Agrarbehörde

Die ewige Suche nach dem Recht, der Kampf für die Gerechtigkeit, sind ein Wesenselement des Rechtsstaates, der Grundsatz der Beachtlichkeit rechtskräftiger Staatsakte ist ein anderes nicht minder bedeutsames. § 14 Agrarverfahrensgesetz 1950, BGBl 173/1950 (AgrVG) lässt keinen Zweifel an den Rechtswirkungen der historischen Verfahrensergebnisse: Die Bescheide (Erkenntnisse) der Agrarbehörden und die von ihnen genehmigten Vergleiche (Übereinkommen) haben die Rechtswirkung gerichtlicher Urteile und gerichtlicher Vergleiche.

In einer Serie von einem guten Dutzend Erk vom 30.6.2011 hat der Verwaltungsgerichtshof in dieser Streitfrage Position bezogen. Darin wurde die Rechtsposition der Agrargemeinschaften als zivilrechtliche Eigentümerinnen des Regulierungsgebietes klargestellt. Insoweit die historische Agrarbehörde bei der Entscheidung über Rechtsverhältnisse beim Zuständigkeitstatbestand für „Gemeindegut/Fraktionsgut“ angeknüpft haben, wurde dies jedoch als bescheidmäßige Feststellung ehemaligen Eigentums der Ortsgemeinde missverstanden. Für eine solche – im wahrsten Sinn des Wortes – „Unterstellung“ fehlt jedoch jede Rechtsgrundlage.

A) Die Agrarbehörden als Sonderbehörden

a) Die Grundlegung dieser Sonderorganisation in der Monarchie

Die Durchführung der drei Reichsrahmengesetze 1883, RGBl 92-94, wurde von Anfang an Besonderen Verwaltungsbehörden übertragen (§§ 6 ff des Gesetzes RGBl 1883/92; § 1 RGB l 1883/93; § 1 RGBl 1883/94), weil die bisherige Kompetenz der Zivilgerichte endlose Prozesse zur Folge hatte, aber keine sinnvolle Neuordnung der unsicheren Rechtsverhältnisse und agrarischen Bewirtschaftungsprobleme agrargemeinschaftlicher Grundstücke herbeiführen konnte. Als neue Behörden wurden in erster Instanz „Lokalkommissäre“, in zweiter Instanz „Landeskommissionen“ und in oberster Instanz eine „Ministerialkommission“ für agrarische Operationen eingerichtet, die organisatorisch mit den politischen Landesbehörden (Statthalterei bzw Landesregierung) und dem Ackerbauministerium verbunden waren. (Adamovich sen, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts. Erster Band: Allgemeiner und formalrechtlicher Teil (1954) 162)
Die neuen Sonderbehörden sollten auf Grund ihrer besonderen Organisationsstruktur Kenntnis der lokalen und regionalen Besonderheiten mit rechtlicher und fachlicher Sachkunde, aber auch Entscheidungsautorität einer „politischen Behörde“ verbinden. Auf Grund ihrer Unabhängigkeit und richterlichen Mitglieder waren die Entscheidungen der Landes- und Ministerialkommissionen von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 3 lit b des Gesetzes RGBl 36/1876 ausgeschlossen. (Pernthaler, Die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag (1977) 18; diese Beschränkung der Verwaltungsgerichtskontrolle wurde erst durch § 8 der Agrarbehördengesetznovelle 1974, BGBl 476 beseitigt). Dafür kam den Entscheidungen („Erkenntnissen“) dieser Behörden und den von ihnen genehmigten Vergleichen die Rechtswirkungen richterlicher Erkenntnisse bzw Vergleiche zu, die unmittelbar vollstreckbar waren. (§ 7 RGBl 1883/92) Die sehr begrenzten Ausnahmen von der Allzuständigkeit der Agrarbehörden in besonderen Eigentums- und Besitzstreitigkeiten zugunsten der ordentlichen Gerichtsbarkeit (§ 7 Abs 2 RGBl 1883/92; ebenso noch jetzt § 72 Abs 7 TFLG 1996) machen deutlich, dass die Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden sich von Anfang an auch auf die zivilrechtlichen Feststellungen und Entscheidungen in Eigentumsfragen der agrargemeinschaftlichen Grundstücke bezogen, die außerhalb der Verfahren der Bodenreform in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit fielen.

b) Die organisatorische Neuregelung in der Republik

Schon vor dem Inkrafttreten der Bundesverfassung wurde die Organisation der Agrarbehörden neu geordnet. (Gesetz StGBl 1920/195) An die Stelle der „beeideten Lokalkommissäre“ traten „Agrarbezirksbehörden“, in den Ländern wurden „Agrarlandesbehörden“ und die „Agraroberbehörde“ beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft eingerichtet. Durch das Bundesgesetz, BGBl 1925/281, wurde diese Organisation der durch die B-VG-Novelle 1925 neu geordneten allgemeinen staatlichen Verwaltungen in den Ländern angepasst und durch das Bundesgesetz, BGBl 1937/133, in die noch heute geltende Organisation der Agrarbehörden umgewandelt: In erster Instanz ist die monokratisch organisierte Agrarbezirksbehörde als Sonder-Landesbehörde tätig, soweit die Landesgesetzgebung auf Grund der Ermächtigung des § 3 Abs 2 des Agrarbehördengesetzes 1950 nicht von der Einrichtung eigener Agrarbezirksbehörden absieht und ihre Aufgaben dem Amt der Landesregierung zuweist.

Während der deutschen Besetzung traten an die Stelle der österreichischen Vorschriften die Bestimmungen der Verordnung vom 16.2.1940, RGBl I, 367; durch die Kundmachung BGBl 1946/85 auf Grund des § 1 Abs 2 Rechts-Überleitungsgesetzes, StGBl 1945/6, wurden diese deutschen Rechtsvorschriften als aufgehoben erklärt. (Weil sie gemäß § 1 Abs 1 R-ÜG „mit den Grundsätzlichen einer echten Demokratie unvereinbar sind und dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes widersprechen“; vgl dazu VfGH Erk Slg 4320/1962 über den Unterschied zwischen Polizeistaat und (dem österreichischen) Rechtsstaat) Die ehemaligen österreichischen Vorschriften gemäß § 1 Abs 3 R-ÜG wurden neuerlich in Geltung gesetzt. In der Fassung der Novelle BGBl 1947/179 wurden sie als „Agrarbehördengesetz 1950“, BGBl 1951/1 wiederverlautbart und stehen als solche – in der Fassung BGBl I 1999/191 und BGBl I 2006/113 – noch heute in Geltung.

Die Einrichtungsvorschriften der republikanischen Verwaltungsorganisation hielten an der oben dargestellten kommissionellen Behördenstruktur mit quasi-richterlichen Unabhängigkeit der Senate fest, wie sie seit 1883 die Agrarbehörden auf Landesebene und bei der Zentralbehörde kennzeichnete. Das war schon deshalb erforderlich, weil sich weder am sachlichen Wirkungsbereich der „Bodenreform“ noch an der Kombination von zivilrechtlicher und verwaltungsbehördlicher Entscheidungsbefugnis – unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges – der Agrarbehörden irgendetwas änderte. Wie in der Folge noch ausführlich begründet wird, erfasste diese umfassende Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden seit den oben angeführten Reichsrahmengesetzen von 1883 unverändert bis heute als Kernkompetenz die Eigentumsfeststellung an agrargemeinschaftlichen Grundstücken – unabhängig davon, ob diese als Gemeindegut verwaltet werden oder nicht.

B) „Bodenreform“ als Sonderkompetenz

a) Grund für die „Reichsrahmengesetzgebung“

Die eingangs erwähnten Reformgesetze des Jahres 1883 ergingen als „Reichsrahmengesetze“, eine Kompetenztype, die in der damals geltenden Reichsverfassung nicht vorgesehen war. (Vgl die §§ 11 und 12 des Gesetzes über die Reichsvertretung, RGBl 1867/141; Weyr, Rahmengesetze (1913) 60 ff) Der Grund für diese – in der Generalklausel der Reichsgesetzgebung (§ 11 RGBl 1867/141) begründete – Kompromiss-Lösung lag darin, dass die Reformgesetze zwar politisch wichtige Landeskompetenzen insbesondere Land- und Forstwirtschaft und Gemeindewesen erfassten, gleichzeitig aber in zentraler Weise die Reichskompetenz „Zivilrecht“ berührten und als Reformgesetze auch die unzulänglichen landesgesetzlichen Bestimmungen der Gemeindeordnungen über das Gemeindegut bindend neu ordnen wollten. Diese Reformziele und die draus resultierende Notwendigkeit einer Reichsgesetzgebung wurden in den parlamentarischen Materialien und vor allem in den Debattenbeiträgen des Abgeordnetenhauses ausgiebig erörtert und gegen Einwände vieler Abgeordneter wegen Eingriffe in Landeskompetenzen schließlich doch als „Rahmengesetze“ beschlossen. (Regierungsvorlage, 43 der Beilagen zu den sten Prot des Herrenhauses IX. Session; Bericht des Commassionsausschusses, 582 der Beilagen zu den sten Prot des Abgeordnetenhauses IX. Session; 268. Sitzung des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 9214ff) Die vereinzelt gebliebene Meinung, das Gemeindegut sei nicht unter die Reformgesetze von 1883 gefallen und daher nicht im Kompetenztatbestand „Bodenreform“ enthalten (Morscher, Gemeinnutzungsrechte am Gemeindegut, ZfV 1982, 6), widerspricht nicht nur dem Wortlaut des § 1 lit b des Gesetzes RGBl 1883/94, sondern auch den aus den parlamentarischen Materialien klar erkennbaren Zielsetzungen des Gesetzes, „die sehr vagen Bestimmungen der Gemeindeordnungen“ über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut und die Entscheidungskompetenz über diese Rechtsfragen durch klare und einheitliche rechtliche Regelungen zu ersetzen. (Vgl dazu die Ausführungen der Regierungsvertreter in der Debatte des Abgeordnetenhauses, 268. Sitzung IX. Session, 9221ff)

b) Zur sachlichen Zuständigkeit im Teilungs- und Regulierungsrecht

Das Gesetz vom 7. Juni 1883 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, (TRRG 1883, RGBl 1883/94) definierte die Zuständigkeit der neuen Behörden in Angelegenheiten der Teilung und Regulierung von Gemeinschaftsliegenschaften wie folgt: § 1. Die nach dem Gesetz vom 7. Juni 1883 (RGBl Nr 92) zuständigen Behörden sind zugleich im Verfahren bei Teilung von Grundstücken, sowie im Verfahren bei Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte an ungeteilt verbleibenden Grundstücken zuständig, bezüglich derer entweder a) […] oder b) welche von allen oder gewissen Mitgliedern einer Gemeinde, einer oder mehrerer Gemeindeabteilung, Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften (Klassen der Bauern, Bestifteten, Singularisten u.d. gl.) kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitze verbundenen Mitgliedschaft, […] benützt werden.“

Diese Definition des § 1 lit b TRRG 1883 umfasst – wie bereits oben ausgeführt – das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung. Die in sämtlichen Ausführungsgesetzen zum TRRG 1883, beginnend mit dem Ausführungsgesetz für die für die Markgrafschaft Mähren vom 13. Februar 1884 bis zum Ausführungsgesetz für das Land Vorarlberg vom 11. Juli 1921 anzutreffende Regelung, wonach das in Anwendung der Gemeindeordnung verwaltete Gemeindegut der agrarischen Operation nach Teilungs- und Regulierungs-Landesrecht unterliege, sind deshalb nur als Klarstellung zur Generalklausel zu verstehen, wie diese bereits in § 1 lit b TRRG 1883 definiert wurde. Die älteren Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetze machen dies besonders deutlich.

Zu verweisen ist beispielsweise auf das erste Ausführungsgesetz zum TRRG 1883, das Gesetz für die Markgrafschaft Mähren vom 13. Februar 1884 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte (LGBl 1884/31). Dessen § 2 lautet wie folgt: „Wo in diesem Gesetz von Behörden oder von gemeinschaftlichen Grundstücken ohne anderweitige Bezeichnung die Rede ist, sind die im § 1 angegebenen Behörden, bzw die da selbst bezeichneten Grundstücke zu verstehen. Zu diesen Grundstücken sind insbesondere auch jene zu zählen, welche als Gemeindegut einer gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 15. März 1864 unterliegen, sowie jene, welche aufgrund einer in Ausführung des kaiserlichen Patentes vom 5. Juni 1853 RGBl Nr 130) erfolgten Abtretung sich im Besitze einer Ortschaft, Gemeinde oder Gesamtheit von Berechtigten befinden.“

Man muss jedoch auch die historische Entwicklung beachten und die beschränkte Regulierungskompetenz der Agrarbehörden nach den Ausführungsgesetzten der Länder zum TRRG 1883 in den Fällen, in denen agrargemeinschaftliche genutzte Liegenschaften (bereits) in Anwendung der Gemeindeordnung verwaltet wurden. Die Gemeindeordnungen der Länder haben deshalb erst auf der Grundlage des FlVerfGG 1932 das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung aus dem allgemeinen Gemeindegutsbegriff ausdifferenziert und klar dem Vollzugsbereich des jeweiligen Flurverfassungs-Landesgesetzes zugewiesen. (Kühne/Oberhofer , Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 263ff; www.agrar-info/Bodenreform/Ergänzung-der-GO)

Daraus folgt, dass gerade die Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden in Eigentums- und Besitzfragen der Agrargemeinschaften, einschließlich des Gemeindegutes, zum Kernbestand der Reformgesetze von 1883 und damit auch des durch sie geprägten Kompetenztatbestandes „Bodenreform“ gehört. Das soll im Folgenden näher begründet werden.

c) Der bundesstaatliche Kompetenztatbestand „Bodenreform“

Die Republik übernahm nicht nur weitgehend die besondere Organisation der Agrarbehörden, sondern auch den materiellen Rechtsbestand und die besondere Type der Kompetenzverteilung („Rahmengesetze“) der Reformgesetze von 1883. Anders als in der Monarchie wurde in der Bundesverfassung eine eigene Kompetenztype der „Grundsatzgesetzgebung“ geschaffen, die nunmehr – anders als in der Monarchie – mit der Landesvollziehung verbunden wurde. (Art 12 Abs 1 B-VG in Verbindung mit § 8 Abs 1 und 4 Verfassungs-Übergangsgesetz 1920)
Um die bisherige besondere Organisation in gerichtsartigen Senaten, die Oberinstanz des Obersten Agrarsenates als Bundesbehörde und die weitgehende Organisationshoheit des Bundesgesetzgebers mit der Landesvollziehung zu vereinbaren, musste eine eigene Sonderverfassungsnorm für die Organisation der Vollziehung des Bodenreformrechtes in die Bundesverfassung aufgenommen werden. (Art 12 Abs 2 B-VG; VfGH Erk Slg 1966; 5528/1967; Antoniolli/Koja , 437)

Wie oben angeführt, hängt die besondere Organisationsform der Agrarbehörden, vor allem ihre Gliederung in Senate und den Obersten Agrarsenat untrennbar mit der umfassenden Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden – an Stelle der ordentlichen Gerichtsbarkeit – in zivilrechtlichen Fragen der Bodenreform zusammen. In einem grundlegenden Kompetenz-Feststellungserkenntnis gemäß Art 138 Abs 2 B-VG hat der VfGH diesen komplexen Kompetenztatbestand rechtssystematisch wie folgt formuliert:
„Alle Aktionen auf dem Gebiet der Landeskultur, die die gegebenen Bodenbesitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse den geänderten sozialen oder wirtschaftlichen Anschauungen oder Bedürfnissen entsprechend einer planmäßigen Neuordnung oder Regulierung unterziehen wollen, sofern sie nicht unter Art 10 B VG fallen.“ (VfGH Erk Slg 1390/1931; ähnlich VfSlg 3649/1959; 4027/1961; 5741/1968; 6508/1971; 9120/1981; 11.856/1988; 12.280/1990 ua; Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, Bd 1 (1975) 96; Zessner-Spitzenberg, Bodenreform im Sinne der Bundesverfassung, ÖVBl 1931, 89 ff und 121 ff; Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts5, 2. Bd (1953) 115 ff; Herrnritt, Österreichisches Verwaltungsrecht (1925) 216)

Schon aus dieser Formulierung selbst – und noch viel deutlicher aus den zahlreichen Erkenntnissen des VfGH, welche diese Kompetenz erläutern und konkretisieren geht klar hervor, dass die Feststellung und Verfügung über Eigentum und zivilrechtliche Ansprüche und Rechtsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken kraft Verfassungsrecht zum Kernbereich der agrarbehördlichen Kognitionsbefugnisse gehören. In zahlreichen Erkenntnissen hat der VfGH daher ausdrücklich festgehalten, dass sich der Kompetenztatbestand „Bodenreform“ auch auf zivilrechtliche Fragen erstreckt und daher vom Kompetenztatbestand „Zivilrechtswesen“ abzugrenzen ist. (VfSlg 8151/1977; 11.856/1988; 12.415/1990; VwGH v 13.12.1994, 94/07/039 ua; VfSlg 2452/1952; 2820/1955; 3614/1959; 4064/1961; 5666/1968; 12.280/1990 ua)

Noch viel deutlicher wird dieses Ergebnis, wenn man den in Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG genannten Sonderfall der Bodenreform, nämlich die „agrarischen Operationen“ im Sinne der für die Auslegung der Kompetenztatbestände maßgebenden „Versteinerungstheorie“ auslegt. Da auf den „Versteinerungszeitpunkt“ 1.10.1925 (Inkrafttreten der Kompetenzverteilung) abzustellen ist, können nach der Judikatur des VfGH unter agrarische Operationen „nur die in den drei so genannten ‚Reichsrahmengesetzen’ vom 7. Juni 1883, RGBl 92 bis 94 geregelten Aktionen der Zusammenlegung, der Bereinigung des Waldlandes von fremden Enklaven und der Teilung und Regulierung von Agrargemeinschaften verstanden werden“. (VfSlg 1390/1931; 5741/1968; 6508/1971; Melichar, Verfassungsrechtliche Probleme des Agrarrechtes, JBl 1968, 287; Gatterbauer/Kaiser/Welan, Aspekte des österreichischen Flurverfassungsrechtes 1972, 39)
Diese Reichsrahmengesetze ermächtigen aber – wie oben dargelegt wurde – die Agrarbehörden zweifellos dazu, zivilrechtliche Fragen der Eigentums- und Rechtsverhältnisse im Rahmen der ihnen übertragenen Wirkungsbereiche der Bodenreform festzustellen und planmäßig neu zu ordnen.

Diese zivilrechtliche Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden bildet daher noch heute einen Kernbereich der – zwischen Bund und Ländern geteilten – Kompetenz „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ gemäß Art 12 Abs 1 Z 3 und Abs 2 B-VG. Sowohl die landesgesetzlichen Ausführungsvorschriften zum Flurverfassungsrecht als auch die Vollziehung dieser Vorschriften durch die Landes-Agrarbehörden sind an diese bundesverfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenz der Agrarbehörden gebunden.

C) Besondere verfassungsrechtliche Organisationsvorgaben

Die besondere Organisationsform der Agrarsenate war und ist die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die volle zivilrechtliche Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden im Rahmen ihrer behördlichen Funktionen der Bodenreform. Dies galt für ihre ursprüngliche Einrichtung durch die Reformgesetze von 1883 und gilt in verstärktem Maße – für die derzeitige komplexe, europarechtlich geprägte Verfassungsrechtslage.

a) Die Agrarsenate als „eingreifende Verwaltungsjustiz“

Die Agrarsenate nach den Reformgesetzen von 1883 waren von Anfang an als „Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag“ von der Jurisdiktion des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 3 lit b des Gesetzes, RGBl 1873/36, ausgenommen. Die Gründe für diese Sonderstellung lagen einerseits in der zivilrechtlichen Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden und die damit verbundene Ausnahme von der Allzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit von diesen speziellen „bürgerlichen Rechtssachen“. Andererseits schien mit dem Wesen der Verwaltungsaufgabe „Bodenreform“ nur die Form der „eingreifenden Verwaltungsjustiz“ vereinbar zu sein, die dem Verwaltungsgerichtshof als Kassationsgericht verwehrt war, hier aber wegen der komplexen verwaltungsrechtlichen und zivilrechtlichen Elemente der Bodenreform eine unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung war.

Gleichzeitig gingen sowohl die parlamentarischen Materialien des Errichtungsgesetzes (RGBl 1876/36) des Verwaltungsgerichtshofes als auch die zeitgenössische Rechtslehre davon aus, dass vom Verfahren und der Zusammensetzung der entscheidenden Organe gewährleistet sei, dass diese „Tribunale außer dem Verwaltungsgerichtshof und dem Reichsgericht eine Art verwaltungsgerichtlicher Jurisdiktion auszuüben berechtigt sind.“ (Vgl dazu die Regierungsvorlage und den Bericht der Kommission des Herrenhauses 148 und 197 der Blg zu den sten Prot d Herrenhauses VII. Session; Pann, Die Verwaltungs-Justiz in Österreich mit Bedachtnahme auf die auswärtige Gesetzgebung (1876) 19 und 70 f; Ulbrich, Lehrbuch des Österreichischen Staatsrechts (1883) 715; Lemayer, Österreichisches Staatswörterbuch, IV. Band (1909) 34)

Die Betrauung derartiger unabhängiger Kollegialbehörden mit einer „judiziellen Ingerenz auf dem Gebiet der Administration“ hatte im Bodenreformrecht auch eine lange Tradition. In den parlamentarischen Materialien zum Einrichtungsgesetz des Verwaltungsgerichtshofes von 1875 werden als bereits bestehende Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag die „Kommissionen zur Servitutenregulierung“ gemäß Kais. Patent vom 3.7.1853, RGBl 130, und in Rahmen der Lehensaufhebung gemäß RGBl 1862/103, 1868/8-10 und 1869/103-112 erwähnt. „Eingreifende Verwaltungsjustiz“ im Sinne der Funktionen der Agrarbehörden in der Bodenreform setzt aber volle zivilrechtliche Kognitionsbefugnis der entscheidenden Senate voraus, weil anders die Ausschaltung der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes und der Entscheidungsbefugnis der Zivilgerichte („ordentlicher Rechtsweg“) schon nach dem rechtsstaatlichen Standard der österreichischen Monarchie nicht erklärbar wäre. (Lemayer, Der Begriff des Rechtsschutzes im öffentlichen Rechte (Verwaltungsgerichtsbarkeit) im Zusammenhang der Wandlungen der Staatsauffassung betrachtet, Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 29 (1902) 109 f unter Hinweis auf die Zusammenhänge und Unterschiede der Kollegialbehörden gegenüber der „landesfürstlichen Verwaltungsrechtspflege“.)

b) Rechtskontrolle der Agrarsenate

In einigen sehr frühen Entscheidungen des VfGH wurde klargestellt, dass die Agrarsenate zwar die Kriterien der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag erfüllen – Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit ihrer Mitglieder, Unaufhebbarkeit der Erkenntnisse im Verwaltungsweg, Beteiligung richterlicher Organe – aber keine Gerichte im Sinne der Bundesverfassung („spezielle Verwaltungsgerichte“), sondern Verwaltungsbehörden im Sinne des Art 144 B-VG sind. Im Besonderen wurde in diesen Erkenntnissen auch der organisatorische Einfluss der maßgebenden Organe der Verwaltung oberster und mittlerer Instanz (Landeshauptmann und zuständiger Bundesminister) als Kriterium der Verwaltungsbehörde hervorgehoben. (Erk Slg 214, 633 und 637/1926; vgl auch VfSlg 10.080/1984)

Diese organisatorische Qualifikation der Agrarsenate hatte – in Verbindung mit der allgemeinen Kritik an den Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag – schließlich auch die Anordnung der Anfechtbarkeit ihrer Entscheidungen vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Konsequenz und sollte im Zusammenhang damit zu den merkwürdigen politischen Vorgängen rund um die Beibehaltung des Art 133 Z 4 B-VG und die Novellierung der Art 12 Abs 2 und 20 Abs 2 B-VG in der B-VG-Novelle 1975 führen. (§ 8 AgrarbehördenG in der Fassung der Agrarbehördengesetznovelle 1974, BGBl 476)

An der vollen zivilrechtlichen Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden hat sich durch die (nur kassatorische) Rechtskontrolle durch den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Erkenntnisse der Agrarsenate nichts geändert. Im Gegenteil! Wie sich im Folgenden erweisen wird, entspricht nur die Kombination der meritorischen zivilrechtlichen Entscheidungen der quasi-richterlichen Agrarsenate (als „eingreifende Verwaltungsjustiz“) mit der kassatorischen richterlichen Prüfung durch die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit den heute geltenden verfassungs- und europarechtlichen Voraussetzungen einer Sachentscheidung in zivilrechtlichen Angelegenheiten („bürgerlichen Rechtssachen“) durch Verwaltungsbehörden.

c) Zivilrechtlichen Kognition und Enteignung

Die den Agrarbehörden im Rahmen der Funktionen der Bodenreform übertragenen zivilrechtlichen Kognitionsbefugnisse stehen zwar im Rahmen einer Klärung und Neuordnung der agrarischen Rechtsverhältnisse und können im Rahmen dieser Entscheidungen auch zu Eigentumseingriffen führen, die verfassungsrechtlich zu beurteilen sind. (VfGH Erk v 10.12.2010, B 639/10 unter Hinweis auf frühere) Ausgeschlossen ist aber, dass der Gesetzgeber durch diese Eigentumseingriffe zu „Enteignungen“ im Sinne des Art 5 StGG und der ständigen Rechtsprechung des VfGH ermächtigt habe.

Zum Wesen der Enteignung gehört, dass „eine Sache durch Verwaltungsakt oder unmittelbar durch Gesetz dem Eigentümer zwangsweise entzogen und auf den Staat, eine öffentliche Körperschaft oder eine gemeinnützige Unternehmung übertragen wird oder dass daran auf gleiche Weise fremde Rechte begründet werden“. Im Rahmen der Bodenreform findet aber grundsätzlich keine Eigentumsübertragung oder Rechtsbegründung zur Erfüllung öffentlicher Verwaltungsaufgaben statt, weil das Ziel der Bodenreform die Neuordnung der Bodenbesitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse zur Verbesserung der privatnützigen Bewirtschaftung von agrargemeinschaftlichen Grundstücken ist. (VfSlg 12.415/1990) Entscheidungen der Agrarbehörde sollen daher primär die bestehenden Rechtsverhältnisse – einschließlich des Eigentums – wie ein Zivilgericht klären („feststellen“) und sodann eine planmäßige Neuordnung vornehmen, soweit dies zweckmäßig und erforderlich ist.
Auch diese Neuordnung soll die Rechte der Beteiligten wahren und soweit als möglich auf Grund von Parteienvereinbarungen erfolgen. (§ 75 Abs 4 TFLG) Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des VfGH und VwGH über das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Eigentumseingriffen. Denn: „Dieser Judikatur liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Eigentumseingriff nur dann im öffentlichen Interesse erforderlich sein kann, wenn eine privatrechtliche Einigung nicht möglich ist“.

Wenn die Agrarbehörde also eine (konstitutive) Eigentumsfeststellung trifft, entzieht sie dadurch nicht Eigentum wie eine Enteignung – selbst wenn sie dieses Eigentum auf eine andere Rechtsperson überträgt –, sondern reguliert Eigentumsverhältnisse als eine Maßnahme der Bodenreform. Das bedeutet: Nur im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Regulierungsverfahren kann geklärt werden, ob eine Eigentumsübertragung überhaupt vorliegt und – wenn dies der Fall ist – ob der Eigentümerwechsel lediglich eine „Umgründung“ in eine Agrargemeinschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts war oder der Übertragung des Eigentums eine Parteienvereinbarung zugrunde liegt, die der Regulierungsplan der Agrarbehörde berücksichtigte. (Zum konstitutiven Charakter der agrarbehördlichen Eigentumsfeststellung vgl VfSlg 17.779/2006 und besonders klar v 10.12.2010, B 639/10; Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operationen nach TFLG, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol Bd 1 (2010) 265 ff, 278).

Wie unten aufgezeigt wird, entspricht diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben der umfassenden zivilrechtlichen Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden im Rahmen der Aufgaben der Bodenreform die einfachgesetzliche Regelung der Eigentumsfeststellung bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken seit den historischen „Reichsrahmengesetzen“ von 1893 über alle Gesetzesänderungen hinweg bis zur geltenden Rechtslage.

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aus:
Pernthaler/Oberhofer,
Die Agrargemeinschaften und die agrarische Operation
in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 429ff

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MP