Übersicht:
Errichtung der Gemeinden und Eigentum
Gesetzesschutz für Eigentum
Eigentumsübergang contra legem
Eigentumsübergang nach Morscher
Eigentumsübergang nach VFGH
NEIN zur Quasierbschaft
Nachbarschaftliche Verwandlung?
Landesfürstliche Schenkung 1847?
Zusammenfassung
ERRICHTUNG DER GEMEINDEN UND EIGENTUM
Die heutigen Ortsgemeinden sind Bestandteil der „II. Republik Österreich“; die „II. Republik Österreich“ ist der Staat, der 1945 aus dem Trümmern des NS-Staates entstanden ist, das Österreich, in dem wir heute leben.
Am 27. April 1945 wurde Dr. Karl Renner als Bundeskanzler einer provisorischen Staatsregierung auf russisch besetztem Territorium eingesetzt. Bereits am 10. Juli 1945 hat die provisorische Nationalversammlung ein Vorläufiges Gemeindegesetzes (VGemG) veröffentlicht.
Mit diesem Gesetz begann die Existenz der heutigen Ortsgemeinden – nicht früher und nicht später.
Dr. Karl Renner war sozusagen ein Spezialist für die Neuerrichtung eines Staates. Auf den Trümmern der Monarchie verantwortete er die Neuerrichtung des Staates „Deutsch-Österreich“ als „Staatskanzler“ von 1918 bis 1920. Die technische Vorgehensweise, wonach man den Großteil des Rechts eines Vorläuferstaates vorläufig übernommen hat, war 1918 und 1945 dieselbe!
Neue Republik – neue politische Ortsgemeinden
Die heute so genannte „I. Republik Österreich“ war im Jahr 1938 untergegangen; mit der „I. Republik Österreich“ sind natürlich auch die Österreichischen politischen Ortsgemeinden aus dieser Zeit als solche untergegangen.
Die Gemeindegebilde der NS-Zeit – ab der Besetzung Österreichs, dem Anschluss, waren Bestandteil des Nationalsozialistischen Staates; diese Gemeinden der NS-Zeit sind als solche mit dem NS-Staat im Jahr 1945 ebenfalls untergegangen.
Die Errichtung der heutigen politischen Ortsgemeinden der II. Republik Österreich im Jahr 1945 erfolgte per Gesetz, dem Vorläufige Gemeindegesetz (VGemG) vom 10. Juli 1945, Staatsgesetzblatt 1945/66. Anders als durch ein Gesetz des (damaligen provisorischen) Nationalrates konnten die heutigen politischen Ortsgemeinden nicht errichtet werden. Was die heutigen Ortsgemeinden an Eigentum besitzen oder nicht, ob eine Alm oder ein Wald als „Gemeindegut“ ein Eigentum der heutigen Ortsgemeinde sein kann, das ist anhand und auf der Grundlage dieses Gesetzes zu prüfen.
Jede Eigentumsprüfung muss von diesem Gesetz ausgehen, weil die heutigen politischen Ortsgemeinden aufgrund dieses Gesetzes im Juli 1945 geschaffen wurden – mit oder ohne eigenes Eigentum und mit ihren ganzen sonstigen Eigenschaften.
Die gesetzliche Regelung ist eindeutig: Die heutigen Ortsgemeinden knüpfen beim Rechtsgemeindegesetz 1862 an. Ältere Gemeindestrukturen bleiben unberücksichtigt!
Dazu besagt das Vorläufige Gemeindegesetz (VGemG) vom 10. Juli 1945, Staatsgesetzblatt 1945/66 = Gesetz vom 10. Juli 1945 über die vorläufige Neuordnung des Gemeinderechts:
Art 1. „Das Gesetz vom 5. März 1862, RGBl Nr 18 (Reichsgemeindegesetz), alle Gemeindeordnungen und Gemeindewahlordnungen sowie die sonstigen auf dem Gebiete der Gemeindeverfassung erlassenen Vorschriften (Gemeindestatute, Stadtrechte) werden in dem Umfange, in dem sie vor Einführung der dt Gemeindeordnung in den österreichischen Ländern in Kraft gestanden sind, nach Maßgabe der folgenden Artikel wieder in Wirksamkeit gesetzt.“
1866: Enteignung zur Alimentierung der neuen Gemeinden?
Auf der Grundlage des Reichsgemeindegesetzes 1862 (Reichsgemeindegesetzes RGBl. 18/1862) wurde im Land Tirol ein Ausführungsgesetz erlassenen, das Gesetz vom 9. Jänner 1866, wirksam für die gefürstete Grafschaft Tirol, womit eine Gemeindeordnung und eine Gemeinde-Wahlordnung erlassen werden, GuVoBl Tirol 1866/1, die „Tiroler Gemeindeordnung 1866“ (TGO 1866).
Das Verhältnis zum Eigentum der „älteren Gemeindestrukturen“ wurde in § 11 der einheitlichen Regierungsvorlage für alle Landes-Gemeindegesetze, deckungsgleich mit der Vorläuferbestimmung in § 26 prov. GemG 1849, geregelt: Nach dieser klaren „Systementscheidung des Gemeinderechts“ (Pernthaler) sollten die Privateigentumsverhältnisse von der Errichtung der modernen Ortsgemeinde unberührt bleiben. Inhaltlich exakt dieselbe Bestimmung war bereits in § 26 prov. Gemeindeordnung 1849 enthalten.
§ 11 der einheitlichen Regierungsvorlage für die Landes-Gemeindegesetze auf Grundlage der Reichsgemeindeordnung 1862 = § 12 TGO 1866. „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“
Bereits in das Provisorische Gemeindegesetz von 1849 hatte der Kaiser eine idente Klausel zum Schutz des Nachbarschaftseigentums aufgenommen:
§ 26 provGemG 1849. „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Classen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“
Systementscheidung des Gemeinderechts: keine Enteignung
Dazu ausführlich Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 376: „Nach der Systementscheidung des neuen Gemeinderechtes sollten also neben dem im Eigentum der Gemeinde stehenden „Gemeindegut“ die privatrechtlich organisierten Nutzungsrechte und Nutzungsgemeinschaften als ausdrücklich in ihrem Bestand rechtlich gewährleistete „privatrechtlichen Verhältnisse“ weiter bestehen.“
(vgl auch Heinz Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde: Zur Frage des Überganges des historischen Gemeindevermögens, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 198ff. Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 246f)
GESETZESSCHUTZ FÜR EIGENTUM
Das politische Gemeinderecht moderner Prägung war von der Systementscheidung getragen, dass das Gemeinschaftseigentum und die Privateigentumsverhältnisse insgesamt unberührt bleiben.
§ 11 der einheitlichen Regierungsvorlage für die Landes-Gemeindegesetze auf Grundlage der Reichsgemeindeordnung 1862 = § 12 TGO 1866.
„Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“ vgl schon: § 26. „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Classen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“
Wie konnte trotzdem die Idee aufkommen, dass die politische Ortsgemeinde sozusagen das Gemeinschaftsgut „übernommen“ hätte?
Primäre Ursache wird vermutlich der Umstand sein, dass ein Gemeinschaftseigentum des Staates auf unterster Staatsebene, eben bei den neuen politischen Ortsgemeinden, den Juristen, die typischer Weise nicht unbedingt der „besitzenden Classe Tirols“ angehören, ungleich populärer erschien, als ein Gemeinschaftsgut der Nachbarn als Gemeinschaft von Grundbesitzern.
Eine tragfähige Begründung dafür, warum an den historischen Gemeinschaftsliegenschaften ausgerechnet im Zeitalter des Kaisers Franz-Josef, auf der Grundlage des Reichs-Gemeindegesetzes 1862, ein Staatseigentum entstanden sein soll, hat freilich noch niemand vorgelegt. Alle Thesen, wonach das Gemeinschaftseigentum der historischen Grundbesitzer, der Nachbarn, auf die heutigen Ortsgemeinden bei deren Errichtung übergegangen sei, gründen auf schlechter Erfindung!
EIGENTUMSÜBERGANG CONTRA LEGEM?
Wie gezeigt hat das Gemeinderecht der jungen II. Republik Österreich direkt beim Gemeinderecht der Monarchie angeknüpft: Mit Gesetz vom 10. Juli 1945 wurden die Ortsgemeinden auf der Rechtsgrundlage der 1860er Jahre wiedererrichtet: Diese Rechtsgrundlage war für Tirol die Tiroler Gemeindeordnung von 1866. Für Tirol war somit § 11 TGO 1866 einschlägig, wonach das Gemeinderecht gerade keinen Einfluss auf die Eigentumsverhältnisse nehmen dürfe.
„Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“ (§ 12 TGO 1866)
die Eigenthums- und Nutzungsrechte bleiben ungeändert
Nach dem Gesetz hat somit kein gesetzlicher Eigentumsübergang stattgefunden. Die alten Nachbarschaften, die „Agrargemeinden“ – wie immer diese genannt wurden – haben somit ihr Eigentum behalten.
Ungeachtet einer unbestreitbar eindeutigen Gesetzeslage, wonach ein Eigentumsübergang gerade nicht vorgesehen war, sahen sich zu allen Zeiten diverse politische Akteure zu der Behauptung veranlasst, das historische Nachbarschaftseigentum sei kraft Gesetzes zum Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinden geworden.
„EIGENTUMSÜBERGANG“ NACH MORSCHER
Siegbert Morscher, Gemeinnutzungsrechte am Gemeindegut, ZfV 1982, 1 ff (hier: Seite 5) begründete den angeblichen Eigentumserwerb der heutigen politischen Ortsgemeinden an den Gemeinschaftsliegenschaften der historischen Nachbarn wie folgt:
„Die neuen gemeinderechtlichen Regelungen ab 1849, die die politische Gemeinde moderner Prägung geschaffen haben, enthielten keine ausdrücklichen Bestimmungen über das Schicksal des Eigentums der bisherigen Gemeinden. Auch und gerade dieser Umstand wurde zum Anlass genommen, mit juristischen Finden mediokrer Art öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte in volles Eigentum zu verwandeln, in dem behauptet wurde, dass bisherige Gemeindeeigentum bleibe im Eigentum der bisherigen Gemeinden, wodurch dann der neuen politischen Gemeinde nur noch ein Übermaß an Pflichten ohne jegliche Rechte übrig geblieben wäre. Diese durchaus einfältige Auffassung der bloßen Pflichten-, nicht jedoch Rechtsüberganges auf die neue politische Gemeinde konnte sich dementsprechend auch nicht durchsetzen, vielmehr wurde in Auslegung des § 63 des Patentes RGBl. 1849/110, welcher den Übergang des Eigentums im Allgemeinen regelt, und des § 64, der die Weitergeltung der alten Nutzungsrechte anordnet, auch angenommen, dass das damit das Eigentum am Gemeindegut auf die neue Gemeinde übertragen wurde.“
So ausdrücklich Siegbert Morscher, Gemeinnutzungsrechte am Gemeindegut, ZfV 1982, 1 ff (hier: Seite 5). Jeder Satz Morschers ist falsch – politisch motivierte Propaganda; zum Schein ausgestaltete als wissenschaftliche Analyse – ein Paradebeispiel übler Rabulistik.
Morschers Thesen können nicht überzeigen, weil
1. Das Patent RGBl 1849/110 die Ausprägung von 10Centesimi-Münzen in der Lombardei behandelt und nicht das Gemeinschaftseigentum;
2. Morscher vielleicht auf die Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 reflektierte, die als Landesgesetze aufgrund einer einheitlichen Regierungsvorlage geschaffen wurden (zB LGuVoBl Tirol 1866/1).
Tatsächlich handelt § 63 der TGO 1866 von weiterbestehenden Nutzungsrechten; § 64 TGO 1866 ordnete jedoch an, dass das Wirtschaftsjahr der neuen politischen Ortsgemeinde mit dem Kalenderjahr überein zu stimmen habe. Exakt derselbe Inhalt findet sich in der Vorarlberger GO 1864.
Als Resümee bleibt der Eindruck, dass Morscher eine Rechtsgrundlage für den von ihm propagierten Eigentumsübergang auf die heutige politische Ortsgemeinde schlicht und einfach erfunden hat! Aus wissenschaftlicher Sicht eine höchst unredliche Vorgangsweise!
Morschers Ausführungen sind jedoch insofern von Interesse, als Morscher auf dem Boden des geltenden Verfassungs- und Verwaltungsrechts seinen Ausführungen zu Grunde legt, dass die moderne politische Ortsgemeinde mit den bis dorthin existierenden Gemeinden nichts gemeinsam habe.
Die „bisherigen Gemeinden“ sind das eine; die modernen Ortsgemeinden das andere!
„EIGENTUMSÜBERGANG“ NACH VFGH
Der VfGH hatte im Einleitungsbeschluss zum Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 den Eigentumsübergang unter Berufung auf die Bestimmung in § 63 der Landesgemeindeordnungen behauptet.
VfSlg 9336/1982 Pkt I. Z 3 Abs 2:) „Mit diesen Bestimmungen nimmt des Flurverfassungsrecht auf jene Erscheinung des Gemeinderechtes Bezug, die ihren Ursprung im Gemeindeeigentum der seinerzeitigen ‚Realgemeinde‘ hatte und die Schaffung der modernen politischen (Personal-)Gemeinde in der Weise überdauert hat, daß bestimmte Gemeindeglieder (im Kern die Glieder der früheren ‚Realgemeinde‘) Teile des Gemeindeeigentums wie bisher weiter nutzen durften.“ (im Original nicht hervorgehoben)
VfSlg 9336/1982, Pkt I. Z 3 Abs 3: „Diese Vorschriften kann der Gerichtshof vorläufig nicht anders verstehen, als daß auch das mit Nutzungen belastete Eigentum der früheren Realgemeinde auf die neue Gemeinde übergegangen war und lediglich mit den bisherigen Nutzungen belastet blieb (wofür insbesondere die Verwendung des Überschusses spricht), sich also vom sonstigen Gemeindevermögen nur durch die Zweckbestimmung unterscheidet (vgl. VfSlg. 1383/1931 und 4229/1962, S. 352 f).“
In der eigentlichen Begründung des Erk VfSlg 9336/1982 kommt dieser Gedanke allerdings nicht mehr vor und darf deshalb dem VfGH auch nicht unterstellt werden, er würde eine Rechtsauffassung vertreten, die schlicht einer eindeutigen Gesetzeslage widerspricht.
Ausführlich begründet Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 246, den Denkfehler in diesen Überlegungen im „Gesetzesprüfungs-Einleitungsbeschluss“: „So scharf nämlich die Zäsur ist, die das provisorische Gemeindegesetz in der Entwicklung des Gemeinderechts setzt, so klar sagt dieses Gesetz selbst in seinem § 26: `Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.´ Dieser Satz findet sich gleichlautend in den Ausführungsgesetzen der einzelnen Kronländer zum Reichsgemeindegesetz von 1862, mit denen der Prozess der Schaffung der politischen Gemeinde zum Abschluss kommt, so in § 11 Vorarlberger Gemeindeordnung von 1864 und § 12 TGO 1866. Wenn hier explizit auf das Eigentum `ganzer Klassen´ Bezug genommen wird, so lässt sich nicht deutlicher zum Ausdruck bringen, dass auch das Eigentum der bisherigen Agrargemeinden (`Realgemeinden´) nicht verändert werden sollte. Sofern daher das Erk. des VfGH Slg 9663/1982 den Eindruck erweckt, das Eigentum dieser `Realgemeinden´ sei auf die politische Ortsgemeinde kraft öffentlichen Rechts `übergeleitet worden´, so würde dies schlicht einer eindeutigen historischen Rechtslage widersprechen. Wäre der VfGH wirklich dieser Ansicht, so würde er genau jene Enteignung (zu Lasten der alten Realgemeinden) unterstellen, die er (in der Mieders-Entscheidung) dem Bescheid des Landesagrarsenates (zu Lasten der politischen Gemeinden) vorwirft.“
NEIN ZUR QUASI-ERBSCHAFT
Im Erk VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen) hat der VfGH im Übrigen klar gestellt, dass eine „Quasi-Erbschaft“, dh: ein Eigentumsübergang von Gesetzeswegen von den älteren Gemeindestrukturen auf die moderne politische Ortsgemeinde, nicht unterstellt werden darf.
VfGH Slg 19.262, B 634/10 ua vom 10.12.2010, Pkt II A 2.4.2. Abs 2 der Begründung: „Bei dieser Sicht erweist sich auch die Feststellung der belangten Behörde, die Fraktion sei „Rechtsvorgängerin der Gemeinde“ (Seite 17 des angefochtenen Bescheides), als verfassungsrechtlich unbedenklich, weil sie offenkundig nicht auf dem Gedanken einer „Quasi-Erbschaft“ der politischen Ortsgemeinde beruht (vgl. dazu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [228 ff.]).“
NACHBARSCHAFTLICHE VERWANDLUNG?
Unbrauchbar und gesetzwidrig ist auch der Versuch, das angebliche Eigentum der Ortsgemeinden an den historischen Gemeinschaftsliegenschaften den Nachbarn pauschal in der Form zu erklären, dass eine Gesamtheit von bäuerlichen Grundeigentümern „als sog. Realgemeinde“ sich „im Zuge der Schaffung der modernen Gemeindeverfassung zur heutigen politischen Ortsgemeinde“ gewandelt hätte. Den Höfen seinen Nutzungsrechte „grundbücherlich zugeordnet“ worden und das Gemeinschaftsgut sei entweder Miteigentum der Nutzungsberechtigten geworden oder das Gemeinschaftsgut sei als Gemeindegut der Ortsgemeinde einverleibt worden. (Eccher, in: Die soziale Funktion des Privatrechts, FS für Heinz Barta, 2009, Seite 213)
Eine Gesamtheit von natürlichen Personen kann sich nicht zur heutigen politischen Ortsgemeinde „wandeln“, weil Körperschaften des öffentlichen Rechts keine privatautonomen Gründungen sind. Kurz: Eine Nachbarschaft verwandelt sich nicht in eine politische Ortsgemeinde! Auch kann – idente Ausgangslage vorausgesetzt – nicht beides richtig sein: die grundbücherliche Anschreibung von Miteigentum der Nutzungsberechtigten und die alternative Anschreibung von Gemeindeeigentum. Auch Ecchers Versuch zur Rechtfertigung eines Eigentums der heutigen Ortsgemeinden an den Gemeinschaftsliegenschaften, die „Wandelungstheorie“, muss deshalb scheitern. (Öhlinger/Oberhofer/Kohl, Das Eigentum der Agrargemeinschaft, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Westösterreich – Gemeinschaftsgut und Einzeleigentum (2012), 66ff)
LANDESFÜRSTLICHE SCHENKUNG 1847?
Verschiedentlich haben Tiroler Agrarjuristen die Auffassung vertreten, der Tiroler Landesfürst hätte die heutigen politischen Ortsgemeinden mit dem Eigentum an den „Bauernwäldern“ beschenkt; unter einem hätte der Tiroler Landesfürst die Tiroler Staatswälder (heute „Bundesforste-Wälder“) zurückzubehalten. Dies sei im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 geschehen.
Stephan v. Falser hat diese Tiroler Sozialromantik erfunden, als er 1896 die unbegründete Behauptung aufstellte, dass der Tiroler Landesfürst im Jahr 1847 das Eigentum an den Wäldern „an die natürliche und ursprüngliche öffentlich-rechtliche Vereinigung der Volksgenossen, an die politische Gemeinde zurückgeben“ hätte (Falser, Wald und Weide im Tirolischen Grundbuch 1932, 20; erste Aufl Innsbruck 1896: 27 oben); in diesem Sinn auch: Josef Jordan, Amtserinnerungen, betr. die grundbücherliche Behandlung der Teilwälder in Deutschtirol erstattet von Hofrat Dr. Josef Jordan im J. 1929, TLA- Bibliothek 10.551/6; Wolfram Haller, Die Entwicklung der Agrargemeinschaften in Osttirol, 1947, Österreichische Nationalbibliothek, Sign 753717 –C.
Die „Schenkungstheorie“ ist freilich in keiner Weise vereinbar mit der Tatsache, dass das Eigentum an den Tiroler Bauernwäldern aus einer das ganze Land umfassenden Servitutenablösungsmaßnahme hervorgegangen ist. (Gerald Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 105 ff; R.S., Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Österreichische Vierteljahresschrift für Forstwesen 1851, 377ff)
Es ist allgemein anerkannt, dass aus Servitutenablösung nur Gemeinschaftseigentum der abgelösten Nutzungsberechtigten hervor gehen konnte. Die Literatur vertritt hier eine einhellige Auffassung.
Zur Rechtsnatur der Ablöseliegenschaften aus Servitutenvergleich: Öhlinger/Oberhofer/Kohl, Das Eigentum der Agrargemeinschaft, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Westösterreich – Gemeinschaftsgut und Einzeleigentum (2012), 74ff mwN; Gerald Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 105 ff; Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht (1923), 388; ders, System I/1 (1925), 183: „Es gibt landwirtschaftliche Grundstücke, deren Nutzung den Besitzern gewisser behauster Grundstücke gemeinschaftlich für die Zwecke ihrer Einzelwirtschaften zusteht. Solche Agrargemeinschaften sind zum Teil erst in neuerer Zeit bei der Servitutenablösung dadurch entstanden, dass man einer Gesamtheit von Berechtigten Abfindungsgrundstücke zur gemeinschaftlichen Nutzung abgetreten hat.“ Klang in Klang, ABGB II², 608: „Gewöhnlich sollen Wald- und Weidegrund allen Berechtigten gemeinsam abgetreten werden. Dadurch entstehen Agrargemeinschaften.“ In diesem Sinn schon Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 592 oder Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Österreichische Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff; 155 ff uam.
Speziell das heutige Tirol betreffend, hat im Übrigen auch Stefan v. Falser, Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche, Innsbruck, 1896, gerade das Gegenteil der „Schenkungstheorie“ vertreten:
„Dort wo das ärarische Waldeigentum im Allgemeinen festgehalten worden ist, wie im Inn- und Wipptal, schuf die Forsteigentums-Purifikations-Kommission, teils im Wege der Anerkennung des Privateigentums, teils im Wege der Ablösung bestehender Einforstungen durch Abtretung von Grund und Boden, zahlreiche wirkliche Privateigentumswaldungen; ebenso entstanden solche Waldungen durch anderweitige Ablösungen, welche seitens der als Rechtsnachfolger des Ärars auftretenden Gemeinden oder Nachbarschaften gegenüber den Eingeforsteten verlangt und durchgeführt wurden. Auf diese Weise ist jetzt ein ziemlich umfangreicher Privateigentumswald entstanden.“ (Falser, aaO, Seite 35) und RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851), 376 ff. Treffend hebt der VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 des Erwägungsteiles, hervor, dass solche aus Servitutenablösung entstandenen Gesellschaften der Nutzungsberechtigten unter der Bezeichnung „die Gemeinde“ im Bodenreformrecht Berücksichtigung gefunden hätten.
Schon der Obersten Agrarsenates hat in Erkenntnissen aus den 1960er Jahren die „Schenkungstheorie“ mit pointierter Begründung verworfen.
Oberster Agrarsenat 234-OAS/60 vom 5.09.1960: „Der Landesfürst hatte nicht die geringste Veranlassung, Personen, Gütern oder Gemeinden, denen nach den alten Waldordnungen keine Einforstungsrechte zustanden, Wälder aus seinem Besitz zuzuteilen. Dies ergibt sich eindeutig aus der damaligen historischen Situation und dem Inhalt der Allerhöchsten Entschließung.“ (234-OAS/60, Seite 9 unten); vgl auch OAS 267-OAS/61 vom 2.10.1962.
Dieser Ausspruch des Obersten Agrarsenates ist alles andere als ein Wunder, weil die Nordtiroler Forsteigentumsverhältnisse insgesamt mit der These vom geschenkten Waldeigentum unvereinbar sind.
Es sind nur die Forsteigentumsverhältnisse in jenen Katastralgemeinden zu berücksichtigen, wo die Stammliegenschaftsbesitzer den Servitutenablösungsvergleich im Zuge der Tiroler Forstregulierung abgelehnt haben. Forsteigentumsverhältnisse wie in Gerlos, wo die Ortsgemeinde weder Wald, noch Feld, noch „öde Flächen zwischen den Häusern“ besitzt, sind mit der Schenkungstheorie unvereinbar. (Ausführlich dazu: www.agrar-info.at/Dorf-ohne-Gemeindegut) Und es ist zu berücksichtigen, dass in Tirol umfangreiches Staatseigentum an Wäldern existiert – die Bundesforste.
ZUSAMMENFASSUNG
Die heutigen Ortsgemeinde existieren aufgrund ihrer Wiedererrichtung mit dem Vorläufigen Gemeindegesetz (VGemG) vom 10. Juli 1945, Staatsgesetzblatt 1945/66.
Die Wiedererrichtung erfolgte für Tirol auf Basis der Tiroler Gemeindeordnung von 1866.
Die Tiroler Gemeindeordnung 1866 enthielt eine glasklare Regelung für das Gemeinschaftseigentum der historischen Nachbarschaften, der „Realgemeinden“: § 12 TGO 1866. „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“
Die unzähligen Versuche, einen Eigentumsübergang („Quasi-Erbschaft“) von den historischen „Nachbarschafts-Gemeinden“ auf die heutigen politischen Ortsgemeinden zu begründen, sind gesetzesfremd, falsch und offenkundig verfassungswidrig!
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