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Nummernspiel des VwGH

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Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ist das in Österreich für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständige Höchstgericht. Es ist damit neben dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) und dem Obersten Gerichtshof (OGH) eines von drei Höchstgerichten in Österreich.
Als der Verfassungsgerichtshof im so genannten „Unterlangkampfenerkenntnis 2010“ (VfSlg 19.262) die Aufgabe der mit dem Mieders(V)Erkenntnis 2008 eingeleiteten Enteignungs-Judikatur vorbereitet hatte, hat der Verwaltungsgerichtshof „verweigert“ und mit der Judikaturentwicklung „Nummernspiel“ die Absurdität der Judikatur zum Substanzrecht der Ortsgemeinde geradezu überhöht. (Bildrechte: Extrajournal.Net-1000 × 858-Bildersuche ©ejn; https://extrajournal.net)

 

Nummernspiel statt Bescheidauslegung?

Inhalt:
I. Eigentum der Ortsgemeinde als Bedingung
II. „Gemeindegutqualifizierung“ als Eigentumstitel?
III. „Qualifizierung“ ist Zuständigkeitsentscheidung
IV. Zusammenfassung
Das üble Nummernspiel des VwGH

Abstract

Am 30.06.2011 hat der Verwaltungsgerichtshof über ein gutes Dutzend von Beschwerden von Tiroler Agrargemeinschaften entschieden, welche eine Beurteilung des jeweiligen Regulierungsgebietes mit Blick auf den neuen Tatbestand des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 („atypisches Gemeindegut“) forderten. Aus einer Analyse dieser Erk des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2011 (Leit-Erk Zl 2010/07/0091 VwSlg 18.171 A/2011) ergibt sich, dass die im Erk VfSlg 9336/1982 gründende Fehlentwicklung im Flurverfassungsrecht, eine Eigendynamik entfaltet, deren Konsequenzen unabsehbar sind.

 Das unter Berufung auf das Erfordernis zur verfassungskonformen Interpretation behauptete Anteilrecht der Ortsgemeinde auf den Substanzwert (VfGH VfSlg 18.446/2008 Mieders-Erk“) soll nach dieser Judikatur nicht mehr aus wahrem ehemaligem Eigentum (im Zeitpunkt vor dem agrarbehördlichen Einschreiten) abgeleitet werden, sondern aus der historischen Anwendung des Tatbestandes „Gemeindegut“ als Anknüpfung für die Zuständigkeit der Agrarbehörde. Die Behördenentscheidung in einer Zuständigkeitsfrage soll danach die Hauptfrage präjudizieren, wessen Eigentum die agrargemeinschaftliche Liegenschaft gewesen ist und dieser Umstand soll die verfassungskonforme Anpassung des Regulierungsergebnisses rechtfertigen. Durch die historische Anknüpfung im Regulierungsverfahren bei der Zuständigkeitsnorm des § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 (bzw des entsprechenden Landesausführungsgesetzes) wäre unwiderlegbar, rechtskräftig und den VwGH bindend, entschieden worden, dass die jeweilige agrargemeinschaftliche Liegenschaft vor dem Einschreiten der Agrarbehörde angeblich öffentliches Eigentum (Gemeindeeigentum) war. In Konsequenz soll daraus ein Anteilrecht der Ortsgemeinde entstanden sein, welches den „Substanzwert“ umfasst (§ 33 Abs 5 TFLG 1996).

 Die Vorfragenbeurteilung zur Zuständigkeit greift nach dieser Interpretation in den Spruch des Bescheides über die Hauptsache ein. Der Entscheidung in der Hauptsache, mit der darüber abgesprochen wurde, wer wahrer Eigentümer ist (und war), wird damit zwangsläufig ein anderer Sinn und Inhalt gegeben. Die Entscheidung über die Hauptsache auf Klärung der Eigentumsverhältnisse, wurde damit vom VwGH in eine Entscheidung der Agrarbehörde umfunktioniert, mit der zwangsläufig öffentliches Eigentum in Verwaltung der Ortsgemeinde in das Eigentum einer Agrargemeinschaft übertragen wurde, „ohne dass die Eigenschaft Gemeindegut verloren ging“.

 Im Erk VfSlg 18.446/2008 (Mieders-Erk) war für die Unterstellung eines solchen Regulierungsergebnisses noch a) wahres Eigentum der Ortsgemeinde vor der agrarischen Operation, b) eine Behördenentscheidung auf „nacktes Recht“ und c) Rechtswidrigkeit der Eigentumsübertragung vorausgesetzt worden. Die Auslegung des VwGH verzichtet auf jedes weitere Tatbestandselement. Dies mit unabsehbaren Folgen für jede Agrargemeinschaft Österreichweit, welche nach einem der Tatbestände entsprechend § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 reguliert wurde.

 Diese rein formale am historischen Bescheidinhalt anknüpfende Interpretation kann nicht überzeugen. Die Anpassung des Regulierungsplanes an geänderte Verhältnisse wurde im Erk VfSlg 18.446/2008 direkt aus dem Verfassungsrecht entwickelt („Eigentumsschutz“). Ausgehend vom festgestellten ursprünglichen Eigentum der Ortsgemeinde im Zeitpunkt vor der Regulierung, wurden die historischen Verfahrensergebnisse verfassungskonform interpretiert; dies im Sinn des jeweiligen wahren historischen Eigentümers. Nur zum Schutz eines ehemaligen wahren Eigentümers können (allenfalls) Regulierungspläne unter diesem Gesichtspunkt angepasst werden.

 Schon diese Judikatur stand in Kollision mit dem rechtskräftig regulierten Anteilsrecht des einzelnen Mitgliedes, welches Eigentumsschutz geniest. Wenn man nun auch noch das Tatbestandselement des ehemaligen (wahren) Eigentums der Ortsgemeinde als Voraussetzung des „Restitutionsanspruches“ der Ortsgemeinde beseitigt und durch eine angeblich unüberprüfbare, konstitutive Entscheidung der Agrarbehörde ersetzt, die gelten soll, egal ob richtig oder falsch, dann fehlt jeder Ansatzpunkt dafür, rechtskräftige Regulierungsergebnisse, insbesondere die Entscheidung über die Anteilsrechte, verfassungskonform zu interpretieren.

 Diese Judikatur, welche nicht mehr beim wahren ehemaligen Eigentum einer Ortsgemeinde anknüpft, sondern bei einer vermeintlich unüberprüfbaren historischen Entscheidung der Agrarbehörde im Regulierungsverfahren, bringt keinerlei Element hervor, welches geeignet wäre, der Rechtsposition der anteilsberechtigten Mitglieder entgegen zu wirken. Mit weit besserem Recht als die Ortsgemeinde, die sich auf die Zuständigkeitsentscheidung gem § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 berufen möchte, berufen sich die anteilsberechtigten Mitglieder auf den rechtskräftigen Bescheid, mit dem die Anteilsrechte rechtskräftig festgestellt wurden. Danach existiert gerade kein Anteilsrecht, welches die Substanz des Regulierungsgebietes der Ortsgemeinde zusprechen würde.

 Mit der Rechtstatsache, dass die Anteilsrechte auf rechtskräftigen, eigenen Bescheiden beruhen, hat sich weder das Erk VfSlg 18.446/2008 auseinander gesetzt, noch der VwGH in den Erk vom 30.6.2011. Das rechtskräftig regulierte Anteilsrecht geniest jedoch Eigentumsschutz nach EMRK (VfGH 21.09.2010 B B1470/09; Theo Öhlinger, Agrargemeinschaftliche Anteilsrechte und der Eigentumsschutz, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 281 ff). Dies umso mehr, wenn das Anteilsrecht aus Miteigentum reguliert wurde.

 Die konstitutive historische Behördenentscheidung, mit der angeblich unwiderlegbar historisches Eigentum der Ortsgemeinde festgestellt worden sei, kann jedenfalls eine Änderung des Bescheides betreffend die Feststellung der Anteilsverhältnisse dann nicht rechtfertigen, wenn die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten Eigentümerin des Regulierungsgebietes war. Der Bescheid betreffend die Anteilsrechte gestaltet konstitutiv für die Gegenwart und Zukunft.

 Historisches Eigentum der Ortsgemeinde geschaffen durch möglicher Weise rechtswidrigen (!) Behördenakt, bietet keinen Ansatzpunkt dafür, Bescheide betreffend die Anteilsrechte der Mitglieder zu ändern. Vielmehr ist eine verfassungskonforme Interpretation des Gesamtergebnisses der Regulierung im Sinne des Eigentumsschutzes für die nutzungsberechtigten Mitglieder der Agrargemeinschaft geboten!

 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Herleitung eines „atypischen Gemeindegutes“ aus angeblich unüberprüfbaren Zuständigkeitsentscheidungen der Agrarbehörde, das vom VfGH postulierte Gebot der verfassungskonformen Bescheidauslegung gerade zu konterkariert. Solcherart kann historisches Unrecht weder festgestellt, noch restituiert werden. Vielmehr wird neues Unrecht geschaffen!

I. Eigentum der Ortsgemeinde als Bedingung

Restitutionsbelastetes, „atypisches“ Eigentum iSd Erk VfSlg 18.446/2008 kann nur aus ehemaligem (wahrem) Eigentum der Ortsgemeinde entstehen (In diesem Sinn ganz deutlich: § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 idF LGBl 2010/7, ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde!). Zentrale Voraussetzung eines Verfahrens zur Regulierung des Substanzwertes gem VfSlg 18.446/2008 ist deshalb, dass die Ortsgemeinde im Zeitpunkt der historischen Regulierung wahre Eigentümerin war. Eigentum der Ortsgemeinde im Zeitpunkt der historischen Regulierung bedarf jedenfalls eines Eigentumstitels.

Auszugehen ist davon, dass die Agrargemeinschaft heute im Sinne des § 431 ABGB als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist. Die Tatsache der Eintragung begründet zugleich die – widerlegbare – Vermutung, dass die seinerzeitige Einverleibung auf einem gültigen Titel beruhte, dh dass diese rechtmäßig war (vgl: VfGH B 634/10 Pkt A II. 2.3.3. der Begründung; vgl. OGH 30.4.1996, 5 Ob 2036/96i; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I 13. Aufl [2006] 352). Die Eigentumseinverleibung als Ergebnis eines Agrarbehördenverfahrens zur Regulierung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte gem dem zweiten Hauptstück des Flurverfassungs-Landesgesetzes setzt voraus, dass die Agrarbehörde die wahren Eigentumsverhältnisse geprüft und rechtskräftig übder die wahren Eigentumsverhältnisse entschieden hat. Es ist deshalb vorauszusetzen, dass die Agrarbehörde das Eigentum der Agrargemeinschaft gem § 38 Abs 1 bescheidmäßig festgestellt hatte und dass dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen war. Anderenfalls hätte eine Einverleibung der Agrargemeinschaft nicht stattfinden dürfen.

Wurde deshalb im historischen Regulierungsverfahren gem § 38 Abs 1 über die wahren Eigentumsverhältnisse bescheidmäßig entschieden und ist dieser Bescheid gegenüber der Ortsgemeinde rechtskräftig, so steht der Behauptung der Unrichtigkeit dieser Entscheidung deren Rechtskraft entgegen (§ 14 Agrarverfahrensgesetz).

II. „Gemeindegutqualifizierung“ als Eigentumstitel?

Der Bescheid der Tiroler Agrarbehörde zur Agrargemeinschaft Mieders vom 09.11.2006, AgrB-R741/362-2006, dessen Feststellungen im Erk VfSlg 18.446/2008 (= Mieders-Erk) beurteilt wurden, knüpfte für die Unterstellung einer „atypischen Eigentumsregulierung“ bei der Zuständigkeitsentscheidung im Agrarbehördenverfahren an. Unterstellt wurde, dass ein „Gemeindegut“ nicht in dem Sinn beurteilt werden könnte, dass dieses das Eigentum einer Agrargemeinschaft sei. Dies deshalb, weil das Gemeinderecht ein „Gemeindegut“ zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinde definiere. Die Agrarbehörde hätte das Eigentum der Ortsgemeinde lediglich als Agrargemeinschaft organisieren wollen.

Bei diesen Thesen wurde grundlegend verkannt, dass das Gemeinderecht nur das Gemeindegut im Allgemeinen regelt und das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung dem Vollzugsbereich des Flurverfassungsrechts zuweist. (Artikel III. LGBl 1935/36 in Verbindung mit §§ 117, 140 und 164 Abs 2 zweiter Satz TGO 1935 sowie die Nachfolgebestimmungen, wie § 82 TGO 1949 bis § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“)

Bereits Morscher war Anfang der 80er Jahre der Fehler unterlaufen, dass er das Gemeindegut im Allgemeinen, dessen Rechtsverhältnisse in der Gemeindeordnung geregelt sind, vom Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, dessen Rechtsverhältnisse die Flurverfassung regelt, nicht zu unterscheiden vermochte. Irritiert sprach Morscher davon, dass die Agrarbehörden nicht einmal vor dem Nonsense zurückschrecken würden, an Gemeindegut Eigentum einer Agrargemeinschaft festzustellen. (Morscher, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 1982, 1ff 5 in FN 32). Tatsächlich hat Morscher die Sach- und Rechtslage grundlegend verkannt. Das Gemeindegut im Allgemeinen ist eben vom Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung zu unterscheiden! Die Gemeindegesetze der Länder machen die Unterscheidung hinreichend deutlich.

Nur beispielhaft sei auf die Steirische Novelle zur Gemeindeordnung vom 6. Juli 1948 verwiesen, LGBl 52/1948, mit welcher die Bestimmungen zum „Gemeindegut“ wie folgt neu gefasst wurden: „§ 61. Gemeindegut. (1) Sachen, welche zum Gebrauche eines jeden Gemeindemitgliedes einer Gemeinde dienen, bilden das Gemeindegut. Insbesonders gehören zum Gemeindegut Grundstücke, welche von allen oder nur von gewissen Gemeindemitgliedern einer Gemeinde oder einer Ortschaft zur Deckung ihres Guts- und Hausbedarfes gemeinschaftlich oder wechselseitig benützt werden. (2) […] (3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 5, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu. (4) Die Gemeindebehörde hat darauf zu achten, dass die Nutzungen der Gemeindemitglieder nicht über den notwendigen Guts- und Hausbedarf hinaus in Anspruch genommen werden und diese Nutzungen der nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundstückes, insbesondere bei Waldungen, entsprechen. Nötigenfalls ist die Entscheidung der Agrarbehörde einzuholen.“

Es ist deshalb schlicht falsch, wenn aus der Verwendung des Begriffes „Gemeindegut“ in den historischen Bescheiden der Agrarbehörde die Schlussfolgerung gezogen würde, damit sei Gemeindegut im Allgemeinen gemeint, welches durch die Gemeindegesetze zum Eigentum der Ortsgemeinde gestempelt sei. In den Agrarbehördenbescheiden werden typischer Weise Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung behandelt. Der Verfassungsgerichtshof hat deshalb völlig zu Recht in der Grundsatzentscheidung vom 10.12.2010 VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen-Erk) – unter Berufung auf Öhlinger – klargestellt, dass es der historischen Rechtslage entsprochen habe, mit dem Begriff „Gemeindegut“ wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft zu beschreiben. (VfGH 10.12.2010 VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3: „[…] der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs 2 lit d des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff `Gemeindegut´ im Sinne von `Eigentum der Agrargemeinschaft´ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger [FN 235] 223 [250 f.]) […].“).

Die Feststellung von „Gemeindegut“ in einem Agrarbehördenbescheid ist für die Begründung des Anspruchs der Ortsgemeinde auf den Substanzwert gem § 33 Abs 5 TFLG 1996 in keinster Weise ausreichend. Weil der Begriff „Gemeindegut“ auch im Sinn von „wahrem Eigentum der Agrargemeinschaft“ verwendet wurde, kann eine bescheidmäßige Feststellung, wonach „Gemeindegut“ im Eigentum der Agrargemeinschaft vorliege, selbstverständlich nicht als Eigentumstitel der Ortsgemeinde verstanden werden. Dies insbesondere dann nicht, wenn ein Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gegenständlich war.

Die Verhältnisse liegen komplexer und zugleich einfacher: Die Tiroler Agrarbehörde hat im Zeitraum bis zum Bekanntwerden des Erk VfSlg 9336/1982 den Begriff „Gemeindegut“ ganz im Sinn des Flurverfassungsrechts und im Sinn der an das Flurverfassungsrecht angepassten Gemeinderechte der als Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung verstanden. Dieses „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ konnte wahres Eigentum der Ortsgemeinde oder auch wahres Eigentum der Agrargemeinschaft sein.

Aus der bloßen Anknüpfung der Agrarbehörde beim Zuständigkeitstatbestand „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ kann deshalb hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse gar nichts abgeleitet werden. Maßgeblich ist vielmehr die Eigentumsentscheidung. Die Anknüpfung des VwGH ist deshalb grundfalsch!

III. „Qualifizierung“ ist Zuständigkeitsentscheidung

Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vom Gemeindegut im Allgemeinen zu unterscheiden. (Vgl schon Mair in Kohl ea, Agrargemeinschaften Tirol 9 f; Kühne/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 323 ff; Pernthaler/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 449f; Bundeskanzleramt, Zl 156.486–6, ex 1935 „Ausscheidung aus der Gemeindevermögensverwaltung“) Der Eigentumsstreit betreffend das erstere ist vor der Agrarbehörde zu führen (§ 34 Abs 4 FlVerfGG 1951 und § 35 Abs 1 FlVerfGG 1951; zur Ermittlungspflicht betreffend die Eigentumsverhältnisse am „Operationsgebiet“: siehe § 31 FlVerfGG 1951; vgl § 10 Abs 3 FlVerfGG 1951; vgl §§ 38 Abs 1 NÖ FLG 1934; 38 Abs 1 Tiroler FLG 1935; § 37 Vlbg FLG 1951; Pernthaler/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 444 ff) Über die Eigentumsverhältnisse am sonstigen „Gemeindegut“ entscheidet die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit.

Die Beurteilung eines Grundstücks als Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung hat daher keine andere Rechtsfolge als die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Entsprechende Feststellungen in agrarbehördlichen Bescheiden bezweckten also nur eine Begründung der eigenen (agrarbehördlichen) Zuständigkeit; keinesfalls sollten sie die der Agrarbehörde vorbehaltene und von dieser erst zu treffende Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse vorwegnehmen bzw auf dem Umweg über das Gemeinderecht präjudizieren.

Für das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gilt dem Grunde nach nichts anderes als für jedes andere behauptete Gemeindeeigentum: Eine behauptete Gemeindestraße – zweifellos „Gemeindegut im Allgemeinen“ – steht keinesfalls kraft Gemeinderecht unwiderlegbar im Eigentum der Ortsgemeinde. Vielmehr hat jedermann die Möglichkeit, die Behauptung von Gemeindeeigentum in einem streitigen Zivilverfahren zu widerlegen. Eigentümer ist schließlich, wer vom Zivilgericht rechtskräftig als Eigentümer festgestellt wird.

Unterliegt die Ortsgemeinde in einem solchen Eigentumsstreit, so liegt dies in der Regel am besseren Eigentumstitel des Klägers und nicht daran, dass das Zivilgericht auf eine verfassungswidrige Eigentumsentziehung erkannt hätte. In diesem Sinne hatte die Agrarbehörde bei der Feststellung der Eigentumsverhältnisse anhand des Zivilrechts zu entscheiden, wobei die Parteien des Agrarverfahrens – noch viel eindringlicher als im zivilgerichtlichen Petitorium – anzuleiten sind, sich über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften und deren „reformatorische Neugestaltung“ zu vergleichen. (Zu den Handlungsmaximen des Agrarbeamten: Kühne, Zu Agrargemeinschaften in Vorarlberg, in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich, 347 (368), („Don´t litigate, don´t arbitrate, find a settlement“)

IV. Zusammenfassung

„Schlicht unnachvollziehbar ist es, dass der Verwaltungsgerichtshof in einer ersten Serie von Entscheidungen vom 30.6.2011 den Standpunkt eingenommen hat, jede Entscheidung der historischen Agrarbehörde zum Tatbestand `Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung´ indiziere unwiderlegbar ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde.

Die von der TFLG-Novelle 2010 geforderte Prüfung der historischen Eigentumsverhältnisse wurde nicht vorgenommen, sondern unterstellt, dass jede Entscheidung zum Tatbestand „Gemeindegut“ zwingend ehemaliges Eigentum der heutigen Ortsgemeinde voraussetze.

Zwangsläufig hat dies die groteske Konsequenz, dass die historische Agrarbehörde mit einer Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet zu Gunsten der Agrargemeinschaft, gleichzeitig die „Substanz“ zu Gunsten der Ortsgemeinde enteignet hätte!“ (Hans R. Klecatsky)

 Das ist wahrlich absurd!

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Das üble Nummernspiel des VwGH

 

MP

 

 

Sündenfall 82-I

DER SÜNDENFALL DES VERFASSUNGSGERICHTS 1982

SÜNDENFALL 82-I

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Abstract

Mit dem Kernsatz des Erk VfGH Slg 9336/1982, wonach die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung in den Gemeindeordnungen der Länder derart definiert wären, dass ein solches Gemeindegut notwendig ein Eigentum der Ortsgemeinde sei, hat der Verfassungsgerichtshof eine OFFENKUNDIG FALSCHE Rechtsbehauptung aufgestellt.

OFFENKUNDIG FALSCH ist dieser Kernsatz des Erk VfSlg 9336/1982 nicht deshalb, weil der Verfassungsgerichtshof eine Widersprüchlichkeit zwischen dem Flurverfassungsrecht und dem Gemeinderecht übersehen hätte! OFFENKUNDIG FALSCH ist dieser Kernsatz des Erk VfSlg 9336/1982 deshalb, weil die Gemeindeordnungen der Länder seit den 1930er Jahren klarstellen, dass diese für die Regelung des Eigentumsrechts am Gemeindegut nicht zuständig sind.

Die Behauptung des VfGH, das Gemeinderecht begründe an einem Gemeindegut notwendig ein Eigentum der Ortsgemeinde, ist schon aus zivilrechtlicher Sicht offenkundig unrichtig. Das Gemeinderecht kann keinen Eigentumstitel für einen Einzelfall abgeben. Nur am Rande ist festzustellen: Einen Eigentumstitel schaffen, das könnte nur das Zivilrecht; Zivilrecht ist freilich keine Kompetenz des Gemeindegesetzgebers, sondern Bundeskompetenz gem Art 10 B-VG.

Absurd wird die Behauptung, dass das Gemeinderecht das Eigentum am Gemeindegut gestalte, wenn man die Entwicklung der Landes-Gemeindegesetze nachvollzieht, die durch die Bodenreformgesetzgebung veranlasst wurde. Tatsache ist, dass gerade das Tiroler und das Vorarlberger Landes-Gemeinderecht angepasst wurden, als das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (FlVGG) im Jahr 1932 in Kraft gesetzt wurde. Weil die Bundesverfassung das „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ (= auch Flurverfassungsrecht) als Bundeskompetenz in den Grundsätzen definiert hatte (Art 12 B-VG) und weil der Bundesgesetzgeber im Jahr 1932 von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht hatte, mussten die Landesgemeindegesetze umgestaltet werden.

Im Blick auf Art 12 B-VG und die Bundeskompetenz betreffend „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ mussten aus den Landes-Gemeindegesetzen alle Regelungen beseitigt werden, die der Sache nach „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ am Gemeindegut waren. Insbesondere umfasst „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ a) das Judizieren (= die reformatorische Entscheidung) der Eigentumsverhältnisse und b) die Regulierung der Nutzungsrechte.

Tatsächlich haben die Landes-Gemeindegesetze ab dem Zeitpunkt, als das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz des Bundes 1932 in Kraft getreten ist, entweder auf eine Regelung des Gemeindeguts gänzlich verzichtet oder die Landes-Gemeindegesetze haben klar gestellt, dass in ihren Gemeindegesetzen nichts geregelt ist, was im Widerspruch zum „Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen“ iSd Art 12 B-VG stehen könnte.

Die Vorgabe des “Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes” aus dem Jahr 1935 an den Tiroler Landtag, der damals gerade die Gemeindeordnung reformiert hat, lauteten wie folgt: „1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftlichen Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt. 2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat. 3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

Die Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof sich im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darüber hinweggesetzt hat, dass die Gemeindegesetze der Länder seit Inkrafttreten der Bundes-Verfassung systematisch so umgestaltet wurden, dass in diesen insbesondere nichts zum Eigentum am Gemeindegut geregelt war, ist schlicht ein SKANDAL.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 darüber hinweggesetzt, dass die Landesgemeindegesetze sein Inkrafttreten der Bundesverfassung die agrarische Operation an Gemeindegut, dh insbesondere auch die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse daran, weder regeln konnten, noch durften!

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I. Gemeindegesetze wurden umgestaltet

Das Mieders-Erk 2008 war nur denkbar, weil der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 das Gemeindegut zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinden hingestellt hatte. Das Verfassungsgerichtshof wollte diese Rechtseigenschaft des Gemeindeguts aus dem Gemeinderecht abgeleitet wissen. Tatsächlich findet sich im Gemeinderecht des Jahres 1982 keine entsprechende Rechtsgrundlage.

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 vom 01.03.1982 ist zu aller erst ein Erkenntnis zu einem Vorarlberger Sachverhalt. Der Verfassungsgerichtshof hatte über eine Bestimmung zum Vorarlberger Flurverfassungsrecht das Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet; geprüft werden sollte, ob ein „Gemeindegut“ in Vorarlberg der agrarischen Operation unterzogen werden könne.

Der Verfassungsgerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass die agrarische Operation am Gemeindegut im Vorarlberger Flurverfassungs-Landesgesetz gleichheitswidrig geregelt sei; auch das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (FlVerfGG) des Bundes sei mit dieser Gleichheitswidrigkeit belastet.

Die behauptete Gleichheitswidrigkeit, stützt der VfGH auf folgende Überlegungen: „Das Gemeindegut iS der Gemeindeordnungen ist aber […] nicht nur formell der Gemeinde zugeordnet, sondern auch in materieller Hinsicht Eigentum der Gemeinde […] Die der Äußerung der Tir. Landesregierung zugrundeliegende Ansicht, die Gemeinde fungiere (auch) in diesen Fällen gleichsam nur als Vertreter oder Treuhänder der Nutzungsberechtigten und diese – die Mitglieder der alten Realgemeinde oder die von ihnen gebildete Gemeinschaft – seien die wahren (materiellen) Eigentümer des Gemeindegutes, findet in der tatsächlichen Entwicklung des Gemeinderechts keine Stütze. […] sie verkennt [dabei allerdings], daß man […] [zur Klärung der Eigentumsverhältnisse] auf die Regelungen des Gemeinderechtes zurückgreifen […] muß.“ (VfSlg 9336/1982 vom 1.3.1982, Pkt III. 1. Abs 3 und 4 sowie Pkt III. 2. Abs 1 der Begründung) Kurz: Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs begründete das Gemeinderecht ein Eigentumsrecht der Ortsgemeinde am Gemeindegut.

Gemeinderecht ist nach den Kompetenzartikeln der Österreichischen Bundes-Verfassung Landesrecht; das Gemeinderecht ist in den Landesgemeindegesetzen geregelt – ein anderes Gemeinderecht gibt es nicht. Auch am 1.3.1982, als der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 fällte, gab es in Österreich nur das Gemeinderecht der Länder (Landeskompetenz gem Art 15 B-VG). Für die Beurteilung des Gemeindeguts in Vorarlberg und die Entscheidung der Frage, ob das Vorarlberger Flurverfassungs-Landesgesetz den Rechtsverhältnissen am Gemeindegut in Vorarlberg gerecht wird, durfte nur das damals in Vorarlberg geltende Gemeinderecht herangezogen werden. Ein anderes Gemeinderecht stand damals in Vorarlberg nicht in Geltung stand.

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II. Was besagte das Vlbg Gemeinderecht?

Zu überprüfen ist die folgende Rechtsbehauptung des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 1982: „Das Gemeindegut iS der Gemeindeordnungen ist aber […] nicht nur formell der Gemeinde zugeordnet, sondern auch in materieller Hinsicht Eigentum der Gemeinde“, was sich aus dem Gemeinderecht ergeben würde.

Im Jahr 1982 stand in Vorarlberg (Vlbg) das Gemeindegesetz 1965, (Vlbg) LGBl 1965/45, im Folgenden: Vlbg GG 1965, in Geltung. Überprüft man, was das Vorarlberger Gemeinderecht zu den Rechtsverhältnissen am Gemeindegut im Jahr 1982 tatsächlich regelte, wird man überrascht: In diesem Gesetz findet sich wohl eine einschlägige Regelung zum Gemeindegut im Land Vorarlberg; diese Gesetzesbestimmung ist jedoch weit davon entfernt, die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut zu regeln.

§ 91 Abs 4 Vlbg GG 1965 lautet wie folgt: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ (unverändert § 99 Gemeindegesetz 1985 – in Geltung bis LGBl 1998/49). Die Regelung ist Teil der Übergangsbestimmungen (§ 91 Vlbg GG 1965); andere gesetzliche Bestimmungen zum Gemeindegut finden sich im Vlbg GG 1965 nicht – anders noch das Vlbg GG 1935, (Vlbg) LGBl 25/1935.

Das Vlbg GG1965 hat somit keinesfalls Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde geregelt. Vielmehr enthält das Vlbg GG 1965 lediglich als Übergangsbestimmung eine Regelung betreffend die Verwaltung des Gemeindeguts, wobei auf das Vlbg Flurverfassungs-Landesgesetz verwiesen wurde. Zusätzlich lässt die Gesetzesbestimmung erkennen, dass der Gemeindegesetzgeber die sukzessive Regulierung des Gemeindeguts nach dem (Vlbg) Flurverfassungs-Landesgesetz voraussetze.

Der Gesetzestext bringt damit zum Ausdruck, was seit Inkrafttreten der Kompetenzartikel der Bundes-Verfassung dem Österreichischen Verfassungsrecht entsprochen hat: Das Gemeindegut unterliegt dem Bodenreformrecht in der Kompetenz des Bundes-Grundsatzgesetzgebers und den auf Landesebene erlassenen Bodenreformgesetzen, hier: Vlbg Flurverfassungs-Landesgesetzes, (Vlbg LGBl Nr 4/1951). Im Gemeinderecht wurde nur ein Übergangsrecht vorgesehen, wonach die Verwaltung geregelt wurde, bis die agrarische Operation nach Flurverfassungs-Landesgesetz (Teilung, Zusammenlegung, Regulierung) durchgeführt ist.

a) Vom Gemeindeeigentum keine Rede

Das Vlbg GG 1965, das im Jahr 1982 in Vlbg gegolten hat, liefert sohin keine Stütze für den Rechtssatz: „Das Gemeindegut iS der Gemeindeordnungen ist aber nicht nur formell der Gemeinde zugeordnet, sondern auch in materieller Hinsicht Eigentum der Gemeinde“ sei. Das Vlbg GG 1965 trifft in dieser Hinsicht keine Regelung, sondern ordnet an, dass die Verwaltung des Gemeindeguts nach Landes-Flurverfassungsrecht zu erfolgen habe, bis die agrarische Operation nach Flurverfassungs-Landesgesetz, LGBl Nr 4/1951, die reformatorische Gestaltung der Rechtsverhältnisse herbeiführe.

Insofern der Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung VfSlg 9336/1982 – ungeachtet des Gesetzeswortlauts in § § 91 Abs 4 Vlbg GG 1965 – Zweifel gehabt haben sollte, was das Vlbg GG 1965 hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut voraussetzt, wären die Gesetzesmaterialien als Hilfsmittel der Gesetzesinterpretation heranzuziehen gewesen. Tatsächlich enthält der „Motivenbericht“ zum Vlbg GG 1965 eine umfangreiche Erläuterung zur Bestimmung des § 91 Abs 4 Vlbg GG 1965. Der Motivenbericht zum Vlbg GG 1965 führt dazu aus: Der Vorarlberger Gemeindegesetzgeber geht davon aus, dass „das bisher in den §§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935 genannte Gemeindegut ausschließlich aus agrargemeinschaftlich genutzten Grundstücken“ bestehe. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung seien inzwischen im Flurverfassungsgesetz, LGBl. Nr. 4/1951, geregelt. […] Die Ordnung der Verhältnisse des Gemeindegutes im Einzelnen ist zwar schon weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Um für die Übergangszeit für eine geordnete Verwaltung vorzusorgen, erweise es sich als zweckmäßig, den Gemeinden die Verpflichtung aufzuerlegen, die bisher geübte vorläufige Verwaltung bis zur Regulierung weiterzuführen.  § 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordne deshalb folgendes an: Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.

Die zentrale Botschaft des Motivenberichts zu den Rechtsverhältnissen am Gemeindegut lautet somit, dass der Vorarlberger Gemeindegesetzgeber davon ausgehe, dass das bisher in den §§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935 genannte Gemeindegut ausschließlich aus agrargemeinschaftlich genutzten Grundstücken“ bestehe und dass die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an diesem Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung inzwischen im Flurverfassungsgesetz, LGBl. Nr. 4/1951, geregelt seien. Kurz: Der nach der Bundesverfassung für das Gemeinderecht ausschließlich zuständige Gesetzgeber für das Land Vorarlberg hatte im Jahr 1965 klar gestellt, dass gerade nicht das Gemeinderecht, sondern vielmehr das Flurverfassungs-Landesgesetz die einschlägigen Gesetzesbestimmungen für die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut enthalte.

Somit erweist sich der vom Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 aufgestellte Rechtssatz, wonach das Gemeindegut iS der Gemeindeordnungen nach dem Inhalt der Gemeindegesetze nicht nur formell der Gemeinde zugeordnet, sondern auch in materieller Hinsicht Eigentum der Gemeinde sei – jedenfalls für das Land Vorarlberg, welches den ersten Anlassfall für das Erk VfSlg 9336/1982 lieferte – schlicht als FALSCH. Das Vlbg Gemeinderecht wollte im Blick auf das Bodenreformrecht keine Regeln zu den Rechtsverhältnissen am Gemeindegut aufstellen.

b) Vom Gemeindegesetz ins Flurverfassungsgesetz

Die Vorarlberger Gemeindeordnung 1935, (Vlbg) LGBl 25/1935, hatte noch umfangreiche Bestimmungen zur Regelung des Gemeindeguts enthalten (§§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935). Auch der Vlbg Gemeindegesetzgeber des Jahres 1935 hatte jedoch bereits dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gemeindegut dem Anwendungsbereich der Bodenreformgesetzgebung, insbesondere agrarische Operationen (Art 12 B-VG) unterliegt.

Der Bund hatte im Jahr 1935 von seiner diesbezüglichen Kompetenz bereits Gebrauch gemacht und das FlVerfGG 1932, BGBl.Nr. 256/1932, erlassen. Spätestens mit Inkrafttreten eines entsprechenden Landes-Flurverfassungsgesetzes für Vorarlberg war die (Vlbg) Gemeindeordnung 1935 die falsche Rechtsquelle, um die reformatorische Entscheidung über die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut zu regeln.

Dieser Tatsache trägt § 102 Abs. 3 Vorarlberger Gemeindeordnung 1935 Rechnung wie folgt: “Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 15 Abs 2 Pkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl.Nr. 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft”. Anders ausgedrückt: Sobald die Vorarlberger das Ausführungsgesetz zum (Bundes-) Flurverfassungs-Grundsatzgesetz, BGBl 256/1932, in Kraft gesetzt hätten, sollten die Bestimmungen der (Vlbg) Gemeindeordnung 1935 über das Gemeindegut (§§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935) außer Kraft treten.

Wie der Verfassungsgerichtshof auf der Basis dieser Gesetzeslage für den nach Vorarlberger Landesrecht zu beurteilenden Anlassfall, die Behauptung aufstellen konnte, dass die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut im Gemeinderecht zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinde geregelt seien, ist schleierhaft. Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert die einschlägigen Bestimmungen des 1982 geltenden Vorarlberger Gemeinderechts und setzt sich stattdessen mit dem Vorarlberger Gemeinderecht ex 1864 auseinander! Im Ergebnis ist das ein skandalöser Vorgang!

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III. Was besagte das Tiroler Gemeinderecht 1982?

Der zweite Anlassfall für das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 stammte aus Tirol. Der Verfassungsgerichtshof hatte somit auch das Tiroler Gemeinderecht unmittelbar anzuwenden, als er den Rechtssatz aufgestellt hat, wonach die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut im Gemeinderecht als Eigentum der Ortsgemeinde geregelt seien. Wie war die historische Rechtslage in Tirol aus der Sicht des Jahres 1982 zu beurteilen? Konnte zumindest für Tirol behauptet werden, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung im Gemeinderecht im Sinne der Behauptungen des Erk VfSlg 9336/1982 als „Eigentum der Ortsgemeinde“ definiert war? Auch diese Frage ist mit einem klaren NEIN zu beantworten.

Das Tiroler Gemeinderecht ordnete ebenfalls schon im Jahr 1935, LG vom 10. Juli 1935 LGBl 1935/36, die Konkurrenz zum Flurverfassungsrecht klar und eindeutig im Sinn der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Art 12 Abs 1 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz. Danach galten für die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften des Gemeindeguts im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes die Bestimmungen des TFLG 1935 (§ 117 TGO 1935: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“); diese Bestimmung war für das „Fraktionsgut“ sinngemäß zur Anwendung zu bringen war (§ 140 TGO 1935: „Die Verwaltung des Fraktionsvermögens und des Fraktionsguts hat nach den für das Gemeindevermögen und das Gemeindegut geltenden Bestimmungen zu erfolgen.“).

Die TGO 1949, LG vom 31. März 1949, LGBl 1949/24, hat an der Rechtslage, wonach agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut nach den gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung zu behandeln war, nichts geändert (§ 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“).

Die Klarstellung, wonach das Gemeinderecht absoluten Nachrang gegenüber dem Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen einschließlich des Gemeindeeigentums in agrargemeinschaftlicher Nutzung besitzt, findet sich in jeder späteren Fassung der Tiroler Gemeindeordnung (§ 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“).

Beide Anlassfälle, der aus Vorarlberg vorgelegte Sachverhalt einer „Fraktion Feldkirch“ und der aus Tirol vorgelegte Sachverhalt betreffend den „Eggenwald in Arzl“ (bei Innsbruck), hätten dem Verfassungsgerichtshof Anlass zu der Klarstellung geben müssen, dass die Entscheidung über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut eine Angelegenheit ist, die seit Inkrafttreten der Kompetenzartikel der Bundes-Verfassung ein Sachgegenstand der Bodenreformgesetze (Art 12 B-VG) ist. Das Gemeinderecht konnte und durfte diese Sachmaterie spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr regeln, zu welchem in dem betreffenden Bundesland das jeweilige Ausführungsgesetz zum (Bundes-)Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 in Kraft getreten ist. Das war in Tirol im jahr 1935; in Vorarlberg im Jahr 1951.

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IV. Die Bundesregierung instruierte den Tiroler Landtag

Bekanntlich waren die Kompetenzartikel der Bundes-Verfassung am 1.10.1925 in Kraft getreten (LEFTBAR: GEMEINDERECHT/Bundesverfassung). „Bodenreform, insbesondere agrarische Operation“ ist nach den Kompetenzartikeln der Bundes-Verfassung der Grundsatz-Gesetzgebung des Bundes vorbehalten (Art 12 B-VG). Mit dem Bundesgesetz vom 2.8.1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, BGBl 1932/256, hat der Bund von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. Ab diesem Zeitpunkt war es verfassungsrechtlich für den Gemeindegesetzgeber tabu, Gesetzesbestimmungen zu erlassen, die sich inhaltlich als „Bodenreform, insbesondere agrarische Operation“ darstellen.

Tabu war für die Gesetzgeber des Gemeinderechts ab diesem Zeitpunkt jede Regelung betreffend die „reformatorische Gestaltung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts“, wie Zusammenlegung, Teilung, Regulierung einschließlich der Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse daran.

Bezeichnender Weise war Tirol das erste Bundesland, wo sich der Landesgesetzgeber mit der neuen Verfassungslage betreffend Gemeinderecht und Flurverfassung auseinandersetzen musste.

a) Der Tiroler Landtag ignoriert das neue FlVerfGG des Bundes

Gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, wurden vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 (Zl 144.471/6-1935 des Bundeskanzleramtes) Einwendungen erhoben, weil der Gesetzesbeschluss in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 B 256) nicht in Einklang stünden.

Die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungsgesetz einer gemeinschaftlichen Benützung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegenden Teile des Gemeindegutes (Ortschaft-Fraktions-Gutes) seien als agrargemeinschaftliche Grundstücke anzusehen, welche den Bestimmungen der Bundes- und Landesflurverfassungsgesetze über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken unterliegen, die von den Bestimmungen der Gemeindeordnungen über das Gemeindeeigentum vielfach abweichen.

So stünde die Entscheidung, ob eine Liegenschaft eine agrargemeinschaftliche Liegenschaft sei (§ 17 BGG), wie auch, ob agrargemeinschaftliches Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliege (§ 35 BGG), dann über den Bestand und Umfang von Anteilsrechten (§ 35 BGG), schließlich die Genehmigung der Veräußerung, Belastung und Teilung agrargemeinschaftlichen Grundstücken (§ 18 BGG) jederzeit bei den Agrarbehörden. Weiters obliege den Agrarbehörden ausschließlich die Teilung und Regulierung agrargemeinschaftlicher Grundstücke, zu welch letzteren auch die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und Verwaltungssatzungen gehört (§ 33 BGG). In der Tat stünden diese agrargesetzlichen Bestimmungen mit den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnungen über die Gemeinde-Finanzverwaltung, welchen bisher als Teil des Gemeindeeigentums auch der agrargemeinschaftlichen Nutzung stehende Teile des Gemeindegutes unterlagen, in Widerspruch.

b) Beratungen in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes

Zwecks Abgrenzung der Zuständigkeiten insbesondere der Gemeindeaufsichts­behörden und der Agrarbehörden fand in der Abt 6 des Bundeskanzleramtes (Ministerialrat Dr. Kramer) eine Besprechung mit Vertretern des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft (Ministerialrat Dr. Strictius), des Bundesministeriums für Finanzen (Ministerialrat Dr. Weinzierl) und der Abteilung 1 des Bundeskanzleramtes (Min.Oberkom. Dr. Petz) statt.

a) Der Vorschlag, demgemäß den Flurverfassungsgesetzen als Gegenstand einer Agrargemeinschaft geltenden Teil des Gemeindegutes nicht mehr in den Gemeindeordnungen, sondern ausschließlich in den Landesflurverfassungsgesetzen zu behandeln, da ja dieser Teil des Gemeindegutes für den Gemeindehaushalt ohnehin nahezu gar keine Rolle spielt, wurde abgelehnt, vor allem mit der Begründung, dass die Agrarbehörden derzeit nicht in der Lage wären, die ihnen in diesem Fall notwendig zufallenden Aufgaben zu erfüllen. Auch legte der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums großen Wert darauf, die bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieses agrargemeinschaftlichen Teiles des Gemeindegutes auch weiterhin in der Gemeindeordnung zu belassen und zwar einerseits wegen des Hinweises auf die Gemeindeordnungen im § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz, vor allem aber um eine längere vacatio legis zu vermeiden, da nicht abzusehen ist, wann die Landesflurverfassungsgesetze in Kraft treten werden.

b) Nach eingehender Erörterung einigte man sich auf folgende gesetzliche Regelung: „1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums bzw. des Gemeindevermögens und Gemeindegutes diese gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.

2. Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht nur die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.

3. In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum oder über das Gemeindevermögen und Gemeindegut finden auf die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz BGBl Nr 256/1932 und dem … Flurverfassungs-Landesgesetz LGBl Nr … nicht in Widerspruch stehen.“
(Aus: Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 ex 1935)

c) Das Bundekanzleramt beeinsprucht den Tiroler Gesetzesbeschluss

Das Bundeskanzleramt Verfassungsdienst hat in der Folge entsprechende Einwendungen gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, erhoben. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden. Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert,  ausdrücklich auszunehmen. Es sei darüber hinaus im Tiroler Gemeindegesetz klar zu stellen, dass die Bestimmungen des Tiroler Gemeindegesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung finden, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.

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V. Der Tiroler Landtag passt seinen Gesetzestext an

a) Zu den Vorgaben der Bundesregierung

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat in der Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, als zuständiger Gesetzgeber für das Tiroler Gemeinderecht, den klaren gesetzgeberischen Willen umgesetzt, dass das „Gemeindegut/Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“, weil dieses Eigentum einer Agrargemeinschaft ist,  gerade nicht länger im Tiroler Gemeinderecht, sondern im Tiroler-Landes-Flurverfassungsrecht  geregelt wird. Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hatte den ausdrücklichen Willen, folgende Vorgabe aus dem Bundeskanzleramt umzusetzen:

„1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.

2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.

3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

b) Was hat der Tiroler Landesgesetzgeber am Gesetzestext geändert?

In Konsequenz der Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst.

Geändert wurden die §§

79 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935,

117 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“),

120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“),

140 TGO 1935 (Das zum Gemeindegut Gesagte, gelte auch für Fraktionsgut.),

164 letzter Satz TGO 1935 („Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), und

Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 („Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“)

c) Was besagen die Gesetzesmaterialien?

Aus den Verhandlungsschriften des „Ständischen, verfassungsgebender Tiroler Landtags, Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, ergibt sich dazu das Folgende:

Zu Pkt 1 der Tagesordnung: Beilage 5. Beschlussfassung über die Regierungsvorlage betreffend die Gemeindeordnung für das Land Tirol. Berichterstatter Dr. Adolf Platzgummer:

„Ich kann mich nach der ausführlichen Darlegung in der gestrigen begutachtenden Sitzung zu diesem Gegenstand heute in der beschließenden Sitzung jedenfalls kurz fassen. Das Bundeskanzleramt hat gegen die von uns beschlossene Vorlage Einspruch erhoben, und zwar wegen einiger angeblicher, zum Teil auch wirklicher Verfassungswidrigkeiten. Wir sind selbstverständlich nicht angestanden, diese Änderungen vorzunehmen.“ Bei dieser Gelegenheit hat das Bundeskanzleramt auch betont, dass es nach seiner Auffassung gut wäre, wenn das Flurverfassungs-Landesgesetz in der Gemeindeordnung eingebaut und außerdem noch einige andere kleinere Änderungen vorgenommen würden. Was das Flurverfassungsgesetz betrifft, so ist das Grundsatzgesetz schon im Jahr 1932 erschienen, die Ausführungsgesetze lassen aber auf sich warten. Wir haben unser Ausführungsgesetz am 6. Juni hier beschlossen, es ist derzeit in Wien und es läuft noch die Einspruchsfrist. Das Flurverfassungsgrundsatzgesetz enthält noch die Bestimmung, dass das Ausführungsgesetz erst mit diesem in Kraft zu treten habe, daher ist die Situation derzeit so, dass beide Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind. Deshalb war es uns bei der Verabschiedung der Gemeindeordnung nicht möglich, das Flurverfassungs-Landesgesetz zu berücksichtigen, weil es noch nicht existiert. Wir haben aber die Bestimmungen in die Gemeindeordnung so aufgenommen, als ob diese beiden Gesetze bereits in Kraft wären, und damit dem Verlangen des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft Rechnung getragen. Die übrigen Änderungen sind, insoweit sie sich als Empfehlungen der Bundesregierung darstellen, bis auf 3 ganz unwesentliche Punkte berücksichtigt worden. …“

Die Landesregierung hat diese Gelegenheit genützt, um auch noch ihrerseits einige kleinere Änderungen in der Vorlage vorzunehmen, denen der Landtag vollinhaltlich zugestimmt hat.

Somit haben wir eine Gemeindeordnung, die wirklich nach allem gesichtet ist, und ich kann nur den Antrag stellen, der Hohe Landtag möge die Vorlage zum Gesetzesbeschluss erheben.“

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VI. Zur Relevanz dieser Systementscheidung des Gemeindegesetzgebers

Die im Jahr 1935 vollzogene Anpassung des Tiroler Gemeinderechts wirkt bis heute nach: Alle späteren Neufassungen der Tiroler Gemeindeordnung haben den absolute Vorrang des Flurverfassungsrechts in Bezug auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung respektiert und gesetzlich umgesetzt: So die TGO 1949: § 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt“.

An diesem Normwortlaut hat sich bis zur TGO 2001 LGBl 2001/36 nichts Wesentliches geändert. § 74 TGO 2001: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war und ist nach Tiroler Landesrecht somit seit dem Jahr 1935 ausdrücklich aus dem allgemeinen gemeinderechtlichen Gemeindegutsbegriff der Gemeindeordnung ausgeschieden. Seit dem Jahr 1935 verlangt die TGO beim Gemeindegut eine gesetzliche Differenzierung: Agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut unterliegt den Bodenreformmaßnahmen, insbesondere den agrarischen Operationen (Art 12 B-VG). „Bodenreformmaßnahmen, insbesondere agrarische Operationen“ betreffend kann die Gemeindeordnung keine Regelungen treffen.

Bereits Albert Mair hat darauf hingewiesen, dass mit Blick auf das Gemeinderecht ein agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut und ein Gemeindegut im Allgemeinen zu unterscheiden sei. (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 9f: „Es muss diesbezüglich angenommen werden, dass der Gesetzgeber von der Annahme ausging, dass ein zweifacher Gemeindegutsbegriff möglich ist, einerseits der des agrargemeinschaftlichen Gemeindegutes, bestehend aus Grundstücken, die einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung fähig sind und andererseits der des nicht zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken zu zählenden Gemeindegutes, das aus im Gemeindeeigentum stehenden Sachen und Rechten nicht agrargemeinschaftlichen Charakters besteht wie z.B. von allen Gemeindebürgern benützte Schottergruben, gemeinschaftliche Bibliotheken und dergleichen.“)

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VII. Reaktionen anderer Landes-Gemeindegesetzgeber

a. Steiermark

Die Steirische Gemeindeordnung wurde erst 1948 an das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung geregelt wird. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung als Eigentum der Ortsgemeinde definiert ist. Umso klarer ist die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet. § 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der Gemeindeordnung, LGBl 52/1948:

„§ 61. Gemeindegut. (1) Sachen, welche zum Gebrauche eines jeden Gemeindemitgliedes einer Gemeinde dienen, bilden das Gemeindegut. Insbesonders gehören zum Gemeindegut Grundstücke, welche von allen oder nur von gewissen Gemeindemitgliedern einer Gemeinde oder einer Ortschaft zur Deckung ihres Guts- und Hausbedarfes gemeinschaftlich oder wechselseitig benützt werden.

(2) …

(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 5, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.

(4) Die Gemeindebehörde hat darauf zu achten, dass die Nutzungen der Gemeindemitglieder nicht über den notwendigen Guts- und Hausbedarf hinaus in Anspruch genommen werden und diese Nutzungen der nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundstückes, insbesondere bei Waldungen, entsprechen. Nötigenfalls ist die Entscheidung der Agrarbehörde einzuholen.“

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze von Vorarlberg von 1864 (!) und von Tirol von 1866 (!) als angeblich repräsentativ präsentiert, und das prov. Gemeindegesetz von 1849 (!) als maßgeblich hinstellt, ist skandalös.

 b. Oberösterreich

Die Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936, LG vom 29. April 1936, regelte das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung wie folgt: § 67 Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936:

Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15, Absatz 2, Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahre 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht in Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

Ergänzend regelte § 69 Abs 5 derselben Gemeindeordnung für Oberösterreichisch Folgendes: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinn der Grundsätze für die Flurverfassung (BGBl Nr 256/1932), entscheiden nach Inkrafttreten des Landes-Ausführungsgesetzes im Streitfalle die Agrarbehörden.“

Im Jahr 1948 wurde das OÖ Gemeindegesetz durchgreifend novelliert. Glasklar ist weiterhin die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet. § 67 Oö Gemeindeordnung 1948, Anlage 1 zum Gesetz vom 7. Juli 1948 LGBl 22/1949 lautete wie folgt:

Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 15, Abs (2), Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahr 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insofern Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht im Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

In der Oberösterreichischen Gemeindeordnung 1965, LGBl 45/196, § 71 Gemeindegut Abs 7 wird die Unterscheidung zwischen Gemeindegut im Allgemeinen, welches der Gemeindeordnung unterliegt und Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, welches dem Flurverfassungsrecht unterliegt, konsequent fortgesetzt. Nach dieser Bestimmung, welche in erster Linie klarstellenden Charakter hat, gilt: OÖ Gemeindeordnung 1965 LGBl 45/196 § 71 (7). „Die gesetzlichen Bestimmungen auf dem Gebiet der Bodenreform werden durch die Bestimmungen der Abs 1 bis 6 nicht berührt.“

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VIII. Neue Bestimmungen für die Gemeindehaushalte“

Am 28.9.1935 erstellte der Rechnungshof einen Musterentwurf „Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes“ zu Zl 3677 vom 28.09.1935. Dieser Musterentwurf war dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft zu Stellungnahme übermittelt worden. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft antwortete zu Zl 41.322-4/35 am 26.10.1935 wie folgt:

„Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Zl 41.322-4/35. Gemeindeordnung, Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes; Musterentwurf Zl 3677 v. 28.9.1935. An den Rechnungshof in Wien. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft beehrt sich mitzuteilen, dass es gegen die Versendung des Musterentwurfes in der vorliegenden Fassung von seinem Ressortstandpunkt keine Einwendungen erhebt. Es wird jedoch bemerkt:

Die Gemeindeordnungen für Tirol und Vorarlberg haben in den von den Landtagen ursprünglich beschlossenen Fassungen den Vorschriften des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes BGBl Nr 256 ex 1932 in den Bestimmungen über das Gemeindegut mehrfach nicht Rechnung getragen. In Tirol wurde das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits erlassen und kundgemacht, in Vorarlberg ist erst ein Entwurf hierfür in Vorbereitung.

Die Tiroler Gemeindeordnung vom 10. Juli 1935, LGBl Nr 36 hat den Wünschen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft durch die geänderte Fassung der §§ 79, 114 (3), 117, 120 (2), 164 (1) und Schlusssatz Rechnung getragen. Der neue aufgenommene Art III ist ohne praktische Bedeutung geblieben, da das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits in Wirksamkeit getreten ist.

In die Vorarlberger Gemeindeordnung wurde dagegen lediglich in § 102 Abs 3 eine allgemeine Bestimmung aufgenommen.

Vom ho. Standpunkt und wohl auch vom Standpunkt der leichteren Handhabung der Bestimmungen der Gemeindeordnung über das Gemeindegut ist der von Tirol gewählte Vorgang vorzuziehen, da dort immerhin bei allen unter dem Gesichtspunkte des Flurverfassungs-Landesgesetz in Betracht kommenden Bestimmungen der Gemeindeordnung auf das Flurverfassungsgesetz ausdrücklich verwiesen ist. Die Vorarlberger Gemeindeordnung enthält dagegen eine Reihe von Bestimmungen über das Gemeindegut, die bei dem Umstande, dass das Gemeindegut vielfach unter § 15 (2) d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes fällt, praktisch nicht zur Anwendung kommen können, wobei aber mangels einer analogen Verweisung – wie in Tirol bei jeder einzelnen einschlägigen Bestimmung der Gemeindeordnung – ein Irrtum in der Handhabung der Gemeindeordnung vielleicht möglich ist. In dieser Hinsicht wird auf die §§ 29 (2) und 102 (2), 103 (3), 109 (2), 29 (2) und 74 der Vorarlberger Gemeindeordnung verwiesen.

Es wäre daher vom ha Ressortstandpunkt sehr erwünscht, dass die in Betracht kommenden Landeshauptmannschaften insbesondere auf den vom Lande Tirol gewählten Vorgang aufmerksam gemacht würden. 26. Oktober 1935. Für den Bundesminister: Braun“

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IX. Schlussfolgerungen im Blick auf VfGH Slg 9336/1982

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert alle Gesetzes-Bestimmungen des Gemeinderechts samt allen einschlägigen Nachfolgeregelungen und setzt sich stattdessen mit dem Gemeinderecht ex 1864 bzw 1866 und dem prov. Gemeindegesetz 1849 auseinander!

 Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze aus den Jahren 1864 (!) und 1866 sowie das prov. Gemeindegesetz 1849 (!) analysiert, ist skandalös.

Selbst das Recht des Nationalsozialistischen Staates hat die Kompetenz der Agrarbehörde respektiert; die einschlägige Formulierung in § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429, diente den späteren Gemeindeordnungen der Länder offensichtlich als Formulierungsvorlage. § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429. „Die Bestimmungen dieser Verordnung finden auf jene Teile des Gemeindegliedervermögens, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Abs 2 d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes, BGBl Nr 256/1937, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetze und den die Flurverfassung regelnden Gesetzen der ehemaligen österreichischen Länder nicht in Widerspruch stehen.“

Das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ist somit keinesfalls in den Gemeindeordnungen der Länder als Eigentum der Ortsgemeinden definiert. Die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vielmehr „agrarische Operation“ gem Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG.

 Erst wenn die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden hat, steht mit urteilsgleicher Wirkung fest (§ 14 Agrarverfahrensgesetz), wer Eigentümer ist. Der festgestellte Eigentümer ist Eigentümer im Rechtssinn!

 

-.-.-.-.-

frei nach:
Kühne/Oberhofer,
Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde- zugleich eine Besprechung des Erk VfSlg 9336/1982.
in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg), Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 237ff.

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MP

Agrargemeinschaftliches Gemeindegut

I. Mühevoller Gesetzwerdungsprozess:

Der Verfassungsgesetzgeber des B-VG hat die Tatbestände „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder unterworfen (Art 12 B-VG). Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist Teilmaterie des Kompetenztatbestandes „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“, während das sonstige Gemeindegut Teilmaterie des Gemeinderechts ist. „Auf den Punkt gebracht: Gemeindegut ist nicht gleich Gemeindegut!“ (Öhlinger, Das Gemeindegut in der Rechtsprechung des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 255; Kühne, Zu Agrargemeinschaften in Vorarlberg, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 350ff; vgl schon: Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 375 ff; sowie aus historischer Sicht: Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 207 ff)

Die Rechtstatsache, wonach dem Flurverfassungsrecht das Gemeindegut, insofern es agrargemeinschaftlich genutzt wird, der Vorrang gebührt, wurde insbesondere auch aus der Sicht der Landes-Gemeindegesetzgeber klargestellt. (Artikel III. (Tiroler) LGBl 1935/36 in Verbindung mit §§ 117, 140 und 164 Abs 2 zweiter Satz TGO 1935 sowie die Nachfolgebestimmungen, wie § 82 TGO 1949 bis § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“; § 102 Abs 3 Vlbg Gemeindeordnung 1935 (Vorarlberger) LGBl 1935/25: „Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes, werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“ § 91 Abs 4 Vorarlberger Gemeindegesetz 1965 (LGBl 45/1965) = § 99 Vorarlberger Gemeindegesetz 1985: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II. Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ § 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der (Steirischen Gemeindeordnung, LGBl 52/1948): „(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 3, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.“ Uam)

Diese Klarstellung von Seiten des Landes-Gemeindegesetzgebers war kein friktionsfreier Prozess, sondern musste – im Blick auf die Komplexität der Materie von der Bundesregierung im Detail instruiert werden. Die historischen Abläufe lassen sich aus dem Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935), rekonstruieren.

II. Die Bundesregierung instruiert den Tiroler Landtag

a) Der Tiroler Landtag ignoriert das neue FlVerfGG des Bundes

Gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, wurden vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 (Zl 144.471/6-1935 des Bundeskanzleramtes) Einwendungen erhoben, weil der Gesetzesbeschluss in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 B 256) nicht in Einklang stünden.
Die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungsgesetz einer gemeinschaftlichen Benützung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegenden Teile des Gemeindegutes (Ortschaft-Fraktions-Gutes) seien als agrargemeinschaftliche Grundstücke anzusehen, welche den Bestimmungen der Bundes- und Landesflurverfassungsgesetze über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken unterliegen, die von den Bestimmungen der Gemeindeordnungen über das Gemeindeeigentum vielfach abweichen.
So stünde die Entscheidung, ob eine Liegenschaft eine agrargemeinschaftliche Liegenschaft sei (§ 17 BGG), wie auch, ob agrargemeinschaftliches Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliege (§ 35 BGG), dann über den Bestand und Umfang von Anteilsrechten (§ 35 BGG), schließlich die Genehmigung der Veräußerung, Belastung und Teilung agrargemeinschaftlichen Grundstücken (§ 18 BGG) jederzeit bei den Agrarbehörden. Weiters obliege den Agrarbehörden ausschließlich die Teilung und Regulierung agrargemeinschaftlicher Grundstücke, zu welch letzteren auch die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und Verwaltungssatzungen gehört (§ 33 BGG). In der Tat stünden diese agrargesetzlichen Bestimmungen mit den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnungen über die Gemeinde-Finanzverwaltung, welchen bisher als Teil des Gemeindeeigentums auch der agrargemeinschaftlichen Nutzung stehende Teile des Gemeindegutes unterlagen, in Widerspruch.

b) Beratungen in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes

Zwecks Abgrenzung der Zuständigkeiten insbesondere der Gemeindeaufsichts-behörden und der Agrarbehörden fand in der Abt 6 des Bundeskanzleramtes (Ministerialrat Dr. Kramer) eine Besprechung mit Vertretern des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft (Ministerialrat Dr. Strictius), des Bundesministeriums für Finanzen (Ministerialrat Dr. Weinzierl) und der Abteilung 1 des Bundeskanzleramtes (Min.Oberkom. Dr. Petz) statt.

a) Der Vorschlag, demgemäß den Flurverfassungsgesetzen als Gegenstand einer Agrargemeinschaft geltenden Teil des Gemeindegutes nicht mehr in den Gemeindeordnungen, sondern ausschließlich in den Landesflurverfassungsgesetzen zu behandeln, da ja dieser Teil des Gemeindegutes für den Gemeindehaushalt ohnehin nahezu gar keine Rolle spielt, wurde abgelehnt, vor allem mit der Begründung, dass die Agrarbehörden derzeit nicht in der Lage wären, die ihnen in diesem Fall notwendig zufallenden Aufgaben zu erfüllen. Auch legte der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums großen Wert darauf, die bisherigen materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieses agrargemeinschaftlichen Teiles des Gemeindegutes auch weiterhin in der Gemeindeordnung zu belassen und zwar einerseits wegen des Hinweises auf die Gemeindeordnungen im § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz, vor allem aber um eine längere vacatio legis zu vermeiden, da nicht abzusehen ist, wann die Landesflurverfassungsgesetze in Kraft treten werden.

b) Nach eingehender Erörterung einigte man sich auf folgende gesetzliche Regelung: „1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums bzw. des Gemeindevermögens und Gemeindegutes diese gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.
2. Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht nur die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.
3. In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum oder über das Gemeindevermögen und Gemeindegut finden auf die gem. § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz BGBl Nr 256/1932 und dem … Flurverfassungs-Landesgesetz LGBl Nr … nicht in Widerspruch stehen.“

(Aus: Akt des Bundeskanzleramtes, GZ 156.486-6/1935 (Einwendungen zu den Gesetzesbeschlüssen des Tiroler und Vorarlberger Landtages betreffend die Gemeindeordnungen 1935); Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 ex 1935)

c) Das Bundekanzleramt beeinsprucht den Gesetzesbeschluss

Das Bundeskanzleramt Verfassungsdienst hat in der Folge entsprechende Einwendungen gegen den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 26. April 1935 betreffend eine neue Gemeinde-Ordnung für das Land Tirol, erhoben. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden. Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert, ausdrücklich auszunehmen. Es sei darüber hinaus im Tiroler Gemeindegesetz klar zu stellen, dass die Bestimmungen des Tiroler Gemeindegesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung finden, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.

III. Der Tiroler Landtag passt seinen Gesetzestext an

a) Zu den Vorgaben der Bundesregierung

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat in der Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, als zuständiger Gesetzgeber für das Tiroler Gemeinderecht, den klaren gesetzgeberischen Willen umgesetzt, dass das „Gemeindegut/Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“, weil dieses Eigentum einer Agrargemeinschaft ist, gerade nicht länger im Tiroler Gemeinderecht, sondern im Tiroler-Landes-Flurverfassungsrecht geregelt wird. Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hatte den ausdrücklichen Willen, folgende Vorgabe aus dem Bundeskanzleramt umzusetzen:
„1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.
2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.
3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

b) Was hat der Tiroler Landesgesetzgeber am Gesetzestext geändert?

In Konsequenz der Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst.
Geändert wurden die §§
79 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935,
117 Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“),
120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935 („Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“),
140 TGO 1935 (Das zum Gemeindegut Gesagte, gelte auch für Fraktionsgut.),
164 letzter Satz TGO 1935 („Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“), und
Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 („Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“)

c) Was besagen die Gesetzesmaterialien?

Aus den Verhandlungsschriften des „Ständischen, verfassungsgebender Tiroler Landtags, Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, ergibt sich dazu das Folgende:

Zu Pkt 1 der Tagesordnung: Beilage 5. Beschlussfassung über die Regierungsvorlage betreffend die Gemeindeordnung für das Land Tirol. Berichterstatter Dr. Adolf Platzgummer:

„Ich kann mich nach der ausführlichen Darlegung in der gestrigen begutachtenden Sitzung zu diesem Gegenstand heute in der beschließenden Sitzung jedenfalls kurz fassen. Das Bundeskanzleramt hat gegen die von uns beschlossene Vorlage Einspruch erhoben, und zwar wegen einiger angeblicher, zum Teil auch wirklicher Verfassungswidrigkeiten. Wir sind selbstverständlich nicht angestanden, diese Änderungen vorzunehmen.“ Bei dieser Gelegenheit hat das Bundeskanzleramt auch betont, dass es nach seiner Auffassung gut wäre, wenn das Flurverfassungs-Landesgesetz in der Gemeindeordnung eingebaut und außerdem noch einige andere kleinere Änderungen vorgenommen würden. Was das Flurverfassungsgesetz betrifft, so ist das Grundsatzgesetz schon im Jahr 1932 erschienen, die Ausführungsgesetze lassen aber auf sich warten. Wir haben unser Ausführungsgesetz am 6. Juni hier beschlossen, es ist derzeit in Wien und es läuft noch die Einspruchsfrist. Das Flurverfassungsgrundsatzgesetz enthält noch die Bestimmung, dass das Ausführungsgesetz erst mit diesem in Kraft zu treten habe, daher ist die Situation derzeit so, dass beide Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind. Deshalb war es uns bei der Verabschiedung der Gemeindeordnung nicht möglich, das Flurverfassungs-Landesgesetz zu berücksichtigen, weil es noch nicht existiert. Wir haben aber die Bestimmungen in die Gemeindeordnung so aufgenommen, als ob diese beiden Gesetze bereits in Kraft wären, und damit dem Verlangen des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft Rechnung getragen. Die übrigen Änderungen sind, insoweit sie sich als Empfehlungen der Bundesregierung darstellen, bis auf 3 ganz unwesentliche Punkte berücksichtigt worden. …“
Die Landesregierung hat diese Gelegenheit genützt, um auch noch ihrerseits einige kleinere Änderungen in der Vorlage vorzunehmen, denen der Landtag vollinhaltlich zugestimmt hat.
Somit haben wir eine Gemeindeordnung, die wirklich nach allem gesichtet ist, und ich kann nur den Antrag stellen, der Hohe Landtag möge die Vorlage zum Gesetzesbeschluss erheben.“

IV. Zur Relevanz dieser Systementscheidung des Gemeindegesetzgebers

Die im Jahr 1935 vollzogene Anpassung des Tiroler Gemeinderechts wirkt bis heute nach: Alle späteren Neufassungen der Tiroler Gemeindeordnung haben den absolute Vorrang des Flurverfassungsrechts in Bezug auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung respektiert und gesetzlich umgesetzt: So die TGO 1949: § 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt“.

An diesem Normwortlaut hat sich bis zur TGO 2001 LGBl 2001/36 nichts Wesentliches geändert. § 74 TGO 2001: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war und ist nach Tiroler Landesrecht somit seit dem Jahr 1935 ausdrücklich aus dem allgemeinen gemeinderechtlichen Gemeindegutsbegriff der Gemeindeordnung ausgeschieden. Seit dem Jahr 1935 verlangt die TGO beim Gemeindegut eine gesetzliche Differenzierung: Agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut unterliegt den Bodenreformmaßnahmen, insbesondere den agrarischen Operationen (Art 12 B-VG). „Bodenreformmaßnahmen, insbesondere agrarische Operationen“ betreffend kann die Gemeindeordnung keine Regelungen treffen.
Bereits Albert Mair hat darauf hingewiesen, dass mit Blick auf das Gemeinderecht ein agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut und ein Gemeindegut im Allgemeinen zu unterscheiden sei. (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 9f: „Es muss diesbezüglich angenommen werden, dass der Gesetzgeber von der Annahme ausging, dass ein zweifacher Gemeindegutsbegriff möglich ist, einerseits der des agrargemeinschaftlichen Gemeindegutes, bestehend aus Grundstücken, die einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung fähig sind und andererseits der des nicht zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken zu zählenden Gemeindegutes, das aus im Gemeindeeigentum stehenden Sachen und Rechten nicht agrargemeinschaftlichen Charakters besteht wie z.B. von allen Gemeindebürgern benützte Schottergruben, gemeinschaftliche Bibliotheken und dergleichen.“)

V. Zur Reaktion der anderen Landes-Gemeindegesetzgeber

Mit dem Kernsatz des Erk VfGH Slg 9336/1982, dass die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung in den Gemeindeordnungen der Länder derart definiert wären, dass Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung notwendig Eigentum der Ortsgemeinde sei, hat der Verfassungsgerichtshof eine Rechtsbehauptung aufgestellt, welche das positive Gemeinderecht der Bundesländer massiv verletzt. Ein solcher Eingriff in das Gesetzesrecht – sei es Bundesrecht, sei es Landesrecht – steht dem Verfassungsgericht nicht zu!

a. Die Steirischen Gemeindeordnung 1948 definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Die Steirische Gemeindeordnung wurde erst 1948 an das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung geregelt wird. Umso klarer ist die Klarstellung, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung gerade nicht in der Gemeindeordnung als Eigentum der Ortsgemeinde definiert ist. Umso klarer ist die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet. § 61 Abs 3 des Steirischen Gesetzes vom 6. Juli 1948 über die Änderung der Gemeindeordnung, LGBl 52/1948:
„§ 61. Gemeindegut. (1) Sachen, welche zum Gebrauche eines jeden Gemeindemitgliedes einer Gemeinde dienen, bilden das Gemeindegut. Insbesonders gehören zum Gemeindegut Grundstücke, welche von allen oder nur von gewissen Gemeindemitgliedern einer Gemeinde oder einer Ortschaft zur Deckung ihres Guts- und Hausbedarfes gemeinschaftlich oder wechselseitig benützt werden.
(2) …
(3) Nach den aufgrund des Artikels 12, Abs (1), Punkt 5, der Bundesverfassung 1929 erlassenen Gesetzen unterliegt das in Abs (1) bezeichnete Gemeindegut den Bestimmungen dieser Gesetze. Die Entscheidung über den Bestand des Gemeindegutes als agrarische Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetze, über den Verkauf des Gemeindegutes oder von Teilen desselben, ferner über die Übertragung von Nutzungsrechten an andere Gemeindemitglieder und die Höhe der einzelnen Nutzungen steht den Agrarbehörden zu.
(4) Die Gemeindebehörde hat darauf zu achten, dass die Nutzungen der Gemeindemitglieder nicht über den notwendigen Guts- und Hausbedarf hinaus in Anspruch genommen werden und diese Nutzungen der nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundstückes, insbesondere bei Waldungen, entsprechen. Nötigenfalls ist die Entscheidung der Agrarbehörde einzuholen.“

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze von Vorarlberg von 1864 (!) und von Tirol von 1866 (!) als angeblich repräsentativ präsentiert, und das prov. Gemeindegesetz von 1849 (!) als maßgeblich hinstellt, ist skandalös.

b. Die OÖ Gemeindeordnung 1936 definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Die Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936, LG vom 29. April 1936, regelte das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung wie folgt: § 67 Oberösterreichische Gemeindeordnung 1936:

„Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15, Absatz 2, Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahre 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht in Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

Ergänzend regelte § 69 Abs 5 derselben Gemeindeordnung für Oberösterreichisch Folgendes: „Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinn der Grundsätze für die Flurverfassung (BGBl Nr 256/1932), entscheiden nach Inkrafttreten des Landes-Ausführungsgesetzes im Streitfalle die Agrarbehörden.“

Im Jahr 1948 wurde das OÖ Gemeindegesetz durchgreifend novelliert. Glasklar ist weiterhin die Klarstellung, dass über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ausschließlich die Agrarbehörde entscheidet. § 67 Oö Gemeindeordnung 1948, Anlage 1 zum Gesetz vom 7. Juli 1948 LGBl 22/1949 lautete wie folgt:
„Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf jene Teile des Gemeindegutes, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 15, Abs (2), Punkt d, des Bundesgesetzes vom Jahr 1932, BGBl Nr 256, betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, gelten, nur insofern Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetz und dem Ausführungsgesetze hiezu nicht im Widerspruch stehen. Bis zur Erlassung des Ausführungsgesetzes bleiben die geltenden Vorschriften in Kraft.“

In der Oberösterreichischen Gemeindeordnung 1965, LGBl 45/196, § 71 Gemeindegut Abs 7 wird die Unterscheidung zwischen Gemeindegut im Allgemeinen, welches der Gemeindeordnung unterliegt und Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, welches dem Flurverfassungsrecht unterliegt, konsequent fortgesetzt. Nach dieser Bestimmung, welche in erster Linie klarstellenden Charakter hat, gilt: OÖ Gemeindeordnung 1965 LGBl 45/196 § 71 (7). „Die gesetzlichen Bestimmungen auf dem Gebiet der Bodenreform werden durch die Bestimmungen der Abs 1 bis 6 nicht berührt.“

c. Die Vorarlberger Gemeindeordnung definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Das Verfassungsgerichtshoferkenntnis VfSlg 9336/1982 hatte die Gemeindeordnungen von Vorarlberg und von Tirol zum Gegenstand. Man könnte deshalb den Standpunkt vertreten, dass die Nichtbeachtung der Gemeindeordnungen von Steiermark und Oberösterreich eine lässliche Sünde sei. Verfassungsrichter können nicht die Gemeindeordnungen aller Bundesländer kennen!

Die Frage ist, wie das Gemeinderecht Vorarlbergs und das Gemeinderecht Tirols das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung im Zeitpunkt der Entscheidung, dh im Jahr 1982 geregelt hatten. Zur Klärung dieser Frage hatte sich der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 umfangreich mit der Vorarlberger Gemeindeordnung 1864 (!) auseinandergesetzt; ebenso mit der Tiroler Gemeindeordnung 1866 (!). Die Frage ist: Warum setzt sich der Verfassungsgerichtshof mit den Gemeindeordnungen aus der Zeit des Kaiserthums Österreich auseinander? Warum werden Gemeindeordnungen analysiert, welche aus einer Zeit stammen, als das „moderne“ Flurverfassungsrecht, welches in seinen Ursprüngen auf das TRRG 1883 zurückgeht, noch nicht existierte? Warum werden Gemeindeordnungen analysiert, welche nicht auf der Grundlage der Österreichischen Bundes-Verfassung geschaffen wurden?

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Teilungs- und Regulierungsrechts, in der Terminologie der geltenden Bundesverfassung „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ stammt von 1920; das Bundes-Grundsatzgesetz dazu stammt von 1931. Die relevanten Regelungen in den Gemeindeordnungen der Länder müssen deshalb aus der Zeit ab 1931 stammen! Diese relevanten Regelungen des Gemeinderechts, welche voll und ganz mit dem Flurverfassungsrecht harmonisiert wurden, lauten wir folgt: aa) Gem § 102 Abs 3 Vlbg Gemeindeordnung 1935 LGBl 1935/25 wurde die Konkurrenz zwischen Gemeinderecht und Flurverfassung nicht weniger klar geregelt:

§ 102 Abs 3 Vlbg GO 1935 LGBl 1935/25:
„Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes, werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“

§ 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordnete den Vorrang der Bodenreformgesetze folgendes an:
§ 91 Abs 4 Vlbg GG 1965, LGBl LGBl 1965/45. „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“ (§ 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965, LGBl 1965/45 (unverändert § 99 Gemeindegesetz 1985, aufgehoben durch das “Gemeindegutsgesetz 1998“, Vlbg LGBl 1998/49)

Den Gesetzesmaterialien zur Vlbg Gemeindeordnung 1965 ist dazu Folgendes zu entnehmen:
„Der Vorarlberger Gemeindegesetzgeber geht davon aus, dass „das bisher in den §§ 72 bis 77 und 102 bis 108 der GO 1935 genannte Gemeindegut ausschließlich aus agrargemeinschaftlich genutzten Grundstücken“ bestehe. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung seien inzwischen im Flurverfassungsgesetz, LGBl. Nr. 4/1951, geregelt. […] Die Ordnung der Verhältnisse des Gemeindegutes im Einzelnen ist zwar schon weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Um für die Übergangszeit für eine geordnete Verwaltung vorzusorgen, erweise es sich als zweckmäßig, den Gemeinden die Verpflichtung aufzuerlegen, die bisher geübte vorläufige Verwaltung bis zur Regulierung weiterzuführen. § 91 Abs 4 Vlbg Gemeindegesetz 1965 ordnete deshalb folgendes an: „Die Gemeinde als Trägerin von Privatrechten ist verpflichtet, Gemeindegut, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse noch nicht nach den Bestimmungen des II Hauptstückes des Flurverfassungsgesetzes, LGBl Nr 4/1951, geordnet sind, vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes zu verwalten.“

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert diese Bestimmungen und setzt sich stattdessen mit dem Vorarlberger Gemeinderecht ex 1864 auseinander! Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen das Gemeindegesetz von Vorarlberg aus dem Jahr 1864 (!) analysiert, ist skandalös.

d. Die Tiroler Gemeindeordnung definiert den Vorrang des Bodenreformrechts

Wie war die historische Rechtslage in Tirol aus der Sicht des Jahres 1982 zu beurteilen? Konnte zumindest für Tirol behauptet werden, dass das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ihn den Tiroler Gemeindeordnungen im Sinne der Behauptungen des Erk VfSlg 9336/1982 als „Eigentum der Ortsgemeinde“ definiert war? Auch diese Frage ist mit einem klaren NEIN zu beantworten.

Das Tiroler Gemeinderecht ordnete ebenfalls schon im Jahr 1935, LG vom 10. Juli 1935 LGBl 1935/36, die Konkurrenz zum Flurverfassungsrecht klar und eindeutig im Sinn der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Art 12 Abs 1 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz. Danach galten für die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften des Gemeindeguts im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes die Bestimmungen des TFLG 1935 (§ 117 TGO 1935: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“); diese Bestimmung war für das „Fraktionsgut“ sinngemäß zur Anwendung zu bringen war (§ 140 TGO 1935: „Die Verwaltung des Fraktionsvermögens und des Fraktionsguts hat nach den für das Gemeindevermögen und das Gemeindegut geltenden Bestimmungen zu erfolgen.“).
Die TGO 1949, LG vom 31. März 1949, LGBl 1949/24, hat an der Rechtslage, wonach agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut nach den gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung zu behandeln war, nichts geändert (§ 82 TGO 1949: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“). Die Klarstellung, wonach das Gemeinderecht absoluten Nachrang gegenüber dem Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen einschließlich des Gemeindeeigentums in agrargemeinschaftlicher Nutzung besitzt, findet sich in jeder späteren Fassung der Tiroler Gemeindeordnung (§ 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“).

§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935.
Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.

§ 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935.
Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.

§ 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935.
„Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“

§ 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935.
Nutzungsrechte haften an der Liegenschaft und können im Allgemeinen nur mit dieser rechtsgültig übertragen werden. (2) Für die ausnahmsweise Übertragung von Nutzungsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.

Gem § 140 TGO 1935 galt dies auch für Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung.

§ 164 letzter Satz TGO 1935.
„Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“

Gemäß Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36 wurde folgende Übergangsregelung getroffen:
„Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen:
1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag.
2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen.
3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung.
4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden.
5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.

e) Musterentwurf. Zl 3677 von 28.9.1935 des Rechnungshofes „Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes“

Am 28.9.1935 erstellte der Rechnungshof einen Musterentwurf „Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes“ zu Zl 3677 vom 28.09.1935. Dieser Musterentwurf war dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft zu Stellungnahme übermittelt worden. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft antwortete zu Zl 41.322-4/35 am 26.10.1935 wie folgt:

„Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Zl 41.322-4/35. Gemeindeordnung, Bestimmungen für die Führung des Gemeindehaushaltes; Musterentwurf Zl 3677 v. 28.9.1935. An den Rechnungshof in Wien. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft beehrt sich mitzuteilen, dass es gegen die Versendung des Musterentwurfes in der vorliegenden Fassung von seinem Ressortstandpunkt keine Einwendungen erhebt. Es wird jedoch bemerkt:
Die Gemeindeordnungen für Tirol und Vorarlberg haben in den von den Landtagen ursprünglich beschlossenen Fassungen den Vorschriften des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes BGBl Nr 256 ex 1932 in den Bestimmungen über das Gemeindegut mehrfach nicht Rechnung getragen. In Tirol wurde das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits erlassen und kundgemacht, in Vorarlberg ist erst ein Entwurf hierfür in Vorbereitung.
Die Tiroler Gemeindeordnung vom 10. Juli 1935, LGBl Nr 36 hat den Wünschen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft durch die geänderte Fassung der §§ 79, 114 (3), 117, 120 (2), 164 (1) und Schlusssatz Rechnung getragen. Der neue aufgenommene Art III ist ohne praktische Bedeutung geblieben, da das Flurverfassungs-Landesgesetz bereits in Wirksamkeit getreten ist.
In die Vorarlberger Gemeindeordnung wurde dagegen lediglich in § 102 Abs 3 eine allgemeine Bestimmung aufgenommen.
Vom ho. Standpunkt und wohl auch vom Standpunkt der leichteren Handhabung der Bestimmungen der Gemeindeordnung über das Gemeindegut ist der von Tirol gewählte Vorgang vorzuziehen, da dort immerhin bei allen unter dem Gesichtspunkte des Flurverfassungs-Landesgesetz in Betracht kommenden Bestimmungen der Gemeindeordnung auf das Flurverfassungsgesetz ausdrücklich verwiesen ist. Die Vorarlberger Gemeindeordnung enthält dagegen eine Reihe von Bestimmungen über das Gemeindegut, die bei dem Umstande, dass das Gemeindegut vielfach unter § 15 (2) d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes fällt, praktisch nicht zur Anwendung kommen können, wobei aber mangels einer analogen Verweisung – wie in Tirol bei jeder einzelnen einschlägigen Bestimmung der Gemeindeordnung – ein Irrtum in der Handhabung der Gemeindeordnung vielleicht möglich ist. In dieser Hinsicht wird auf die §§ 29 (2) und 102 (2), 103 (3), 109 (2), 29 (2) und 74 der Vorarlberger Gemeindeordnung verwiesen.
Es wäre daher vom ha Ressortstandpunkt sehr erwünscht, dass die in Betracht kommenden Landeshauptmannschaften insbesondere auf den vom Lande Tirol gewählten Vorgang aufmerksam gemacht würden. 26. Oktober 1935. Für den Bundesminister: Braun“

V. Schlussfolgerungen im Blick auf VfGH Slg 9336/1982

Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 ignoriert alle Gesetzes-Bestimmungen des Gemeinderechts samt allen einschlägigen Nachfolgeregelungen und setzt sich stattdessen mit dem Gemeinderecht ex 1864 bzw 1866 und dem prov. Gemeindegesetz 1849 auseinander!

Dass der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 9336/1982 solche Gesetzesstellen ignoriert und stattdessen die Gemeindegesetze aus den Jahren 1864 (!) und 1866 sowie das prov. Gemeindegesetz 1849 (!) analysiert, ist skandalös.

Selbst das Recht des Nationalsozialistischen Staates hat die Kompetenz der Agrarbehörde respektiert; die einschlägige Formulierung in § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429, diente den späteren Gemeindeordnungen der Länder offensichtlich als Formulierungsvorlage. § 17 Angleichungsverordnung des Reichsstatthalters, Gesetzblatt für das Land Österreich, ausgegeben am 1. Oktober 1938 Nr 429. „Die Bestimmungen dieser Verordnung finden auf jene Teile des Gemeindegliedervermögens, die als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Abs 2 d des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes, BGBl Nr 256/1937, gelten, nur insoweit Anwendung, als sie mit diesem Grundsatzgesetze und den die Flurverfassung regelnden Gesetzen der ehemaligen österreichischen Länder nicht in Widerspruch stehen.“

Das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ ist somit keinesfalls in den Gemeindeordnungen der Länder als Eigentum der Ortsgemeinden definiert. Die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung ist vielmehr „agrarische Operation“ gem Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG.

Erst wenn die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden hat, steht mit urteilsgleicher Wirkung fest (§ 14 Agrarverfahrensgesetz), wer Eigentümer ist. Der festgestellte Eigentümer ist Eigentümer im Rechtssinn!

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MP

Geltendes Recht

Die aktuelle Judikatur, die den Begriff „Gemeindegut“ zwingend als Eigentum einer Ortsgemeinde verstehen will, beruht ganz wesentlich auf zwei FALSCHEN Prämissen. Diese beiden FALSCHEN Prämissen bilden das Fundament des VfGH-Erkenntnisses VfSlg 9336/1982, welches Wurzel und Ausgangspunkt des heutigen Tiroler Agrarstreits bildet. Diese FALSCHEN Prämissen lauten:

a) es hätte eine generelle Rechtsnachfolge der modernen Ortsgemeinden in das Eigentum der älteren Gemeindestrukturen, der „Nachbarschafts-Gemeinden“, stattgefunden (VfSlg 9336/1982 Punkt I. Z 3 der Entscheidungsbegründung);

b) das Gemeinderecht selbst würde anordnen, dass ein „Gemeindegut“ ausschließlich Eigentum einer Ortsgemeinde sein könne. (VfSlg 9336/1982 Punkt III. 1. Abs 4 der Entscheidungsbegründung)

Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9336/1982 wurde weiters behauptet, dass das Flurverfassungsrecht das Gemeindegut, das zwingend ein Eigentum der Ortsgemeinde sein müsse, wie ein Eigentum der Agrargemeinschaft behandle. Gemeindeeigentum würde demnach undifferenziert als Eigentum einer Agrargemeinschaft behandelt (VfSlg 9336/1982 Punkt III. 2 der Entscheidungsbegründung) – was (natürlich) gleichheits- und damit verfassungswidrig ist.
Der Gerichtshof hatte dabei freilich die Kompetenz der Agrarbehörde ausgeblendet, über die Eigentumsverhältnisse am (behaupteten) Gemeindegut meritorisch zu entscheiden. So wurde das falsche Bild geschaffen, im Zuge der agrarischen Operation würde entschädigungslos Eigentum entzogen. (VfSlg 18.446/2008; VfSlg 9336/1982; jüngst: VfGH 02.10.2013, B 550/2012 ua)

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Gemeindegut im geltenden Gemeinderecht

Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 die Behauptung, dass ein „Gemeindegut“ ein Eigentum einer Ortsgemeinde sein müsse, in erster Linie aus der Bestimmung des § 74 prov. Gemeindegesetz 1849 abgeleitet.

Der VfGH hätte freilich weniger mit Blick auf das Gemeinderecht des 19. Jahrhunderts, als vielmehr mit Blick auf das aktuelle Gemeinderecht und dessen Entwicklung im 20. Jahrhundert entscheiden müssen. Die Landes-Gemeindegesetzgeber hatten nämlich auf das Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 (BGBl 256/1932) reagiert und den Anwendungsbereich der Gemeindeordnung für diejenigen Teile des Gemeindegutes eingeschränkt, welche eine Agrargemeinschaft iS der Flurverfassung bildeten. Der Vorrang des Flurverfassungsrechts sollte damit klar gestellt werden. (Ausführlich Kühne/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 318ff)

So beschloss der Tiroler Landesgesetzgeber am 26.04.1935 eine Neufassung der Gemeindeordnung und am 06.06.1935 das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz. Gegen die Neufassung der Gemeindeordnung hatte das Landwirtschaftsministerium Einwendungen erhoben, die durch das Bundeskanzleramt an den Tiroler Landeshauptmann herangetragen wurden. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, jene „Teile des Gemeindegutes, die gemäß Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde auszuscheiden. Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien Liegenschaften, die gemäß § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1932 als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert wurden, ausdrücklich auszunehmen. (Bundeskanzleramt, Zl 156.486–6, ex 1935) Darüber hinaus verlangte das Bundeskanzleramt, es solle im Tiroler Gemeindegesetz klargestellt werden, dass dessen Bestimmungen über das Gemeindeeigentum auf die gemäß § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1932 als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung fänden, als sie mit dem FlVerfGG 1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stünden. (Bundeskanzleramt, Zl 156.486–6, ex 1935) Dem Flurverfassungsrecht sollte somit Vorrang gegenüber dem Gemeinderecht zukommen.

Aufgrund dieser Intervention wurde der am 26.04.1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Landtagssitzung vom 10.07.1935 neu formuliert. (Gesetzesmaterialien zur Neuregelung des Tiroler Gemeinderechts im Jahr 1935: Ständischer verfassungsgebender Tiroler Landtag. Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung des Tiroler Landtages am 10.07.1935, vormittags: Berichterstatter Dr. Platzgummer) Geändert wurden die §§ 79, 114 (3), 117, 120 (2), 140, 164 letzter Satz und Artikel III LGBl 36/1935. Immer ging es darum, dass das Gemeinderecht sich betreffend Gemeindegut und Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Benützung nicht in Widerspruch setzt mit dem Flurverfassungsrecht. Die späteren Novellen zur TGO änderten an der Grundsatzentscheidung des Landesgesetzgebers aus dem Jahr 1935 nichts mehr. (Siehe § 82 TGO 1949, § 85 TGO 1966, § 74 TGO 2001)

Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich auch für das Gemeinderecht der anderen Bundesländer nachweisen. (Kühne/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 318 ff) Jene Teile des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bildeten, wurden und werden vom Regelwerk der Gemeindeordnung nur insoweit erfasst, als das Flurverfassungsrecht dem nicht entgegen steht – in Tirol genauso wie in den anderen Bundesländern. Die Klärung der Eigentumsverhältnisse an Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung einschließlich solcher des „Gemeindegutes“ ist eine „agrarische Operation“; Eigentumsstreitigkeiten sind in Vollziehung des Flurverfassungsrechts zu entscheiden, das hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse auf das allgemeine bürgerliche Recht weiterverweist. (§ 34 Abs 5 FlVerfGG 1952)

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aus:
Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Gemeindeeigentum und Agrargemeinschaft, JBl 2014, 425ff.

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MP

Gemeindegutsbegriff: Älteres Recht

Die aktuelle Judikatur, die den Begriff „Gemeindegut“ zwingend als Eigentum einer Ortsgemeinde erfassen möchte, beruht nur zum Teil auf der verfehlten Prämisse, dass eine generelle Rechtsnachfolge der modernen Ortsgemeinden in das Eigentum der älteren Gemeindestrukturen, der „Nachbarschaften“, stattgefunden hätte. (VfSlg 9336/1982 Punkt I. Z 3 der Entscheidungsbegründung)

Zusätzlich wurde im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 aus dem Gemeinderecht selbst abgeleitet, dass „Gemeindegut“ ausschließlich Eigentum der Ortsgemeinde bedeute. (VfSlg 9336/1982 Punkt III. 1. Abs 4)  Weil der flurverfassungsrechtliche Gemeindegutsbegriff beim Gemeindegut iS des Gemeinderechts anknüpfe, das Flurverfassungsrecht mit dem Begriff „Gemeindegut“ jedoch Eigentum einer Agrargemeinschaft erfasse, gelangte das Erkenntnis zur Schlussfolgerung, dass das Flurverfassungsrecht Gemeindeeigentum undifferenziert als Eigentum einer Agrargemeinschaft behandle. Dies wäre gleichheitswidrig. (VfSlg 9336/1982 Punkt III. 2 der Entscheidungsbegründung)

Tatsächlich hat der historische Gesetzgeber des Jahres 1883 unzweideutig klar gestellt, dass die im Zeitraum 1864 bis 1866 geschaffenen Landes-Gemeindegesetze (und das Reichsgemeindegesetz 1862 als solches) keinerlei Anhaltspunkte dafür liefern, wer Eigentümer eines Gemeindegutes sei. Und diese Unzulänglichkeit des Gemeinderechts hatte insbesondere in Niederösterreich und in Böhmen zu zahllosen Streitigkeiten darüber geführt, wer der jeweilige Eigentümer von Liegenschaften sein, die als Gemeindegut in den modernen politischen Ortsgemeinden verwaltet wurden.

Das war der eigentliche Anlass dafür, dass der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz geschaffen hat. Die Länder sollten dadurch die verfassungsrechtliche Möglichkeit erhalten, Commassionsbehörden (heute: Agrarbehörden) zu errichten,  die auf der Grundlage von Verhandlungen und nach Möglichkeit eines politischen Kompromisses über die Eigentumsverhältnisse an Gemeindegütern reformatorisch entscheiden sollten.

Weil diese Aufgabe der Agrarbehörde ausgeblendet wurde, über die Eigentumsverhältnisse am (behaupteten) Gemeindegut meritorisch zu entscheiden, entstand die Vorstellung, im Zuge der agrarischen Operation würde entschädigungslos Eigentum entzogen. (VfSlg 18.446/2008; VfSlg 9336/1982; jüngst: VfGH 02.10.2013, B 550/2012 ua)

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I. Gemeindegut im historischen Gemeinderecht

a) Die Annahme, „Gemeindegut“ sei vom Gemeinderecht als Eigentum der Ortsgemeinde definiert worden, ist verfehlt. Zwar scheint §§ 74 f ProvGemG 1849 tatsächlich ein solches Konzept zu Grunde zu liegen – offensichtlich kraft Eigentümerstellung sollte der Gemeinde-Ausschuss darauf „sehen“, dass die Gemeindeglieder nur den der Bedarfsdeckung entsprechenden Nutzen aus dem Gemeindegut ziehen (§ 75 ProvGemG 1849 – Vgl dazu: Pernthaler, ZfV 2010, 376) – doch bezog sich diese Bestimmung nur auf tatsächliches Eigentum der Ortsgemeinde, nicht auf jedes „Klassenvermögen“. Vor allem aber geriet die Errichtung der Gemeinden nach dem ProvGemG 1849 mit der Abkehr vom Konstitutionalismus ins Stocken; im Rahmen der Silvesterpatente (RGBl 4/1852 Nr 7 ff) wurden wesentliche Grundsätze des ProvGemG 1849 verlassen und die angekündigten Gemeindeordnungen für die einzelnen Länder nicht verwirklicht.

Die heutigen, modernen Ortsgemeinden gehen jedoch auf die Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 zurück. (Vorläufiges Gemeindegesetzes (VGemG) vom 10.07.1945, StGBl 66/1945 Art 1) Die hier anzutreffenden Regelungen „Vom Gemeindehaushalt und von den Gemeindeumlagen“ (vgl etwa §§ 60–82 TGO 1866,) §§ 60–82 VGO 1864) usw) zeigen einen signifikanten Unterschied zur Begrifflichkeit von 1849: Anstelle der Formulierung „Gemeindevermögen und Gemeindegut“ in § 74 ProvGemG 1849 war in § 61 TGO 1866 (= § 61 VGO 1864) von „Stammvermögen und Stammgut“ der Gemeinden die Rede. § 62 TGO 1866 (= § 62 VGO 1864) enthielt Regelungen für das „gesamte erträgnisfähige Vermögen der Gemeinden und ihrer Anstalten“.

EIGENTUMSVERHÄLTNISSE BLEIBEN UNBERÜHRT

b) Dem „Gemeindegut“ selbst wurde in diesen Gesetzen eine eigene Bestimmung (§ 63 TGO 1866 = § 63 VGO 1864) gewidmet, welche die politische Ortsgemeinde in erster Linie als Behörde mit der Kompetenz zur Streitentscheidung und Regelung der Nutzungsverhältnisse konstituierte (§ 63 Abs 2 leg cit). Entscheidungsmaßgeblich war dabei vor allem die „bisher gültige Übung“; die Deckung des „Haus- und Gutsbedarfes“ wurde zur Zweifelsregel; erweisliche Rechtstitel verdrängten diese. Was unter „Gemeindegut“ zu verstehen sei, wurde hingegen nicht geregelt.
Infolge Anknüpfung bei der „bisher gültigen Übung“ und besonderen Rechtstiteln war diese Regelung ohne weiteres auch für historisches Gemeinschaftseigentum anwendbar (Vgl Öhlinger in Kohl ea, Agrargemeinschaften Tirol 239 ff), wenn die betreffende Nachbarschaft über keine eigenständigen Verwaltungsorgane verfügte.

Es kann daher nicht behauptet werden, „Gemeindegut“ müsse zwingend ein Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde sein. In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass der Begriff „Gemeindegut“ schon vor Entstehung der modernen Ortsgemeinden in § 288 ABGB und zuvor im Galizischen bürgerlichen Gesetzbuch (1797) definiert (und dabei unterschiedlichen Gemeinschaften zugeordnet) wurde. (Ausführlich dazu Oberhofer/Pernthaler, Gemeindegut, in Kohl ea, Agrargemeinschaften Tirol 207ff) Weil das politische Gemeinderecht die vorgefundenen Eigentumsverhältnisse nicht verändern wollte, sondern von deren Fortbestand ausging (§ 12 TGO 1866 = § 11 VGO 1864), ist ein Verständnis des Begriffs „Gemeindegut“, das ausschließlich beim Eigentum der Ortsgemeinde anknüpft, für das historische Gemeinderecht verfehlt.

c) Von einem solchen verfehlten Begriffsverständnis ausgehend hatte der VfGH im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 auf Verfassungswidrigkeit der Teilung und Regulierung von Gemeindegut erkannt, ohne sich damit auseinander zu setzen, warum die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut im Sinn der Gemeindeordnungen“ vom historischen Gesetzgeber überhaupt der Jurisdiktion der Agrarbehörden unterworfen worden waren. Gerade dieser Problembereich wird in den Gesetzesmaterialien ausführlich erörtert (Vgl nur: AB 582 BlgAH IX. Session); er nahm 1883 in den Debattenbeiträgen im Reichsrat den meisten Raum ein. (Debattenbeiträge der Abgeordneten: Sten Prot des AH des österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seiten 9214– 9243; siehe dazu Pernthaler, ZfV 2010, 377)

Es erscheint besonders bemerkenswert, dass jene Minderheit von Abgeordneten, die ein (behauptetes) Eigentum der Ortsgemeinden nicht der Kompetenz der neuen Behörden unterwerfen wollte, schon seinerzeit (erfolglos!) damit argumentierte, dass die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ ohnehin bereits in den Gemeindeordnungen geregelt wären. (Siehe etwa den Debattenbeitrag des Abgeordneten Dr. Ritter von Grocholski (Galizien), Sten Prot des AH des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9219– 9221) Dieser Auffassung traten jedoch der Ackerbauminister Graf Falkenhayn, der parlamentarische Regierungsvertreter Ministerialrat Ritter von Rinaldini und die Mehrheit der Abgeordneten entgegen; würde man das (behauptete und eben vielfach strittige) Eigentum der Ortsgemeinden vom geplanten TRRG ausnehmen, so könnte man sich ein solches Gesetz gleich gänzlich ersparen.
Bereits fünf Jahre zuvor hatte der Abgeordnete Dr. Josef Kopp in seiner Eigenschaft als Mitglied des niederösterreichischen Landesausschusses die mangelnde Ergiebigkeit der Normen des Gemeinderechts zur Klärung von Eigentumsstreitigkeiten betreffend „Gemeindegut“ trefflich charakterisiert: Er verglich diese Normen mit einer Leuchte, welche die Dinge nicht erhelle, sondern nur „das Dunkel, in das sie gehüllt seien, erst richtig erkennen lasse“. (Bericht des NÖ Landesausschusses, XXVII BlgLT (Nö) V. GP 11)

KEIN ANHALTSPUNKT FÜR EIGENTUMSVERHÄLTNISSE

d) Sowohl der Regierungsvorlage als auch dem Ausschussbericht zum TRRG 1883 ist unzweideutig zu entnehmen, dass der historische Gesetzgeber in den Gemeindeordnungen keine Anhaltspunkte zur Lösung der Eigentumsfrage am „Gemeindegut“ erblickte. (RV 43 BlgHH IX. Session; AB 582 BlgAH IX. Session). Die Gesetzgebung unterwarf deshalb auch das behauptete Eigentum der Ortsgemeinde der Jurisdiktion durch die Agrarbehörden. (Sten Prot des AH des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9235: § 1 TRRG 1883 wurde in der vom Commassionsausschuss vorgelegten Fassung beschlossen. Der Antrag, § 1 lit b TRRG 1883, heute § 15 Abs 1 lit b FlVerfGG 1951, folgenden Zusatz anzufügen: „Ausgenommen von den obigen Bestimmungen sind jene, das Eigenthum einer Gemeinde oder eines Theiles derselben bildenden Grundstücke, bezüglich deren die Bestimmungen über Theilung und Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte in den ausschließlichen Wirkungskreis der Landesgesetzgebung gehören“, wurde abgelehnt).

Die Abgeordneten im Reichsrat hatten dazu in der Mehrheit eine ganz klare Meinung:
Regierungsvertreter v Rinaldini, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst dem so genannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, diese wagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuell, wo eine solche unangefochtene Übung nicht besteht, Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden?“
Dr. Johannes Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, Mitglied des Böhmischen Landesausschusses, Advokat und Notar, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9226: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen. Man hat sehr oft vollen Grund, sich über die Entscheidungen des Landesausschusses und der Gerichte namentlich darüber zu wundern, wem das strittige Vermögen zugewiesen wurde. Wen wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden, und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Was die Gemeindeordnungen und insbesondere die böhmische Gemeindeordnung betrifft, so kann ich in der Tat sagen, dass ich in derselben fast gar keine Anhaltspunkte für die Entscheidung dieser Frage finde. Wenn man sich auf die bisherige unangefochtene Übung beruft und nach dieser entscheidet, so ist das ganz gewiss eine ganz hinfällige Basis.“ (im Original nicht hervorgehoben)
Abgeordneter Dr. Josef Kopp, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9222f: „Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“ (im Original nicht hervorgehoben)
Abgeordneter Dr. Georg Granitsch, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9230f: „[…]. Denn was ist geschehen? Die so genannten Kleinhäusler, welche von den Nutzungsrechten ganz ausgeschlossen worden sind, […] erhoben den Anspruch, dass dieses [geteilte] Eigentum ausschließlich der Gemeinde zugewiesen werde. Wie soll nun anhand des bestehenden Gesetzes diese Streitfrage gelöst werden? Ganz richtig! Der Paragraf, wie ihn der Sprecher in jener (rechten) Seite des Hauses zitiert hat, ist auch in der Niederösterreichischen Gemeindeordnung enthalten. Aber der Niederösterreichische Landesausschuss war bisher nicht in der Lage anhand dieser Gesetzesbestimmung, die Streitigkeiten zu schlichten. Das ist auch begreiflich. Das Gesetz setzt hier bisher unangefochtene Übung voraus und setzt weiter voraus, dass diese nicht größer sein darf als der Hausbedarf, 2 Momente, welche an und für sich so streitig, so zweifelhaft sind, dass sie absolut keine Richtschnur für die Lösung der speziellen Streitfrage bilden können. Es soll eine Streitfrage gelöst werden damit, dass eine andere Streitfrage als Richtschnur zur Lösung der ersteren hereingezogen wird! Ich glaube auf diese Art ist es wohl begreiflich, dass die Streitigkeiten in den Gemeinden nicht zur Lösung gebracht werden können.“ (im Original nicht hervorgehoben)

Alle Ausführungsgesetze zum TRRG 1883 regelten ausdrücklich die sachliche Zuständigkeit der Agrarbehörden für das „Gemeindegut“ als Gegenstand der „agrarischen Operation“. (Gesetz für die Markgrafschaft Mähren vom 13.02.1884, LGBl 31/1884; Gesetz für das Herzogtum Kärnten vom 05.06.1885, LGBl 23/1885; Gesetz für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns vom 03.06.1886, LGBl 39/1886; Gesetz für das Herzogtum Krain vom 26.10.1887, LGBl 2/1888; Gesetz für das Herzogtum Schlesien vom 28.12.1887, LGBl 13/1888; Gesetz für das Herzogtum Salzburg vom 11.10.1892, LGBl 32/1892; Gesetz für das Herzogtum Steiermark vom 26.05.1909, LGBl 44/1909; Gesetz für die gefürstete Grafschaft Tirol vom 19.06.1909, LGBl 61/1909; Gesetz für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns vom 28.06.1909, LGBl 36/1909 und das Gesetz für das Land Vorarlberg vom 11.07.1921, LGBl 1921/115).

 

II. Gemeindegutsbegriff des „agrarischen Reichsgesetzgebers“

a) Das heutige Flurverfassungsrecht gründet auf dem „Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte“ aus dem Jahr 1883 (kurz: TRRG 1883 – Reichsgesetz vom 7. Juni 1883, RGBl 1883/94). Ältere Vorschriften in Österreich waren beispielsweise die sog. „Hutweideteilungsbefehle“. (Patent vom 5. November 1768, Politische Gesetzessammlung Nr 1064, 388; S auch die weiteren Patente vom 24. März 1770 PGS Nr 1184, 179; 23. August 1770 PGS Seite 264; 14. März 1771, PGS Seite 503; 4. Jänner 1780, PGS Nr 2136; 17. April 1784, PGS Seite 506; 8. Juni 1785, Josefinische Gesetzessammlung 1786, Band 10, Seite 51. Danach sollten die „gemeinen Weiden“ in Böhmen und in Österreich unter den damaligen Gemeindegliedern verteilt werden, eine Änderung der Bewirtschaftungsform, welche auf wenig Gegenliebe der historischen Landesbewohner stieß)

Als „Reorganisationsmaßnahme“ sahen diese Vorschriften nur die Teilung der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften vor. Die Bildung einer Agrargemeinschaft ist praktisch das Gegenstück dazu. Die in den agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften repräsentierten historischen Wirtschaftsgenossenschaften, die „Überreste der alten Agrargemeinden“, sollten durch die Bildung einer Agrargemeinschaft in eine allgemein anerkannte Organisationsform überführt werden. (Bericht des Commassionsausschusses zur den drei agrarischen Reichsgesetzen 1883, 582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12: „Die in § 1 sub b [§ 1 Z 2 TRRG 1883] bezeichneten Grundstücke aber sind solche, welche – abgesehen von Dalmatien […] – in allen österreichischen Ländern sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung `Gemeindegut´, bald unter der Bezeichnung `Gemeingut´ erhalten haben und bei welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden. Die eigenthümliche Natur dieser Verhältnisse bringt es nun mit sich, dass deren Ordnung mit sehr bedeutenden Schwierigkeiten verbunden ist, welche zu bewältigen das XVI. Hauptstück des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches weder bestimmt ist, noch auch vermag. Und doch ist eine sachgemäße Normierung dieser Verhältnisse ein Postulat der eigenen wirthschaftlichen Interessen der Gemeinschaft und einer rationellen Benützung von Grund und Boden im Allgemeinen.“)

b) Ungeklärte Rechtsverhältnisse verursachten Stillstand, Misswirtschaft und Eigenmacht. Abgrenzungserfordernisse wurden insbesondere im Verhältnis zwischen der neuen Ortsgemeinde und den „altberechtigten Gemeindegliedern“ gesehen. (Bericht des Commassionsausschusses, aaO, 13: Der Ausschuss „ging vielmehr von der Ansicht aus, dass es sich in dem vorliegenden Gesetze nicht so sehr um die Auseinandersetzung unter den Genossen selbst, als vielmehr um die Auseinandersetzung zwischen den Genossen einerseits und den Gemeinden als solchen andererseits handelt. Diese Anschauung entspricht vollkommen der Regierungsvorlage, deren § 3 die ausdrückliche Bestimmung enthielt, dass hinsichtlich der etwa bestrittenen Vorfrage, ob das Grundstück zu den in § 1 bezeichneten Kategorien gehöre und wer daran eigentums- und nutzungsberechtigt sei, die Commassionsbehörden zuständig sind“)

Die gesamte agrarische Operation sollte wegen ihrer politischen Sensibilität und ihrer reformatorischen Ausrichtung neuen, politischen Behörden und gerade nicht den Zivilgerichten übertragen werden. („Die Civilgerichte können die verworrenen Knoten nicht lösen, sondern nur durchhauen, da die civilgerichtlichen Bestimmungen auf solche Zustände nicht berechnet sind, die Sache überhaupt nicht bloß vom civilgerichtlichen, sondern auch vom wirthschaftlichen und administrativen Gesichtspunkte aus zu beurtheilen ist.“ Bericht des NÖ Landesausschusses vom 21. September 1878, aaO, 11).

c) Der Vorsitzende des Commassionsausschusses Dr. Johann Žák, Notar und Advokat aus Pardubitz, Mitglied des Böhmischen Landesausschuss, äußerte sich in dieser Frage im Rahmen eines Debattenbeitrages im Abgeordnetenhaus wie folgt: „Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden …“ (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9225).

Dr. Josef Kopp, begründete in seinem abschließenden Beitrag die Notwendigkeit eines Reichsgesetzes in dieser Angelegenheit gerade mit diesem dringenden Anliegen, die Zivilgerichtskompetenz in dieser Sache auszuschließen: „Es ist nicht möglich, dass die Gerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das mit Verlaub, kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig und darum muss sich dieses auf diese Gemeindegrundstücke erstrecken, bezüglich deren mir einige Unklarheit auch auf jener (rechten) Seite des hohen Hauses zu herrschen scheint.“ (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9234)

d) Die neuen Behörden sollten insbesondere zur Klärung der allenfalls umstrittenen Frage zuständig sein, wer Eigentümer des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeinde- oder Gemeinschaftsgutes sei. Vgl dazu nur die Wortmeldung des Regierungsvertreters Ministerialrat Ritter von Rinaldini, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9221: „Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden?“

GEMEINDEGUT ALS MEHRDEUTIGER BEGRIFF

Der historische Bodenreformgesetzgeber hat in Konsequenz im Fall der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften den Begriff „Gemeindegut“ gleichbedeutend mit dem Begriff „Gemeinschaftsgut“ verwendet und sich dabei in keinem Fall festgelegt, um wessen Eigentum es sich handle. Er ging davon aus, dass Begriffe wie „Gemeindegut“, „Gemeinschaftsgut“, „Gemeingut“ in agrargemeinschaftlicher Bewirtschaftung stehende Liegenschaften mit aufklärungsbedürftigen Eigentumsverhältnissen bezeichneten. (Vgl nur AB, 582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12: „Es wird von gut unterrichteter Seite behauptet, dass es noch mehr als eine Million Hektar sogenannter Gemeindehutweiden und Gemeindewaldungen gibt, bei denen die Eigenthums- und Nutzungsverhältnisse unklar und strittig sind und deren Verwaltung eine ungeregelte und wüste ist.“ Dazu: Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 211ff)

 

ZUSAMMENFASSUNG

Wenn also der VfGH ein Jahrhundert später im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 den Gemeindeordnungen der Jahre 1863–1866 unterstellte, die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut zwingend geregelt zu haben, so missachtete er den leicht erweislichen und eindeutigen Willen des historischen Gesetzgebers.

Der historische Gesetzgeber hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Gemeindeordnungen gerade keine Anhaltspunkte dafür liefern würden, wessen Eigentum ein solches Gut denn sei.

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aus:
Kohl/Oberhofer/Pernthaler,
Gemeindeeigentum und Agrargemeinschaft, JBl 2014, 425ff

und aus:
Kühne/Oberhofer,
Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde,

in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg)
Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011)

 

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MP

Bescheidauslegung

„Es würde jeder juristischen Sorgfalt und Genauigkeit widersprechen, den historischen Bescheiden der Tiroler Agrarbehörden, die vor der Veröffentlichung des Erkenntnisses des VfGH Slg 9336/1982 erlassen wurden, einen Inhalt zu unterstellen, der vom damals geltenden Flurverfassungsrecht nicht gedeckt ist.“
(Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 238)

Das Erk der Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9336/1982 übergeht die historisch unbestreitbare Tatsache, dass der Gesetzgeber im Bodenreformrecht mit dem Begriff „Gemeindegut“ Liegenschaften erfassen wollte, deren Nutzungs- und Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren. Wem das Eigentumsrecht zustand, war im Agrarbehördenverfahren insbesondere nach Zivilrecht zu klären. Als Ergebnis der Eigentumsprüfung stand fest, ob im konkreten Einzelfall Eigentum einer Ortsgemeinde oder Eigentum der Agrargemeinschaft vorlag und wer nutzungsberechtigt ist.

 

 

GEMEINDEGUT BEZEICHNETE EIGENTUM
EINER AGRARGEMEINSCHAFT

Da die Nutzung des Gemeindegutes rechtshistorisch gesehen aus der gemeinschaftlichen Allmendnutzung hervorgegangen ist, ist die Form des Miteigentums ausgeschlossen und das Eigentum [ist] der Rechtsnachfolgerin der auf Gewohnheitsrecht beruhenden Realgemeinde, nämlich der körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft, einzuräumen.“So lauten die grundsätzlichen Erwägungen in einem Erkenntnis des Tiroler Landesagrarsenates vom 05. August 1969 unter dem Vorsitz von Andreas Saxer. (Landesagrarsenat in Tirol vom 5.8.1969 LAS-104/17)

Nicht weniger deutlich bringt ein erstinstanzlicher Bescheid aus dem Jahr 1962, den Albert Mair als seinerzeitiger Agrarbehördenleiter verantwortete, identes zum Ausdruck: „In diesem Zusammenhang scheint im Interesse der Information der am Regulierungsverfahren Beteiligten eine kurze Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Gemeindegutes von Nöten, womit der Nachweis erbracht wird, dass den Gemeinden, die bislang die Stellung einer treuhändischen Verwaltung des Gemeindegutes zur Sicherung der Nutzungsansprüche der Beteiligten hatten, nichts entzogen wird, was sie bisher unbeschränkt in ihrem Eigentum besessen hätten.Nach Erlass XXXVI `Regulierung der Tiroler Forstangelegenheiten´, kundgemacht in der Provinzialgesetzessammlung für Tirol und Vorarlberg vom Jahr 1847, Seite 253, wurde bewilligt, dass die künftig den Untertanen vorbehaltenen, in den landesfürstlichen Staatswaldungen zustehenden Holzbezugsrechte durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden, denen sie angehören, abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden, die im Jahre 1847 noch nicht körperschaftlich eingerichtet waren, wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten verstanden.“
(Bescheid vom 12.12.1962 III B1-1768/9 (Regulierung des Gemeindegutes von Fügen) (Dr. Albert Mair).

Die Tiroler Landesregierung hatte im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 das Begriffsverständnis von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut im Tiroler Flurverfassungsrecht wie folgt zusammengefasst: Für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende haben sich eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet […]. Sie gelten heute als Agrargemeinschaften. „In vielen Gemeinden war jedoch die Gemeinde als solche, nämlich die alte sog. `Realgemeinde´ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen. Dafür wurde dann der Begriff Gemeindegut verwendet.“
(Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Verfahren VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung)

Sohin wurde der Begriff „Gemeindegut“ im Anwendungsbereich des TFLG zur Erfassung von agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften verwendet, welche – auch bei unterschiedlicher Definition – eines jedenfalls gemeinsam haben: Es soll sich gerade nicht um Eigentum der Ortsgemeinde handeln. Wie die Abhandlung des langjährigen Agrarbehördenleiters Albert Mair ohne Zweifel beweist, war den Juristen der Tiroler Agrarbehörde seit jeher bewusst, dass neben dem agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut (= Eigentum der Agrargemeinschaft) auch ein anderes Gemeindegut existiert, nämlich das Gemeindegut im Eigentum der Ortsgemeinde. Jedenfalls konnte nach diesem Rechtsverständnis in Tirol der Begriff „Gemeindegut“ bis zum VfGH-Erk Slg 9336/1982 „Gemeindegut“ zweierlei bedeuten: Agrargemeinschaftlich genutztes Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft oder nicht agrargemeinschaftlich genutztes Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde.
(Ausführlich dazu: Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 9f)

 

BESCHEIDINTERPRETATION UND WECHSELNDES BEGRIFFSVERSTÄNDNIS

In einer grundlegenden Abhandlung zum „Gemeindegut“ hat Öhlinger die generelle Beachtlichkeit eines unterschiedlichen historischen Begriffsverständnisses von „Gemeindegut“ als agrargemeinschaftliches Eigentum und im Gemeinderecht (als Gut im Eigentum der Ortsgemeinde) im Detail nachgewiesen. „Es gibt also offenbar ein `Gemeindegut´, das eben nicht Eigentum der Gemeinde ist, sondern den Nutzungsberechtigten tatsächlich als privates Eigentum gehört.“
(Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 240, 250ff)

Konsequenterweise stellte Öhlinger die Forderung auf, dass bei der Interpretation der historischen Behördenakte auf dieses unterschiedliche Begriffsverständnis Rücksicht zu nehmen sei. Ungeachtet der historischen Deklaration einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ sei zu prüfen, „inwieweit dieser Ausdruck im Sinne des politischen Gemeinderechts“ (und damit im Einklang mit dem durch das Erk VfSlg 9336/1982 geprägten Sinn) oder aber im Sinn der früheren Praxis der Agrarbehörden zu verstehen sei. Öhlinger führt weiter aus: „Es würde jeder juristischen Sorgfalt und Genauigkeit widersprechen, den historischen Bescheiden der Tiroler Agrarbehörden, die vor der Veröffentlichung des Erkenntnisses des VfGH Slg 9336/1982 erlassen wurden, einen Inhalt zu unterstellen, der vom damals geltenden Flurverfassungsrecht nicht gedeckt ist.“
(Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, aaO, 238. Vgl auch Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 273: „Die kategoriale Qualifikation als Gemeindegut im flurverfassungsrechtlichen Sinn impliziert dann nicht Gemeindegut im gemeinderechtlichen Sinn, wenn die politische Gemeinde nicht Eigentümerin der betreffenden Liegenschaften war.“)

 

DER VFGH GIBT ÖHLINGER RECHT

Der Verfassungsgerichtshof ist Öhlinger beigetreten und hat am Beispiel des TFLG 1935 klargestellt, dass der historische Gesetzgeber des Flurverfassungsrechts den Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ verwendet hat. Dementsprechend sei – bezogen auf den im Einzelfall auszulegenden historischen Regulierungsbescheid – zu prüfen, ob die historische Agrarbehörde den Begriff „Gemeindegut“ im Sinne des Erk VfSlg 9336/1982 (Gemeindegut = Gut im Eigentum der politischen Ortsgemeinde) oder im Sinne des historischen Gesetzesverständnisses vom agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut (Gemeindegut = Gut im Eigentum der Agrargemeinschaft) verstanden habe. Vor dem Hintergrund des Erk VfSlg 18.446/2008 hatte der Gerichtshof im Erk VfSlg 19.262/2010 vom 10.12.2010 beide Interpretationsvarianten als „denkmöglich“ gelten lassen. (VfSlg 19.262/2010 Pkt II.A) 2.3.6.3. Abs 1 der Begründung)

Der Verwaltungsgerichtshof hat im bereits genannten Erk Zl 2010/07/0091 vom 30.06.2011 diesen differenzierenden Ansatz des Verfassungsgerichtshofes übersehen; ebenso die „quasi-authentische“ Interpretation der Tiroler Landesregierung zum Tiroler Landesrecht, wie dieses bis zum Erk VfSlg 9336/1982 in Geltung stand.
(War die alte so genannte “Realgemeinde“ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt der Nutzungen, wurde der Begriff „Gemeindegut“ verwendet; dies in Abgrenzung zu den Fällen, in denen sich für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet hätten, die als (gewöhnliche) Agrargemeinschaften angesehen würden (Amt der Tiroler Landesregierung, Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren, VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung)

 

VERWALTUNGSGERICHTSHOF IGNORIERT VFGH

Der Verwaltungsgerichtshof: Der Gesetzesbegriff „Gemeindegut“ sei in den Bescheiden der historischen Agrarbehörde objektiv auszulegen. Auch im Anwendungsbereich des TFLG 1935 und 1952 sowie 1969 und 1978 dürfe und könne dieser Begriff immer (nur) als Eigentum der Ortsgemeinde verstanden werden. Die Notwendigkeit, das agrargemeinschaftlich genutzte Gemeindegut vom Gemeindegut im allgemeinen gemeinderechtlich Sinn zu differenzieren, wurde verkannt. Und so nahm die aktuelle juristische Katastrophe um das Tiroler Agrargemeinschaftsvermögen ihren Lauf. Ausführlich dazu: RIGHTBAR JUDIKATURLINIE/Das Nummernspiel.

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aus:

Kühne/Oberhofer
Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde

in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg)
Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011)

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MP

 

 

 

Bedeutungswandel beim Begriff „Gemeindegut“

Bildergebnis für Theo Öhlinger
Theodor „Theo“ Öhlinger (* 22. Juni 1939 in Ried im Innkreis) ist ein österreichischer Verfassungsjurist und Hochschullehrer. Von 1967 bis 1972 war er Mitarbeiter im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes der Republik Österreich und war parallel dazu zwischen 1965 und 1974 auch als Universitätsassistent tätig. 1972 habilitierte er sich an der Universität Innsbruck und wurde dort im Jahr darauf zum ao. Professor für Europarecht ernannt. 1974 nahm er einen Ruf der Universität Wien an und wirkte dort fortan bis 2007 als Ordinarius für öffentliches Recht. Er war Vorstand des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien seit 1995-2007, Direktor der Verwaltungsakademie des Bundes 1989–1995, Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes von 1977–1989. Theo Öhlinger ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen, unter anderem auch zur Rechtsnatur des Gemeindegutes: Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 240, 250ff). In dieser grundlegenden Abhandlung zum „Gemeindegut“ hat Öhlinger die generelle Beachtlichkeit eines unterschiedlichen historischen Begriffsverständnisses von „Gemeindegut“ im Flurverfassungsrecht als agrargemeinschaftliches Eigentum und im Gemeinderecht, als Gut im Eigentum der Ortsgemeinde, im Detail nachgewiesen. Öhlinger: „Es gibt also offenbar ein `Gemeindegut´, das eben nicht Eigentum der Gemeinde ist, sondern den Nutzungsberechtigten tatsächlich als privates Eigentum gehört.“ Bildnachweis: Homepage des Österreichischen Parlaments; © Fotostudio Wilke.

 

Abstract:

Die heutige Privatrechtswissenschaft gründet wesentlich auf römisch-rechtlich geprägter Tradition. Sie unterliegt leicht der Vorstellung einer Unveränderlichkeit der Begriffe und des Betrachtungsgegenstandes. Im krassen Gegensatz dazu ist die häufig als exotisch anmutende Materie des Flurverfassungsrechts von Bedeutungswandel und Bedeutungsvielfalt betroffen.

Im Erk VfSlg 9336/1982 wurde zusammenfassend festgestellt, dass Gemeindegut im Gemeinderecht als ein Gut im Eigentum der politischen Ortsgemeinde definiert sei; das Flurverfassungsrecht hätte auf diesem Umstand aufzubauen. Das Flurverfassungsrecht würde allerdings das Gemeindegut wie eine „einfache Agrargemeinschaft“ , dh wie ein Eigentum einer Agrargemeinschaft, behandeln […]. (VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 2 der Entscheidungsbegründung).

Schon die grundlegende Prämisse, wonach das geltende Gemeinderecht das Gemeindegut als ein Eigentum der Ortsgemeinde erfasse, ist schlicht falsch, weil die Anpassung des Gemeinderechts an das Flurverfassungsrecht ausgeblendet wurde. Nicht weniger unrichtig ist die weitere Schlussfolgerung, dass das Flurverfassungsrecht dieses fiktive Gemeindeeigentum zu respektieren hätte. Wo kein Gemeindeeigentum ist, braucht das Gesetz darauf keine Rücksicht zu nehmen!

Ausgehend von einem falschen Befund (Gemeindeeigentum wurde angenommen, obwohl kein Gemeindeeigentum vorgelegen hat), schritt der VfGH im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 zur Tat: Das Flurverfassungsrecht würde ein Eigentum der Ortsgemeinde (verfassungswidrig) wie ein Eigentum der Agrargemeinschaft behandeln. Die Ortsgemeinden würden dementsprechend Gefahr laufen, in den agrarischen Operationen (Teilung, Regulierung, Zusammenlegung) „ihr Eigentum“ zu verlieren.

In Konsequenz wurden im Flurverfassungs-Grundsatzgesetz und in den Landes-Flurverfassungsgesetzen von Tirol und Vorarlberg („Anlassfälle“) die Gesetzesbestimmungen aufgehoben, wonach das Gemeindegut als agrargemeinschaftliches Grundstück Gegenstand der agrarischen Operation sein könne (Systembruch durch VfSlg 9336/1982). Im Hintergrund steht folgende verfassungsrechtliche Überlegung: Eigentum einer Ortsgemeinde muss in der agrarischen Operation anders behandelt werden als Eigentum einer Agrargemeinschaft.
Dieser  (letzte) Rechtssatz ist zweifelsfrei richtig; nur die Anwendungsfälle dafür, das behauptete Eigentum der Ortsgemeinden am Gemeindegut nach Gemeinderecht und am Gemeindegut nach Flurverfassungsrecht, sind falsch.

Theo Öhlinger hat in seiner grundlegenden Abhandlung zum „Gemeindegut“ (Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 240, 250ff) die Beachtlichkeit eines unterschiedlichen historischen Begriffsverständnisses von „Gemeindegut“ nachgewiesen: Im Flurverfassungsrecht wurde das Gemeindegut als agrargemeinschaftliches Eigentum verstanden und im Gemeinderecht, als Gut im Eigentum der Ortsgemeinde! Öhlinger: „Es gibt also offenbar ein `Gemeindegut´, das eben nicht Eigentum der Gemeinde ist, sondern den Nutzungsberechtigten tatsächlich als privates Eigentum gehört.“ 

Wenn der VfGH deshalb im Mieders-Erkenntnis 2008 davon ausgegangen ist, dass eine Liegenschaft, die im Zuge der agrarischen Operation als eine „Gemeindegut“ festgestellt wurde, notwendig ein Eigentum der Ortsgemeinde gewesen sei, so gründete dieses Erkenntnis auf der falschen Prämisse, dass das Gemeindegut notwendig ein Gut im Eigentum der Ortsgemeinde sei (obwohl es tatsächlich ein Eigentum der Agrargemeinschaft war). Wie Theo Öhlinger überzeugend nachgewiesen hat, muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob und inwieweit eine als „Gemeindegut“ festgestellte Liegenschaft entweder ein Eigentum der Agrargemeinschaft ist oder ein Eigentum der Ortsgemeinde.

 

Das Recht an einer agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft ist etwas anderes als ein Miteigentumsrecht. Das Recht an einer agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft ist gekennzeichnet durch spezielle Regelungen über den Erwerb von Anteilsrechten, durch ein Verbot, die Teilung einer solchen Liegenschaft zu fordern, durch die Unanwendbarkeit des Rechts der Verjährung und der Ersitzung (- letzteres freilich erst seit Einführung eines gesonderten Teilungs- und Regulierungsrechts) usw.
Auch gibt es spezifische Regelungen über Modalitäten der Benützung solcher Liegenschaften (Auftriebsrechte gegliedert nach Viehgattungen, Auftriebszeiten; Rechte zur Bedeckung des Haus- und Gutsbedarfes an Brennholz, Bauholz, Steinen, Sand usw – lange Zeit auch Wildbeute und Fischfang. Nach H. Wopfner, Das Almendregal des Tiroler Landesfürsten (1906) 5, existieren bereits aus dem 10. Jhdt Urkunden, welche den konkreten Umfang der Nutzungen an der Gemeinschaftsliegenschaft beschreiben.

Eine agrargemeinschaftlich genutzte Liegenschaft ist schließlich gekennzeichnet durch Regelungen betreffend Geschäftsführung und Vertretungsbefugnisse. Die komplexen Beteiligungsrechte der Hofbesitzer erforderten eine Ordnungsstruktur! Besonders evident ist das  bei den Almliegenschaften. Die komplexen Vorgänge zur Bewirtschaftung einer Gemeinschaftsalm erfordern generell klare Regeln sowie Entscheidungs- und Exekutivorgane – zB Vollversammlung, Obmann, Almmeister, Hirte usw). Zu Recht hatte deshalb auch die Judikatur in verschiedenen Entscheidungen agrargemeinschaftlich genutzte Liegenschaften als juristische Personen nach Privatrecht behandelt (vgl schon: OGH vom 24. Juni 1936 3 Ob 347/35, Dilisuna Alpinteressentschaft); OGH 11.4.1951 1 Ob 196/51). Diese jeder Gemeinschaftsliegenschaft immanenten komplexen Rechtsverhältnisse sollten in „agrarischen Operationen“ reorganisiert werden  (Regulierungsverfahren) oder aufgelöst werden (Teilungsverfahren).

GEMEINDEGUT BEZEICHNETE IM FLURVERFASSUNGS-
RECHT  EIGENTUM EINER AGRARGEMEINSCHAFT

Da die Nutzung des Gemeindegutes rechtshistorisch gesehen aus der gemeinschaftlichen Allmendnutzung hervorgegangen ist, ist die Form des Miteigentums ausgeschlossen und das Eigentum [ist] der Rechtsnachfolgerin der auf Gewohnheitsrecht beruhenden Realgemeinde, nämlich der körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft, einzuräumen.“
So lauten die grundsätzlichen Erwägungen in einem Erkenntnis des Tiroler Landesagrarsenates vom 05. August 1969 unter dem Vorsitz von Andreas Saxer. (Landesagrarsenat in Tirol vom 5.8.1969 LAS-104/17)

Nicht weniger deutlich bringt ein erstinstanzlicher Bescheid aus dem Jahr 1962, den der langjährige Tiroler Agrarbehördenleiter Albert Mair verantwortete, zum Ausdruck, dass das Tiroler Landes-Flurverfassungsrecht unter dem Begriff „Gemeindegut“ ein Eigentum der Agrargemeinschaft verstanden hat: „In diesem Zusammenhang scheint im Interesse der Information der am Regulierungsverfahren Beteiligten eine kurze Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Gemeindegutes von Nöten, womit der Nachweis erbracht wird, dass den Gemeinden, die bislang die Stellung einer treuhändischen Verwaltung des Gemeindegutes zur Sicherung der Nutzungsansprüche der Beteiligten hatten, nichts entzogen wird, was sie bisher unbeschränkt in ihrem Eigentum besessen hätten. Nach Erlass XXXVI `Regulierung der Tiroler Forstangelegenheiten´, kundgemacht in der Provinzialgesetzessammlung für Tirol und Vorarlberg vom Jahr 1847, Seite 253, wurde bewilligt, dass die künftig den Untertanen vorbehaltenen, in den landesfürstlichen Staatswaldungen zustehenden Holzbezugsrechte durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden, denen sie angehören, abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden, die im Jahre 1847 noch nicht körperschaftlich eingerichtet waren, wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten verstanden.“
(
Bescheid vom 12.12.1962 III B1-1768/9 (Regulierung des Gemeindegutes von Fügen, Dr. Albert Mair).

Die Tiroler Landesregierung hatte im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 das Begriffsverständnis von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut im Tiroler Flurverfassungsrecht wie folgt zusammengefasst: Für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende haben sich eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet […]. Sie gelten heute als Agrargemeinschaften. „In vielen Gemeinden war jedoch die Gemeinde als solche, nämlich die alte sog. `Realgemeinde´ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen. Dafür wurde dann der Begriff Gemeindegut verwendet.“
(Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Verfahren VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung)

Sohin wurde der Begriff „Gemeindegut“ im Anwendungsbereich des TFLG zur Erfassung von agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften verwendet, welche – auch bei unterschiedlicher Definition – eines jedenfalls gemeinsam haben:
Es soll sich gerade nicht um Eigentum der Ortsgemeinde handeln!

Dr. Albert Mair, langjähriger Leiter der Tiroler Agrarbehörde, hat sich in einer verdienstvollen Abhandlung grundlegend mit den Liegenschaften, die in Tirol als Gemeindegut bezeichnet wurden, auseinander gesetzt. Albert Mair beweist zweifelsfrei, dass den Juristen der Tiroler Agrarbehörde seit jeher bewusst war, dass neben dem agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut (= Eigentum der Agrargemeinschaft) auch ein anderes Gemeindegut existiert, nämlich das Gemeindegut im Eigentum der Ortsgemeinde. Deshalb konnte nach diesem Rechtsverständnis in Tirol der Begriff „Gemeindegut“ bis zum VfGH-Erk Slg 9336/1982 „Gemeindegut“ zweierlei bedeuten: Agrargemeinschaftlich genutztes Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft oder im Eigentum einer Ortsgemeinde.
Ausführlich dazu: Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 9f)

INTERPRETATION UND HISTORISCHES BEGRIFFSVERSTÄNDNIS

In einer grundlegenden Abhandlung zum „Gemeindegut“ hat Theo Öhlinger die generelle Beachtlichkeit eines unterschiedlichen historischen Begriffsverständnisses von „Gemeindegut“ im Detail nachgewiesen: Im Flurverfassungsrecht als Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft und im Gemeinderecht als Gut im Eigentum der Ortsgemeinde. „Es gibt also offenbar ein `Gemeindegut´, das eben nicht Eigentum der Gemeinde ist, sondern den Nutzungsberechtigten tatsächlich als privates Eigentum gehört.“ (Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 240, 250ff – ausführlich dazu: http://https://recht.agrar-info.at/blog/gemeinde-oder-gemeingut/).

Konsequenterweise stellte Öhlinger die Forderung auf, dass bei der Interpretation der historischen Behördenakte auf dieses unterschiedliche Begriffsverständnis Rücksicht zu nehmen sei. Ungeachtet der historischen Deklaration einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ sei zu prüfen, „inwieweit dieser Ausdruck im Sinne des politischen Gemeinderechts“ (und damit im Einklang mit dem durch das Erk VfSlg 9336/1982 geprägten Sinn) oder aber im Sinn der früheren Praxis der Agrarbehörden zu verstehen sei, wonach unter dem Begriff „Gemeindegut“ ein Eigentum einer Agrargemeinschaft verstanden wurde.

Öhlinger weiter: „Es würde jeder juristischen Sorgfalt und Genauigkeit widersprechen, den historischen Bescheiden der Tiroler Agrarbehörden, die vor der Veröffentlichung des Erkenntnisses des VfGH Slg 9336/1982 erlassen wurden, einen Inhalt zu unterstellen, der vom damals geltenden Flurverfassungsrecht nicht gedeckt ist.“ (Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, aaO, 238. Vgl auch Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 273: „Die kategoriale Qualifikation als Gemeindegut im flurverfassungsrechtlichen Sinn impliziert dann nicht Gemeindegut im gemeinderechtlichen Sinn, wenn die politische Gemeinde nicht Eigentümerin der betreffenden Liegenschaften war.“)

Die historischen Quellen zum Flurverfassungsrecht, die freilich schon geschaffen wurden, als der Gesetzgeber die Grundlagen für das Vorläufergesetz, das  Teilungs- Regulierungs- (Reichs-) Gesetz (TRRG 1883) und die Landes-Ausführungsgesetze dazu, erarbeitet hat, bestätigen eindeutig ein Verständnis des Begriffs „Gemeindegut“ als Eigentum einer Agrargemeinschaft, wenn !Gemeindegut“ als ein „Überrest der alten Agrargemeinde“ erklärt wird, der sich innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten habe. Besonders ist hier auf die Regierungsvorlage für das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz (TRRG 1883) zu verweisen, die Ende der 1870er/Anfang der 1880er Jahre entstanden ist. Die Regierungsvorlage als Produkt der offiziellen, zuständigen Regierungsstellen und die förmliche Sanktion dazu durch den Kaiser als Staatsoberhaupt, der die Regierungsvorlage in die gesetzgebende Körperschaft eingebracht hat,  hat hier besonderes Gewicht. (Ausführlich dazu: 1883 – Gesetz für die Gemeindegründe.)

GEMEINDEGUT IM „UNTERLANGKAMPFEN-ERK“

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) ist im so genannten „Unterlangkampfen-Erkenntnis“  (VfSlg 19.262/2010 )  Theo Öhlinger beigetreten. Der VfGH hat am Beispiel des TFLG 1935 klargestellt, dass der historische Gesetzgeber des Flurverfassungsrechts den Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ verwendet hat (VfGH, Slg 19.262/2010).

Der VfGH hat deshalb in diesem Erkenntnis klar gestellt, dass im Einzelfall bei jedem historischen Regulierungsbescheid geprüft werden müsse, ob die historische Agrarbehörde den Begriff „Gemeindegut“ im Sinne des Erk VfSlg 9336/1982 (Gemeindegut = Gut im Eigentum der politischen Ortsgemeinde) oder im Sinne des historischen Gesetzesverständnisses vom agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut (Gemeindegut = Gut im Eigentum der Agrargemeinschaft) verstanden habe.

Vor dem Hintergrund des Mieders-Erk 2008 VfSlg 18.446/2008 hatte der Gerichtshof im Erk VfSlg 19.262/2010 vom 10.12.2010 beide Interpretationsvarianten als „denkmöglich“ gelten lassen; was konkret im Einzelfall gelte, müsse geprüft werden!  (VfSlg 19.262/2010 Pkt II.A) 2.3.6.3. Abs 1 der Begründung)

VWGH ALS  „MASTER OF DESASTER“

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in einer ganzen Serie von Erkenntnissen vom 30.06.2011 (beginnend mit Erk Zl 2010/07/0091) diesen differenzierenden Ansatz des Verfassungsgerichtshofes  ignoriert; ebenso ignorierte der VwGH die „quasi-authentische“ Interpretation der Tiroler Landesregierung zum historischen Tiroler Landesrecht (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982). („War die alte so genannte “Realgemeinde“ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt der Nutzungen, wurde der Begriff „Gemeindegut“ verwendet; dies in Abgrenzung zu den Fällen, in denen sich für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet hätten, die als (gewöhnliche) Agrargemeinschaften angesehen würden (Amt der Tiroler Landesregierung, Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren, VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung).

Der VwGH : Der Gesetzesbegriff „Gemeindegut“ sei in den Bescheiden der historischen Agrarbehörde objektiv auszulegen. Auch im Anwendungsbereich des TFLG 1935 und 1952 sowie 1969 und 1978 dürfe und könne der Begriff „Gemeindegut“ immer nur als ein Eigentum der Ortsgemeinde verstanden werden!

VWGH IGNORIERT DAS UNTRLANGKAMPFEN-ERK

Somit hat der VwGH den im Unterlangkampfen-Erk des VfGH vom 10.12.2010 VfSlg 19.262/2010 vorgegebenen Weg zur Auflösung des Gemeindeguts-Irrsinnes ignoriert. Die Notwendigkeit, ein Gemeindegut im Eigentum der Agrargemeinschaft von einem Gemeindegut im Eigentum der Ortsgemeinde zu unterscheiden, will der VwGH nicht nachvollziehen. Dies mit der bitteren Konsequenz, dass alle Agrargemeinschaften in Tirol, wo im Zuge der Regulierung ein „Gemeindegut“ angenommen wurden, als „gestohlenes Gemeindeeigentum“ herhalten müssen. Eine Beweisführung dahingehend, dass die  Ortsgemeinde kein Eigentum besessen haben könne, wird vom VwGH nicht zugelassen!

 

MP

 

1883: Gesetz für die Gemeindegründe

 

 

 

 

 

 

Begriff

 

Agrarrechtliche, zivilrechtliche und gemeinderechtlicher Begriffsbildung von GEMEINDEGUT

1. Die historische Prägung des Begriffes “Gemeindegut“

2. Das Gemeindegut im zivilrechtlichen Sinn

3. Die unregulierte Agrargemeinschaft als Gemeinde nbR

Das historische Gemeinschaftsgut (Nachbarschaftsgut), das heute per Gesetz als Agrargemeinschaft definiert ist, fand über viele Jahrzehnte in der Wissenschaft nur stiefmütterliche Beachtung. Selbst zu scheinbar einfachen Grundsatzfragen wie der Abgrenzung solchen Gemeinschaftsgutes vom Eigentum einer Ortsgemeinde fehlt eine gesicherte Dogmatik. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es in Westösterreich in jüngster Zeit zu ausufernden Streitigkeiten über diesen Gegenstand gekommen.

„Die Unklarheit, ob Gemeindeeigentum und Gemeindelast, ob Gemeinschaft des Eigentums oder Gesellschaftsverhältnis zu Grunde liege […], ist kaum zu lichten, die anzuwendenden Rechtssätze bilden daher ein Hauptobjekt des Streits, und nur allzu oft sprechen in der Brust des Juristen, der den Fall unbefangen prüft, zwei Seelen – für und gegen den Kläger! Für wahr ein arger Mangel der bestehenden Gesetzgebung!“ (Pfaff, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, JBl 1884, 186)

Mit diesen Worten beklagte Leopold Pfaff vor rund 130 Jahren – übrigens in dieser Zeitschrift – ein Grundsatzproblem der österreichischen Rechtsordnung. Trotz deren Weiterentwicklung in vielen Jahrzehnten scheint die Verwirrung um das Verhältnis der modernen Ortsgemeinde zu den älteren Gemeinschaftsstrukturen ungebrochen, wie der aktuell in Westösterreich – vor allem in Tirol, aber auch in Vorarlberg – tobende „Agrarstreit“ deutlich macht. (Ausführlich dazu die beiden Sammelbände Kohl ea, Agrargemeinschaften Tirol und Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich; Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 375; aus der Judikatur: VfSlg 18.446/2008; 18.933/2009; 19.018/2010; 19.262/2010; jüngst: VfGH 02.10.2013, B 550/2012 ua sowie VwGH 2010/07/0091; 2010/07/0075; 2010/07/0092; 2011/07/0039; 2011/07/0050, alle vom 30.06.2011, uam; siehe ferner Bürgerinitiative 63/BI XXIV. GP; IA 1717/A BlgNR XXIV GP, jeweils samt Begründung und Erläuterungen)

 

Abstract

Ohne vertiefende Begründung geht der VfGH im Erk Slg 9336/1982 von einer Gleichsetzung der agrarrechtlichen und gemeinderechtlichen Begriffsbildung „Gemeindegut“ aus, was vom Wortlaut der Bestimmung des § 36 Abs 2 lit d TFLG 1952 und der verfehlten Praxis der Agrarbehörden (in älteren Verfahren) gestützt wird. (Erk VfSlg 9336/1982 Zu G 35, 36/81 Pkt III. Z 1. erster Absatz der Begründung, unter Berufung auf die „Klarstellung“ in den Erkenntnissen VfSlg 4229/1962 und 5666/1968)

Dieses Verständnis des Begriffes „Gemeindegut“ steht jedoch in Widerspruch mit der Feststellung des Gerichtshofes, dass die Bodenreformgesetzgebung von einem völlig anderen Bild des Gemeindegutes ausgehe; un dieses Verständnis steht im Widerspruch mit der historischen Wahrheit.

1. Die historische Prägung des Begriffes “Gemeindegut“

Wenn der Gerichtshof im Sinne eines einheitlichen Begriffsverständnisses in verschiedenen Verwaltungsgesetzen im Erk VfSlg 9336/1982 (III.1. erster Absatz der Begründung) unter Berufung auf die „Klarstellung“ in den Erkenntnissen VfSlg 4229/1962 und 5666/1968 die Auslegung des Begriffes „Gemeindegut“ in den Bodenreformgesetzen im gemeinderechtlichen Sinn fordert, so ist dies zumindest vertretbar. Unvertretbar ist es hingegen, wenn zur Begründung dieser Sichtweise die Behauptung aufgestellt wird, der Begriff „Gemeindegut“ sei durch das politische Gemeinderecht, die Gemeindeordnungen, geprägt. (Erk VfSlg 9336/1982 Zu G 35, 36/81 Pkt III Z 1 Abs 1 der Begründung)

GEMEINDEGUT IM CODEX THERESIANUS

Diese Feststellung muss vielmehr vor dem Hintergrund einer rechtshistorischen Betrachtung in Frage gestellt werden: Bereits im Codex Theresianus (1765) als erstem Versuch zur Kodifikation des historisch „geübten“ Rechts, fand sich – im Anschluss an eine Regelung der Gemeinde nach bürgerlichem Recht als moralische Person – der Sache nach die Differenzierung zwischen Gemeindegut und Gemeindevermögen. (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 133; dazu Schnizer, Die juristische Person in der Kodifikationsgeschichte des ABGB, FS Walter Wilburg (1965), 143 ff: „…also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“)

Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 135 – n 138: n 135.  „Der Gebrauch der Sachen, welche in dem Eigentum einer Gemeinde sind, ist entweder der Gemeinde selbst mit Ausschließung einzelner Mitglieder vorbehalten, oder allen einzelnen Mitgliedern derselben gemein. n 136. Zur ersteren Gattung gehören jene Sachen, deren Nutzbarkeit zu den gemeinen Renten und Einkünften gewidmet ist, worunter allemal die Kammerei und Wirtschaftsstand der Gemeinden gehöret; die Verwaltung aber gebühret denen, welche hiezu bestellt sind, ohne dass andere von der Gemeinde eingreifen dürfen. Weswegen sich nach unseren besonderen, das Wirtschaftswesen der Gemeinden betreffenden Verordnungen zu richten ist. n 137. Zur anderen Gattung gehören gemeine Weiden, Wälder, Brunn- und Röhrwasser, Mühlen, Brauhäuser, Steinbrüche, Leim- oder Sandgruben, Bäder, Schiessstädte, Luftgänge und dergleichen Sachen, deren Nutzen, Gebrauch oder Bequemlichkeit einzelnen Mitgliedern der Gemeinde entweder nach der bei derselben rechtmäßig eingeführten Ordnung, oder nach unseren Verleihungen und Verordnungen zusteht. n 138. Doch hat sich bei dem Gebrauch derselben ein jeder also zu betragen, dass kein Anderer, dem solcher gleichmäßig gebühret, hiervon ausgeschlossen, oder darinnen verhindert werde, sondern jeder menniglich sich in den geziemenden Schranken halte, und wo in dem Gebrauch eine Vorzüglichkeit gewisser Mitglieder vor anderen noch Ordnung der Gemeinde zustünde, dieselbe hierinnen nicht beirre, noch sich in etwas eindringe oder dessen Anmaße, wozu er nicht berechtigt ist.“

GEMEINDEGUT IM TIROLER LANDESRECHT

In dieselbe Richtung ging eine vom Tiroler Gubernium aus dem Jahr 1784 überlieferte Definition der Gemeinde nach historischem Tiroler Landesrecht: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249 – zitiert nach Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, Tiroler Heimat 2008, 162)

Gemeindegut (gemeinschaftlich genutzte Liegenschaften) und Gemeindevermögen (die Gemeinschaftskassa) sind Wesenselemente der historischen Markgemeinde nach gemeinem Recht.

GEMEINDEGUT IM UR-ENTWURF ZUM ABGB

Spätestens mit Vorlage des Ur-Entwurfes zum ABGB durch Martini im Jahr 1796 fandt das Gegensatzpaar „Gemeindegut“ und Gemeindevermögen“ Verwendung, um die Vermögensverhältnisse in der persona moralis zu kategorisieren:

In seinem Abschnitt zum Sachenrecht definierte Martini in § 3 die Unterscheidung Staatsvermögen und Privatvermögen. Die anschließenden §§ 4 und 5 behandelten die Sachen des Staates. In § 6 definierte Martini die Eigentümer von Privatvermögen, die „Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft“, welche entweder als Gemeinden oder einzelne Personenerschienen. Wörtlich formulierte Martini in seinem Ur-Entwurf zum ABGB, Zweiter Teil, Erstes Hauptstück, Von Sachen und ihrer rechtlichen Einteilung. § 6: Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen.

§§ 7 und 8 dieses Abschnittes widmete Martini dem Eigentum der (privaten) Gemeinden und führte dazu Folgendes aus: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ § 288 ABGB, der mit Hilfe dieses Gegensatzpaares das „interne Vermögensrecht“ der moralischen Person Gemeinde nbR regelte, beruht somit auf Vorbildern weit älteren Ursprungs.

2. Das Gemeindegut im zivilrechtlichen Sinn

Die Unterscheidung zwischen Gemeindegut und Gemeindevermögen ist somit keine Schöpfung des politischen Gemeinderechts, sondern beruht auf wesentlich älterer zivilrechtlicher Grundlage.

Geprägt wurde das Begriffspaar zur Darstellung der Rechtsverhältnisse in den historischen Gemeinden nach bürgerlichem Recht, nach heutigem Verständnis juristische Person, welche als bestehende Privatrechtseinrichtung im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 1811 ausdrücklich anerkannt wurde. Im Erk Slg 9336/1982 hat der VfGH auf die Gebräuchlichkeit des Begriffes „Gemeinde“ zur Beschreibung einer (privaten) Gesellschaft von Nutzungsberechtigten ausdrücklich hingewiesen. Im unmittelbaren Zusammenhang damit hielt er fest, dass dieses alternative Verständnis des Gemeindebegriffes (auch) in das Flurverfassungsrecht Eingang gefunden hätte. (Erk VfSlg 9336/1982 Zu G 35, 36/81 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung)

Wenn dem so ist – und alles spricht für die Richtigkeit des seinerzeitigen Befundes – resultiert daraus zwangsläufig, dass einer im Flurverfassungsrecht verankerten Gemeinde nach bürgerlichem Recht auch Eigentum zugeordnete sein konnte, welches sich nach der historischen Begriffsbildung in Gemeindegut und Gemeindevermögen unterscheidet.

 DIE VERSCHIEDENEN GEMEINDEN

Die im Erk Slg 9336/1982 aufgeworfene Problematik, wonach die unterschiedslose Regulierung vom Eigentum einer politischen Ortsgemeinde in Agrargemeinschaften einen Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen der betroffenen Ortsgemeinde bedeute, wäre deshalb konsequenter Weise nicht über den Begriff des „Gemeindegutes“ zu lösen gewesen, sondern im Wege gebotener Differenzierung beim Gemeindebegriff selbst: Die Regulierung von Gemeindegut einer geistlichen Gemeinde in eine Agrargemeinschaft ist nicht weniger problematisch, als die Regulierung von Gemeindegut einer politischen Ortsgemeinde.

3. Die unregulierte Agrargemeinschaft als Gemeinde nbR

Nach wie vor existieren personae morales, konstituiert nach einer längst untergegangenen Privatrechtsordnung. Die geltende Privatrechtsordnung aus dem Jahr 1811 hat die Existenz dieser Einrichtungen als „Gemeinden“ (gem § 27 ABGB) anerkannt. Als Beispiel ist auf die „Zweidrittelgericht Landeck“ zu verweisen, Eigentümerin diverser agrarisch genutzter Liegenschaften unter anderem der Liegenschaft in EZ 178 GB 84004 Grins. (Abgesehen von der Liegenschaft in EZ. 178 GB 84004 Grins sind dieser Gemeinde nbR folgende weitere Liegenschaften zugeschrieben: Liegenschaften in EZ. 149, 150, 151, 364 GB 84010 St. Anton a. A., EZ. 46, 47 GB 86020 Kaisers, EZ. 95 GB 84002 Flirsch – sohin insgesamt 7 Ez in 4 Katastralgemeinden)

Würde das „Gemeindegut“ (s § 288 ABGB) der „ZWEI-DRITTEL-GERICHT LANDECK“ auf eine körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft reguliert, deren Mitgliederkreis sich anders zusammensetzt als der Kreis der derzeitigen „Gemeindeglieder“, wäre dies zweifellos ebenfalls als Eingriff in das Eigentumsrecht anzusehen, dessen Rechtmäßigkeit zu hinterfragen wäre. Anzuknüpfen ist deshalb für die Rechtsmäßigkeitsbeurteilung einer Eigentumsregulierung beim „Gemeindebegriff“ bzw allgemein beim jeweiligen Eigentumsträger einer agrarischen Liegenschaft.

Dies liegt umso näher, weil eben das historische Verständnis des Begriffes „Gemeindegut“ – entgegen dem im Erk Slg 9336/1982 vermittelten Eindruck – ein wesentlich weiteres war, der insbesondere auch das „Gemeindegut“ der moralischen Personen des ABGB, der Gemeinden gem § 27 ABGB, mit umfasste. Das politische Gemeinderecht erfasste diesen Tatbestand als „Klassenvermögen“ (§§ 26 prov. GemG 1849; § 11 der Regierungsvorlage zu den Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz; § 12 TGO 1866 usw).

UNTERSCHEIDUNGSSCHWIERIGKEITEN

In der Praxis wurden die Begriffsinhalte selten korrekt unterschieden, ja sogar über Ununterscheidbarkeit geklagt. Dies war den Zeitgenossen zu Beginn der heutigen, modernen politischen Gemeindegesetzgebung durchaus bewusst. So weist Fernand Stamm in seinem aus dem Jahr 1850 stammenden Praxishandbuch „Die wichtigsten Angelegenheiten der Gemeinde“ (Prag 1850), 23 f ausdrücklich darauf hin, dass die meiste Schwierigkeit bei der Verwaltung des Vermögens der neuen politischen Ortsgemeinde die Trennung des Gemeindevermögens von dem Vermögen einzelner Klassen der Gemeindeglieder bieten würde (§ 26 prov. GemG 1849), „weil man es auch Gemeindevermögen nannte, ohne dass es diesen Namen im Sinn des Gemeindegesetzes verdient.“

Dieses weite Begriffsverständnis prägte auch die Grundlagen des modernen Bodenreformrechtes, die drei agrarischen Reichsgesetze vom 7. Juni des Jahres 1883. (Gesetz betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke, RGBl 1883/92; Gesetz betreffend die Bereinigung des Waldlandes von schädlichen Enklaven, RGBl 1883/93; Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, RGBl 1883/94)

Die Praxis hatte zwischen Gemeindegut im politisch-gemeinderechtlichen Sinn und dem Klasseneigentum gem § 26 prov. GemG 1849 bzw § 11 der Regierungsvorlage zu den Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz (zB § 12 TGO 1866) nicht unterschieden .

Die Regelung des § 1 lit b des Gesetzes betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, RGBl 1883/94, war vom Gesetzgeber in der erklärten Absicht geschaffen worden, dieser schweren Unterscheidbarkeit in der Praxis und der daraus entstandenen Rechtsunsicherheit entgegen zu steuern.

 

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MP