenrechts im Entwurf Martini wurde im Zuge dieser Beratungen umgestaltet und schließlich mit folgendem Inhalt im ABGB 1812 in Kraft gesetzt: „§ 286 ABGB. Sachen in dem Staatsgebiete sind entweder ein Staats- oder ein Privatgut. Das letztere gehört einzelnen oder moralischen Personen, kleineren Gesellschaften oder ganzen Gemeinden.“

Zu dieser Textierung, welche in der 138. Kommissionssitzung am 7. Juli 1807 endgültig fixiert wurde, bemerkt das Sitzungsprotokoll klarstellend Folgendes: „Auch die Gemeinden sind im Hinblick auf den Staat als Private zu betrachten.“ (Ofner, Protokolle II, 366; vgl auch Zeiller, KommzABGB, Anm 2 zu § 286)

Martinis Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) hatte am Beginn des Abschnittes über das Sachenrecht in den §§ 7 und 8 eine ausführliche Regelung für das Privateigentum der Gemeinden (nach bürgerlichem Recht) enthalten. Das oberösterreichische und das niederösterreichische Appellationsgericht und die Universität Prag hatten für die Beratungen der Hofkommission zur Überarbeitung des Entwurfes von Martini die Erinnerung angebracht, dass „von Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitgliede der Gemeinde der Gebrauch zustehe“. (Ofner, Protokolle I, 216)

Die Appellationsgerichte und die Universität Prag legten dabei offensichtlich ein Verständnis des Gemeindebegriffes im Sinne einer „Einwohnergemeinde“ zu Grunde: Nicht jeder Einwohner ist nutzungsberechtigtes Mitglied der Agrargemeinde! „Gemeinde“ ist danach nicht mehr „jenes Kollektiv von bäuerlichen Hofinhabern, das gemeinsam die Gemain besitzt, nutzt und bewirtschaftet“. „Gemeinde“ im Sinn von „Einwohnergemeinde“ ist der weitere Begriff: Jeder Einwohner des Dorfes, jede natürliche Person, die ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der vermessenen Katastralgemeinde eingerichtet hat. Während somit Martini in seinem Ur-Entwurf zum Sachenrecht den Begriff der „Gemeinde“ eindeutig im Sinne einer privaten Gesellschaft der Nutzungsberechtigten verwendete, gebrauchten die Appellationsgerichte und die Universität Prag in ihren Erinnerungen dazu denselben Begriff für die Beschreibung der Summe derjenigen Personen mit Lebensmittelpunkt innerhalb der Grenzen der vermessenen Katastralgemeinde.

 MEHRDIMENSIONALER GEMEINDEBEGRIFF

Der Befund des Historikers, wonach „die Gemeinde als historischer Grundbegriff schwammig und schwer einzugrenzen sei“ (Beimrohr, Tiroler Heimat 2008, 163), ist deshalb durchaus überzeugend, weil selbst der historische Sprachgebrauch bei der Diskussion zu einer Gesetzesstelle von der einen Bedeutung in die andere wechselte. Zeiller ist dieser Bedeutungswechsel im Sprachgebrauch offensichtlich bewusst gewesen, weniger hingegen dem Protokollführer der Beratungen der Hofkommission.

Letzterer bemerkt im Beratungsprotokoll zur 26. Kommissionssitzung am 21. März 1803, als die Erinnerungen der Appellationsgerichte und der Prager Universität behandelt wurden, lapidar: „Diese Erinnerung hielt Ref. immer einiger Bedachtnehmung würdig, und glaubte in Folge derselben diese zwei Paragraphe so zusammen zu fassen: Auf gleiche Weise machen Sachen, welche nach der Landesverfassung zum Gebrauch eines jeden Mitgliedes einer Gemeinde dienen, das Gemeindegut; diejenigen aber, deren Einkünfte zur Bestreitung der Gemeindeauslagen bestimmt sind, das Gemeindevermögen aus“ – die heute noch geltende Fassung des § 288 ABGB.

Zeiller selbst verweist in seinem Kommentar zum ABGB bezüglich der Mitberechtigung Einzelner an den Gemeinschaftsliegenschaften auf die jeweils lokalen Rechtsordnungen der verschiedenen Kronländer, womit den erwähnten Einwendungen der Appellationsgerichte und der Universität Prag Rechnung getragen werden sollte. Zeiller und die übrigen Mitglieder der Hofkommission haben somit die genannten Einwendungen, die sich auf das Verhältnis der Einwohnergemeinde zur Agrargemeinde bezogen haben, für richtig erachtet.

In dem umgestalteten Gesetzestext, der als § 288 ABGB heute noch in Geltung steht, wurden jedoch nicht die Rechtsverhältnisse der Privatgemeinde zur Einwohnergemeinde geregelt; vielmehr ist es der Sache nach bei dem geblieben, was schon Martinis Entwurf vorgesehen hatte: Es wurden die Rechtsverhältnisse der privaten Eigentümergesellschaft definiert.

Für diese Definition der Rechtsverhältnisse innerhalb der Agrargemeinde wurde exakt derselbe Gemeindebegriff unterstellt, wie ihn bereits Martini im Ur-Entwurf verwendet hatte. Bezeichnend ist die Gleichsetzung der Begriffe „Gesellschaften“ und „Gemeinheiten“ (als Plural von „Gemeinde“) bei Zeiller, KommzABGB, Anm zu § 288.

„Gemeindegut“ der Gemeinde nbR gem § 288 ABGB steht deshalb jedem Gemeindeglied zur Benützung zur Verfügung, weil nur die Nutzungsberechtigten Gemeindeglied sein können. Anders ausgedrückt: Man ist Gemeindeglied der Gemeinde nbR, weil man mitberechtigt ist. Oder: Nur die Nutzungsberechtigten haben sich in der betreffenden Gemeinde nbR zur gemeinschaftlichen Vermögensverwaltung zusammengeschlossen. Dies unabhängig davon, wer sonst in der betreffenden Katastralgemeinde aufhältig ist, wer dort seinen Lebensmittelpunkt errichtet hat, aus diesem Gebiet steuerpflichtige Einnahmen bezieht usw.

Zusammenfassung

Unter dem Begriff ‚Gemeinde’ versteht das ABGB keineswegs die Ortsgemeinde oder ein ähnliches territoriales Gebilde“.

Grundsätzlich gilt als `Gemeinde´im ABGB eine Moralische Person, die als ‚Gemeinschaft’, ‚Körper’ aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482), ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht, durch ‚Stellvertreter’ handelt (§ 867), über ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. über ‚Gemeindegüter’ verfügen kann (§ 290) und die von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189) geleitet wird.

Der Begriff der Moralischen Person des ABGB umfasst allgemein als `erlaubte Gesellschaft´ und insbesondere als `Gemeinde´ stets nur organisierte Personenmehrheiten, die durch Organe handeln.

 

..

MP

 

 

 

Das Erbe aus vielen Jahrhunderten

Josef Ruetz aus Kematen ist Vollerwerbsbauer. Sein Hobby ist die Geschichte seines Stammsitzes, der „Untere Ruetz“ in Kematen samt dem damit verbundenen Gemeinschaftsbesitz, die Kemateralpe, der Archberg-Winkelbergwald und der Burgseitenwald. Einmal pro Woche fährt er ins Innsbrucker Landesarchiv, um in alten Urkunden zu forschen. „Das macht süchtig“, verrät er, während er in seiner fast 1000-seitigen Chronik des „Unteren Ruetz“ blättert. Der Erbhof „Unterer Ruetz“ ist seit 8. April 1704 im Besitz der Familie Ruetz. Josef Ruetz hat die Geschichte des Hofes freilich viel weiter zurückverfolgt; dies bis zu den Anfängen des Tiroler Verfachbuchs für den Gerichtsbezirk Sonnenburg (Innsbruck). Jeden Erwerbsvorgang über die Jahrhunderte hat Josef Ruetz ausheben und die betreffende Urkunde transkribieren lassen; dies zurück bis zur ältesten, im Tiroler Landesarchiv verwahrten Urkunde aus dem Jahr 1313. Der Hof stand zu dieser Zeit im Eigentum des Innsbrucker Stadtrichters Aut (Otto) von Matrei. Als dieser gestorben war, schenkte seine Witwe Gerwig, geb. von Liebenberg, im Jahr 1313 das Anwesen dem Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten. Der Hof, in den ältesten Dokumenten „Zirmbachgut“, später „Pucher Lehen“ genannt, war bis zur Grundentlastung im 19. Jahrhundert dem Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten zinspflichtig. Im „Boarischen Rummel“ des Jahres 1703 hatten die bayrischen und französischen Truppen in Kematen wild gehaust. Auch der „Untere Ruetz“, das „Pucher Lehen“ wurde niedergebrannt und der Besitzer ermordet. Da sich die 22 potenziellen Erben nicht einigen konnten, wurde das Gut 1704 an die Familie Edenhauser verkauft. Diese sind direkte Vorfahren der heutigen Besitzerfamilie Josef Ruetz. Der Stammhof, einer der ältesten Höfe in Kematen, stand neben der Kirche und trug die Hausnummer 12. 1910 brannte das Anwesen neuerlich ab und wurde mit geringfügigen Veränderungen wiedererrichtet. Im Zuge der Grundzusammenlegung in den 1960er Jahren wurde 1967 das Wirtschaftsgebäude und schließlich 1970 auch das Wohngebäude ins Michlfeld ausgesiedelt. 1988 übernahm Josef Ruetz nach alter Tradition den Hof von seinem Vater. Als Vollerwerbsbauer führt er ihn mit 45 Großvieheinheiten bis heute weiter. Natürlich hat die Geschichte des Hofes nicht erst im Jahr 1313 begonnen; die Urkunde aus dem Jahr 1313 ist lediglich der älteste Erwerbsakt für den Hof, der im Tiroler Landesarchiv aufbewahrt wird. Anzunehmen ist, dass die Geschichte des Hofs in Wahrheit schon mit den Anfängen der heutigen Besiedlung Tirols durch die Bajuwaren begonnen hat, sohin im 6. oder 7. Jh. n. Chr. Der dem Hof zuzuordnende Grundbesitz ist somit über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren entstanden. Der Gemeinschaftsbesitz Kemateralm, dessen Geschichte Josef Ruetz gerade bearbeitet, lässt sich anhand bekannter Urkunden noch länger in der Historie zurückverfolgen. Das Kernstück der Alm, der Berg Senders, war Teil der Schenkungen von Kaiser Konrad II. im Jahr 1027 an das „Bistum Brixen“. Im Jahr 1142 übergab Bischof Reginbert von Brixen den Berg Senders dem Stift Wilten als Ausstattung. 1352 schließlich übergab das Stift Wilten die Alm am Senders den Kematern, welche dafür einen jährlichen Grundzins von 26 Pfund Perner, Meraner Münz, bezahlen mussten. Dies bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als alle Grundzinse im Zuge der Grundentlastung abgelöst wurden. Wer wurde Eigentümer der Alm, als das Obereigentum des Stifts Wilten aufgehoben wurde? Die Grundbuchanlegungsbeamten hatten sich die Sache eher einfach gemacht. Um die Jahre 1898 bzw. 1899 hat man als Eigentümerin der Alm die Etikette „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ gewählt. Als Eigentumstitel wurde insbesondere die Verleihungsurkunde des Stifts Wilten aus dem Jahr 1352 (!) angeschrieben. Gerade so, als ob eine Gemeinde Kematen im Sinn des Verständnisses um die Wende zum 20. Jahrhundert im Jahr 1352 bereits existiert hätte.

HOFBESITZ UND GEMEINDERECHT

Über Jahrhunderte hat sich der Rechtsverkehr vor allem mit Nutzungsrechten an Gemeinschaftsliegenschaften befasst. Die älteste Urkunde aus dem Tiroler Raum, wo „Gemainnutzungen“ einer Hofstelle als Zubehör zugeschrieben sind und als Privatrecht mit der betreffenden Hofstelle auf den neuen Eigentümer übertragen werden, stammt aus dem 10. Jh. Bischof Altwin von Brixen verschaffte darin dem Edlen Berchtold „… illum usum, qui vulgo dicitur gimeineda“. Die älteste erhaltene Urkunde, in der die Bezeichnung „Gemain“ als Umschreibung für eine solche gemeinschaftlich genutzte Liegenschaft verwendet wurde, ist ein Tauschvertrag aus der Zeit von 1050/1065. Im Innsbrucker Stadtrecht von 1239 – zur Gänze in Latein abgefasst – werden die gemeinsam genutzten Weideplätze wie folgt beschrieben: „quod gemeinde dicitur“. Jedes individuelle Nutzungsrecht des einzelnen Hofbesitzers läuft parallel mit der vergleichbaren Berechtigung der anderen Hofbesitzer der Nachbarschaft. Die Tatsache solcher parallel laufender Nutzungsrechte mehrerer Nachbarn an ein und demselben Waldstück setzt eine „Gemeinschaftsordnung“ voraus. Solche Gemeinschaftsordnungen für Wald und Weide sind auch tatsächlich bis in das zwölfte Jh. zurück in schriftlicher Form nachweisbar. Beispielsweise ist aus Bozen ein so genanntes „Weistum“ aus dem Jahr 1190 bekannt, welches die Nutzung der Allmendwiesen und des gemeinsamen Waldes durch die dortigen Nachbarn regelte. Eigentum setzt den Willen voraus, eine Sache für sich zu behalten und andere davon auszuschließen. Insofern eine Gemeinschaft von Hofbesitzern eine Allmende exklusive für sich in Anspruch nimmt und sich mit diesem Exklusivitätsanspruch durchsetzt, entsteht Eigentum. Theoretisch denkbar ist der Eigentumserwerb an Allmendliegenschaften sowohl durch Okkupation als auch durch Ersitzung. Dies freilich im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung. Am so genannten Allmendland, am Gemeinschaftswald und der Gemeinschaftsweide haben die Fürsten traditionell besondere Rechte behauptet. Als Träger der Gesetzgebungsgewalt konnten sie ihren diesbezüglichen Willen in Gesetzesform kleiden. So wird behauptet, dass schon der Gründer Tirols, Meinhard II. (* um 1238; † 1. November 1295 in Greifenburg), den Rechtssatz aufstellte, dass die Tiroler Wälder Eigentum des Landesfürsten seien. Jedenfalls schriftlich dokumentiert ist, dass der Sohn von Meinhard II., Heinrich, Graf von Tirol und Herzog von Kärnten (* 1265; † 1335), im Jahr 1330 in seinem „Amtsbuch“ sämtliche Waldungen des Inn- und Wipptales als Eigentum des Tiroler Landesfürsten dekretierte. Ein Fürsteneigentum an den Wäldern und Weiden zu behaupten, ist das eine; dieses Eigentumsrecht in der Praxis durchzusetzen, ist das andere. Die Rechte, die der Landesfürst an den Gemaindliegenschaften für sich durchsetzen konnte, werden unter dem Begriff „Allmendregal“ zusammengefasst. Beispielsweise verfügte Anfang des 15. Jh. Friedrich, Landesfürst von Tirol (* 1382; † 1439), dass nunmehr jeder „Neubruch“ in der Gemain (= Umwandlung des Waldlandes in Weide oder Bauland) – egal ob durch einzelne oder durch die Gesamtheit der Berechtigten, der landesfürstlichen Genehmigung bedürfe. Weitere landesherrliche Rechte an den „Gemainen“ wurden insbesondere im Bereich der Jagd durchgesetzt. Unter Kaiser Maximilian I. (* 1459; † 1519) wurde im Tiroler Landlibell von 1511 Folgendes verfügt: „Von wegen der gemain, …, die sollen in kainem weg eingefanngen werden on der gerichtsherrn oder phlegers an dem ennd, … , auch der unnderthanen, denen dieselb gemaind zugehoeret, wissen und willen, welcher das darueber teatten, der oder dieselben sollen darumb gestrafft werden.“ Mit dieser Gesetzesregelung wurde klargestellt, dass von der Gemain nichts in Einzeleigentum umgewandelt werden dürfe ohne Zustimmung des Gerichtsherren, des Pflegers und ohne Wissen und Willen der Untertanen, denen die betreffende Gemaind „gehörte“. Für die gefürstete Grafschaft Tirol war damit verbrieft, dass ohne Wissen und Willen der berechtigten Nachbarschaften niemand Fremder auf den Gemeinschaftsliegenschaften angesiedelt werden durfte. Die Zustimmung der jeweiligen nutzungsberechtigten Nachbarschaft war ab dem Jahr 1511 in Tirol verfassungsmäßige Voraussetzung für die Ansiedlung von Zuzüglern auf den Gemeinschaftsliegenschaften. Daran knüpfte sich eine Entwicklung, die im Tiroler Forstregulierungspatent 1847 durch die förmliche Anerkennung des Privateigentumsrechts der Nachbarschaften ihren (vorläufigen) Abschluss fand.

„METTERNICH’SCHES FORSTSYSTEM“ 

Seit Verabschiedung des Tiroler Landlibells im Jahr 1511 waren über 300 Jahre vergangen. Jede Nachbarschaft nutzte über diesen Zeitraum ihre jeweiligen Gemeinschaftsliegenschaften mit Ausschluss anderer Nachbarschaften. Der Sache nach hat jede dieser „Wirtschaftsgemeinden“ Eigentum ausgeübt. Dies ungeachtet der Rechte des Landesherrn aus dem feudalen Obereigentum. Wesentlich ist, dass Dritte von der Nutzung ausgeschlossen wurden und dass die einzelne Nachbarschaft über die Erträgnisse ihrer Liegenschaften verfügt hat. Dabei wollte man die Vorgaben der landesfürstlichen Forstverwaltung immer weniger als verbindlich hinnehmen. Parallel entwickelte die aus dem Sieg über Napoleon und aus der Neuordnung Europas am Wiener Kongress 1815 gewaltig gestärkte Staatsgewalt (Restaurationszeit, Metternich’sches System) neues Selbstbewusstsein. Die landesfürstliche Forst­verwaltung stellte sich deshalb im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder auf den Rechtsstandpunkt, dass in Tirol von einem allgemeinen landesfürstlichen Waldeigentum auszugehen sei. Die Tiroler Nachbarschaften hätten demnach an ihren Gemeinschaftswäldern keine Rechte; nur den einzelnen Hofeigentümern, den Feuerstattbesitzern, kämen kraft Ersitzung Holzbezugsrechte oder „Gnadenholzbezüge“ zu. Diese Rechtsauffassungen standen einander unvereinbar gegenüber. Als 1839 eine neue Waldordnung in Kraft trat, brach in Tirol ein wahrer Sturm von Rechtsstreitigkeiten los. Die Tiroler wollten von diesem angeblichen Eigentum des Landesfürsten an „ihren“ Wäldern nichts mehr wissen. Ein Bericht eines anonymen Schreibens in der Österreichischen Vierteljahresschrift für das Forstwesen des Jahres 1851 erklärt, dass eine heillose Verwirrung in den forstlichen Eigentumsverhältnissen entstand. Hunderte von Rechtsstreiten seien anhängig gewesen, „doppelt so viele Federn in Bewegung, um für und dagegen zu schreiben“. Die Forstverwaltung sei fast ausschließlich mit der Sammlung von Klagebehelfen und Instruierung von Klagen beschäftigt gewesen.“ Die kaiserliche Forstverwaltung befand sich in einem Dilemma. Nach den historischen Quellen hatte der Tiroler Landesfürst, ab 1804 „Kaiser von Österreich“, vornehmlich in der Umgebung von Bergwerken und Salinenbetrieben und in speziellen Forsten Herrschaftsrechte über die Wälder ausgeübt, weshalb das behauptete Eigentum an allen so genannten „gemeinen Wäldern“ auch unter den historischen Verhältnissen als Anmaßung empfunden wurde. Der absolut regierende Herrscher besaß zwar die Gesetzesmacht, um Staatseigentum zu schaffen. Auch für ein absolut regierendes Staatsoberhaupt gelten jedoch sachenrechtliche Grundprinzipien der Rechtsordnung – zumindest sinngemäß. Eigentum verlangt die faktische Machtausübung als Wesenselement. Wenn deshalb faktische Herrschaftsrechte an einer Sache „seit Menschengedenken“ nie ausgeübt wurden, dann entsteht auch für ein absolut regierendes Staatsoberhaupt ein gewisser Argumentationsnotstand. Die Zentralregierung in Wien – schon damals um elegante Auswege aus einem staatspolitischen Dilemma nicht verlegen – wählte, um beiden widerstreitenden Ansichten Genüge zu tun, die Variante eines kaiserlichen Gnadenaktes: In „huldvoller Berücksichtigung der im Verlauf der Zeit eingetretenen Verhältnisse“ [Ersitzung!] sollte das landesherrliche Hoheitsrecht an den Wäldern, Alpen und Auen Tirols so umgestaltet werden, dass auch die Stammliegenschaftsbesitzer zu ihrem Recht kämen. Rechtsgrundlage dafür war die mit aller höchster Entschließung vom 6. Februar 1847 befohlene „Regulirung der Tiroler Forstangelegenheiten“; das betreffende Gesetz ist als das „Tiroler Forstregulierungspatent 1847“ bekannt.

WALDZUWEISUNG IN OSTTIROL

Nach diesem Gesetz wurden zwei Regionen Tirols unterschieden: der so genannte „Regalitätsforstbezirk“ und das übrige Tirol (in den Grenzen des Jahres 1847!). Als „Regalitätsforstbezirk“ wurden die Kreise Oberinntal einschließlich des Lechtals und Unterinntal einschließlich des Wipptals sowie bestimmte Forstkomplexe südlich des Brenners definiert. Außerhalb dieses Regalitätsforstbezirks, insbesondere auch im Gebiet des heutigen Osttirols, hat der Kaiser generell auf sein Hoheitsrecht an den Wäldern, Alpen und Auen verzichtet. Der Landesfürst und „Kaiser von Österreich“ hat sein (behauptetes) Obereigentum an diesen Wäldern förmlich aufgegeben (Art. 6 des Forstregulierungspatents 1847). Die Wälder außerhalb Nordtirols sollten demnach Eigentum derjenigen werden, die in dem betreffenden Wald holzbezugsberechtigt waren. Das Tiroler Forstregulierungspatent 1847 spricht von den „bisher zum Holzbezuge berechtigten oder mit Gnadenholzbezügen beteilten Gemeinden als solchen“, deren Eigentum an den Wäldern nunmehr förmlich anerkannt würde. Gemeint war mit der „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ (natürlich) nicht eine Kirchengemeinde, nicht die Schulgemeinde und nicht eine Steuergemeinde. Genauso wenig war an die heutige politische Ortsgemeinde gedacht, wenn ersessenes Eigentum der „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ angesprochen wurde. Der Begriff „berechtigte Gemeinde“ steht für „Gemeinschaft“ – entsprechend dem damals üblichen Sprachgebrauch. Die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ war niemand anders als die Summe der jeweils berechtigten Nachbarn, die Summe der jeweiligen Gruppe an Hofbesitzern, mit deren Stammsitzliegenschaften das Holznutzungsrecht im betreffenden Waldstück verbunden war. Diese Nachbarschaften hatten die betreffenden Waldstücke über Jahrhunderte unter Ausschluss von anderen Nachbarschaften bewirtschaftet. In dem Moment, in dem das feudale Obereigentum der Fürsten abgeschafft wird, verbleiben als einzig denkbare Berechtigte diejenigen, die den jeweiligen Wald an Ort und Stelle seit jeher genutzt haben. Nur diese können zivilrechtliche Eigentümer werden. Ihre Rechtsstellung wurde per Gesetz vom Status „Nutzungsrecht“ in den Status „Eigentum“ umgewandelt. Die Bestätigung des Eigentums zu Gunsten der jeweils „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ erfolgte seitens des Landesherrn (selbstverständlich) unter dem Vorbehalt besserer Rechte Dritter. Diesen Vorbehalt erforderte schon die Tatsache, dass der Adressat der Eigentumsbestätigung, die jeweils „holzbezugsberechtigte Gemeinde“, keine generell abgrenzbare Erscheinung war, zumal die Rechtsverhältnisse in ihrer lokalen Vielfalt gar nicht geprüft werden konnten. Eine bestimmte Gruppe von Holzbezugsberechtigten konnte sich deshalb nicht gegenüber einer anderen Gruppe von Holzbezugsberechtigten auf das Tiroler Forstregulierungspatent 1847 als Rechtstitel ihres Eigentums berufen. Vielmehr hat hier das jeweils bessere Recht gegolten. Gleiches galt, falls einzelne Grundbesitzer bestimmte Waldstrecken alleine und ausschließlich für sich genutzt hatten. Mit dem Wegfall des Obereigentums des Landesfürsten wurde derjenige oder wurden diejenigen zu (Voll-)Eigentümern, welche die ausschließliche Nutzung als Gruppe oder auch als einzelne zumindest über die Ersitzungszeit des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs nachweisen konnten. Organisatorisch umgesetzt wurde die Maßnahme erst in den 1850er Jahren. Die Instruktion für Umsetzung dieser Maßnahme im Kreisregierungs-Bezirk Brixen aus dem Jahr 1853 und die weiteren Formularien dazu haben die damaligen politischen Gemeinden in die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse eingebunden. Formal wurden die politischen Gemeinden innerhalb der jeweiligen Gemeindegrenzen für die Zuweisung der Waldstrecken an den richtigen Eigentümer zuständig gemacht.

EIGENTUMSPURIFIKATION IN NORDTIROL

Im gesamten Nordtiroler Raum, den Kreisen Oberinntal und Unterinntal, im „Regalitätsforstbezirk“, wurde hingegen das landesfürstliche Hoheitsrecht an den Forsten, Almen und Auen als Grundsatz aufrechterhalten, jedoch wichtigen Modifikationen unterworfen. Es wurde folgender Kompromiss gefunden: Zum einen hat der historische Gesetzgeber eine ganze Reihe von Ersitzungstatbeständen anerkannt, zum anderen wurden die Holzbezugsrechte und „Gnadenholzbezüge“ der Hofbesitzer in Grund und Boden abgelöst. Ersessenes Privateigentum an Wäldern wurde insbesondere dann anerkannt, wenn einzelne oder ganze Nachbarschaften Jahrzehnte lange Grundsteuerzahlungen geleistet hatten. Anhand genau definierter Vorgaben wurde bei Erfüllung aller Voraussetzungen Privateigentum an Forsten, Alpen und Auen sowohl für Einzelbesitzer als auch für die Nachbarschaften als solche anerkannt – „Gemeinden“, „Gemeindsparzellen“ oder ähnlich genannt. Das Tiroler Forstregulierungspatent spricht von einer „Eigentumspurifikation“. Die Gesetzesgrundlage dafür war in Art. 2 Forstregulierungspatent 1847 gelegt. Nach dieser Gesetzesregelung „gestattete“ der „aller höchste Landesfürst“ auch in Nordtirol „die Beurteilung der Eigentumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden, in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältnisse, für das Vergangene in Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts“ – zu deutsch: Kaiser Ferdinand I. wollte und hat ersessenes Eigentum an Wäldern anerkannt. Dies allerdings nur unter genau definierten Voraussetzungen, die eine eigens einzusetzende Kommission anhand jedes Einzelfalles prüfen und darüber entscheiden sollte. Die Instruktion für diese Kommission stammt vom 16. Juni 1847 und diese enthält folgende bemerkenswerte Klarstellung dazu: „Die Commission hat also die Bestimmung, in jenen Forstgebieten Tirols, in welchen das landesfürstliche Forsthoheitsrecht als Regel aufrecht verbleibt, namens der obersten Finanzverwaltung […] das Privatforsteigenthum im außergerichtlichen Wege zu liquidiren, wodurch dasselbe von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert und in diesem besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Aerar ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll.“ Tausende Waldparzellen wurden in Nordtirol nach diesen Vorgaben des historischen Gesetzgebers im Zeitraum 1847 bis 1849 als Privateigentum anerkannt, zusätzlich Almliegenschaften und Auen. Für jeden Gerichtsbezirk in Nordtirol wurde eine so genannte Privatforsteigentums-Purifikations-Tabelle angelegt. In der Masse handelte es sich um Einzeleigentum an Waldparzellen und Gemeinschaftseigentum an Almen. Speziell im ehemaligen Gerichtsbezirk Sonnenburg, heute: Bezirksgericht Innsbruck, war es jedoch üblich, dass auch für den Gemeinschaftsbesitz an Wald schon damals (freiwillig) Grundsteuer bezahlt wurde. Insoweit dies der Fall war z. B. in Afling, Aldrans, Amras, Axams, Birgitz, Götzens, Grinzens, Hötting, Igls, Kematen, Kreith, Lans, Mutters, Natters, Patsch, Raithis, Vill, Völs und Wilten, wurden die Gemeinschaftswälder im Wege der „Purifikation“ als (gemeinschaftliches) Privateigentum anerkannt.

SERVITUTENABLÖSUNG IN NORDTIROL

  In ihren praktischen Auswirkungen wesentlich bedeutsamer als die „Forsteigentumspurifikation“ war die systematische Ablösung der Nutzungsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer Nordtirols, die Forstservitutenablösung 1847. Dabei wurden die Nordtiroler Nachbarschaften, anders als die Osttiroler, nicht in Bausch und Bogen als Eigentümer ihrer „gemeinen Waldungen“ anerkannt. Vielmehr erwarben die Nutzungsberechtigten im Wege eines Ablösegeschäfts – Verzicht auf Nutzung gegen Eigentum (an einer verkleinerten Fläche) – die „gemeinen Waldungen“ nur zum Teil als gemeinschaftliches Privateigentum. Einen nicht unbedeutenden Anteil hat sich der Landesfürst zurück behalten. In diesen dem Staat vorbehaltenden Wäldern mussten die Stammliegenschaftsbesitzer auf ihre „Beholzungsservituten“ im Vergleichswege förmlich Verzicht leisten. Die Vertragsformel, die in den meisten dieser Servitutenablösevergleiche verwendet wurde, lautet wie folgt: „Leistet die Gemeinde für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf alle ihr von der k. k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission nicht ausdrücklich vorbehaltene Nutzungen und Bezüge, also auch auf das Streumachen, Grasmähen, und so fort in den vorbehaltenen Staatswäldern sowohl, als auch in den anderen Gemeinden überlassenen Wäldern feierlich Verzicht“. Im Gegenzug bestätigte der Landesfürst an den Ablöseliegenschaften das freie Eigentum. Das juristische Grundkonzept der Waldservituten-Ablösung war ein Tausch: Erledigung aller Nutzungsrechte auf dem Waldeigentum, welches sich der Landesfürst zurückbehalten oder anderen holzbezugsberechtigten Gemeinden (= Nach­barschaften) in das Eigentum übertragen wollte, Zug um Zug gegen freies Eigentum an einer Ablösefläche. Der Sache nach wurde das Eigentum auf eine aus den nutzungsberechtigten Stammliegenschaftsbesitzern gebildete „Korporation“ übertragen – die „Gemeinde der Holzbezugsberechtigten“. In einem Akt wurden die Nutzungsrechte der Betreffenden auf dem zurückbehaltenen Staatseigentum aufgehoben. Auf diese Art und Weise sind in Nordtirol die Masse der heutigen Agrargemeinschaftswälder entstanden – jeder einzelne Ablösungsvergleich durch die eigenhändige Unterschrift des Ministers in Wien anerkannt. Den Agrargemeinschaftwäldern steht der Staatswald in Nordtirol gegenüber, heute Bundesforsteliegenschaften. Die Ablöseflächen, das neue Nachbarschaftseigentum, sollte so bemessen sein, dass alle holzbezugsberechtigten Nachbarschaftsmitglieder künftig ihren Bedarf aus dem Gemeinschaftseigentum decken können. Vorausgesetzt wurde dabei, dass die neue Bewirtschaftung als Privateigentum wesentliche Ertragssteigerungen mit sich bringt.

Gemeinde oder Gmoa?

Im heutigen Sprachgebrauch hat sich die Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ im Wesentlichen verengt auf die „politische Ortsgemeinde“, die Teil des Staates ist. Dies war nicht immer so. An das ursprünglich wesentlich breitere Begriffsverständnis, welches unter dem Begriff „Gemeinde“ jedwede beliebige Personenmehrheit verstanden hat, erinnern Begriffe wie „Fangemeinde“, „Trauergemeinde“, „Kirchengemeinde“ usw.

So definiert der Codex Theresianus, ein Gesetzesentwurf des gesamten Bürgerlichen Rechts, entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass drei Personen eine „Gemeinde“ bilden. „Gemeinde“ war nach diesem Begriffsverständnis insbesondere auch die organisierte Gemeinschaft von Hausbesitzern – heute würde man von „Gesellschaft“ oder „juristischer Person nach Privatrecht“ sprechen.

Die historische Vieldeutigkeit des Gemeindebegriffes und die spätere Verengung des Begriffsverständnisses im Verlauf des 19. Jahrhunderts erklären viele Probleme des heutigen Agrarrechts. In die öffentlichen Register der jüngeren Zeit wurden die Eigentümerbezeichnungen aus alten Urkunden übernommen. Dies zu Unrecht!

Eine „Gemeinde“ wurde so als Eigentümerin angesehen, obwohl (rückblickend) sich der Gemeindebegriff im allgemeinen Sprachgebrauch bereits auf die moderne Ortsgemeinde verengt hatte. Solche Verwechslungen sind passiert, wenn die Zeitgenossen zu wenig Verständnis für die großen Entwicklungslinien im Recht der alten Dorfgemeinschaften mitgebracht haben.

Die historische Gesellschaft Tirols war besonders anfällig für diese Fehlentwicklung. In Tirol kamen mehrere Umstände zusammen, die die moderne politische Ortsgemeinde als „Erbin“, als Rechtsnachfolgerin, der historischen Nachbarschaften erscheinen ließen.
Dies hat damit zu tun, dass die Tiroler Gemeinden bei Beginn der Grundbuchanlegung immer noch weitestgehend nur aus Mitgliedern der alten Nachbarschaften zusammen gesetzt waren.
Hinzu kam ein Wahlrecht zur Gemeindeführung, das vom so genannten „Grundsteuerschlüssel“ beherrscht war; der Besitz von Grund und Boden in der Gemeinde war für das Wahlrecht Ausschlag gebend.
Auch wurde die Grundbuchanlegung zu einem Zeitpunkt gestartet wurde, als in Tirol noch kein Flurverfassungsrecht (= damals: Teilungs- Regulierungs- Landesrecht) existierte. Ein Rechtsverständnis dafür, dass auch eine juristische Person des Organisationstyps „Agrargemeinschaft“ existieren könnte, hat deshalb weitgehend gefehlt. Statt eine Agrargemeinschaft als Trägerin des Eigentums zu erfassen, hat man auf „Gemeinden“ oder „Fraktionen“ zurück gegriffen.

Ein Bericht aus dem Jahr 1878 aus Niederösterreich fasst die Hintergründe und die Auswirkungen dieser Entwicklung für das damalige Kronland trefflich zusammen. Verfasser ist Dr. Josef Kopp, Reichstagsabgeordneter und Abgeordneter in Niederösterreichischen Landtag sowie Mitglied des damaligen Landesausschusses in Niederösterreich.

Im Auftrag des Niederösterreichischen Landtages hat Dr. Josef Kopp mehrjährigen Erhebungen in allen Gemeinden Niederösterreichs durchgeführt.
Sein Bericht vom 21. September 1878 liefert eine bemerkenswert tiefgründige Analyse der Sach- und Rechtslage.

Die faktischen Verhältnisse, weshalb Gemeinschaftsgut der Nachbarn in den neuen politischen Ortsgemeinden Niederösterreichs als ein Gut dieser neuen politischen Ortsgemeinden verstanden wurde, fasste Dr. Josef Kopp trefflich wie folgt zusammen:

„Ist diese moderne Gemeinde, dieser Mikrokosmus des Staates, diese juristische Person aber noch dasselbe wie die alte Dorfmark mit ihrer Wirthschaftsgenossenschaft?
Gewiß nicht, der territoriale Umfang und der Name ist derselbe geblieben, die Sache, der Begriff haben sich völlig geändert. Im Kataster aber und im Grundbuch steht noch der Name `Gemeinde´; wer ist nun das Rechtssubject bezüglich der dort eingetragenen Gemeindegründe?
Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg auf anwendbar war. Die `Gemeinde´ erschien in allen Urkunden als Eigenthümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne daß letztere gestorben wäre.
Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren. Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. …
Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“

„GEMEINDE“ IN DER PRIVATRECHTSKODIFIKATION

Ende 18. Jahrhundert: „Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“. So lautet eine Bestimmung zum Sachenrecht des Entwurfes zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahr 1796.
Diesen Gesetzesentwurf hatte Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, einer der bedeutensten Juristen seiner Zeit, erarbeitet. Der „Gesetzesentwurf Martini“, auch „Ur-Entwurf zum ABGB“ genannt, wurde versuchsweise in Westgalizien in Kraft gesetzt. Deshalb ist er auch als „Westgalizisches Gesetzbuch“ bekannt. Nach dem Tod Martinis im Jahr 1800 hat sein bedeutenster Schüler, Franz von Zeiller, die weitere Bearbeitung des Gesetzeswerkes geleitet. 1811 war schließlich unser heute noch geltendes Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch fertig gestellt. Der „Ur-Entwurf“ ist deshalb auch für das geltende Recht von großer Bedeutung.

Der „Ur-Entwurf“ macht deutlich, was der Begriff „Gemeinde“ in der historischen Juristensprache bedeutete: Eine „Gemeinde“ war eine juristische Person nach privatem Recht, ein Zusammenschluss von Privatpersonen – ein heute in Vergessenheit geratenes gesetzliches Organisationsmodell. Die Rechtswissenschaft sprach damals auch von einer „Korporation“, von einer „persona moralis“ oder eben einer „Gemeinde“. Dies entsprechend einer Jahrhunderte alten Rechtstradition.

In Sinne dieser Tradition formulierte der Codex Theresianus im Jahr 1765: „… also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können“ (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 133).
Passend berichtete das Tiroler Gubernium im Jahr 1784, was man in Tirol unter einer „Gemeinde“ verstünde: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249 – zitiert nach Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, Tiroler Heimat 2008, 162).
„Gemeinde“ ist nach diesem Verständnis eine private Personenvereinigung – heute würde man sagen eine Gesellschaft nach Privatrecht, gegründet von Privatpersonen.

Die Rechtsgelehrten des „gemeinen Rechtes“ hatten Grundsätze für diese „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ erarbeitet.
Als ihr Ursprung wurde die fortgesetzte Niederlassung von Menschen an bestimmten Orten angenommen. Eine „Gemeinde“ war vermögensfähig, sie hatte die Fähigkeit zum Besitzerwerb, die Fähigkeit zum Prozessieren sowie die volle Erbfähigkeit. Insbesondere konnten diese Gemeinden Verträge abschließen, sei es mit einzelnen Gemeindegliedern oder mit Externen (z. B. kirchlichen Einrichtungen) und natürlich auch mit anderen Gemeinden weltlicher oder geistlicher Art oder mit der Obrigkeit. Irgendeiner staatlichen Bestätigung bedurfte die Bildung einer solchen Gemeinde nicht.
Zu Recht wurde behauptet, dass viele derartige Verbände ebenso alt oder noch älter sind als die historischen Staaten.

Praktisch bedeutsam wurde die private Gemeindeorganisation meist im Zusammenhang mit gemeinschaftlichem Grundbesitz.
Dies lässt auch der Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus den 1790er Jahren deutlich erkennen:
Der Gesetzesabschnitt zum Sachenrecht regelt zuerst, dass Sachen entweder dem Staat als solchem gehören oder den Untertanen, den Privaten.
Die anschließenden zwei Paragraphen behandelten die Sachen des Staates. Sodann werden die Sachen der Privaten geregelt und die Eigentümer von Privatvermögen definiert. Der Gesetzestext spricht von den „Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft“, den Untertanen des Herrschers.
Diese privaten Untertanen waren entweder „Gemeinden“ oder „einzelne Personen“.
Zum „Gemeindeeigentum“ regelt der „Ur-Entwurf“ Folgendes: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber […] dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; […] sie heißen das Gemeindevermögen.“
Diese Regelung macht deutlich, dass mit dieser Gesetzesregelung die Rechtsverhältnisse an einer „Gesellschaft der Nachbarn“, am Nachbarschaftseigentum organisiert in einer juristischen Person nach Privatrecht, geregelt werden sollten. Das betreffende Nachbarschaftsvermögen diente entweder der Nutzung durch die jeweiligen Nachbarn (= Gemeindegut) oder es diente der (Finanzierung der) Gemeinschaft als solcher (Gemeindevermögen).

ORGANISATIONSMODELL FÜR GEMEINSCHAFTSEIGENTUM

Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ fiel den historischen Juristen vor allem als Organisationsmodell für gemeinschaftliches Eigentum in die Augen.
So hatte das Tiroler Gubernium im Jahr 1784 die „Gemeinde“ definiert als „gewisse Häuser, die gemeinschaftlich Nutzbarkeiten an Weiden, Waldungen und Gründen genießen“ [= Gemeindegut] und eine Kasse [= Gemeindevermögen] besitzen. Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ wird somit durch den Gemeinschaftsbesitz konstituiert. Die Mitberechtigung am Gemeinschaftsbesitz begründete die Gemeindemitgliedschaft. Die gemeinschaftliche Sache, die von den Gemeindegliedern genutzt wird, ist das zentrale Element, der „Materialisationspunkt“, um den herum sich die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ in den Dörfern entwickelt hat.

Der Begriff „Gemeinde“ war und ist darüber hinaus auch für andere Zusammenschlüsse von Personen gebräuchlich – beispielsweise für die kirchlichen Gemeinschaften, die „geistlichen Gemeinden“, die „Pfarrgemeinden“, aber auch für politische und soziale Verbindungen von Personen, seien es „nachhaltige Strukturen“ oder lose, spontane Verbindungen. Es gibt die Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden, die Schulgemeinden, die Jagdgemeinden, die (moderne) Fangemeinde, die „Trauergemeinde“ usw.

Im Großen ergibt sich folgende Einteilung:
Es gibt die Gruppe der geistlichen (= Religions-)Gemeinden, die Gruppe der politischen Gemeinden und die Gruppe der Gemeinden nach bürgerlichem Recht, und schließlich diverse lose „soziale Gemeinden“. Jede dieser völlig verschiedenen Erscheinungen kann gemeint sein, wenn von „Gemeinde“ die Rede ist. Meist ergibt sich schon aus dem Zusammenhang, welche Gemeindeerscheinung gemeint ist. Wenn z. B. der Pfarrer sich am Sonntag in der Predigt an die „Gemeinde“ wendet, wissen der Bürgermeister und die Gemeinderäte genau, dass nicht die politische Ortsgemeinde angesprochen ist, sondern die im Gotteshaus versammelte „Gemeinde der Kirchgänger“. Bleibt die Rechtsnatur der gemeinten „Gemeinde“ aus dem Sprachkontext unklar, ist die Bedeutung im Einzelfall durch Interpretation zu ermitteln.

Der Gemeinschaftsbesitz einer Mehrheit von Stamm­liegenschaftsbesitzern bildete den hauptsächlichen Anlass für die Anerkennung einer „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“. Hierfür hat sich die Bezeichnung „Wirtschaftsgemeinde“ eingebürgert. Der Gemeinschaftsbesitz wurde in Tirol „Gemain(d)“ oder „Gmoa(n)“ genannt. Unter „Gemain“ ist jener Grund und Boden zu verstehen, der von den Mitgliedern der Nachbarschaft, den „Feuerstattbesitzern“, gemeinsam bewirtschaftet wurde. In der Regel waren diese mitberechtigten Feuerstätten auch örtlich miteinander verbunden, weshalb die „Gemeinde“ in Tirol meist „Nachbarschaft“ genannt wurde.

DAS GEMEINSCHAFTSGUT

Das jeweilige Gemeinschaftsgut konnte nicht nur Alm, Wald oder Weide sein, sondern auch ein Brunnen oder eine Mühle – auch ein Backofen usw. Auch eine Pflicht konnte Veranlassung zur Gemeindebildung geben. Manche historische Nachbarschaft war verpflichtet, einen bestimmten Flussabschnitt zu regulieren [= „verarchen“]. Die Nachbarn bildeten insoweit eine „Verarchungsgemeinde“. Wenn diesem Zweck ein Stück Land gewidmet wurde, wo die Steine und das Bauholz gewonnen wurden, war die Liegenschaftsbezeichnung „Archenwald“ geläufig. Einen „Archenwald“ findet man heute noch in Kematen oder in Weer.

Kleinere Siedlungsverbände hatten oft eigene Heimweiden und eigene Almweiden. Dies konnte begleitet sein von einer Waldwirtschaft im Großverband. In St. Jakob im Defereggental haben sich bis heute solche Strukturen erhalten: Vier Nachbarschaften, in Osttirol „Rotten“ genannt, besitzen die lokalen Heimweiden um die jeweiligen Höfe; die Gemeinschaft aller Hofbesitzer der vier „Rotten“ besitzt in St. Jakob den Wald. Die zahlreichen Almen werden von ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gemeinschaften genutzt, zu einem beträchtlichen Teil auch von Hofbesitzern aus dem Südtiroler Ahrntal. Die typische Feuerstatt war somit in St. Jakob bei drei Wirtschaftsgemeinden beteiligt: an der aus den Nachbarn gebildeten „Weidegemeinde“, der großen „Waldgemeinde“ und einer „Almgemeinde“.

„Gemain“ als Hauptwort konnte sowohl die Bezeichnung einer Nachbarschaft sein, als auch die Bezeichnung der Nachbarschaftsliegenschaft. Die Nachbarschaftsmitglieder waren die „Gmoa“ (= Gemeinde) und ihr Gemeinschaftseigentum war die „Gmoa“ (= Gemeinde). Diese uralte Terminologie hat auch in das geltende Flurverfassungsrecht Eingang gefunden. Treffend bemerkt der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis Sammlung 9336/1982, dass der Begriff „Gemeinde“ nicht nur die heutige politische Ortsgemeinde bezeichnet, sondern auch zur Bezeichnung der Summe der Nutzungsberechtigten an den Gemeinschaftsliegenschaften verwendet wird und dass das Flurverfassungsrecht beiderlei Begriffsverständnis voraussetzt.

GMOA ODER GMOA?

Vor diesem Hintergrund ist der Gemeindebegriff im Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem ABGB von 1811, zu interpretieren. „Unter dem Begriff ‚Gemeinde’ versteht das ABGB keineswegs die Ortsgemeinde oder ein ähnliches territoriales Gebilde“, sondern es „gilt (…) als ‚Gemeinde’ eine Moralische Person, die als ‚Gemeinschaft’, ‚Körper’ aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482), ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht, durch ‚Stellvertreter’ handelt (§ 867), über ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. über ‚Gemeindegüter’ verfügen kann (§ 290) und von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189) geleitet wird.“ (Wilhelm Brauneder, Von der moralischen Person des ABGB zur Juristischen Person der Privatrechtswissenschaft, in: Wilhelm Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts, Frankfurt/Main 1994, 159ff, Zitat 165.) Demnach kennzeichnet der Begriff „Gemeinde“ im ABGB also jede organisierte Personenmehrheit, eine Auffassung die durch zahllose zeitgenössische Quellen belegt werden kann.

Schon die Register zum ABGB oder zur Politischen Gesetzessammlung zeigen die Vielfalt verschiedener „Gemeinden“. Zitiert sei hier bloß, stellvertretend für dieses Verständnis, der wichtigste Redaktor und erste Kommentator des ABGB, Franz von Zeiller. Er erläuterte zu § 27 ABGB: „Die unter öffentlicher Authorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die (!) der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besonderen Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte. Die Vorsicht fordert demnach, daß diejenigen, welche mit Gemeinheiten (!) Rechtsgeschäfte eingehen, sich zuvor genaue Kenntniß erwerben, ob und inwieweit dieselben oder ihre Vorsteher in der Verwaltung des Vermögens eingeschränkt oder begünstiget seyn.“ (Franz von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, Wien-Triest 1812, 132f).

REALGEMEINDE UND EINWOHNERGEMEINDE

Wenn Juristen von der historischen Wirtschaftsgemeinde sprechen, wird oft der Begriff „Realgemeinde“ verwendet. Dieser Begriff leitet sich ab von der „Realität“, einer veralteten Bezeichnung für Immobilie. Die „Realgemeinde“ (= Realitätengemeinde) ist die Summe der Grundbesitzer [besser: „Grundeigentümer“] in einer Gemeinde. Die „Realgemeinde Mieders“ ist demnach die Summe der Grundbesitzer in Mieders. Bezeichnend ist, dass im Burgenland die weit überwiegende Mehrzahl der Agrargemeinschaften die Bezeichnung „Urbarialgemeinde“ führt. Dies hat folgenden Hintergrund: Der Großteil des heutigen Burgenlands war über Jahrhunderte ein Teil des Ungarischen Königreiches. In Ungarn wurde schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein eigenes Gesetz für die agrarischen Gemeinschaften geschaffen. Was in Österreich eine Agrargemeinschaft ist, war in Ungarn die „Urbarialgemeinde“. „Urbar“ war ein zu ökonomischen, administrativen oder rechtlichen Zwecken angelegtes Verzeichnis von Liegenschaften, Abgaben und Diensten einer Grundherrschaft. Die „Urbarialgemeinde“ im Burgenland ist somit die Summe der Stammsitze, die in der Steuerliste der Grundherrschaft eingetragen waren. Die „Urbarialgemeinde“ vereinigte somit die Liegenschaftsbesitzer einer historischen Grundherrschaft. Im Ergebnis entspricht das vollkommen der Summe der historischen Stammsitze einer Nachbarschaft. Kraft Erbrechts oder Rechtsnachfolge unter Lebenden sind die heutigen Besitzer mit den über Jahrhunderte nachweisbaren Rechtsvorgängern verbunden. Wer die Geschichte des Gemeindebegriffes verstehen möchte, muss sich von Vorstellungen lösen, die nur die heutige Ortsgemeinde als Staatsorganisation im Blick haben und ein allgemeines gleiches Wahlrecht voraussetzen. Die historischen Nachbarschaften, die zu den Anfangszeiten der heutigen Besiedlung ein bestimmtes Territorium in Besitz genommen haben, setzten sich aus der Summe der Hofbesitzer der jeweiligen Nachbarschaft zusammen. Nur der jeweilige Besitzer eines Hofes hatte auch politische Rechte in dieser Nachbarschaft.

Die Verknüpfung von Haus- und Hofbesitz mit der Anerkennung als Nachbar war stark im historischen Rechtsempfinden verwurzelt. Als der Kaiser nach der Niederlage Napoleons die Umwälzungen unter Bayrisch-Französischer Besetzung beseitigt hat, wurden auch die alten Nachbarschaften (= Gemeinden) in Tirol per Gesetz wiedererrichtet. Dieses Gesetz stammt aus dem Jahr 1819 und wird das „Tiroler Gemeinderegulierungspatent“ genannt. Dieses Gesetz regelt auch die Mitgliedschaft zum politischen Gemeindeverband. Ausdrücklich bestimmt dieses Gesetz, dass ein Wohnsitz in der Gemeinde rechtlich ohne Bedeutung ist. („Der Umstand, ob die Gemeindeglieder in der Gemeinde wohnen oder nicht, begründet keinen Unterschied und die bloße Einwohnung bringt die Eigenschaft eines Gemeindegliedes nicht hervor“; § 1 Abs. 2 des Gemeinderegulierungspatents vom 14. August 1819). Politische Rechte, insbesondere Wahlrecht zur Gemeindevertretung hatten nach diesem Gesetz jene Personen, die innerhalb der Gemeindegrenzen so viel Liegenschaftsbesitz hatten, dass diese daraus eine direkte Steuer bezahlt haben – kurz: die Hofbesitzer. Gleichgestellt waren diesen nur die Inhaber von Gewerbebetrieben innerhalb der Gemeindegrenzen, sofern wiederrum aus dem Gewerbebetrieb eine direkte Steuer bezahlt wurde. Wo der jeweilige Besitzer von Grund und Boden oder des Gewerbebetriebes tatsächlich gewohnt hat, war egal. In der typischen Tiroler Landgemeinde hatten demnach nur die Hofbesitzer politische Rechte; nur diese bildeten die „Gemeinde“.

GRUNDBESITZ UND WAHLRECHT

Selbst als der historische Staat in den 1860er Jahren die heutigen Ortsgemeinden eingerichtet hat, knüpfte das Wahlrecht zur Gemeindevertretung in erster Linie an die Steuerleistung aus Grundbesitz. § 1 der Gemeinde-Wahlordnung für die gefürstete Grafschaft Tirol vom 9. Jänner 1866 lautete: „Wahlberechtigt sind: 1. diejenigen Gemeindeglieder, welche österreichische Staatsbürger sind und von ihrem Realbesitze, Gewerbe oder Einkommen seit wenigstens einem Jahr in der Gemeinde eine direkte Steuer entrichten“. Neben dem „Steuerzahlerwahlrecht“ gab es vor allem das „Intelligenzwahlrecht“ (Lehrer, Pfarrer, Studierte usw.) und das „Ehrenbürgerwahlrecht“. Die Wahlberechtigten waren zusätzlich in Wahlkörper gegliedert („Zensuswahlrecht“). In den ersten Jahrzehnten des modernen politischen Gemeindewesens in Tirol hatten somit typischerweise nur Grundbesitzer, d. h. die „Bauern“, ein Wahlrecht zur Gemeindevertretung und zusätzlich der Pfarrer und der Lehrer. Die typische politische Ortsgemeinde in Tirol war somit kraft Wahlrechts zur Zeit der Monarchie eine Gemeinde der „Grundsteuerzahler unter Einschluss des Pfarrers und des Lehrers“. Die „Gemeinde der Wahlberechtigten“ und die „Gemeinde der heutigen Agrargemeinschaftsmitglieder“ waren somit praktisch ident. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass für gewöhnlich heute auch das historische Wohnhaus des Pfarrers (das Widum) und das Schulhaus „Mitglied der Agrargemeinschaft“ sind.

Die historischen Nachbarschaften haben politische Aufgaben wahrgenommen, religiös-soziale und solche wirtschaftsgenossenschaftlicher Art. Die Historiker sprechen von einer „Markgemeinde“. Abhängig von der lokalen Rechtsentwicklung wurden die politischen Aufgaben früher oder später in staatlich implementierte Rechtsträger ausgelagert, die religiös-sozialen Aufgaben oft in Rechtsträger nach kirchlichem Recht. Die wirtschaftsgenossenschaftliche Seite der „Markgemeinde“ ist in vielen Gebieten deshalb untergegangen, weil das ursprünglich gemeinschaftlich genutzte Wirtschaftsgebiet unter den Hofbesitzern aufgeteilt wurde. Wegen Aufteilung des Gemeinschaftsbesitzes gibt es in vielen Gemeinden der Bezirke Kufstein und Kitzbühel heute gar keine Agrargemeinschaften mehr oder nur Gemeinschaftsalmen und Restgrundstücke in der Dorfflur (im Eigentum einer „Dorfgemeinschaft“). Dagegen ist von Schwaz das Inntal aufwärts das Gemeinschaftsgut, die „Gmoa“ oft ungeteilt geblieben.

GEMEINDE UND FEUERSTATT

Eine „Gemeinde“ war Rechtsträgerin nach privatem Recht, d. h. „Person“ im Sinn des Gesetzes. Aus heutiger Sicht auffällig ist die Tatsache, dass der „Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 1796“ bei der Aufzählung von privaten Untertanen des Kaisers die „Gemeinden“ noch vor den einzelnen Personen erwähnt („Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“). Diese „Gemeinden nach bürgerlichem Recht“ erscheinen im Ur-Entwurf zum ABGB als die „wichtigeren“ privaten Untertanen. Die Kommunikations- und Informationsverhältnisse vergangener Jahrhunderte machen den Grund dafür deutlich: Der Herrscher hat es vorgezogen, seine Untertanen in „Hundertschaften“ anzusprechen, weil damals nur die jeweilige Gemeinschaft der Nachbarn, eben die „Gemeinde“, für die politische Führung wirklich greifbar war: Steuern wurden „gemeindeweise“ erhoben; Kriegslasten wurden „gemeindeweise“ auferlegt usw. Nicht einmal die Größe solcher „Gemeinden“ wurde in der älteren Zeit nach der Anzahl der Einwohner erhoben. Maßgeblich war die Anzahl der Häuser und Höfe, die Anzahl der „Feuerstätten“. Was wir heute als „Volkszählung“ veranstalten, war in der älteren Zeit die „Feuerstättenzählung“ – im heutigen Tirol erstmals nachgewiesen um das Jahr 1310. Die zweite fand um das Jahr 1420 statt.

Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ war über Jahrhunderte die wichtigste Erscheinungsform der juristischen Person nach Privatrecht. Als solche war die „Gemeinde“ schon im historischen Griechenland als „polis“ und im römischen Rechtskreis unter der Bezeichnung „communitas“, „vicus“ oder „colonia“ anerkannt. Nach dem „gemeinen Recht des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ war die „Gemeinde“ ein Verband von Personen, die sich zur Förderung eines erlaubten, die Mitglieder selbst überdauernden Zweckes zusammengeschlossen hatten. Im Jahr 1784 hat das Tiroler Guberium, die oberste Verwaltungsstelle im Land, Folgendes klargestellt: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluss anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z. B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ Diese Definition enthält alles, was nach heutigem Rechtsverständnis eine Agrargemeinschaft ausmacht: Gemeinschaftliches Liegenschaftsvermögen, nutzungsberechtigte Stammsitze und eine planmäßige gemeinsame Wirtschaft.

WIRTSCHAFTSGEMEINDE UND ABGB

Fünf Jahre nachdem der „Ur-Entwurf“ zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch fertig gestellt war, nahm eine neue Hofkommission in Gesetzessachen im Dezember 1801 die Beratungen über die im Begutachtungsverfahren erstatteten Einwendungen auf. Der Ur-Entwurf hatte am Beginn des Sachenrechts folgende Regelung zum Eigentum der Wirtschaftsgemeinde enthalten: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Das oberösterreichische und das niederösterreichische Appellationsgericht sowie die Universität Prag hatten für die Beratungen der Hofkommission zur Überarbeitung des Gesetzesentwurfes den Einwand erhoben, dass an den „Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitglied der Gemeinde der Gebrauch zustehe“.

Was die zwei Appellationsgerichte und die Universität Prag zum Ur-Entwurf des ABGB anzumerken hatten, ist jedoch eine Selbstverständlichkeit. Man muss nur die Mehrfachbedeutung des Gemeindebegriffes zu lesen wissen. Wirtschaftsgemeinden existierten innerhalb einer Einwohnergemeinde grundsätzlich so viele, wie verschiedene Eigentümergruppen vorhanden sind. Dazu folgendes Beispiel: Wenn in Lermoos vier gemeinschaftliche Wald- und Almgebiete bestehen, von denen das erste nur von den Obergarter Feuerstätten genutzt wird, das zweite nur von den Untergartern, das dritte nur von den „Dorf-Lermoosern“ und das vierte, der „Schober-Häselgör-Wald“, von allen Feuerstattbesitzern, nämlich den Obergartern, den Untergartern und den „Dorf-Lermoosern“ gemeinschaftlich, dann existieren in Lermoos vier „Wirtschaftsgemeinden“. Jeder Lermooser Stammsitzeigentümer ist bei zweien davon beteiligt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass nicht jeder Einwohner von Lermoos an den Liegenschaften der vier Wirtschaftsgemeinden beteiligt war. Dies aus einem ganz einfachen Grund: Nur weil jemand in Lermoos seinen Wohnsitz nimmt, erwirbt er noch keine Mitberechtigung an einem dort befindlichen Vermögen. Ein Schmied, der sich im Jahr 1799 in Dorf Lermoos niedergelassen hatte, hat dadurch kein Weiderecht auf der Duftlalm der Lermooser erworben und genauso wenig ein Holzbezugsrecht im „Schober-Häselgör-Wald“. Und wenn dieser Schmied ein Jahr später nach Untergarten übersiedelt wäre, hätte er auch durch diesen Schritt kein Weiderecht und auch kein Holzbezugsrecht erworben – weder in Untergarten, noch in Obergarten. Wenn die beiden Appellationsgerichte und die Universität Prag deshalb daran erinnerten, dass „von Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitglied der Gemeinde der Gebrauch zustehe“, so legten diese den Begriff einer „Einwohnergemeinde“ zu Grunde, während der Gesetzestext eine Wirtschaftsgemeinde voraussetzt. Nicht jeder Einwohner ist nutzungsberechtigtes Mitglied der Wirtschaftsgemeinde, aber jeder Nutzungsberechtigte ist Mitglied der Wirtschaftsgemeinde.

Den Verfassern des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches war der Unterschied zwischen einer Einwohnergemeinde und der Wirtschaftsgemeinde offensichtlich bewusst. Ungeachtet der zitierten Anmerkungen der beiden Appellationsgerichte und der Universität zum Ur-Entwurf wurde folgender Gesetzestext formuliert: „Auf gleiche Weise machen Sachen, welche nach der Landesverfassung zum Gebrauch eines jeden Mitgliedes einer Gemeinde dienen, das Gemeindegut; diejenigen aber, deren Einkünfte zur Bestreitung der Gemeindeauslagen bestimmt sind, das Gemeindevermögen aus“ – die heute noch geltende Fassung des § 288 ABGB. Das federführende Mitglied der Hofkommission, Franz von Zeiller, verweist in seinem Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus den 1810er Jahren auf die jeweils lokalen Rechtsordnungen in den verschiedenen Kronländern. Im Gesetz selbst ist dagegen nicht geregelt worden, wer von den Gemeindeeinwohnern ein Nutzungsrecht und damit eine Mitgliedschaft hat. Vielmehr ist es der Sache nach bei dem geblieben, was schon der Ur-Entwurf vorgesehen hatte: Es wurden die Rechtsverhältnisse der privaten Wirtschaftsgemeinden definiert. „Gemeindegut“ ist danach jenes Vermögen, das ein Mitglied der Wirtschaftsgemeinde nutzen darf, weil nur die Nutzungsberechtigten Mitglieder dieser Wirtschaftsgemeinde sein können. Anders ausgedrückt: Man ist Mitglied der Wirtschaftsgemeinde, weil man mitberechtigt ist. Oder: Nur die jeweils Nutzungsberechtigten sind in der jeweiligen Wirtschaftsgemeinde zusammengeschlossen. Dies unabhängig davon, wer sonst in der betreffenden Katastralgemeinde aufhältig ist, wer dort wohnt und dort seinen Lebensmittelpunkt errichtet hat. Die Wirtschaftsgemeinde und die Einwohnergemeinde sind verschiedene Paar Schuhe!

VERWECHSLUNG LEICHT GEMACHT

Und damit ist zurück zukommen auf den eingangs zitierten Bericht des Dr. Josef Kopp, den dieser im Jahr 1878 den Niederösterreichischen Landtag erstattet hat. Josef Kopp war freilich nicht der erste, der dieses Phänomen bemerkt und analysiert hatte.

Carl Peyrer, der Altmeister des Österreichischen Agrarrechts, hatte in seiner Abhandlung „Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse“ bereits ein Jahr zuvor gesetzliche Maßnahmen gefordert. Den Grund für den Handlungsbedarf des Gesetzgebers sieht er in größter Unklarheit und Verwirrung, verbunden mit Sorglosigkeit, wenn es sich darum handelte, „die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher, einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“

Peyrer, der als k.k. Ministerialrat im Ackerbau-Ministerium aufgrund seiner umfangreichen beruflichen Tätigkeit tiefgehende Einblicke in die damaligen agrarischen Verhältnisse in den diversen Österreichischen Ländern besaß, nennt dafür verschiedene Beispiele:
Die „Tabellen zur Land- und Forstwirtschaft des Königreiches Böhmen“, würden den so wichtigen Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsvermögen gar nicht kennen; beide Kategorien würden gemeinsam unter der Bezeichnung „Gemeindegründe“ geführt.
Selbst das „Statistische Jahrbuch des Ackerbauministeriums“ 1874 (zweites Heft über Forststatistik) lasse den Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftswaldungen kaum erkennen; nach dem Inhalt dieses „Statistischen Jahrbuches 1874“ würden in Kärnten nur „Reichsforste“ oder „Privatwälder“ existieren – die Kategorie „Gemeindewälder“ sei dort nicht vorgesehen; alle „Nachbarschaftswaldungen“ seien danach in Kärnten den „Privatwaldungen“ gleichgestellt.
Im „Küstenlande und in Dalmatien“ seinen dagegen alle gemeinschaftlich benutzten Gründe als „Gemeinde-Eigentum“ ausgewiesen – selbst die gemeinschaftlichen Weiden wären als „Gemeindeweiden“ eingetragen. Dies in krassem Gegensatz zu den Verhältnisse in Krain, wo aufgrund von Erhebungen durch den Landesausschuss sowie von Seiten der Regierung in den Jahren 1869 und 1870 die Überzeugung gewonnen wurde, dass die gemeinschaftlich benutzten Hutweiden kein Gemeindevermögen, sondern ein Gemeinschaftsvermögen bilden würden.
In der Bukowina hätten laut Bericht von Peyrer Servituten-Ablösungs-Vorgänge stattgefunden, wo die Ablösungsflächen als Ergebnis von Grundlasten-Verhandlungen „nominell an die Gemeinden“ zugeschrieben wurden. Peyrer bemerkt dazu, dass die Berechtigten nicht die Absicht gehabt haben konnten, ihre privaten Nutzungsrechte zugunsten der [Orts-]Gemeinde aufzugeben, was schon daraus ersichtlich sei, dass die einzelnen Berechtigten in den Äquivalenzwaldungen ihre Holznutzungsrechte ausübten. Die Gemeindevorsteher, ebenfalls Servitutsberechtigte, hätten nicht den mindesten Versuch unternommen, das Ablösungs-Äquivalent der Servitutsberechtigten als ein Gemeinde-Eigentum zu behandeln, somit andere Gemeindeglieder als die ursprünglich abgelösten, zum Genusse zuzulassen. Als aber neue Ansiedler gleichen Genuss am „Gemeindevermögen“ verlangten, entstand Streit, „ob der Wald nach dem Wortlaut der Urkunden den Gemeinden oder nach der offenbaren Willensmeinung aller Servitutsberechtigten, den Gemeinschaften der letzteren gehöre“.

Peyrer kommt schließlich auch auf Salzburg und Tirol zu sprechen und vergleicht diese mit den Problemfällen in der Bukowina: Wie in der Bukowina seinen auch in anderen Ländern, z.B. in Salzburg und Tirol, bei Forstregulierungen und Servitutenverhandlungen, „um das Geschäft leichter abzuwickeln“, die Ablösungs-Äquivalente nicht den Servitutsberechtigten, sondern nominell „der Gemeinde“ zugewiesen worden, „ohne dass diese Rechtsverhältnisse weiter klargestellt wurden“. Die Äquivalente waren nach der Summe der privatrechtlichen Nutzungsrechte der einzelnen servitutsberechtigten Güter berechnet und hätten daher selbstverständlich weder einen Überschuss für die Gemeinde, noch für andere, bisher nicht servitutsberechtigte Gemeindeglieder abgegeben. (Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 47 f).

Bereits im Jahr 1849 hatte Julius Weiske, Professor der Rechte an der Leipziger Juristenfakultät, eine umfangreiche Abhandlung zum Thema „Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder“ vorgelegt. Darin forderte er Verständnis für die Unterscheidung des fälschlich für Gemeindeeigentum angesehenen „Gemeindegutes“ vom wahren Eigentum der jeweiligen Ortsgemeinden. Julius Weiske:
„So wären denn die Gemeinden darüber aufzuklären, wie diese Güter entstanden sind, wie die jetzt bevorzugt erscheinenden Mitglieder die rechtlichen Nachfolger derer sind, welche die heute sog. Gemeindegüter ungeteilt ließen, um sie gemeinschaftlich oder nach bestimmt festgesetzten Anteilen für sich zu benutzen. Dabei muss man in Erwägung ziehen, dass die, welche diese Einrichtung trafen, ebenso gut jene Grundstücke hätten teilen und zu ihren Äckern oder Privatgütern schlagen können. Wäre dies geschehen, so würde heute niemand behaupten: Da wir jetzt alle wirkliche Gemeindeglieder, gleichberechtigt und gleich verpflichtet sind, so darf auch kein Mitglied ein größeres Gut oder mehr Wald als ein anderes haben.“

VERWECHLUNGSGEFAHR ERKANNT

Selbstverständlich war die Unsicherheit der historischen Praktiker und ihre mangelnde Fähigkeit, das uralte Gemeinschaftsvermögen vom Eigentum der modernen Ortsgemeinde zu unterscheiden, auch Gegenstand der späteren agrarbehördlichen Verfahren.
So entschied der Oberste Agrarsenat anhand eines Falles aus Niederösterreich das folgende:
„Die Gemeinde Isper dieses Protokolls von 1829 war als solche nicht ident mit dem Markt Isper. Dies bedeutet weiters, dass der Gemeindewald nicht ein Wald des Marktes Isper, sondern ein Wald der Gemeinde Isper = der 26 Urhausbesitzer war. Wobei noch hinzuzufügen ist, dass das Wort Gemeinde im älteren Sprachgebrauch die Bedeutung Realgemeinde = Gmoa = Gesamtheit der Urhausbesitzer hat, da es im Jahr 1829 Ortsgemeinden im heutigen Sinn noch nicht gegeben hat. Wenn man weiters im Protokoll liest, dass der restliche Wald „weiterhin Gemeindewaldung bleibt“, so kann dies nur heißen, dass sich der Rechtszustand bezüglich des restlichen Waldes gegenüber dem Rechtszustand vor der Teilung nicht geändert hat. Aus dem Protokoll vom Jahr 1829 ist daher nur das eine zu gewinnen, dass unter dem Begriff „Gemeinde“ die 26 Urhausbesitzer verstanden wurden und dass somit schon damals alle Merkmale für das Vorhandensein einer Agrargemeinschaft sprachen.“ (Obersten Agrarsenates 245-OAS/58 vom 6. August 1958)
„Aus dem Protokoll vom Jahr 1829 ist daher nur das eine zu gewinnen, dass unter dem Begriff „Gemeinde“ die 26 Urhausbesitzer verstanden wurden und dass somit schon damals alle Merkmale für das Vorhandensein einer Agrargemeinschaft sprachen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Grundbuchanlegungsprotokoll vom 13.4.1885 zu werten, dessen Angabe „Die Marktgemeinde Isper besitzt …“ nicht den Tatsachen entspricht, weil tatsächlich die Gemeinde Isper, bestehend aus den 26 Urhausbesitzern, Eigentümerin ist.“ (Obersten Agrarsenates vom 6. August 1958, ebendort)
„Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde – auch Ortsgemeinde genannt – zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit Gemeinde, Gmoa, Marktgemeinde oder Commune bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung nicht bewusst wurde, das FLG hat in § 36 und § 37 an diesen geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet.“ (Obersten Agrarsenates vom 6. August 1958, ebendort)

Nicht von ungefähr kommt es deshalb, dass der langjährige Leiter der Tiroler Agrarbehörde Dr. Albert Mair schon im Jahr 1958 im Zuge seiner Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ folgendes feststellte: „Bei der Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass daher die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ Diesem Standpunkt hat sich Anfang der 1980er Jahre die Tiroler Landesregierung angeschlossen und im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 folgendes zu den historischen Verhältnissen in Tirol vorgebracht: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“

AUCH VFGH KENNT MEHRERE „GEMEINDEN“

Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof in ebendiesem Erkenntnis VfSlg 9336/1982 seinerseits klar gestellt, dass der Begriff „Gemeinde“ auch für das Phänomen des Gemeinschaftseigentums als Organisationsform der Nutzungsberechtigten Verwendung finde, und dass das Flurverfassungsrecht dies voraussetze. Neben der Bezeichnung für die politischen Ortsgemeinde und deren Eigentum, dem Gemeindegut, würde der Begriff „Gemeinde“ zur Bezeichnung einer Gesellschaft (Realgenossenschaft), zusammengesetzt aus den Nutzungsberechtigten, verwendet. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Phänomen der Servitutenablösung hätte der Gesetzgeber den Begriff der „Gemeinde als Gesellschaft der Nutzungsberechtigten“ vorausgesetzt und im Flurverfassungsrecht berücksichtigt. Beide Phänomene, das Gemeindegut einerseits und das aus Servitutenablösung entstandene Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten, seien streng zu unterscheiden (VfGH Slg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung).

AUCH DER VWGH KENNT VERSCHIEDENE „GEMEINDEN“

Am 30.06.2011 spracht der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. Gleiches gilt für die Fälle von Grundstücken gem § 15 Abs. 1 lit. b Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951. „Gemeinde“ bedeutet in dieser Gesetzesbestimmung eine Gemeinschaftsorganisation der Nutzungsberechtigten. (VwGH VwSlg 18171 A/2011 vom 30.6.2011 Zl 2010/07/0091, 6.3.2)


SCHLUSSFOLGERUNG

Jede ernstzunehmende Analyse der wahren historischen Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften hat deshalb zu berücksichtigen, dass der Begriff „Gemeinde“ – insbesondere in älteren Urkunden und öffentlichen Registern nicht nur eine politische Ortsgemeinde bezeichnen kann, sondern vielfach auch „Gemeinden“ im Sinn von Gemeinschaften privater Miteigentümer.

Es gilt der Grundsatz: Je älter eine Rechtsquelle ist, desto wahrscheinlicher ist die Begriffsverwendung im Sinn einer Gemeinschaft von Privaten.

MP

Was ist ein „Gemeindegut“?

 

Der Begriff „Gemeindegut“ ist schillernd und bunt. Dies zeigt schon die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes. Im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 betonte der Gerichtshof unter Berufung auf systematische Zusammenhänge zwischen Gemeinderecht und Flurverfassungsrecht, dass ein „Gemeindegut“ ein Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde sein müsse; im Mieders-Erkenntnis aus dem Jahr 2008 VfSlg 18.446/2008 wurde dieser Standpunkt bekräftigt.
Ungeachtet dessen wies der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlg 19.262 vom 10.12.2010 darauf hin, dass der Begriff „Gemeindegut“ im historischen Tiroler Flurverfassungsrecht ein Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnete.

VfGH VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3: „[…] der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs 2 lit d des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.]) […]“.

Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, aaO 254: „In der Rechtspraxis wurden dagegen bis zu dieser höchstgerichtlichen Entscheidung [Anm VfSlg 9336/1982] auch jene Liegenschaften als „Gemeindegut“ bezeichnet und verstanden, bezüglich derer – in den Worten des VfGH (Slg 9336/1982) – „’die Gemeinde’ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist“. Dieses [Anm Gemeindegut] blieb als materielles Eigentum der „Realgemeinde“ in der Gesetzgebung und der Praxis der Agrarbehörden anerkannt.“

Der Begriff „Gemeindegut“ wurde im historischen Recht verwendet, um Eigentum der Agrargemeinschaft zu definieren. Dieser Rechtssatz, den der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 im Anschluss an Öhlinger definiert hat, gilt generell für das Flurverfassungsrecht und für das Gemeinderecht ab Inkrafttreten des BG über die Grundsätze der Flurverfassung (BGBl 1932/256) – jedenfalls bis zur Veröffentlichung des Erkenntnisses VfSlg 9336/1982, was sich anhand der Entwicklung des Gemeinderechts leicht beweisen lässt.

Besonders bemerkenswert ist die Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935) „Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932“, gerichtet an alle Landeshauptmannschaften (insbesondere diejenige für Tirol in Innsbruck) zu den legistischen Eckpunkten einer Abgrenzung des Gemeinderechts zum Flurverfassungsrecht:

„1.) Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.
2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.
3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

Rechtstexte müssen deshalb differenziert interpretiert werden, es ist im Einzelfall zu prüfen, ob mit dem Begriff „Gemeindegut“ ein Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnet werden sollte oder ein Eigentum einer Ortsgemeinde.

Dazu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 255, Zusammenfassung Pkt 5:
„Gemeindegut ist nicht gleich Gemeindegut. Wenn der VfGH nur das im Gemeinderecht so bezeichnete Vermögen einer Gemeinde als Gemeindegut gelten lässt (und dieses zu Recht als „wahres“ Eigentum der Gemeinde qualifiziert), so lässt sich eben nicht alles darunter subsumieren, was im Flurverfassungsrecht und in der Praxis der Agrarbehörden im 19.Jhdt., im 20. Jhdt. bis zum Erkenntnis Slg 9336/1982 und auch noch später so bezeichnet wurde. Ältere einschlägige Rechtstexte müssen in diesem differenzierten Sinn interpretiert werden.“

HISTORISCHE WURZELN DES GEMEINDEGUTSBEGRIFFES

Im „Codex Theresianus“, einem Gesetzesentwurf, der in den 1760er Jahren unter Kaiserin Maria Theresia für die Österreichischen Erbländer entstanden ist, findet sich eine rudimentäre Definition dessen, was sich die historischen Juristen unter „Gemeinde“ vorgestellt haben. Danach sollten „wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen“. Zu dieser „Gemeinde“, die aus mindestens drei Personen bestehen müsse, führt dieser Gesetzesentwurf weiter Folgendes aus:

„Der Gebrauch der Sachen, welche in dem Eigentum einer Gemeinde sind, ist entweder der Gemeinde selbst mit Ausschließung einzelner Mitglieder vorbehalten, oder allen einzelnen Mitgliedern derselben gemein.“ Zu den Sachen, die allen Mitgliedern dieser „Gemeinde“ gemeinschaftlich sind [= Gemeindegut], führt der Gesetzesentwurf weiter aus: „Zur anderen Gattung gehören gemeine Weiden, Wälder, Brunn- und Röhrwasser, Mühlen, Brauhäuser, Steinbrüche, Leim- oder Sandgruben, Bäder, Schießstätten, Luftgänge und dergleichen Sachen, deren Nutzen, Gebrauch oder Bequemlichkeit einzelnen Mitgliedern der Gemeinde entweder nach der bei derselben rechtmäßig eingeführten Ordnung, oder nach unseren Verleihungen und Verordnungen zusteht.“ Als Regelung, wie diese gemeinschaftliche Nutzung des „Gemeindeguts“ erfolgen solle, war Folgendes vorgesehen: „Doch hat sich bei dem Gebrauch derselben ein jeder also zu betragen, dass kein Anderer, dem solches gleichmäßig gebühret, hiervon ausgeschlossen, oder darinnen verhindert werde, sondern jeder menniglich sich in den geziemenden Schranken halte, und wo in dem Gebrauch eine Vorzüglichkeit gewisser Mitglieder vor anderen nach Ordnung der Gemeinde zustünde, dieselben hierinnen nicht beirre, noch sich in etwas eindringe oder dessen anmaße, wozu er nicht berechtigt ist.“
Ohne den Rechtsbegriff „Gemeindegut“ tatsächlich schon zu verwenden, beschreibt somit der unter Kaiserin Maria Theresia in den 1760er Jahren erstellte Gesetzesentwurf für ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, der „Codex Theresianus“, die Wirtschaftsgemeinde, die sich aus zumindest drei Personen zusammensetzen müsse und deren Eigentum. Dieses ist entweder der Gemeinschaft als solcher gewidmet (= Gemeindevermögen) oder der Nutzung durch die Mitglieder (= Gemeindegut).

In dieselbe Richtung ging eine vom Tiroler Gubernium aus dem Jahr 1784 überlieferte Definition der Gemeinde nach historischem Tiroler Landesrecht:

„In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weiden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Kassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z. B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“

Gemeindegut (= gemeinschaftlich genutzte Liegenschaften) und Gemeindevermögen (= die Gemeinschaftskassa) sind die Wesenselemente der historischen Wirtschaftsgemeinde. Spätestens mit dem Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1796 fand das Gegensatzpaar „Gemeindegut“ und „Gemeindevermögen“ im Zivilrecht Verwendung, um die Vermögensverhältnisse in der „Gemeinde“ im Sinn von „Wirtschaftsgemeinde der Nachbarn“ zu kategorisieren: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Die Unterscheidung zwischen Gemeindegut und Gemeindevermögen ist somit keine Schöpfung des politischen Gemeinderechts, das in Österreich seinen allgemein anerkannten Ausgang im provisorischen Gemeindegesetz des Jahres 1849 genommen hat. Vielmehr beruht diese Unterscheidung auf wesentlich älteren zivilrechtlichen Grundlagen. Geprägt wurde das Begriffspaar zur Darstellung der Rechtsverhältnisse in den historischen „Gemeinden nach bürgerlichem Recht“, einer uralten und in Vergessenheit geratenen juristischen Person nach Privatrecht, welche der historische Gesetzgeber des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1811 sozusagen vorgefunden und vorausgesetzt hat.

AGRARRECHTLICHES „GEMEINDEGUT“ 

Seit dem Jahr 1883 gibt es in den „österreichischen Ländern“ eine eigene reichsgesetzliche Regelung für das landwirtschaftlich genutzte Gemeinschaftseigentum, weil die unklaren Rechtsverhältnisse an diesen Gütern nach einer Regelung verlangten. Carl Peyrer, damals Ministerialrat im Ackerbauministerium, erläuterte dazu im Jahr 1877:
„Der Genossenschaftsbesitz und der Gemeindebesitz wurden in durchaus unklarer Weise durcheinander geworfen, sodass heute in den österreichischen Ländern hunderte von Quadratmeilen mit völlig unklaren und ungeregelten Eigentumsverhältnissen vorkommen und der Verwüstung der Gemeindewaldungen kaum Einhalt getan werden kann.“ An anderer Stelle: „Es darf heute nicht mehr als gleichgültig angesehen werden, dass es derzeit in den österreichischen Ländern Grundstücke gibt, deren Flächenmaß auf mehr als eine Million Hektar angeschlagen werden muss, in welchen entweder die Eigentumsrechte oder doch die Nutzungsrechte in einem solch unklaren, ungeordneten oder streitigen Zustande sich befinden, welcher mehr und mehr zu Störungen der Rechtsordnung führen muß“ (Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 1877).

Speziell im Niederösterreichischen Landtag hat man sich schon in den 1870er Jahren intensiv mit der Problematik der sogenannten „Gemeindegründe“ befasst. 1878 berichtete der Niederösterreichische Landesausschuss, die damalige Landesregierung, unter anderem Folgendes an den Landtag, Berichtsverfasser: Dr. Josef Kopp:
„Es fragt sich nun: Soll etwas geschehen und was soll geschehen?
Die erste Frage glaubt der Landesausschuss unbedingt bejahen zu sollen. Geschieht nichts, so muss der gegenwärtige keineswegs erquickliche Zustand immer unerquicklicher, die Unordnung und Unsicherheit immer schlimmer werden […]. Die Zivilgerichte können die verworrenen Knoten nicht lösen, […] da die zivilgerichtlichen Bestimmungen auf solche Zustände nicht berechnet sind, die Sache überhaupt nicht bloß vom zivilgerichtlichen, sondern auch vom wirtschaftlichen und administrativen Gesichtspunkte aus zu beurteilen ist. Der Landesausschuss findet in den wenigen einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnung nur ganz ungenügende Direktiven für sein Verhalten und sind diese Bestimmungen überhaupt einer Leuchte zu vergleichen, welche die Gegenstände nicht erhellt, sondern nur die tiefe Dunkelheit, in welche sie gehüllt sind, erst recht erkennen lässt.“

In Konsequenz forderte der Niederösterreichische Landtag das Einschreiten des Reichsgesetzgebers in Wien, der Sonderbehörden und eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen sollte, anhand derer die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegründen“ entwirrt werden könnten. Die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegründen“ sollten nicht mehr von den Zivilgerichten und nicht ausschließlich anhand des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches entschieden werden.

Das Ergebnis dieser von Niederösterreich, aber auch von Ländern wie Kärnten und Böhmen ausgehenden Bemühungen um neuartige Behörden und neuartige Gesetze zur „reformatorischen Gestaltung der Rechtsverhältnisse an agrarisch genutztem Grund und Boden“, waren die sogenannten „drei agrarischen Reichsgesetze“, die 1883 im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates debattiert wurden. Die Verhältnisse in Niederösterreich hatten Dr. Josef Kopp, Mitglied der damaligen Niederösterreichischen Landesregierung und Abgeordneter im Reichsrat, am 22. Februar 1883 zu folgender Äußerung veranlasst: „Ich kann den Herren versichern, dass im Lande Niederösterreich vielleicht augenblicklich kein Gesetz so notwendig ist und so sehr gewünscht und tagtäglich von den Gemeinden erbeten wird, als das vorliegende. Die Verwirrung und der Streit haben bereits eine ganz unerträgliche Höhe erreicht; […] kurz es ist eine geordnete Gemeindewirtschaft bei den bisherigen Zuständen gar nicht möglich. […] Denn selbst wenn man […] sich im Landesausschuss bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, nämlich die Ingerenz [= Zuständigkeit] der Gerichte, die in keiner Weise ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir […] dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“

Kräftige Unterstützung erhielt die Forderung nach einem Sonderrecht für die „Gemeindegründe“ auch aus dem damaligen Königreich Böhmen. Die Grundentlastungsmaßnahmen Mitte des 19. Jh. hatten zahlreiche Personen, die ursprünglich auf fremdem Eigentum lebten, zu Grundbesitzern und damit zu Steuerzahlern gemacht. Als Steuerzahler besaßen sie nunmehr auch das Wahlrecht zur Gemeindevertretung. Dadurch entstanden große Konflikte mit jenem Bevölkerungsteil, der schon immer versteuerten Grundbesitz besessen hatte und die „Gemeindegründe“ als „Gemeinschaftsgründe“ für sich in Anspruch nahm. Karl Cizek berichtet in seiner Schrift „Der Streit um die Gemeinde-Gründe“ aus dem Jahr 1879 von einer im Kronland Böhmen verbreiteten Praxis, wonach die jeweiligen Gemeinschaften der Ur-Hausbesitzer die neue politische Gemeinde beim allgemeinen Zivilgericht verklagt haben und mit ihrer Forderung nach Eigentumsanerkennung ausnahmslos durchdrangen. Nach abgeschlossenem Gerichtsverfahren hat man die Liegenschaften regelmäßig aufgeteilt. Landtag und Landesausschuss von Böhmen verlangten deshalb vehement nach einem Sonderrecht und nach Sonderbehörden. Auch der Landtag von Kärnten hatte wegen der Notwendigkeit einer Regelung der dortigen Nachbarschaftsgründe die Regierung aufgefordert, im Wege der Reichs- und sodann der Landesgesetzgebung Vorsorge zu treffen. Aus Kärntner Sicht stand im Vordergrund, „dass das vorhandene gemeinschaftliche Vermögen (zumeist Hutweiden, Waldungen und Alpen) endlich einmal eine Vertretung und Verwaltung erhalte“. Diese sollte nicht mehr nach den für solche Gemeinschaften „unzureichenden Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“ erfolgen und diese sollte in die Lage versetzt werden, „die Substanz des Vermögens vor Übergriffen zu wahren, welche sich eine Minorität, manchmal auch eine Majorität zu Schulden kommen lässt, dass überhaupt Ordnung in die Verwaltung und in den Besitzstand gebracht werde“.

REAKTION DES REICHSGESETZGEBERS

Im Februar des Jahres 1880 hatte die Reichsregierung die von verschiedenen Ländern vehement geforderten „drei agrarischen Reichgesetze“ im Herrenhaus des Österreichischen Reichsrates eingebracht. Die Erläuternden Bemerkungen der Regierung zum dritten dieser Gesetzesvorlagen, das war der „Gesetzentwurf betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse“, geben einen tiefen Einblick in das Verständnis des historischen Gesetzgebers vom Begriff „Gemeindegut“.
Dieser Gesetzgeber hatte sich erst wenige Jahre zuvor mit dem modernen Gemeinderecht grundlegend auseinandergesetzt; dieser Gesetzgeber hatte das Reichsgemeindegesetz von 1862 geschaffen und mit einheitlichen Gesetzesanträgen für Landesgemeindegesetze an alle Landtage der damaligen Kronländer, eine grundsätzlich einheitliche Rechtsgrundlage für die heutigen Ortsgemeinden geschaffen. Den Gemeinschaftsbesitz betreffend regeln diese Landesgemeindegesetze aus den Jahren 1863 bis 1866 einheitlich das Folgende: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.

Zum Entwurf des Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetzes führen die Erläuternden Bemerkungen unter anderem Folgendes aus:
Die Bestimmung des § 1 Z 2 des Entwurfes [Anmerkung: betreffend „Gemeindegut“] haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben. In der alten Agrargemeinde stand bekanntlich die Teilnahme an der Nutzung des unverteilten Teiles der Gemeindemark (Allmende, gemeine Mark) den Markgenossen, das ist den Besitzern der markberechtigten Hofstätten, zu; dieser `Gemeindenutzen´ wurde anderen Ortsbewohnern, welche keine berechtigten Hofstätten besaßen, nur im Wege der Gestattung und häufig gegen eine bestimmte jährliche Gebühr eingeräumt. Die Markgenossen waren zugleich die Träger des Gesamtrechtes der Gemeinde, welches sich nicht nur in dem Eigentume und der berechtigten Benützung der gemeinen Mark, sondern auch in der Aufteilung und Handhabung der gemeinschaftlichen Wirtschaftsordnung (Flurzwang), und in der periodischen Weidegemeinschaft auf den unverteilten Feldern der Dorfmark äußerte. Andererseits hatten sie aber auch die Verpflichtung, für die Lasten der Gemeinde durch Beiträge aufzukommen, insoweit diese Lasten nicht unmittelbar aus Erträgnissen der gemeinen Mark überhaupt oder durch die Widmung einzelner Teile derselben zu bestimmten Zwecken gedeckt werden konnten. Zugleich übte die Markgenossenversammlung, teils selbst, teils durch ihre Beamten, die Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Polizei aus. Die alte Markgemeinde war also eine privatwirtschaftliche und zugleich öffentlich-rechtliche Gemeinschaft. Allmählich und namentlich durch den Einfluss des römischen Rechtes mit seiner scharfen Sonderung des Privatrechtes vom öffentlichen Rechte, ging die öffentlich-rechtliche Seite verloren, während zugleich durch die Vermehrung der Bevölkerung, den Zuzug städtischer Elemente und infolge der Entwicklung von Handel und Gewerbe neben den Elementen der alten privatwirtschaftlichen Gemeinde die weitere, moderne, die Gesamtheit der Ortseinwohner umfassende Gemeinde erblühte. […] Aus dem sich hieraus naturgemäß ergebenden Zwiespalte zwischen diesen, des ursprünglichen Charakters und ihrer früheren inneren Organisation entkleideten Überresten der alten Agrargemeinde einerseits und den anderen Elementen der modernen Gemeinde andererseits, sind die verschiedensten Resultate erwachsen, je nach der größeren oder geringeren Nachgiebigkeit dieser berechtigten Gemeinschaften gegen die Ansprüche anderer auf Mitbenützung des Gemeingutes, nach dem Maße und der Dauer ihres Einflusses in der Gemeindevertretung und nach der größeren oder geringeren Sorgfalt überhaupt, welche zugunsten der Gemeinschaft oder der erweiterten Gemeinde bei katastral- und grundbücherlichen Eintragungen und bei anderen Anlässen angewandt wurde.“

Der Reichsregierung war somit aufgrund von Erhebungen in allen Kronländern bewusst, dass ein Teilungs- und Regulierungsgesetz unterschiedlichen Verhältnissen in den verschiedenen Ländern gerecht zu werden hatte. Der Reichsgesetzgeber wollte sich deshalb auf grundsätzliche Bestimmungen beschränken, welche der eigentümlichen Natur der hierbei in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse entsprechen, „und zwar insbesondere wegen des engen Zusammenhangs dieser Verhältnisse mit der Gemeindeverfassung und dem Gemeindehaushalt“ und weil „immer auch Rücksichten der Bodenkultur im Auge behalten werden müssen, welche von Land zu Land mehr oder weniger differieren“.

Folgende hier wesentliche Grundsätze für das neue Recht werden bereits in den Erläuternden Bemerkungen der Reichsregierung vom Februar 1880 klargestellt:
Die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (XIV. Hauptstück) würden für die Regelung und Teilung der „Gemeindegründe“ nicht passen, weil die im Bürgerlichen Gesetzbuche behandelten Gemeinschaften mit Rücksicht auf ihre Entstehung (§ 825 ABGB) rein privatrechtlicher Natur sind, während die Nachbarschaften und ähnliche Gemeinschaften nach Ursprung und Entwicklung auch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts zu beurteilen seien. „Es muss also tatsächlich auch diesem letzteren Momente angemessene Rechnung getragen werden, wenn eine sachgemäße Normierung der Verhältnisse dieser Gemeinschaften erzielt werden soll, eine Normierung, welche geeignet ist, einerseits die eigenen wirtschaftlichen Interessen dieser Gemeinschaften und die rationelle Benützung von Grund und Boden im Allgemeinen zu heben, andererseits eine definitive Auseinandersetzung der fallweise mit der neuen politischen Gemeinde als solchen, oder mit gewissen Mitgliedern derselben (Häusler und dergleichen) schwebenden Differenzen, sowie eine endgültige Regelung der mit den Berechtigungen verbundenen Verpflichtungen herbeizuführen“.
Die Ausführungsgesetze, die in die Kompetenz die Landesgesetzgebung fallen, sollten zugleich auch die Rückwirkung der neuen Bestimmungen auf jene Normen der Gemeindeordnung feststellen, „welche die Benützung und allfällige Aufteilung des in Rede stehenden Grundbesitzes betreffen“. Schließlich stellt die Reichsregierung klar, dass bei der „Auseinandersetzung der Verhältnisse im Betreff der in Rede stehenden gemeinschaftlichen Grundstücke“ es immer eine Hauptfrage bilden würde, ob denn die Grundstücke tatsächlich agrargemeinschaftliche Grundstücke wären und bejahendenfalls, „wer daran eigentums- und nutzungsberechtigt sei“. Entscheiden sollten diese Fragen alleine die neuen Behörden, „in welchen die privat- und die öffentlich-rechtlichen Momente auf gleich angemessene Würdigung rechnen können“ und welche einen billigen Vergleich herbeiführen sollten, der insbesondere zu einer definitiven Bereinigung der Sachlage führt.

BERATUNGEN IM ABGEORDNETENHAUS IM JAHR 1883

Nach Beratung im Herrenhaus wurden die Gesetzesentwürfe an das Abgeordnetenhaus weitergereicht. Der dort eingesetzte „Commassionsausschuss“ legte am 31. Oktober 1882 dem Abgeordnetenhaus seinen Bericht vor. Darin gehen die gewählten Abgeordneten, denen die Streitigkeiten um die „Gemeindegründe“ unter den Nägeln brannten, zur Sache: Die agrargemeinschaftlichen Grundstücke seien solche, die – abgesehen von Dalmatien – sich „in allen österreichischen Ländern als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung ‚Gemeindegut‘, bald unter der Bezeichnung ‚Gemeingut‘ erhalten haben und bei welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden.
Die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse seien „nicht bloß von Land zu Land, sondern von Fall zu Fall so verschieden und unklar und ihre Verwaltung so ungeregelt und wüst, dass es schon die höchste Zeit ist, diesen Mißständen ein Ziel zu setzen.“
An anderer Stelle: „Es wird von gut unterrichteter Seite behauptet, dass es noch mehr als eine Million Hektar sogenannter Gemeindehutweiden und Gemeindewaldungen gibt, bei denen die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse unklar und strittig sind und deren Verwaltung eine ungeregelte und wüste ist.“
In allen Gemeindeordnungen aus den Jahren 1883 bis 1866, so der Ausschussbericht weiter, finde sich wohl die Bestimmung, dass die privatrechtlichen Verhältnisse und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde ungeändert zu bleiben haben; allein mit diesem Satze werden die Streitfragen nicht gelöst, noch weniger wird das Verhältnis der Genossenschaft zur Gemeinde richtig gestellt. „Die weiteren Bestimmungen der Gemeindeordnungen, dass in Bezug auf die Teilnahme an den Erträgnissen und Nutzungen des Gemeindeeigentums und auf das Maß derselben sich nach der bisherigen unangefochtenen Übung zu benehmen ist, sind eben auch nicht geeignet in die bekanntlich äußerst verworrenen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse, Klarheit und Ordnung zu bringen, noch weniger aber geeignet, eine rationelle Verwaltung und die möglichst große Rentabilität herbeizuführen.

Am 22. Februar 1883 fand im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates eine umfangreiche Debatte über das Teilungs- Regulierungs-Reichsgesetz statt, deren Ablauf in den stenographischen Protokollen akribisch nachgewiesen ist. Die verschiedenen Debattenbeiträge lassen erkennen, dass alle jene Fragen, die seit dem Erkenntnis des VfGH vom 1. März 1982 Slg 9336/1982 wieder zu Streitfragen im Flurverfassungsrecht gemacht wurden, nicht nur in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage von 1880 und im Bericht des Commassionsausschusses von 1882 klar beantwortet wurden, sondern dass genau diese Fragen auch Gegenstand der Debatte im Abgeordnetenhaus waren und jeweils eindeutig beantwortet wurden. Mit Erkenntnis vom 1. März 1982 Slg 9336/1982 hat der Verfassungsgerichtshof tief in das Flurverfassungsrecht eingegriffen. Dies mit der Behauptung, dass das Gemeinderecht des Jahres 1849 das „Gemeindegut“ zum Eigentum der Ortsgemeinde gestempelt hätte, einem Umstand, an welchem die späteren Gemeindeordnungen nichts mehr geändert hätten. Kraft Gemeinderecht sei das Gemeindegut zwingend Eigentum der Ortsgemeinde. Insoweit das Flurverfassungsrecht dieses behauptete Eigentum der Ortsgemeinde, eben das „Gemeindegut“, wie eine gewöhnliche Agrargemeinschaft behandle, sei dies verfassungswidrig.

UNZULÄNGLICHES GEMEINDERECHT 

Das stenographische Protokoll der Debatte vom 22. Februar 1883 zeigt, dass genau diese Frage diskutiert und gerade nicht im Sinn der Behauptungen aus dem Jahr 1982 verstanden wurde.
So erklärte sich der Vertreter der kaiserlichen Regierung Anton Freiherr von Rinaldini, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221, dass nach Ansicht der Reichsregierung die vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuelle Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend seien. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, sei ungemein schwierig zu lösen, der Sache nach und im Blick darauf, welche staatliche Instanz entscheidungsbefugt sei.
Die Abgeordneten Dr. Josef Kopp, Mitglied des Niederösterreichischen Landesausschusses und Dr. Johann Žák, Berichterstatter des Commassionsausschusses und Mitglied des Böhmischen Landesausschusses, schlossen sich diesen Ausführungen vollumfänglich an.
Dr. Johann Žák: „Man hat sehr oft vollen Grund, sich über die Entscheidungen des Landesausschusses und der Gerichte namentlich darüber zu wundern, wem das strittige Vermögen zugewiesen wurde. Wenn wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder der Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Was die Gemeindeordnungen und insbesondere die böhmische Gemeindeordnung betrifft, so kann ich in der Tat sagen, dass ich in derselben fast gar keine Anhaltspunkte für die Entscheidung dieser Frage finde. Wenn man sich auf die bisherige unangefochtene Übung beruft und nach dieser entscheidet, so ist das ganz gewiss eine ganz hinfällige Basis.“

Als Zwischenergebnis ist folgendes festzustellen: Die Behauptung, dass das Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse an einem „Gemeindegut“ zwingend geregelt hätte, ist eine haltlose Erfindung der Verfassungsgerichtshofes, die den historischen Tatsachen, insbesondere dem erklärten Willen des Gesetzgebers, nämlich dem historischen Gesetzgeber des Gemeinderechts und demjenigen des Flurverfassungsrechts (damals: Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz) offen widerspricht.

BEGRIFFSVERSTÄNDNIS DES GESETZGEBERS

Das TRRG 1883 und die dazu ergangenen Ausführungsgesetze definierten den Begriff „Gemeindegut“ jedenfalls nicht mit Blick auf die Eigentumsverhältnisse. Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit der Commassionsbehörden nach dem Zuständigkeitstatbestand „Gemeindegut“ war vielmehr der Umstand, dass eine Liegenschaft der agrargemeinschaftlichen Benützung „nach Maßgabe der Gemeindeordnung“ unterlag. Weil das Flurverfassungsrecht in der Frage der Zuständigkeit bei den faktischen Benützungsverhältnissen anknüpfte, war die Rechtsgrundlage der gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe der Gemeindeordnung nicht weiter zu hinterfragen. Denkbar sind jedenfalls zwei Varianten: Die Gemeinschaft der Teilgenossen (= Agrargemeinschaftsmitglieder) hat stillschweigend oder ausdrücklich entschieden, die Gemeindeordnung als lex contractus zur Verwaltung der Liegenschaft anzuwenden oder die Gemeindeordnung war ex lege anzuwenden, weil die Liegenschaft im (wahren) Eigentum der politischen Ortsgemeinde stand.
Welche von beiden Varianten im Einzelfall tatsächlich vorgelegen hat, entschied sich im Verfahren erst mit der Klärung der Eigentumsfrage. Diese Entscheidung war jedoch nicht Ausgangspunkt, sondern möglicher Endpunkt der agrarischen Operation. Die aus heutiger Sicht wesentliche Abgrenzung zwischen historischem Genossenschaftsvermögen (= im Eigentum der Agrargemeinschaft), welches in Anwendung der Gemeindeordnung verwaltet wurde und deshalb mit Blick auf das Erk VfSlg 9336/1982 zu Unrecht als „Gemeindegut“ erfasst wurde, und dem Gemeindegut als Eigentum der heutigen Ortsgemeinde war aus der Sicht der historischen Agrarbehörde bei der Einleitung des Verfahrens ohne Belang. Die Agrarbehörden waren zur Reorganisation der agrargemeinschaftlichen Besitz- und Benützungsverhältnisse an jedweder Erscheinungsform von agrargemeinschaftlicher Liegenschaft zuständig.

Nach dem klaren Willen des Reichsgesetzgebers 1883 sollten alle Arten von agrargemeinschaftlichen Liegenschaften der agrarbehördlichen Zuständigkeit unterliegen, sei es hinsichtlich der Regelung der Nutzungsrechte oder hinsichtlich der Klärung der Eigentumsverhältnisse. Gerade letztere Kompetenz war dem Reichsgesetzgeber ein besonderes Anliegen, weil die politisch heikle Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern der „alten Agrargemeinde“ und der „neuen Ortsgemeinde“ nicht den Zivilgerichten überlassen werden sollte. Eine als „Gemeindegut“ in die Kompetenz der Agrarbehörde einbezogene Liegenschaft war somit aus der Sicht des Reichsgesetzgebers grundsätzlich nicht anders zu behandeln als andere agrargemeinschaftliche Grundstücke: Es waren die Nutzungsrechte zu regulieren, es war die Verwaltung zu regeln und zu entscheiden, wem die betreffende Liegenschaft wirklich gehörte. Die (angeblich) undifferenzierte Einbeziehung des Gemeindegutes in die agrarischen Operationen war (und ist) eine formale , weil das Ergebnis der „Operation“ nicht im Gesetz präjudiziert ist. Die gebotene Differenzierung ergibt sich als Ergebnis des Verfahrens.

ERGÄNZUNG DER GEMEINDEORDNUNG

Das TRRG 1883 wollte der Ausführungsgesetzgebung einen rechtlichen Gestaltungsrahmen eröffnen, der wegen der zivilrechtlichen Implikationen der agrarischen Operationen für notwendig erachtet wurde . Für den Fall des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegutes wurde davon nicht vollständig Gebrauch gemacht. Mit Ausnahme von Kärnten enthielten nämlich sämtliche TRLGs der Jahre 1883 bis 1921 auffällige Einschränkungen der agrarbehördlichen Entscheidungsbefugnis : Im Fall der Regulierung von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut sollte die Regulierung der Verwaltungsrechte nur insofern stattfinden, als die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaft nicht schon durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt war, oder insofern innerhalb der letzterwähnten Regelungen noch besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung notwendig erkannt wurden .

Die Landesgesetze der Jahre 1884 bis 1921 – wiederum mit Ausnahme Kärntens, wo das Phänomen des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindeguts nicht existierte – hatten die Regulierung der Verwaltungsrechte und damit die körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft im Fall von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut somit gar nicht zugelassen. Die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften betreffend waren vielmehr lediglich nötige Ergänzungen der Gemeindeordnung zu verordnen. Anstatt Agrargemeinschaften an agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut körperschaftlich einzurichten und über die Eigentumsverhältnisse daran zu entscheiden, hatten die Behörden der Bodenreform eine zu unterstellende Verordnungsermächtigung genutzt und die Gemeindeordnung für den konkreten Fall ergänzt.

Auf der Grundlage des § 3 Abs 2 Tiroler TRLG 1909 wurden beispielsweise mit Generalakt vom 15. September 1928 der Agrarbezirksbehörde Innsbruck Zl 228/50 für den „Schwendauer–Wald“ „Normen der Verwaltung“ erlassen, welche als derartige „Ergänzung der Regelungen der Gemeindeordnung“ verstanden werden müssen. Es wurde ein „Fraktionsausschuss von Schwendau“, eingerichtet, der den „Schwendauer-Wald“ nach den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnung 1866 zum Gemeindegut zu verwalten hatte. In den 13 Absätzen umfassenden „Normen für die Verwaltung“ wurde (nach dem Wortlaut des Behördenaktes) in Ergänzung der Gemeinde-Ordnung ua angeordnet, dass der „Fraktionsausschuss“ (der Ortsgemeinde Schwendau) als „durchführende Organe“ einen Obmann, einen Obmann-Stellvertreter und einen Kassier aus dem Kreis der „Teilgenossen“ zu wählen hat; es wurde ein Geschäftsführungs- (und Vertretungsbereich) dieser Organe definiert, die Aufsicht durch den Fraktionsausschuss geregelt und ein Beschwerderecht gegen dessen Entscheidung an die Agrarbehörde vorgesehen . In Ermangelung der körperschaftlichen Einrichtung der Agrargemeinschaft bestand keine Grundlage, über die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zu entscheiden.

Insoweit die Verwaltung agrargemeinschaftlicher Liegenschaften deshalb bereits „durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt“ war, sollte es im zeitlichen Geltungsbereich der TRLGs 1884 bis 1921 dabei bleiben; die Verwaltung der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft wurde durch eine generelle Norm, welche die Gemeindeordnung für die spezielle Ortsgemeinde ergänzte, geregelt. Für diesen speziellen Bereich der Gemeindeverwaltung war die Agrarbehörde Aufsichtsbehörde über den Selbstverwaltungskörper Ortsgemeinde.

Sowohl die Motive als auch die praktischen Auswirkungen dieser gesetzlichen Regelung, für welche sich in den Ausführungsgesetzen zum FlVerfGG 1932 kein Gegenstück mehr findet, wären allemal einer eigenständigen Untersuchung wert. Im Ergebnis wurden mit diesen Gesetzesbestimmungen in den TRLGs 1884 bis 1921 die faktisch bestehenden Verhältnisse legitimiert, wenn privates Gemeinschaftsvermögen in den Organen der neuen politischen Ortsgemeinden verwaltet wurde. Bei einer Interpretation von Behördenakten aus dem zeitlichen Geltungsbereich der TRLGs ist dieser Rechtszustand jedenfalls zu beachten.

RECHTSANSICHTEN ZUM EIGENTUM AM GEMEINDEGUT

Als Ergebnis knapp vierjähriger systematischer Untersuchungen der Rechtsverhältnisse an den historischen Gemeinschaftsliegenschaften in den NÖ Gemeinden, hatte der Landesausschuss bereits 1878 dem Landtag einen Bericht und darauf aufbauend Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung vorgelegt. Dieser Bericht mündete im Antrag an den Reichsgesetzgeber, weil aus kompetenzrechtlichen Gründen ein Landesgesetz in Ermangelung von Landeskompetenzen auf dem Gebiet des Zivilrechtes als Verfassungsbruch erachtet wurde. Der Ausschussbericht trifft jedoch grundsätzliche Feststellungen zu den Rechtsverhältnissen an den „Gemeindegründen“ und legt die rechtspolitischen Motive der damals verantwortlichen Akteure offen. Zwei wesentliche Textpassagen seien deshalb hier wörtlich wiedergegeben, einmal die „Rechtfertigung“ dafür, das Eigentum der Nutzungsberechtigten an den „Gemeindegründen“ anzuerkennen, zum anderen die „Rechtfertigung“ dafür, diese Personengruppe trotzdem im Interesse geordneter Gemeindefinanzen und des sozialen Friedens in die Pflicht zu nehmen.

Der Bericht des NÖ Landesausschusses aus dem Jahr 1878 geht davon aus, dass die agrarische Operation betreffend die Gemeinschaftsliegenschaften im Regelfall aufgrund von Übereinkommen geschehen sollte. Nur für den Fall, dass kein Einvernehmen zu erzielen und die Eigentumsfrage durch die Behörde im Streitfall zu entscheiden wäre, gibt dieser Bericht eine Lösung vor:

„Wie man immer über den rechtlichen Ursprung der Besitz- und Nutzungsrechte denken mag, wenn selbst entgegen der Geschichte angenommen werden sollte, daß zu irgendwelcher Zeit ein Raub an der Gemeinde begangen wurde, so ist doch so viel gewiß, daß die Personen, welche ein solches Gemeindeeigenthum derzeit besitzen oder Nutzungen davon beziehen, vielleicht immer, jedenfalls in der ungeheuren Mehrzahl den guten Glauben für sich in Anspruch nehmen können. Mag auch ihre Rechtsanschauung eine irrige sein, sie besteht nun einmal und fordert Schonung; dazu kommt, daß bei allen Erbtheilungen und Erbschaftsübernahmen, bei allen Käufen, kurz bei jedem Uebergange eines Bauerngutes an einen anderen Besitzer der sogenannte Gemeindenutzen als ein Zugehör des Gutes in Anschlag gebracht und bei Käufen der Kaufpreis mit Rücksicht hierauf bemessen wurde. Würde man also den jetzigen Besitzern diesen Gemeindenutzen entziehen, oder verlangen, daß sie ihn neu erwerben, so würde wieder in den überwiegend meisten Fällen der jetzige Besitzer unverschuldet zu Schaden kommen. Es ist ferner eine erwiesene Thatsache, dass Gemeindegründe gewöhnlich zu der Zeit, da sie in Parcellen den Nachbarn zur Benützung zugewiesen wurden, unfruchbar oder doch nicht urbar waren; Sumpfboden und Steinhalden wurden erst, seit sie der Privatwirtschaft der Nachbarn übergeben wurden, durch ihren Fleiß cultivirt und sind jetzt werthvolles Besitzthum. Mit welchem Rechte könnte man diese Objecte, welche erst durch die jetzigen Besitzer und ihre Vorfahren werthvoll gemacht wurden, ihnen wieder entziehen? Mindestens müsste die Gemeinde die Meliorationskosten ersetzen. Welche Erhebungen wären da nothwendig, welche Processe würden entstehen und wie könnte die Gemeinde die zu ersetzenden Kosten auftreiben, und was wäre schließlich das Resultat? Daß die Gründe entweder wieder verkauft oder unter der Verwaltung der Gemeinde wieder deteriorirt würden.
Der Landesausschuß schlägt daher vor, den Personen, welche factisch die Nutzungen von einem Gemeindegute bezogen haben, dasselbe in das freie Eigenthum zuzuweisen. Diese Zuweisung soll aber in der Art geschehen, daß die neuen Eigenthümer namentlich bezeichnet werden. Die schon in obiger Darstellung erwähnten Fälle, in welchen nicht bestimmte Personen, sondern die jeweiligen Besitzer gewisser Wirtschaften als Eigentümer grundbücherlich eingetragen wurden, müssen schon mit Rücksicht auf die freie Theilbarkeit von Grund und Boden vermieden werden.“

ZWISCHENERGEBNIS:

Ein „Gemeindegut“ war somit nach dem Willen des historischen Gesetzgebers gerade kein Eigentum der Ortsgemeinde. Vielmehr hat der historische Gesetzgeber des Flurverfassungsrechts im Gemeindegut ein Gut gesehen, in welchem sich die Rechtsverhältnisse eines viel älteren Nachbarschaftsvermögens fortsetzten. Wie sich die Rechtsverhältnisse im konkreten Einzelfall darstellten und künftig darstellen sollten, das sei jedoch erst zu klären. Dies in einem eigenen Verfahren, heute „agrarische Operation“ genannt, und von neuen Commassionsbehörden, heute „Agrarbehörden“ genannt. Erst als Ergebnis einer solchen „agrarischen Operation“ (Teilung oder Regulierung), stünde fest, wem wirklich was gehört und wem nicht!

„GEMEINDEGUT“ UND REFORMBEDARF

Auch die Frage, wie und weshalb die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“ geklärt werden müssen, wurde am 22. Februar des Jahres 1883 im Wiener Reichsrat ausführlich diskutiert.
Beispielsweise äußerte sich der Regierungsvertreter Anton Freiherr von Rinaldini, damals Ministerialrat, später Sektionschef im Ackerbauministerium, im Zuge der Debatte folgendermaßen: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst dem so genannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut, einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, die vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuell, wo eine solche nicht besteht, Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß inhaltlich schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden“.

Dr. Johann Žák, Vorsitzender des Commassionsausschusses, Mitglied des Böhmischen Landtages und Mitglied im Böhmischen Landesausschuss, schloss sich diesen Ausführungen an: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.

Auf den Punkt gebracht hat die Problematik der Abgeordnete Dr. Josef Kopp , Mitglied des Niederösterreichischen Landtages und Mitglied im Landesausschuss, mit folgender Wortmeldung: „Denn selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschuss bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz [= Zuständigkeit] der Gerichte in keiner Weise ausgeschlossen ist. So kommt es, dass derjenige, der mit dem Zustande unzufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach den hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen – kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.

Seit das Flurverfassungsrecht im Jahr 1909 in Tirol Einzug hielt (TRLG 1909 vom 19. Juni 1909 LGBl 61/1909), haben die Tiroler Agrarjuristen den Begriff „Gemeindegut“ im Sinn dieses traditionellen Verständnisses des Reichsgesetzgebers angewandt. Der historische Rechtsgesetzgeber hat im Jahr 1862 die Grundlagen des heutigen Gemeinderechts geschaffen; derselbe Gesetzgeber hat 1883 das Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz 1883, die „Mutter des Österreichischen Agrarrechts“, geschaffen. Auf den Grundsatzentscheidungen des Reichsgesetzgebers hat der Tiroler Landesgesetzgeber und haben die Tiroler Agrarbehörden aufgebaut. Ein „Gemeindegut“ war danach ein Liegenschaftsvermögen, dessen Eigentumsverhältnisse anhand der Rechtsverhältnisse im jeweiligen Land von der Agrarbehörde rechtskräftig zu entscheiden waren.

„GEMEINDEGUT“ WAR GEMEINSCHAFTSGUT

Von den zahllosen Entscheidungen der Agrarbehörde, in denen der Begriff „Gemeindegut“ zur Bezeichnung eines Guts im Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde, sei nur eine hervorgehoben, die sich in belehrender Absicht mit der Geschichte des „Tiroler Gemeindeguts“ auseinandersetzt. Der Bescheid stammt vom legendären Tiroler Agrarbehördenleiter Dr. Albert Mair.

In diesem Zusammenhang scheint im Interesse der Information der am Regulierungsverfahren Beteiligten eine kurze Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Gemeindegutes von Nöten, womit der Nachweis erbracht wird, dass den Gemeinden, die bislang die Stellung einer treuhändischen Verwaltung des Gemeindegutes zur Sicherung der Nutzungsansprüche der Beteiligten hatten, nichts entzogen wird, was sie bisher unbeschränkt in ihrem Eigentum besessen hätten. Nach Erlass XXXVI ‚Regulierung der Tiroler Forstangelegenheiten‘, kundgemacht in der Provinzialgesetzessammlung für Tirol und Vorarlberg vom Jahr 1847, Seite 253, wurde bewilligt, dass die künftig den Untertanen vorbehaltenen, in den landesfürstlichen Staatswaldungen zustehenden Holzbezugsrechte durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden, denen sie angehören, abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden, die im Jahre 1847 noch nicht körperschaftlich eingerichtet waren, wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten verstanden.“ (Bescheid vom 12. Dezember 1962 III B1-1768/9, Regulierung des Gemeindegutes von Fügen, Dr. Albert Mair)

SCHLUSSFOLGERUNG

Unter dem Begriff „Gemeindegut“ wurde vom Beginn der Österreichischen Agrargesetzgebung im Jahr 1883 an ein Gut verstanden, das demjenigen gehört, der im Commassionsverfahren (heute: agrarische Operation) rechtskräftig als Eigentümer festgestellt wird.

Erst der Verfassungsgerichtshof hat mit seinen Erkenntnissen die falsche Rechtsauffassung etabliert, dass ein „Gemeinde- bzw. Fraktionsgut“ nur ein Eigentum der Ortsgemeinde sein könne. Diese Rechtsauffassung steht dem Willen des historischen Gesetzgebers sowohl des Gemeinderechts als auch des Flurverfassungsrechts diametral entgegen. Diese Rechtsauffassung steht am Beginn des aktuellen Agrarstreits. Und der Bundesgesetzgeber hat bis heute nie die Mühe auf sich genommen, die Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse VfSlg 9336/1982 und schon früher VfSlg 5669/1968 einer kritischen Würdigung zu unterziehen.

Obwohl der Verfassungsgerichtshof kein Gesetz ändern darf, hat man in Tirol dessen Thesen vom wahren Eigentum der Gemeinde am Gemeindegut übernommen und versucht, schon im Dezember 1983 das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz mehr schlecht als recht anzupassen (LG vom 16. Dezember 1983 LGBl 18/1984, TFLG-Novelle 1984). Unberührt blieben freilich die zahllosen historischen Bescheide, die nach der alten Rechtslage ein Eigentum der Agrargemeinschaft als ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ bezeichneten. Und aus diesem Grund ist es auch ganz verkehrt, wenn in Tirol heute ein „atypisches Gemeindegut“ danach identifiziert wird, dass nur geprüft wird, ob die historische Agrarbehörde von einem „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ ausgegangen ist.

MP

Die Regulierung des Gemeindeguts

DER SCHACHZUG DES VERFASSUNGSGERICHTS

Bereits in älteren Erkenntnissen hatte der Österreichische Verfassungsgerichtshof im Blick auf das Gemeinschaftsvermögen der Stammliegenschaftsbesitzer schwer nachvollziehbare Rechtspositionen eingenommen. Zu verweisen ist beispielsweise auf das Erkenntnis VfSlg 5666/1968 vom 4. März 1968, wo eine naive Sichtweise der Unterinstanzen auf einen angeblichen Okkupationsakt der Ortsgemeinde im Zuge der Grundbuchanlegung fortgeschrieben wurde! Bei der Grundbuchanlegung sei der heutigen politischen Ortsgemeinde das Eigentumsrecht zugestanden worden? Von wem und Kraft welchen Eigentumstitels, wird nicht erörtert!

„Wie […] von der Behörde festgestellt wurde, hat die frühere Realgemeinde im Jahr 1832 durch einen Vergleich mit dem Ärar die Liegenschaft mit den Lasten, also den Nutzungsrechten der Realgemeindemitglieder übernommen. Diese Art Realgemeinde hatte verschiedene Lasten zu tragen (Wegerhaltung, Armenfürsorge usw). Als nun die politische Gemeinde an die Stelle der Realgemeinde trat, hat die politische Gemeinde diese Lasten übernommen. Die politische Gemeinde beanspruchte deshalb im Allgemeinen das Eigentum an diesen gemeinschaftlich genutzten Liegenschaften. Bei der Grundbuchanlegung wurde daher den Gemeinden das Eigentum zugestanden, in den Gemeindeordnungen aber hinsichtlich der Nutzungen die bisher unangefochtene Übung aufrechterhalten. …“ (VfSlg 5666/1968 vom 4. März 1968)

Die naheliegende Klarstellung, dass Gemeinderecht gerade keinen Rechtstitel für die Enteignung der alten Wirtschaftsgemeinschaften enthalten hat, wurde unterlassen (§ 26 prov. GemG 1849 sowie die §§ 11 resp 12 der Ausführungsgesetze zum RGG 1862). Genauso wurde der Hinweis unterlassen, dass im Zuge der Grundbuchanlegung die alten Wirtschaftsgemeinschaften schon in Ermangelung einer Rechtsgrundlage für ihre Konstituierung als Agrargemeinschaften immer wieder mit den neuen Ortsgemeinden verwechselt wurden (vgl etwa Oberster Agrarsenat, 245-OAS/58 Agrargemeinschaft Commune Markt Ysper. In diesem Erkenntnbis wird klar gestellt wird, dass man sich bei der Grundbuchsanlegung vielfach der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung nicht bewusst wurde, weshalb es zur Anschreibung von Eigentum der alten Wirtschaftsgemeinden als Eigentum der Ortsgemeinden kam).

Schlag gegen das Gemeinschaftseigentum

Den entscheidenden Schlag gegen das Gemeinschaftseigentum setzte der VfGH mit dem Erkenntnis VfSlg 9336/1982, indem er das Recht der politischen Ortsgemeinde als Deckmantel heranzog, das gesamte Gemeinschaftseigentum der alten Wirtschaftsgemeinden als Eigentum der neuen Ortsgemeinden hinzustellen, sofern das betreffende Gut in Verwaltung der Ortsgemeinde steht. In diesen Fällen wird nämlich ein „Gemeindegut“ vorausgesetzt und dieses sei – so der VfGH – zwingend ein Eigentum der politischen Ortsgemeinde.

Der VfGH, VfSlg 9336/1982, Pkt III. 1. (Abs 4) der Begründung: „[…] Was nämlich zum Gemeindegut iS der nach dem Reichsgemeindegesetz 1862 erlassenen Gemeindeordnungen geworden ist, wurde damit – bei allem Vorbehalt überkommener Nutzungsrechte – wahres Eigentum der neuen (politischen) Gemeinde, die übrigens auch verschiedene Lasten übernommen hatte, von denen früher die Realgemeinde betroffen gewesen war.“
Diese Behauptung, wonach die Gemeindeordnungen aus den 1860er Jahren die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut abschließend als Eigentum der Ortsgemeinde geregelt hätten und dass diese Rechtslage im Jahr 1982 noch Relevanz gehabt hätte, ist grundfalsch: Die auf der Grundlage der geltenden Verfassung von 1920 idF 1929 (Art 12 Bundes-Verfassungsgesetz B-VG) gestalteten heutigen Gemeindeordnungen wurden ausgeblendet. Die Rechtstatsache, dass die Gemeindeordnungen der Länder ab dem Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 das in agrargemeinschaftlicher Nutzung stehende Gemeindegut der Kompetenz der Agrarbehörden zur (reformatorischen) Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zuweisen, wurde nicht einmal angesprochen. Die das Erk tragende falsche Behauptung, dass die Gemeindeordnungen das Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde definieren würden, steht im offenen Widerspruch mit Art 12 B-VG.

WARUM ENTSCHEIDET NUR DIE AGRARBEHÖRDE ÜBER AGRARGEMEINSCHAFTLICHES GEMEINDEGUT?

Der Begriff „Gemeindegut“ im Tiroler Landesrecht

1) Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 2010 (erstmals) richtig festgestellt, dass „Gemeindegut“ (auch) ein Eigentum einer Agrargemeinschaft sein könne. (Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlf 19.262/2010: „[…] der Bescheid […] durchaus auch dahin ausgelegt werden [könnte], dass die bescheiderlassende Behörde auf den in §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.])“ (VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3 Abs 1 der Begründung vom 10.12.2010)
Nach dem Gesetzesverständnis des VfGH-Erk Slg. 19.262/2010 bedeutete sohin „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“) im Tiroler Flurverfassungsgesetz 1935 Eigentum einer Agrargemeinschaft.

2) Die Tiroler Landesregierung erklärte im Gesetzesprüfungsverfahren VfGH Slg 9336/1982 den Begriff „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“), wie dieser vom Tiroler Landesgesetzgeber im Tiroler Flurverfassungsgesetz bis Anfang der 80er Jahre verwendet wurde, nämlich als wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft:

„Für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende haben sich eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet […]. Sie gelten heute als Agrargemeinschaften. In vielen Gemeinden war jedoch die Gemeinde als solche, nämlich die alte so genannte “Realgemeinde“ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen. Dafür wurde dann der Begriff Gemeindegut verwendet.“ […] „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ „Die historischen Zufälligkeiten einer rein tatsächlichen Vorgehensweise dürfen nicht einseitig gesehen werden, weil dann das Gegenteil dessen erreicht werden würde, wozu der Gleichheitssatz verpflichtet, nämlich gleichgelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln. So gesehen scheinen die in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen dem Gleichheitssatz nicht zu widersprechen. Sie bedeuten insbesondere nicht eine gleichheitswidrige Einbeziehung des Gemeindeguts in eine auf bestehende agrarische Gemeinschaften abgestellte Regelung. Mit diesem Vorwurf wird übersehen, dass die Gemeinde hinsichtlich des Gemeindegutes eben nicht als (politische) Gemeinde auftritt, sondern mangels einer eigenen rechtlichen Verfassung der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft ex lege bildet. […]
(Amt der Tiroler Landesregierung, Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren, VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung)

Die Tiroler Landesregierung hat somit im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 einen spezifischen „Gemeindegutsbegriff“ des Tiroler Landesgesetzgebers erklärt: In Tirol und nach Tiroler Landesgesetz (zuständiger Ausführungsgesetzgeber gem Art 12 B-VG) wurde der Begriff „Gemeindegut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht verwendet, um Agrargemeinschaften in Gemeindeverwaltung zu charakterisieren, entstanden aufgrund des Chaos der Tiroler Grundbuchanlegung: Die Tiroler Landesregierung zu dieser Problematik Anfang der 1980er Jahre im Verfahren VfSlg 9336/1982: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ „Die historischen Zufälligkeiten einer rein tatsächlichen Vorgehensweise dürfen nicht einseitig gesehen werden, weil dann das Gegenteil dessen erreicht werden würde, wozu der Gleichheitssatz verpflichtet, nämlich gleichgelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln.“

Vgl auch: Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012):
Das Problem der unklaren Differenzierung zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsgütern gab es in nahezu allen Kronländern im späten 19. Jahrhundert, in Böhmen xliii (Karl Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsgerichtliche Studie, Prag 1879, zu den damaligen Verhältnissen in Böhmen) und Niederösterreich xliv (Bericht des NÖ Landesausschusses an den Niederösterreichischen Landtag vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode), in Kärnten, in Küstenland und Dalmatien, in der Bukowina, in Salzburg und Tirol. xlv (Kohl, Gemeinde- oder Gemeinschaftsgut, 3 ff). Auf dringendes Insistieren der Landtage insbesondere von Niederösterreich und Kärnten hat der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 auf diesen Missstand reagiert und mit dem Reichsrahmengesetz vom 7. Juni 1883, RGBl. Nr. 94, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der darauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte einen rechtlichen Rahmen für die reformatorische Gestaltung der Rechtsverhältnisse am Gemeinschaftseigentum in agrargemeinschaftlicher Nutzung geschaffen.“

3) Auch der Landesagrarsenat Tirol, der als weitere Landesbehörde zuständig für den Vollzug des Tiroler (!) Flurverfassungsrechts ist, erläuterte eine Begriffsverwendung für „Gemeindegut“ im TFLG im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft:
Da die Nutzung des Gemeindegutes rechtshistorisch gesehen aus der gemeinschaftlichen Allmendnutzung hervorgegangen ist, ist […] das Eigentum der Rechtsnachfolgerin der auf Gewohnheitsrecht beruhenden Realgemeinde, nämlich der körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft, einzuräumen.“
(LAS Tirol vom 5.8.1969 LAS-104/17 (Gemeindegut Trins, Regulierung) unter dem Vorsitz des späteren Richters am Verfassungsgerichtshof, Dr. Andreas Saxer)

4) Der Verfassungsgerichtshof hat im grundlegenden Erkenntnis Slg 9336/1982 dieses andere Bild des Begriffes „Gemeindegut“ im Tiroler Landesgesetz bis 1982 (!) hervorgehoben und zum Anlass seines Einschreitens genommen:
„Dieses – im gemeinderechtlichen Befund (angeblich) nicht gedeckte – Bild der Bodenreformgesetze ist es, von dem auch die Tir. Landesregierung in ihrer Äußerung ausgeht; sie verkennt dabei allerdings, daß man bei diesem Bild nicht haltmachen darf, sondern auf die Regelungen des Gemeinderechtes zurückgreifen und die Auswirkung der mangelnden Übereinstimmung untersuchen muß.“
(VfSlg 9336/1982 Pkt III. 2. Abs 1)
Der Verfassungsgerichtshof hat somit schon im Jahr 1982 klar gestellt, dass im Tiroler Flurverfassungsrecht der Terminus „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“) bis zum Eingriff des VfGH im Wege des Erk Slg 9336/1982 im Sinn von wahrem Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde.

Tiroler Gemeinderecht und Tiroler Flurverfassungsrecht

5) Der Tiroler Landesgesetzgeber hat am 26. April 1935 eine Neufassung der Gemeindeordnung beschlossen und am 06. Juni 1935 das Tiroler Flurverfassungs- Landesgesetz. Gegen die Neufassung der Gemeindeordnung hatte das Landwirtschaftsministerium Einwendungen erhoben, welche durch das Bundeskanzleramt an den Landeshauptmann in Tirol herangetragen wurden. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden: Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert, ausdrücklich auszunehmen.

Das BKA Verfassungsdienst:

Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.“
(Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, Note an den Landeshauptmann in Tirol, „Abschrift der Abschrift“ (1. August 1935)

In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“
[Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, An die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck.]

In Konsequenz dieser Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst. Geändert wurden die §§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935, 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935, 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935, 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935, 140 TGO 1935, 164 letzter Satz TGO 1935, Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36.

Die Tiroler Gemeindeordnung wurde angepasst

§ 79: „Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“
§ 114 Abs 3: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“
§ 117: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“
§ 120 Abs 2: „(1) Die Nutzungsrechte haften an der Liegenschaft und können im Allgemeinen nur mit dieser rechtsgültig übertragen werden. (2) Für die ausnahmsweise Übertragung von Nutzungsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“
„Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“

6) Die heutigen Ortsgemeinden wurden nach Wiedererrichtung der Republik Österreich im Jahr 1945 wieder hergestellt (Gesetz vom 10. Juli 1945 über die vorläufige Neuordnung des Gemeinderechts (vorläufiges Gemeindegesetz – VGemG), Staatsgesetzblatt 1945/66).

Gem Art 1. VGemG galt: Das Gesetz vom 5. März 1862, RGBl Nr 18 (Reichsgemeindegesetz), alle Gemeindeordnungen und Gemeindewahlordnungen sowie die sonstigen auf dem Gebiete der Gemeindeverfassung erlassenen Vorschriften (Gemeindestatute, Stadtrechte) werden in dem Umfange, in dem sie vor Einführung der dt Gemeindeordnung in den österreichischen Ländern in Kraft gestanden sind, nach Maßgabe der folgenden Artikel wieder in Wirksamkeit gesetzt. Art 2. (1) Von der Inkraftsetzung nach Art 1 sind diejenigen Bestimmungen ausgenommen, die mit den seit der Wiedererrichtung der Republik erlassenen verfassungsrechtlichen oder sonstigen Vorschriften in Widerspruch stehen. […].

Damit wurden 1945 jene Regelungen der Tiroler Gemeindeordnung 1935, mit welchen das Tiroler Gemeinderecht im Jahr 1935 der Bundesverfassung 1920 und dem gem Art 12 B-VG vom Bund in Kraft gesetzten Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst wurde, mit Stichtag 15.Juli 1945 (Stichtag des Inkrafttretens des VGemG 1945) wieder geltendes Recht in Tirol.

Was war ein „Gemeindegut“ in Tirol?

In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf zu verweisen, welche Liegenschaften die Tiroler Vollzugsbehörde für die agrarischen Operationen gem Art 12 B-VG, das Amt der Tiroler Landesregierung, als „Gemeindegut“ bzw Fraktionsgut“ beurteilt hat: Das aus der Tiroler Forstregulierung 1847 hervorgegangene Eigentum der Tiroler Stammliegenschaftsbesitzer, welches im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung rechtsirrig auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ einverleibt wurde.

Dezeniumsbericht 1949 bis 1958, III b1 vom 28. Juli 1959, „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde“:
„Die tiefere Wurzel der auf dem Gebiet der tirolischen bäuerlichen Nutzungsrechte an den Gemeinde- und Fraktionswäldern in Österreich einzigartigen kritischen und komplizierten Situation ist auf die falsche Auslegung der Waldzuweisung aus dem Jahre 1847 zurück zuführen. Die kaiserliche Waldzuweisung wollte eindeutig den Bäuerlichen alten Wirtschafts- und Realgemeinden die Waldungen zu besitz und Nutzung zuweisen und man hat trotz dieses klaren Gesetzeswillens durch die spätere Gemeindegesetzregelung in einer völlig falschen rechtlichen Beurteilung und Auslegung des Waldzuweisungspatentes diese Wirtschaftsgemeinden mit den erst nach der Waldzuweisung 1847 entstandenen politischen gemeinden und diesen politischen gemeinden grundbücherlich dann auch in den meisten Fällen das Eigentum am agrargemeinschaftlichen Gut einverleibt.“

Während der Bericht vom 28. Juli 1959 von „Waldzuweisung 1847“ spricht, hat die neueste Forschung freilich hervorgebracht, dass in den Jahren 1847 bis 1849 in ganz Nordtirol eine Forstservitutenablösung durchgeführt wurde, sohin die ganze Maßnahme ein entgeltliches Rechtsgeschäft war, im Zuge dessen ca 100.000 ha Staatsforste „holzbezugsfrei“ gestellt wurden. Wie jüngst Roman Sandgruber klargestellt hatte, ist die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ der Tiroler Forstservituten-Ablösung jedenfalls eine „Gemeinde der Nutzungsberechtigten“. Dies hat auch der Verfassungsgerichtshof bereits im Jahr 1982 am Beispiel der Servitutenablösung in Salzburg klar gestellt.

Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012):
„xxxiv Der Befund, den Kohl/Oberhofer, Gemeinschaftsgut und Einzeleigentum, 36, bezüglich der Forstservituten-Ablösungskommission geben, trifft sicher zu: „Für die Tiroler Forstregulierung von 1847 lässt sich schlüssig nachweisen, dass ortschafts- und gemeindeweise die Anzahl der berechtigten Liegenschaften erhoben wurde und dieser geschlossenen Anzahl von Berechtigten (der holzbezugsberechtigten Gemeinde als solcher) Gemeinschaftseigentum übertragen wurde. Damit ist klar, dass die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ der Tiroler Forstregulierung 1847 eine private war, eine „moralische Person“ gem §§ 26 f ABGB. Die Gemeinde der Tiroler Forstregulierung 1847 war keine öffentlich-rechtliche „Staatseinrichtung“, insbesondere keine Rechtsvorgängerin der politischen Ortsgemeinde. Das gemeinschaftliche Eigentum war die Gegenleistung für eine genau definierte Anzahl an Nutzungsrechten genau bestimmter Güter bzw. Feuerstätten.“ “.

Vgl VfGH Slg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung, wo ausdrücklich anerkannt wurde, dass ein Gut, das als Ablöseleistung aus einer Servitutenregulierung hervorgegangen ist, nur ein Gemeinschaftseigentum der abgelösten Nutzungsberechtigten als Gemeinschaft sein kann; diese Gemeinschaften wurden auch „Gemeinde“ genannt!
„Das Gemeindegut wird in beiden zu prüfenden Bestimmungen neben den … Grundstücken genannt, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten (statt den Servitutsberechtigten als Einzeleigentümer) einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Nutzung und gemeinsamen Besitz abgetreten worden sind.“ Es „ist daher die … Erscheinung, dass `die Gemeinde´ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, […] von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, […]“ – weshalb das Gemeindegut von den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften, die aus Servitutenablösung herstammen, streng zu trennen ist. Ausführlich dazu Pernthaler, Die Rechtsnatur der Agrargemeinschaften, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 258 ff;

Aus der Tiroler Forstregulierung 1847, insbesondere der Forst-Servitutenablösung 1847, ist sohin tatsächlich Eigentum der Stammliegenschaftsbesitzer hervorgegangen, wie der „Dezeniumsbericht der Agrarbehörde von 1959 klar stellt. Und die Tiroler Grundbuchanlegung hat tatsächlich systematisch Gemeinschaftseigentum falsch als Gemeindeeigentum erfasst. Auch dieser Umstand, bei dem die Agrarbehörde im Dezeniumsbericht vom 28.Juli 1959 für den Tiroler Begriff des Gemeindegutes in Tirol anknüpft, wird von der neuesten Forschung uneingeschränkt bestätigt.

Zuletzt: Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012): „Das Problem der unklaren Differenzierung zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsgütern gab es in nahezu allen Kronländern im späten 19. Jahrhundert, in Böhmen xliii (Karl Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsgerichtliche Studie, Prag 1879, zu den damaligen Verhältnissen in Böhmen) und Niederösterreich xliv (Bericht des NÖ Landesausschusses an den Niederösterreichischen Landtag vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode), in Kärnten, in Küstenland und Dalmatien, in der Bukowina, in Salzburg und Tirol. xlv (Kohl, Gemeinde- oder Gemeinschaftsgut, 3 ff). Auf dringendes Insistieren der Landtage insbesondere von Niederösterreich und Kärnten hat der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 auf diesen Missstand reagiert und mit dem Reichsrahmengesetz vom 7. Juni 1883, RGBl. Nr. 94, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der darauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte einen rechtlichen Rahmen für die reformatorische Gestaltung der Rechtsverhältnisse am Gemeinschaftseigentum in agrargemeinschaftlicher Nutzung geschaffen.“

Gemeindegut war in Tirol niemals ein Eigentum der Ortsgemeinden

7) Die Klarstellungen des Tiroler Gemeindegesetzgebers vom 10.7.1935 zu denjenigen Teilen des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bildeten (bzw bilden), können deshalb keinesfalls als materiell verfassungswidrig hingestellt werden: Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hat vielmehr die Klarstellung vollzogen, dass in Tirol tatsächlich seit jeher jene Teile des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bildeten, Eigentum einer Agrargemeinschaft waren, weil dieses Eigentum nur wegen falscher Grundbucheintragungen in die Gemeindekompetenz einbezogen wurde. Diese Feststellung ist im Übrigen eine reine Tatsachenfeststellung zu faktischen Verhältnissen in Tirol und dazu, wie der Tiroler Gemeindegesetzgeber am 10.Juli 1935 auf diese reagiert hat. Mit allgemeinen gemeinderechtlichen Überlegungen, die der Verfassungsgerichtshof im Erk 9336/1982 anstellte, hat das nichts zu tun. Das Gemeindegut im Allgemeinen, dh jenes welches keine Agrargemeinschaft im Sinn der Flurverfassung darstellte, war und blieb Eigentum der Ortsgemeinde. Diese Unterscheidung zu ziehen, war jedenfalls Kompetenz des Tiroler Gemeindegesetzgebers!

8) Der Tiroler Gemeindegesetzgeber des Jahres 1949 (TGO 1949 LG vom 31. März 1949, LGBl 1949/24) hat die hier maßgeblichen Regelungen der der TGO 1935 zusammengefasst und die Herausnahme derjenigen Teile des „Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft im Sinn der Flurverfassung bilden“ aus dem Gemeinderecht wie folgt gesetzestechnisch umgesetzt: „§ 82 TGO 1949. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ Dieser Gesetzesinhalt wurde bis zur heute geltenden Gemeindeordnung fortgeführt: TGO 1966 LGBl 1966/4: „§ 85 TGO 1966. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ TGO 2001 LGBl 2001/36: „§ 74 TGO 2001. Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

ZUSAMMENFASSUNG

Die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes in den Erkenntnissen VfSlg 9336/1982 und 18.446/2008, wonach die Gemeindeordnungen – bekanntlich Landesrecht! – das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinden definiert hätten, ist grundfalsch. Dies jedenfalls für Tirol, weil das Tiroler Gemeinderecht wie es im Jahr 1982 gegolten hat, ausdrücklich anordnete, dass gerade nicht das Gemeinderecht maßgebliche Rechtsgrundlage für das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ sei, sondern ausschließlich das Flurverfassungsrecht!

Das Tiroler Flurverfassungsrecht bestimmt dazu, dass ein „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ein Gut mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen ist und dass erst nach rechtskräftiger Entscheidung der Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse geklärt ist, wem dieses wirklich gehört.

MP

Was ist ein „atypisches Gemeindegut“?

Die Regulierungen vieler Tiroler Agrargemeinschaften sei offenkundig verfassungswidrig gewesen – so die derzeit herrschende Auffassung. Tatsächlich hat der Verfassungsgerichtshof solches anhand eines Sachverhalts, der zur Agrargemeinschaft Mieders festgestellt wurde, so vorausgesetzt. Dies mit Erkenntnis vom 11. Juni 2008. Die Ortsgemeinde hätte einen Rechtsanspruch auf das Eigentum gehabt, weshalb die historische Entscheidung der Agrarbehörde, wonach ein Eigentum einer Agrargemeinschaft vorliege, „offenkundig verfassungswidrig“ war. Auch Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse muss man jedoch zu lesen wissen. Und gerade beim so genannten „Mieders-Erkenntnis“ von 2008 ist besondere Sorgfalt angesagt. Der Punkt ist, dass der Gerichtshof in diesem Erkenntnis gerade nicht geprüft hat, ob die Ortsgemeinde Mieders jemals wahre Eigentümerin war oder ob die Ortsgemeinde Mieders lediglich als Eigentümerin angesehen wurde. Diese Frage wurde im „Mieders-Erkenntnis“ und in dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren nie aufgeworfen und nicht geklärt. Wörtlich stellte der Verfassungsgerichtshof dazu im „Mieders-Erkenntnis“ vom 11. Juni 2008 fest: „Es war in keinem Verfahrensstadium davon die Rede, dass es sich etwa nicht um Gemeindegut gehandelt habe (war doch die Gemeinde, aber nicht die Summe von Nutzungsberechtigten als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen)“. Was nicht Gegenstand des Verfahrens war, brauchte der Gerichtshof (natürlich) nicht zu prüfen.

„GEMEINDEGUT“ ODER „GEMEINDEGUT“?

Die Tiroler Agrargemeinschaften haben auf diesen klarstellenden Hinweis im „Mieders-Erkenntnis“ reagiert. Als die Agrargemeinschaft Unterlangkampfen im April 2010 als „atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft“ beurteilt war, wurde in der Beschwerde dagegen an den Verfassungsgerichtshof geltend gemacht, dass das Regulierungsgebiet niemals ein wahres Eigentum einer Ortsgemeinde war. Die irreführende Eigentümeretikette „Fraktion Unterlangkampfen der Gemeinde Langkampfen“ im Grundbuch sei im Sinne von „Nachbarschaft der Gemeinde Langkampfen“ zu verstehen. Die Etikettierung könne ein Jahrhunderte altes Nachbarschaftsgut nicht in ein Staatsgut verwandeln. Der Verfassungsgerichtshof hat dieser Beschwerde zwar keine Folge gegeben, sondern die Rechtssache an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung weitergereicht. Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch für das weitere Verfahren Rechtssätze aufgestellt, die „Licht in das Dunkel des heutigen Tiroler Agrarstreits“ bringen würden. Als wichtigsten Kernsatz strich der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 10. Dezember 2010 hervor, dass der Begriff „Gemeindegut“ bzw. „Fraktionsgut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht im Sinn von „Eigentum einer Agrargemeinschaft“ verwendet wurde. Der VfGH: „… der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs. 2 lit. des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff ‚Gemeindegut‘ im Sinne von ‚Eigentum der Agrargemeinschaft‘ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol, 250f)“. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger hatte sich an der zitierten Stelle ausführlich damit auseinandergesetzt, welche Rechtsfolgen sich aus dem Umstand ergeben, dass der Begriff „Gemeindegut“ im Flurverfassungsrecht über viele Jahrzehnte im Sinn von „Eigentum einer Agrargemeinschaft“ gebraucht wurde. Er stellte klar, dass es jeder juristischen Sorgfalt und Genauigkeit widersprechen würde, wenn man dem Begriff „Gemeindegut“ in einem historischen Bescheid heute einen anderen Inhalt gibt als vom historischen Tiroler Flurverfassungsrecht vorausgesetzt.

Anlass für die ausführliche Auseinandersetzung des Verfas­sungsgerichtshofes mit dem historischen Gemeinde­gutsbegriff war die Begründung des Landesagrarsenats vom April 2010 für ein atypisches Gemeindegut bei Agrargemeinschaft Unterlangkampfen. Ein „atypisches Gemeindegut“ wurde angenommen, weil die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren 1949 von einem „Fraktionsgut“ (= „Gemeindegut“) ausgegangen war. Vom historischen „Fraktionsgut“ wurde auf ein historisches Gut im Eigentum der Ortsgemeinde geschlossen. Laut VfGH war das ein Trugschluss, weil dieser Begriff im historischen Agrarrecht eben ein Gut im Eigentum der Agrargemeinschaft bezeichnete. Als zweiten Kernsatz strich der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ heraus, dass bei der Beurteilung von „Gemeindegut“ vor allem die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt vor der Regulierung geprüft werden müssen. Der VfGH: Wenn die Agrargemeinschaft die behördliche Feststellung beantragt, ob bestimmte Grundstücke solche im Sinne des „Mieders-Erkenntnisses“ wären, so komme es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung an. Die das „Mieders-Erkenntniss“ tragenden verfassungsrechtlichen Erwägungen haben nämlich die offenkundig verfassungswidrige Übertragung von Eigentum auf eine Agrargemeinschaft zum Ausgangspunkt. Der VfGH weiter: „Die Agrarbehörden sind bei Verfahren wie diesem mithin gehalten, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären und dabei alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen.“ „Der Verfassungsgerichtshof tritt der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft daher nicht schlechthin entgegen, wenn sie die Ansicht vertritt, dass die von ihr im Verfahren relevierten Urkunden – namentlich die Urkunde über die angebliche Verleihung des Heimweidegebiets an die ‚Gemeind und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen‘ im Jahr 1670 und die der Grundbuchsanlegung zugrunde liegenden Urkunden – für die Beurteilung der Eigentumsfrage rechtliche Relevanz haben könnten.“ In derartigen Fällen sei allerdings zunächst zu prüfen, ob vor der Regulierung ein Erwerbsvorgang zugunsten der politischen Gemeinde stattgefunden habe.

Nur ein ehemaliges wahres Eigentum der Ortsgemeinde kann ein „atypisches Gemeindegut“ im Sinn des „Mieders-Erkenntnisses“ hervorbringen. Davon sind die Fälle zu unterscheiden, wo lediglich eine falsche Grundbuchseintragung vorlag. Last but not least erlaubte sich der Verfassungsgerichtshof den wichtigen Hinweis, dass ein historischer Grundbuchsstand nicht zwingend ein richtiger gewesen sein müsse. Der VfGH: „Weiters ist allerdings […] zu berücksichtigen, dass Grundbuchseintragungen unrichtig sein können, […] weswegen der Grundbuchsstand nicht zwingend die wahren Eigentumsverhältnisse wiedergeben muss.“ Bei der Prüfung der wahren rechtlichen Eigentumsverhältnisse ist deshalb eine mögliche Unrichtigkeit des Grundbuchs einzukalkulieren.

„NUMMERNSPIEL“ DES VWGH 

Ungeachtet der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom Dezember 2010 hat der Verwaltungsgerichtshof den Tiroler Agrargemeinschaften die Prüfung der wahren Eigentumsverhältnisse verweigert.

„Atypisches Gemeindegut“ gründe, so der Verwaltungsgerichtshof, auf einer „Qualifizierung durch die Agrarbehörde“. Die Substanz gebühre dem Staat, auch wenn die Ortsgemeinde nie eine wahre Eigentümerin gewesen sei. „Schwarzer Tag“ der Tiroler Agrargemeinschaften war der 30. Juni 2011. Der siebente Senat des Verwaltungsgerichtshofs entschied an diesem Tag in gut einem Dutzend von Einzelfällen folgende Rechtssätze: Es „erübrigt sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfene rechtshistorische Fragestellungen. Darauf, ob die entscheidungswesentliche Feststellung im Bescheid vom 17. Juni 1949 zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“ (VwGH Zl 2010/07/0075 Agrargemeinschaft Unterlangkampfen) Im Klartext: Der Verwaltungsgerichtshof stellte sich auf den Standpunkt, dass ein „atypisches Gemeindegut“ auch dann vorliegen könne, wenn das Regulierungsgebiet nie ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde gewesen sei. Wer zur Zeit der Tiroler Forstregulierung 1847 oder bei der Tiroler Grundbuchanlegung um 1900 Eigentümer war und wer allenfalls später das Eigentum erworben hat, sei ohne Bedeutung. Alle Einwände der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen, wonach die Ortsgemeinde Langkampfen das Eigentum nie erworben hatte, seien deshalb nicht zu prüfen.

„Wer Eigentümer war oder das Eigentum erworben hatte, ist ohne Relevanz!“ – so die Botschaft des Verwaltungsgerichtshofs. Und nach dieser Vorgabe, die allem widerspricht, was der Ver­fassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom

10. Dezember 2010 entschieden hat, hat der Tiroler Landesagrarsenat rund 250 Tiroler Agrargemeinschaften als „atypisches Gemeindegut“ beurteilt. Nach dieser Vorgabe werden geschätzt 15.000 Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder um ihre Anteile an der Substanz dieser Liegenschaften gebracht. Der Tiroler Landesagrarsenat am 15. September 2011, Agrargemeinschaft Sellrain: „Angesichts der im Regulierungsverfahren rechtskräftig getroffenen Grund­stücksqualifizierung als Gemeindegut, wurde verbindlich entschieden, dass das Regulierungsgebiet Eigentum der Ortsge­meinde war. „Insbesondere kommt es gegenständlich auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Tiroler Forstregulierung 1847 oder im Zeitpunkt der Grundbuchanlegung gar nicht entscheidend an, genauso wenig auf die Frage, wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre“. Tiroler Landesagrarsenat
12. Jänner 2012 Agrargemeinschaft Oberpinswang: „Angesichts der im Regulierungsverfahren rechtskräftig und mit Bindungswirkung für die Zukunft getroffenen Grundstücksqualifizierung nach § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 erübrigte sich ein Eingehen auf die im vorliegenden Fall von der Agrargemeinschaft aufgeworfenen rechtshistorischen Fragestellungen. […] insbesondere kommt es gegenständlich auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Tiroler Forstregulierung 1847 oder im Zeitpunkt der Grundbuchanlegung gar nicht entscheidend an, genauso wenig auf die Frage, wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre.“ Tiroler Landesagrarsenat am 23. Februar 2012 Agrargemeinschaft Wenns: „Auf die Frage, wie sich die Eigen­tumsverhältnisse im Zeitpunkt der Tiroler Forstregulierung 1847 oder im Zeitpunkt der Grundbuchanlegung gestaltet haben, und wie die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kommt es nicht an, weil die Liegenschaften im Agrarbehördenverfahren als ein Gemeindegut nach Flurverfassungs-Landesgesetz 1952 beurteilt wurden. Damit wurde bindend entschieden, dass ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde vorgelegen hat“.

Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Tirolerinnen und Tiroler werden durch diese Judikatur um den Wert der Gemeinschaftsliegenschaften, um den gesamten Zugewinn aus Jahrzehnte langer Arbeit, um die Ersparnisse und alles Geschaffene enteignet. Dies aufgrund der Rechtsfiktion, wonach ein Regulierungsgebiet der Ortsgemeinde verfassungswidrig entzogen sei, wenn die historische Agrarbehörde ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ angenommen habe. Ob und wie die Ortsgemeinde jemals ein wahres Eigentum erworben hat (Kauf, Tausch, Schenkung, Ersitzung usw.) wurde und wird entgegen den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ 2010 in keinem einzigen Fall korrekt geprüft.

MP

Feststellung des „Atypischen“

Bekanntlich hat der Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass nicht die wahren Eigentumsverhältnisse den Ausschlag geben, sondern eine „Qualifizierung durch die Agrarbehörde“. „Atypisches Gemeindegut“ sei heute anzunehmen, wenn die historische Agrarbehörde ein „Gemeindegut“ oder ein „Fraktionsgut“ angenommen habe. Eine solche Entscheidung der Behörde sei wegen Rechtskraft heute unbekämpfbar und unüberprüfbar. Ob diese Entscheidung richtig war oder falsch, sei irrelevant – Rechtskraft heile alle Mängel. Dazu der Verwaltungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 30. Juni 2011 Zl 2010/07/0075: Es „erübrigt sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfene rechtshistorische Fragestellungen. Darauf, ob die entscheidungswesentliche Feststellung im Bescheid vom 17. Juni 1949 zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“

Diese Rechtsauffassung ist für einen Rechtsstaat inakzeptabel; dies aus mehreren Gründen. Schwer ins Gewicht fallen vor allem zwei Argumente: Zum einen, dass der Verfassungsgerichtshof zu eben dieser Agrargemeinschaft Unterlangkampfen rund sechs Monate zuvor am 10. Dezember 2010 in seinem „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ VfSlg 19.262/2010 ausgesprochen hat, dass im historischen Tiroler Flurverfassungsrecht der Begriff „Gemeindegut“ im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde. Die heutige Schlussfolgerung von historischem Gemeindegut auf historisches Eigentum einer Ortsgemeinde sei deshalb ein Trugschluss. Zum anderen, dass die historische Agrarbehörde bei der Annahme von „Gemeindegut“ oder „Fraktionsgut“ keinesfalls konsequent vorgegangen ist. Aus historischer Sicht war die Entscheidung für ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ absolut untergeordnet. Wesentlich war, was im Regulierungsverfahren bezüglich der Eigentumsverhältnisse vereinbart und bescheidmäßig umgesetzt wurde. Die heutige Auslegung der historischen Bescheide anhand einer Rechtsauffassung, die vom damaligen Flurverfassungsrecht nicht gedeckt war, führt deshalb zu inhaltlich falschen, willkürlichen Ergebnissen. Dies zeigt sich deutlich, wenn man die heutige „Gemeindegutsbeurteilung“ von Agrargemeinschaften mit gleicher oder ähnlicher historischer Entwicklung vergleicht.

MP

Agrargemeinschaft-
liches Gemeindegut

ZEHN FRAGEN UND ZEHN ANTWORTEN DAZU

 

Abstract
Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Gesetzesbeschluss über das neue Flurverfassungs-Landesrecht im Jahr 1935 wurde auch die Tiroler Gemeindeordnung durchgreifend novelliert. Der erste Gesetzesbeschluss dazu stammte vom 26. April 1935.
Bei dieser ersten Fassung der Tiroler Gemeindeordnung von 1935 war übersehen worden, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung – insoweit die Belange „Bodenreform, insbesondere agrarische Operation“ betroffen sind, nur mehr dem Flurverfassungsrecht unterliegt.
Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 (Zl 144.471/6-1935 des Bundeskanzleramtes) Einwendungen gegen diesen Gesetzesbeschluss erhoben, weil der Gesetzesbeschluss in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 B 256) nicht in Einklang stünden, weshalb sich das Bundeskanzleramt Verfassungsdienst an die Tiroler Landesregierung wandte.
Der Tiroler Landesgesetzgeber hat in der Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, als zuständiger Gesetzgeber für das Tiroler Gemeinderecht, den klaren gesetzgeberischen Willen umgesetzt, dass das „Gemeindegut/Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“, weil dieses Eigentum einer Agrargemeinschaft ist, gerade nicht länger im Tiroler Gemeinderecht, sondern im Tiroler-Landes-Flurverfassungsrecht geregelt wird.
Alle späteren Neufassungen der Tiroler Gemeindeordnung haben den absolute Vorrang des Flurverfassungsrechts in Bezug auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung respektiert und gesetzlich umgesetzt: § 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt“. An diesem Normwortlaut hat sich bis zur TGO 2001 LGBl 2001/36 nichts Wesentliches geändert. § 74 TGO 2001: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“
Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war nach Tiroler Landesrecht somit seit dem Jahr 1935 ausdrücklich aus dem allgemeinen gemeinderechtlichen Gemeindegutsbegriff der Gemeindeordnung ausgeschieden und dem Anwendungsbereich des Flurverfassungsrechts unterworfen worden. Seit dem Jahr 1935 verlangt die TGO beim Gemeindegut eine gesetzliche Differenzierung: Bodenreformmaßnahmen, insbesondere agrarische Operationen an agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut sind nach Flurverfassungs-Landesrecht zu behandeln; insbesondere gibt es im Gemeinderecht keinerlei Kompetenz, die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung zu regeln.
Wenn der Verfassungsgerichtshof somit im Jahr 1982, Erkenntnis VfSlg 9336/1982, die Rechtsbehauptung aufstellte, dass das Gemeindegut, auch dann, wenn dieses agrargemeinschaftlich genutzt würde, nach den Gemeindeordnungen zwingend als ein Gut im Eigentum der Gemeinde gestempelt wäre, dann war das schlicht FALSCH – gar verfassungswidrig, weil a) unvereinbar mit Art 12 BVG; b) unvereinbar mit dem seit 1935 geltenden Gemeinderecht!
.

1. Warum muss ein „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ vom „sonstigen Gemeindegut“ unterschieden werden?

Die Unterscheidung ist erforderlich, weil der Gesetzgeber eindeutig klar gestellt hat, dass „Gemeindegut, welches eine Agrargemeinschaft darstellt“ (= Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung) vom sonstigen Gemeindegut und insbesondere vom Eigentum der Ortsgemeinde zu unterscheiden ist.

2. Gab es einen besonderen Anlass für die Klarstellung?

JA. Anlass für die Klarstellung gab die gründliche Auseinandersetzung des modernen Gesetzgebers mit dem Flurverfassungsrecht in den 1930er Jahren, als das historische Teilungs- Regulierungs- bzw das Zusammenlegungsrecht übergeführt wurde in das moderne Flurverfassungsrecht.

3. Was hat das (Bundes-) Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 dazu geregelt?

Das Bundesgesetz vom 2.8.1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, BGBl 1932/256, löste das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz aus dem Jahr 1883 ab. Nach den Grundsätzen der Bundesverfassung hatte das Inkrafttreten dieses Gesetzes zur Folge, dass die Länder ihre Teilungs- Regulierungs- Landesgesetzes, die Ausführungsgesetze zum Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 waren, umstellen mussten.
Weil die Sachmaterie „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ gem Art 12 B-VG in den Grundsätzen Bundeskompetenz war, konnte das Gemeinderecht schon aus Gründen der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung für den Sachbereich „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ (= insbesondere Flurverfassung) keinerlei gesetzliche Vorgaben mehr machen. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe hat der VfGH im Jahr 1982 ignoriert!

4. Welche Maßnahmen am Gemeindegut sind dem Kompetenzbereich „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ (Art 12 B-VG = Grundsatzgesetzgebung des Bundes) zuzuordnen?

Kernmaterien der „Bodenreform, insbesondere agrarischen Operationen“ sind unter anderem zwei Aufgabenbereiche der Agrarbehörden: a) Prüfung und Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut; b) Regulierung der Nutzungsrechte daran.
Insoweit Maßnahmen am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung nicht dem historischen Begriffsverständnis von „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ zugeordnet werden können, besteht eine „Restkompetenz“ des Landesgesetzgebers als Gemeindegesetzgeber.
Die unbegründeten Behauptungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 9336/1982, wonach die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in den Landesgemeindeordnungen geregelt seien, sind dementsprechend aus zivilrechtlicher Sicht ein Unfug; und diese Behauptungen stehen in offenem Widerspruch zu Bundesverfassung selbst, weil der Landes-Gemeindegesetzgeber noch regeln darf, was „Bodenreform, insbesondere agrarische Operation“ ist!
Tatsächlich haben die Landes-Gemeindeordnungen die Klarstellung getroffen, dass die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut, insoweit es eine Agrargemeinschaft bildet, nicht durch die Landes-Gemeindegesetze geregelt werden.

5. Wie ist dieser Prozess der Klarstellung durch die Landes-Gemeindegesetzgeber von Statten gegangen?

Diese Klarstellung von Seiten der Landes-Gemeindegesetzgeber war kein friktionsfreier Prozess, sondern musste – im Blick auf die Komplexität der Materie – von der Bundesregierung im Detail instruiert werden. Anlass war zufällig das Land Tirol, wo im Jahr 1935 einerseits das neue Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 in ein entsprechende Landes- Flurverfassungsgesetz umgesetzt und andererseits die Gemeindeordnung novelliert wurde.

6. Welche Maßnahmen wurden seitens der Bundesregierung gesetzt?

Die historischen Abläufe lassen sich aus dem Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935), rekonstruieren:

a) Gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, wurden vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 (Zl 144.471/6-1935 des Bundeskanzleramtes) Einwendungen erhoben, weil der Gesetzesbeschluss in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 B 256) nicht in Einklang stünden.
Die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungsgesetz einer gemeinschaftlichen Benützung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegenden Teile des Gemeindegutes (Ortschaft-Fraktions-Gutes) seinen als agrargemeinschaftliche Grundstücke anzusehen, welche den Bestimmungen der Bundes- und Landesflurverfassungsgesetze über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken unterliegen, die von den Bestimmungen der Gemeindeordnungen über das Gemeindeeigentum vielfach abweichen.
So stünde die Entscheidung, ob eine Liegenschaft eine agrargemeinschaftliche Liegenschaft sei (§ 17 BGG), wie auch, ob agrargemeinschaftliches Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliege (§ 35 BGG), dann über den Bestand und Umfang von Anteilsrechten (§ 35 BGG), schließlich die Genehmigung der Veräußerung, Belastung und Teilung agrargemeinschaftlichen Grundstücken (§ 18 BGG) jederzeit bei den Agrarbehörden. Weiters obliege den Agrarbehörden ausschließlich die Teilung und Regulierung agrargemeinschaftlicher Grundstücke, zu welch letzteren auch die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und Verwaltungssatzungen gehört (§ 33 BGG). In der Tat stünden diese agrargesetzlichen Bestimmungen mit den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnungen über die Gemeinde-Finanzverwaltung, welchen bisher als Teil des Gemeindeeigentums auch der agrargemeinschaftlichen Nutzung stehende Teile des Gemeindegutes unterlag, in Widerspruch.

b) Zwecks Abgrenzung der Zuständigkeiten insbesondere der Gemeindeaufsichtsbehörden und der Agrarbehörden fand in der Abt 6 des Bundeskanzleramtes (Ministerialrat Dr. Kramer) eine Besprechung mit Vertretern des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft (Ministerialrat Dr. Strictius), des Bundesministeriums für Finanzen (Ministerialrat Dr. Weinzierl) und der Abteilung 1 des Bundeskanzleramtes (Min.Oberkom. Dr. Petz) statt. Man einigte sich wie folgt:

aa) Der Vorschlag, demgemäß den Flurverfassungsgesetzen als Gegenstand einer Agrargemeinschaft geltenden Teil des Gemeindegutes nicht mehr in den Gemeindeordnungen, sondern ausschließlich in den Landesflurverfassungsgesetzen zu behandeln, da ja dieser Teil des Gemeindegutes für den Gemeindehaushalt ohnehin nahezu gar keine Rolle spielt, wurde abgelehnt, vor allem mit der Begründung, dass die Agrarbehörden derzeit nicht in der Lage wären, die ihnen in diesem Fall notwendig zufallenden Aufgaben zu erfüllen. Auch legte der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums großen Wert darauf, die bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieses agrargemeinschaftlichen Teiles des Gemeindegutes auch weiterhin in der Gemeindeordnung zu belassen und zwar einerseits wegen des Hinweises auf die Gemeindeordnungen im § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz, vor allem aber um eine längere vacatio legis zu vermeiden, da nicht abzusehen ist, wann die Landesflurverfassungsgesetze in Kraft treten werden.
bb) Nach eingehender Erörterung einigte man sich auf folgende gesetzliche Regelung: „1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums bzw. des Gemeindevermögens und Gemeindegutes diese gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt. 2. Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht nur die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat. 3. In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum oder über das Gemeindevermögen und Gemeindegut finden auf die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz BGBl Nr 256/1932 und dem … Flurverfassungs-Landesgesetz LGBl Nr … nicht in Widerspruch stehen.“
(Aus: Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 ex 1935)

c) Das Bundeskanzleramt Verfassungsdienst hat in der Folge entsprechende Einwendungen gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, erhoben. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden. Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert, ausdrücklich auszunehmen. Es sei darüber hinaus im Tiroler Gemeindegesetz klar zu stellen, dass die Bestimmungen des Tiroler Gemeindegesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung finden, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.

7. Wie hat der Tiroler Gemeindegesetzgeber diese Vorgaben umgesetzt?

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat in der Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, als zuständiger Gesetzgeber für das Tiroler Gemeinderecht, den klaren gesetzgeberischen Willen umgesetzt, dass das „Gemeindegut/Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“, weil dieses Eigentum einer Agrargemeinschaft ist, gerade nicht länger im Tiroler Gemeinderecht, sondern im Tiroler-Landes-Flurverfassungsrecht geregelt wird. Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hatte den ausdrücklichen Willen, folgende Vorgabe aus dem Bundeskanzleramt umzusetzen: „1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt. 2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat. 3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

8. Was hat der Tiroler Gemeindegesetzgeber gegenüber den ersten Gesetzesbeschluss am Gesetzestext der Tiroler Gemeindeordnung 1935 geändert?

In Konsequenz dieser Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst. Geändert wurden die §§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935, 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“), 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“), 140 TGO 1935 (Das zum Gemeindegut Gesagte, gelte auch für Fraktionsgut.), 164 letzter Satz TGO 1935 („Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 („Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“).

9. Was ergibt sich zu dieser Anpassung der Tiroler aus den Gesetzesmaterialien?

Aus den Verhandlungsschriften des „Ständischen, verfassungsgebender Tiroler Landtags, Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, ergibt sich dazu das Folgende: Zu Pkt 1 der Tagesordnung: Beilage 5. Beschlussfassung über die Regierungsvorlage betreffend die Gemeindeordnung für das Land Tirol. Berichterstatter Dr. Adolf Platzgummer:

„Ich kann mich nach der ausführlichen Darlegung in der gestrigen begutachtenden Sitzung zu diesem Gegenstand heute in der beschließenden Sitzung jedenfalls kurz fassen. Das Bundeskanzleramt hat gegen die von uns beschlossene Vorlage Einspruch erhoben, und zwar wegen einiger angeblicher, zum Teil auch wirklicher Verfassungswidrigkeiten. Wir sind selbstverständlich nicht angestanden, diese Änderungen vorzunehmen.“ Bei dieser Gelegenheit hat das Bundeskanzleramt auch betont, dass es nach seiner Auffassung gut wäre, wenn das Flurverfassungs-Landesgesetz in der Gemeindeordnung eingebaut und außerdem noch einige andere kleinere Änderungen vorgenommen würden. Was das Flurverfassungsgesetz betrifft, so ist das Grundsatzgesetz schon im Jahr 1932 erschienen, die Ausführungsgesetze lassen aber auf sich warten. Wir haben unser Ausführungsgesetz am 6. Juni hier beschlossen, es ist derzeit in Wien und es läuft noch die Einspruchsfrist. Das Flurverfassungsgrundsatzgesetz enthält noch die Bestimmung, dass das Ausführungsgesetz erst mit diesem in Kraft zu treten habe, daher ist die Situation derzeit so, dass beide Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind. Deshalb war es uns bei der Verabschiedung der Gemeindeordnung nicht möglich, das Flurverfassungs-Landesgesetz zu berücksichtigen, weil es noch nicht existiert. Wir haben aber die Bestimmungen in die Gemeindeordnung so aufgenommen, als ob diese beiden Gesetze bereits in Kraft wären, und damit dem Verlangen des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft Rechnung getragen. Die übrigen Änderungen sind, insoweit sie sich als Empfehlungen der Bundesregierung darstellen, bis auf 3 ganz unwesentliche Punkte berücksichtigt worden. …“
Die Landesregierung hat diese Gelegenheit genützt, um auch noch ihrerseits einige kleinere Änderungen in der Vorlage vorzunehmen, denen der Landtag vollinhaltlich zugestimmt hat.
Somit haben wir eine Gemeindeordnung, die wirklich nach allem gesichtet ist, und ich kann nur den Antrag stellen, der Hohe Landtag möge die Vorlage zum Gesetzesbeschluss erheben.“

10. Ist diese Gesetzesänderung in der Gemeindeordnung aus dem Jahr 1935 heute noch von Relevanz?

JA. Alle späteren Neufassungen der Tiroler Gemeindeordnung haben den absolute Vorrang des Flurverfassungsrechts in Bezug auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung respektiert und gesetzlich umgesetzt: § 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt“. An diesem Normwortlaut hat sich bis zur TGO 2001 LGBl 2001/36 nichts Wesentliches geändert. § 74 TGO 2001: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“
Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war nach Tiroler Landesrecht somit seit dem Jahr 1935 ausdrücklich aus dem allgemeinen gemeinderechtlichen Gemeindegutsbegriff der Gemeindeordnung ausgeschieden und dem Anwendungsbereich des Flurverfassungsrechts unterworfen worden. Seit dem Jahr 1935 verlangt die TGO beim Gemeindegut eine gesetzliche Differenzierung: Bodenreformmaßnahmen, insbesondere agrarische Operationen an agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut sind nach Flurverfassungs-Landesrecht zu behandeln; insbesondere gibt es im Gemeinderecht keinerlei Kompetenz, die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeisnchaftlicher Nutzung zu regeln.
Bereits Albert Mair hat darauf hingewiesen, dass mit Blick auf das Gemeinderecht ein agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut und ein Gemeindegut im Allgemeinen zu unterscheiden sei. (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 9f: „Es muss diesbezüglich angenommen werden, dass der Gesetzgeber von der Annahme ausging, dass ein zweifacher Gemeindegutsbegriff möglich ist, einerseits der des agrargemeinschaftlichen Gemeindegutes, bestehend aus Grundstücken, die einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung fähig sind und andererseits der des nicht zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken zu zählenden Gemeindegutes, das aus im Gemeindeeigentum stehenden Sachen und Rechten nicht agrargemeinschaftlichen Charakters besteht wie z.B. von allen Gemeindebürgern benützte Schottergruben, gemeinschaftliche Bibliotheken und dergleichen.“)

.
Schlussfolgerung:

Somit wurde das Tiroler Gemeinderecht am 10. Juli 1935 so umgestaltet, dass das „Gemeindegut, insoweit es eine Agrargemeinschaft bildete„, hinsichtlich aller Belange der „Bodenreform, insbesondere agrarische Operation, aus dem Gemeinderecht ausgeschieden.

Mit den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler Landtages aus dem Jahr 1935, nämlich das Flurverfassungs- Landesgesetz und die Tiroler Gemeindeordnung 1935 betreffend, war auch für den Bereich des Tiroler Landesrechts das „Gemeindegut im allgemeinen“ vom „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ zu unterscheiden.

Der Kernsatz des Erk VfGH Slg 9336/1982, wonach die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ in den Gemeindeordnungen der Länder als ein notwendiges Eigentum der Ortsgemeinde definiert wären, ist somit ein klarer Gesetzesbruch.

Es steht dem Verfassungsgericht nicht zu, sich über die Gesetze der Republik Österreich zu erheben. Der Gesetzgeber hätte den Missgriff des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1982 längst korrigieren müssen!

-.-.-.-

..

MP

Regelungsgefüge Gemeindegut

pernthaler2
em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler wurde 1935 geboren und studierte von 1954 bis 1958 Rechtswissenschaften. Er war von 1957 bis 1962 als Assistent an der Universität Innsbruck tätig und sammelte nach seiner Habilitation im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts Verwaltungspraxis. 1966 avancierte er zum außerordentlichen Professor an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, 1968 wurde er zum ordentlichen Prof. ans Institut für öffentliches Recht und Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck berufen. 25 Jahre lang war er Direktor des Instituts für Föderalismusforschung, vier Jahre Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Innsbruck und zwei Jahre Gastprofessor an den Universitäten Prince-Edwards-Island (Kanada) und Canberra (Australien). Seit 1996 ist er Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Publikationen umfassen über 300 Bücher und Aufsätze. Em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler ist einer der prominentesten Universitätslehrer für öffentliches Recht im deutschen Sprachraum und wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

 

EINFÜHRUNG

Der „Gemeindeguts-Irrtum“ gründet im wesentlichen auf einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 1982, VfSlg 9336/1982, „Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis“ (nach den „Anlassfällen“ Gemeinschaftsgut Altenstadt, Feldkirch/Vlbg und Gemeinschaftsgut Eggenwald, Innsbruck-Arzl/Tirol). Mit diesem Erkenntnis führte der von Bruno Kreisky ausgewählte, von der Bundesregierung nominierte Jung-Star unter den Verfassungsrichtern,  laut Eigendefinition der „Rote Professor“, Karl Spielbüchler, einen entscheidenden Schlag gegen das gemeinschaftliche Eigentum der Ur-Hausbesitzer.

Karl Spielbüchler war zu intelligent, als dass an einen Zufall zu denken wäre. Karl Spielbüchler wollte offensichtlich mit seinem Ansatz ganz gezielt der Teilung und Regulierung von „gemeindeverwalteten Gemeinschaftsgütern“ (= Gemeindegut) ein Ende bereiten. Dies ist ihm – abgesehen von Tirol – für alle anderen Bundesländer auch gelungen.

Mehr als 25 Jahre hatte es keine Kritik an diesem Grundsatz-Erkenntnis des VfGH zum „Gemeindegut“ – VfSlg 9336/1982, „Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis“, gegeben. Dies nicht etwa, weil das Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis, VfSlg 9336/1982, so überzeugend begründet gewesen wäre. Das Gegenteil ist der Fall!  Das Erkenntnis verdankt sei zerstörerisches Ergebnis geradezu einer ganzen Kette von falschen Rechtssätzen.
NEIN an einer überzeugenden Begründung des „Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis“ lag es nicht, dass sich über Jahrzehnte kein Rechtswissenschaftler von Rang mit dem Flurverfassungsrecht näher auseinander gesetzt hat! Der Grund war einfach derjenige, dass sich von den juristischen Eliten über Jahrzehnte kaum jemand für das Flurverfassungsrecht interessiert hatte.

Dies änderte sich – zumindest vorübergehend – mit dem Nachfolge-Erkenntnis betreffend Agrargemeinschaft Mieders, VfSlg 18.336/2008 – Mieders-Erkenntnis 2008. Tausende Tirolerinnen und Tiroler, die Mitglieder von mehr als 250 Tiroler Agrargemeinschaften, sahen sich plötzlich als Opfer einer Enteignung. Dieser Umstand mobilisierte die nötigen Kräfte um zumindest ein bisschen Licht in das Dunkel  zu bringen, das das Agrarrecht seit mehr als 150 Jahren charakterisiert. Von einer breiteren Diskussion kann freilich nach wie vor keine Rede sein.

Das „Gemeindegut“ war eines der zentralen Forschungsobjekte dieser im Jahr 2008 einsetzende wissenschaftliche Bearbeitung des Agrarrechts. Es zeigte sich, dass für den Regelungsgegenstand „Gemeindegut“ verschiedene rechtliche Ausgangspunkte bzw Entwicklungsansätze existieren, die letztlich in ein Endergebnis münden, das Gemeindegut als Teilmaterie des „Bodenreformrechts, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung„.

Diese verschiedenen rechtlichen Ausgangspunkte bzw Entwicklungsansätze sind:
1. das Recht der historischen (Agrar-)Gemeinde nbR,
2. das politische Gemeinderecht,
3. das Teilungs- und Regulierungs- Reichsgesetz 1883 und
4. die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung, welche das „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“ in Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG als Bundeskompetenz in Form der Grundsatzgesetzgebung definiert.

Egal unter welchem rechtlichen Ausgangspunkt das Grundsatz-Erkenntnis „Altenstadt-Eggenwald 1982“, VfSlg 9336/1982, und das Mieders-Erkenntnis 2008, VfSlg 18.446/2008, analysiert und diskutiert werden: Immer erweisen sich beide VfGH-Erkenntnisse als „Verkenntnisse“ im wahrsten Sinn des Wortes. Die beiden Erkenntnisse sind offensichtlich unvereinbar mit den wahren Rechtsverhältnissen am „Gemeindegut“ – ganz egal bei welchem rechtlichen Entwicklungsansatz die jeweiligen Überlegungen ihren Ausgang nehmen.

Em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler hat die Teilung und Regulierung von Gemeindegut ausgehend vom 4. Entwicklungsansatz, das ist die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung zwischen  Bund, Ländern und Gemeinden, untersucht. Seine Ergebnisse zeigen das „Gemeindegut“ als Regelungsgegenstand sowohl des politischen Gemeinderechts(Landes-Kompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung – Art 15 B-VG), als auch des „Bodenreformrechts, insbesondere agrarische Operationen“ (Bundeskompetenz in der Grundsatz-Gesetzgebung gem Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG).

Historisch gesehen kommt zusätzlich ein Verständnis des Gemeindeguts als Regelungsgegenstand des Bürgerlichen Rechts ins Spiel: das Gemeindegut als Eigentum der „alten Agrargemeinde„. Hinweis: Das Gemeindegut war vor Inkrafttreten des modernen Gemeinderechts und vor Inkrafttreten des Teilungs- und Regulierungsrechts als ein Vermögen von juristischen Personen zu verstehen, die seit Jahrhunderten existierten und die nach dem historischen gemeinen Recht des Reiches konstituiert waren: die „Gemeinden nach bürgerlichem Recht„. Das „gemeine Recht“ verstand diese Erscheinungen als „Korporationen“; bereits im Codex Theresianus von 1766 werden diese juristischen Personen nach privatem Recht, die aus mindestens drei natürlichen Personen bestehen mussten, „Gemeinden“ genannt – Gemeinden, die von Privatpersonen gebildet wurden.  Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, ABGB von 1811, regelt diese Gemeinden nach Privatrecht zumindest in Ansätzen.

Peter Pernthaler gelangt unter anderem zu dem Ergebnis, dass das „Gemeindegut“ im politischen Gemeinderecht und im Flurverfassungsrecht unter verschiedenen Gesichtspunkten geregelt wurde. Von einer zwingenden Vorgabe für eine einheitliche Begriffsbildung als Eigentum einer politischen Ortsgemeinde könne deshalb keine Rede sein. Das politische Gemeinderecht regelt die Verhältnisse nur solange, als keine agrarische Operation in Gang gesetzt wird.

Wenn die Nutzungsberechtigten weder eine Teilung noch eine Regulierung anstreben, entscheidet der Gemeinderat gem Gemeindeordnung über das Gemeindegut. Das Gemeindegut wird unter diesen Umständen als „vermutetes Gemeindeeigentum“ von der betreffenden Ortsgemeinde verwaltet. Und solange die nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer keine agrarische Operation eingeleitet hatten, hat sich daran nichts geändert.

Das österreichische Flurverfassungsrecht hat den Stammsitzeigentümern immer die letzte Entscheidung überlassen – diese hatten ein Recht ihr Eigentum zu fordern. Sie konnten und können jedoch auch auf die Rechtsausübung verzichten und ihr Eigentum in der Gemeindeverwaltung belassen. Das politische Gemeinderecht erfasst das Gemeindegut als eine Art Übergangsrecht – bis eine agrarische Operation beantragt bzw eingeleitet wird.

Aber lesen Sie selbst …

 

Inhalt:

Das Regelungsgefüge „Gemeindegut“

1.   Allgemeines 
2.  Kompetenzzuordnung
3. „Komplexe Zuständigkeit“
4. Angelegenheiten der Bodenreform
5. Die Kompetenz „Bodenreform“
6. Doppelzuständigkeit des Landes
7. Unreguliertes Gemeindegut
8. Gemeinderechtskompetenz

 


Abstract

Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen  Bund, Ländern und Gemeinden ist eines der zentralen Aufgaben der Bundesverfassung.

Die vom VfGH dem Erk VfSlg 9336/1982 zugrunde gelegte These, dass unter dem Begriff „Gemeindegut“, wie dieser Begriff in den Flurverfassungs-Gesetzen gebraucht wurde, jenes zu verstehen sei, das die Gemeindeordnungen geregelt hätten, ist schon aus kompetenzrechtlichen Gründen offenkundig unrichtig.

 Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vielmehr eine Querschnittsmaterie; je nach sachlichem Regelungsgesichtspunkt ist einerseits der Gemeindegesetzgeber zuständig, andererseits der Flurverfassungsgesetzgeber.

Der komplexe Zuständigkeitsbereich „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ist kompetenzrechtlich derart zu differenzieren, dass der historisch nach der Versteinerungstheorie begrenzte Kompetenztatbestand „Bodenreform“ des Bundes gem Art 12 B-VG aus der umfassenden Landeskompetenz „Gemeinderecht“ gem Art 15 B-VG heraus zu heben ist. Dem Landesgesetzgeber verbleibt eine Restkompetenz zur Regelung des Gemeindeguts im Rahmen des Gemeinderechts.

Ausgeschlossen durch die Kompetenzverteilung der Bundesverfassung (Art 10 folgende B-VG) ist die Annahme des VfGH, dass Gemeindeordnung und Flurverfassungsrecht zwingend denselben Rechtsbegriff „Gemeindegut“ verwenden müssen, weil die – aus der Landeskompetenz herausgehobene – Teilkompetenz „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) sich auf einen konkreten Teilbereich der Regelung des Gemeindegutes bezieht. Es geht um die Teilung und Regulierung der agrargemeinschaftlichen Nutzungsrechte am Gemeindegut in einem eigentumsrechtlich undifferenzierten Sinn.

Dass es dem Bodenreformrecht gerade auf diese eigentumsrechtlich undifferenzierte Ausgangssituation seines Verfahrens ankommt, zeigen die – für die Kompetenz Bodenreform ausschlaggebenden – Reformgesetze des Jahres 1883, deren gesetzgeberische Zielsetzung ihren Regelungsschwerpunkt darin hatten, die verworrenen Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut zu klären. (Ausführlich zu den Überlegungen des Gesetzgebers)

Die Behauptung des VfGH im Erkenntnis VfSlg 9336/1982, dass die politischen Gemeindegesetze die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut zwingend geregelt hätten, ist offenkundig eine gesetzesfremde Erfindung des Erkenntnisses VfSlg 9336/1982.

Der Hinweis auf die Gemeindeordnung im § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 (in der Fassung vor der Aufhebung durch VfSlg 9336/1982) bezieht sich daher nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung gerade nicht auf die vermögensrechtliche Zuordnung des Gemeindegutes (als angebliches Eigentum der Gemeinde), sondern ganz eindeutig auf die gemeinschaftliche Benutzung in Anwendung der Bestimmungen der Gemeindeordnung.

Der eigentumsrechtlich undifferenzierte Begriff „Gemeindegut“ – der die Zuständigkeit der Agrarbehörden im Sinne des Kompetenztatbestandes „Bodenreform“ begründet – kann nicht als rechtliche Diskriminierung des Eigentums der Gemeinde angesehen werden. Eine Benachteiligung eines Gemeindeeigentums ist nach den zwingenden Vorschriften des Flurverfassungsrechts über den Ablauf eines Teilungs- und Regulierungsverfahrens ausgeschlossen, weil die Agrarbehörde prüft und entscheidet, wessen Eigentum ein Gemeindegut bzw die Einzelteile davon sind.

Die Agrarbehörde hat in jedem Fall über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zu entscheiden. Erst auf Grund dieser Entscheidung darüber, wer als Eigentümer welcher Liegenschaften festgestellt werden kann, trifft die Agrarbehörde ihre weiteren Entscheidungen über Teilung oder Regulierung. 

 

Das Regelungsgefüge „Gemeindegut“

1. Allgemeines

Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war in § 15 Abs 2 lit d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951, BGBl 103 (FlVerfGG 1951) als Anwendungsfall für eine agrarische Operation geregelt. Dies bis zur Aufhebung dieser Bestimmung durch den VfGH im Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis, VfSlg 0336/1982.

Diese Gesetzesbestimmung ging schon auf die gleichlautende Regelung des FlVerfGG 1932, BGBl 1932/256 zurück. Übereinstimmende Formulierungen fanden sich in den verschiedenen Landes-Ausführungsgesetzen zum FlVerfGG. In Tirol und Vorarlberg, die durch das Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis, VfSlg 9336/1982, als Anlassfälle direkt betroffen waren, wurden die entsprechenden Bestimmungen  gleichfalls aufgehoben.

Grund für die Aufhebung dieser Gesetzesbestimmungen waren behauptete Grundrechtsprobleme. (VfGH-Erk Slg 9336/1982: Es sei gleichheitswidrig ein Gemeindegut wie ein Eigentum einer Agrargemeinschaft zu behandeln, weil das Gemeindegut [angeblich] ein Eigentum der Ortsgemeinde sei).

1883: Gemeindegut soll der 
agrarischen Operation unterliegen

Vereinzelt wurde in der Literatur behauptet, das Flurverfassungsrecht sei kompetenzrechtliche das falsche Materiengesetz, um die agrarische Operation am Gemeindegut zu regeln. Dies wurde mit der (falschen) Behauptung begründet, dass die Vorläufer-Regelung des FlVerfGG 1932, nämlich das Teilungs- und Regulierungs- Reichsrahmengesetz (TRRG 1883, RGBl 1883/94) keine Bestimmung über das Gemeindegut enthalten hätte. (Morscher, Gemeinnutzungsrechte am Gemeindegut, ZfV 1982, 1 ff (7); derselbe, Neues vom Gemeindegut, FS Ebert (2002) 167ff)

Diesen Behauptung steht aber entgegen, dass sich die Generalklausel des TRRG 1883 nach dem Wortlaut und der erklärten Absicht des historischen Gesetzgebers insbesondere und gerade auch auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung bezog. [Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 375 ff; Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 207ff, 211]. Dies wird auch dadurch deutlich, dass alle Landes-Ausführungsgesetze zum TRRG 1883 aus der Zeit von 1884 bis 1921 ausdrücklich das agrargemeinschaftlich genutzte Gemeindegut als Gegenstand der agrarischen Operation erfasst und damit der Jurisdiktion der Agrarbehörden unterworfen haben.

Hinweis: Beachtlich ist dabei der Umstand, dass die Teilungs- Regulierungs- Landesgesetze für das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung eine besondere Form der agrarischen Operation vorgesehen haben: Die Ergänzung der Gemeindeordnung um die nötigen, zusätzlichen Bestimmungen. Die „Commassionsbehörde“ sollte (nur) die nötigen Ergänzungen zur Gemeindeordnung verfügen. Diese spezielle Variante der agrarischen Operation könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Landesgesetzgeber unter den historischen Rahmenbedingungen keinen zweiten Verwaltungskörper einrichten wollten. 

Aus diesen Landesgesetzen hatte das FlVerfGG 1932 die Formulierung in § 15 Abs 2 lit d „das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnungenunterliegende Gemeindegut“ übernommen, was darauf hindeutet, dass das FlVerfGG selbst – außer seiner eigenen – noch eine Regelungskompetenz der Gemeindeordnung voraussetzte. Auch das VfGH Erk Slg 9336/1982 stellte klar, dass die Unterstellung des Gemeindegutes unter den Kompetenztatbestand Bodenreform „nicht bedeutet, dass dem Gemeindegesetzgeber in seinem Zuständigkeitsbereich Regelungen über das Gemeindegut überhaupt versagt wären“. (III. 3. letzter Absatz der Entscheidungsgründe von VfSlg 9336/1982)

Offenkundig handelt es sich beim Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung um eine sog „komplexe Zuständigkeit“ (oder „Querschnittsmaterie“), wo einheitliche Lebenssachverhalte unter verschiedenen Regelungsaspekten („Gesichtspunkten“) unterschiedlichen Kompetenzen zugeordnet werden. (Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise, 1989, 75ff, 86ff mit umfassenden Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung)

2. Kompetenzzuordnung

Aus diesem komplexen einfachgesetzlichen Regelungsgefüge hinsichtlich des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung ergeben sich folgende kompetenzrechtlichen Fragestellungen

a)   Ist dieser Regelungsbereich in der Bundeskompetenz „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) begründet und wie ist diese Kompetenz inhaltlich abzugrenzen?

b)   Welcher Zuständigkeitsbereich bleibt in diesem Regelungsgefüge „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ dem Gemeindegesetzgeber auf Grund der Landeskompetenzen vorbehalten? (Nach Art 115 Abs 2 B-VG „Gemeinderecht“ im organisatorischen Sinn, und Art 15 Abs 1 B-VG, Regelung der Gemeindeaufgaben)

3.„Komplexe Zuständigkeit“

Die kompetenzrechtliche Komplexität des Regelungsgegenstandes „Gemeindegut inagrargemeinschaftlicher Nutzung“ hat historische und rechtssystematische Gründe.

Historisch war das Gemeindegut im umfassenden Sinn ursprünglich einheitlich in den Gemeindeordnungen der Länder geregelt, die in Ausführung des Reichsgemeindegesetzes RGBl 1862/18, nach einem einheitlichen zentralen Mustergesetz, in den Jahren 1864 bis 1866 erlassen wurden. Vorläufer dieser Regelungen war das „Provisorische Gemeindegesetz“, RGBl 1849/170 (§§ 74 und 75), das allerdings nur teilweise und vorübergehend wirksam wurde. In den Landes-Gemeindeordnungen wurde das Gemeindegut „in Bezug auf das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen“ geregelt und es wurde eine allgemeine Regelungs- und Verwaltungsbefugnis der Gemeinde begründet, wobei die Aufteilung des Gemeindegutes dem Landesgesetzgeber vorbehalten blieb.

Aus diesem umfassenden Regelungsbereich der Landesgemeindeordnungen der Jahre 1863 bis 1866 hat das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 (TRRG 1883) eine sachlich klar begrenzte Verwaltungsmaterie herausgelöst, die einer besonderen Verwaltungsorganisation mit richterlichem Einschlag – den Agrarbehörden, damals: „Commassionsbehörden“ genannt – vorbehalten sein sollte. Diese schwerpunktmäßig reformatorische Verwaltungsaufgabe, die später unter dem Begriff „agrarische Operationen“ (Bodenreform) zusammengefasst wurde, ist im TRRG 1883 unter dem Doppeltitel „Teilung und Regulierung der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken“ formuliert.

Die Landes-Ausführungsgesetze zu diesem Rahmengesetz stammen aus der Zeit von 1884 (Mähren) bis 1921 (Vorarlberg); diese Gesetze führten die neue behördliche Zuständigkeit bezüglich des Gemeindegutes nur sehr begrenzt aus – was dem damaligen Verständnis des „Reichsrahmengesetzes“ entsprach – und beließen den Gemeindeordnungen weitgehend die bisherigen Regelungen der Verwaltungsbefugnisse hinsichtlich des Gemeindegutes. (siehe dazu: Ergänzung der Gemeindeordnung als historische agrarische Operation)

Erst mit dem Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 war die neue Bundeskompetenz „Bodenreform“ mit allen Auswirkungen zu beachten. Solange der Bund von einer Kompetenz zur Bundes-Grundsatzgesetzgebung keinen Gebrauch macht, gibt es keine von den Ländern zu beachtenden Vorgaben. Diese Bundeskompetenz wurde nun neben der weiter bestehenden Gemeinderechtskompetenz der Länder als kumulative Regelungszuständigkeiten beider Gebietskörperschaften in der Sachmaterie „Gemeindegut“ wirksam.

Diese Zuständigkeitskumulation ist seit dem Inkrafttreten der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung am 1. 10. 1925 nicht mehr historisch, sondern rechtssystematisch nach den in Betracht kommenden kompetenzrechtlichen „Gesichtspunkten“ zu differenzieren. Das bedeutet, dass die historischen Regelungsbefugnisse des Gemeindegesetzgebers in Angelegenheiten des Gemeindegutes nicht mehr in der sachlich umfassenden Allgemeinzuständigkeit weiter gelten. Vielmehr sind diese im Einzelnen darauf hin zu prüfen sind, ob sie der neuen Bundeskompetenz „Bodenreform einschließlich agrarische Operationen“ (Art 12 Abs 1 B-VG) widersprechen, mit ihr vereinbar sind oder sogar von ihr vorausgesetzt werden. Dies soll im letzten Abschnitt dieser Untersuchung auf der Grundlage der vorangehenden Klärung des Umfanges der Bundeskompetenz „Bodenreform“ untersucht werden.

4. Angelegenheiten der Bodenreform

Nach Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG ist die „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“ Bundessache hinsichtlich der Gesetzgebung über die Grundsätze und Landessache, was die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung betrifft.

Was unter den Kompetenzbegriffen „Bodenreform“ (dies ist der Oberbegriff) und „agrarische Operationen“ (die „Wiederbesiedlung“ kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben) im Einzelnen zu verstehen ist, muss – da der Inhalt dieser Begriffe in der Verfassung selbst nicht näher umschrieben ist – im Sinne der ständigen Rechtsprechung danach beurteilt werden, „in welcher rechtlichen Prägung die Rechtsordnung die Begriffe im Zeitpunkt ihrer Schaffung verwendet hat“ (VfSlg 4349/1963 ua). Der Inhalt der Kompetenzvorschriften wird somit nach dem Prinzip der historischen Auslegung ermittelt. Die Kompetenzbegriffe sind in jener Bedeutung zu verstehen, die sie beim Wirksamwerden der betreffenden Zuständigkeitsvorschriften (hier: 1. 10. 1925) in der Rechtsordnung hatten.

Diese – als „Versteinerungstheorie“ bezeichnete – Auslegungsmethode baut auf der rechtlichen Begriffsbildung in der einfachgesetzlichen Rechtslage im Versteinerungszeitpunkt auf. Es müssen daher die am 1. 10. 1925 in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften betreffend die Bodenreform (agrarische Operationen) festgestellt und als Auslegungshilfe zur Ermittlung der angeführten Kompetenzbegriffe herangezogen werden. (Vgl dazu Schäffer, Verfassungsinterpretation in Österreich, Wien/New York 1971, 99 ff; Funk, Das System der bundessstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung, Wien 1980, 69 ff; Mayer, Entwicklungstendenzen in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, ÖJZ 1980, 337 f; Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise, Wien 1989, 79ff)

Hinsichtlich des Begriffs der „agrarischen Operationen“ (dieser Begriff steht hier im Vordergrund) ist nach Lehre und Rechtsprechung auf die drei „Reichsrahmengesetze“ von 1883, RGBl Nr 92 bis 94, abzustellen: Als agrarische Operationen werden vom Verfassungsgerichtshof stets „nur die in den drei sogenannten ‚Reichsrahmengesetzen‘ vom 7. Juni 1883, RGBl 92 bis 94, geregelten Aktionen der Zusammenlegung, der Bereinigung des Waldlandes von fremden Enklaven und der Teilung und Regulierung von Agrargemeinschaften verstanden“. (Vgl VfSlg 1390/1931; uam)

Die Prüfung der Frage, ob es sich bei der Teilung und Regulierung von Gemeindegut um agrarische Operationen im Sinne des Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG handelt, ist anhand des – zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzbestimmungen (1. 10. 1925) geltenden – Gesetzes vom 7. Juni 1883, RGBl 94, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte und der zu diesem „Reichsrahmengesetz“ erlassenen Landes-Ausführungsgesetze von 1884 (Mähren) bis 1921 (Vorarlberg) vorzunehmen.

Nach seinem § 1 bezieht sich dieses Gesetz auf Grundstücke, bezüglich derer entweder „a) zwischen gewesenen Obrigkeiten und Gemeinden oder ehemaligen Unterthanen, sowie zwischen zwei oder mehreren Gemeinden gemeinschaftliche Besitz- und Benützungsrechte bestehen, oder b)   welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Gemeinde, einer oder mehrerer Gemeindeabtheilungen, Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften (Klassen der Bauern, Bestifteten, Singularisten udgl) kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitze verbunden Mitgliedschaft, oder von den Mitberechtigten an den in einzelnen Ländern bestehenden Wechsel- oder Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise benützt werden.“

Dieser seinerzeitigen Formulierung entsprechen heute § 15 Abs 1 lit a und b Flurverfassungs-Grundsatzgesetz, BGBl 1951/103 idgF und die korrespondierenden Bestimmungen der Flurverfassungs-Landesgesetze. (zB § 33 Abs 1 und 2 Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996, LGBl 74 idF 2009/7; § 31 Abs 1 lit a und b Vbg Flurverfassungsgesetz, LGBl 1979/2 idgF) Schon nach dem Wortlaut des § 1 lit b des zitierten Gesetzes aus 1883 fällt auch das sog Gemeindegut ganz offenkundig unter diese Bestimmung. Die Reglungen betreffend die Teilung und Regulierung der gemeinschaftlichen Grundstücke, deren genauere Ausführung gemäß § 2 der Landesgesetzgebung vorbehalten blieb, galten daher auch für das Gemeindegut.

Die Einbeziehung des Gemeindegutes in die Reglungen über die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Grundstücke war auch die erklärte Absicht des historischen Gesetzebers. So heißt es in den „Erläuternden Bemerkungen zu den auf Grund Allerhöchster Entschließung vom 12. Februar 1880 eingebrachten Gesetzesentwürfen hinsichtlich des Gesetzesentwurfes betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Theilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse“: „Die Bestimmungen des § 1 Z 2 (in der Endfassung lit b) des Entwurfes haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben“. (43 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, IX. Session)

Auch im „Bericht des Commassationsausschusses über die von dem Hohen Herrenhause am 7. und 17. November 1881 in dritter Lesung gefaßten Beschlüsse auf Erlassung von Gesetzen: a) betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke; b) betreffend die Bereinigung des Waldlandes von fremden Enclaven und die Arrondirung der Waldgrenzen; c) betreffend die Theilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulirung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte“ wird bezüglich des letztgenannten Gesetzesentwurfes angeführt: „Die im § 1 sub b bezeichneten Grundstücke aber sind solche, welche – abgesehen von Dalmatien, woselbst durch die historischen Ereignisse und namentlich durch den Einfluß der türkischen und venetianischen Herrschaft sich ganz besondere Verhältnisse herausgebildet haben – in allen österreichischen Ländern sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung ‚Gemeindegut‘, bald unter der Bezeichnung ‚Gemeingut‘ erhalten haben, und bei welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden“. (528 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12)

In gleicher Weise lassen sich die Debattenbeiträge der verschiedenen Abgeordneten in der 268. Sitzung der IX. Session des Abgeordnetenhauses als Beleg anführen. (Vgl insbesondere die Beiträge der Abgeordneten v Grocholski und Kopp sowie des Regierungsvertreters v Rinaldini, Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, IX. Session, 268. Sitzung, 9214ff) Bezeichnenderweise ging es in der Debatte vorwiegend um die Frage der Einbeziehung des Gemeindegutes. Dieses Thema nahm die meiste Zeit der Sitzung in Anspruch. Manche Abgeordneten sahen in dem betreffenden Gesetz einen massiven Eingriff in die Autonomie der Gemeinden und die Gesetzgebungskompetenzen der Länder, wobei sie darauf hinwiesen, dass die Gemeindeordnungen der Länder bereits Regelungen über das Gemeindegut enthielten.

So sagte beispielsweise der Abgeordnete v Grocholski„Der § 1 bestimmt, welche Grundstücke den Gegenstand des Gesetzes zu bilden haben. Unter diesen Gründen sind aber unstreitig jene Gründe gemeint, welche heutzutage Eigenthum der Gemeinde sind und welche den Namen ‚Gemeindegut‘ haben – ich weiß nicht, ob ich richtig verdolmetsche, im Polnischen heißt es ‚dobro gminne‘ – also ‚Gemeindegut‘. Das sind jene Gründe, welche das Eigenthum entweder der ganzen Gemeinde oder eines Theiles der Gemeinde bilden, nachdem ja die politische Gemeinde aus Ansässigkeiten bestehen kann, welche besonderes Eigenthum haben und wo die einzelnen Mitglieder dieser Gemeinde, beziehungsweise dieses Theiles der Gemeinde das Benützungsrecht auf diese Gründe haben. Diese Gründe fallen unbestreitbar nach dem Wortlaute des § 1 unter dieses Gesetz. Nun, meine Herren, die Verwaltung dieser Gründe, die Benützung, die Theilung dieser Gründe ist aber, wenn ich nicht irre, bereits in allen durch Landesgesetze gegebenen Gemeindeordnungen normirt, besonders in Galizien. Ich kann die Paragraphe citiren, durch die sie normiert ist“. (Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, IX. Session, 9219)

Trotz dieser und ähnlicher Einwände wurde das Gesetz beschlossen, nicht zuletzt deshalb, weil die diesbezüglichen Bestimmungen der Gemeindeordnungen für unzulänglich gehalten wurden. Der Regierungsvertreter Ministerialrat v Rinaldini führte dazu aus: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst den sogenannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, die sehr vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Uebung hinweisen und eventuell, wo eine solche unangefochtene Uebung nicht besteht, Gemeinderathsbeschlüsse als normirend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Comeptenz frägt, wenn man sicheren Aufschluß haben will, wer eigentlich competent sei, in dieser Frage zu entscheiden? Diese Unzulänglichkeit der bestehenden Normen der Gemeindeordnung und auch insbesondere, was das Gemeinschaftsvermögen betrifft, die vollständige Unzulänglichkeit der Normen des 16. Hauptstückes des bügerlichen Gesetzbuches über die Gemeinschaft des Eigenthums haben geradezu dazu gedrängt, eine solche Vorlage zu entwerfen“. (Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, IX. Session, S 9221; vgl auch den Debattenbeitrag des Abgeordneten Granitsch, 9230 ff)

Nach der Erlassung des Reichsrahmengesetzes, RGBl 1883/94 durfte der Landesgesetzgeber die Fragen der Teilung und Regulierung des Gemeindegutes nur mehr „nach Maßgabe dieses Gesetzes“ (§ 2 leg cit) regeln, dh als Ausführungsgesetzgeber. Die Reichsgesetzgebung nahm die Zuständigkeit zur Rahmengesetzgebung auf diesem Gebiet mit diesem Gesetz aus 1883 einfach für sich in Anspruch. Die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Grundstücke war damit auch hinsichtlich des Gemeindegutes eine „agrarische Operation“ im Zuständigkeitsbereich der Reichsrahmengesetzgebung.

Für die kompetenzrechtliche Zuordnung des Gemeindegutes, wie sie in dieser Untersuchung vorzunehmen ist, ist die damalige Zuständigkeit des Reichsgesetzgebers unmaßgeblich. (Vgl §§ 11 und 12 des Gesetzes, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird, RGBl 1867/141) Wesentlich ist im vorliegenden Zusammenhang nur, dass unter dem Kompetenzbegriff „agrarische Operationen“ im Sinne des Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG nach der Versteinerungstheorie auch die Teilung und Regulierung von Gemeindegut zu verstehen ist. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch dadurch, dass sämtliche Landes-Ausführungsgesetze zum Reichsrahmengesetz von 1884 bis zum Jahre 1921 agrargemeinschaftliche Grundstücke des Gemeindegutes ausdrücklich der Teilung und Regulierung unterwarfen, wobei sie für die Regulierung allerdings eine Allgemeinzuständigkeit der Gemeinde festlegten, weshalb die Regulierung darauf hinauslief, dass die Gemeindeordnung um notwendige Regelungen ergänzt werden sollte. (Kühne/OberhoferaaO, 263f)

Regelungen betreffend die Teilung und Regulierung von Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung sind daher in der Grundsatzgesetzgebung Bundessache und in der Ausführungsgesetzgebung Landessache.
Da sich der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 die Rahmengesetzgebung auf diesem Gebiete angeeignet hatte, hat der Bundesverfassungs-Gesetzgeber in der Bundesverfassung (B-VG) für die Bodenreformgesetzgebung eine eigene Bundeskompetenz (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) geschaffen und eine besondere Verfassungsgrundlage für die gleichfalls übernommene traditionelle Organisationsform der Agrarbehörden (Art 12 Abs 2 B-VG; vgl die Neuordnung der Organisation der Agrarbehörden durch das Gesetz StGBl 1920/195).

Auf die am 1. 10. 1925 in Kraft getretene Kompetenz des Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG hat sich nicht nur die Regierungsvorlage des FlVerfGG 1931 berufen; auch die Landesausführungsgesetze – bis zum Tiroler FlVLG LGBl 2010/7 – haben sich bei der Regelung des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung auf diese Verfassungsbestimmung gestützt. (78 der Beilagen Nationalrat IV GP, 9; Bericht und Antrag des Ausschusses für Rechts-, Gemeinde- und Raumordnungsangelegenheiten zur Regierungsvorlage der TFLG-Novelle, Zl 574/09 der Beilagen zu den Sten Prot des LT XV GP)

5.      Die Kompetenz „Bodenreform“

Der VfGH hat zur Grundlage seiner Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 15 Abs 2 FlVerfGG 1951 und der diese Bestimmung ausführenden Landesgesetze folgende These genommen (VfSlg 9336/1982 und alle, diese Entscheidung konkretisierenden Folgeerkenntnisse):

„Unter dem Gemeindegut (Ortschaftsgut, Fraktionsgut), das § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken zählt und der Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach Maßgabe des Gesetzes unterwerfen, ist jene Erscheinung zu verstehen, die in den früheren Gemeindeordnungen im Rahmen des Reichsgemeindegesetzes 1862 und den nachfolgenden Gemeindegesetzen geregelt war. Das ergibt sich nicht nur aus dem durch die Gemeindeordnungen geprägten Ausdruck „Gemeindegut“, sondern auch aus dem Hinweis auf die Bestimmungen der Gemeindeordnungen im Grundsatzgesetz. Dieser Hinweis ist im Ausführungsgesetz für Vorarlberg offenkundig nur deshalb unterblieben, weil die Vbg. Gemeindeordnung zur Zeit seiner Erlassung im Hinblick auf eben diese flurverfassungsrechtliche Regelung besondere Bestimmungen nicht mehr enthielt. Demgemäß hat der VfGH bereits in den Erk. VfSlg. 4229/1962 und 5666/1968 klargestellt, dass unter Gemeindegut iS des Flurverfassungsrechts jenes zu verstehen ist, dessen Rechtsgrundlage ausschließlich die Gemeindeordnungen waren“. (III. 1 der Entscheidungsgründe des Erk VfSlg 9336/1982)

Diese These der Verfassungsgerichtshofes ist schon aus kompetenzrechtlichen Erwägungen offenkundig unrichtig. Die Grundsatzkompetenz Bodenreform ermächtigt nämlich gerade nicht zur Regelung des Gemeindegutes „als Erscheinung der Gemeindeordnung“ – diese Zuständigkeit gehört nämlich in der komplexen Kompetenzmaterie „Gemeindegut“ zur Landeskompetenz „Gemeindeordnung“ (Sehr treffend formuliert daher § 33 Abs 6 Tiroler FLG: „Ob ein Grundstück ein agrargemeinschaftliches Grundstück ist, hat im Zweifel die Agrarbehörde zu entscheiden. Die gemeinderechtlichen Bestimmungen bleiben unberührt.“). Weder die Agrarbehörde noch das Flurverfassungsrecht haben daher die Zuständigkeit zu entscheiden, ob ein agrargemeinschaftliches Grundstück „Gemeindegut im Sinne der Gemeindeordnung ist“. Das Bodenreformrecht bezieht sich nämlich ausschließlich auf die Agrargemeinschaft Gemeindegut als gemeinschaftliche Nutzungsordnung, die neu geordnet werden soll.

Der Verweis des VfGH auf das Reichsgemeindegesetz 1862 und die dieses Grundsatzgesetz ausführenden Gemeindeordnungen von 1866 ist deshalb irreführend, weil zu dieser Zeit kein Bodenreformrecht bestand und die neue politische Gemeinde in liberaler Selbstordnung die bäuerlichen Nutzungsrechte nach der Aufhebung der Grundherrschaft und des geteilten Eigentums „frei“ selbst verwalten und regulieren sollte. Art V Reichsgemeindegesetz bestimmte dazu: Im selbständigen Wirkungskreis kann die Gemeinde „nach freier Selbstbestimmung anordnen und verfügen“; zum Scheitern dieses frühdemokratisch-liberalen Ordnungskonzeptes als Reformmodell der Land- und Forstwirtschaft, das zum Konzept der staatlichen Bodenreform 1883 führte: Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 376)

Dazu kommt, dass selbst die Landesausführungsgesetze zum Reichsrahmengesetz von 1883, RGBl 94 „die Regulierung der Verwaltungsrechte jener gemeinschaftlichen Grundstücke, die durch die Gemeindeordnung oder andere das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt ist“ in der Form geregelt haben, dass die Gemeinde weiterhin Trägerin der Verwaltungsrechte der Agrargemeinschaft sein sollte.
Eine bereits als Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzungorganisierte Agrargemeinschaft konnte geteilt werden; im Fall der Regulierung sollte jedoch kein zweiter Rechtsträger eingerichtet werden, sondern lediglich eine Ergänzung der Gemeindeordnung im erforderlichen Ausmaß stattfinden. Die Ergänzung der Gemeindeordnung um die erforderlichen Bestimmungen war eine spezielle agrarische Operation gemäß den Teilungs- Regulierungs- Landesgesetzen.
Dieser Rechtszustand galt infolge der Rechtsüberleitung der betreffenden reichs- und landesgesetzlichen Vorschriften auch in der Republik zunächst weiter.

Erst das Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 hat das Problem der Abgrenzung der Bodenreformkompetenz des Bundes von der Gemeinderechtskompetenz der Länder bewusst werden lassen und – aus Anlass der Neuordnung des Gemeinderechtes im Jahre 1935 und später – zu einer Intervention des Bundes und einer darauf Bedacht nehmenden Anpassung der Gemeindeordnungen geführt.  Seit dem grenzen die Gemeindeordnungen ihre Vorschriften über das Gemeindegut eindeutig von „den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform“ ab, die „unberührt bleiben“ (Vgl etwa § 74 Tiroler Gemeindeordnung LGBl 2001/36; ausführlich: Anpassung des Gemeinderechts).

Allerdings stellt eine Stellungnahme des Bundeskanzleramtes vom 1. 8. 1935 zur geplanten Novelle der Tiroler Gemeindeordnung klar, dass der Bund „großen Wert darauf legt, die bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieses agrargemeinschaftlichen Teiles des Gemeindegutes auch weiterhin in der Gemeindeordnung zu belassen“, worauf sich auch der Hinweis auf die Gemeindeordnungen in § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG beziehe. (Stellungnahme des Bundeskanzleramtes (Inneres) „Gemeindegut und Flurverfassungsgrundsatzgesetz BGBl 256/1932“, Zl 156.486-6 vom 1. August 1935; ausführlich: Anpassung des Gemeinderechts). Der Grund war ein einfacher: Solange keine agrarische Operation durchgeführt war, musste die bisherige Ordnungsinstanz ihre Kompetenzen behalten.

Es kann also nach der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern das FlVerfGG des Bundes den Begriff „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Benutzung“ autonom als Nutzungsordnung unabhängig von der Eigentumszuordnungrechtlich definieren, wenn der Bundesgesetzgeber dies für die Zwecke des Regulierungsverfahrens für sinnvoll hält. Erst im Regulierungsverfahren soll über die Rechtsfrage der Eigentumszuordnung (auf Grund der Erhebungen dieses Verfahrens) von der Agrarbehörde entschieden werden.
In gleicher Weise kann aber der Gemeindegesetzgeber es bei seiner bisherigen Regelung belassen, dass das Gemeindegut im gemeinderechtlichen Sinn als ein besonders qualifizierter Teil des Gemeindevermögens im Eigentum der Gemeinde steht, weil auch diese Regelung zur Kompetenz „Gemeinderecht“ im Sinne des Art 115 Abs 2 und 118 Abs 2 B-VG gehört. (Siehe Art 116 Abs 2 B-VG, der von Art 118 Abs 2 B-VG rezipiert wird)

Ausgeschlossen durch die Kompetenzverteilung ist nur die Annahme des VfGH, dass Gemeindeordnung und Flurverfassungsrecht denselben Rechtsbegriff „Gemeindegut“ verwenden müssen, weil die – aus der Landeskompetenz herausgehobene – Teilkompetenz „Bodenreform“ sich auf einen konkreten Teilbereich der Regelung des Gemeindegutes, nämlich die Teilung und Regulierung der agrargemeinschaftlichenNutzungsrechte am Gemeindegut in einem eigentumsrechtlich undifferenzierten Sinn, bezieht. Dass es dem Bodenreformrecht gerade auf diese eigentumsrechtlich undifferenzierte Ausgangssituation seines Verfahrens ankommt, zeigen die – für die Kompetenz Bodenreform ausschlaggebenden – Reformgesetze 1883, deren gesetzgeberische Zielsetzung – wie oben erläutert wurde – in der Klärung der verworrenen Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut ihren Regelungsschwerpunkt hatten. (Ausführlich dazu: Agrarbehörde entscheidet über Eigentum)

Der Hinweis auf die Gemeindeordnung im § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG (in der Fassung vor der Aufhebung durch VfSlg 9336/1982) bezieht sich daher nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung gerade nicht auf die vermögensrechtliche Zuordnung des Gemeindegutes (als Eigentum der Gemeinde), sondern ganz eindeutig auf die „gemeinschaftliche Benutzung, die der Bestimmung der Gemeindeordnung unterliegt“. Das entspricht einerseits dem Anknüpfungspunkt „gemeinschaftliche Nutzungsordnung“ des Flurverfassungsrechts und anderseits der kompetenzrechtlichen Zuordnung der „bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegutes“ zur Landeskompetenz „Gemeindeordnung“, die das FlVerfGG eindeutig vorausgesetzt hat.

Dass in der rechtlich undifferenzierten Begriffsbildung „Gemeindegut“ – die ja nur die Zuständigkeit der Agrarbehörden im Sinne des Kompetenztatbestandes „Bodenreform“ begründet – eine rechtliche Diskriminierung des Eigentums der Gemeinde gelegen sei, wie der VfGH im Erk Slg 9336/1982 angenommen hat, ist nach den zwingenden Vorschriften des Flurverfassungsrechts über den Ablauf des Teilungs- und Regulierungsverfahrens ausgeschlossen, weil die Agrarbehörde in jedem Fall das Eigentum an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften festzustellen hat und erst auf Grund dieser – zivilrechtlichen – Feststellung ihre weiteren Entscheidungen der Teilung oder Regulierung treffen kann.

6. Doppelzuständigkeit des Landes

Wie eingangs dargelegt wurde, ist der komplexe Zuständigkeitsbereich „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ kompetenzrechtlich derart zu differenzieren, dass der historisch nach der Versteinerungstheorie begrenzte Kompetenztatbestand „Bodenreform“ des Bundes aus der umfassenden Landeskompetenz „Gemeinderecht“ herausgehoben und die Restkompetenz danach analysiert wird.

Als mögliche kompetenzrechtliche Grundlagen für gesetzliche Regelungen betreffend das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung kommen außer Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG („Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“), die Zuständigkeiten der Landesgesetzgebung nach Art 15 Abs 1 B-VG (Generalklausel zugunsten der Länder) und Art 115 Abs 2 B-VG („Gemeinderecht“) in Betracht.

Gemäß Art 115 Abs 2 erster Satz B-VG hat die Landesgesetzgebung das Gemeinderecht – nach den Grundsätzen der Artikel 116 bis 120 B-VG – zu regeln. Unter „Gemeinderecht“ sind dabei vor allem die in Art 116 ff B-VG in ihren Grundsätzen festgelegten Organisationsvorschriften für die Gemeinden und Gemeindeverbände zu verstehen. Die Regelung des materiellen Gemeinderechtes, dh die „Regelung der gemäß den Artikeln 118 und 119 von den Gemeinden zu besorgenden Angelegenheiten“ richtet sich hingegen gemäß Art 115 Abs 2 zweiter Satz B-VG „nach den allgemeinen Vorschriften dieses Bundesverfassungsgesetzes“ und somit nach den Kompetenzvorschriften des Art 10 – 15 B-VG (Vgl zB Oberndorfer, Gemeinderecht und Gemeindewirklichkeit, Linz 1971, 131ff). Regelungen betreffend die Verwaltung, Teilung oder Regulierung des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung obliegen, da es sich um die Festlegung von Aufgaben handelt, dem zuständigen Materiengesetzgeber (nach Art 115 Abs 2 zweiter Satz B-VG) und nicht dem Gemeinderechts-Organisationsgesetzgeber im Sinne des Art 115 Abs 2 erster SatzB-VG. Art 115 Abs 2 zweiter Satz B-VG schafft keinen eigenen Kompetenztatbestand, sondern verweist vielmehr auf die allgemeinen Kompetenz-Vorschriften.

Als Landeskompetenz gemäß Art 15 Abs 1 B-VG kommen für die gegenständliche Materie Vorschriften über die Vermögensverwaltung der Gemeinde (Art 116 Abs 2 B-VG: eigener Wirkungsbereich der Gemeinde), aber auch die subsidiäre Gesetzgebung im Kompetenztatbestand „Bodenreform“ in Betracht ((Art 15 Abs 6 B-VG: „Sind vom Grundsatzgesetzgeber keine Grundsätze aufgestellt, so kann die Landesgesetzgebung solche Angelegenheiten frei regeln“). Die Allgemeinzuständigkeit der Länder gemäß Art 15 Abs 1 B-VG wird durch die Grundsatzkompetenz des Bundes nur eingeschränkt, nicht aber die Gesetzgebungshoheit der Länder durch das Grundsatzgesetz begründet (Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht, 2004, 326). Aus praktischen Erwägungen wird daher – die Abgrenzung der Landeskompetenz „Gemeinderecht“ gegenüber der Bundeskompetenz „Bodenreform“ an den beiden unterschiedlichen Typen der „regulierten“ und der „unregulierten“ Agrargemeinschaft Gemeindegut analysiert. Denn das unregulierte Gemeindegut ist schwergewichtig Gemeinderechtskompetenz, das regulierte Gemeindegut fast ausschließlich Gegenstand der Bodenreformgesetzgebung.

7. Unreguliertes Gemeindegut

Nur in wenigen Teilbereichen unter den Kompetenztatbestand „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedlung“ (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) fällt die Regelung der Verwaltung des nicht regulierten Gemeindegutes, wie sie manche Gemeindeordnungen auch noch heute enthalten (Vgl §§ 70 – 72 Tiroler Gemeindeordnung LGBl 2001/36). Solange das Gemeindegut nämlich keiner planmäßigen „Neuordnung der Besitz-, Benützungs- oder Bewirtschaftungsverhältnisse“ unterworfen wird, sondern nur die bisherige Übung gewahrt und ihre Einhaltung überwacht werden soll, bleibt diese Angelegenheit im Kompetenzbereich des Landes (Art 15 Abs 1 B-VG) und – was die Vollziehung betrifft – eine Aufgabe des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde (Art 118 Abs 2 B-VG). Es handelt sich dabei offenkundig um eine Regelung der Gemeindeaufgabe „Vermögensverwaltung“ (Art 116 Abs 2 B-VG) und nicht der Gemeindeorganisation, daher kommt nach den eingangs dargestellten Grundsätzen nicht die Spezialkompetenz des Art 115 Abs 2 erster Satz B-VG, sondern die Allgemeinzuständigkeit nach Art 15 Abs 1 B-VG zum Tragen. Da es sich dabei um historisch präzise abgegrenzte (öffentlichrechtliche) Ausnahmen aus dem Bereich des Zivilrechts handelt, scheidet auch nach der sehr extensiven Auslegung des Verfassungsgerichtshofes eine Subsumption unter die Bundeskompetenz „Zivilrechtswesen“ eindeutig aus. (So auch: Adamovich; Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts. Zweiter Band: Materiellrechtlicher Teil (1953) 108f; VfSlg 9580/1982; Pernthaler, Zivilrechtswesen und Landeskompetenzen, Wien 1987, 36 ff)

Der Bodenreformgesetzgeber knüpft demgegenüber an das historisch überlieferte und hinsichtlich der Nutzung und Verwaltung bereits durch die Gemeindeordnungen geregelte Gemeindegut an und trifft Regelungen für eine planmäßige Neuordnung der Bodenbesitz-, Benützungs- und Wirtschaftsverhältnisse (Teilung und Regulierung des Gemeindegutes). Ein – als Folge überkommener Flurverfassung oder durch andere Eingriffe in die Figurierung und Nutzung von Grundstücken – geschichtlich gewordener Zustand wird im Hinblick auf die künftige Nutzung und Bewirtschaftung negativ bewertet und daher „planmäßig“, entsprechend den neuen Anschauungen und Bedürfnissen verbessert.

Solange die Agrarbehörde aber keine Neuordnung der Verhältnisse schafft, ist das Gemeindegut nach den Bestimmungen der Gemeindeordnungen von der Gemeinde zu verwalten. Der Landesgesetzgeber darf aber nicht nur Bestimmungen über die Verwaltung des Gemeindegutes treffen, sondern ist darüber hinaus nach Art 15 Abs 1 B-VG auch zuständig, Regelungen über die Verwaltung der nach einer erfolgten Teilung des Gemeindegutes der Gemeinde zugesprochenen Grundstücke (ehemals Gemeindegut, nunmehr Gemeindevermögen) bzw über die nach einer Regulierung des Gemeindegutes der Gemeinde zustehenden Nutzungsrechte zu treffen. (Vgl zB §§ 70 – 74 Tir Gemeindeordnung 2001, LGBl 36 und die Erläuterungen in: 2 der Beilagen zu den Sten Prot des Tiroler Landtages, IX. GP. 24. Tagung; Vgl zB die Bestimmungen der §§ 70 ff Vbg Gemeindegesetz betreffend die Vermögensverwaltung der Gemeinde)

Unter die Kompetenz „Bodenreform“ fallen beim nicht regulierten Gemeindegut lediglich die Kompetenzen der Agrarbehörde zur Feststellung der Qualität „agrargemeinschaftliches Grundstückund die allgemeinen Befugnisse der Agrarbehörden zur Einleitung bodenreformatorischer Verfahren bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken. (§ 33 Z 6 TFLG; §§ 34 und 71 TFLG)

8. Gemeinderechtskompetenz

Das regulierte Gemeindegut unterliegt – bereits ab Einleitung des Regulierungsverfahrens – nach den oben angeführten Kriterien im Allgemeinen dem Kompetenztatbestand „Bodenreform“. Nach der verfassungsrechtlichen Konstruktion der Kompetenztype „Grundsatzgesetzgebung“ kann allerdings der Landesgesetzgeber auch im Rahmen dieses Kompetenztatbestandes alles regeln, was im Grundsatzgesetz (FlVerfGG) nicht geregelt ist und dessen Regelungen nicht widerspricht. Nachdem aber der Grundsatzgesetzgeber selbst vorausgesetzt hat, dass die Gemeindeordnungen im Rahmen ihrer Kompetenz „Bestimmungen über die gemeinschaftliche Benutzung“ des Gemeindegutes treffen können (§ 15 Abs 2 lit d FlVerfGG), widersprechen materiellrechtliche und organisatorische Bestimmungen der Gemeindeordnung über das Recht und den Umfang der Nutzungen am Gemeindegut, die Verwaltung und Aufsicht über diese Nutzungen solange nicht dem Flurverfassungsrecht, als nicht die Agrarbehörde im Rahmen des Regulierungsverfahrens abweichende Regelungen trifft. (Art 15 Abs 6 B-VG; Vgl dazu die Bestimmungen der §§ 68 – 73 einerseits und die Vorbehaltsregelung des § 74 der Tiroler Gemeindeordnung, LGBl 2001/36, anderseits)

Da das Flurverfassungsrecht keine Bestimmungen über die Aufhebung („Ablösung“) von agrargemeinschaftlichen Nutzungsrechten kennt sind auch derartige Regelungen in den Gemeindeordnungen kompetenzmäßig Landessache gemäß Art 15 Abs 6 B-VG, obwohl es sich inhaltlich um eine Materie der Bodenreform handelt.

 

-.-.-.-.-

aus:
Peter Pernthaler,
Die Gesetzgebungskompetenz über Gemeindegut.

in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg), Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) 409ff

 

..

 

MP

.

RICHTER ÜBER GEMEINDEGUT