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Hoch das Verfachbuch

Joseph von Giovanelli zu Gerstburg und Hörtenberg (* 12. September 1784 in Hörtenberg; † 14. September 1845 in Bozen) war ein Tiroler Freiheitskämpfer und österreichischer Politiker. Joseph von Giovanelli studierte zunächst in Padua und Innsbruck. 1801-1805 eignete er sich in Wien umfassende Kenntnisse in den Rechts- und Staatswissenschaften an. Im April 1805 wurde Praktikant beim Bozner Kreisamt, ehe er zum Fiskalamt und Gubernium nach Innsbruck kam. Im April 1809 trat Joseph von Giovanelli in die Dienste seines Vetters, des „Landesintendanten“ Josef Freiherr von Hormayr, trennte sich aber zwei Mo­nate später von diesem. Als Andreas Hofer nach der siegreichen Bergiselschlacht vom 13. August in Innsbruck regiert, rief er Josef von Giovanelli zu sich und macht ihn mit knapp 25 Jahren zu einer Art Innenminister bzw. Vizekanzler. Josef von Giovanelli wurde so zum Schöp­fer der Hofer'schen Landesverfassung vom 23. August. Im November brachte er unter großen Gefahren die von seinem Vater, ebenfalls einem engen Vertrauten von Andreas Hofer, verfasste Unterwerfungserklärung der Tiroler zum französi­schen General Vial nach Trient, im Dezember 1809 übersiedelte Josef von Giovanelli mit seiner Familie nach Wien. Nach der Rückkehr Tirols zu Österreich (1814) wurde er Merkantilkanzler in Bozen. Er warb am Wiener Kaiserhof intensiv für die Wiederherstellung der alten Landesverfassung Tirols, stieß dabei aber auf taube Ohren bei Kanzler Metternich. 1838 wurde Joseph von Giovanelli in den Freiherrnstand erhoben. Josef von Giovanelli war bis zu seinem Tod der führende konservative Politiker Tirols. Als solcher war er führend im Widerstand der Tiroler gegen die Abschaffung des Tiroler Verfachbuchsystems und Einführung des modernen Grundbuches in Tirol.  Literatur: Mercedes Blaas, Der Aufstand der Tiroler gegen die bayerische Regierung 1809, Schlernschriften 328. Innsbruck 2005.
Joseph von Giovanelli zu Gerstburg und Hörtenberg (* 12. September 1784 in Hörtenberg; † 14. September 1845 in Bozen) war ein Tiroler Freiheitskämpfer und österreichischer Politiker. Joseph von Giovanelli studierte zunächst in Padua und Innsbruck. 1801-1805 eignete er sich in Wien umfassende Kenntnisse in den Rechts- und Staatswissenschaften an. Im April 1805 wurde Praktikant beim Bozner Kreisamt, ehe er zum Fiskalamt und Gubernium nach Innsbruck kam. Im April 1809 trat Joseph von Giovanelli in die Dienste seines Vetters, des „Landesintendanten“ Josef Freiherr von Hormayr, trennte sich aber zwei Mo­nate später von diesem. Als Andreas Hofer nach der siegreichen Bergiselschlacht vom 13. August in Innsbruck regiert, rief er Josef von Giovanelli zu sich und macht ihn mit knapp 25 Jahren zu einer Art Innenminister bzw. Vizekanzler. Josef von Giovanelli wurde so zum Schöp­fer der Hofer’schen Landesverfassung vom 23. August. Im November brachte er unter großen Gefahren die von seinem Vater, ebenfalls einem engen Vertrauten von Andreas Hofer, verfasste Unterwerfungserklärung der Tiroler zum französi­schen General Vial nach Trient, im Dezember 1809 übersiedelte Josef von Giovanelli mit seiner Familie nach Wien. Nach der Rückkehr Tirols zu Österreich (1814) wurde er Merkantilkanzler in Bozen. Er warb am Wiener Kaiserhof intensiv für die Wiederherstellung der alten Landesverfassung Tirols, stieß dabei aber auf taube Ohren bei Kanzler Metternich. 1838 wurde Joseph von Giovanelli in den Freiherrnstand erhoben.
Josef von Giovanelli war bis zu seinem Tod der führende konservative Politiker Tirols. Als solcher war er führend im Widerstand der Tiroler gegen die Abschaffung des Tiroler Verfachbuchsystems und Einführung des modernen Grundbuches in Tirol.
 Literatur: Mercedes Blaas, Der Aufstand der Tiroler gegen die bayerische Regierung 1809, Schlernschriften 328. Innsbruck 2005.

 

HOCH DAS VERFACHBUCH

Die Bemühungen der Staatsführung, das Grundbuch in Tirol einzuführen, trafen über fast 100 Jahre auf zähen Widerstand der Tiroler. Diese wollten die Ablösung des seit dem 14. Jahrhundert herrschenden, aber hoffnungslos veralterten Verfachbuchs nicht hinnehmen.
Schon im 18. Jahrhundert war mehrmals, so 1732, 1788 und 1792, angeregt worden, auch in Tirol  – so wie in anderen Kronländern – das Landtafelsystem einzuführen, das bereits die wesentlichen Funktionen eines modernen Grundbuches erfüllte. Diese Bemühungen waren jeweils am Widerstand der Stände und der durch diese vertretenen Landbevölkerung gescheitert. In Anbetracht dessen war mit den Hofdekreten vom 19. April 1790 und 12. März 1792 das Verfachbuchrecht, wonach die dingliche Wirkung von Rechtsgeschäften an die Verfachung geknüpft wurde, neu formuliert worden. Die lückenhaften Bestimmungen der beiden Hofdekrete haben jedoch in der Folgezeit eine große Verunsicherung im Immobilienverkehr hervorgerufen.

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MÄNGEL DES VERFACHBUCHSYSTEMS

Gemeinsam ist dem Verfachbuchsystem und dem Grundbuchsystem die Urkundensammlung: Alle Urkunden über Liegenschaftsgeschäfte werden darin chronologisch und nach den jeweils zuständigen Gerichten gesammelt. In dieser Urkundensammlung erschöpft sich das Verfachbuchsystem im Wesentlichen. Es fehlen dort die so genannten Hauptbücher des Grundbuchsystems, „Folianten“ genannt,  wo für jede Einlagezahl nummeriert und systematisch aufsteigend, mehrere Blätter reserviert sind, damit alle Liegenschaftsgeschäfte diese Einlagezahl betreffend gegliedert nach A-Blatt (Gutsbestand), B-Blatt (Eigentümerblatt) und C-Blatt (Lastenblatt) systematisch erschlossen werden können. Jede Urkunde in der Urkundensammlung findet im Grundbuchsystem im Hauptbuch ihren Niederschlag durch Eintragung der wesentlichen Rechtswirkung und den Verweis auf die Fundstelle der Urkundensammlung.

Das Verfachbuchsystem bot – wegen der fehlenden Hauptbücher – insbesondere keinen Überblick über die hypothekarischen Belastungen der Güter und schuf auch nur formales und kein materielles Recht, d.h. das verfachende Gericht untersuchte nicht den Titel, aufgrund dessen sich der Erwerb vollziehen sollte, sondern beurkundete nur die formale Gesetzmäßigkeit der Urkunde.
Dies führte gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich die wirtschaftliche Lage des Landes durch die lange Kriegsperiode besonders verschlechtert hatte, zu Unzukömmlichkeiten, weil die hypothekarischen Belastungen einer Liegenschaft nirgends übersichtlich zusammengefasst waren. Da regte die Staatsführung sofort nach Eintritt geordneter Verhältnisse im Rahmen der Neuorganisierung des Kaiserstaates 1817 die Einführung des Grundbuchs in Tirol an. Bei diesem Unternehmen konnte man sich bereits auf bedeutende Vorarbeiten stützen. Im südlichen Landesteil hatten die französisch-italienischen Behörden bereits eigene Hypothekarbücher eingeführt und auch der Kataster stellte eine brauchbare Grundlage für das Grundbuch dar.

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ERSTE VERSUCHE ZUR GRUNDBUCHEINFÜHRUNG

Bereits die ersten Ansätze zu diesem Reformunternehmen prallten auf den heftigen Widerstand nicht nur der Stände, sondern mancher im Land tätigen staatlichen Behörden.
Die Stände, welche sich im Jahr 1819 mit der Grundbuchfrage befassten, lehnten getreu ihrer seit dem 18. Jahrhundert verfolgten Linie dezidiert und entschlossen ab. Beinahe alle Abgeordneten redeten wohl einer Verbesserung des bestehenden Verfachbuchsystems das Wort, sprachen sich jedoch ebenso deutlich gegen die Einführung des Grundbuchs aus.

Auf den ersten Blick erscheint die Begründung merkwürdig, welche der Generalreferent der Stände für die Haltung des Landtages bot. Nach dieser sollte das alte Verfachbuchystem „zur Aufrechterhaltung des Landeskredits, des Kultur- und Gewerbefleißes und der Leistungsfähigkeit der Untertanen erhalten bleiben“, als ob Rechtsunsicherheit und finanzielles Risiko dem Kreditgeschäft zuträglich wären. Ein zweiter Blick lehrt aber, dass der von Grundbesitzern dominierte Landtag die Offenlegung der hypothekarischen Belastungen, welche die Gläubiger von weiteren Krediten abhalten könnte, befürchteten. Neben der durch das Grundbuchsystem möglichen schärferen Kontrolle der Privatrechte wurde die Ablehnung des Landtags auch durch die Furcht vor höheren Steuern motiviert.

Der große Ausschusskongress von 1819 richtete daher an den Kaiser die Bitte, von der Einführung des Grundbuchs in Tirol Abstand zu nehmen. Ebenso wie im Fall des stabilen Katasters wagte es Kaiser Franz I. und seine Zentralbehörden nicht, bei der Einführung des Grundbuches mit Brachialgewalt gegen den Willen der Tiroler Stände und des Landes vorzugehen. Da das Verfachbuchsystem, wenn auch nicht optimal, so doch funktionierte, ließ man die Sache jahrzehntelang ruhen.

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1831: GRUNDBUCH UNABSEHBAR VERTAGT

Erst mit der allerhöchsten Entschließung vom 09. Dezember 1831 erhielten die Stände auf ihren dringlichen Appell an den Kaiser vom Jahr 1819 eine, die Grundbucheinführung anscheinend in weite Ferne rückende Antwort. Danach sollte die Einführung des Grundbuchs vorderhand bis zur endgültigen Organisierung der Landgerichte nach dem Einfall der letzten Patrimonialgerichte unterbleiben. Außerdem beabsichtigte Kaiser Franz I. die Erfahrungen im lombardo-venezianischen Königreich abzuwarten, wo mit Patent vom 19. Juni 1826 das Grundbuch installiert worden war. Obwohl die erste Bedingung noch keineswegs erfüllt war (die letzten Patrimonialgerichte fielen in Deutschtirol 1840, in Welschtirol erst 1848 an den Staat zurück), gingen die Wiener Zentralbehörden bereits zwei Jahre später daran, das lombardo-venezianische System mit einigen Modifikationen auf Tirol zu übertragen.

Auf dem Ausschusskongress des Jahres 1833 lehnte Joseph von Giovanelli, Merkantilkanzler zu Bozen, ein Mann mit gewichtiger Stimme im Landtag, in einem ausführlich begründeten Seperatvotum das Grundbuch ab und auch der Generalreferent Johann Anton Freiherr von Schneeburg sprach sich für die Beibehaltung des Verfachbuches aus. Indem sich die Stände schließlich hinter der bereits erwähnten allerhöchsten Entschließung von 1831 verschanzten, für die sie dem Kaiser gar eine Dankadresse übersandt hatten, versuchten sie die Sache zu verzögern. Die Staatsführung ließ jedoch nicht locker. Im Jahr darauf wurde vom Gubernium die Grundbuchfrage erneut aufgerollt, die Stände wehrten sich ebenso heftig wie in den Vorjahren gegen die Pläne der Regierung.

Die Tatsache, dass die Wiener Zentralbehörden die für Lombardo-Venetien geschaffene Gesetzesgrundlage mit wenigen Veränderungen auf Tirol übertragen wollten, erleichterte den Widerstand. Die Tiroler Stände forderten, dass bei Verfassung des Gesetzentwurfs „auf die eigentümlichen Verhältnisse des Landes, auf die bisherigen Hypotheken-Institute in Tirol, die zumal im nördlichen Tirol von jenen in Italien ganz verschieden seien, geeignete Rücksicht genommen“ werde. Angesichts dieser unmissverständlichen Rechtsverwahrung des Landtages zogen es die staatlichen Behörden vor, die Frage in Schwebe zu lassen. Die kaiserliche Entschließung vom Jahr 1831, der die Stände ja Beifall gezollt hatten, stellte dafür eine günstige Basis dar. Im Jahr 1839 anerkannte Kaiser Ferdinand erneut diesen Zustand, indem er den Beschluss seines Vaters Franz I. akzeptierte.

 

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REFORM DES VERFACHBUCHES?

In der Folge bemühten sich die Stände wohl, Vorschläge zur Verbesserung des Verfachbuchsystems zu erstatten; die Frage blieb aber weiterhin offen und sollte erst Jahrzehnte später, nach der Konstituierung des parlamentarischen Landtags im Jahr 1897 gelöst werden. Tirol war damit dasjenige Kronland der Monarchie, wo das Grundbuch zuletzt eingeführt werden sollte.

Beinahe zwei Jahrhunderte hatte das politische Beharrungsvermögen der Tiroler, ihrer Stände und dann später ihrer parlamentarischen Landtage, die Ablösung des Tiroler Verfachbuches verzögert. Die Einführung des Landtafelsystems wurde verhindert; das moderne Grundbuchsystem wurde mit beinahe 100jähriger Verzögerung eingeführt. Selbst in der Zeit des herrschenden Absolutismus hatten es die Stände verstanden, sich in dieser Frage Gehör zu verschaffen.

In der parlamentarischen Ära ab 1861 hatte sich der neu konstituierte Landtag von 1861 wieder mit diesem Problem konfrontiert gesehen. Nach wie vor war damals die Mehrheit gegen die Einführung des Grundbuches eingestellt gewesen; daher suchte man Ordnung in die Dinge zu bringen, indem man ein Gesetz zur allgemeinen Erneuerung der Hypotheken anstrebte. Der spätere Landeshauptmann Kiechl brachte bereits in der ersten Session des Jahres 1861 einen diesbezüglichen Antrag ein, der auch angenommen wurde; beauftragt wurde ein sechsköpfiger Ausschuss. Allerdings bekundete das Justizministerium die Absicht, auch in Tirol (wie in den anderen Kronländern) das Grundbuch einzuführen.

Die Regierung Schmerling forderte im Jahr 1863 vom Landtag ein Gutachten über ein Reichsgesetz zur Einführung des Grundbuchs ein. Der Landtag, der auf sein Mitspracherecht über die grundsätzliche Frage „Beibehaltung des Verfachbuches oder Einführung des Grundbuchs“ bestand, zeigte wenig Interesse an einer schnellen Erledigung.

Die durch die Dezembergesetze 1867 erfolgte Verfassungsänderung brachte die Neuerung, dass nach dem neuen Grundgesetz der Landtag zumindest für die innere Einrichtung der öffentlichen Bücher kompetent wurde, sodass im Jahr 1868 zwar die Hypothekenerneuerung realisiert, die Einführung des Grundbuchs aber wieder auf die lange Bank verschoben wurde. Erst 1884 beschäftigte sich ein Ausschuss des Landesausschusses wieder mit der Frage; im Jahr 1886 kam die Frage der Grundbuchseinführung erneut im Plenum des Landtags zur Sprache, wo der Ausschuss allerdings erst wieder im Jahr 1892 einen umfassenden Bericht ablieferte.

Der Grundbuchsauschuss war im Jahr 1892 mit vier verschiedenen Anträgen an das Plenum des Landtags herangetreten; vor allem der Abgeordnete Franz von Zallinger trat vehement gegen das Grundbuch auf. Statt das Grundbuchsysteme einzuführen, sollte das Verfachbuch reformiert werden. Mit Vorschlägen zur Verfachbuchreform wurde der Abgeordnete Dr. Joseph Wackernell beauftragt; als dieser im Landtag von 1893 erklärte, dass eine Verfachbuchreform unmöglich wäre, war das Eis gebrochen. Die Einführung des Grundbuchs wurde in das große Agrarreformprogramm des Jahres 1896 aufgenommen.

Aus: Richard Schober, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 1984.

 

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MP

Wie das Grundbuch nach Tirol kam

 

Kaiser Franz I. registriert alle Grundeigentümer

Kaiser Franz I. Joseph Karl (* 12. Februar 1768 in Florenz; † 2. März 1835 in Wien), erfasst alle Eigentümer.
Kaiser Franz I. Joseph Karl (* 12. Februar 1768 in Florenz; † 2. März 1835 in Wien), erfasst alle Eigentümer.

 

Kaiser Franz I. registriert alle Grundeigentümer

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kaiser Franz I. ausging, dass alle Grundeigentümer des Reiches und alle ihre Grundstücke erfasst würden, weil die Eigentümer gerecht besteuert werden sollten.

Und dies war die allererste vollständige Erfassung des Grundeigentums im Kaiserreich Österreich, die in den 1810er bis 1870er Jahren geschah. Und jedermann ging, dass sein Grundeigentum registriert würde, ein jedes Grundstück in jeder Gemeinde.

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Der „Franziszeische Kataster“ wurde in Tirol in den 1850er Jahren angelegt. Angeordnet hat diese Arbeit Kaiser Franz I. Joseph Karl (* 12. Februar 1768 in Florenz; † 2. März 1835 in Wien), weshalb man ihn „Franziszeischer Kataster“ nennt. Der Kataster enthält alle Grundstücke im gesamten Kaisertum Österreich und alle Grundeigentümer. Häufige Bezeichnungen sind auch Grundkataster, Steuerkataster sowie Grundsteuerkataster. Dieser Kataster war die Grundlage der Grundbücher Österreichs – der Vorgänger der heutigen Grundstücksdatenbank sowie der heutigen „Digitalen Katastralmappe“. Von der kleinsten Einheit, der Parzelle, ausgehend, sollten alle Katastralgemeinden, die Länder und schließlich das gesamte Reich erfasst werden. Rechtsgrundlage sind das Grundsteuerpatent 1817 und die sogenannte „Katastral-Vermessungs-Instruktion“ (KVI).

FRANZISZEISCHER KATASTER

Die kartographische Grundlage des Katasters wird als „Urmappe“ bezeichnet; zu jeder „Urmappe“ wurden „Anlegungsfaszikel“ erstellt. Ein Anlegungsfaszikel besteht aus einer Grenzbeschreibung der Gesamtgemeinde, aus dem Eigentümerverzeichnis, dem Grundstücksverzeichnis und dem Verzeichnis der Bauflächen. Das „Eigentümerverzeichnis“ ist das alphabetische Verzeichnis aller Liegenschaftseigentümer in der betreffenden Katastralgemeinde. Jedem Eigentümer wurden alle seine Grundparzellen zugeordnet. Als Gegenstück existiert das „Grundstücksverzeichnis“. Hier sind die Grundstücke der Nummer nach aufsteigend angeschrieben und bei jedem Grundstück ist der jeweilige Grundstückseigentümer angeschrieben. In Wien und Niederösterreich wurde der Kataster im Zeitraum 1817 bis 1824 erstellt; in Kärnten von 1822 bis 1828; die Arbeiten in Tirol und Vorarlberg dauerten von 1855 bis 1861.

Das Grundsteuerpatent 1817 umreißt in 26 Paragraphen die zentralen Punkte dieses gigantischen Vorhabens. Der § 9 dieses Gesetzes ordnete an, dass insbesondere auch die „Person des Eigentümers“ einer jeden Grundparzelle zu erfassen ist. Die Ausführungsverordnung zum Gesetz, die Katastral-Vermessungs-Instruktion (KVI), regelt in ihrem V. Teil, §§ 383 bis 414, ganz exakt, wie bei der Feststellung des jeweiligen Eigentümers der Grundparzellen vorzugehen war. Die einleitenden Bestimmungen regelten das Folgende:

§ 383. So wie dem Geometer die Aufnahme der einzelnen Grundstücke (Parzellen) obliegt, so steht ihm auch die Bestimmung der Eigentümer zu. Festzustellen ist, welcher Person jedes einzelne Grundstücke oder Gebäude gehört.

§ 384 regelt weiter, dass als Eigentümer derjenige aufzuführen ist, welcher „die freie Schaltung und Waltung in der Benützung der Grundstücke oder Gebäude hat, die Nutzung davon nach seinem Gutdünken verwendet, und das nutzbare Eigentum an andere unbedingt, oder unter gewissen Voraussetzungen übertragen kann.“

Die lückenlose Erfassung aller Eigentümer war eines der zentralen Ziele des ganzen Projektes. Die Steuerpflichtigen sollten vollständig und richtig erfasst werden.

EIGENTÜMERERHEBUNG UND ERSITZUNG

Natürlich war die lokale Gemeindeobrigkeit in den gesamten Prozess eingebunden. Zur Vorbereitung der Eigentümererhebung ordnete die KVI Folgendes an:

§ 387. Der Geometer verschafft sich von dem Gemeinde-Vorstand ein alphabetisches Verzeichnis aller Grund- und Hausbesitzer der betreffenden Gemeinde.

§ 388 verweist dazu auf die laufenden Grundsteuervorschreibungen; hilfsweise soll die „Bezirks-Obrigkeit“ in Anspruch genommen werden.

Ausdrücklich war auch die Erfassung des Gemeindeeigentums geregelt (§ 396 KVI).

FESTSTELLUNG DER WAHREN EIGENTUMSVERHÄLTNISSE

Mit Fug und Recht ist festzustellen, dass der Franziszeischen Kataster die Überzeugung aller Beteiligten von den wahren Eigentumsverhältnissen zum Ausdruck brachte – eine allgemeine Rechtsüberzeugung von den wahren Eigentumsverhältnissen.

Diese allgemeine Rechtsüberzeugung lässt jedenfalls dann ein rechtliches Eigentum entstehen, wenn eine solche Rechtsüberzeugung mit dem ungestörten, langandauernden Rechtsgebrauch zusammentrifft. Die langandauernde Rechtsausübung durch den redlichen Besitzer erzeugt Recht!

In Tirol gilt seit dem Jahr 1815 das heute noch in Kraft stehende Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch. Danach erwirbt derjenige, der sich redlicher Weise für den Eigentümer halten durfte, spätestens nach einer Nutzungszeit von 40 Jahren das unbeschränkte volle Eigentum.

§ 384 KVI verlangte, dass derjenige als Eigentümer zu erfassen ist, der die „freie Schaltung und Waltung in der Benützung der Grundstücke […] habe, der die Nutzung davon nach seinem Gutdünken verwendet und das nutzbare Eigentum an andere […] übertragen“ könne.

Mit dieser Definition wird offenkundig ein wahrer Eigentümer beschrieben oder zumindest ein solcher Besitzer, der die Sache in gutem Glauben als sein Eigentum nutzt und verwaltet.

Man nennt einen solchen Besitzer „Ersitzungsbesitzer“.
Ein solcher „Ersitzungsbesitzer“ erwirbt jedenfalls dann das wahre rechtliche Eigentum, wenn er seinen Besitz für die volle Ersitzungszeit ausgeübt hat.
Die Ersitzungszeit beträgt maximal vierzig (!) Jahre.

Als Konsequenz folgt daraus, dass derjenige, der im Franziszeischen Kataster als Eigentümer erfasst wurde, spätestens nach 40 Jahren weiterer ungestörter Besitzausübung der wahre rechtliche Eigentümer dieser Grundstücke ist.

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ZUR VORGESCHICHTE

Die Tiroler wehrten sich gegen den neuen Kataster

Nach dem Ende der napoleonischen Kriege und der Rückführung Tirols in den Staatsverband des Kaisertums Österreich erwiesen sich die bestehenden Steuerkataster als überholt und mancherlei Ungerechtigkeit veranlassend. Die Aufteilung zwischen „Gemeinden“ und „Gerichten“, zwischen den alttirolischen und den neu hinzu gekommenen salzburgischen, tridentinischen und brixnerischen Gebieten gab zu mancher Klage Anlass. Dazu kamen Schwierigkeiten durch unterschiedliche Flächenmaße, Veränderungen in der Bodennutzung und Zerstückelung der Grundeinheiten.

Das kaiserliche Patent über die „allgemeine Rektifizierung der Grundsteuer“ vom 23. Dezember 1817 (Provinzialgesetzsammlung 1817, Seite 1229 ff), kündigte deshalb bereits die Einführung eines „stabilen Katasters“ aufgrund einer Neuvermessung und Schätzung des Ertrags durch wissenschaftlich ausgebildete, militärische und zivile Feldvermesser, an. Dieser Absicht der Staatsführung setzte sich jedoch der Tiroler Landtag jahrzehntelang entgegen.

Sorge wegen Steuererhöhung

Die Tiroler Stände waren zwar dem Hauptanliegen des „stabilen Katasters“, nämlich einen gerechten Ausgleich zwischen Gemeinden und Gerichten, neu- und alttirolischen Gebieten im Blick auf die Grundsteuern zu schaffen, nicht feindlich gesinnt. Ganz im Gegenteil. Bereits 1820 hatte sich der Ausschusskongress um die Beseitigung der Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung bzw. Aufteilung der Steuerlast auf die einzelnen Gemeinden und Gerichte des Landes ausgesprochen und sogar eine Kommission eingesetzt. Warum es den Tiroler Ständen aber ging, war Folgendes:

Der stabile Kataster bedingt eine Neubewertung der Grundstücke, die leicht zu einer stillschweigenden Erhöhung der Grundsteuer für viele Einheiten führen konnte. Die Ablehnung des Landtages erschien insofern verständlich, als im Vormärz auf dem Ausschusskongress nur die grundbesitzende Klasse vertreten war. Gleichzeitig waren die Tiroler Stände intensiv bemüht, die ursprünglichen Tiroler Freiheiten und die ursprüngliche Landesverfassung wiederherzustellen. Diese gründeten insbesondere darauf, dass das Besteuerungsrecht bei den gewählten Landesvertretern lag.

Landtag blockiert

Vornehmlich aus diesem Grund sprach sich – allen Beteuerungen des Gouverneurs zum Trotz, dass die Einführung des neuen Katasters keine Erhöhung der Grundsteuer zur Folge haben werde, der Landtag konsequent gegen eine Änderung des herrschenden Katastersystems aus.

1830 „erkannte“ der hohe Kongress einstimmig die Zweckmäßigkeit der Bitte um Verwendung für die Beibehaltung des damaligen tirolischen Steuersystems, welches den Verhältnissen dieses Gebirgslandes mit sorgfältiger Erwägung aller Umstände genau angepasst sei und seine Vorzüge durch den entsprechenden Erfolg der Steuerbehebung von jeher bewährt habe.
Einer Änderung der Schätzung und Katastereintragungen wollte man nur unter der Bedingung der Zustimmung der Beteiligten gestatten.

Wiener Zentralregierung knickt ein

Obwohl die damalige Verfassung die Wiener Regierung zur Einführung des neuen Katasters ohne positiven Beschluss der Tiroler Stände berechtigt hätte – eine naheliegende Lösung, zumal die Arbeiten am neuen Kataster beispielsweise in Niederösterreich schon im Jahr 1834 abgeschlossen werden konnten -, wagte es die Staatsführung doch nicht, eine so einschneidende Maßnahme gegen den Willen des Landes einfach anzuordnen.

Aus diesem Grund ließ die Regierung nach der ständischen Ablehnung von 1830 das Katasterproblem eineinhalb Jahrzehnte auf sich beruhen. Als sie jedoch im Jahr 1845 einen neuerlichen Versuch wagte, drohte auch dieser am Widerstand der Stände zu scheitern.

In seiner Postulatsbeantwortung von 1846 sprach sich der (Tiroler) Ausschusskongress erneut vehement gegen jede Änderung des Steuersystems aus. Seine Reaktion war so heftig, dass selbst der Gouverneur, Graf Clemens von Brandis, welcher sich eines besonders guten Verhältnisses zu den Ständen rühmen konnte, an der Möglichkeit, den Ausschusskongress umzustimmen, zweifelte. Entscheidend für die Ablehnung des neuen Katasters in Tirol war nach wie vor die allgemeine Furcht der Besitzenden vor einer Erhöhung des Steuerausmaßes.

Nachgeben nach Jahrzehnten

Auf dem Kongress von 1847 gelang es dem Gouverneur wohl, einen großen Teil der Herren und Ritter und auch einige Städte für den Plan zu gewinnen; schließlich entschied sich eine knappe Mehrheit (26:24) jedoch für eine Adresse an den Kaiser, in der dem Kaiser die ständische Ablehnung erläutert werden sollte. Mit Müh und Not konnte der Gouverneur in der nächsten Sitzung des Ausschusskongresses eine Modifikation der beschlossenen Adresse insofern erreichen, als die Stände nun prinzipiell unter der Bedingung, dass es zu keiner Steuererhöhung komme, doch zustimmten.

Die Debatten auf dem Kongress hatten der Regierung erneut den hinhaltenden Widerstand der Besitzenden des Landes gegenüber ihren Katasterplänen gezeigt. Deshalb und vielleicht auch wegen der Unmöglichkeit nach einer Neubewertung und Neuvermessung Grundsteuererhöhungen auszuschließen, nützte Wien den Beschluss des Ausschusskongresses nicht sofort aus, sondern erklärte, dass die Einführung des stabilen Katasters erst in 12 bis 15 Jahren spruchreif werden würde.

Einführung in den 1850er Jahren

Tatsächlich wurde der stabile Kataster in Tirol erst in den 1850er Jahren geschaffen, Jahrzehnte nach Abschluss der Arbeiten beispielsweise in Niederösterreich oder Kärnten.

Grundlage der Besteuerung wurde der neue „stabile Kataster“, auch „Franzisteischer Grundstückskataster“ genannt, erst im Jahr 1880, als eine allgemeine Grundsteuerregelung für alle Länder der österreichischen Reichshälfte auch eine grundlegende Änderung für Tirol und Vorarlberg mit sich brachte.

Karl von Grabmayr oder: Wie das Grundbuch nach Tirol gekommen ist!

Dr. Dr. hc. Karl von Grabmayr (von Angerheim) (* 11. Februar 1848 in Bozen; † 24. Juni 1923 in Meran) war ein Tiroler Jurist und Politiker; Rechtsanwalt in Meran, Höchstrichter in Wien; liberaler Abgeordneter zum Tiroler Landtag (1892 bis 1912); Abgeordneter zum Österreichischen Reichsrat (1897 bis 1907) sowie Mitglied des Herrenhauses (1907 bis 1918); 1905: Ernennung zum Vizepräsidenten des Reichsgerichts in Wien; 1913: Ernennung zum Präsidenten des Reichsgerichts; 1919: Ernennung zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes in Wien; ab 1908: Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft . Karl von Grabmayr war einer der glänzendsten politischen Redner seiner Zeit und der genialste politische Kopf des damaligen Tirol. Zusätzlich war und ist er nach wie vor der „höchstdekorierte“ Richter, den Tirol je hervorgebracht hat: Nie ist es einem Tiroler gelungen, an die Spitze von zwei Höchstgerichten berufen zu werden. Karl von Grabmayr wurde von Kaiser Franz Joseph in die Präsidentschaft des Reichsgerichts (heute Verfassungsgerichtshof) berufen und – nach dem Sturz der Monarchie – aufgrund einstimmigen Regierungsbeschlusses, der damals Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Deutschfreisinnige  angehörten, durch Präsident Karl Seitz und Staatskanzler Dr. Karl Renner in das Präsidentenamt am Verwaltungsgerichtshof! Die Tiroler haben ihm vor allem die Einführung des Grundbuches (1897) zu verdanken, das Tiroler Höferecht und das Tiroler Anerbenrecht (1900). Auch die Gründung der Tiroler Landeshypothekenbank (1901) ist im wesentlichen die Frucht Grabmayrs nachhaltiger Bemühung.
Dr. Dr. hc. Karl von Grabmayr (von Angerheim) (* 11. Februar 1848 in Bozen; † 24. Juni 1923 in Meran) war ein Tiroler Jurist und Politiker; Rechtsanwalt in Meran, Höchstrichter in Wien; liberaler Abgeordneter zum Tiroler Landtag (1892 bis 1912); Abgeordneter zum Österreichischen Reichsrat (1897 bis 1907) sowie Mitglied des Herrenhauses (1907 bis 1918); 1905: Ernennung zum Vizepräsidenten des Reichsgerichts in Wien; 1913: Ernennung zum Präsidenten des Reichsgerichts; 1919: Ernennung zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes in Wien; ab 1908: Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft . Karl von Grabmayr war einer der glänzendsten politischen Redner seiner Zeit und der genialste politische Kopf des damaligen Tirols. Zusätzlich war und ist er nach wie vor der „höchstdekorierte“ Richter, den Tirol je hervorgebracht hat: Nie ist es einem Tiroler gelungen, an die Spitze von zwei Höchstgerichten berufen zu werden. Karl von Grabmayr wurde von Kaiser Franz Joseph in die Präsidentschaft des Reichsgerichts (heute Verfassungsgerichtshof) berufen und – nach dem Sturz der Monarchie – aufgrund einstimmigen Regierungsbeschlusses, der damals Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Deutschfreisinnige angehörten, durch Präsident Karl Seitz und Staatskanzler Dr. Karl Renner in das Präsidentenamt am Verwaltungsgerichtshof! Die Tiroler haben ihm vor allem die Einführung des Grundbuches (1897) zu verdanken, das Tiroler Höferecht und das Tiroler Anerbenrecht (1900); auch die Gründung der Tiroler Landeshypothekenbank (1901) ist im wesentlichen die Frucht Grabmayrs nachhaltiger Bemühung.

DER KAMPF UM DAS GRUNDBUCH 1892 bis 1896

Sofort nach Dr. Karl von Grabmayrs Eintritt in den Tiroler Landtag im Jahr 1892 wurde er vor eine erste große Aufgabe gestellt: Die Durchführung der Reform der öffentlichen Bücher. Während in allen anderen österreichischen Ländern seit Maria Theresia das Grundbuchsystem zur Herrschaft gelangt war, hatte sich in Tirol und Vorarlberg das „Verfachbuch“ erhalten, eine höchst unvollkommene Form des öffentlichen Buches, die den an eine solche Institution zu stellenden Anforderungen in keiner Weise genügte. Die Mängel dieser Einrichtung wurden umso sichtbarer, je mehr im Zuge moderner Wirtschaftsentwicklung auch in Tirol die Liegenschafts- und Realkredite zunahmen. So bildete die Abschaffung des Verfachbuchs und die Ersetzung dieser Einrichtung durch das moderne Grundbuch im Laufe des 19. Jahrhunderts eine in Tirol stets von neuem auftauchende Frage, die trotz endloser Verhandlungen und Erhebungen nie zur Lösung gelangen konnte; dies deshalb, weil die herrschende konservative Partei am Verfachbuch als einer „alttirolischen Einrichtung“, einer berechtigten „Eigentümlichkeit des Landes“ zäh festhielt.

In den 1830er Jahren war es die ständische Vertretung unter der Führung Josef von Giovanelli, in den 1860er Jahren die konservative Landtagsmehrheit unter der Führung von Ignaz von Giovanelli, die jeweils auf Einführung des Grundbuchs gerichtete Wünsche und Bemühungen der Zentralregierung durchkreuzten. Dabei anerkannte man allemal die Mängel und die Reformbedürftigkeit der Verfachbücher; man vermochte jedoch den Weg zu einer wirksamen Reform nicht zu finden. Für die schreiendsten Übelstände schuf man Abhilfe durch die in den Jahren 1869 bis 1872 durchgeführten „Hypothekenerneuerungen“, die jedoch trotz großen Kostenaufwandes und empfindlicher Behelligung der Bevölkerung nur vorübergehende Erleichterung brachte.

DIE TIROLER STÄNDE MAUERN

Im Jahr 1891 fand sich die Regierung neuerlich veranlasst durch eine Enquete den Zustand der öffentlichen Bücher zu erheben und die Reformfrage noch einmal dem Tiroler Landtag zu unterbreiten. Der Landtag wählte einen Grundbuchausschuss, dem fünf Klerikale und drei Liberale angehörten. Bei den Ausschussverhandlungen kam bald zu Tage, dass Karl von Grabmayr der einzige war, der über die Grundbücherfrage in ihrem ganzen, auch den Tiroler Berufsjuristen meist unbekannten, Umfang Bescheid wusste. So fiel Grabmayr ganz von selbst die Rolle des Wortführers der Grundbuchfreunde im Ausschuss des Tiroler Landtages zu und sie blieb ihm widerspruchslos in dem mehrjährigen um das tirolische Grundbuch geführten Kampf. Gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftreten übertrug ihm der Ausschuss trotz seiner mehrheitlich dem Grundbuch abgeneigten Stimmung einhellig die Berichterstattung für den Landtag.

Mit Spannung sah das ganze Land der Verhandlung entgegen, die im Landtag am 02. April 1892 über den Bericht des Grundbuchausschusses stattfand. Die Entscheidung fiel gegen das Grundbuch. Noch einmal siegte die konservative Tradition, der Widerwille gegen die Neuerung, das verständnislos aufgegriffene Schlagwort; noch einmal unterlag die Freude der Reform trotz der klaren Argumente, mit denen Karl von Grabmayr als Referent für die Notwendigkeit der Grundbucheinführung eintrat. Dreimal ergriff Grabmayr in dieser denkwürdigen Sitzung des Tiroler Landtags das Wort und – obwohl geschlagen – wurde Karl von Grabmayr doch zum Helden des Tages. Die ehrende Anerkennung des ganzen Landtags tröstete ihn darüber, dass sein Antrag bei der Abstimmung in später Abendstunde mit 19:24 Stimmen in der Minderheit blieb.

Das Grundbuch war damit neuerlich gefallen; die meisten glaubten für immer! Karl von Grabmayr sah die Niederlage nicht als entscheidende Episode und war fest entschlossen, den Kampf bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen und ihn nicht mehr ruhen zu lassen, bis endlich eine positive Entscheidung erreicht sei. Tirol sollte nicht länger ein kurioser Ausnahmsfall im Kreis der Kronländer sein.

KARL VON GRABMAYR GIBT NICHT AUF

Kaum war der Tiroler Landtag im September 1892 wieder versammelt, begegnete dieser als erstem Verhandlungsgegenstand einem von Karl von Grabmayr eingebrachten Antrag, einen achtgliedrigen Ausschuss mit der Beratung über die Reform der öffentlichen Bücher zu betrauen. In seiner Begründungsrede in der Sitzung vom 28. September 1892 betonte Grabmayr zum großen Missvergnügen der konservativen Mehrheit die Unhaltbarkeit des vom Landtag am 02. April 1892 gefassten Beschlusses. Grabmayr in dieser Rede: „Es gibt Majoritäten, die schon bei ihrer Bildung den bösen Keim der Schwindsucht in sich tragen und es gibt Minoritäten, in denen jeder Kundige den Kristallisationskern für eine künftige Mehrheit erblickt. Schon haben sich in dieser Frage zwei der hervorragendsten Mitglieder uns [den Grundbuchsfreunden] ankristallisiert und das weitere Fortschreiten dieses Prozesses, der auf der Affinität klarer Sachkenntnis beruht, können und werden Sie nicht aufhalten. … So wie in der Welt der Körper die lebendige Kraft das Produkt von Masse und Energie ist, so behauptet auch in der Welt der Geister, in der Politik, neben dem einen Faktor der Menge, der zweckbewusste Wille als zweiter gleichberechtigter Faktor seinen Rang.“

MAJORITÄTEN MIT SCHWINDSUCHT

Eine so selbstbewusste Sprache konnte Karl von Grabmayr nur führen, weil er aufgrund eingehenden Studiums von dem unausbleiblichen Sieg des Grundbuchs innigst überzeugt war. Der konservativen Mehrheit, die ja die Unhaltbarkeit des bestehenden Zustandes nicht zu leugnen vermochte, blieb nichts übrig, als seinen Antrag anzunehmen. In dem sohin gewählten Buchreformausschuss vertrat Grabmyr den Standpunkt, dass der Landtagsbeschluss vom 02. April 1892 den Grundbuchsgegnern die Pflicht auferlege, mit konkreten Vorschlägen über die von ihnen befürwortete Reform des Verfachbuches hervorzutreten. Wenn man schon das Grundbuch in Tirol nicht wolle, so müsse man ein zweckmäßig reformiertes Verfachbuch schaffen. Daher sei aus den Reihen der Verfachbuchfreunde ein Referent zu wählen, der die Frage studieren und dem Landtage im nächsten Sessionsabschnitt bestimmte Reformanträge vorlegen solle. Gegen diese Argumentation war keine Einwendung möglich und so wurde der angesehenste Jurist der konservativen Majorität, Dr. Josef Wackernell, als Referent mit der Aufgabe, das reformierte Verfachbuch zu erfinden, betraut.

Bei diesem Vorgang leitete Grabmayr die Erwägung, dass nach dem Landtagsbeschlusse vom 02.April 1892 die Aktion zugunsten des Grundbuches nicht eher mit Erfolg aufgenommen werden könne, bevor es nicht gelungen sei, die Unmöglichkeit einer brauchbaren Verfachbuchreform auf eine für jeden Unbefangenen überzeugende Art zu beweisen. Die Verfachbuchreformen ad absurdum zu führen, war das Ziel seiner Taktik.

Mit dieser Aktion im Landtage gab Grabmayr sich nicht zufrieden. Obwohl man die Grundbuchsfrage in Tirol seit nahezu hundert Jahren diskutierte, war doch fast niemand im Lande mit dem Wesen dieser Frage vertraut. Fanden schon die tirolischen Juristen nur ausnahmsweise einen Anlass, die Einrichtung des Grundbuches und das Grundbuchsrecht zu studieren, war vollends für die breiten Bevölkerungsschichten das Grundbuch ein sagenhaftes Ding, über welches mitunter ganz ungeheuerliche Fabeln kursierten. Es bestand ebensowenig über die rechtliche Natur des tirolischen Verfachbuchs, über dessen grundsätzliche Mängel und deren praktische Folgen, hinlängliche Klarheit. Hier galt es eine Literaturlücke auszufüllen und in einer monografischen Darstellung die Unbrauchbarkeit des Verfachbuches und die Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verfachbuchreform mit unanfechtbaren juristischen Argumenten zu beweisen.

VERFACHBUCH ODER PUBLICA FIDES?

So entstand Grabmayrs erste schriftstellerische Arbeit: Verfachbuch oder publica fides? Ein Beitrag zur Reform der öffentlichen Bücher in Tirol (Meran, F.W. Ellmenreich’s Verlag, Februar 1893). In der Vorrede der Broschüre heißt es: „Drei Wälle sind es, hinter denen sich in Tirol wie überall alter Schlendrian gegen die andringenden Reformen verschanzt: Vorurteil, Gewohnheit, Ängstlichkeit. An diesen dicken Wällen hat sich schon mancher gute Kopf wundgerannt, aber auch für diese Wälle kommt einmal die Zeit, wo sie morsch und bröckelig werden, und dann genügt oft ein letzter Stoß, sie zum Einsturz zu bringen. Wenn dieses Buch als ein solcher Stoß wirkt, ist meine Mühe reichlich gelohnt.“

Der Erfolg entsprach vollkommen Grabmayrs Erwartung. Auch die konservativen Kreise des Landes konnten sich des überzeugenden Eindrucks dieser die Reformfrage in ihrem ganzen Umfang erschöpfenden Beweisführung nicht erwehren. Das leitende konservative Blatt, die „Neuen Tiroler Stimmen“ vom 07.März 1893 fällte über sein Buch folgendes Urteil: „Konnte man schon im letzten Landtage, vor welchem Herr von Grabmayr als Berichterstatter des Grundbuchausschusses als Antragsteller die Sache des Grundbuches verfocht, dessen Meisterschaft der Rede bewundern, so liefert das vorliegende Werk den Beweis, das sein Verfasser auch ein Meister der Feder ist. Die lebendige, mit geistreichen Gedanken gewürzte Schreibweise lässt den Leser oft vergessen, dass er sich mit einem Gegenstand beschäftigt, welcher so trocken und so poesielos ist wie ein Verfachbuch oder Grundbuch nur immer sein kann. Man wird daher mit wahrem Vergnügen diese neue Erscheinung auf dem Büchermarkte lesen…dem Herrn von Grabmayr gebührt jedenfalls das Verdienst, durch dieses Buch zur Klärung der Angelegenheit einen bedeutenden Beitrag geliefert zu haben.“

Auf die Kreise der Verfachbuchfreunde übte das Buch eine geradezu lähmende Wirkung. Man fand sich total geschlagen und versuchte nicht einmal eine Entgegnung. In einem am 18.März 1893 im Liberalen Verein in Innsbruck gehaltenen Vortrage konnte Grabmayr bereits den Sieg des Grundbuchs proklamieren und seine Rede mit den zuversichtlichen Worten schließen: „Sollte es anders kommen, sollte die belagerte Majorität unter dem Einfluss einiger rücksichtsloser Fanatiker nach dem Beispiel der alten Garde lieber sterben als sich ergeben: Nun dann soll sie den Kampf haben, dann werden wir unter dem flatternden Feldzeichen des Fortschrittes, der Wissenschaft und Kultur die Verfachbuchfestung erstürmen. Mit allen Mitteln des äußersten Widerstandes kann die konservative Majorität nur mehr verzögern, nimmermehr verhindern den endlichen Sieg des Grundbuchs.“

Immerhin mussten noch volle drei Jahre vergehen, bis sich in einem neugewählten Landtag der Sieg des Grundbuchs endgültig entschied. Schritt für Schritt musste man die hartnäckigen Gegner aus ihren Positionen verdrängen. Zunächst hatte eine große, von der Regierung im Frühjahr 1893 durchgeführte Enquete ergeben, dass das Hauptargument der Grundbuchgegner, das Land wolle vom Grundbuch nichts wissen, längst nicht mehr wahr sei. Auch in Laienkreisen hatte sich ein Stimmungsumschwung vollzogen und allerorten erklärten sich große Mehrheiten der einvernommenen Vertrauensmänner für die Einführung des Grundbuchs.

VERFACHBUCHLIEBHABER KAPITULIEREN

Vollends ein tödlicher Schlag traf die landtäglichen Verfachbuchfreunde, als in dem neu versammelten Landtag ihr Kronjurist Dr. Josef Wackernell sich zur Erklärung gezwungen sah, dass auch er sich von der Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verfachbuchreform überzeugt habe. Grabmayrs Taktik trug nun ihre Früchte. Auch der Verfachbuchreferent Dr. Wackernell musste notgedrungen anerkennen, dass nach dem Fallenlassen der Verfachbuchreform nichts anderes übrig bliebe, als die Einführung des Grundbuches. Mit diesem Übertritt des Verfachbuchgenerals in das Lager der Gegner war das Schicksal des tirolischen Verfachbuches besiegelt. Von nun an galt es nur mehr die Indolenz der Regierung zu überwinden, die sich nur zögernd zur Einbringung der nötigen Gesetzesentwürfe entschloss. Auf Grabmayrs im Sommer 1893 im Landtag eingebrachte Interpellation stellte der Stadthalter die baldige Fertigstellung der die Grundbuchseinführung betreffenden Vorlagen in Aussicht. Mittlerweile setzte Grabmayr seine Agitation fort; dies durch die Veröffentlichung der Flugschrift: „Das Grundbuch im Tiroler Landtag“, die ein Resümee aller die Buchreform betreffenden Vorgänge und eine Beleuchtung der hilflosen Zerfahrenheit im Lager der Verfachbuchfreunde enthielt. Im ganzen Jahr 1894 gab es keinen Landtag. Als endlich im Jahr 1895 der Landtag wieder zusammentrat und noch immer keine Grundbuchsvorlagen auf seinem Tische fand, brachte Grabmayr in einer Rede die Enttäuschung und den Unwillen der Reformfreunde zu lebhaftem Ausdruck. Der Stadthalter wusste seinen von ihm als glänzend anerkannten Ausführungen mit nichts anderem zu begegnen als mit der erneuten Versicherung, dass die Regierung an der Absicht, das Grundbuch in Tirol einzuführen, unentwegt festhalte.

Im Landtag des Jahres 1896 löste die Regierung endlich ihr Wort ein. Im Ausschusse, dem die beiden Vorlagen (ein Landesgesetz und ein gewisse wünschenswerte Erleichterungen des allgemeinen Grundbuchsrechts gewährendes Reichsgesetz) zur Vorberatung zugewiesen wurden, entspann sich ein letzter Entscheidungskampf, in welchen die vom Abgeordneten von Zallinger geführten Grundbuchsgegner nur mit knapper Minorität unterlagen. Obwohl der von Grabmayr verfasste Ausschussbericht noch einmal mit großer Klarheit die zwingenden Gründe für die vom Landtag zu treffende Entscheidung vortrug (Beilage 87 ex 1896), so herrschten doch über den Ausgang bis zum letzten Moment aufgeregte Zweifel, da die bäuerliche Gruppe, deren Stimmen den Ausschlag geben mussten, noch immer unentschlossen schwankte. Am 05. Februar 1896 kam es zur Verhandlung. Als Vertreter der Familientradition, als Erbe historischer Vorurteile trat der Abgeordnete von Zallinger in diesen letzten Kampf ein, zu dessen erfolgreicher Führung es ihm vor allem an juristischem Wissen und sachlicher Beherrschung des wirklichen Stoffes gebrach. Mit höflicher Ironie hielt Karl von Grabmayr diesem schwachen Gegner gegenüber unter lebhaftem Beifall des Landtages dem Verfachbuch die Leichenrede. Unter dem Eindruck dieser mit so ungleichen Kräften geführten Debatte entschied sich auch die Mehrheit der bäuerlichen Abgeordneten für das unvermeidliche Reformwerk und so wurde die Einführung des Grundbuches im Tiroler Landtag mit großer Mehrheit von 30 gegen 12 Stimmen am 05. Februar 1896 beschlossen. Der glückliche Ausgang eines hundertjährigen Kampfes wurde im ganzem Land mit wärmstem Beifall begrüßt.

Der allgemeinen Stimmung gab die „Bozner Zeitung“ vom 7. Februar 1896 Ausdruck, indem sie unter anderem sagte: Es zeigt sich, dass nicht umsonst das Banner des Fortschritts auch in Tirol entfaltet wurde und dass es Bekenner findet, welche es zum Siege zu führen wissen. Und es zeigt sich, dass man eine gute Sache nur mit der nötigen Energie und Überzeugungstreue zu verfechten braucht, um doch endlich einen vollen Sieg erfechten zu dürfen. Herr von Grabmayr hat den Dank des ganzen Landes in reichem Maße verdient, denn er hat diesen Sieg durch seine Ausdauer und das Geschick, mit dem er die Sache vertrat, möglich gemacht. Er hat sich nicht abschrecken lassen von allem Pessimismus und aller Indolenz, welche mit Achselzuckender Resignation auf die Vergeblichkeit jeder Anstrengung hinwiesen, und er hat, beseelt von der Güte der von ihm mit Sachkenntnis verfochtenen Angelegenheit, auch warme, oft weit über das ihm naheliegende Schönrednertum hinausgehende Worte gefunden.

VATER DES TIROLER GRUNDBUCHES

Für Karl von Grabmayr war es ein stolzes Bewusstsein, dass es ihm gelungen war, was vor ihm so manche hervorragenden Männer, alle ausgezeichnete Juristen, vergeblich versucht. Benoni, Kiechl, Haßlwanter, Mages – sie alle hatten sich um die Reform der öffentlichen Bücher bemüht und sie alle waren an den eigentümlichen Schwierigkeiten der Aufgabe gescheitert. Dass Grabmayr gerade in den Landtag eintrat, als die reif gewordene Frage von Neuem zur Lösung drängte, war eine ihm widerfahrene Gunst des Schicksals. Halb im Scherz, halb im Ernst nannte man Karl von Grabmayr in tirolischen Juristenkreisen den „Vater des Tiroler Grundbuches“.

Auch auf die weitere Entwicklung des Tiroler Grundbuchwesens nahm Karl von Grabmayr nachhaltigen Einfluss. Nachdem der Landtag im Frühjahr 1897 auf seinen Bericht (Beilage 39 ex 1897) hin beschlossen hatte, dass die Grundbuchsgesetze sofort in Kraft zu treten haben, begann ein neues Stadium des Reformwerkes. Nun galt es behufs rascher und zweckmäßiger Durchführung der Reform die herkömmliche Indolenz und Schwerfälligkeit der Regierung zu überwinden und die Bereitstellung genügender Geldmittel für die Grundbuchanlegung zu erwirken. Schon in einem Aufsatz in der Meraner Zeitung vom 06. Dezember 1896 hatte Karl von Grabmayr in großen Zügen einen Plan entwickelt, wie das große Werk durch die ähnliche Vermehrung der Grundbuchskommissionen und die von Bezirk zu Bezirk fortschreitende Arbeit zweckmäßig gefördert und in absehbarer Zeit zu Ende geführt werden sollte. Durch Abstellung von vier Grundbuchskommissionen im Herbst 1897 wurde zunächst seinen Anträgen entsprochen, dann aber erlahmte der Eifer der Regierung und der Fortschritt geriet ins Stocken. Im Landtag des Jahres 1898 brachte Karl von Grabmayr den Gegenstand wieder zur Sprache und veranlasste einen Landtagsbeschluss, der von der Regierung eine rasche Förderung der Grundbuchsarbeiten verlangte. Doch weder dieser Beschluss, noch eine von ihm im Landtage des Jahres 1899 eingebrachte Interpolation bewogen die Regierung zur einer Änderung des unerträglich langsamen bürokratischen Tempos. Im Landtage des Jahres 1900 unternahm Karl von Grabmayr eine Aktion, um eine bei der Grundbuchsanlegung aufgetauchte, die bäuerlichen Interessen empfindlich berührende Schwierigkeit zu beheben. Es handelte sich um die Rechtsverhältnisse der sogenannten „Teilwälder“. Über seinen Antrag wurde vom Landtag ein Beschluss gefasst, der den Waldbesitzern zumindest die grundbücherliche Erfassung ihres Waldbesitzes als Servituten auf Gemeinde- bzw Fraktionsgrund ermöglichte.

Als Karl von Grabmayrs in Wien immer wieder bei den Ministern der Justiz und der Finanzen wegen des schleppenden Ganges der tirolischen Grundbuchanlegung erhobenen Vorstellungen erfolglos blieben, berief er im Frühjahr 1902 eine Versammlung aller tirolischen Reichsratsabgeordneten ein und erwirkte für sich das Mandat, bei der Budgetverhandlung im Namen aller Tiroler über die unverantwortliche Zurücksetzung des Landes Klage zu führen und durch ein Votum des Abgeordnetenhauses im Reichsrat Abhilfe zu erzwingen. Diese Aktion und die derselben entsprechende Budgetrede vom 12. Mai 1902 hatte endlich den Erfolg, dass sich die Regierung zur Erhöhung des für das tirolische Grundbuch geforderten Kredits und zur Aufstellung von fünf neuen Anlegungskommissionen bestimmt fand.

Aus: Karl von Grabmayr, Erinnerungen eines Tiroler Politikers 1892 bis 1920. Aus dem Nachlasse des 1923 verstorbenen Verfassers. Schlern-Schriften 135 (1955), Seite 14ff.

MP

Der
Gemeindeliebhaber

Stephan Ritter von Falser (*30.08.1855 in Innsbruck; † 19.03.1944 in Innsbruck) war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einer der einflussreichsten Tiroler Juristen. Sein beruflicher Werdegang als Richter führte ihn zu verschiedenen Zivilgerichten in Tirol und Vorarlberg sowie zum Oberlandesgericht Innsbruck; 1902 wurde er Richter am Verwaltungsgerichtshof in Wien, von 1912–1918 als Senatspräsident; von 1917–1920 auch Richter am Staatsgerichtshof sowie 1922–1930 als Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Von 1920 – 1926 war Falser als politischer Mandantar auch Mitglied des Bundesrates. Stephan Ritter von Falser beeinflusste mit seiner 1896 veröffentlichten Schrift „Wald und Weide im Tirolischen Grundbuch“ und durch seine Expertise als ausgewiesener Fachmann und (damals) Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck maßgeblich die Tiroler Grundbuchanlegung bzw die gesetzliche Grundlagen dazu (Gesetz vom 17. März 1897, LGuVOBl 9/1897, betreffend die Anlegung von Grundbüchern und die innere Einrichtung derselben [Tiroler Grundbuchsanlegungslandesgesetz] sowie die Durchführungs-VO zur Grundbuchanlegung LGuVOBl Tirol 1898/9 vom 10. April 1898 , Tiroler DVOGBA, samt zahlreichen Zirkularen und Anweisungen des Oberlandesgerichts Innsbruck in dieser Sachmaterie).
Stephan Ritter von Falser (*30.08.1855 in Innsbruck; † 19.03.1944 in Innsbruck) war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einer der einflussreichsten Tiroler Juristen. Sein beruflicher Werdegang als Richter führte ihn zu verschiedenen Zivilgerichten in Tirol und Vorarlberg sowie letztlich zum Oberlandesgericht Innsbruck; 1902 wurde er Richter am Verwaltungsgerichtshof in Wien, von 1912–1918 als Senatspräsident; von 1917–1920 auch Richter am Staatsgerichtshof sowie 1922–1930 Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Von 1920 – 1926 war Falser als politischer Mandantar auch Mitglied des Bundesrates. Stephan Ritter von Falser beeinflusste mit seiner 1896 veröffentlichten Schrift „Wald und Weide im Tirolischen Grundbuch“ und durch seine Expertise als ausgewiesener Fachmann und (damals) Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck maßgeblich die Tiroler Grundbuchanlegung bzw die gesetzliche Grundlagen dazu (Gesetz vom 17. März 1897, LGuVOBl 9/1897, betreffend die Anlegung von Grundbüchern und die innere Einrichtung derselben [Tiroler Grundbuchsanlegungslandesgesetz] sowie die Durchführungs-VO zur Grundbuchanlegung LGuVOBl Tirol 1898/9 vom 10. April 1898 , Tiroler DVOGBA, samt zahlreichen Zirkularen und Anweisungen des Oberlandesgerichts Innsbruck in dieser Sachmaterie).

Juli 1959: Die unter Eduard Wallnöfer als Landesrat personell neu aufgestellte Agrarbehörde legt durch ihren Leiter, Dr. Albert Mair, Rechenschaft ab über den Tätigkeitszeitraum 1949 bis 1958. Als Ursache für die Österreichweit einzigartig kritische und komplizierte Situation bei den agrarischen Gemeinschaften wird in diesem „Dezenniums-Bericht“ ein historisches Missverständnis verantwortlich gemacht:
Die Tiroler Forstregulierung 1847 sei bei der Tiroler Grundbuchanlegung (ab 1898) als eine kaiserliche Schenkung an die heutigen politischen Ortsgemeinden missverstanden worden; die heutigen politischen Ortsgemeinden seien mit den historischen Wirtschaftsgemeinden verwechselt worden. Deshalb sei das Eigentum an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zu Unrecht für die heutigen politischen Ortsgemeinden einverleibt worden.
In Wahrheit seien die historischen Wirtschaftsgemeinden, die „Realgemeinden“, die Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften; nach heutigem Rechtsverständnis handle es sich um Agrargemeinschaften.
Wegen der Vielzahl an unrichtigen Grundbucheintragungen hätte die Tiroler Agrarbehörde außergewöhnlich großen Erklärungs- und Richtigstellungsaufwand.

KLAGEN ÜBER FALSCHE GRUNDBÜCHER

Dem heutigen Leser des „Dezenniums-Berichts“ aus dem Jahr 1959 stellt sich die Frage, ob tatsächlich bei der Tiroler Grundbuchanlegung so viel schief gelaufen ist? Dr. Albert Mair hatte bereits in einem Vortrag auf der Tagung der  Österreichischen Agrarbehördenleiter in Bregenz 1958 über diese Ausgangslage der Tiroler Agrarbehördenarbeit geklagt! Bedauerlicher Weise fehlt es an leicht verfügbarem Zahlenmaterial für einen bundesländerübergreifenden Vergleich.
Eine intensive, letztlich vergebliche Suche nach dem osttirolischen agrarischen Aktenbestand aus der Zeit von 1938 bis 1947, als der Bezirk Osttirol verwaltungstechnisch Kärnten zugeschlagen war, hat zumindest für Kärnten eine verwertbare Stellungnahme hervorgebracht. Diese stammt von Leiter des Kärntner Landesarchives, Dr. Wilhelm Wadl.

Juni 2012: Der Leiter des Kärntner Landesarchives, Dr. Wilhelm Wadl, berichtet an das Tiroler Landesarchiv über die  historischen Verhältnisse im „restlichen“ Kärnten. Dort seien anlässlich der Neuanlage der Grundbücher sowohl die Bürgermeister, als auch die Obmänner der örtlichen Nachbarschaften vorgeladen worden, damit diese sich bei allen nicht in Individualbesitz stehenden Parzellen erklären, ob es sich um agrargemeinschaftliches Gut oder um öffentliches Gut handelte. „Dementsprechend wurden dann [eigene] Einlagezahlen für die jeweiligen Agrargemeinschaften gebildet und [nur] der restliche Gutsbestand in die Verzeichnisse des öffentlichen Gutes eingetragen.“

Agrargemeinschaftlich genutzte Liegenschaften wurden somit in den Kärntner Grundbüchern gar nie einer Ortsgemeinde als Eigentum zugeschlagen! Dr. Wadl abschließend in diesem Berichtsschreiben vom 20. Juni 2012: „Niemand in Kärnten würde daraus heute eine Enteignung der Gemeinden ableiten, obwohl in den Parzellenprotokollen des [Franziszeischen] Katasters in der Besitzerrubrik fast überall der durchaus mehrdeutige Begriff `Gemeinde xy´ aufscheint.“ Die Anlegung des Franziszeischen Grundstückskatasters ist in Kärnten bereits in den Jahren 1826 bis 1829 erfolgt. „Damals gab es in Kärnten noch keine politischen Ortsgemeinden und es hatte der Gemeindebegriff daher einen ganz anderen Bedeutungsinhalt als heute“, so Dr. Wadl vom Kärntner Landesarchiv. In eine ganz ähnliche Richtung geht eine Feststellung von Dr. Wolfram Haller, jenem Kärntner Agrarjuristen, der in der NS-Zeit für die agrarische Operation in Osttirol zuständig war. In seiner Abhandlung „Die Entwicklung der Agrargemeinschaften Osttirols“ aus dem Jahr 1947 zieht er kurz den Vergleich mit Kärnten und hält dazu fest, dass in Kärnten die Bildung von Gemeindegutswäldern überhaupt unterblieben sei.

KEINE GEMEINDEGUTSWÄLDER IN KÄRNTEN

Diese Äußerungen von hoch-kompetenter Seite erlauben jedenfalls den Schluss, dass zumindest bei einem Vergleich der Bundesländer Kärnten und Tirol ganz unterschiedliche Ausgangspositionen für die Arbeit der Agrarbehörden zu berücksichtigen sind:
Während die Kärntner Grundbuchanlegung agrarisches Gemeinschaftseigentum in eigenen Einlagezahlen einer Nachbarschaft bzw einer agrarischen Gemeinschaft als Eigentum zuordnete, haben die Tiroler Grundbuchanleger offensichtlich in vielen Fällen eine „Gemeinde“ als Eigentümerin angenommen, was – nachvollziehbar – einen außerordentlichen Aufwand in den Regulierungsverfahren nahelegt.
Gestützt wird dieser Befund durch die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren vor dem VfGH, G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, wonach bei der Grundbuchanlegung in Tirol einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen worden seien. Die Tiroler Landesregierung zusammenfassend: „Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ Dies im strikten Gegensatz zu den Verhältnissen in Kärnten!

Natürlich stellt sich die Frage, warum agrargemeinschaftliche Liegenschaften in Kärnten und in Tirol völlig unterschiedlich behandelt wurden?

VOM VERFACHBUCH ZUM GRUNDBUCH

Die Tiroler hatten sich bekanntlich sehr lange dagegen gesträubt, das nötige Landesgesetz zur Einführung des modernen Grundbuchsystems zu beschließen. Bereits mit 15. 2. 1872 war das Allgemeinen Grundbuchgesetz (RGBl 1871/95) in Kraft getreten; erst 25 Jahre später, nämlich am 24. März 1897 trat das Landesgesetz zur Tiroler Grundbuchanlegung in Kraft. Diese lange Übergangszeit hatte Stephan Ritter von Falser, damals Richter am Oberlandesgericht Innsbruck, genutzt, um eine Abhandlung zur grundbücherlichen Behandlung von Wald und Weide im Tirolischen Grundbuch zu veröffentlichen, die 1896 erschienen ist. Darin stellte Stephan von Falser unter anderem die These auf, dass der Tiroler Landesfürst im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1947 sein Obereigentum an den Tiroler Allmenden, an den Gemeinschaftsforsten und Gemeinschaftsweiden, den neuen politischen Ortsgemeinden  geschenkt hätte. Falser wörtlich: „Ein weiser Entschluss des Landesfürsten war es wieder, welcher das ihm von seinen Räten aufgenötigte allgemeine Waldeigentum an die natürlichste und ursprünglichste öffentlich-rechtliche Vereinigung der Volksgenossen, an die Gemeinde, zurückgab.“

Diese offenkundig unrichtige Beurteilung der Tiroler Forstregulierung 1847 kombinierte Falser mit der ebenfalls falschen Behauptung, dass ein Eigentum an einem Wald- oder Weidestück nur ersessen werden können, wenn selbiges für die Dauer der Ersitzungszeit allseitig eingezäunt war.

In Konsequenz behauptete Falser selbst für aufgeteiltes Waldvermögen, das bereits in den 1850er Jahren im Franziszeischen Grundstückkataster als Eigentum einzelner Hofbesitzer registriert  worden war, ein Gemeindeeigentum:

Die Eintragung der einzelnen Waldparzellen im so genannten Franziszeischen Grundstückkataster als Einzeleigentum des jeweiligen Hofbesitzers wurde von Falser für irrelevant hingestellt. Falser: „Bei diesen Waldungen werden sich die meisten Schwierigkeiten ergeben, auf welche schon früher hingewiesen worden ist. Entschieden unrichtig und zu nicht wünschenswerten Ergebnissen führend wäre die Behandlung aller dieser Wälder als Eigentumsliegenschaften derjenigen Personen, die welche darin auf Grund alter Theillibelle oder alten Herkommens das ausschließliche Einforstungsrecht genießen und denen diese Waldungen größtenteils, ja fast ausnahmslos im Besitzbogen [als Eigentum] zugeschrieben sind.“ Falser weiter: „Als Grundeigentümer solcher verteilter Gemeindewaldungen wird regelmäßig die Gemeinde selbst nach Maßgabe der Waldzuweisungsurkunde (Forsteigentumspurifikationsurkunde) zu betrachten und einzutragen sein, …“.

Dabei hatte Falser nicht übersehen, dass nur (!) die Stammliegenschaftsbesitzer die Gemeinschaftsliegenschaften nutzen. Falsers Lösung dazu: Es „dürfen die Nutzungen geschlossener Höfe an unverteilten Gemeindewaldungen nicht in das Grundbuch eingetragen werden, weil sich dieselben, solange der Wald unverteilt ist, nicht als dingliche Rechte am Waldboden darstellen, sondern lediglich als ein zeitweilig und bis auf Widerruf geübtes ausdrückliches oder stillschweigendes Übereinkommen der Gemeindemitglieder aufgefasst werden müssen, ihr Gemeindevermögen in der Weise zur Nutzung zu bringen, dass jedes Gemeindemitglied nach Anweisung der Gemeinde den/dasselbe betreffende Theil des Bodenertrages selbst bezieht und vor allem durch eigene Arbeite gewinnt.“

Richtiger Weise hätte Falser in all diesen Fällen ein ersessenes Waldeigentum erkennen müssen. Wer in den 1850er Jahren bereits im Grundstückskataster als Eigentümer erfasst worden war, hatte jedenfalls durch die hinzugetretene ausschließliche Nutzung während der folgenden 40 Jahre aus dem Rechtstitel der Ersitzung ein wahres Eigentum erworben!

IRRLEHREN EINES GEMEINDELIEBHABERS

Die Irrlehren des Stephan Ritter von Falser fanden Eingang in die Tiroler Durchführungsverordnung zum Grundbuchanlegungsgesetz vom 10.4.1898 (Tiroler DVOGBA). Von zwei Paragrafen zur Marginalrubik „Erhebung der Eigentumsrechte“ §§ 33f, widmet sich § 34 DVOGBA ausschließlich dem Gemeinschaftseigentum. An prominenter Stelle wird dort betont, dass zwischen „bloßen Nutzungsrechten am Gemeindegute und Eigentumsrechten“ sorgsam (!) zu unterscheiden sei.
Gar mancher Grundbuchjurist wird dies zum Anlass genommen haben, in Zweifelsfällen ein Eigentum der Ortsgemeinde anzunehmen. Dies umso mehr, als ein Flurverfassungsrecht, nach welchem Agrargemeinschaften konstituiert werden hätte können, damals in Tirol nicht existiert hatte.

In der nächstfolgenden Marginalrubrik, die von der Erhebung der Rechte an fremden Liegenschaften handelt (§§ 35 bis 37 DVOGBA) sind gleich drei Absätze der „Gemeindegutsnutzung“ gewidmet (§ 37 Abs 1 bis 3 DVOGBA).
Gleich einleitend wird das Gemeindegut dadurch besonders motiviert, dass Rechte daran dem Grundsatz nach nicht im öffentlichen Buch vermerkt werden müssten, weil diese im öffentlichen Recht gründen würden. „Nur wenn das Nutzungsrecht eines Hofes soweit entwickelt ist, dass es nicht mehr durch eine einseitige Verfügung der Gemeinde abgeändert werden“ könne, sei es „als ein Privatrecht und daher als eine Servitut zu beurteilen.“
Die DVOGBA weiter: „Hierher gehören insbesondere jene Fälle, in welchen ein Gemeindegrundstück der Nutzung nach dauernd an einzelne Höfe verteilt worden ist (zB die sogenannten Teilwälder). Solche Grundstücke seien im Kataster häufig als Eigentum der Nutzungsberechtigten eingetragen, müssten aber selbstverständlich (!) bei der Grundbuchsanlegung als Eigentum der Gemeinde bzw. der Teilgemeinde behandelt werden und ist für die nutzungsberechtigten Höfe lediglich die entsprechende Dienstbarkeit zu erheben und einzutragen.“
Wen wundert es, dass bei solchen Vorgaben für die Grundbuchbeamten zahllose Nachbarschaftsgründe als ein Gemeindeeigentum angeschrieben wurden.

TIROL STEHT ALLEINE

Bezeichnender Weise finden sich in keinem anderen Österreichischen Bundesland vergleichbare Vorgaben für die Grundbuchanlegungsbeamten. Während in Kärnten ein von der ganzen Nachbarschaft genutztes Waldstück offensichtlich dieser Nachbarschaft auch als Eigentum zugeschrieben wurde, hat man in Tirol ein Eigentum der Gemeinde oder „Fraktion“ angenommen und die Rechte der Nachbarn daran als „Gemeindegutsnutzung“ in die Disposition der politischen Instanzen verwiesen.
Und das Tiroler Phänomen der „Teilwälder“ erweist sich deshalb als ein „tirolisches“, weil in anderen Bundesländern ein Waldeigentum der Privaten, das schon im Franziszeischen Grundstückskataster ausgewiesen war, auch im Zuge der Grundbuchanlegung als privates Einzeleigentum anerkannt wurde.
Wie bereits Josef Schraffl, Gründungsobmann des Tiroler Bauernbundes von 1904 bis 1922 und späterer Landeshauptmann von Tirol (1917 bis 1920) im Jahr 1910 im Tiroler Landtag bemerkte, war das Phänomen des „Teil-“ oder „Nutzwaldes“ in Tirol unbekannt. Unbekannt, bis zur Inangriffnahme der Tiroler Grundbuchanlegung im Jahr 1898, als irregeleitete Grundbuchbeamte, instruiert vom Oberlandegericht Innsbruck, damit begonnen haben, tausende privater Waldparzellen umzuschreiben:
Aus privatem Waldeigentum einzelner, wurden Servitute auf angeblichem Gemeinde- oder Fraktionseigentum! Dies auf offenkundig falscher Rechtsgrundlage.

Eine zehnjährige Diskussion im Tiroler Landtag (1900 bis 31. Jänner 1910) zur Entschärfung des Rechtsstreits um die privaten Waldteile (Stichwort: „Tiroler Teilwaldstreit“) war einer der Konsequenzen der Irrlehren des Stephen Ritter von Falser.

Die andere Konsequenz der Falser´schen Irrlehren war es, dass die Tiroler Agrarbehörden, die im Jahr 1910 geschaffen wurden, viel häufiger mit angeblichen „Gemeindegütern“ konfrontiert waren, als die Agrarbehörden anderer Bundesländer.

Rechtsquellen:

1. „Dezenniumsbericht der Tiroler Agrarbehörde 1949 bis 1958“, III b1 vom 28. Juli 1959, „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde“, Seite 7f:

„Die tiefere Wurzel der auf dem Gebiet der tirolischen bäuerlichen Nutzungsrechte an den Gemeinde- und Fraktionswäldern in Österreich einzigartigen kritischen und komplizierten Situation ist auf die falsche Auslegung der Waldzuweisung aus dem Jahre 1847 zurück zuführen. Die kaiserliche Waldzuweisung wollte eindeutig den bäuerlichen alten Wirtschafts- und Realgemeinden die Waldungen zu Besitz und Nutzung zuweisen und man hat trotz dieses klaren Gesetzeswillens durch die spätere Gemeindegesetzregelung in einer völlig falschen rechtlichen Beurteilung und Auslegung des Waldzuweisungspatentes diese Wirtschaftsgemeinden mit den erst nach der Waldzuweisung 1847 entstandenen heutigen politischen Gemeinden gleichgesetzt und diesen politischen Gemeinden grundbücherlich dann auch in den meisten Fällen das Eigentum am agrargemeinschaftlichen Gut einverleibt.“

2. Auszug aus der Rede des Josef Schraffl im Tiroler Landtag am 31.Jänner 1910, Sten Berichten des Tiroler Landtages, 7. Sitzung der II. Session der X. Landtagsperiode am 31.Jänner 1910, als der Tiroler Landtag mit einer Gesetzesänderung im Gemeinderecht einen Ausweg aus der Teilwaldmisere fand:

„Mein Vorredner hat darauf hingewiesen, dass man früher von einem Teilwalde bzw. einer Nutzwaldung wenig gehört hat und dass die Beunruhigung erst ins Volk hineingetragen worden sei. Gewiss, ich war selbst dabei in dem Momente, wo die Teilwälderfrage in das Volk hineingetragen wurde. In Lienz war es bei der Eröffnung des Grundbuchs über die Gemeinde Gaimberg. Damals hat der Vertreter des Landesausschusses namens der Gemeinde Gaimberg gegen den Willen der ganzen Gemeinde erklärt, dass sämtliche Teilwälder dieser Gemeinde Eigentum derselben“ seien. „Ich habe über Auftrag des Vorstehers den Vertreter des Landesausschusses gefragt: ´Wie meinen Sie das?´ Da wurde mir gesagt, die einzelnen Nutznießungsberechtigten haben keine anderen Rechte auf die Teilwälder, die sie bisher genossen haben, als das Recht, das ihnen aufgrund des § 61 der Gemeindeordnung zusteht. Ich fragte weiters: ´Kann also in Zukunft in den Teilwäldern nicht mehr das Holz dort bezogen werden, von wo der Bauer dasselbe bisher bezogen hat?´ Der Landesausschussvertreter erklärte: Nein, in Zukunft kann die Gemeinde das Holz anweisen unten oder oben, wo es ihr beliebt. … Meine Herren, die Teilwälder sind dadurch, dass man Jahrzehnte hindurch den Bauer als Eigentümer behandelt hat, dass man ihn besteuert und ihm Taxen und Gebühren vorgeschrieben hat, im Bewusstsein der Bevölkerung zum Eigentum der Bauern geworden und, weil man bei der Anlegung des Grundbuchs dem Bauern jetzt plötzlich ein Eigentum bestritten hat, das er rechtlich erworben und zu besitzen glaubte, darum ist die Teilwälderfrage entstanden.

Ich habe die Hoffnung, dass heute in dieser wichtigen Frage, die so viele Leute beunruhigt hat, endlich die letzte Entscheidung fällt. Ich mache das Hohe Haus darauf aufmerksam, dass der Standpunkt des geehrten Kollegen im Landesausschusse von Tausenden und Tausenden von Bauern nicht verstanden wird und dass ich draußen unter dem Volke nirgends gehört habe, dass die Bevölkerung mit meiner Stellungnahme nicht einverstanden ist. Ich selbst war es, meine Herren, der eine Massenpetition dem Herrn Ministerpräsidenten überreicht hat, in der ungefähr 6000 Bauern, die sich auf etwa 200 Gemeinden verteilten, die Regierung um Hilfe gegen die eigene Landesvertretung gebeten haben. Wenn Sie daher, meine Herren, dieser Änderung des § 61 der Gemeindeordnung zustimmen, so kann ich Ihnen mitteilen, dass die Regierung damit einverstanden ist. Drei Ministerien haben sich bereits dafür ausgesprochen. Glauben Sie, dass das alles Beteiligte sind, glauben Sie, dass der Justizminister Hochenburger mein Parteigenossen ist? Wäre derselbe nicht überzeugt, dass die Teilwälderfrage aus der Welt geschafft werden müsse, wäre er nicht überzeugt, dass in diesem Streite ein magerer Vergleich besser ist als etliche Tausend Prozesse, würde er nicht dafür sein. Dafür ist auch das Ministerium des Inneren. Dass auch das Ackerbauministerium dafür ist, werden Sie begreiflich finden. Ich bitte daher das Hohe Haus, diesem Antrage zuzustimmen. Dadurch wird endlich wieder Ruhe, und nur darum wird die ganze unleidliche Verhetzung aus der Welt geschafft. Tatsache ist – man mag blind sein, wie man will – Tatsache ist, dass die Bauern in der Angst, dass man ihnen ihre altersessenen Rechte nimmt, die Wälder in ganz unverhältnismäßiger Weise abholzen und dass sie dadurch dem ganzen Land und sich selbst großen Schaden zufügen. Tatsache ist, dass unsere Hoch- und Schwarzwälder eine Umtriebszeit von ca. 100 Jahren haben und dass der Bauer unmöglich seinen Wald schonen und aufforsten kann, wenn er keine Garantie hat, dass der Besitz des Waldes auf seine Kinder und Enkelkinder übergeht. Wenn der Bauer sieht, dass das, was seinem Großvater noch an Eigentum gehört hat, was seinem Vater noch angehörte, ihm nicht mehr gehören soll, wie kann er dann ruhig warten, dass die Bäume hiebreif sind? Muss er doch fürchten, wenn ihm heute der Grundbesitz genommen wird, dass ihm nächstens auch das Nutzungsrecht genommen werden kann.

Wenn es sich um Steuern handelt, ist es immer der Bauer, den sie treffen. Wenn es sich aber um Rechte handelt, dann hat der Bauer kein Recht. Solche Zustände müssen das Volk in seiner Rechtsüberzeugung irre machen. Darum glaube ich, dass diese Frage aus der Welt geschafft und wieder Rechtssicherheit und Beruhigung der Besitzenden eintreten muss. Was geschehen ist, war zum Nachteil des Landes und darum bitte ich das Hohe Haus, den Antrag anzunehmen.“

MP

Josef Schraffl und das Waldeigentum

Josef Schraffl (* 13. Juni 1855 in Sillian, Osttirol; † 11. Jänner 1922 in Innsbruck) war Bürgermeister von Sillian, ab 1898 Landtagsabgeordneter, ab 1901 auch Reichsratsabgeordneter in Wien, er war Obmann des Tiroler Bauernbundes von 1904 bis 1922, ab 1908 Mitglied des Tiroler Landesausschusses und von 1917 bis 1920 Landeshauptmann von Tirol.
Josef Schraffl (* 13. Juni 1855 in Sillian, Osttirol; † 11. Jänner 1922 in Innsbruck) war Bürgermeister von Sillian, ab 1898 Landtagsabgeordneter, ab 1901 auch Reichsratsabgeordneter in Wien, er war Obmann des Tiroler Bauernbundes von 1904 bis 1922, ab 1908 Mitglied des Tiroler Landesausschusses und von 1917 bis 1920 Landeshauptmann von Tirol.

Die Tiroler Grundbuchanlegung hat jedenfalls in zweierlei Hinsicht versagt: Zum einen wurden tausende Waldparzellen, die im Grundstückskataster aus den 1850er Jahren als Einzeleigentum ausgewiesen waren, auf Gemeindeeigentum umgeschrieben; zum anderen wurde das Gemeinschaftseigentum an Wäldern und Almen in hunderten Fällen als ein Eigentum einer „Gemeinde“ oder einer „Fraktion“ ausgewiesen, anstatt als Nachbarschaftseigentum bzw als Agrargemeinschaft.

Während die Einverleibung des Einzeleigentums an tausenden Waldparzellen in das „Gemeinde- bzw Fraktionseigentum“ beinahe einen Volksauftand auslöste (insbesondere im Pustertal!), ging die Einverleibung des Gemeinschaftseigentums in aller Regel unspektakulär über die Bühne. Die Tiroler Nutzungsberechtigten haben sich in Summe als „Gemeinde“ verstanden; die Eigentümerbezeichnung „Gemeinde“ für das private Gemeinschaftseigentum wurde meist von den Nutzungsberechtigten selbst bzw ihren Vertretern so beantragt.

Josef Schraffl, Bürgermeister von Sillian, ab 1898 Abgeordneter zum Tiroler Landtag, ab 1901 auch Reichsratsabgeordneter in Wien, war Ende der 1890er Jahre von den Gaimberger Grundbesitzern um Hilfe gebeten worden. Deren Waldparzellen, die laut Grundparzellenkataster alle als Privateigentum ausgewiesen waren, sollten als Gemeindeeigentum erfasst werden. In seiner Rede im Tiroler Landtag vom 31.01.1910 schildert Josef Schraffl die damalige Bestürzung der Waldeigentümer in dramatischen Worten.

Josef Schraffl im Jahr 1910: „… Gewiss, ich war selbst dabei in dem Momente, wo die Teilwälderfrage in das Volk hineingetragen wurde. In Lienz war es bei der Eröffnung des Grundbuchs über die Gemeinde Gaimberg. Damals hat der Vertreter des Landesausschusses namens der Gemeinde Gaimberg gegen den Willen der ganzen Gemeinde erklärt, dass sämtliche Teilwälder dieser Gemeinde Eigentum derselben wären. … Ein Bauer rief dann erregt, ja hat dann derjenige, der den Wald bisher geschont und gespart hat, für die Gemeinde geschont und gespart und derjenige, der ihn versoffen hat, hat gut getan, weil ihm wenigstens kein Holz mehr genommen werden kann! …“

Die offenkundig rechtswidrige Vereinnahmung der privaten Waldparzellen als „Gemeinde- bzw Fraktionseigentum“ (= „Teilwälder“) beschäftigte für mehr als ein Jahrzehnt den Tiroler Landtag. Auch die Gründung der Organisation der Tiroler Bauernschaft stand in engem Zusammenhang mit der ausgelösten großen Unruhe und Unzufriedenheit im Tiroler Bauernstand. In der Resolution des „Sterzinger Bauerntages 1904“ heißt es dazu: „Der erste allgemeine Tiroler Bauerntag erklärt, dass die Behandlung, welche das Eigentum an den Teilwäldern bei der Anlegung des Grundbuches bisher gefunden hat, der fast überall herrschenden Rechtsanschauung des Volkes widerspricht und dass die Eintragung der Gemeinden als Waldeigentümer als eine Schädigung des Rechts der Besitzer empfunden wird. Der Bauerntag fordert, dass der im Volk herrschenden Rechtsanschauung entsprochen wird und dass dort, wo diese für das Eigentum der Besitzer spricht, die Besitzer als Eigentümer der Wälder im Grundbuch eingetragen werden.“

Josef Schraffl und seinen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass im Wege einer am 31.01.1910 beschlossenen Änderung der Tiroler Gemeindeordnung in vielen Tiroler Gemeinden das Privateigentum an den Waldparzellen wieder hergestellt wurde. Dies auf Basis von Verträgen zwischen der jeweiligen Ortsgemeinde und den Grundeigentümern.

In den Ortsgemeinden jedoch, wo man von der damals eröffneten Chance keinen Gebrauch machte und erst durch die Regulierung einen „Teilwald-Agrargemeinschaft“ das Privateigentum durchsetzte, schlägt die damalige Vollzugspraxis wieder durch: Heute wird ein Gemeindeeigentum behauptet, das mit Hilfe des „Substanzrechts der Ortsgemeinde“ und eines Substanzverwalters exekutiert wird.

WALDEIGENTUM UND GRUNDBUCH

Seit dem Jahr 1900 haben Josef Schraffl, Prälat Professor Dr. Aemilian Schöpfer und ihre Mitstreiter für die Anerkennung des Privateigentums an den Waldteilen gekämpft. Nach einer zehnjährigen Auseinandersetzung fanden Josef Schraffl und seine Mitstreiter den Lösungsweg in einer Änderung der Tiroler Gemeindeordnung. Am 31. Jänner 1910 wurde über einen entsprechenden Gesetzesantrag im Landtag debattiert. Die stenographischen Landtagsberichte halten folgende Rede des Bauernbundobmanns Josef Schraffl, Mitglied des Landesausschusses und später Landeshauptmann von Tirol, fest:

„Der Herr Baron Sternbach hat darauf hingewiesen, dass man früher von einem Teilwalde bzw. einer Nutzwaldung wenig gehört hat und dass die Beunruhigung erst ins Volk hineingetragen worden sei. Gewiss, ich war selbst dabei in dem Momente, wo die Teilwälderfrage in das Volk hineingetragen wurde. In Lienz war es bei der Eröffnung des Grundbuchs über die Gemeinde Gaimberg. Damals hat der Vertreter des Landesausschusses namens der Gemeinde Gaimberg gegen den Willen der ganzen Gemeinde erklärt, dass sämtliche Wälder in dieser Gemeinde Eigentum derselben sind. Ich habe über Auftrag des Vorstehers der Gemeinde den Vertreter des Landesausschusses gefragt: ‚Wie meinen Sie das?‘ Da wurde mir gesagt, die einzelnen Nutznießungsberechtigten haben keine anderen Rechte auf die Teilwälder, als das Recht, das ihnen aufgrund der Gemeindeordnung zusteht. Ich fragte weiters: ‚Kann also in Zukunft in den Wäldern nicht mehr das Holz dort bezogen werden, von wo der Bauer dasselbe bisher bezogen hat?‘ Der Landesausschussvertreter erklärte: ‚Nein, in Zukunft kann die Gemeinde das Holz anweisen unten oder oben, wo es ihr beliebt.‘ Ein Bauer rief dann erregt, ja hat dann derjenige, der den Wald bisher geschont und gespart hat, für die Gemeinde geschont und gespart und derjenige, der ihn versoffen hat, hat gut getan, weil ihm wenigstens kein Holz mehr genommen werden kann!

Meine Herren, die Wälder sind dadurch, dass man Jahrzehnte hindurch den Bauer als Eigentümer behandelt hat, dass man ihn besteuert und ihm Taxen und Gebühren vorgeschrieben hat, im Bewusstsein der Bevölkerung zum Eigentum der Bauern geworden und weil man bei der Anlegung des Grundbuchs den Bauern jetzt plötzlich ein Eigentum bestritten hat, das er rechtlich erworben und zu besitzen glaubte, darum ist die Teilwälderfrage entstanden.

Ich habe die Hoffnung, dass heute in dieser wichtigen Frage, die so viele Leute beunruhigt hat, endlich die letzte Entscheidung fällt. Ich mache das Hohe Haus darauf aufmerksam, dass der Standpunkt des geehrten Kollegen Baron Sternbach von Tausenden und Tausenden von Bauern nicht verstanden wird. Ich selbst war es, meine Herren, der eine Massenpetition dem Herrn Ministerpräsidenten überreicht hat, in der ungefähr 6000 Bauern, die sich auf etwa 200 Gemeinden verteilten, die Regierung um Hilfe gebeten haben. Drei Ministerien haben sich bereits dafür ausgesprochen. Glauben Sie, dass das alles Beteiligte sind? Glauben Sie, dass der Justizminister Hochenburger mein Parteigenosse ist? Dafür ist auch das Ministerium des Inneren. Dass auch das Ackerbauministerium dafür ist, werden Sie begreiflich finden. Ich bitte daher das Hohe Haus, diesem Antrage zuzustimmen. Dadurch wird endlich wieder Ruhe, und nur dadurch wird die ganze unleidliche Verhetzung aus der Welt geschafft. Wenn es sich um Steuern handelt, ist es immer der Bauer, den sie treffen. Wenn es sich aber um Rechte handelt, dann hat der Bauer kein Recht. Solche Zustände müssen das Volk in seiner Rechtsüberzeugung irre machen. Darum glaube ich, dass diese Frage aus der Welt geschafft und wieder Rechtssicherheit und Beruhigung der Besitzenden eintreten muss. Was geschehen ist, war zum Nachteil des Landes und darum bitte ich das Hohe Haus, den Antrag anzunehmen.“

Der Tiroler Landtag hat dem Gesetzesantrag die Zustimmung erteilt, womit der Streit um das Eigentum an den aufgeteilten Wäldern im Sinne von Josef Schraffl und Prälat Dr. Aemilian Schöpfer einem guten Ende zugeführt werden konnte.

FORDERUNGEN DER BAUERN

7000 Teilnehmer waren am Sonntag, 5. Juni 1904, zum „Großen Sterzinger Bauerntag“ gekommen. Bereits am Vortag, Samstag,
4. Juni 1904, hatte Josef Schraffl die Delegiertenversammlung eröffnet, die das Forderungsprogramm des Bauerntages beschlossen hat. Ein wesentliches Anliegen des Sterzinger Bauerntages war es, das empfundene Unrecht der Tiroler Grundbuchsanlegung zu korrigieren. Die in Tirol tätigen Grundbuchanlegungskommissäre hatten tausende Waldparzellen als Gemeindeeigentum erklärt, obwohl diese Waldparzellen nach allgemeiner Rechtsanschauung Alleineigentum der jeweiligen Waldbesitzer waren. Die übergeordneten Grundbuch-Anlegungs-Kommissionen entschieden jedoch gegen die Auffassung der Landbevölkerung. Der Bauerntag forderte, dass der im Volk herrschenden Rechtsanschauung entsprochen werde und dass dort, wo die herrschende Auffassung ein Eigentum der Waldbesitzer voraussetze, das Alleineigentum der Waldbesitzer im Grundbuch einzutragen sei.

Bereits in den 1850er Jahren, sohin rund 40 Jahre vor Inangriffnahme der Grundbuchanlegung in Tirol, waren sämtliche Grundparzellen Tirols systematisch erfasst worden. Dabei wurde ausnahmslos jede Grundparzelle einem oder mehreren bestimmt bezeichneten Eigentümern zugeordnet. Der Vorgang ist bekannt als Erstellung des „Franziszeischen Grundstückskatasters“, auch „stabiler Kataster“ genannt. Das Neue am „Franziszeischen Grundstückskataster“ war, dass im gesamten Kaisertum Österreich ausnahmslos jedes Grundstück erfasst wurde. Der „Franziszeische Steuerkataster“ gliedert sich nach Katastralgemeinden und besteht im Wesentlichen aus einer „Urmappe“, aus einem Grundparzellenprotokoll samt Zuordnung zum jeweiligen Eigentümer und aus einem Eigentümerverzeichnis samt Zuordnung des jeweiligen Grundeigentums. Dieser Kataster ist der Vorgänger der heutigen Grundstücksdatenbank sowie der „Digitalen Katastralmappe“ des Grundbuches.

Zurückgehend auf die These des damaligen Richters am Oberlandesgericht Innsbruck, Stephan Ritter von Falser, wonach das Waldeigentum in Tirol grundsätzlich den Ortsgemeinden zustehe, wurde in unzähligen Fällen das Waldeigentum der Tiroler, das vierzig Jahre zuvor im Steuerkataster erfasst worden war, bei der Grundbuchanlegung in Gemeindeeigentum umgeschrieben. Stephan Ritter von Falser hatte in seiner Abhandlung zum Thema „Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche“ (Innsbruck 1896) die Rechtsauffassung vertreten, dass der Tiroler Landesfürst im Zuge der Tiroler Forstregulierung von 1847 das Eigentum an den Tiroler Wäldern den politischen Gemeinden geschenkt hätte; ersessenes Waldeigentum wurde von ihm nur anerkannt, wenn ein Wald an vier Seiten vollständig umzäunt war. Die Durchführungsverordnung zur Tiroler Grundbuchanlegung vom 10. April 1898 gründete auf Falsers Rechtsauffassung und das Oberlandesgericht Innsbruck hat diese Rechtsauffassung bei der Grundbuchanlegung vollzogen.

Die massenhafte Umschreibung von Waldstücken von Privateigentum in Gemeindeeigentum führte zu einem Aufschrei der betroffenen Waldbesitzer. Die Grundbuchanlegungsbeamten haben darauf mehrheitlich jedoch keine Rücksicht genommen – umso mehr jedoch Josef Schraffl und seine Mitstreiter im Tiroler Landtag. Bereits am 2. Mai 1900 wurde mit einem Landtagsbeschluss der Versuch unternommen, gegen diese Praxis einzuschreiten. Folgendes hat der Tiroler Landtag am 2. Mai 1900 beschlossen: „Nach der Überzeugung des Landtages muss in allen Fällen, wo sich aus den gepflogenen Erhebungen ergibt, dass Besitzer von Waldteilen, sei es aufgrund einer rechtsgültigen Teilungsurkunde, sei es gemäß unvordenklicher, gleichmäßiger ungestörter Übung, die Holz- und Streunutzung aus den betreffenden Waldteilen unbeschränkt und ausschließlich bezogen haben, dieses von den Nutzungsbefugnissen des § 63 Gemeindeordnung wesentlich verschiedene Recht im Grundbuche, falls es sich nicht als formelles Eigentumsrecht der Teilwaldbesitzer qualifiziert, in anderer geeigneter Weise als dingliches Recht eingetragen werden.“

LANDTAGSBESCHLUSS VOM MAI 1900

Vor diesem Beschluss des Tiroler Landtages vom Mai 1900 hatte sich ein eigens eingesetzter Ausschuss des Landtages mit den Rechtsverhältnissen an den aufgeteilten Wäldern befasst. Ausführlich wird im Ausschussbericht vom 29. April 1900 der Auffassung des Oberlandesgerichts Innsbruck entgegengetreten, wonach die Tirolerinnen und Tiroler an ihren Wäldern nur Gemeindegutsnutzungen besäßen:

„Man hat bisher bei der Grundbuchanlegung den Weg eingeschlagen, das Recht der Teilwaldbesitzer einfach zu ignorieren. Die Gemeinden wurden aufgrund der Waldzuweisungsurkunden als Eigentümer der Waldungen eingetragen, den Teilwaldbesitzern wurde nicht nur das Eigentumsrecht abgesprochen, sondern es wurde auch die Eintragung ihres Rechts als Servitutsrecht verweigert. Dies geschah selbst dann, wenn die Gemeinden das Recht der Teilwaldbesitzer anerkannten und die Eintragung dieses Rechtes, sei es als Eigentum, sei es als Dienstbarkeit, verlangten. Der Ausschuss ist nun einstimmig der Ansicht, dass sich ein solcher Vorgang mit der Billigkeit, mit der gebotenen Rücksicht auf das Herkommen, auf die Gewohnheiten und Rechtsanschauungen der Bevölkerung durchaus nicht verträgt. Wenn Generationen von Hofbesitzern den Waldteil ausschließlich nutzten und durchaus als freies Eigentum besaßen, wenn der Wald bei allen Besitzübergängen, bei Käufen und Verhandlungen als Eigentum übertragen wurde, wenn der Wald im Kataster als Eigentum des Hofbesitzers erscheint und auch von ihm versteuert wird, und wenn nun auf einmal der pedantische Jurist kommt und der jahrhundertealten Rechtsübung zuwider den Wald dem Besitzer einfach wegnimmt, so wird ein solcher Vorgang von den Betroffenen als ein Raub, als eine empörende Konfiskation ihres wohlerworbenen Besitzes empfunden. Dazu ist das Recht nicht da, um solches Unrecht zu schaffen; hier heißt es wirklich ‚summum ius summa iniuria‘; hier gilt das Goethe’sche Wort: ‚Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage!‘ Als doppelt unleidlich erscheint eine solche Behandlung der Teilwälder, weil sich die ungerechte Beraubung gerade an den besten und wirtschaftlichsten Elementen des Bauernstandes vollzieht. Der Wald ist die Sparkasse des Bauern. Allen Besitzern, die samt ihren Vorfahren den Wald geschont, die Sparkasse gefüllt haben, entreißt man mit einem Federstrich das wertvolle Ergebnis jahrzehntelanger weiser Ökonomie, während die verschwenderischen Waldverderber, die ihre Teilstücke längst abgeholzt haben, mit Ruhe zusehen können, wie der wertlos gewordene Waldboden zugunsten der Gemeinde konfisziert wird. Solche Dinge dürfen nicht weiter geschehen! Solch schreiendem Widerspruch zwischen juristischem Formalismus und lebender Rechtsbildung dürfen wir nicht tatlos zusehen; wir müssen Mittel und Wege finden, das Recht mit dem Rechtsbewusstsein des Volkes in Einklang zu bringen.“

Über zehn Jahre hatten Josef Schraffl und seine Mitstreiter im Landtag gegen die Vorgehensweise der Grundbuchanlegung und die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Innsbruck angekämpft. Die stenografischen Landtagsberichte geben darüber beredtes Zeugnis.

31.01.1910: STERNSTUNDE IM LANDTAG

Erst die Wahlen zum Tiroler Landtag im Jahr 1908 brachten Bewegung in die starren Fronten. Unter der Führung von Josef Schraffl und Dr. Aemilian Schöpfer war die Christlichsoziale Partei in Konsequenz der Wahlen im Jahr 1908 zur bestimmenden Kraft im Tiroler Landtag geworden. Innerhalb dieser Bewegung dominierten die Abgeordneten der Landgemeinden, aufgestellt vom 1904 gegründeten und von Josef Schraffl geführten Bauernbund. Schraffl und Dr. Schöpfer waren fest entschlossen, die Auseinandersetzung um das Eigentum an den Waldteilen zu einem gerechten Ende zu bringen. Nachdem ein im Sommer 1909 unternommener Versuch gescheitert war, die Grundbuchanlegung so lange zu stoppen, bis die Teilwälder-Frage geklärt sei, wurde Landesrat Dr. Josef Jordan ins Pustertal entsandt, um die erforderlichen Fakten für alternative Lösungen zu erheben.

Auf der Grundlage der Erhebungen von Dr. Josef Jordan wurde am 28. Jänner 1910 im Agrarausschuss, Berichterstatter Professor Dr. Aemilian Schöpfer, folgender Beschluss gefasst: Der Hohe Landtag wolle beschließen: I. Der beiliegende Gesetzesentwurf wird genehmigt. II. Der Landesausschuss wird beauftragt, hiefür die allerhöchste Sanktion zu erwirken. III. Der Landesausschuss wird beauftragt, zur ehesten Lösung der Teilwälderfrage seine Mitwirkung dahin zu bieten, dass zwischen den Gemeinden und Waldbesitzern geschlossene Vergleiche, durch die einerseits das Eigentum der Besitzer an den Wäldern anerkannt bzw. im Wege der Teilung aufgrund der Novelle zum § 61 der Gemeinde-Ordnung ihnen übertragen, andererseits die Aufrechterhaltung der bisher bestandenen gemeinschaftlichen Nutzungsrechte gesichert wird, die Genehmigung des Landesausschusses erhalten. Der Landesausschuss wird ferner beauftragt, beim k. k. Oberlandesgerichte, bzw. bei der Grundbuch-Landesanlegungskommission sich dahin zu verwenden, dass bereits im Grundbuchanlegungs- und nicht erst im Richtigstellungsverfahren die Eintragung des Waldeigentums aufgrund solcher Vergleiche erfolge.“ (Beilage 140 zu den Berichten des Tiroler Landtages, X. Periode, II. Session 1910)

Der vom Agrarausschuss beantragte Gesetzesentwurf lautete wie folgt: „Artikel I. § 61 der Gemeindeordnung ist in seiner bisherigen Fassung aufgehoben und hat in Zukunft zu lauten wie folgt: Das Stammvermögen und das Stammgut der Gemeinde und ihrer Anstalten und Fonde ist ungeschmälert zu erhalten. Ein vorzügliches Augenmerk hat die Gemeinde auf die Erhaltung und nachhaltige Pflege ihrer Waldungen zu richten und sie hat die forstpolizeilichen Vorschriften genau zu befolgen und befolgen zu machen. Zur Verteilung des Stammvermögens und des Stammgutes oder eines Teiles derselben unter die Gemeindeglieder ist in der Regel ein Landtagsbeschluss erforderlich. Wenn es sich um die Verteilung eines bereits nach bestimmten Nutzungsflächen zugeteilten Stammgutes der Gemeinde unter Aufrechterhaltung der bestehenden gemeinschaftlichen Nutzungsrechte handelt, oder wenn die Verteilung des Gemeindegutes aufgrund des Gesetzes vom 19. Juni 1909, LGBl Nr. 61, vorgenommen wird, ist nur die Genehmigung des Landesausschusses erforderlich. II. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Kundmachung in Kraft.“ Am 31.01.1910 beschloss der Tiroler Landtag diese Novelle zur Tiroler Gemeindeordnung 1866. Das Gesetz wurde am 30.06.1910 im (Tiroler) Gesetz- und Verordnungsblatt LGBl 65/1910, publiziert.

ERSUCHEN DER GEMEINDEVORSTEHUNG VON ROPPEN AN DEN LANDESAUSSCHUSS VOM 09.05.1907

Der Gemeindeausschuss von Roppen fasste in seiner Sitzung vom 14. April 1907 neuerlich einstimmig folgenden Beschluss: „Die Gemeinde Roppen erkennt das volle und unbeschränkte Eigentumsrecht der dermaligen Besitzer an ihren Teilwäldern an und beruft sich dabei auf den gleichlautenden Gemeindeausschussbeschluss vom 8. Dezember 1901 und dessen Begründung, welcher am 26. Dezember 1901 Nr. 654 dem Hohen Landesausschuss zur Genehmigung vorgelegt worden ist, sowie auf die protokollarischen Darlegungen und Eingaben gelegentlich der Grundbuchanlage. Dieser Beschluss stützt sich auf folgende Rechtsgründe: In der Gemeinde Roppen gibt es nach dem Eigentumsrechte drei Arten von Wäldern, Gemeindewälder, Interessentschaftswälder und Teilwälder, ortsüblich ‚Waldteile‘ genannt (als der dem Besitzer als Eigentum gehörige Teil des Waldes). Während Gemeinde- und Interessentschaftswälder Eigentum der Gemeinde bzw. einer Gruppe von Besitzern, zum Beispiel einzelner Fraktionen sind, haben die Waldteilbesitzer seit unerdenklichen Zeiten, unbestritten seitens der Gemeinde und kompetenten Behörden, ihre Waldteile als freies und unbeschränktes Privateigentum, ‚als freie eigene Wälder‘, wie in Kaufurkunden steht, behandelt und auch über jeden Nutzen aus denselben nach Willkür verfügt. Sie haben nicht nur Sand und Streu, hauptsächlich so genannte Bodenstreue, sondern auch Sand und Steine aller Art, auch Steinbrüche zum Bauen, Kalkbrennen oder zur Erzeugung chemischer Produkte, Quellwasser und dergleichen für sich verwendet und unbeschränkt verkauft und den erzielten Erlös ausdrücklich für sich in Empfang genommen. Während das Weiderecht der Gemeinde für den allgemeinen Viehtrieb sich nur auf die öffentlichen Plätze, öden Gründe, und auf die Gemeindewaldungen erstreckt, steht dies in den Waldteilen nur den bezüglichen Besitzern zu, die auch in Gruppen, insbesondere als Gehörigen einer Fraktion durch Übereinkunft die Weide in den ihnen gehörigen Waldteilen gemeinsam ausgeübt haben (gelegentlicher Viehtrieb einer Nachbarfraktion in den Bereich einer anderen wurde beanstandet und untersagt). Sie haben diese Waldteile bald mit, bald abgesondert von ihren Gütern veräußert, hypothekarisch belastet und selbständig in zahlreichen Fällen Rodungen vorgenommen. Von den ca. 2000 Waldteilen haben im Laufe der Jahrzehnte zum mindesten 10 % im Wege gerichtlicher Versteigerungen und unter ausdrücklicher Einräumung des Eigentumsrechtes seitens der Behörden den Besitzer gewechselt. Es sei weiters noch bemerkt, dass auch zur Zeit der Mappierung ungeachtet der noch frisch in jedermann Erinnerung stehenden Waldzuweisung und Waldpurifikationsurkunde des Jahres 1848 die Waldteile allerseits als Privateigentum der einzelnen Besitzer angesehen wurden, indem sie in die Mappen fortlaufend nummeriert eingetragen erscheinen. Diese Tatsache und Umstände können jederzeit durch Belege und einwandfreie Zeugen erwiesen werden und deuten von der Rechtslage, welche in der Gemeinde bezüglich der Waldteile besteht. Insbesondere muss noch hervorgehoben werden, dass Rodungen sowie Erwerb von Immobilien, hier Waldteile, im Wege gerichtlicher Versteigerung wohl unanfechtbares Eigentum an der Sache einbringen, dort wo Grundbücher nicht bestehen (obergerichtliche Entscheidung), sodass der Beschluss der Gemeinde wohl nur als eine reine Formalität angesehen werden kann, welche den längst bestehenden faktischen Bestand der Privateigentumsrechte an den bezüglichen Realitäten in allgemeiner und schriftlicher Weise festlegt. Die Besitzer, denen die Eintragung eines Servitutsrechtes in das Grundbuch nicht genügen kann, sind von ihrem Eigentumsrecht an den Waldteilen, welcher nach dem Urteile der Juristen klar liegt, nicht abzubringen. Um eine Reihe kostspieliger, Gemeinde und Gemeindeangehöriger schwer belastender Prozesse zu vermeiden und die durch die Waldteilfrage schon lange genug erregten Gemüter zu beruhigen, weiß der Gefertigte keinen besseren Weg, als dem Hohen Landesausschuss um die Genehmigung dieses Ausschussbeschlusses zu bitten, da sonst die Grundbuchsanlegung in der Gemeinde und im Bezirke nicht vorwärts kommen kann. Gemeindevorstehung Roppen. Roppen, am 9. Mai 1907. Unterschriften. (Akten des Tiroler Landesausschusses zum Waldstreit in Roppen, Tiroler Landesarchiv, Landesausschussakten 1908, Zl 100–105, Faszikel-Nr. 712).

Fundstellen zum Streit um die geteilten Wälder 

Wer sich genauer über die geschichtliche Entwicklung der Rechtsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern und die Verhandlungen über die grundbücherliche Behandlung derselben informieren will, der sei auf die stenografischen Landtagsberichte wie folgt verwiesen: 19.04.1900, Seite 52 und Beilage 43; 02.05.1900, Seite 149 und Beilage 105; 10.09.1900, Seite 993 und Beilage 287; 18.06.1901, Seite 162 und Beilage 43; 17.08.1901, Seite 254 und Beilage 43; 21.09.1905, Seite 432 und Beilage 192; 28.04.1908, Seite 56 und Beilage 192; 02.10.1908, Seite 185 und Beilage 143; 15.10.1908, Seite 277 und Beilage 173; 07.11.1908, Seite 721 und Beilage 653; 31.01.1910, Seite 158 und Beilage 140.

Weiters gibt es umfangreiche Aktenbestände des Landesausschusses, die im Tiroler Landesarchiv verwahrt werden, z. B. Nr. 29071 ex 1908; Nr. 327 ex 1909, Nr. 24022 ex 1909; Nr. 1361/11 ex 1910; Nr. 1361/14 ex 1910.

Anerkennung des Eigentums durch Vertrag

Hofrat Dr. Josef Jordan, der im Auftrag des Tiroler Landesausschusses im Jahr 1909 die Grundlagen für den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 31. Jänner 1910 in den einzelnen Gemeinden erhoben hatte, listet in seinem Gutachten aus dem Jahr 1929 zu den Tiroler Teilwäldern jene Ortsgemeinden auf, in denen entsprechende Eigentums-Anerkennungsverträge errichtet wurden. Jordan spricht von „Urkunden-Gemeinden“ („U.G.“).
Folgende U.G. hat Jordan im Jahr 1929 für den heute österreichischen Landesteil erhoben: 1. Gerichtsbezirk Lienz: U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von Lienz und Bannberg, welche keine Urkunde vorgelegt haben, dann von Lengberg, Nikolsdorf und Nörsach, in welchen Gemeinden die Teilwaldbesitzer als Eigentümer eingetragen worden sind; 2. Ger.Bez. Sillian: U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von Ober- und Untertilliach, für welche das zu Lengberg Gesagte gilt, und Sexten, welche Gemeinde die Abtretungsbewilligung erhalten, aber keine Urkunde vorgelegt hat. 3. Ger.Bez. Matrei i. O.: U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von St. Jakob und St. Veit, welche keine Teilwälder haben; 4. Ger.Bez. Telfs: U.G. sind: keine. 5. Ger.Bez. Silz: U.G. keine. 6. Ger.Bez. Imst: U.G. keine. 7. Ger.Bez. Hall: U.G. sind: Vögelsberg (in Tulfes wurde die Urkunde erst 1935 errichtet, weshalb Jordan in seinem Gutachten von 1929 darüber keine Erwähnung machen konnte); 8. Ger.Bez. Schwaz: U.G. sind: Eben, Schwaz, Weer, Weerberg, Wiesing; 9. Ger.Bez. Rattenberg. U.G. sind keine. 10. Ger.Bez. Kufstein: U.G. sind: Langkampfen. 11. Ger.Bez. Mieders: U.G. sind: Neustift.
Josef Jordan im Jahr 1929 zusammenfassend: „Wie aus obiger Zusammenstellung ersichtlich, haben von den Gemeinden des heutigen Tirols jene der Bezirke Sillian, Lienz und Matrei i. O. fast alle, von Oberinntal keine, von Unterinntal nur einzelne von der Teilwälderaktion Gebrauch gemacht“.

Die Gemeinschafts-
liegenschaften und
das Grundbuch

Dr. iur. ao. Univ.-Prof. Gerald Kohl, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien.Die Grundbuchanlegung – in Tirol und anderweitig – ist einer der Forschungsschwerpunkte von Univ.-Prof. Dr. Kohl.Die Verwendung von Ortsbezeichnungen in Verbindung mit Begriffen wie „Ortschaft“, „Weiler“, Dorf, „Fraktion“, Gemeinde usw tauchen auch in anderen Bundesländern als Verlegenheitslösung zur Erfassung von agrargemeinschaftlichem Eigentum auf, wobei durchaus regionale Unterschiede nachweisbar sind. Während die Grundbuchanlegungsbeamten in Kärnten den Begriff „Ortschaft“ bevorzugten, wurde in Tirol am häufigsten der Begriff „Fraktion“ gewählt.

Abstract:

Die Rechtslehre der Pandektistik, an der sich die Österreichische Rechtswissenschaft im ausgehenden 19. Jhdt orientierte, hat beschränkte dingliche Rechte an eigener Sache („servitus iuris germanici“) strikt abgelehnt. Nichts anderes gilt für das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811. Aus diesem Grund stellte die typische Agrargemeinschaft, wo das Miteigentum des einzelnen im Nutzungsrecht seines Hofes zum Ausdruck kommt, für die Österreichischen Grundbuchanlegungsbeamten ein rechtsdogmatisch  überwindbares Problem dar.

Insoweit die Nutzungsverhältnisse an einer Liegenschaft sich in Bruchteilen bzw Quoten ausdrücken ließen, konnte ein Eigentum nach Bruchteilen angenommen werden. Miteigentum nach ideellen Quoten ist eine dem (österreichischen) ABGB bekannte Rechtssituation (§§ 825ff  ABGB). Typisch ist das jedoch nur für Almliegenschaften, wo – ausgehend von „Kuh- oder Schafrechten“, den so genannten „Auftriebsrechten“ – jedem Mitbesitzer eine Quote vom Ganzen zugeordnet wurde.  Im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung wurden zahlreiche Almliegenschaften als ein derartiges Miteigentum zu Bruchteilen im Grundbuch erfasst.

Wenn die Nutzungsverhältnisse an einer Liegenschaft nicht in Bruchteilen bzw Quoten ausgedrückt werden konnten, war nach dem Theorieverständnis der Rechtsschule der Pandektisten ein Miteigentum der Nutzungsberechtigten ausgeschlossen. Die Tatsache, dass verschiedene Hausbesitzer bei einer bestimmten Liegenschaft das Recht hatten, ihren jeweiligen Hofbedarf an Holz, Streu, Kalk und Steinen aus dieser Liegenschaft zu beziehen, repräsentiert jedoch genau den typische Sachverhalt einer Tiroler Agrargemeinschaft. Nach der Dogmatik der Pandektistik war ein solcher Sachverhalt jedoch einfach nicht vorgesehen. Ein solcher Sachverhalt wurde deshalb ignoriert.

Der Begriff des „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war mit dem Österreichischen Rechtsverständnis des ausgehenden 19. Jhdts nicht vereinbar. Anders das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB von 1896, in Kraft seit 1.1.1900), welches in § 1009 BGB, im Abschnitt über das Miteigentum nach Buchteilen, ausdrücklich berücksichtigt, dass Miteigentümer an der Gemeinschaftsliegenschaft servitutsberechtigt sein können. Im Geltungsbereich des (dt) BGB war es deshalb unproblematisch eine „Rechtlergemeinschaft“, wie die Agrargemeinschaften in Südbayern genannt werden, als Miteigentum im Grundbuch zu erfassen.

Die Österreichischen Juristen waren im Gegensatz zu den deutschen durch die Vorgaben der Rechtsordnung motiviert, zur Erfassung einer nicht regulierten Agrargemeinschaft eine  (juristische) Person zu erfinden, der das Eigentum an einem solchen Miteigentum zugeordnet wurde, weil ein Miteigentum, an dem jedem einzelnen Miteigentümer Servitutsrechte zustehen, als rechtliches Impossibilium erschien. Beispielsweise wurden im Tirol hunderte Waldstücke,  wo den Hausbesitzern im Dorf Servituten auf Holz- und Streubezug  zustanden, als Eigentum der „Fraktion“ einverleibt.
Die Grundbuchanlegungsbeamten erachteten es als undenkbar, dass die Servitutsberechtigten als Gesamtheit die Miteigentumsgemein-schaft bilden –  nicht anders als heutzutage in einer Wohnungseigentumsgemeinschaft, wo die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten die Miteigentumsgemeinschaft  bildet.

Bis zum Einschreiten der Agrarbehörde geisterten die verschiedensten, teilweise geradezu absurden Eigentümerbezeichnungen durch das Grundbuch. Solche existieren zum Teil bis heute. Beispielhaft ist auf die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden“, Eigentümerin im Grundbuch Sölden, zu verweisen.

 

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1. Die Gemeinschaftsliegenschaften als „unbewältigtes Sachenrecht“

a) Die Beurteilung der Tiroler Grundbuchanlegung

Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 den Standpunkt, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung bei der Beurteilung der agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre. Bei Grundstücken, die von mehren Nachbarn oder einer ganzen Dorfgemeinschaft  seit eh und je gemeinschaftlich genutzt wurden, sei ausschließlich vom zuständigen Beamten abhängig gewesen, welchen „Ausdruck“ dieser zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse wählte. Die Palette hätte von der Einverleibung der Berechtigten als Miteigentümer bis zur Einverleibung einer Gemeinde, Fraktion, „Weiler“als Eigentümerin gereicht.
Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal „die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer“ eingetragen. „Gemeindegut“ sei deshalb das Ergebnis dieser willkürlichen Vorgehensweise der Grundbuchanlegungsbeamten. „Gemeindegut“ sei das Ergebnis historischer Zufälligkeiten beim grundbuchstechnischen Erfassen der Liegenschaften. „Gemeindegut“ sei deshalb nur eine von mehreren „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“. Es gelte der Grundsatz, dass gleich gelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln seien; dies ungeachtet des Umstandes, welchen Begriff die Grundbuchanlegungsbeamten gewählt hätten, um die Eigentumsverhältnisse darzustellen. So die Tiroler Landesregierung in dieser Stellungnahme.

Offensichtlich war die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre überzeugt, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung zahlreiche Liegenschaften zu Unrecht einer „Gemeinde“ (oder einer „Fraktion“) zugeschrieben wurden. Agrarische Gemeinschaftsliegenschaften, die von einer größeren Personenanzahl, insbesondere einer ganzen Dorfgemeinschaft genutzt wurden, wurden im Zuge der Tiroler Grundbuchsanlegung sogar typischer Weise falsch beurteilt. Bei solchen Liegenschaften waren im Grundbuch die Eigentumsverhältnisse deshalb regelmäßig objektiv unrichtig dargestellt. Dies ist die Schlussfolgerung aus dem von der Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er behaupteten Sachverhalt, wonach bei der Grundbuchsanlegung einmal die „Gemeinde“, dann wieder eine „Nachbarschaft“, eine „Fraktion“, eine „Interessentschaft“, die „Katastralgemeinde“ oder die „Berechtigten als Miteigentümer“ eingetragen wurde und dass es allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten lag, welcher Ausdruck zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse verwendet wurde.

Im Grunde genommen ist es den Grundbuchanlegungsbeamten auch gar nicht zu verübeln, dass diese die Gemeinschaftsliegenschaften nicht richtig erfasst hatten. Selbst dort, wo die Grundbuchsanlegung die Bezeichnung „Nachbarschaft X, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Y, bestehend aus folgenden Grundbuchskörpern dieses Grundbuches: a) … b) …“ gewählt hatte – was nur in den drei Osttiroler Katastralgemeinden Kartisch, Außervillgraten und Innervillgraten, erfolgte, geschah dies auf höchst anfechtbarer Grundlage. Nach damals wie heute geltendem Recht ist eine „Nachbarschaft“ nun einmal keine juristische Person. Eine Rechtsgrundlage, um „Nachbarschaften“ als Eigentümer im Grundbuch anzuschreiben, hat nie bestanden.
Egal wie der Grundbuchbeamte eine Gemeinschaftsliegenschaft in den neuen Grundbüchern erfasst hat – er konnte seine Arbeit eigentlich nur falsch machen!

b) Das Aufgabenfeld der Agrarbehörde

Ausgehend von der Tatsache, dass die Grundbücher „hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen“ enthalten hatten – so die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre – erklärt sich der Auftrag an die Agrarbehörde. Diese hatte die wahren Eigentumsverhältnisse zu klären und den richtigen Eigentümer festzustellen. Die unrichtigen Eintragungen auf „Gemeinde“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“, „Interessentschaft“, „Genossenschaft“, „Katastralgemeinde“, realrechtlich gebundenes Miteigentum oder schlichtes Miteigentum waren zu berichtigen. Insoweit die „Gemeinde“, die „Fraktion“, die „Nachbarschaft“, die „Interessentschaft“ usw zu Unrecht als Eigentümerin im Grundbuch einverleibt war, weil das Eigentumsrecht in Wahrheit einer agrarischen Gemeinschaft zuzuordnen war, versteht es sich von selbst, dass die Agrarbehörde das Grundbuch richtig stellen musste. Mit einer Enteignung der ursprünglich einverleibten Gebilde – von „Gemeinde“ bis „Interessentschaft“ oder der Miteigentümer – hat das nichts zu tun.

Anhand einer Vielzahl von Regulierungsakten lässt sich schließlich nachweisen, dass die Agrarbehörde sorgfältig differenziert hatte: Typischer Weise wurden in einem eigenen Verfahrensabschnitt all diejenigen Grundstücke aus dem Verfahren ausgeschieden, welche anderen agrarischen Gemeinschaften, der Ortsgemeinde oder Einzelpersonen als Eigentum zuzuordnen waren. Diese Trennung des agrargemeinschaftlichen Vermögens vom Vermögen anderer Beteiligter, vornehmlich der politischen Ortsgemeinde, war genau deshalb erforderlich, weil vielfach weder die Gemeindebürger selbst, noch die Grundbuchanlegungsbeamten das gemeinschaftliche Privatvermögen der „alten“ Nachbarschaften und das Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde unterschieden hatten.

c) Generelle Unsicherheit bei der grundbücherlichen Erfassung

Offensichtlich wurden nicht nur in Tirol die Gemeinschaftsliegenschaften in den öffentlichen Büchern unrichtig angeschrieben, sondern es handelte sich dabei um ein generelles Phänomen.

Die Dogmatik der Pandektistik stand Ende des 19. Jahrhunderts bei den Juristen hoch  im Kurs. Die Pandektistik hat jedoch beschränkte dingliche Rechte an eigener Sache („servitus juris germanici“) strikt abgelehnt. Genau ein solcher Sachverhalt, nämlich Rechte an Liegenschaften, an denen der Berechtigte zusätzlich ein Miteigentümer ist, liegt der typischen Agrargemeinschaft zu Grunde. Nach der Dogmatik der Pandektistik war ein solcher Sachverhalt jedoch einfach nicht vorgesehen. Er wurde deshalb ignoriert. Der Begriff des „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war mit dem Österreichischen Rechtsverständnis des ausgehenden 19. Jhdts offensichtlich nicht vereinbar. Eine durch die Grundbuchanlegung im Osten Österreichs im auslaufenden 19. Jhdt veranlasste literarische Diskussion zur Art und Weise der Verbücherung der Gemeinschaftsliegenschaften belegt die Komplexität der Rechtslage und die Unsicherheit aller Beteiligten.

Bereits im Jahre 1885 beklagte Hoegel im Zusammenhang mit der Verbücherung der „gemeinschaftlichen Weiden und Waldungen“ eine „Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität“ heranwachse.

Pfersche hat in einer Abhandlung aus dem Jahr 1894 die Verhältnisse treffend zusammengefasst, wenn er formulierte: „Die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsgüter ist sehr verschiedenartig, … Die gerichtlichen Entscheidungen bei Grundbuchsgesuchen und bei Prozessen sind fortwährend schwankend, und da die Motivierung, namentlich auch der oberstgerichtlichen Urteile, keine feste und klare Rechtsansicht verraten, so erscheint der Ausgang jeder derartigen Rechtsache als ein unberechenbarer Zufall.“

Es greift freilich zu kurz, wollte man vor allem die (unverschuldete) Inkompetenz der historischen Akteure für diesen Zustand verantwortlich machen, wie dies in der Abhandlung von Amschl aus dem Jahr 1893 ankling. Wesentlicher erscheint der legislative Mangel: Bereits zur Zeit der Grundbuchsanlegung hatte den agrarischen Gemeinschaften kein allgemein anerkanntes Organisationsmodell mehr entsprochen, weil die Rechtsfigur der „Gemeinde als moralische Person nbR“ Ende des 19. Jhdts für die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bereits völlig in die Bedeutungslosigkeit versunken zu sein schien. Dies aufgrund eines massiven „Verdrängungs-“ besser „Überlagerungsprozesses“, „der von einer die Rechtsverhältnisse der lokalen Siedlungsverbände völlig beherrschenden juristischen Neuschöpfung, der heutigen politischen Ortsgemeinde, ausging“.

Wen wundert es, wenn die historischen Akteure das Eigentumsrecht einmal bei den Stammliegenschaftsbesitzern als Miteigentümer vermuteten, ein andermal realrechtlich gebundenes Eigentum annahmen oder Genossenschaften oder Nachbarschaften oder Interessentschaften als Eigentümer vermuteten. Schon aus Gründen der Arbeitsökonomie lag es nahe, eine Sammelbezeichnung zu verwenden; mit den Begriffen „Gemeinde“ oder „Fraktion“ standen zumindest theoretisch anerkannte Organisationsmodelle zur Verfügung.

Klar verfehlt wäre es jedenfalls, im konkreten Einzelfall beim Wortlaut der historischen Eigentümerbezeichnungen anzusetzen, um die wahren Eigentumsverhältnisse an einer bestimmten Liegenschaft zu ergründen. Man würde auf unverlässlicher Grundlage aufbauen und an Umstände anknüpfen, welche von der Willkür und dem subjektivem Gutdünken juristisch überforderter Grundbuchsbeamter (und anderer Beteiligter) abhängig waren. Man würde sich in Widerspruch mit den in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen der Tiroler Agrarbehörde setzen, welche die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften als reine Willkür erkannt hatte. Man würde sich in Widerspruch mit der „amtlichen Rechtsauffassung“ der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1982 setzen, wonach die Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften im Ergebnis willkürlich (schlichtes) Miteigentum oder realrechtlich gebundenes Miteigentum, Interessentschaften oder Nachbarschaften, Genossenschaften, Ortschaften, Fraktionen, Gemeinden oder Katastralgemeinden einverleibt habe. Nachdem eine breite literarische Diskussion der Grundbuchanlegung zu genau diesem Themenkomplex eine österreichweit einheitliche Problematik nachweist, würde eine solche Vorgehensweise jedwede juristische Sorgfalt vermissen lassen.

Richtiger Weise sind deshalb in jedem Einzelfall die historischen Eigentumsverhältnisse anhand aller zur Verfügung stehenden Umstände abzuklären. Die Darstellung der Rechtsverhältnisse durch die Grundbuchsanlegung hat dabei lediglich den Charakter einer Rechtsvermutung, zumal das Vertrauensprinzip nur dem Dritten gegenüber gilt, nicht aber auch zwischen den Parteien. Nichts anderes gilt hinsichtlich des Grundsatzes der formellen Rechtskraft der Verbücherung, die trotz Ablaufs der Ediktalfristen zwischen den Parteien nicht zur Auswirkung kommen kann: Der „nicht titulierte Tabularbesitzer“ hat dem wahren Berechtigten jederzeit zu weichen!

2. Titulus und Modus des Rechtserwerbs

Der Eigentumserwerb durch die heutige Ortsgemeinde setzt – genauso wie der Erwerb jedes anderen Sachenrechts – einen gültigen Titel voraus. „Dingliche Rechte an Liegenschaften entstehen zwar grundsätzlich durch die Eintragung im Grundbuch, aber nur dann, wenn ihnen ein gültiger Titel zu Grunde liegt. Das Grundbuchsanlegungsverfahren kann einen solchen Titel nicht ersetzen. Das Grundbuchsanlegungsgesetz betrifft nur die inneren Einrichtungen der neu anzulegenden Grundbücher; eine im Richtigstellungsverfahren unterlassene Anfechtung hat nur die formelle Rechtskraft einer bei Anlegung des Grundbuches erfolgten Eintragung zur Folge, kann aber den materiell Berechtigten nicht hindern, sein Recht im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.“ Nicht die grundbücherliche Anschreibung ist somit maßgeblich, sondern die wahren Rechtsverhältnisse. Insofern kann niemand aus unrichtigen Grundbuchseintragungen für sich Eigentum ableiten. Anderes gilt für den Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten unter Vertrauen auf den Buchstand, ein Fall, der mangels praktischer Relevanz im hier untersuchten Umfeld nicht weiter zu behandeln ist.

3. Der Wortlaut der Grundbuchseintragungen

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die im Grundbuch vorgefundene Bezeichnung eines Eigentumsträgers als „Gemeinde“ gerade keinen zwingenden Rückschluss auf die wahren Eigentumsverhältnisse erlaubt. Zum einen war es im Sprachgebrauch der frühen Neuzeit bis Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jhdts – ganz im Sinne des weiten Gemeindebegriffs im ABGB – üblich, auch Gemeinschaften von Nutzungsberechtigten als „Gemeinde“ zu bezeichnen. Die Flurverfassungsgesetze setzten derartige „Gemeinden“ (als Gesellschaften der Nutzungsberechtigten) voraus – so der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982.

Zum anderen kam es im Zuge der Grundbuchsanlegung immer wieder zu Verwechslungen, weil zur Rechtfertigung der Eigentumseintragung historische Titel vorgelegt wurden, in welchen der Gemeindebegriff im Sinne einer „Gemeinde als moralischen Person nach Privatrecht“ gebraucht worden war. Dieses Phänomen hatte der Niederösterreichische Landesausschuss in seinem Bericht aus dem Jahr 1878 plastisch geschildert: Die „Gemeinde“ war in allen Urkunden aufgeschienen und so hätte die moderne Gemeinde ihre „Mutter“, die Nachbarschaft, „beerbt“, ohne dass letztere gestorben wäre. Diese Schilderung scheint gerade die Verhältnisse der Tiroler Grundbuchanlegung treffend zu charakterisieren. Die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 macht dies deutlich. Offensichtlich wurde aufgrund gleichartiger Eigentumstitel in einem Fall Eigentum einer „Gemeinde“, im anderen Fall Eigentum der „Berechtigten als Miteigentümer“ einverleibt oder einer Interessentschaft, einer Nachbarschaft oder gar einer „Katastralgemeinde“.

Derartige Eigentümerbezeichnungen deuten freilich auch auf mangelnde Fähigkeit auf Seiten der vollziehenden Beamtenschaft hin, wie dies der Oberste Agrarsenat aus Anlass der Beurteilung einer „Commune Markt Ysper“ in Oberösterreich klar ausgesprochen hatte: Mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung sei man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten nicht bewusst geworden. Gerade die mangelnde Fähigkeit der Rechtspraxis (einschließlich der Grundbuchsanlegung) zur Unterscheidung dieser komplexen Rechtsverhältnisse hatte die Schaffung des TRRG 1883 und die daran geknüpfte Tätigkeit der Agrarbehörden zur Regulierung der Gemeinschaftsliegenschaften motiviert. Genau zur Bewältigung dieser Unterscheidungsprobleme hat das Flurverfassungsrecht an den „geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (die Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet“. Die Agrarbehörden wurden also insbesondere dazu geschaffen, im Zuge von Regulierungs- oder Teilungsverfahren die aus den öffentlichen Büchern gerade nicht nachvollziehbaren Eigentums- und Nutzungsverhältnisse zu klären und rechtskräftig zu entscheiden.

4. Literaturverzeichnis

Paris, Die Gemeinschaften (Gemeinden – Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich 1875/7, 449f

Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse. Nebst einem Gesetzesentwurf über die Zusammenlegung der Grundstücke, die Ablösung und Regulierung der gemeinschaftlichen Nutzungsrechte und die Ablösung von nach dem Patente vom 5. Juli 1853 regulierten Nutzungsrechten samt Durchführungsverordnung, Formularien und Motivenberichten (1877)

Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode

Hoegel, Aus der Grundbuchpraxis, JBl 1885, 592: Die Einlagen für gemeinschaftliche Weiden und Waldungen

Alfred Amschl, k.k. Bezirksrichter, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine Österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7, 49

Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung (1894) 129

Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit 1916, 126 ff, 134 ff, 144 ff, 153 f, 159 f.

Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 24

Kohl, Territoriale Rechtsvielfalt und gesamtstaatliche Rechtsvereinheitlichung in der Habsburgermonarchie: Die Einführung des Grundbuchs in Tirol, in: Haidacher / Schober (Red), Bericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck (Veröffentlichungen des Verbandes österreichischer Historiker und Geschichtsvereine 33), Innsbruck 2006, 248ff

Kohl, Die Grundbuchanlegung in Tirol und das „Fraktionseigentum“, in Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) 177ff

Kohl, Oberhofer, Pernthaler, Gemeindeeigentum und Agrargemeinschaft, JBl 2014, 425

 

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Agrargemeinden und Grundbuchanlegung

MP

Agrargemeinden und Grundbuchanlegung

Im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 hat der Verfassungsgerichtshof klar gestellt, dass der Begriff „Gemeinde“ auch eine Summe von Nutzungsberechtigten bezeichnen könne.

Eine solche „Gemeinde“, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammen setzt, wird zweckmäßig als „Agrargemeinde“ bezeichnet.

Die Tatsache, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung diese Gemeinden, zusammengesetzt aus Nutzungsberechtigten, die „Agrargemeinden“, nicht von den politischen Ortsgemeinden moderner Prägung unterschieden wurden, ist eine der wesentlichen Ursachen für den heutigen Agrarstreit in Tirol.

Hunderte Entscheidungen der Tiroler Agrarbehörden, mit denen über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften entscheiden wurde, werden missverstanden als Enteignungen der Ortsgemeinden, obwohl in Wahrheit seit jeher eine Agrargemeinde, oft identen Namens wie die heutige Ortsgemeinde, wahre Eigentümerin war.

Manchmal erkennt man die wahre Identität der „Gemeinde“ allerdings schon an der Wort-Kombination, die in Verbindung mit dem Begriff „Gemeinde“ bei der Grundbuchanlegung als Eigentümerin erfasst wurde. Die besten Beispiele sind die „Gemeinden“ mit Ausschluss oder ohne eine bestimmt bezeichnete Nachbarschaft. Beispiel: Eine „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ kann nach den Gesetzten der Logik nur selbst eine Nachbarschaft sein.

A) Verschiedene Gemeindebegriffe

Der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1982: „Das Gemeindegut wird in beiden zu prüfenden Bestimmungen neben den Grundstücken genannt, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten (statt den Servitutsberechtigten als Einzeleigentümer) einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Nutzung und gemeinsamen Besitz abgetreten worden sind. Entgegen der Auffassung der Sbg. Landesregierung ist daher die von ihr beschriebene … Erscheinung, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, nicht von den in Prüfung stehenden, sondern von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, so dass sich aus der Eigenart jener Erscheinung nichts für den Inhalt dieser Gesetzesbestimmungen ergibt.“ (Verfassungsgerichtshof VfSlg 9336/1982, Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung)

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 01.03.1982 VfSlg 9336/1982 ausdrücklich hervorgehoben, dass keinesfalls alles, was sich „Gemeinde“ nannte oder „Gemeinde“ genannt wurde, auch einer heutigen politischen Ortsgemeinde entsprechen muss. Neben der Bezeichnung für die politischen Ortsgemeinde und deren Eigentum, dem Gemeindegut, würde der Begriff „Gemeinde“ auch zur Bezeichnung einer Gesellschaft (Realgenossenschaft), zusammengesetzt aus den Nutzungsberechtigten, verwendet. Dies dürfe keinesfalls übersehen werden!
Der Verfassungsgerichtshof weiter: Gerade im Zusammenhang mit dem Phänomen der Servitutenablösung hätte der Gesetzgeber den Begriff der „Gemeinde als Gesellschaft der Nutzungsberechtigten“ vorausgesetzt und im Flurverfassungsrecht berücksichtigt. Beide Phänomene, das Gemeindegut einerseits und das aus Servitutenablösung entstandene Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten, seien streng zu unterscheiden (VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung).
Das VfGH-ERkenntnis VfSlg 9336/1982 wird zur Recht als „Fundament des Mieders-Erkenntnisses vom 30.06.2008 VfSlf 18.446/2008 bezeichnet. Deshalb sind diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes von besonderer Bedeutung gerade für den heutigen Agrarstreit in Tirol.

Anlass für diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) war folgendes: Die Salzburger Landesregierung hatte im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 gegen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs im Beschluss auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens vorgebracht, dass das „Gemeindegut“ in Salzburg aus Servitutenregulierungsmaßnahmen entstanden sei, weshalb das „Gemeindegut“ historisch als Gegenleistung zu verstehen sei, die von einem Grundherren für den Verzicht auf Wald- und Weideservituten den jeweils Berechtigten in das Eigentum übertragen wurde. Das „Gemeindegut“ sei die Gegenleistung für die Aufgabe von Beholzungs-Servituten im Staatsforst gewesen. Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte des „Gemeindeguts“ sei die Regulierung dieses Eigentums in Agrargemeinschaften, welche sich ausschließlich aus berechtigten Stammliegenschaftsbesitzern zusammensetzen, nicht verfassungswidrig, sondern die richtige Behandlung für das agrarische Gemeinschaftseigentum. Der VfGH gibt die Äußerung der Salzbuger Landesregierung im Erk Slg 9336/1982 wie folgt wieder:
„Die Salzburger Landesregierung verweist darauf, dass in Sbg. im Zuge der Servitutenablösung Waldgrundstücke nicht an einzelne Gemeindeinsassen, sondern (formell) nur an ganze Gemeinden abgetreten wurden. Es handle sich aber nicht um Gemeindewälder, sondern um Gemeinschaftswälder, sodass später das Eigentum den aus den Nutzungsberechtigten gebildeten Agrargemeinschaften zugesprochen worden sei. Das sei nicht gleichheitswidrig, weil die Grundflächen als Ablösung für alte Nutzungsrechte aus dem Staatswald an die Gemeinden abgetreten worden sei [en].“
Zur Widerlegung dieser diese Einwände der Salzburger Landesregierung hat der VfGH im Erkenntnis 9337/1982 klargestellt, dass aus Servitutenregulierungsmaßnahmen gerade kein Gemeindegut im Sinn von „wahrem Eigentum der politischen Ortsgemeinde“ entstehen könne. Aus Servitutenregulierung würde vielmehr Eigentum von „Gemeinden“, zusammengesetzt aus „Nutzungsberechtigten“, „Gemeinden“ als Gesellschaften der Nutzungsberechtigten entstehen.

Der VfGH hat somit klar gestellt, dass die verschiedenen Gemeindebegriffe nicht verwechselt werden dürfen. Der VfGH hat somit schon im Jahr 1982 darauf hingewiesen, dass aus Servitutenablösungsmaßnahmen niemals Eigentum einer politischen Ortsgemeinde und somit keine Gemeindegut entstehen könne. Der VfGH gab somit die Richtlinie vor, dass bei den Ergebnissen der Grundbuchanlegung genau unterschieden werden müsse, ob der jeweilige Rechtstitel eine Servitutenablösungsmaßnahme sei. Aus Servitutenablösung seinen „Gemeinden“ hervorgegangen, welche gerade keine politischen Ortsgemeinden seien, sondern „Gemeinden, zusammengesetzt aus Nutzungsberechtigten, eben Agrargemeinden. Dies ist zu berücksichtigen, wenn man die historischen Grundbuchseintragungen in den Tiroler Grundbüchern, die zu einem beträchtlichen Teil um die Wende vom 19. Zum 20, Jahrhundert entstanden sind, aus heutiger Sicht auf ihre Schlüssigkeit überprüft.

B) Römisch-rechtliches Eigentumsverständnis

Was war die Ursache, dass die historischen Agrargemeinden, heute als Agrargemeinschaften definiert, im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung häufig mit der modernen politischen Ortsgemeinde verwechselt wurden?

„Bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 2010, 24) „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung)

1. Allgemeines

Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 den Standpunkt, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung bei der Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre. Es sei ausschließlich vom zuständigen Beamten abhängig gewesen, welchen „Ausdruck“ dieser zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften wählte. Die Palette hätte von der Einverleibung der Berechtigten als Miteigentümer, bis zur Einverleibung der „Gemeinde“ als Eigentümerin gereicht. „Gemeindegut“ sei deshalb nur eine von mehreren „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“. „Gemeindegut“ sei das Ergebnis historischer Zufälligkeit einer rein tatsächlichen Vorgehensweise. Aus diesem Grund sei gerade keine Differenzierung in der rechtlichen Behandlung von „Gemeindegut“ und anderen agrargemeinschaftlichen Liegenschaften geboten. Vielmehr gelte der Grundsatz, dass gleich gelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln seien. (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung) In der Folge versuchte sich die Tiroler Landesregierung an einer konfusen Theorie vom Gemeindegut, die „eine Rechtsträgerschaft der politischen Ortsgemeinde ins Spiel bringt: Die Ortsgemeinde besitze das Gemeindegut nicht als Eigentümerin, sondern als `Erbin der alten Realgemeinde´. Die politische Ortsgemeinde sei in dieser Eigenschaft nicht als Gebietskörperschaft zu erfassen, sondern als Teil einer „ex lege bestehenden Agrargemeinschaft, welcher das Gemeindegut zuzuordnen sei“.

Kritik: Weil ein „Beerben der alten Realgemeinden“ an der fehlenden Rechtsgrundlage scheitert, wäre die Tiroler Landesregierung gut beraten gewesen, sich auf einfache Schlussfolgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt zu beschränken: Die Gemeinschaftsliegenschaften wurden im Zuge der Tiroler Grundbuchsanlegung schlicht und einfach in vielen Fällen falsch beurteilt. Deshalb wurden im Grundbuch die Eigentumsverhältnisse an solchen Liegenschaften vielfach objektiv unrichtig dargestellt! Eine andere Schlussfolgerung kann aus dem behaupteten Sachverhalt, wonach einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen wurde und dass es allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten lag, welcher Ausdruck zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse verwendet wurden, nicht gezogen werden. Als „Gemeindegut“ hatte die Tiroler Landesregierung damals offensichtlich jene Liegenschaften verstanden, welche grundbücherlich gerade zu Unrecht einer Gemeinde zugeschrieben waren. Allein aus diesem Grund wurde als Ergebnis des agrarbehördlichen Prüfungsverfahrens das Eigentumsrecht der (nicht regulierten) Agrargemeinschaft festgestellt. Dieses agrargemeinschaftliche Gut wurde im Zuge der körperschaftlichen Einrichtung der Agrargemeinschaft „umgegründet“ – sprich: als Eigentum dieser Agrargemeinschaft festgestellt.

Ausgehend von der Tatsache, dass die Tiroler Grundbücher „hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen“ enthalten hatten, hätte die Tiroler Landesregierung einen wesentlichen Teil der praktischen Aufgabe der Agrarbehörden in einem derartigen Umfeld erklären können: Insoweit die „Gemeinde“ zu Unrecht als Eigentümerin im Grundbuch einverleibt war, musste die Entscheidung der Agrarbehörde über das Eigentum notwendig gegen die politische Ortsgemeinde ausfallen. Im Übrigen hatten die Agrarbehörden sorgfältig differenziert: Typischer Weise wurden in einem eigenen Verfahrensabschnitt bestimmte Grundstücke aus dem Verfahren ausgeschieden und als unbelastetes Eigentum der politischen Ortsgemeinde festgestellt. Diese Trennung des Eigentums der Agrargemeinschaft vom übrigen Vermögen der politischen Ortsgemeinde war genau deshalb erforderlich, weil vielfach weder die Gemeindebürger selbst, noch die Grundbuchanlegungsbeamten in Tirol das gemeinschaftliche Privatvermögen der „alten Agrargemeinden“ und das Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde unterschieden hatten.

2. Generelle Unsicherheit bei der Beurteilung von Gemeinschaftsliegenschaften?

Offensichtlich wurden nicht nur in Tirol die Gemeinschaftsliegenschaften in den öffentlichen Büchern unrichtig angeschrieben. Die historischen Quellen zwingen zu der Schlussfolgerung, dass es sich um ein Phänomen von genereller Bedeutung handelte. Die Dogmatik der Pandektistik, welche beschränkte dingliche Rechte an eigener Sache strikt ablehnte, stand einer unbefangenen Erfassung der historischen Sachverhalte entgegen. Der Begriff des „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war mit dem Rechtsverständnis des ausgehenden 19. Jhdts offensichtlich nicht vereinbar. Eine durch die Grundbuchanlegung im Osten Österreichs von mehr als 100 Jahren veranlasste literarische Diskussion zur Art und Weise der Verbücherung der Gemeinschaftsliegenschaften belegt die Komplexität der Rechtslage und die Unsicherheit aller Beteiligten. Bereits im Jahre 1885 beklagte Hoegel im Zusammenhang mit der Verbücherung der „gemeinschaftlichen Weiden und Waldungen“ eine „Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität“ heranwachse.“ Pfersche hat in einer Abhandlung aus dem Jahr 1894 die Verhältnisse treffend zusammengefasst, wenn er formulierte: „Die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsgüter ist sehr verschiedenartig, … Die gerichtlichen Entscheidungen bei Grundbuchsgesuchen und bei Prozessen sind fortwährend schwankend, und da die Motivierung, namentlich auch der oberstgerichtlichen Urteile, keine feste und klare Rechtsansicht verraten, so erscheint der Ausgang jeder derartigen Rechtsache als ein unberechenbarer Zufall.“

Es wäre deshalb verfehlt, im konkreten Einzelfall beim Wortlaut der historischen Eigentümerbezeichnungen anzusetzen, um die wahren Eigentumsverhältnisse an einer bestimmten Liegenschaft zu ergründen. Man würde auf unverlässlicher Grundlage aufbauen und bei Umständen anknüpfen, welche von der Willkür und dem subjektivem Gutdünken juristisch überforderter Grundbuchbeamter (und der übrigen Beteiligten) abhängig waren. Man würde sich in Widerspruch mit den über Jahrzehnte gewonnenen Erfahrungen der Tiroler Agrarbehörde setzen, welche die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften als rein willkürlich verstanden hatte. Man würde sich in Widerspruch mit der „amtlichen Rechtsauffassung“ der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1982 setzen, wonach die Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften im Ergebnis willkürlich Miteigentum oder realrechtlich gebundenes Miteigentum, Interessentschaften oder Nachbarschaften, Ortschaften, Fraktionen oder Gemeinden einverleibt habe. Nachdem eine bereite literarische Diskussion der Grundbuchanlegung zu genau diesem Themenkomplex eine österreichweit einheitliche Problematik nachweist, würde eine solche Vorgehensweise jedwede juristische Sorgfalt vermissen lassen. Richtiger Weise sind deshalb in jedem Einzelfall die historischen Eigentumsverhältnisse anhand aller zur Verfügung stehenden Umstände abzuklären. Die Darstellung der Rechtsverhältnisse durch die Grundbuchsanlegung hat dabei lediglich den Charakter einer Rechtsvermutung, zumal das Vertrauensprinzip nur dem Dritten gegenüber gilt, nicht aber auch zwischen den Parteien; nichts anderes gilt hinsichtlich des Grundsatzes der formellen Rechtskraft der Verbücherung, die trotz Ablaufs der Ediktalfristen zwischen den Parteien nicht zur Auswirkung kommen kann. Der „nicht titulierte Tabularbesitzer“ hat dem wahren Berechtigten jederzeit zu weichen!

C) Fehlendes Organisationsrecht

„Bei der speziell in Tirol gegebenen rechtlichen Situation, die durch das völlige Fehlen von gesetzlichen Normen zur Ordnung des deutschrechtlichen Allmendbesitzes gekennzeichnet war, ist es nicht verwunderlich, dass man gestützt auf die gemeinderechtlichen Bestimmungen … fortschreitend daran ging, die Realgemeinden durch die politischen Gemeinden zu verdrängen. Die Einverleibung des selbstständigen agrargemeinschaftlichen Realgemeindebesitzes in die politischen Gemeinden erfolgte hauptsächlich mit dem Argument der angeblichen gesetzlichen Universalsukzession der politischen Gemeinde für die einstige Realgemeinde.“ Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 22.

1. Die politischen Ortsgemeinde als „Quasi-Erbin“ der Agrargemeinde?

Während ein Bericht des NÖ Landesausschuss aus dem Jahr 1878 das Rechtsverhältnis zwischen der modernen politischen Ortsgemeinde und „ihrer Mutter, der Nachbarschaft“ noch bildlich als dasjenige einer „Beerbung“ beschreibt und dazu durch die faktischen Verhältnisse in den niederösterreichischen Gemeinden motiviert wurde, war es gerade in Tirol verbreitete Rechtsauffassung, in der heutigen politischen Ortsgemeinde tatsächlich die „Erbin der historischen Realgemeinde“ zu sehen. Dies machen nicht nur die Ausführungen Albert Mairs deutlich, der 1958 ausdrücklich gegen den „bedenklichen Titel einer Universalsukzession“ auftritt. Auch die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 basiert wesentlich auf der Fiktion, dass die heutige politische Ortsgemeinde die historischen Agrargemeinde „quasi beerbt“ hätten: Im Fall ehemaliger Allmendliegenschaften sei „die Gemeinde nicht als politische Gemeinde `Eigentümerin´“, sondern sie sei „als `Erbin´ der alten Realgemeinde anzusehen und damit nicht als Gebietskörperschaft, sondern als Rechtsnachfolgerin der alten genossenschaftlich organisierten Realgemeinde (heute als Agrargemeinschaft definiert).“

Entscheidungen der Tiroler Agrarbehörden aus dieser Zeit verdeutlichen, was man sich seitens der Tiroler Landesregierung bei dieser Stellungnahme gedacht haben könnte. So beispielsweise ein Bescheid aus dem Jahr 1978, der im Rahmen des Regulierungsverfahrens des „Gemeindegutes“ von Höfen ergangen ist: „Ein Regulierungsverfahren hatte den Sinn, die seit alters her üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen der einzelnen berechtigten Stammliegenschaften festzustellen und zu fixieren. Da die Grundstücke, auf denen die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen ausgeübt wurden, bisher von der (politischen) Gemeinde als Verwalterin der früher sog `Allmende´ verwaltet wurden, ist es besonders notwendig, zwischen den Grundstücken, auf denen solche Nutzungen ausgeübt werden konnten (= Gemeindegut) und solchen Grundstücken, die der Gemeinde gehören, aber auf denen keine Nutzungen stattgefunden haben, zu trennen. Diesem Zweck dient der vorliegende Bescheid.“ Im Berufungserkenntnis zu diesem Bescheid wird die Theorie von der gesetzliche Verwaltungskompetenz der politischen Ortsgemeinde hinsichtlich des Vermögens der nicht regulierten Agrargemeinschaft weiter bekräftigt: Es hätte in der Vergangenheit wie heute die Rechtslage bestanden, dass die „Kraft-Gesetzes-Agrargemeinschaften“ ohne Satzungsverleihung … nur durch die Gemeinde verwaltet würden, d.h. dass diese nur durch den Gemeinderat handlungsfähig wären. „Der (politischen Orts-)Gemeinde war und ist auch heute noch bei unregulierten Agrargemeinschaften die Verwaltung dieser Körperschaften übertragen.“ Diesen Entscheidungen lag die faktische Situation zu Grunde, dass im Grundbuch sowohl das Eigentum der nicht regulierten Agrargemeinschaft als auch das Eigentum der politischen Ortsgemeinde einheitlich auf den Begriff „Gemeinde Höfen“ einverleibt war.

Mit der These, wonach der politischen Ortsgemeinde die Verwaltung der unregulierten Agrargemeinschaften (von Gesetzes wegen) übertragen sei, ließe sich der Gedanke, wonach die auf „Gemeinde“ lautenden Grundbuchseintragungen gar nicht auf die politische Ortsgemeinde verweisen bzw dass die „politische Gemeinde“ schlicht zu Unrecht als Eigentümerin angeschrieben wurde, wohl kaum vereinen. Worauf sollte sich die (angebliche) gesetzliche Verwaltungskompetenz den stützen, wenn nicht auf die Legitimation durch den Bucheintrag? Warum gerade bei den historischen Gemeinschaftsliegenschaften „der alten Nachbarn“ die „Gemeinde“ als Eigentümerin in den öffentlichen Büchern einverleibt wurde, bringt der bereits erwähnte Bericht des Niederösterreichischen Landesausschuss aus dem Jahr 1878 wie folgt auf den Punkt: „Die ‚Gemeinde’ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass Letztere gestorben wäre.“

2. Verwechslung der „Gemeinde-Begriffe“

„Mancher Österreichischer Civilist dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den Niederösterreichischen Landtagsacten zu erfahren, ‚dass die Besitz und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar sind‘, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften‘) noch immer existieren, seit geraumer Zeit aber mit der Gemeinde identifiziert werden, dass die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde, bei der Benutzung des ‚Gemeindevermögens‘ aber wohl geltend zu machen wissen: ‚Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.’“ Leopold Pfaff, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, JBl 1884, 186

„Die Unklarheit, ob Gemeindeeigentum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigentums oder Gesellschaftsverhältnis zu Grunde liegend, welche rechtliche Stellung den Verwaltern dieses Vermögens zukomme usw. ist kaum zu lichten, die anzuwenden Rechtssätze bilden daher ein Hauptobjekt des Streits, und nur allzu oft sprechen in der Brust des Juristen, der den Fall unbefangen prüft, zwei Seelen – für und gegen den Kläger! Für wahr ein arger Mangel der bestehenden Gesetzgebung!“ Leopold Pfaff, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, JBl 1884, 186

Weil die Gemeinschaftsliegenschaften vielfach die Fortsetzung der wirtschaftsgenossenschaftlichen Seite ganzer historischer Markgemeinden oder von ursprünglich selbständigen Teilen derselben bildeten, führten diese häufig die Bezeichnung der jeweiligen Ortsgemeinde oder eines Ortsteiles derselben als Namen. Der Verwirrung in den Rechtsverhältnissen wurde somit auch von dieser Seite Vorschub geleistet.

So berichtet Michael Hermann, seinerzeit Mitglied des Steiermärkischen Landesausschusses, in einer Abhandlung aus dem Jahr 1879 nicht nur allgemein von diversen an den Steiermärkischen Landesausschuss herangetragenen Streitigkeiten wegen „Klassen-“ bzw „Gemeindevermögens“. Hermann berichtet für das ehemalige Herzogtum Steiermark auch über eine wesentliche Ursache des Streits, nämlich die mangelnde Unterscheidung der Praxis zwischen öffentlich-rechtlich gebundenem Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde und dem privaten Gemeinschaftseigentum der „alten Markgenossen“. Die „alten Markgenossen“ hatten bekanntlich gemeinsam den historischen privaten Gemeindeverband gebildet; in den Urkunden und Katastern firmierte ihr Gemeinschaftseigentum deshalb unter der Bezeichnung „Gemeinde“.
„Selbst unter dem Bestande der neuen Gemeindegesetze geschah es, dass die Gemeindevertretungen aus Genossen zusammengesetzt, Genossenschaftsgründe als Gemeindeeigentum eintragen oder Genossenschaftsgründe für Schulden der Gemeinde verpfänden ließ.“ Die historischen Verhältnisse in der heutigen Steiermark unterschieden sich in dieser Hinsicht offensichtlich nicht wesentlich von denjenigen in Niederösterreich, wie uns diese im Bericht des Landesausschuss aus dem Jahr 1878 geschildert werden oder von denjenigen in Tirol, wie diese Albert Mair aus seiner Erfahrung als langjähriger Agrarbehördenleiter in Tirol im Jahr 1958 schildert. Auch der Bericht von Alois Paris aus dem Jahr 1875 bestätigt die synonyme Verwendung der Begriffes „Gemeinde“, „Nachbarschaft“ und „Gemeinschaft“ durch die Grundbuchsanlegung und in anderen öffentlichen Büchern.

Karl Peyrer, seinerzeit k.k. Ministerialrat im Ackerbauministerium, beschrieb den Vorgang 1877 als einen Erosionsprozess, dem das Gemeinschaftseigentum ausgesetzt sei: „So vollzieht sich in allen österreichischen Ländern, von der Wissenschaft und im Leben kaum beachtet, einer der merkwürdigsten sozialen Prozesse, durch welchen fast das gesamte Grundeigentum eine Umgestaltung erleidet. Von zwei Seiten angegriffen, verschwindet nach und nach das alte, früher allein herrschende, noch vor einem Jahrhundert weitaus überwiegende Gemeingut, das Gesamteigentum, um auf der einen Seite durch vollständige Aufteilung unter die einzelnen Gemeindeglieder dem Privateigentum, auf der anderen Seite dem Gemeindevermögen Platz zu machen.“
Einen wesentlichen Grund für diesen Erosionsprozess erblickte Peyrer in einer „kaum glaublichen Sorglosigkeit und einer völligen Unklarheit und Verwirrung in den Bezeichnungen wie in den Begriffen, wenn es sich darum handelt, die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“

Sorglosigkeit und mangelndes dogmatisches Differenzierungsvermögen waren angesichts der sozio-ökonomischen Bedingungen allerdings leicht nachzuvollziehen, wie Albert Mair 1958 betonte: „Der Verschmelzungsprozess ging teilweise umso leichter vonstatten, als sich gerade in den extremen Bergbauerngebieten Ende des vorigen Jahrhunderts ein Unterschied zwischen der Realgemeinde und der politischen Gemeinde überhaupt nicht bemerkbar machte und sich der Kreis der Gemeindebewohner mit dem Kreis der Nutzungsberechtigten im Wesentlichen deckte. Den Bauern war daher ein Unterschied zwischen politischer und Wirtschaftsgemeinde unbekannt.“

Doch nicht nur dies – die Unkenntnis reichte auch in Juristenkreise, wie Pfaff konstatierte: „Mancher Österreichischer Civilist dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den Niederösterreichischen Landtagsacten zu erfahren, ‚dass die Besitz und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar sind‘, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften‘) noch immer existieren, seit geraumer Zeit aber mit der Gemeinde identifiziert werden, dass die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde, bei der Benutzung des ‚Gemeindevermögens‘ aber wohl geltend zu machen wissen: ‚Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.’“
Pfaff nahm hier Bezug auf einen Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses an den Landtag, worin 1878 das Ergebnis mehrjähriger Ermittlungen festgehalten wurde: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg darauf anwendbar war.“ „Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren. Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. Man versuchte zuweilen diesen factischen Genuß aus dem Begriffe der Dienstbarkeit zu erklären, das ist aber nicht nur historisch grundfalsch, sondern auch den thatsächlichen Zuständen nicht entsprechend. Da man nun kein Schubfach fand, in welches man diese Rechtsverhältnisse stecken konnte, so ließ man sie einfach als weiter nicht definierbare Nutzungsrechte gelten. Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“

Carl Peyrer, der Altmeister des österreichischen Agrarrechts, stellte 1877 in seiner Abhandlung zur „Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse“ fest, dass in Zeiten, in denen die politische Gemeinde vom Staat und seinen Organen begünstigt würde, oft schon der bloße Name genüge, um das Vermögen der Nutzungsgenossenschaft ganz der politischen Gemeinde zuzuweisen. In diesem Zusammenhang zitierte er Francis Bacon: Der Mensch glaube, mit seinem Verstande den Worten zu gebieten, obwohl öfters die Worte seinen Verstand unterwerfen. Damit ist das Problem zeitlos auf den Punkt gebracht: Wenn und solange der Erkenntnis emotionale Barrieren entgegenstehen, wird die von Leopold Pfaff beklagte „Unklarheit, ob Gemeindeeigenthum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigenthums oder Gesellschaftsverhältnis“, die Rechtswissenschaft noch länger begleiten und eine Lösung des Problems erschweren!

Wissenschaft und Praxis haben deshalb zur Kenntnis zu nehmen, dass die historischen Privatgesellschaften der Nachbarn Jahrhunderte lang auch im Privatrechtsverkehr unter der Bezeichnung „Nachbarschaft und Gemeinde“ in Verbindung mit der jeweiligen Ortsbezeichnung aufgetreten sind. Die jeweilige Ortsbezeichnung in Verbindung mit dem Gemeindebegriff war somit auch als Bezeichnung für Privatrechtsträger gebräuchlich. Die Organisierung der modernen Ortsgemeinden im 19. Jhdt baute auf die gebräuchlichen Ortsbezeichnungen in Verbindung mit dem Gemeindebegriff. Hinzu kommt seit jeher die Verwendung solcher Bezeichnungen bei der Organisierung der historischen Konskriptionsgemeinden, der Steuergemeinden, der Gerichtsgemeinden, der Katastral- und Schulgemeinden, um nur die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Organisationsstrukturen auf lokaler Ebene zu nennen. Parallel verlief die Organisation der Kirchengemeinden, welche sich derselben Begriffe zur Bezeichnung der jeweiligen lokalen Organisationen bediente. Aus der Verwendung des Begriffes „Gemeinde“ in Verbindung mit einer Ortsbezeichnung alleine kann deshalb keinesfalls zuverlässig auf einen bestimmten Rechtsträger geschlossen werden.

Völlig zu Recht wurde deshalb in einem Bericht des Ministerium des Innern aus dem Jahr 1917 der Standpunkt vertreten, dass nur auf Grund spezieller Untersuchung jedes einzelnen Falles ein Urteil über das Verhältnis zweier Gemeinden gefällt werden könne. Dieser Grundsatz ist auch heute zu beachten, wenn geklärt werden soll, welcher Rechtsträger sich tatsächlich hinter einer auf „Gemeinde“ lautenden Eigentümeranschreibung aus der Zeit der Grundbuchsanlegung verbirgt.

3. Fehlende Rechtsgrundlagen

„Die Agrargenossenschaften sind selbständige Körperschaften mit eigener Verfassung, eigener Mitgliedschaft und eigenen Organen. Vielfach ist allerdings der Zusammenhang mit der politischen Gemeinde nicht völlig gelöst. (Darum lässt die Praxis in Prozessen über Gesamtrechte oder Gesamtpflichten einer Klasse die Vertretung der Klasse durch die Gemeinde zu [mwN].) Allein juristisch kann in der fortdauernden Verbindung nur noch ein zufälliges Zusammentreffen von Gemeindeverfassung und Genossenschaftsverfassung erblickt werden.“ Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd I, Allgemeiner Teil und Personenrecht (1895), 616

In den „Österreichischen Erblanden“ wurden von den verschiedenen rechtlichen Organisationsvarianten für die Gemeinde nbR in der Zeit ab Errichtung der heutigen politischen Ortsgemeinde offensichtlich jene bevorzugt, welche eine enge Anlehnung an die politische Ortsgemeinde vorsah. Organisatorische Gemeinsamkeiten der neuen politischen Ortsgemeinde und der Agrargemeinde wurden vielfach aufrechterhalten. Die Identifizierung des privaten Klassenvermögens der alten Gemeindeglieder als eigenständige „moralische Person“, als Sachsubstrat und Personenvereinigung mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit, macht verständlicher Weise dann besondere Schwierigkeiten, wenn der Zusammenhang mit der neuen politischen Ortsgemeinde nicht völlig gelöst wurde. Für die Rechtsentwicklung in den sog. Österreichischen Erblanden ist ein solcher Sachverhalt deshalb geradezu typisch, weil die Einrichtung der modernen politischen Ortsgemeinde gerade nicht einher ging, mit der Schaffung eines modernen Organisationsrechts für die nach Abspaltung und Verselbständigung der politischen Aufgaben der Markgemeinde, zurückbleibenden „wirtschaftsgenossenschaftlichen Seite der Markgemeinde“.

Die Tatsache, dass schon das ABGB 1811 darauf verzichtet hatte, die „Gemeinde“ als moralische Person nach bürgerlichem Recht auch nur in rudimentärster Form auf gesamtstaatlicher Ebene zu regeln, zB Eigentümerorgan sowie Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan einzurichten und statt dessen auf das lokale Recht, „die politischen Gesetze“ oder das jeweilige Statut verwiesen hat, führte in der Praxis geradezu zwangsläufig zur Geschäftsführungs- und Vertretungstätigkeit der neuen politischen Ortsgemeinde; dies obwohl die für private Zwecke der beteiligten Wirtschaftseinheiten, der Stammsitze, reservierten Gemeinschaftsliegenschaften als „Klassenvermögen“ generell aus der Gemeindeverwaltung auszuscheiden gewesen wären.

Dabei handelte es sich jedoch um kein lokales Phänomen, sondern um eine im historischen Dt. Privatrecht allgemein bekannte Erscheinung, wonach die neue politische Ortsgemeinde – abhängig von den lokalen Rechtsverhältnissen – Vertretungs- und Geschäftsführungshandlungen für die „Agrargenossenschaft“, die Realgemeinde, ausgeführt hat. So stellte bereits Otto Gierke klar, dass die Agrargenossenschaften selbständige Körperschaften mit eigener Verfassung, eigener Mitgliedschaft und eigenen Organen seien, dass vielfach der Zusammenhang mit der politischen Gemeinde jedoch nicht völlig gelöst wurde, weshalb zB die Praxis in Prozessen über Gesamtrechte oder Gesamtpflichten einer Klasse die Vertretung der Klasse durch die Gemeinde zulasse. Allein juristisch könne in der fortdauernden Verbindung nur ein zufälliges Zusammentreffen von Gemeindeverfassung und Genossenschaftsverfassung erblickt werden.

Übertragen auf die Rechtssituation im Geltungsbereich des ABGB bedeutete dies, dass die alte Gemeinde als Private kraft Fortbestand ihres Vermögens als Rechtskörper weiterexistierte, dass jedoch vielfach die eigenständigen Organe derselben sich nicht (mehr) konstituierten, weil die Verwaltungs- und Vertretungshandlungen im Rahmen der Organe der politischen Ortsgemeinde gesetzt wurden. Ein Teil der Lehre hat aus diesem Phänomen die Theorie vom „Gemeindesondergut“ entwickelt, welches der Teilung und Regulierung gem den Landes-Flurverfassungsgesetzen zugänglich wäre. Im Ergebnis akzeptiert diese Theorie die Verwaltungs- und Vertretungstätigkeit der politischen Ortsgemeinde als Faktum, ohne sich mit der Existenz der historischen Eigentumsträger weiter zu beschäftigen.

4. Hilfskonstruktionen der Praxis

„So kam es dann, dass im Grundbuch die unterschiedlichsten Eigentumseintragungen für das Gemeinschaftsgut erfolgten, wie z.B. politische Gemeinde, Katastralgemeinde, Fraktion, Nachbarschaft, Interessentschaft und dergleichen. In nicht wenigen Fällen geschah es auch, dass, wenn innerhalb eines Gemeindegebietes mehrere selbstständige agrarische Gemeinschaften in Form der Nachbarschaft vorlagen, diese als Fraktionen irrtümlicherweise grundbücherlich einverleibt wurden, obwohl diese niemals Fraktionen im Sinn der Gemeindeordnung und des Fraktionsgesetzes waren.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol 2010, 24)

Im Einzelnen sind die Erscheinungsformen, wie die „Klassenvermögen“ in den historischen Gemeinden verwaltet wurden, bunt und vielfältig; in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Grundlage wurde teilweise auf das Vereinspatent vom 26.11.1852 als Grundlage für die eigenständige Konstituierung zurückgegriffen. Die Regel war dies gerade in Tirol ganz und gar nicht. Auch wenn in den historischen Gemeinden das Klassenvermögen vielfach streng vom Vermögen der politischem Ortsgemeinde unterschieden wurde, sei es als „Fraktionsvermögen“, sei es als eigenständiger „Rechnungskreis“, als „eigene Kasse“ innerhalb der Gemeindeverwaltung, so hat die jeweilige Organisationseinheit doch zumindest im Fall formeller Vertretungsakte auf die Organe der politischen Ortsgemeinde zurückgegriffen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen spricht vieles für die Richtigkeit des seinerzeitigen Befundes von Albert Mair aus dem Jahr 1958, wonach die Grundbuchsanlegung das wahre Eigentum der politischen Ortsgemeinden mit demjenigen der historischen Agrargemeinden vermengt und Agrargemeinden mit politischen Ortsfraktionen verwechselt habe.

Tiroler Allerlei im Tiroler Grundbuch

Blickt man nun in die Tiroler Grundbücher, so findet man nicht nur eine große Vielfalt höchst bemerkenswerter Eigentümerpersönlichkeiten, sondern auch nicht wenige Fälle, in denen die Grundbuchsanlegungskommissäre nicht nach den ihnen erteilten – und tatsächlich wohl auch unzureichenden – Direktiven vorgegangen waren. Für die Vielfalt kann etwa die KG Prägraten im historischen Gerichtsbezirk Windisch-Matrei als Beispiel dienen. Hier wurden bei der Grundbuchsanlegung folgende Eigentümerpersönlichkeiten festgestellt: „Fraktion St. Andrä“ , „Fraktion Bobojach“ , „Fraktion Hinterbühel“ , „Fraktion Wallhorn“ , „Fraktion Obermauern der Gemeinde Virgen“ , „Göriach Bobojacher Alpenwald-Genossenschaft“ , „Nachbarschaft Bühel“ , „Hintertösen Weidegenossenschaft“ , „Gemeinde Virgen ohne die Fraktion Mitteldorf“ , „Gemeinde Schlaiten“ , „Bobojach u. Wallhorner Sägegenossenschaft“ , „Forstlehnmoos Genossenschaft“ , „Groder-Mair-Felder-Schwaiggenossenschaft“ , „Toinigweidegenossenschaft“ sowie die „Stierfleckgenossenschaft St. Andrä Dorf“ . Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder nur denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und/oder Zweckvermögen konfrontiert, dennoch fehlten hier einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“.

Schulgemeinden als Eigentümer

Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, „Schulgebäude“ würden, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ sei, „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen sein“ (Pkt 6). Eine derartige „dritte Person“ fanden die Grundbuchsanlegungsbeamten eben in speziellen „Schulgemeinden“: So wurden in der KG Längenfeld bei diversen, Schulzwecken gewidmeten Liegenschaften nicht die Schulen als solche, sondern folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schulgemeinde Bruggen“ , „Schulgemeinde Dorf“ und „Schulgemeinde Unterried“ .

Gemeindeschießstand als Eigentümer

Der gegenteilige Vorgang zeigt sich bei „Schießstattgemeinden“: Hier erfolgte, vielleicht in Anlehnung an die für Schulen getroffene Anordnung, gerade nicht die Verbücherung einer „Gemeinde“, sondern des jeweiligen Schießstandes selbst: Als Rechtsträger begegneten daher zum Beispiel der „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“ , der „k.k. Gemeindeschießstand Längenfeld“ der „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder der „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“ . Dies stand im Widerspruch zur Anordnung, es sei „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; in diesem Sinne erfolgte – typischerweise erst Jahrzehnte nach der Grundbuchsanlegung – eine Berichtigung auf den wahren Rechtsträger, also einen Schützenverein bzw eine „Schützengilde“. Schulgemeinden wurden in der Regel auf politische Ortsgemeinden berichtigt.

Gerichtsgemeinden als Eigentümer

Im Rahmen der Grundbuchsanlegung begegneten nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“, in der Regel aus „Gemeinden“ oder „politischen Gemeinden“ zusammengesetzt. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg“ , das „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“ , der „Rustikalgerichtsfond Sillian, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“ , das „Zweidrittelgericht Landeck“ oder die „Gedingstatt Zams“ . Weitere Beispiele für „überörtliche Realgemeinden“ sind die „Pfarrgemeinde Breitenwang bestehend aus den Gemeinden Ehenbichl, Pflach, Reutte und Breitenwang“ , die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“ , die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“ , die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“ , die „Zwei Drittel Galtalpinteressentschaft“ , die „Landdrittel Alpinteressentschaft“ , die „Waldgemeinschaft Kappl–See“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg–Radfeld“ . Einen besonderen Fall findet man in Mutters; hier bilden mehrere quotenlose Gemeinschaften – die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“, die „Nachbarschaft Raithis“ und die „Gemeinde Kreith“ – gemeinsam eine Miteigentümergemeinschaft nach Quoten. Teilweise konnten diese „überörtlichen Realgemeinden“ öffentlichen Interessen gewidmet sein, teilweise waren sie der privaten Nutzung durch die beteiligten „Wirtschaftseinheiten“ vorbehalten.

Katastralgemeinden als Eigentümer

Weiters wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen, worauf schon 1982 die Tiroler Landesregierung hingewiesen hatte . Beispiele dafür lassen sich jedenfalls nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld) , Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle) , Reith bei Seefeld sowie Zamserberg; hier fanden sich als Eigentümer sowohl die die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“ .
Mit den „überörtlichen“ Gemeinden einerseits bzw den Katastralgemeinden andererseits sind jene Erscheinungen zu vergleichen, bei denen als Eigentümer nicht einfach „Gemeinden“ mit jeweils einem einzelnen (geographischen) Namenszusatz verbüchert wurden, sondern bei denen eine genauere Definition dieser Eigentümerpersönlichkeiten durch einen weiteren Zusatz erfolgte, nämlich „Gemeinden ohne …“ oder „Gemeinden mit Ausschluss …“ bestimmer Objekte. Von Gemeinden ausgenommen wurden meist bestimmte „Nachbarschaften“ oder „Weiler“, die dann im Gegenzug über eigenes Liegenschaftsvermögen verfügten.

„Gemeinde ohne …“ und „Gemeinde mit Ausschluss …“

Dies ist etwa der Fall in der bereits erwähnten KG Mutters, wo einerseits die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“ , andererseits die „Nachbarschaft Raithis“ begegnet, darüber hinaus aber auch eine schlichte „Gemeinde Mutters“ wohl als „Gesamtgemeinde“ sowie sogar ausdrücklich eine „Gemeinde Mutters einschließlich der Nachbarschaft Raithis“ , letztere sozusagen als Gegenstück zur „Gemeinde ohne…“. Vergleichbares findet sich in der KG Kematen mit der „Gemeinde Kematen ohne Afling“ (in der benachbarten KG Grinzens abgewandelt definiert als „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ ), der „Nachbarschaft Afling“ , der „Gemeinde Kematen“ sowie schließlich der „Gemeinde Kematen mit Afling“ . Weitere Beispiele sind die KG Grinzens mit dem „Weiler Neder“ und der „Gemeinde Grinzens ohne Neder“ , die KG Scharnitz mit der „Gemeinde Scharnitz“ , der „Nachbarschaft Innrain“ und der „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ oder die KG St. Sigmund mit der „Gemeinde St. Sigmund“ , der „Nachbarschaft Praxmar“ sowie der „Gemeinde St. Sigmund mit Auschluss der Nachbarschaft Praxmar und der Höfe in Kreuzlehen (…)“ .

In allen diesen Fällen aus der „Frühzeit“ der Tiroler Grundbuchsanlegung – in Kematen und St. Sigmund wurden die Grundbücher 1899, in Mutters 1900, in Grinzens 1901 und in Scharnitz 1905 eröffnet – gab es demnach zwei bis vier verschiedene „Gemeinden“; die verschiedenen Ausprägungen von „Gemeinde“ wurden dabei kommentarlos als jeweils eigenständige Rechtsträger in jeweils eigenen Grundbuchsanlegungsprotokollen behandelt, die inhaltlich in keinem Bezug miteinander standen.

Eine andere Variante der „Gemeinde ohne…“ existierte im Grundbuch der zuvor genannten KG Prägraten, nämlich eine „Gemeinde ohne Fraktion“: Die „Gemeinde Virgen ohne Fraktion Mitteldorf“ besaß nach den Ergebnissen der Grundbuchsanlegung im Gemeindegebiet von Prägraten Miteigentum mit „Gemeinde Prägraten“. Fraktionen waren in den Tiroler Grundbüchern allenthalben zu finden und sind dies teilweise auch bis heute. Dies und der Umstand, dass der Fraktionsbegriff mehrdeutig und im Hinblick auf die Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts besonders umstritten ist, rechtfertigen eine ausführliche Betrachtung des „Fraktionseigentums“.

D) Schlussfolgerung

Als Schlussfolgerung ist folgendes festzuhalten: Es gab mannigfache Ursachen dafür, dass in den historischen öffentlichen Büchern in vielen Fällen gerade nicht eine Agrargemeinschaft als Eigentümerin agrargemeinschaftlicher Liegenschaften erfasst wurde, sondern die politische Ortsgemeinde oder eine dieser zugeschriebenen Untergliederung („Fraktion“).

Insoweit die Nutzungsberechtigten ungeachtet dieser Darstellung der Eigentumsverhältnisse in den öffentlichen Büchern weiterhin die Nutzung (zumindest anteilig) ausgeübt haben, behielt diese Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten das (anteilige) Eigentum.

Ein Eigentumserwerb aufgrund langandauernder Verhältnisse (= Ersitzung) der heutigen politischen Ortsgemeinde gegen den Nutzungsbesitzer ist unter dieser Bedingung ausgeschlossen. Die Bucheintragung als Eigentümerin vermittelte insoweit nur einen „nackten Tabularbesitz“.

Die „Gemeinde“ als „nackte Tabularbesitzerin“ muss dem wahren Eigentümer, eben der Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten, jederzeit weichen, wann immer diese Nutzungsgemeinschaft die Herausgabe des Eigentums fordert.

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Geschichten von der Grundbuchanlegung

 

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Geschichten von der Grundbuchanlegung

Mangelnde agrarrechtliche Kenntnisse

„Bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 2010, 24)

„Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung)

Es fehlte ein Organisationsmodell

Für das Gemeinschaftsgut der Nachbarschaften fehlte es an einem gesetzlich anerkannten Organisationsmodell. Und es fehlte am juristischen Verständnis.

 

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WALDVIERTELN IN LÄNGENFELD?

Die Verantwortung für die chaotische Beurteilung der Gemeinschaftswälder im Zuge der Grundbuchanlegung lag primär bei überforderten Gerichtsbeamten. Mit­verantwortung trugen historische Akteure, die vollkommen falsche Eigentümerbezeichnungen forderten. So hat die Gemeinde Längenfeld im August 1911 bei der Grundbuchanlegungskommission beantragt, die Wälder in der Gemeinde Längenfeld als Eigentum der „Waldvierteln“ (!) im Grundbuch einzuverleiben.

„Waldvierteln“ existierten damals so wenig wie heute. Der Grundbuchbeamte entschied sich für „Gemeinde Längenfeld“ als Eigentümerin. Die Längenfelder wollten sich die Enteignung ihrer „Waldvierteln“ jedoch nicht gefallen lassen. Sie forderten noch im September 1911 das Einschreiten der Tiroler Landesregierung, die dem Grundbuchkommissar auf die Finger klopfen sollte. Die Landesregierung stellte am 4. Oktober 1911 fest, dass es sich offenbar um Wälder handle, „die wenigstens zum Teil nicht ausgesprochenen Fraktionen, sondern Nachbarschaften“ gehören würden. Die Landesregierung hat daraufhin abgewogen: Entweder der Gemeinde Längenfeld zu empfehlen, Regulierungsanträge an die Agrarbehörde (!) zu stellen oder einen „Landes-Commissär“ als Vermittler zu entsenden. Die Landesregierung entschied sich für Letzteres. Entsandt wurde Dr. Josef Jordan, der am

4. November 1911 im Gasthof Hirschen in Oberlängenfeld folgenden Kompromiss vermittelte: Die Gemeinde soll als Eigentümerin im Grundbuch bleiben; zusätzlich sollten Holznutzungsrechte als Servituten einverleibt werden – nicht für „Waldvierteln“, sondern für „Fraktionen“. Die Agrarbehörde, die 1911 bereits angerufen werden hätte können, wurde erst 60 Jahre später mit dem Fall befasst. Ende der 1950er Jahre wurden agrarische Operationen eingeleitet und in der Folge entschieden, dass wahre Eigentümerinnen der Längenfelder Wälder weder „Waldvierteln“ oder „Fraktionen“ seien und auch nicht die Ortsgemeinde, sondern die neun „Wald-Agrargemeinschaften“ von Längenfeld.

EIN GEMEINDEGASTHAUS IN UNTERPERFUSS

Oft wurde in Tirol die heutige Ortsgemeinde als „Fortsetzung“ der historischen Nachbarschaft verstanden, weil man die Nachbarschaft Jahrhunderte lang auch „Gemeinde“ genannt hatte. Ein Protokoll der Agrarbehörde aus den 1950er Jahren macht dies anschaulich: „Bei Überprüfung des Besitzstandes erklären die Parteien, dass die Bauparzelle 9/2 ‚Wohnhaus samt Garten‘, Eigentum der Agrargemeinschaft Unterperfuß sei. Das Haus habe Gervasius K. gehört. Die neun Bauern von Unterperfuß hätten die Landwirtschaft gegen Leistung des vollen Unterhaltes an K. in den 1870er Jahren übernommen. Die neun Bauern haben sich damals als ‚Gemeinde‘ bezeichnet, weil außer ihnen kein Besitzer in der Gemeinde war und daher niemand daran dachte, zwischen ‚Gemeinde‘ und den neun Besitzern zusammen einen Unterschied zu finden. Sie haben das Haus als ihren Besitz betrachtet und benützt und beim Bau der Arlbergbahn im Haus einen Gastwirtschaftsbetrieb eröffnet. Auch dann noch haben sich die neun Bauern als ‚Gemeinde‘ betrachtet, welcher der Gastbetrieb gehört. Die Gasthauskonzession lautete auf ‚Gemeinde Unterperfuß‘, weil sie sich als ‚Gemeinde‘ betrachteten und fühlten.“ Bei der Grundbuchanlegung in Unterperfuß im Jahr 1902 wurde das Eigentum von den neun Grundbesitzern unter der Etikette „Gemeinde Unterperfuß“ in Anspruch genommen.

Das Grundbuchanlegungsprotokoll vermerkt: „Vulgarname Gemeindewirtshaus, Eigentümerin Gemeinde Unterperfuß“. Im Regulierungsverfahren hatte die Agrarbehörde über das Eigentum am Haus zu entschieden. Die Agrarbehörde entschied, dass Eigentümerin die Agrargemeinschaft Unterperfuß sei. Die historische Grundbucheintragung war offenkundig falsch.

DIE WALDGEMEINSCHAFT KAPPL-SEE

In den Katastralgemeinden See und Kappl wurden bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1930 zwei Liegenschaften als Eigentum einer „Waldgemeinschaft Kappl-See“ (EZ 105 KG See) bzw. einer „Waldgemeinschaft Kappl-See (bestehend aus den politischen Gemeinden Kappl und See)“ (EZ 343 KG Kappl) einverleibt – in Summe rund 2.700 ha Wald und Almgebiet in beiden Katastralgemeinden gemeinsam. Fragt man sich, wie ein Verband aus zwei politischen Ortsgemeinden derartige Landwirtschaftsflächen erworben haben könnte, stößt man auf den Eigentumstitel, einen Vergleich der „Gemeinden Kappl und See“ mit dem kaiserlichen Ärar vom 22. Oktober 1847. Elf Bevollmächtigte von Kappl und neun von See, zwanzig Bevollmächtigte insgesamt haben gem. Pkt. Zwölftens dieses Vergleichs „für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf alle Nutzungen und Bezüge aus reservierten Staatswäldern […] feierlichst Verzicht“ geleistet. Die Gegenleistung für den Verzicht war in Vergleichspunkten Erstens bis Viertens geregelt, die mit folgender Parteienerklärung eingeleitet sind: „überlässt das k. k. Aerar den beiden Gemeinden Kappl und See, respektive sämtlichen zu ihnen gehörigen Ortschaften, Weiler und Höfen in das volle Eigentum die nachfolgenden […] Staatswälder: …“ [es folgt die Aufzählung und Grenzbeschreibung der überlassenen Waldparzellen].

Die Forstservituten-Ablösungs-Kommission sollte bei der Ablöse der Holzbezugsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer „gemeindeweise“ vorgehen und jede Nachbarschaft gesondert abfinden. In See und Kappl (einschließlich Langesthei) wurde „gemeindeübergreifend“ vorgegangen. In einem Bericht vom November 1847 an das k. k. Steueramt für das Oberinntal rechtfertigt das Mitglied der Servituten-Ablösungskommission Gubernial-Sekretär Jakob Gasser: „Eine große Schwierigkeit für die kommissionelle Verhandlung lag auch in den örtlichen Verhältnissen der Paznauner Gemeinden Kappl, See und Langesthei, weil die diese Gemeinden bildenden Höfe und einzelnen Weiler so zerstreut und doch wieder unter einander vereinigt sind, dass eine Zuteilung der Waldungen nach Gemeindebezirken nicht möglich gewesen wäre, und daher auch mit den einzelnen Gemeinden nicht verhandelt werden konnte. Es blieb daher der Kommission kein anderer Ausweg, als mit diesen drei Gemeinden als wie mit einer vereinten Gemeinde zu verhandeln, und die zur Deckung des rechtlichen Bezuges erforderlichen Waldungen in das gemeinschaftliche Eigentum zu übergeben, womit auch die Gemeinde-Bevollmächtigten sich vollkommen einverstanden erklärten.“ Am 5. März 1963 entschied die Agrarbehörde, dass diese „Waldgemeinschaft“ in Wahrheit eine Agrargemeinschaft sei; über 520 anteilsberechtigte Stammsitze wurden festgestellt. Im groben Durchschnitt wurden somit die Holznutzungsrechte der Hofbesitzer aus Kappl, See und Langesthei im Jahr 1847 mit rund fünf ha Eigentum an Wald- und Almfläche je Stammsitzliegenschaft abgefunden.

FRAKTIONEN IN EHRWALD

Der Servituten-Ablösungsvergleich, den die „Erwaldar“ im Zuge der „Tiroler Forstregulierung“ abgeschlossen haben, erklärt, was die kaiserliche Kommission unter dem Begriff „Fraktion“ verstanden hat. Gemäß Vergleich vom 16. Oktober 1848, verfacht am 10. Dezember 1852, fol 1008 Landgericht Reutte, wurde gesondertes Waldeigentum der „Fraktion Oberehrwald oder der drei oberen Höfe“ geschaffen (Pkt. Zehntens des Vergleichsprotokolls) und gesondertes Waldeigentum der „Fraktion Unterehrwald oder der zwei unteren Höfe“ (Pkt. Elftens).

Die Siedlungsgeschichte von Ehrwald belegt als älteste An­sied­lung den „Hof auf der Holzleiten“, später „Trueferhof“ genannt, ursprünglich vier Einzelgehöfte. Als zweite Ansiedlung ent­stand der „Hof im Holz“, ursprünglich drei Einzelgehöfte, als dritte Ansiedlung der „Holzerhof“, ein Häuserring, der die spä­ter errichtete Martinskapelle umgab. Diese „drei Höfe“ bilde­ten den Kern des „Oberdorfes“. Das „Unterdorf“ entstand aus dem „Zwischenbacherhof“ und dem „Tiefethof“, ebenfalls Häuser­grup­pen. Dass bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1908 aufgrund dieses Servituten-Ablösungsvergleichs vom 16. Oktober 1848 „Fraktionen“ als Eigentümer des „Gemeinschaftswaldes“ er­fasst wurden, war somit formal korrekt („Urkundenprinzip“). Eine solche Eintragung war freilich missverständlich, weil „Frak­tio­nen“, zusammengesetzt aus „Höfen“ in Wahrheit nur agrarische Ge­mein­schaften sein konnten. Die heutige Ortsgemeinde geht auf die Ge­meindeordnung von 1866 zurück; die Bewohner von Ehrwald, die „Erwaldar“, und ihre Höfe sind schon in der Steuerliste des Ge­richts Imst aus dem Jahr 1275 nachgewiesen. Diesen standen die ersessenen Holznutzungsrechte im Staatswald zu, die mit Ser­vi­tuten-Ablösungsvergleich vom 16. Oktober 1848 in Form von Ge­meinschaftseigentum abgelöst wurden. Korrekterweise hätte im Zuge der Grundbuchanlegung festgestellt werden müssen, dass die „Fraktionen“ von Ehrwald laut Inhalt des Servituten-Ab­lösungsvergleichs vom 16. Oktober 1848 aus „Höfen“ bestanden haben. Natürlich hätte der Grundbuchsbeamte dann auch noch erheben müssen, aus welchen konkreten Stammsitzen die betreffende Fraktion besteht. Diese aufwendige Erfassungstechnik findet man beispielsweise bei den Steinacher Fraktionen Tienzens, Puig und Mühlen, die 1/8 Anteil Miteigentum an der Agrargemeinschaft Navis (EZ 154 Grundbuch Navis) besessen haben.

FRAKTION ALTGEMEINDE VENT 

Eine obskurste Eigentümeretikette hat die Grundbuchanlegung 1912 in Sölden hervorgebracht: „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Neun Lie­genschaften wurden dieser zugeschrieben. Der Eigentumstitel lau­tete unter anderem „Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli verfacht 12. September 1848 fol Nr. 648“. Diese Urkunde vom 14. Juni 1848 enthält unter anderem folgende Anerkennung von Privateigentum: Die „Heimweide und Alpe Ramol“ sowie das „Zunther und Krüppelholz in Niedertal“ aufgrund Urkunde vom 14. November 1415 sowie vom 8. Juli 1563, angemeldet von „Gemeinde Vent durch den Vorsteher Peter Klotz und Aus­schussmann Method Scheiber“. Bei der Alpe Ramol wurde aufgrund des Beschlusses des Gemeinderats von Sölden vom 2. März 1924 die Eigentümerbezeichnung von „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ auf die fünf Hofbesitzer von Vent als Miteigentümer berichtigt (Vertrag vom 31. August 1927). Vier weitere Liegenschaften waren in den 1970er Jahren Gegenstand eines agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens. Die Gemeinde Sölden wollte erfolglos als Rechtsnachfolgerin von „Fraktion Altgemeinde Vent“ aner­kannt werden. Mit Bescheid vom 15. November 1979 entschied die Agrarbehörde unter Hinweis auf die Urkunde vom 14. No­vem­ber 1415, dass „Fraktion Altgemeinde Vent“ in Wahrheit ei­ne „Nachbarschaft Vent“ sei, nunmehr Agrargemeinschaft. Das Ei­gentum stehe dieser Agrargemeinschaft zu. Für die verbliebenen vier Liegenschaften hat die Agrarbehörde mit Bescheid vom 8. März 2012 das Regulierungsverfahren eingeleitet. Die Gemeinde Söl­den fürchtet wieder um „ihr“ Eigentum und hat diesen Be­scheid erfolglos bis zum Verfassungsgerichtshof bekämpft. Im fort­zusetzenden Verfahren wird die Agrarbehörde insbesondere zu entscheiden haben, wer Eigentümer dieser verbliebenen vier Liegenschaften ist.

FRAKTION HOF ACHERBACH 

Die Liegenschaft in EZ 717 II KG Umhausen wurde im Zuge der Grundbuchanlegung auf die Etikette „Fraktion Hof Acherbach“ einverleibt. Im Grundsteuerkataster aus den 1850er Jahren war noch eine „Ortschaft Acherbach“ als Eigentümerin aufgeschienen. Das Grundbuchanlegungsprotokoll Nr. 323 KG Umhausen vom August 1909 begründet die Umbenennung nicht. Unter der Stampiglie „Erhebung der Eigentumsrechte“ wurde lapidar hinzugefügt: „Fraktion Hof Acherbach“ – FEPT Nr. 25 vom 14. Juli 1848 (Forsteigentums-Purifikations-Tabelle). Liest man die FEPT an der angegebenen Stelle nach, so findet man als Eigentumsträger „Hof Acherbach“, welchem die „äußerste Waldstrecke im Acherkar“ als Privateigentum zuerkannt wurde – dies neben dem Wald der „Parzelle Farst“.

Mit Urkunde vom 20. Juni 1920, genehmigt vom Landeshauptmann für Tirol, erklären vier Stammliegenschaftsbesitzer aus Umhausen, dass ihre Rechtsgemeinschaft keine „Fraktion“ im Sinn einer politischen Unterteilung der Gesamtgemeinschaft Umhausen sei, sondern eine „Nachbarschaft“. Die Eigentümer von „Hof Acherbach“ wären folgende: 1. Siegmund Maurer in Tumpen Nr. 4, 2. Johann Tobias Klotz in Tumpen Nr. 15, 3. Notburga Schöpf in Tumpen Nr. 21, 4. Josef Doblander in Tumpen Nr. 1 (letzterer kriegsvermisst und vertreten durch Johann Maurer). Diese insgesamt vier Mitberechtigten an der Liegenschaft in EZ 717 II KG Umhausen veranlassten die Umschreibung des Eigentümers von „Fraktion Hof Acherbach“ auf „Nachbarschaft Hof Acherbach“ – dies mit Genehmigung des Landeshauptmanns von Tirol vom Oktober 1920. Damit war das Schicksal der „Fraktion Hof Acherbach“ besiegelt. Verfassungswidrig war dieser Vorgang offensichtlich nicht!

ZWEITAUSEND WALDPARZELLEN 

Eine Besonderheit der Tiroler Grundbuchanlegung war es, das Eigentum an Privatwäldern einer Ortsgemeinde oder einer „Fraktion“ zuzuordnen. Die bisherigen Eigentümer wurden auf „Gemeindegutsnutzungen“ verwiesen. Nicht immer wurden diese „Verkenntnisse“ von der betroffenen Bevölkerung akzeptiert.

So berichtete Rechtsanwalt Dr. Robert von Vilas als bestellter Kurator der Gemeinde Roppen am 24. September 1906 Folgendes an die Tiroler Landesregierung: „Sämtliche erschienenen Teilwaldbesitzer vertraten in nachdrücklichster Form den Standpunkt, dass das Eigentumsrecht zu ihren Gunsten eingetragen werden müsste. Ihren Standpunkt suchten sie dadurch zu rechtfertigen, dass sie sich seit ca. 150 Jahren selbst als Eigentümer im guten Glauben befinden, dass sie sowohl vor Gericht als auch vor den Verwaltungsbehörden als Eigentümer betrachtet und behandelt wurden, dass ihnen die Wälder vom Gericht in das freie, unbeschränkte Eigentum eingeantwortet wurden und dass sie sowohl im Verfachbuch als in den Grundbesitzbögen als Eigentümer aufscheinen. Eine Änderung in den Eigentumsverhältnissen bedeute eine wirtschaftliche Katastrophe für die Mitglieder der Gemeinde Roppen. Als Vertreter der Gemeinde Roppen nahm ich den gegenteiligen Standpunkt ein. Nach fünfstündigen, sehr erregten Verhandlungen (der Herr Grundbuchskommissär hatte Gendarmerieassistenz beigezogen) wurde unter Äußerungen des Unwillens der Gerichtsbeschluss verkündet, dass das Eigentumsrecht an sämtlichen Teilwäldern zugunsten der Gemeinde Roppen eingetragen werde.“

Betroffen waren ca. 2000 (!) Waldparzellen in der KG Roppen. Die Roppener Bürgerinnen und Bürger beharrten auf ihrem Standpunkt und sie haben sich als Eigentümer durchgesetzt. Noch heute besitzen die Roppener die jeweiligen Waldparzellen als ihr Alleineigentum.

CHAOS IM GRUNDBUCH SÖLDEN 

Chaos hat die Grundbuchanlegung in Sölden erzeugt, wie das Protokoll Nr. 251 vom 23. Oktober 1912 zeigt: Der Gemeindevorsteher Johann Prantl forderte Gemeindeeigentum an der Lenzen- und an der Timmel-Alpe. Er berief sich auf die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle (FEPT) vom 12. September 1848. Die Alpinteressenten forderten ebenfalls Eigentum. Nur sie hätten die Almen „besessen, benützt und versteuert“. Der Grundbuchbeamte entschied sich für „Fraktionen“ als Eigentümer: „Die Fraktion (Parzelle) Sölden steht im Besitz der Timmel-Alpe. Die Fraktion Zwieselstein steht im Besitz der Lenzen-Alpe. Die Interessenten besitzen Weiderecht.“ Der Beamte glaubte, dass im Zuge der „Tiroler Forstregulierung 1847“ das Eigentum „Fraktionen“ zugesprochen worden sei. Rund 50 Liegenschaften wurden deshalb in der Katastralgemeinde Sölden auf die Eigentümeretikette „Fraktion“ einverleibt („Fraktion“ Sölden, Gurgl, Obergurgl, Untergurgl, Kaisers, Winterstall, Zwieselstein, Heilig-Kreuz, Hochwald, Grünwald, Innerwald usw.).

In Sölden war man mit diesen Eigentümerbezeichnungen unzufrieden. Eine „Berichtigungswelle“ in den 1920er Jahren war die Folge. Ein Beschluss des Gemeinderats von Sölden stellte klar, dass die Eigentümerbezeichnungen „Fraktion“ falsch seien – dies zumindest die Alm-Liegenschaften betreffend. Seitens der Gemeinde (Beschluss vom 2. März 1924) und der Landesregierung als Gemeindeaufsicht wurde allen „Interessenten“ die Berichtigung der Eigentumsverhältnisse angeboten. In den Jahren 1927 bis 1931 wurden 23 (!) Almliegenschaften von „Fraktion“ auf Miteigentum der Hofeigentümer umgeschrieben. Die „Überlassungsverträge“ stellten dazu einheitlich fest, dass der „Fraktion“ nichts gebührte als der „formelle Titel Eigentum“. Die Gemeinde Sölden erklärte namens der „Fraktionen“, dass sie für die Überlassung des formellen Eigentumsrechts keine Entschädigung verlange, „da eben ihr bisheriges Eigentum wegen der erschöpfenden Nutzungsrechte Dritter an sich vollkommen wertlos war und ist“. Die 41 Miteigentümer der Gaislachalm in EZ 498, Grundbuch Sölden, versäumten diese Gelegenheit. Die Agrarbehörde musste deshalb im Regulierungsverfahren über die Eigentumsverhältnisse an der Gaislachalm entscheiden. Am 29. September 1961 wurde festgestellt, dass Eigentümerin dieser Liegenschaft die Agrargemeinschaft Gaislachalpe sei. Eine von der Ortsgemeinde Sölden erhobene Berufung wurde auf dem Weg erledigt, dass die Agrargemeinschaft die geforderte unentgeltliche Nutzung für Liftanlagen und Schipisten im Winter einräumte; im Gegenzug hat die Ortsgemeinde das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft anerkannt. Heute wird bei Agrargemeinschaft Gaislachalpe ein „atypisches Gemeindegut“ angenommen.

DIE „SCHILDER FRAKTIONSGENOSSENSCHAFT“

Am 12. Juli 1906 unterfertigten zwei Mitglieder für die Fraktion Mattersberg sowie zwei Mitglieder für die Fraktion Moos, insgesamt also vier Mitberechtigte, das Grundbuchsanlegungsprotokoll Nr. 482 der KG Windisch-Matrei. Nach dem Inhalt dieser Urkunde sollte die „Schilder Alpgenossenschaft“ aus den „Fraktionen“ Mattersberg und Moos bestehen. Zusätzlich bestätigten das auch noch die zwei „üblichen“ Vertrauensmänner. Fast auf den Tag fünf Jahre später, am 3. Juli 1911, leitete die
k. k. Landeskommission für agrarische Operationen das Verfahren zur Regulierung der Verwaltungs- und Benützungsrechte an der „Schilder Alpgenossenschaft“ ein; die Liste der an der Alpe Beteiligten datiert vom Dezember 1911. Der Bescheid betreffend das Register der Anteilsrechte erging am 18. September 1925; das Verfahren endete mit Bescheid vom 27. Juli 1927. Darin stellte die Agrarbezirksbehörde Folgendes fest: „§ 3 Beteiligte und Anteilrechte. Die Schildalpe steht im Eigentum der Schilderalpinteressentschaft, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der nachstehend angeführten, in der KG Windisch-Matrei-Land gelegenen Stammsitzliegenschaften mit den angegebenen Anteilrechten.“ Es folgte eine Aufzählung von insgesamt 29 Stammsitzliegenschaften jeweils ohne Nennung des aktuellen Eigentümers; „Fraktionen“ wurden nicht genannt, ein Anteilsrecht für eine politische Ortsfraktion oder für die Ortsgemeinde war nicht vorgesehen. Die Grundbuchsanlegungsbeamten und die Beamten der k. k. Landeskommission für agrarische Operationen hatten sich im Fall der als „Schilder Alpgenossenschaft“ bezeichneten „Miteigentumsgemeinschaft“ der beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos nahezu die Türklinke in die Hand gegeben: Die einen beendeten ihre Tätigkeit am 12. Juli 1906, die anderen legten am 3. Juli 1911 einen fertigen Bescheid zur Einleitung des Regulierungsverfahrens vor. Nachdem ein Eigentümerwechsel aus dieser Zeit nicht überliefert ist, stellt sich die Frage, warum die in den beiden Verfahren getroffenen Feststellungen nicht gleichlautend waren, sodass der Eindruck entstehen könnte, es müsse eine der beiden Entscheidungen unrichtig sein. Die k. k. Landeskommission für agrarische Operationen führte dazu sogleich 1911 in der Begründung zum Bescheid auf Verfahrenseinleitung aus, dass die „Schilderalpe“ laut Grundbuchseintragung zwar der aus den Fraktionen Mattersberg und Moos der politischen Gemeinde Windisch-Matrei-Land bestehenden Schilder-Alpgenossenschaft gehöre, dass diese Grundbuchseintragung den tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht genau entsprechen dürfte. Es handle sich vielmehr um eine den Besitzern bestimmter Talgüter gehörige Alpe und damit um ein gemeinschaftliches Grundstück im Sinne des § 4 lit b TRLG 1909, dessen Verwaltungs- und Benützungsrechte einer Regulierung zu unterziehen seien. Die Landeskommission für agrarische Operationen äußerte also schon 1911 grundlegende Zweifel an der Richtigkeit jener Eigentümerbezeichnung, die erst 1906 im Zuge der Grundbuchsanlegung gewählt worden war.

Zur Annahme, eine der beiden Kommissionen hätte eben eine falsche Entscheidung getroffen, existiert freilich eine Alternative: Möglicherweise hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten schon 1906 unter dem Begriff „Fraktion“ das verstanden, was dann drei Jahre später im (Tiroler) Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz (1909) als Agrargemeinschaft definiert wurde. Aus der Sicht der nicht-juristischen Beteiligten an der Grundbuchsanlegung – den Vertretern aus Mattersberg und Moos sowie den beiden Vertrauensleuten – lag es jedenfalls nicht nahe, Einwendungen gegen die Wahl des Begriffes „Fraktion“ zu erheben: Im Franziszeischen Steuerkataster, der bekanntlich die Grundlage für die Grundbuchsanlegung bildete, waren nämlich „I. Moos Rotte“ und „II. Mattersberg Rotte“ als Eigentümer verzeichnet gewesen. Ob „Rotte“ oder „Fraktion“ – aus Sicht eines juristischen Laien konnte diese Wortwahl als reine „Geschmackssache“ erscheinen.

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Artenvielfalt im Grundbuch

 

MP

 

Artenvielfalt
im Grundbuch

Dr. iur. ao. Univ.-Prof. Gerald Kohl, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, hat die Tiroler Grundbuchanlegung systematisch erforscht. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass für die agrargemeinschaftlichen Liegenschaften die wunderlichsten Eigentümerbezeichnungen gefunden wurden.

 

1. Kreative Grundbuchanlegungsbeamte erfanden unzählige Eigentümerbezeichnungen

Gemeinschaftsliegenschaften zeichneten sich bereits sehr früh als ein Problem für die Grundbuchsanlegung ab. Im Oktober 1897 gab das Justizministerium den „mit der Grundbuchsanlegung betrauten richterlichen Organen (…) Directiven zur entsprechenden Würdigung und Darnachachtung“, wobei diese Richtlinien insbesondere jene „Gattungen von Liegenschaften“ betrafen, die „in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen“. Dazu wurden neben den typischen „aerarischen“ Grundstücken insbesondere jene der Kirchen, geistlichen Orden und Korporationen, Friedhöfe, Schulen, Stiftungen etc gerechnet. Als ein „allgemeiner Grundsatz“ wurde den Grundbuchsanlegungskommissären eingeschärft, „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; dabei müsse „darauf gesehen werden, dass die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen und nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“. Schon darin zeichnet sich das Dilemma der nicht mit einer Satzung versehenen Personengemeinschaften, der im Sinne des ABGB „moralischen Personen“, ab – darauf wird noch einzugehen sein.

Blickt man nun in die Tiroler Grundbücher, so findet man nicht nur eine große Vielfalt höchst bemerkenswerter Eigentümerpersönlichkeiten, sondern auch nicht wenige Fälle, in denen die Grundbuchsanlegungskommissäre nicht nach den ihnen erteilten – und tatsächlich wohl auch unzureichenden – Direktiven vorgegangen waren. Für die Vielfalt kann etwa die KG Prägraten im historischen Gerichtsbezirk Windisch-Matrei als Beispiel dienen. Hier wurden bei der Grundbuchsanlegung folgende Eigentümerpersönlichkeiten festgestellt: „Fraktion St. Andrä“, „Fraktion Bobojach“, „Fraktion Hinterbühel“, „Fraktion Wallhorn“, „Fraktion Obermauern der Gemeinde Virgen“, „Göriach Bobojacher Alpenwald-Genossenschaft“, „Nachbarschaft Bühel“, „Hintertösen Weidegenossenschaft“, „Gemeinde Virgen ohne die Fraktion Mitteldorf“, „Gemeinde Schlaiten“, „Bobojach u. Wallhorner Sägegenossenschaft“, „Forstlehnmoos Genossenschaft“, „Groder-Mair-Felder-Schwaiggenossenschaft“, „Toinigweidegenossenschaft“ sowie die „Stierfleckgenossenschaft St. Andrä Dorf“. Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder nur denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und/oder Zweckvermögen konfrontiert, dennoch fehlten hier einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“.

GERICHTSGEMEINDEN IM GRUNDBUCH

Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und Zweckvermögen konfrontiert. Dennoch fehlten einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“. Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, die Schulgebäude im Zweifel auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eigenes Rechtssubjekt einzutragen“. So wurden in der KG Längenfeld bei „Schulliegenschaften“ folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schul­gemeinde Bruggen“, „Schulgemeinde Dorf“ und „Schulgemeinde Unterried“. Als Vergleichsbeispiel finden sich in anderen Gemeinden die den Dorfschützen gewidmeten Übungsplätze, die zum Beispiel als ­„k. k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, „k. k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder als „k. k. Gemeinde Schieß­stand Innervillgraten“ eingetragen wurden. Aus der Zeit der Grundbuchanlegung findet man nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“ als Eigentümer. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft“ in Mieders, das „Gerichtsviertel untere Schranne“ in Ebbs oder der „Rustikalgerichtsfonds Sillian“ (bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen). Ähnliche Wurzeln haben die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“, die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“, die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg-Radfeld“.

Gerne wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen. Beispiele dafür lassen sich u.a. nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld), Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle) sowie Zamserberg, wo sowohl die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“ stolze Eigentümerin war. Die Tiroler Landesregierung hatte schon 1982 auf dieses Wirr-Warr hingewiesen und klar gestellt, dass bei der Grundbuchsanlegung einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen wurden. Es sei allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten gelegen, welchen Ausdruck er verwendete. Besonders häufig haben die Grundbuchbeamten den Begriff „Fraktion“ zur Bezeichnung eines Liegenschaftseigentümers verwendet.

FRAKTIONEN IM GRUNDBUCH

„Fraktion“ als historische Eigentümerbezeichnung findet sich in den Tiroler Grundbüchern in jeder denkbaren Spielart und Kombination, wie ein Streifzug durch die historischen Grundbücher deutlich macht. Fraktionen bestehend aus vollständig aufgezählten Liegenschaften (z. B. in Untertilliach), Genossenschaften bestehend aus Fraktionen (z. B. Mullitz-Alpgenossenschaft, bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach), Nachbarschaften bestehend aus Fraktionen (z. B. Nachbarschaft Unterbach und Grünau, bestehend aus der Fraktion Unterbach der Gemeinde Bach und den Fraktionen Ober- und Untergrünau der Gemeinde Elbigenalp) sind nur ein kleiner Auszug aus diesem bunten Wortgewirr. Diese Erscheinungen sind heute ganz überwiegend aus dem Grundbuch verschwunden, auch wenn das elektronische Tiroler Grundbuch in Summe noch über 70 derartige Liegenschaften nachweist. Alleine im Grundbuch der KG Windisch-Matrei Land (heute: Grundbuch 85103 Matrei-Land) waren im Zuge der Grundbuchsanlegung 13 unterschiedliche „Fraktionen“ als Liegenschaftseigentümer einverleibt; hinzu kamen jedenfalls eine „Genossenschaft bestehend aus Fraktionen“, und eine „Genossenschaft bestehend aus einer Fraktion und taxativ aufgezählten Höfen“. All diese Eigentümerpersönlichkeiten sind seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sukzessive als Agrargemeinschaften identifiziert worden, sodass heute im elektronischen Grundbuch dieser Katastralgemeinde keine einzige „Fraktion“ mehr nachweisbar ist.

Diese Veränderungen erfolgten nicht schlagartig, sondern im Rahmen eines „Erosionsprozesses“, der am Beispiel der KG Matrei-Land, GB 85103, gut illustriert werden kann: Aus den erwähnten 15 „Fraktionen“ und „Fraktions-Gesellschaften“ wurden 13 Agrargemeinschaften reguliert und zwar drei in den 1920er Jahren, drei in den 1930er Jahren, sechs in den 1940er Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft und schließlich eine in den 1960er Jahren. Die gleiche Erosion, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, zeigt sich im Grundbuch Umhausen: Hier hatte die Grundbuchsanlegung acht Eigentümer mit der Zusatzbezeichnung Fraktion festgestellt. Die „Fraktion Farst“ und „Fraktion Köfels“ wurden mit Bescheid vom 1. März 1949 als Agrargemeinschaften reguliert. Die „Fraktion Umhausen“ folgte am 10. August 1959, die „Fraktion Östen“ am 5. Oktober 1959. Erst 1982 wurde die „Fraktion Niederthai Neaderseite“ umgegründet, 1983 die „Fraktion Tumpen“ und aus der „Fraktion Niederthai Sonnseite“ wurden die Agrargemeinschaften Sonnseite Sennhof (1982) und 1990 die Agrargemeinschaft Bichl-Höfle.

RECHTFERTIGUNG FÜR DIE BEGRIFFSWAHL

Überlegungen der Grundbuchbeamten dazu, warum als Eigentümerbezeichnung so oft der Begriff „Fraktion“ verwendet wurde, lassen sich nur ganz selten nachweisen. Eine Ausnahme bildet das Grundbuch-Anlegungsprotokoll Nummer 482 der ehemaligen Katastralgemeinde „Windisch-Matrei Land“. Dort wurde vom Grundbuchanlegungsbeamten im Juni 1906 folgende Begründung festgehalten: „Die Schilder Alpgenossenschaft ist Eigentümerin aufgrund Ersitzung und besteht aus den Fraktionen a) Mattersberg und b) Moos der Gemeinde Windisch-Matrei. Wenngleich von der Fraktion Mattersberg das Brenneranwesen und von der Fraktion Moos verschiedene Anwesen in die Schilderalpe nicht auftriebsberechtigt sind, so besitzt die Schilderalpe trotzdem für die Fraktionen Mattersberg und Moos den Charakter einer Fraktionsalpe. Es darf also von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht weiterverkauft werden, ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer, in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde. Die Grasrechte sind mit anderen Worten fest verbunden mit den ganzen Anwesen oder wenigstens mit den einzelnen Stücken der Fraktionen Mattersberg und Moos. Die bestimmte Stückzahl, mit der die einzelnen Anwesen auftriebsberechtigt sind, entspricht der Größe der betreffenden Anwesen und wurde vor ungefähr 20 Jahren im gegenseitigen Einverständnis unter den Hofbesitzern geregelt. Nachdem es sich bei der Schilderalpe um eine Fraktionsalpe handelt, gründen sich die Auftriebsrechte der einzelnen Anwesen auf den § 63 der Gemeindeordnung.“ Alles klar?

2. Was man so alles im historischen Tiroler Grundbuch findet!

SCHULGEMEINDEN UND ANDERE

Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, „Schulgebäude“ würden, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ sei, „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen sein“ (Pkt 6). Eine derartige „dritte Person“ fanden die Grundbuchsanlegungsbeamten eben in speziellen „Schulgemeinden“: So wurden in der KG Längenfeld bei diversen, Schulzwecken gewidmeten Liegenschaften nicht die Schulen als solche, sondern folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schulgemeinde Bruggen“, „Schulgemeinde Dorf und „Schulgemeinde Unterried“. Der gegenteilige Vorgang zeigt sich bei „Schießstattgemeinden“: Hier erfolgte, vielleicht in Anlehnung an die für Schulen getroffene Anordnung, gerade nicht die Verbücherung einer „Gemeinde“, sondern des jeweiligen Schießstandes selbst: Als Rechtsträger begegneten daher zum Beispiel der „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, der „k.k. Gemeindeschießstand Längenfeld“ der „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder der „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“. Dies stand im Widerspruch zur Anordnung, es sei „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; in diesem Sinne erfolgte – typischerweise erst Jahrzehnte nach der Grundbuchsanlegung – eine Berichtigung auf den wahren Rechtsträger, also einen Schützenverein bzw eine „Schützengilde“. Schulgemeinden wurden in der Regel auf politische Ortsgemeinden berichtigt.

Im Rahmen der Grundbuchsanlegung begegneten nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“, in der Regel aus „Gemeinden“ oder „politischen Gemeinden“ zusammengesetzt. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg“, das „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“, der „Rustikalgerichtsfond Sillian, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“, das „Zweidrittelgericht Landeck“ oder die „Gedingstatt Zams“. Weitere Beispiele für „überörtliche Realgemeinden“ sind die „Pfarrgemeinde Breitenwangbestehend aus den Gemeinden Ehenbichl, Pflach, Reutte und Breitenwang“, die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“, die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“, die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“, die „Zwei Drittel Galtalpinteressentschaft“, die „Landdrittel Alpinteressentschaft“, die „Waldgemeinschaft Kappl–See“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg–Radfeld“. Einen besonderen Fall findet man in Mutters; hier bilden mehrere quotenlose Gemeinschaften – die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“, die „Nachbarschaft Raithis“ und die „Gemeinde Kreith“ – gemeinsam eine Miteigentümergemeinschaft nach Quoten. Teilweise konnten diese „überörtlichen Realgemeinden“ öffentlichen Interessen gewidmet sein, teilweise waren sie der privaten Nutzung durch die beteiligten „Wirtschaftseinheiten“ vorbehalten.

Weiters wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen, worauf schon 1982 die Tiroler Landesregierung hingewiesen hatte. Beispiele dafür lassen sich jedenfalls nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld), Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle), Reith bei Seefeld sowie Zamserberg; hier fanden sich als Eigentümer sowohl die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“.

VIER „GEMEINDEN MUTTERS“?

Mit den „überörtlichen“ Gemeinden einerseits bzw den Katastralgemeinden andererseits sind jene Erscheinungen zu vergleichen, bei denen als Eigentümer nicht einfach „Gemeinden“ mit jeweils einem einzelnen (geographischen) Namenszusatz verbüchert wurden, sondern bei denen eine genauere Definition dieser Eigentümerpersönlichkeiten durch einen weiteren Zusatz erfolgte, nämlich „Gemeinden ohne …“ oder „Gemeinden mit Ausschluss …“ bestimmer Objekte. Von Gemeinden ausgenommen wurden meist bestimmte „Nachbarschaften“ oder „Weiler“, die dann im Gegenzug über eigenes Liegenschaftsvermögen verfügten. Dies ist etwa der Fall in der bereits erwähnten KG Mutters, wo einerseits die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“ , andererseits die „Nachbarschaft Raithis“ begegnet, darüber hinaus aber auch eine schlichte „Gemeinde Mutters“ wohl als „Gesamtgemeinde“ sowie sogar ausdrücklich eine „Gemeinde Mutters einschließlich der Nachbarschaft Raithis“ , letztere sozusagen als Gegenstück zur „Gemeinde ohne…“.

„GEMEINDE SCHARNITZ MIT AUSSCHLUSS DER NACHBARSCHAFT INNRAIN“

Vergleichbares findet sich in der KG Kematen mit der „Gemeinde Kematen ohne Afling“ (in der benachbarten KG Grinzens abgewandelt definiert als „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ ), der „Nachbarschaft Afling“ , der „Gemeinde Kematen“ sowie schließlich der „Gemeinde Kematen mit Afling“ . Weitere Beispiele sind die KG Grinzens mit dem „Weiler Neder“ und der „Gemeinde Grinzens ohne Neder“ , die KG Scharnitz mit der „Gemeinde Scharnitz“ , der „Nachbarschaft Innrain“ und der „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ oder die KG St. Sigmund mit der „Gemeinde St. Sigmund“ , der „Nachbarschaft Praxmar“ sowie der „Gemeinde St. Sigmund mit Auschluss der Nachbarschaft Praxmar und der Höfe in Kreuzlehen (…)“ . In allen diesen Fällen aus der „Frühzeit“ der Tiroler Grundbuchsanlegung – in Kematen und St. Sigmund wurden die Grundbücher 1899, in Mutters 1900, in Grinzens 1901 und in Scharnitz 1905 eröffnet – gab es demnach zwei bis vier verschiedene „Gemeinden“; die verschiedenen Ausprägungen von „Gemeinde“ wurden dabei kommentarlos als jeweils eigenständige Rechtsträger in jeweils eigenen Grundbuchsanlegungsprotokollen behandelt, die inhaltlich in keinem Bezug miteinander standen.

Die Eigentumsverhältnisse in der eben erwähnten KG St. Sigmund zeigen übrigens, dass die Exklusion aus Gemeinden („Gemeinde ohne…“) kein zwingendes Merkmal der „Nachbarschaften“ war. In der KG St. Sigmund wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung neben der „Nachbarschaft Praxmar“ drei weitere „Nachbarschaften“ als Eigentümerinnen einverleibt, nämlich die „Nachbarschaft Gleirsch“, die „Nachbarschaft Haggen“ und die „Nachbarschaft Peida“; dazu kam noch eine „Alpgenossenschaft Kraspes“. Ausschließlich diese „Alpgenossenschaft Kraspes“ wurde bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung aufgelöst und in realrechtlich gebundenes Miteigentum überführt.

Hinsichtlich einiger – nicht jedoch aller (!) – der „Nachbarschaft Gleirsch“ zugeordneten Liegenschaften erfolgte später eine entsprechende Klarstellung durch die politische Ortsgemeinde St. Sigmund: Sie erklärte mit Gemeindeausschussbeschluss vom 19. Juni 1912, dass die Eigentümerin dieser Liegenschaften in Wahrheit eine realrechtlich gebundene Miteigentumsgemeinschaft sei, zusammengesetzt aus drei Stammsitzen zu unterschiedlichen Anteilen. Damit nahm die politische Ortsgemeinde 1912 eine Funktion wahr, die nach TRRG 1883 und TRLG 1909 eigentlich Kompetenz der Agrarbehörde gewesen wäre; sie agierte quasi „in agrarbehördlicher Funktion“.

Eine andere Variante der „Gemeinde ohne…“ existierte im Grundbuch der zuvor genannten KG Prägraten, nämlich eine „Gemeinde ohne Fraktion“: Die „Gemeinde Virgen ohne Fraktion Mitteldorf“ besaß nach den Ergebnissen der Grundbuchsanlegung im Gemeindegebiet von Prägraten Miteigentum mit „Gemeinde Prägraten“. Fraktionen waren in den Tiroler Grundbüchern allenthalben zu finden und sind dies teilweise auch bis heute. Dies und der Umstand, dass der Fraktionsbegriff mehrdeutig und im Hinblick auf die Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts besonders umstritten ist, rechtfertigen eine gesonderte, ausführliche Betrachtung des „Fraktionseigentums“.

Siehe dazu „Fraktion ist eine Nachbarschaft

Die Tinte von
dünklerem Rot-Ton

Die Grundbuchanlegung war in Tirol lange Zeit Streitobjekt. Die Tiroler wollten beim bewährten Verfachbuch bleiben

Die „Grundbuchklagen“ von vier Tiroler Agrargemeinschaften beschäftigen derzeit die Tagespresse. Bei der Prüfung der Gemeindegutseigenschaft sei unberücksichtigt geblieben, dass die ursprüngliche Grundbucheintragung auf „Gemeinde“ bzw. „Gemeindefraktion“ unrichtig war. Das Zivilgericht, das für die Grundbücher zuständig ist, solle nun die Verhältnisse überprüfen. GUT recherchiert zur Tiroler Grundbuchanlegung und zum Beispiel zweier Almliegenschaften in Jerzens.

Die Grundbuchanlegung erfolgte in Tirol reichlich verspätet erst ab der Jahreswende 1897/98. Die Tiroler wollten an „ihrem Verfachbuch“ festhalten. In einem Bericht an den Tiroler Landtag aus dem Jahr 1862 hatte der Landtagsabgeordnete und Oberlandesgerichtsrat in Innsbruck, Johann Kiechl, große Schwierigkeiten bei der Systemumstellung vorhergesagt: Er befürchtete eine Menge Besitzreklamationen und Eigentumsprozesse. Denn, so Johann Kiechl im Jahr 1862: „Bei Erörterung der Eigentumsverhältnisse tauchen oft die schwierigsten Rechtsfragen auf, besonders zwischen Gemeinden, Gemeindefractionen, Nachbarschaften und bevorrechteten Klassen, die oft nur auf Grund des bisherigen Besitzes entschieden werden können.“ Andere Bundesländer hatten bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Walter Schiff, ein Wiener Agrarökonom, resümierte 1898: Nun war aber in den Grundbüchern bald ‚die Gemeinde‘ zu Eigentum eingetragen, bald ‚die Bauernschaft‘, die ‚Nachbarschaft‘, die ‚Bauern‘, die ‚Rustikalisten‘ oder ‚die jeweiligen Besitzer der Bauernhöfe‘. Vor dem Jahr 1849 waren dies alles Synonyma für die ‚Realgemeinde‘ gewesen. „Die Verschiedenheit der unter dem gleichen Namen ‚Gemeinde‘ begriffenen Personen vor und nach dem Jahr 1849 blieb unbeachtet und die Eintragung unverändert.“

GRUNDBUCHANLEGUNG: „NICHT GENÜGEND“ 

Anfang der 1980er Jahre urteilte die Tiroler Landesregierung in einer Stellungnahme an den Verfassungsgerichtshof schonungslos: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete. Da die tatsächliche Nutzung weiterhin gemäß der alten Übung erfolgte, war es für den Berechtigten in wirtschaftlicher Hinsicht gleichgültig, ob seine Bedürfnisse an Holzbezugs- und Weidemöglichkeiten durch die Mitgliedschaft zur Nachbarschaft, zu einer Interessentschaft oder durch eine Gemeindegutsnutzung gedeckt wurden. So gesehen zeigt sich, dass das Gemeindegut nur eine von mehreren historischen Ausformungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte darstellt. [Es dürfe nicht übersehen werden], dass die Gemeinde hinsichtlich des Gemeindegutes eben nicht als (politische) Gemeinde auftritt, sondern mangels einer eigenen rechtlichen Verfassung der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft ex lege bildet […]. In diesen Fällen ist die Gemeinde nicht als politische Gemeinde ‚Eigentümerin‘, sondern sie ist als ‚Erbin‘ der alten Realgemeinde anzusehen und damit nicht als Gebietskörperschaft, sondern als Rechtsnachfolger der alten genossenschaftlichen organisierten Realgemeinde (heute als Agrargemeinschaft definiert).“

Die Vorstellung einer „Gemeinde als Erbin“ ist freilich nicht zutreffend. Eine solche Deutung geht nämlich von zwei verschiedenen juristischen Personen aus, von denen eine, nämlich die „Nachbarschaft“, verstorben sei. Bereits im Jahr 1878 hatte sich Dr. Josef Kopp, Mitglied der NÖ Landesregierung, mit diesem irrigen Bild auseinandergesetzt. Josef Kopp fand 1878 einprägsame Worte: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Charakter, ohne dass man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten. Die ‚Gemeinde‘ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass letztere gestorben wäre.“ Karl Peyrer, seinerzeit Ministerialrat im Ackerbauministerium, hatte im Jahr 1877 aus diesen Zuständen den Schluss gezogen, dass damals die bloße Bezeichnung einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ genügte, um ein Genossenschaftsvermögen der politischen Gemeinde zuzuordnen.

Das Grundbuchsanlegungsverfahren war in Tirol durch Gesetz vom 17. März 1897 und durch eine „Vollzugsvorschrift“ geregelt. Es gab ein mehrstufiges, teils durch Edikte gegliedertes Verfahren, das zunächst bei den Grundsteuerunterlagen anknüpfte, woran Erhebungen anschlossen. Der auf dieser Grundlage erstellte Entwurf wurde in der Folge einem „Richtigstellungsverfahren“ unterworfen, aus dem schließlich das „Hauptbuch“ hervorging, gegen das abermals Reklamationen möglich waren. Die Teilnahme der Parteien sowie wiederholte Reklamationsmöglichkeiten sollten Fehler schnell ans Licht bringen. Die praktische Durchführung der Grundbuchsanlegung blieb hinter diesen Erwartungen zurück. Teilweise war eine der Ursachen ein heute kaum nachvollziehbares Desinteresse der Bevölkerung. Dies hat der Tiroler Grundbuchsanlegungskommissär Rudolf Plangg in einem 1927 in den Tiroler Heimatblättern erschienenen Artikel überliefert. Er erinnerte u. a. an einen Fall von Stockwerkseigentum im Oberland: „Mögt’s mocha was wöllt’s“, rief ein eben den Backofen ausbessernder Stockwerkseigentümer dem verdutzten Plangg zu. Für Auskünfte stand er nicht zur Verfügung.

MÖGT’S MOCHA WAS WÖLLT’S!

Die Vollzugsvorschrift verlangte die Erhebung des Eigentumsrechts und des Eigentumstitels. „Die hinsichtlich gewisser Liegenschaften (Alpen) bestehenden Eigentumsgemeinschaften sind zumeist als Miteigentum aufzufassen. Ein Miteigentum kann aber nur dann eingetragen werden, wenn sich die Quoten der einzelnen Eigentümer ermitteln lassen. Lassen sich die Quoten aber nicht bestimmen, ist das Eigentumsrecht für eine juristische Person einzutragen.“ So lautete die Vorgabe an die Grundbuchanlegungskommissare. Die Einverleibung des Eigentums einer juristischen Person begegnete jedoch einem fundamentalen Problem: Eine (noch) nicht regulierte Agrargemeinschaft war (noch) keine „juristische Person“. Die Rechtslehre setzte vielmehr damals voraus, dass die juristische Person durch einen staatlichen Akt anerkannt werden müsse. Mangels Regulierung konnte die Agrargemeinschaft nicht als juristische Person anerkannt und daher auch nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Die Einverleibung von Miteigentum schied schon dann aus, wenn Miteigentumsquoten nicht bestimmt werden konnten. Versetzt man sich also in die Lage eines Grundbuchsanlegungskommissärs, so erscheint die Verbücherung des Eigentums zugunsten einer „Gemeinde“ oder einer „Fraktion“ auf den ersten Blick als eine geradezu perfekte Lösung. Nach Miteigentümern musste dann nicht länger geforscht werden und den Betroffenen waren die Bezeichnungen „Gemeindewald“ bzw. „Gemeindealm“ geläufig.

Bei den Jerzener Almliegenschaften war bei der Grund­buchanlegung 1906 zunächst wie üblich auf den Inhalt des Grundsteuerkatasters zurückgegriffen worden: Das die Tanzalpe betreffende Grundbuchanlegungsprotokoll vom 10. April 1906 nannte als Eigentümer nach dem Grundsteuerkataster „Gastl Jakob mit 90 Mitbesitzern“, das die Riegentalalpe betreffende Protokoll vom selben Tag „Gastl Jakob mit 95 Mitbesitzern“. Eine sodann folgende „Erhebung der Eigentumsrechte“ führte zur Wahl folgender Eigentümerbezeichnung für die Tanzalpe: „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitze, der Ober- und Außerhöfe ausgenommen das äußere Gistelwies“. Als Eigentümerin der Riegentalalpe wurde angeschrieben eine „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitzen, Ober- und Außerhöfe“. Was man sich unter diesen Gebilden vorzustellen hätte, erläutern die Grundbuchanlegungsprotokolle nicht. Einen wesentlichen Widerspruch zu den Angaben des Grundsteuerkatasters scheint man nicht erkannt zu haben. Schließlich hat Jakob Gastl, laut Steuerkataster einer der Miteigentümer, die beiden Anlegungsprotokolle als Vollmachtträger für die Eigentümer und als „Vertrauensmann“ unterfertigt. Etwa ein Jahr später, am 15. Mai 1907, hielt ein Protokoll des Grundbuchsanlegungskommissärs fest, dass keine Einwendungen gegen die kundgemachten Protokolle erhoben wurden.

TINTE VON DÜNKLEREM ROT-TON

Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt kam es zu einer „Weiterentwicklung“ der Eigentümerbezeichnung: In beiden Grundbuchanlegungsprotokollen wurde mit Tinte von dünklerem Rot-Ton vermerkt: „Zufolge der im Zuge der Grundbuchanlegung gepflogenen Nachtragserhebungen wird obige Parzelle hier abgeschrieben u[nd] der N. 144 zugeschrieben. Gelöscht“. Zugleich wurden mit gleicher Tinte die Eigentümerbezeichnung und die Unterschrift Jakob Gastls als Vollmachtträger durchgestrichen. Im Grundbuchanlegungsprotokoll „N. 144 Jerzens Gemeinde“ vom 6. April 1906 wurden „Tanzalpe [Parz.-Nr.] 1486“ und „Rygetal [Parz.-Nr.] 1488“ im Anschluss an die gewöhnliche Reihenfolge aufsteigender Parzellennummern ergänzt; dies ebenfalls mit dünkler-roter Tinte. Die dazu gehörigen Eigentumstitel wurden auf der folgenden Seite in einen vorher offenbar verbliebenen Abstand „hineingequetscht“. Im sogenannten Hauptbuch des Grundbuchs wurden demzufolge die Eigentümerinnen beider Liegenschaften bezeichnet mit „Gemeinde Jerzens“.

Warum die Eigentümerbezeichnung auf „Gemeinde“ geändert wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Um Gemeindevermögen zu identifizieren, war „in jeder Gemeinde insbesondere auch das Gemeindeinventar einzusehen“, so lautete § 34 Abs. 2 der Vollzugsvorschrift. Die erhaltenen Gemeindeinventare von Jerzens für 1909 und 1910 enthalten jedenfalls keinen Hinweis auf ein Eigentum an den beiden Almliegenschaften. Ein mögliches, wenngleich vom Gesetz nicht anerkanntes Motiv für die beschriebenen Vorgänge könnte gewesen sein, einen Mehraufwand zu ersparen, indem keine Miteigentümer angeschrieben werden. Die Grundbuchanlegung im Gerichtsbezirk Imst stand ohnehin unter keinem guten Stern: Ein Visitationsbericht des Oberlandesgerichts konstatierte im Oktober 1907 massive Rückstände und kritisierte, dass durch mehrere Monate keine neuen Grundbücher eröffnet worden waren. Eine etwas „großzügigere“ Handhabung der Grundbuchanlegungsvorschriften entspräche vor diesem Hintergrund der allgemeinen Lebenserfahrung.

Im Jahr 1965 hat die Agrarbehörde entschieden, dass niemand anderer als eine Agrargemeinschaft, die sich aus den auftriebsberechtigten Hofbesitzern zusammensetzt, die Eigentümerin dieser Almliegenschaften sei. Unlängst gelangte dieselbe Behörde zu der Erkenntnis, dass die Entscheidung des Jahres 1965 verfassungswidrig war, weshalb heute „atypisches Gemeindegut“ vorliegt.

„Fraktion“ ist eine Nachbarschaft!

Hermann Wopfner (* 21. Mai 1876 in Innsbruck; † 10. Mai 1963 in Natters) war ein österreichischer Historiker, Wirtschaftshistoriker und Rechtswissenschaftler und Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck, der er in den Jahren 1928 und 1929 als Rektor vorstand. Univ.-Prof. DDr. Dr. hc. Hermann Wopfner studierte Geschichte, Rechtswissenschaften und Geographie in Innsbruck, Wien, Tübingen und Leipzig. 1900 promovierte er mit einer Dissertation über den deutschen Bauernkrieg der Jahre 1525 und 1526. Vier Jahre später habilitierte er in Wirtschaftsgeschichte und nach weiteren zwei Jahren in österreichische Geschichte. Er befasste sich mit den Rechtswissenschaften und promovierte 1909 in Tübingen zum Dr. jur. mit einer Dissertation über das Freistiftrecht in Tirol. Bereits ein Jahr zuvor 1908 wurde er zum außerordentlichen Professor an die Universität Innsbruck berufen, wo er 1914 den Lehrstuhl (Ordinarius) für österreichische Geschichte und allgemeine Wirtschaftsgeschichte besetzte und dessen Rektor er 1928 und 1929 wurde. 1923 gründete er das Institut für geschichtliche Siedelungs- und Heimatkunde der Alpenländer an der Philosophischen Fakultät der Innsbrucker Universität. 1929 wurde er zum geschäftsführenden Vorsitzenden des „Atlas der deutschen Volkskunde (ADV) in Österreich“ ernannt. Das Institut für Volkskunde leitete er bis 1938 sowie nach dem Zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1949. Wopfner war Ehrenmitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften und erhielt 1956 das Ehrendoktorat der Universität Innsbruck”
Hermann Wopfner (* 21. Mai 1876 in Innsbruck; † 10. Mai 1963 in Natters) war ein österreichischer Historiker, Wirtschaftshistoriker und Rechtswissenschaftler und Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck, der er in den Jahren 1928 und 1929 als Rektor vorstand. Univ.-Prof. DDr. Dr. hc. Hermann Wopfner studierte Geschichte, Rechtswissenschaften und Geographie in Innsbruck, Wien, Tübingen und Leipzig. 1900 promovierte er mit einer Dissertation über den deutschen Bauernkrieg der Jahre 1525 und 1526. Vier Jahre später habilitierte er in Wirtschaftsgeschichte und nach weiteren zwei Jahren in österreichische Geschichte. Er befasste sich mit den Rechtswissenschaften und promovierte 1909 in Tübingen zum Dr. jur. mit einer Dissertation über das Freistiftrecht in Tirol. Bereits ein Jahr zuvor 1908 wurde er zum außerordentlichen Professor an die Universität Innsbruck berufen, wo er 1914 den Lehrstuhl (Ordinarius) für österreichische Geschichte und allgemeine Wirtschaftsgeschichte besetzte und dessen Rektor er 1928 und 1929 wurde. 1923 gründete er das Institut für geschichtliche Siedelungs- und Heimatkunde der Alpenländer an der Philosophischen Fakultät der Innsbrucker Universität. 1929 wurde er zum geschäftsführenden Vorsitzenden des „Atlas der deutschen Volkskunde (ADV) in Österreich“ ernannt. Das Institut für Volkskunde leitete er bis 1938 sowie nach dem Zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1949. Wopfner war Ehrenmitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften und erhielt 1956 das Ehrendoktorat der Universität Innsbruck”

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Wie kein anderer hat der Tiroler Universitätsprofessor DDr. Dr. hc. Hermann Wopfner sein gesamtes wissenschaftliches Lebenswerk der Siedlungs-, Kultur-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte des Tiroler Bauernstandes gewidmet.

Die Ergebnisse seiner lebenslangen Forschungen finden sich zusammengefasst im “Bergbauernbuch”, drei Buchbände, gegliedert in XII Hauptstücke, ca 1.800 Seiten insgesamt.

Im V. Hauptstück, “Von der `Gemain´ und der Gemeinde”, erklärt Wopfner auch, was unter dem Begriff “Fraktion” in Tirol zu verstehen sei. Wopfner erklärt den Begriff “Fraktion” als „Kanzleisprachenausdruck” für eine “Nachbarschaft” (Hermann Wopfner, Bergbauernbuch, Band 2, Seite 255).

Wopfner schrieb diese Zeilen vor Jahrzehnten. Den Ausbruch des Agrarstreits in Tirol konnte er nicht vorhersehen. Genauso wenig konnte er vorhersehen, dass die Frage, was unter einer „Fraktionen“ in Tirol zu verstehen sei, 50 Jahre nach seinem Tod eine der brennenden Fragen im Tiroler Agrarstreit würde.

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Übersicht:
Fraktion als Gemeindeteil?
NS-Unrechtsgesetz als Legitimation?
1945: Österreichische Gemeinden errichtet
„Fraktion“ ist eine Nachbarschaft
Fraktion und Forstregulierung 1847
Grundbuch und Fraktion
Fraktion als Eigentümerin
Fraktionen im modernen Grundbuch
Fraktionen im historischen Grundbuch
Fraktionen Mattersberg und Moos
Erscheinungsformen der Fraktionen
Wurzeln des Fraktionsbegriffes
Forstregulierung 1847 (Art 3 FRP)
Prov. Gemeindegesetz 1849
Das Tiroler Fraktionsgesetz 1893
Erfindung bei der Grundbuchanlegung
Fraktion als „Gemeinde“ gem Art 2 FRP
Fraktion als Eigenschaft
Inkonsequenz der Grundbuchanlegung

Ergebnisse

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„FRAKTION“ ALS GEMEINDETEIL?

Für gewöhnlich wird von der Agrarbehörde heute die Auffassung vertreten, dass dann, wenn bei der Grundbuchanlegung eine „Fraktion“ als Eigentümerin einverleibt wurde, es sich dabei um eine „Einrichtung gemeinderechtlicher Art“ gehandelt habe.

Diese Erscheinung von „Fraktion“ sei – so die Agrarbehörde heute – mit Inkrafttreten der NS- Gemeindeordnung in Österreich per 1.Oktober 1938 aufgelöst worden; die jeweilige Ortsgemeinde sei Rechtsnachfolgerin dieser (aufgelösten) „Fraktionen“; in Konsequenz sei die politische Ortsgemeinde Eigentümerin des ehemaligen Fraktionsvermögens.

Die Auflösung der “Fraktion” durch den NS-Unrechtsstaat und die Überführung ihres Eigentums in das Eigentum der politischen Ortsgemeinden (vgl etwa das Beispiel der AGM Virgen-Dorf) wirke heute insofern nach – so die heutige Agrarbehörde weiter, als die spätere Regulierung eines solchen Eigentums in einer Agrargemeinschaft angeblich “offenkundig verfassungswidrig”  sei.

Daraus leitet die Agrarbehörde ab, dass Liegenschaften, die ursprünglich auf eine “Fraktion” im Grundbuch einverleibt waren und später in einer Agrargemeinschaft reguliert wurden, heute ein “atypisches Gemeindegut” darstellen. Auch ein solches, nur durch ein NS-Unrechtsgesetz  in das Gemeindeeigentum überführtes “Fraktionsvermögen” sei heute ein “atypisches Gemeindegut” im Sinn des VfGH-Erkenntnisses VfSlg 18.262/2008 (“Mieders-Verkenntnis“).

So lautet jedenfalls die Auffassung der Tiroler Agrarbehörde, die die dt NS-Gemeindeordnung 1935 heute als Rechtsgrundlage für die behauptete Gemeindesubstanz bei ehemaligen “Fraktionen” heranzieht. Dies in weit über 100 Bescheiden, mit denen heute eine Gemeindesubstanz festgestellt wurde.

NS-UNRECHTSGESETZ ALS LEGITIMATION?

Bemerkenswert ist, dass ein NS-Unrechts-Gesetz, nämlich die dt Gemeindeordnung 1935, heute als Grundlage des Eigentumserwerbs durch die politischen Ortsgemeinden herhalten muss. Und bemerkenswert ist, dass die Korrektur dieser angeblichen Auswirkung der dt Gemeindeordnung 1935 durch nachfolgende, rechtskräftige Agrarbehördenentscheidung heute “offenkundig verfassungswidrig” sein soll!

Die Auslöschung des autonom verwalteten Fraktionseigentums durch ein NS-Unrechtsgesetz soll legitim sein, während die Regulierungsmaßnahme  der historischen Agrarbehörde “offenkundig verfassungswidrig” ist? Diese besondere Note des Tiroler Agrarstreits, die NS-Unrechtsgesetze über das Flurverfassungsrecht stellt, verstehe, wer kann. Mit der anerkannten Methodenlehre der Rechtswissenschaft ist das unvereinbar!
Offenkundig ist, dass hier das anerkannte Wertesystem unserer gesamten Rechtsordnung auf den Kopf gestellt wurde. Dies nach der Handlungsmaxime: Substanzrecht der Ortsgemeinde um jeden Preis! Im Blick auf das politische Wollen, wonach das Mieders-Verkenntnis „auf Punkt und Beistrich umgesetzt“ werden soll (LH Günther Platter), interessiert dieser Umstand bedauerlicher Weise weder die Öffentlichkeit und noch viel weniger die Agrarbehörde selbst.

Eine Gemeindesubstanz, die auf der dt Gemeindeordnung 1935 als Rechtsgrundlage beruht, würde wohl voraussetzen, dass der durch die Einführung der dt Gemeindeordnung im “Land Österreich” zum 1. Oktober 1938 bewirkter Eigentumserwerb eine rechtmäßige Maßnahme war und kein “NS-Gewaltakt”. Das Urteil der Historiker zur NS-Gemeindeordnung 1935 wirft freilich ein schlechtes Licht auf dieses  `Grundgesetz des nationalsozialistischen Staates´ und auf seine Rechtsfolgen.

So definiert der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber die dt Gemeindeordnung 1935 als Unrechtssystem. “Die DGO wurde bei ihrer Einführung im Deutschen Reich 1935 als `Grundgesetz des nationalsozialistischen Staates´ verstanden. Sie sah keine demokratisch gewählten Gemeindevertretungen vor und sollte der Übereinstimmung der kommunalen Organe mit der NS-Staats- und Parteiführung dienen. Eine der Stoßrichtungen dieser Gemeindeordnung war es, den Durchgriff der von der Partei eingesetzten Bürgermeister und damit der Partei insgesamt auf möglichst alle nachgeordneten Körperschaften und Vermögen zu sichern.” (Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012) Gutachten, erstellt im Auftrag der Tiroler Landesregierung)

Vor diesem Hintergrund ist es höchst verwerflich, wenn die Ausschaltung der autonomen “Fraktionswirtschaft” mit Einführung der dt Gemeindeordnung heute dadurch überhöht wird, dass den Auswirkungen daraus Verfassungsschutz zugebilligt wird. Dem NS-Unrechtsstaat ging es bei dieser Maßnahme ausschließlich darum, auch auf Gemeindeebene den Einfluss der NS-Partei durchzusetzen. Von einem  legitimen Eigentumserwerb der politischen NS-Ortsgemeinden kann keine Rede sein.

In Konsequenz muss es als völlig FALSCH gebrandmarkt werden, wenn heute Agrarbehördenbescheide als offenkundig verfassungswidrig hingestellt werden, weil diese ehemalige “Fraktionsliegenschaften” als Agrargemeinschaften regulierten. Vielmehr wurde lediglich die autonome Verwaltung und Nutzung der Fraktionisten (nun “Agrargemeinschaftsmitglieder”) wieder hergestellt. Es wurde der Zustand restituiert, wie dieser vor Inkrafttreten der NS-Unrechts-Gemeindeordnung bestanden hat.
Von einer “offenkundig verfassungswidrigen” Maßnahme kann überhaupt keine Rede sein!

1945: ÖSTERREICHISCHE GEMEINDEN ERRICHTET

Unterstellt man die NS-Gemeindeordnung als Rechtsgrundlage des Eigentumserwerbs der heutigen politischen Ortsgemeinden, so ist dies zuerst einmal problematisch wegen des NS-Unrechtsgesetzes als solchem, dem  hier eine quasi nachwirkende Bedeutung  unterstellt wird: Die autonome Verwaltung und Nutzung des “Fraktionsvermögens”  ausschließlich durch die “berechtigten Fraktionisten” soll es weiterhin nicht mehr geben; die politische Ortsgemeinde sei legitime neue Eigentümerin.

Ist dies schon dem Grundsatz nach verwerflich, so wird zusätzlich die Tatsache ausgeblendet, dass im Jahr 1945 der Österreichische Staat wiedererrichtet wurde; mit dem Österreichischen Staat wurden im Jahr 1945 neue politische Ortsgemeinden errichtet – Glieder des neuen Österreichischen Staates – anders als ihre unmittelbaren Vorgänger, die Glieder des NS-Unrechtsstaates”, des so “Deutschen Reiches” waren.
Die wiedererrichteten Österreichischen Ortsgemeinden gründen gerade nicht auf den Rechtsgrundlagen für Gemeinden des NS-Staates. Vielmehr wurde bei den Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz 1862 angeknüpft; die NS-Ära sollte rechtlich ausgeblendet bleiben.

Das Gesetz vom 10. Juli 1945 über die vorläufige Neuordnung des Gemeinderechts – vorläufiges Gemeindegesetz – VGemG, StGBl 1945/66, ist diesbezüglich vollkommen eindeutig: Art 1 VGemG. “Das Gesetz vom 5. März 1862, RGBl Nr 18 (Reichsgemeindegesetz), alle Gemeindeordnungen und Gemeindewahlordnungen sowie die sonstigen auf dem Gebiete der Gemeindeverfassung erlassenen Vorschriften (Gemeindestatute, Stadtrechte) werden in dem Umfange, in dem sie vor Einführung der dt Gemeindeordnung in den österreichischen Ländern in Kraft gestanden sind, nach Maßgabe der folgenden Artikel wieder in Wirksamkeit gesetzt.”
Keine Rede ist in diesem Gesetz davon, dass die Ausschaltung der Fraktionen durch den NS-Staat weiter Geltung haben soll. Und keine Rede ist in diesem Gesetz davon, dass das, was während der NS-Zeit vom NS-Staat zu Gunsten der NS-Gemeinden geraubt wurde, nun wahres Eigentum der neu errichteten Österreichischen Gemeinden sein solle. (vorläufiges Gemeindegesetz – VGemG, StGBl 1945/66)

Aber all das interessiert die heutige Agrarbehörde nicht im Geringsten. Deren Credo ist die “Umsetzung des Mieders-Verkenntnisses auf Punkt und Beistrich” – wie von Landeshauptmann Günther Platter vielfach  gefordert.
Und zur Zielerreichung scheint jedes Mittel Recht – und wenn es ein NS-Unrechtsgesetz ist! Alles was denkmöglich ist, wird gegen das agrargemeinschaftliche Eigentum ins Feld geführt.

„FRAKTION“ IST NACHBARSCHAFT

Kräftig ignoriert die heutige Agrarbehörde bei der Beurteilung von „Fraktionseigentum“ schließlich alle historischen Nachweise, die eine „Fraktion“ als Nachbarschaften ausweisen würden. Insbesondere bleibt unberücksichtigt, wenn ein „Fraktionseigentum“ erweislich aus einer Zeitperiode herstammt, als es im politischen Gemeinderecht gar keine „Fraktionen“ gegeben hat. Nach den Gesetzen der Logik könnte eine solche “Fraktion” nur eine Schein-Fraktion sein – eben eine Nachbarschaft. Aber wenn es um die Umsetzung des politischen Willens geht (Mieders-Verkenntnis auf Punkt und Beistrich), sind auch die Gesetze der Logik außer Kraft.

Das Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819 kannte jedenfalls noch keine „Fraktionen“. Im politischen Gemeinderecht setzte die Bedeutung dieses Begriffes erst mit Inkrafttreten des Provisorischen Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 ein. § 5 dieses Gesetzes lautete wie folgt: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ Die Entstehung eine „politischen Gemeindefraktion“ setzte danach einen Rechtsakt der modernen Ortsgemeinde voraus – eine „Teilung in Fraktionen“. Ältere Einrichtungen, die nicht einer solchen Teilungsentscheidung der neuen politischen Ortsgemeinde entstammten, können demnach keine gemeinderechtlichen Gebilde sein.
Und solche „älteren Einrichtungen“ gibt es im Tiroler Grundbuch zu Hauf! Nur wird ihr wahrer Ursprung im Recht der Nachbarn auf autonomen Zusammenschluss und autonome Verwaltung ihres Gemeinschaftsvermögens von der Agrarbehörde heute einfach ignoriert! Völlig untaugliche Indizien müssen dafür herhalten, dass in Tirol heute deren Eigentum enteignet und der politischen Gemeindeverwaltung unterworfen wird.

„FRAKTION“ DER FORSTREGULIERUNG 1847

Der „Verdienst“, den Begriff „Fraktion“ in die Tiroler Rechtssprache eingeführt zu haben, gebührt nämlich der Forstservituten-Ablösungs-Kommission, die beginnend ab dem Jahr 1847 mit der Ablösung der Forstservituten in den Staatsforsten Nordtirols beschäftigt war.

Zur Erledigung umfangreicher Rechtsstreitigkeiten zwischen dem kaiserlichen Aerar und den Stammsitzeigentümern Nordtirols wurden in nur zwei Jahren 283 Ablösungsvergleiche verhandelt, von denen der Großteil von den servitutsberechtigten Nordtiroler Stammsitzeigentümern auch angenommen wurde. Der Begriff „Fraktion“ wurde dabei in zahlreichen Vergleichsprotokollen verwendet, um bestimmte Gruppen von Servitutsberechtigten innerhalb einer größeren Gemeinschaft abzugrenzen.

Einschlägige Bestimmungen enthalten unter anderem die Ablösungsvergleiche von Stanz, Angedair und Perfuchs vom 17.12.1847, Arzl im Pitztal vom 10.01.1848, Bach vom 29.08.1848, Berwang vom 21.10.1848, Ehrwald vom 16.10.1848, Elmen vom 31.08.1848; weiters die Ablösungsvergleiche für Elbigenalp, Finkenberg, Imst, Lermoos, Oberperfuss, Gries, Häselgehr, Haiming, Holzgau, Lech-Höfen-Weisenbach-Wängle, Imsterberg, Jerzens, Lermoos, Mieming, Mühlbachl, Matrei, Musau, Nassereith, Nesselwängle und andere mehr.

Insoweit deshalb zum Beispiel in den Katastralgemeinden Berwang, Rinnen, Mitteregg und Bichlbächle im Zuge der Grundbuchsanlegung „Fraktionen“ unter Bezugnahme auf den Servitutenablösungsvergleich vom 21. Oktober 1848 als Eigentümerinnen einverleibt wurden, so hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten einfach die jeweiligen Eigentumsträger gemäß der Titelurkunde aus dem Jahr 1848 in das Grundbuch übernommen. Es handelt sich bei diesen „Fraktionen“ also um Nachbarschaften, wo die Summe aller Nutzungsrechte der Nachbarn im Staatsforst gegen ein Gemeinschaftsgut genau dieser Nachbarschaft abgelöst wurde. Eine solche “Fraktion” ist jedenfalls eine Nachbarschaft – genau wie Wopfner den Begriff in seinem Bergbauernbuch erklärt.
Wenn heute in diesen „Fraktionen“ Einrichtungen der politischen Ortsgemeinden vermutet werden, so widerspricht dies der historischen Wahrheit.

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Jüngste Forschungen zur Verwendung des Begriffes „FRAKTION“ im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung bestätigen Wopfners Begriffserklärung! Vor allem Univ.-Prof. Dr. Gerald Kohl, Institut für Rechtsgeschichte am Juridikum der Universität Wien, hat sich unter Verwertung zahlloser Grundbucheintragungen und Grundbuchanlegungsprotokollen aus allen Tiroler Gerichten mit dem Phänomen der „FRAKTION“ im Tiroler Grundbuch auseinander gesetzt. Nachstehend ein Auszug aus seiner wissenschaftlichen Abhandlung Gerald Kohl, Die Tiroler Grundbuchsanlegung und das „Fraktionseigentum“, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) 177ff.

GRUNDBUCH UND FRAKTION

Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung die Ansicht, dass im Zuge der Grundbuchsanlegung in Tirol bei der Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ Daran anknüpfend verstand die Tiroler Landesregierung das „Gemeindegut“ nur als eine von mehreren möglichen „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“ und als Ergebnis historischer Zufälligkeit. Hier interessiert nun nicht diese irreführende Verwendung des Begriffs „Gemeindegut“, sondern der vorangegangene Befund, also die Einschätzung einerseits der Grundbuchsanlegung, andererseits der ihr zugrunde liegenden wahren Eigentumsverhältnisse.

Die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung geht wohl maßgeblich auf Albert Mair zurück, den langjährigen Leiter der Tiroler Agrarbehörde. Er hatte schon 1958 zur Tiroler Grundbuchsanlegung von „mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre“ berichtet; daher liege „es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“

FRAKTION ALS EIGENTÜMERIN

In Tirol war der Begriff „Fraktion“, wie einschlägige Untersuchungen von August Unterforcher und Josef Egger zu den alten Benennungen der Dörfer, Gemeinden und ihrer Unterabteilungen zeigen, ursprünglich nicht gebräuchlich. Das Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819 kannte „Fraktionen“ jedenfalls noch nicht. Im politischen Gemeinderecht setzte die Bedeutung dieses Begriffes somit erst mit Inkrafttreten des Provisorischen Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 ein. Möglicherweise waren Problem und Begriff der Fraktionen dem Schöpfer des ProvGemG 1849, Franz Graf Stadion, während seiner Dienstzeit im Küstenland begegnet.

Theodor Veiter hatte sich vor bald 60 Jahren ausführlich mit dem Problem der Fraktionen beschäftigt, wobei er offensichtlich davon ausgegangen war, dass „Fraktion“ und „Ortschaft“ synonyme Rechtsbegriffe wären – worauf bereits der Klammerausdruck im Titel seiner Arbeit hinwies. Hinter den gleichen Begriffen erkannte er jedoch verschiedene Phänomene: Vom gemeinderechtlichen Begriff der Ortschaft (Fraktion) sollte jene „Ortschaft (Fraktion), die Träger von Sondervermögen ist“, streng unterschieden werden. Fraktionen als Träger von Sondervermögen seien nämlich kein bestimmter Gebietsteil einer Gemeinde, sondern „die rechtspersönliche Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Bürger räumlich bestimmter, mit den Gemeindegrenzen nicht notwendig zusammenfallender, in der Regel aber nur Gemeindeteile umfassender Gemeindegebiete“, wobei diesen Bürgern nach alter Übung Vermögensnutzung und ideeller Anteil an der Nutzungs-Substanz des Sondervermögens zukommen würde.

Die Fraktion als Trägerin von Sondervermögen sei also – so Veiter – eine „rechtspersönliche Gemeinschaft nutzungsberechtigter Bürger“. Diese Definition einer Fraktion als Trägerin von Liegenschaftseigentum entspricht dem Begriff der historischen „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“, also der moralischen Person gem §§ 26f ABGB, gebildet aus gemeinschaftlich berechtigten Gliedern. Überzogen ist freilich die Annahme Veiters, wonach des Vorhandensein von „Sondervermögen“ zwingend den Ausschlag geben würde, das zu beurteilende Gebilde nicht als Einrichtung des politischen Gemeinderechtes zu qualifizieren. Die Existenz eines solchen Sondervermögens kann als reines Faktum kaum ein tragfähiges Unterscheidungskriterium sein – auch die Rechtspersönlichkeit des Menschen ist bekanntlich nicht von seinen Vermögensverhältnissen abhängig. Zu unklar erscheint auch das zweite Element von Veiters „Definition“: Wenn Veiter nämlich (über)vorsichtig annimmt, dass es sich bei der Fraktion ausserhalb des politischen Gemeinderechts um eine Gemeinschaft von Bürgern „räumlich bestimmter, mit den Gemeindegrenzen nicht notwendig zusammenfallender, in der Regel aber nur Gemeindeteile umfassender Gemeindegebiete“ handle, so ist damit letztlich fast gar nichts mehr ausgesagt. Einerseits suggeriert der Begriff Bürger eine bestimmte Gemeindezugehörigkeit, andererseits kann diese keine Bedeutung haben, wenn das räumliche Naheverhältnis mit den Gemeindegrenzen in keinem Zusammenhang steht. Für eine Bürgergemeinschaft, die auch gemeindeübergreifend organisiert sein kann, spielt Gemeindebürgerschaft keine Rolle. Weiters ist zu berücksichtigen, dass jedes Grundstück, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, einem bestimmten Gemeindegebiet zugeordnet ist, demnach einen „Gemeindeteil“ bildet – die Bezugnahme auf „in der Regel nur (…) Gemeindeteile umfassende Gemeindegebiete“ hat also keine Aussagekraft. Es ist nicht anzunehmen, dass Veiter beispielsweise Wohnungseigentümergemeinschaften als Fraktionen definieren wollte, obwohl es sich dabei zweifellos um Gemeinschaften von Bürgern bestimmter Gemeindeteile handelt, die Träger von Vermögensrechten sind. All dies zeigt, dass Normen des politischen Gemeinderechts seit 1849 die „Fraktion als Trägerin von Sondervermögen nutzungsberechtigter Bürger“ nicht erklären können. Ein Phänomen, das gemeindegrenzüberschreitend organisiert sein kann, bedarf jedenfalls einer anderen Erklärungsgrundlage.

FRAKTIONEN IM MODERNEN GRUNDBUCH

Das elektronische Grundbuch weist gegenwärtig für Tirol einen Stand von etwa 75 verschiedenen Eigentumsträgern aus, die sich durch ihre Zusatzbezeichnung „Fraktion“ erfassen lassen. Für Vorarlberg tauchen noch einige wenige solche Erscheinungen auf; in den anderen Bundesländern können sie nicht (mehr?) nachgewiesen werden. Ein beträchtlicher Teil der Tiroler „Fraktionen“ zeichnet sich durch eine spezifische Anmerkung im A2-Blatt aus, nämlich eine „Unterdenkmalschutzstellung“ samt Zusatzbezeichnung „Kapelle“ in Verbindung mit dem Namen des lokalen Schutzpatrons. Dies trifft etwa auf die zwei „Fraktionen“ im Grundbuch Breitenwang zu: Die „Fraktion Lähn“ ist Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 113, „Unterdenkmalschutzstellung Ortskapelle Koloman“, die „Fraktion Mühl“ Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 114 mit der „Ortskapelle hl Antonius“. Im Grundbuch Roppen finden sich gleich drei derartige „Kapellenliegenschaften“, nämlich die EZ 185 im Eigentum der „Fraktion Waldele“ mit Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle hl Markus in Waldele, die EZ 252 im Eigentum der „Fraktion Leckpuit“ samt Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle in Leckpuit sowie die EZ 253 im Eigentum der „Fraktion Ötzbruck“ mit Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle hl Antonius in Ötzbruck.

In diesem Zusammenhang scheint sich auch Theodor Veiters Annahme, dass „Fraktion“ und „Ortschaft“ Synonyme wären, zu bestätigen. Interessanter Weise finden sich im modernen Grundbuch Tirols nämlich insgesamt 17 zugunsten von „Ortschaften“ einverleibte Liegenschaften, bei denen mehrheitlich ebenfalls die Anmerkung einer „Unterdenkmalschutzstellung“ erfolgte und ein Rückschluss auf „Kapellenliegenschaften“ möglich ist.

Angesichts der Vielzahl solcher Fälle stellt sich die Frage, ob die „Kapellenliegenschaft“ die typische Erscheinung des seinerzeit von Veiter beschriebenen Phänomens sein könnte, ob also „Fraktionen“ oder „Ortschaften“ typischerweise (nur) als Eigentümer von „Ortskapellen“ begegnen. Dies wird man verneinen müssen: Gerade bei den Ortskapellen ist nämlich keine einheitliche Linie bei der Erfassung der Eigentümer erkennbar. Solche Objekte befinden sich einerseits auch im Eigentum von „Nachbarschaften“, andererseits wurde eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Ortskapellen bei der Grundbuchsanlegung überhaupt als Rechtssubjekt und Eigentumsträger ihrer eigenen Grundfläche erfasst, sodass also nun die „Kapelle als solche“ ihre eigene Eigentümerin ist. So steht die EZ 530 GB 80001 Arzl im Eigentum der „Kapelle Maria-Hilf zu Timmels“; daneben gibt es zahlreiche andere Beispiele.

Dass die Eigentümer solcher Kapellen – unabhängig von ihrer Benennung – jedenfalls ursprünglich keine Einrichtungen der modernen politischen Ortsgemeinde gewesen sein können, ergibt sich schon aus dem jeweiligen Alter der Bauwerke. Diese Erkenntnis macht gerade für die „Fraktion“ als Eigentümerin einer „Kapellenliegenschaft“ deutlich, dass die unkritische Annahme, jede Eigentümerbezeichnung in Verbindung mit dem Wort „Fraktion“ würde automatisch Eigentum der Ortsgemeinde als Rechtsnachfolgerin historischer politischer Ortsfraktionen indizieren, verfehlt ist. Dies anerkennen auch die heutigen politischen Ortsgemeinden, wenn sie in der Regel keinerlei Veranlassung sehen, hinsichtlich solcher Kapellenliegenschaften in Rechtsnachfolge historischer „Fraktionen“ die Rechte und Pflichten eines Eigentümers zu übernehmen. Gerade bei derartigem „Fraktionseigentum“ zeigt sich also die Richtigkeit von Veiters Annahme, dass Ortschaften (Fraktionen), die Träger von Sondervermögen sind, keine Einrichtungen der politischen Ortsgemeinde seien, sondern eine „rechtspersönliche Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Bürger“. Allerdings zeigen die Kapellenliegenschaften auch eine Unvollständigkeit in der Definition Veiters: Die Ausrichtung auf „nutzungsberechtigte Bürger“ erweist sich als erweiterungsbedürftig, tritt doch in diesen Fällen die Nutzungsberechtigung in den Hintergrund. Die widmungsgemäße Nutzung einer Kapelle steht in aller Regel einem unbestimmten Personenkreis offen, sodass sich die Mitgliedschaft in der „rechtspersönlichen Gemeinschaft“ vor allem in Pflichten aus dem Eigentumsrecht niederschlägt.

FRAKTIONEN IM HISTORISCHEN GRUNDBUCH

Eine Durchsicht der historischen Grundbücher relativiert den ersten empirischen Befund erheblich, und zwar in zwei verschiedenen Richtungen: Einerseits waren Fraktionen zur Zeit der Grundbuchsanlegung viel häufiger anzutreffen als heute, andererseits erweisen sich „Kapellenliegenschaften“ dabei nur als eine von vielen Erscheinungsformen des „Fraktionseigentums“. Der Vergleich des Grundbuchstandes bei der Eröffnung der Grundbücher, also unmittelbar nach der Grundbuchsanlegung, mit dem heutigen zeigt, dass die seinerzeit vorhandenen „Fraktionen“ – oder ähnliche Erscheinungen wie Fraktions-Miteigentümerschaften, Fraktionen bestehend aus taxativ aufgezählten Liegenschaften, Genossenschaften bestehend aus Fraktionen, Nachbarschaften bestehend aus Fraktionen, Fraktionen bestehend aus Nachbarschaften, Interessentschaften bestehend aus Fraktionen, Interessentschaften bestehend aus Fraktion und Nachbarschaft; Interessentschaften bestehend aus Fraktionen und Einzelliegenschaften usw – überwiegend aus dem Grundbuch verschwunden sind. Alleine im Grundbuch der KG Windisch-Matrei Land (heute: Grundbuch 85103 Matrei-Land) waren im Zuge der Grundbuchsanlegung dreizehn unterschiedliche „Fraktionen“ als Liegenschaftseigentümer einverleibt worden; hinzu kamen jedenfalls eine „Genossenschaft bestehend aus Fraktionen“ und eine „Genossenschaft bestehend aus einer Fraktion und taxativ aufgezählten Höfen“. All diese im Zuge der Grundbuchsanlegung in der ehemaligen KG Windisch-Matrei Land einverleibten Eigentümerpersönlichkeiten sind seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sukzessive als Agrargemeinschaften identifiziert worden, sodass heute im elektronischen Grundbuch dieser Katastralgemeinde keine einzige „Fraktion“ mehr nachweisbar ist.

Diese Veränderungen erfolgten nicht schlagartig, sondern im Rahmen eines „Erosionsprozesses“, der am Beispiel der KG Matrei-Land, GB 85103, gut illustriert werden kann: Aus den erwähnten insgesamt 15 „Fraktionen“ und „Fraktions-Gesellschaften“ bei Grundbuchsanlegung wurden 13 Agrargemeinschaften reguliert und zwar drei in den 1920er Jahren, drei in den 1930er Jahren, sechs in den 1940er Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft und schließlich eine in den 1960er Jahren. Die gleiche Erosion, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, zeigt sich in der KG Umhausen: Hier hatte die Grundbuchsanlegung acht Eigentümer mit der Zusatzbezeichnung Fraktion festgestellt, nämlich Fraktion Köfels, Fraktion Umhausen, Fraktion Niederthai Sonnseite, Fraktion Östen, Fraktion Farst, Fraktion Tumpen, Fraktion Hof-Acherbach und Fraktion Niederthai Neaderseite; bei allen wurde das Eigentumsrecht einverleibt unter Hinweis auf den Eigentumstitel Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli 1848. Hinsichtlich der „Fraktion Hof-Acherbach“ wurde in den 1920er Jahren aufgrund einer „Richtigstellungsurkunde vom 20. Juli 1920“ die Löschung des Wortes „Fraktion“ und die Einverleibung des Wortes „Nachbarschaft“ bewilligt. Die „Fraktion Farst“ wurde mit Bescheid vom 1. März 1949 als Agrargemeinschaft Farst reguliert, wobei die Agrarbehörde im Spruch des Bescheides ausdrücklich festhielt, dass „Fraktion Farst“ keine Fraktion im Sinne der Tiroler Gemeindeordnung sei. Ebenfalls mit Bescheid vom 1. März 1949 wurde die „Fraktion Köfels“ als Agrargemeinschaft umgegründet. Die „Fraktion Umhausen“ folgte am 10. August 1959, die „Fraktion Östen“ am 5. Oktober 1959. Erst rund ein Vierteljahrhundert später, 1982, wurde die „Fraktion Niederthai Neaderseite“ umgegründet, sodann 1983 die „Fraktion Tumpen“. Aus den für „Fraktion Niederthai Sonnseite“ einverleibten Liegenschaften wurden zwei Agrargemeinschaften reguliert, nämlich 1982 die Agrargemeinschaft Sonnseite Sennhof und 1990 die Agrargemeinschaft Bichl-Höfle. Von den insgesamt acht im Zuge der Grundbuchsanlegung einverleibten „Fraktionen“ wurde somit eine in den 1920er Jahren im „Berichtigungswege“ umgegründet, zwei in den 1940er Jahren, zwei in den 1950er Jahren, zwei in den 1980er Jahren und eine Anfang der 1990er Jahre. Dessen ungeachtet ist der Begriff „Fraktion“ im elektronischen Grundbuch hier nicht gänzlich verschwunden: Eine „Fraktion Umhausen“ existiert immer noch; es handelt sich um Liegenschaftsvermögen, das im Zuge der Regulierung zwar der Ortsgemeinde Umhausen zugesprochen wurde, bei dem jedoch eine Richtigstellung der Eigentümerbezeichnung unterblieb.

Von diesem Verbücherungsproblem abgesehen, erscheinen die beiden hier beispielhaft gezeigten Katastralgemeinden heute offiziell als „fraktionsfrei“, während im Zuge der Grundbuchsanlegung noch 15 (KG Matrei-Land) bzw 8 (KG Umhausen) Fraktionsliegenschaften festgestellt worden waren. Seit der Grundbuchsanlegung sind also allein in diesen beiden Katastralgemeinden 22 Eigentümerpersönlichkeiten mit der Zusatzbezeichnung Fraktion durch „Umgründung“ in Agrargemeinschaften „verschwunden“. Von diesen 22 „Umgründungsvorgängen“ fallen 13 in den Zeitraum bis 1945, acht in denjenigen ab 1949. Alle drei in den 1920er Jahren in der KG Matrei-Land abgeschlossenen „agrarischen Operationen“ betreffend „Fraktionsvermögen“ waren übrigens noch zur Zeit der Monarchie eingeleitet worden. Dies ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil der Tiroler Landtag von sich aus keinen Bedarf für ein Teilungs- und Regulierungsgesetz gesehen hatte und Tirol – gemeinsam mit der Steiermark und Oberösterreich – Schlusslicht bei der Umsetzung der agrarischen Reichsrahmengesetze des Jahres 1883 gewesen war.

Das sukzessive Verschwinden der Fraktionen aus dem Grundbuch lenkt den Blick auf die Frage, wie denn diese Eigentümerpersönlichkeiten überhaupt ins Grundbuch gekommen und wie sie zu qualifizieren waren.

FRAKTIONEN MATTERSBERG UND MOOS

Am 12. Juli 1906 unterfertigten zwei Mitglieder für die Fraktion Mattersberg sowie zwei Mitglieder für die Fraktion Moos, insgesamt also vier Mitberechtigte, das Grundbuchsanlegungsprotokoll Nr 482 der KG Windisch-Matrei. Sie verliehen damit ihrer Meinung Ausdruck, dass die „Schilder Alpgenossenschaft“ aus diesen beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos bestehen würde. Zusätzlich bestätigten das auch noch die zwei „üblichen“ Vertrauensmänner. Fast auf den Tag fünf Jahre später, am 3. Juli 1911, leitete die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen das Verfahren zur Regulierung der Verwaltungs- und Benützungsrechte ein; die Liste der unmittelbar an der Alpe Beteiligten datiert vom Dezember 1911. Der Bescheid betreffend das Register der Anteilsrechte erging am 18. September 1925; das Verfahren endete mit Bescheid vom 27. Juli 1927. Darin stellte die Agrarbezirksbehörde folgendes fest: „§ 3 Beteiligte und Anteilrechte. Die Schildalpe steht im Eigentum der Schilderalpinteressentschaft, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der nachstehend angeführten, in der KG Windisch-Matrei-Land gelegenen Stammsitzliegenschaften mit den angegebenen Anteilrechten.“ Es folgte eine Aufzählung von insgesamt 29 Stammsitzen jeweils ohne Nennung des aktuellen Eigentümers; „Fraktionen“ wurden nicht genannt, ein Anteilsrecht für eine politische Ortsfraktion oder für die Ortsgemeinde war nicht vorgesehen worden.

Die Grundbuchsanlegungsbeamten und die Beamten der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen hatten sich im Fall der als „Schilder Alpgenossenschaft“ bezeichneten „Miteigentumsgemeinschaft“ der beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos nahezu die Türklinke in die Hand gegeben: Die einen beendeten ihre Tätigkeit am 12. Juli 1906, die anderen legten am 3. Juli 1911 bereits einen fertigen Bescheid zur Einleitung des Regulierungsverfahrens vor. Nachdem ein Eigentümerwechsel aus dieser Zeit nicht überliefert ist, stellt sich die Frage, warum die in den beiden Verfahren getroffenen Feststellungen nicht gleichlautend waren, sodass der Eindruck entstehen könnte, es müsse eine der beiden Entscheidungen unrichtig sein.

Die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen führte dazu sogleich 1911 in der Begründung zum Bescheid auf Verfahrenseinleitung aus, dass die „Schilderalpe“ laut Grundbuchseintragung zwar der aus den Fraktionen Mattersberg und Moos der politischen Gemeinde Windisch-Matrei-Land bestehenden Schilder-Alpgenossenschaft gehöre, dass diese Grundbuchseintragung den tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht genau entsprechen dürfte. Es handle sich vielmehr um eine den Besitzern bestimmter Talgüter gehörige Alpe und damit um ein gemeinschaftliches Grundstück im Sinne des § 4 lit b TRLG 1909, dessen Verwaltungs- und Benützungsrechte einer Regulierung zu unterziehen seien. Die Landeskommission für agrarische Operationen äußerte also schon 1911 grundlegende Zweifel an der Richtigkeit jener Eigentümerbezeichnung, die erst 1906 im Zuge der Grundbuchsanlegung gewählt worden war.

Zur Annahme, eine der beiden Kommissionen hätte eben eine falsche Entscheidung getroffen, existiert freilich eine Alternative: Möglicherweise hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten schon 1906 unter dem Begriff „Fraktion“ das verstanden, was dann drei Jahre später im TRLG 1909 als Agrargemeinschaft definiert wurde. Aus der Sicht der nicht-juristischen Beteiligten an der Grundbuchsanlegung – den Vertretern aus Mattersberg und Moos sowie den beiden Vertrauensleuten – lag es jedenfalls nicht nahe, Einwendungen gegen die Wahl des Begriffes „Fraktion“ zu erheben: Im Franziszeischen Steuerkataster, der bekanntlich die Grundlage für die Grundbuchsanlegung bildete, waren nämlich „I. Moos Rotte“ und „II. Mattersberg Rotte“ als Eigentümer verzeichnet gewesen. Ob „Rotte“ oder „Fraktion“ – aus Sicht eines juristischen Laien konnte diese Wortwahl als reine „Geschmackssache“ erscheinen. Damit gewinnt die Frage, welche Vorstellung die Grundbuchsanlegungsbeamten mit dem Begriff „Fraktion“ tatsächlich verbunden hatten, an Bedeutung. Will man den Versuch unternehmen, dazu eine Antwort zu finden, ist eine breitere Tatsachengrundlage erforderlich.

ERSCHEINUNGSFORMEN DER „FRAKTION“

Die Verwendung des Wortes „Fraktion“ begegnet bei der Anlegung des Grundbuchs in den verschiedensten Varianten. Zwar ist es für eine Quantifizierung noch zu früh, doch zeichnen sich bestimmte Schwerpunkte recht deutlich ab: Der schlichte Begriff „Fraktion“ (ohne jeglichen Zusatz) kommt ebenso vor wie der Begriff „Gemeinde-Fraktion“ bzw. „Fraktion der Gemeinde“ – diese drei Varianten der Anschreibung einer „Fraktion als Liegenschaftseigentümerin“ sind bei weitem am häufigsten anzutreffen.

Auffälliger, weil eher selten, ist die Variante einer durch Nennung ihrer Teile definierten „Fraktion bestehend aus …“ – wobei sodann eine taxative Aufzählung entweder von Liegenschaften oder von deren Eigentümern erfolgt. Diese Form ist jedenfalls in mehreren Katastralgemeinden nachweisbar: So wurde beispielsweise in der KG Untertilliach der Fraktionsbegriff ausschließlich in dieser Variante verwendet; näher definiert wurden weiters zum Beispiel die „Fraktion Eichelwang“ in der KG Ebbs und mehrere Fraktionen in Steinach, die in der KG Navis Miteigentümer waren. Damit verwandt ist eine etwas kompliziert anmutende Anschreibungstechnik in der KG Thiersee, wo die Rechtsverhältnisse an EZ 11 II im historischen B-Blatt wie folgt festgehalten wurden: „Auf Grund des Kaufes vom 28. Mai, verfacht 1. Juni 1877 Folio 307 wird mit Bezug auf den Servituten-Ablösungs-Vergleich vom 23. August 1872 Folio 694 das Eigentumsrecht für die Gemeindefraktion Hinterthiersee, welche Lasten und Nutzungen nach Verhältnis der von der Fraktion zu entrichtenden Grundsteuer zu tragen und zu genießen hat, einverleibt.“ Als „Gemeindefraktion Hinterthiersee“ erscheint in dieser Grundbuchseintragung also die Summe aller Liegenschaftseigentümer in der Gemeindefraktion mit ideellen Quoten nach dem Verhältnis der individuellen Grundsteuerbeträge. Damit ist nicht nur der Kreis der Mitberechtigten, sondern auch schon deren Rechtserwerb bzw Rechtsverlust definiert: Wer zur Fraktion gehöriges Liegenschaftseigentum weitergibt oder erwirbt, setzt damit einen Tatbestand, der zu einer Änderung des Kreises der Mitberechtigten führt. Das Anteilsrecht – verbunden mit dem Recht auf Nutzung und der Pflicht zur Lastentragung – klebt demnach am steuerpflichtigen Eigentum in der betreffenden „Fraktion“.

Mit der durch ihre Teile definierten „Fraktion bestehend aus …“ verwandt ist ein Gebilde in der KG Sölden mit umfangreichem Grundbesitz, nämlich die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Dieser komplizierten Eigentümeranschreibung waren mehrere andere Versuche vorangegangen: So war im Grundsteuerkataster als Eigentümer noch „Vent – Ortschaft“ verzeichnet; bei der Grundbuchsanlegung hatte man sich zunächst für die neue Bezeichnung „Fraktion Vent ohne Rofenhöfe“ entschieden. Im Protokoll ist auch nur von „Fraktion Vent“ die Rede. Am Ende der Ausführungen zu EZ 487 II KG Sölden findet sich dazu jedoch die Bemerkung: „Unter obgenannter Fraction Vent sind die beiden Rofner-Höfe nicht inbegriffen, daher (…) richtiger Altgemeinde Vent.“ Daraufhin wurde die ursprünglich gewählte Eigentümerbezeichnung „Fraktion Vent ohne Rofenhöfe“ im Kopf des GAP Nr 252 in Klammern gesetzt und die Eigentümerin unter der Bezeichnung „Altgemeinde Vent“ angeschrieben. Im GAP Nr 687 KG Sölden war die Miteigentümerin ursprünglich als „Altgemeinde Vent“ bezeichnet; das Protokoll bemerkte dazu: „nun Fraktion Vent (ohne Rofenhöfe)“. Im Zuge von Nachtragserhebungen entschied man sich für die Eigentümerbezeichnung „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden“. Im B-Blatt des Hauptbuches schlug sich die gesamte Auseinandersetzung schließlich darin nieder, dass ob den Liegenschaften in EZ 201–208 II KG Sölden die zuvor zitierte Kombination aus allen Vorüberlegungen einverleibt wurde, nämlich die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Auf das B-Blatt der EZ 487 II KG Sölden wirkten sich die Nachtragserhebungen jedoch nicht mehr aus; hier wurde die Eigentümerin unter der Bezeichnung „Altgemeinde Vent“ einverleibt.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Ausschluss bestimmter Liegenschaften von der Mitberechtigung den Charakter des betreffenden Eigentumsträgers zum Ausdruck bringt – es muss sich dabei um einen geschlossenen Kreis von Berechtigten handeln. Dieses Merkmal ist zwar mit einem privatautonomen Zusammenschluss bestimmter Liegenschaftseigentümer kompatibel, nicht jedoch mit der grundsätzlich offenen Einrichtung der heutigen politischen Ortsgemeinde oder einer ihrer ehemaligen Teilorganisationen.

Neben Fraktionen „bestehend aus“ bestimmten Teilen und Fraktionen „mit Ausschluss“ bestimmer Liegenschaften ist auch die Bildung einer „Fraktion einschließlich“ solcher denkbar. Nachweisbar ist derzeit zumindest ein derartiger Versuch: Die geplante Anschreibung einer „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitzen, Ober- und Außerhöfe“ in der KG Jerzens unterblieb jedoch, nachdem man sich im Zuge von „Nachtragserhebungen“ entschloss, die betreffenden Liegenschaften, die laut Grundsteuerkataster „Jakob Gastl, Jerzens Haus Nr 20, und 95 Mitbesitzern“ zugeschrieben waren, kurzerhand auf „Gemeinde Jerzens“ einzuverleiben.

Einen Sonderstatus unter den Tiroler Fraktionen, jedenfalls im Hinblick auf ihre „Firma“, genießt die „Hauptfraktion Obsteig, bestehend aus den Ortschaften: Wald, Thal, Finsterfiecht, Ober- und Unterstrass“. Auch hier ist zwar die Fraktion durch ihre Teile definiert, doch findet sich offensichtlich nirgendwo sonst im Nord- oder Osttiroler Grundbuch eine vergleichbare Zusatzbezeichnung, mit der die besondere Bedeutung einer Fraktion betont erscheint. Daneben existierten in der KG Obsteig zwei ausdrücklich aus mehreren „Fraktionen“ gebildete Alpinteressentschaften (Marienberg Alpinteressentschaft, Simmering Alpinteressentschaft) sowie „Fraktion Finsterfiecht“, „Fraktion Oberstrass“, Fraktion Wald“, „Fraktion Weissland“, „Fraktion Mötz“, „Fraktion Holzleiten“, „Fraktion Aschland“, „Fraktion Gschwendt“ und „Fraktion Frohnhausen“, wobei letztere und die Fraktion Mötz als „ortsfremd“ eigentlich in die Gemeinde Mieming zu verweisen wären.

Die aus „Ortschaften“ bestehende „Hauptfraktion“ lenkt den Blick auf das Verhältnis der Fraktionen zu anderen Eigentumsträgern. Nicht immer waren Fraktionen nämlich als „Alleineigentümer“ angeschrieben, oft kam ihnen nur eine Mitberechtigung zu. Insbesondere dadurch sind sie in ein Netz von Beziehungen zu anderen Eigentümerpersönlichkeiten gestellt, das sich kaum logisch-konsistent erfassen lässt. Neben „schlichten Miteigentumsgemeinschaften“ mehrerer Fraktionen – auch gemeindegrenzüberschreitend – begegnen uns im historischen Tiroler Grundbuch „Nachbarschaft[en], bestehend aus Fraktionen“, „Genossenschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ und „Interessentschaft[en], bestehend aus Fraktionen“.

Zumindest im Rahmen einer Genossenschaft oder Interessentschaft konnten „Fraktionen“ und natürliche Personen bzw Einzelliegenschaften auch als gleichrangige Mitberechtigte nebeneinander stehen, dies sowohl innerhalb einer Gemeinde als auch gemeindegrenzübergreifend. Daneben gab es auch die Variante einer Mitberechtigung von „Fraktionen“ neben einer „Gemeinde“ auf deren Gemeindegebiet oder auf allseits fremdem Territorium.

WURZELN DES FRAKTIONSBEGRIFFS

Vielgestaltig sind aber nicht nur die Erscheinungsformen der Fraktionen, ihre Bezeichnungen und ihre Rechtspositionen. Mindestens ebenso vielfältig sind die rechtshistorischen Wurzeln der Fraktionen, auch wenn deren Unterschiede verschwimmen: Teils ist dies das Ergebnis wechselseitiger Bezugnahme und Überlagerung, teils verstellen die Formulierungen der Grundbuchsanlegung die Unterschiede.

1. Forstregulierung 1847 (Art 3 FRP 1847)

Der „Verdienst“, den Begriff „Fraktion“ in die Tiroler Rechtssprache eingeführt zu haben, gebührt vermutlich der Forstservituten-Ablösungs-Kommission (FSAK), die 1847 bis 1849 mit der Ablösung der Forstservituten in den vorbehaltenen Staatsforsten Nordtirols (Kreise Unterinntal samt Wipptal, Oberinntal samt Lechtal) beschäftigt war. Dazu wurden 283 Ablösungsvergleiche verhandelt, von denen der Großteil von den Servitutsberechtigten angenommen wurde. Der Begriff „Fraktion“ wurde dabei in zahlreichen Vergleichsprotokollen verwendet, um bestimmte Gruppen von Servitutsberechtigten innerhalb einer größeren Gemeinschaft abzugrenzen. Die Grundlage für die entsprechenden Unterscheidungen der Ablösungsvergleiche war schon in den Erhebungsaufträgen gelegt worden, die durch die Landgerichte den lokalen Verwaltungseinheiten, nämlich den in Tirol seit 1819 regulierten politischen Gemeinden übertragen waren. Dabei hatte die jeweilige Gemeindevorstehung zur Vorbereitung der Tätigkeit der FSAK Informationen durch Erstellung von „Ausweisen“ beizubringen, für die unter anderem folgende Vorgabe bestand: „Wo einzelne Parzellen (!) ganz abgesonderte Forstrechte von der Hauptgemeinde haben, ist dieses zu bemerken.“

Dementsprechend finden wir heute in zahlreichen Ablösungsvergleichen der FSAK Regelungen über abgesonderte Nutzungsrechte oder abgesondertes Eigentum; dies erfolgte regelmäßig im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ zur Erfassung des Trägers abgegrenzten Eigentums oder abgegrenzter Nutzungsrechte. Einschlägige Bestimmungen enthalten unter anderem die Ablösungsvergleiche von Arzl im Pitztal, Bach, Berwang, Ehrwald, Elmen, Elbigenalp, Finkenberg, Imst, Lermoos und Oberperfuss und zahlreiche andere Ablösungsvergleichsprotokolle . Insoweit deshalb zum Beispiel in den Katastralgemeinden Berwang, Rinnen, Mitteregg und Bichlbächle (alle im Gemeindegebiet der heutigen Ortsgemeinde Berwang) im Zuge der Grundbuchsanlegung „Fraktionen“ unter Bezugnahme auf das Vergleichsprotokoll der FSAK vom 21. Oktober 1848 als Eigentümerinnen einverleibt wurden, so hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten einfach die jeweiligen Eigentumsträger gemäß der Titelurkunde in das Grundbuch übernommen. Es handelt sich bei diesen „Fraktionen“ also im Sinne des FRP 1847 um (aus Stammliegenschaftsbesitzern zusammengesetzte) „holzbezugsberechtigte Gemeinden“. Nach einhelliger Auffassung in Literatur und Judikatur kann aus einem Vorgang der Servitutenablösung kein öffentliches Eigentum etwa in Form von „politischem Gemeindegut“ entstanden sein. Im Fall gemeindeweiser oder ortschaftsweiser Ablösung von Forstservituten entstehen Gemeinden „nach bürgerlichem Recht“ (§ 26f ABGB), kurz: Agrargemeinschaften.

2. Provisorisches Gemeindegesetzes 1849

Ein gänzlich anderes Verständnis des Begriffs „Fraktion“ hatte das ProvGemG 1849. Dieses in seiner Bedeutung über Tirol weit hinausgehende Gesetz hatte vorgesehen, dass eine „Fraktion“ nur durch Rechtsakt der (neuen) politischen Ortsgemeinde geschaffen werden könne. Dazu enthielt § 5 ProvGemG 1849 folgende Bestimmung: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ Fraktionen durften also nur bei „bedeutender Volkszahl“ gebildet werden, was sich nicht nur aus dem ausdrücklichen Wortlaut, sondern auch aus der dahinter stehenden Zweckbestimmung, nämlich der „Erleichterung der Verwaltung“ ergab. Die Fraktionsbildung trat nicht ex lege ein, sondern erforderte ein Handeln der Gemeinde sowohl zur Begründung der Fraktionen („sich in Fractionen zu theilen“) als auch bei der Definition ihrer jeweiligen Aufgaben („einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen“).
Die Errichtung der Gemeinden nach ProvGemG 1849 geriet mit der Abkehr vom Konstitutionalismus ins Stocken – und damit wohl umso mehr die Bildung von Untergliederungen in Form politischer Gemeindefraktionen. Beschlüsse von Gemeindeausschüssen, denen die Teilung in Fraktionen und die Zuweisung eines bestimmten Wirkungskreises an solche Fraktionen zu entnehmen wäre, konnten bislang nicht nachgewiesen werden. Es ist daher zu vermuten, dass solchen gemeinderechtlichen Fraktionen nach ProvGemG 1849 weder quantitative noch länger andauernde Bedeutung zukam.

3. Das (Tiroler) Fraktionengesetz LGBl 1893/32

Tatsache ist, dass das historische Eigentum der “Realgemeinden”, wie die Nachbarschaften oft auch bezeichnet werden, im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung regelmäßig auf Eigentumsträger mit der Bezeichnung „Gemeinde“ oder „Fraktion“ einverleibt wurde. Ein wesentlicher Grund dafür war die Tatsache, dass die führenden Kreise der Tiroler Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert die moderne Ortsgemeinde und die historische Realgemeinde nicht zu unterscheiden vermochten.

Während in anderen Bundesländern die Einführung eines Teilungs- Regulierungs- Landesgesetzes vorangetrieben wurde (Kärnten: 1885, Niederösterreich: 1886, Krain: 1887, Schlesien: 1887, Salzburg: 1892), passierte in Tirol ganz etwas anderes: Als Unikum im Kreis der Kronländer wurde in Tirol ein „Fraktionengesetz“ geschaffen (LGuVoBl 1893/32). In Tirol sah man in den Agrargemeinschaften einem Bestandteil der neuen politischen Ortsgemeinde, weshalb man kein Teilungs- Regulierungs- Landesgesetz geschaffen hat, sondern eben ein “Fraktionengesetz“. Dazu mehr anderenorts: Das (Tiroler) Fraktionengesetz von 1893.

4. Erfindung bei der Grundbuchsanlegung

Schließlich sind noch jene Fraktionen zu betrachten, die ihre Existenz einem „Interpretationsvorgang“ im Rahmen der Grundbuchsanlegung zu verdanken haben. Verschiedene Phänomene wurden nämlich bei der Grundbuchsanlegung als „Fraktionen“ erfasst, ohne dass dies auf eine der historischen Rechtsgrundlagen zurückzuführen gewesen wäre. Ein prägender Einfluss des oben dargestellten, kurz vor Beginn der Grundbuchsanlegung beschlossenen Fraktionengesetzes kann dabei jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Fraktion als Gemeinde gem Art 2 FRP

Im Rahmen der Forstregulierung erfolgte neben der Forstservitutenablösung (siehe oben) in Nordtirol auch eine „Forsteigentumspurifikation“. Dies bedeutete, dass in den aufgrund des „Regalitätsrechts“ landesfürstlich bleibenden Wäldern „bei Beurtheilung der Eigenthumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden (…) die Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes“ gestattet wurde. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich nichts anderes als die Anerkennung moderner privatrechtlicher Eigentumsansprüche insbesondere aufgrund eines Eigentumserwerbs durch Ersitzung.

Die Eigentumsanerkennung erfolgte jedoch nicht generell, sondern „nur dann und in so ferne“, als die Ansprüche entweder „schon (…) gerichtlich gestellt“ waren oder „binnen 3 Monaten vom Tage, an welchem die zur Purifikation dieser Eigenthumsansprüche auszusendene Kommission den Beginn ihrer Wirksamkeit bekannt gemacht haben wird, bei eben dieser Kommission angemeldet“ wurden (Art 2 FRP). Die dazu erlassene Instruktion vom 17. Juni 1847 definierte einerseits eine Reihe von Ersitzungstatbeständen (§ 14), andererseits einen Anerkennungstatbestand „gnadenhalber“ (§ 11).

Tatsächlich wurden von der „Forsteigentumspurifikationskommission“ (FEPK) zahlreiche Liegenschaften als Privateigentum anerkannt. Dies erfolgte als Ergebnis eines Verfahrens, bei dem die angemeldeten Eigentumsansprüche natürlicher oder moralischer Personen (Körperschaften) in sogenannten „Forsteigentumspurifikationstabellen“ (FEPT) detailliert erfasst wurden. In diesem Zusammenhang fällt insbesondere auf, dass in diesen FEPT zur Kennzeichnung moralischer Personen unter anderem Begriffe wie „Parzelle“ oder „Hof“ Verwendung fanden. Bei der Grundbuchsanlegung wurde diese Begriffswahl aber nicht nachvollzogen; stattdessen hat man – ohne erkennbares System – verschiedenste Eigentumsformen (zB schlichtes oder realrechtlich gebundenes Miteigentum) und Eigentumsträger, wie eben auch „Fraktionen“, einverleibt.

Diese Vorgangsweise sei zunächst anhand eines Vergleichs zwischen dem Grundbuch und den der Grundbuchsanlegung zugrundeliegenden Informationsquellen – FEPT und Steuerkataster – illustriert, und zwar für die KG Umhausen mit den verfachten Eigentumsträgern „Parzelle“, „Weiler“ und „Hof“. Mit der Zusatzbezeichnung „Parzelle“ waren dabei folgende Eigentumsträger von Gemeinschaftsliegenschaften verfacht worden: Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels; unter dem Begriff „Weiler“ Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grasstall, Ischelehn und Larsteck sowie unter dem Begriff „Hof“ Acherbach . Bei der Grundbuchsanlegung wurden alle im Verfachbuch enthaltenen Eigentumsträger mit der Zusatzbezeichnung „Parzelle“ in jeweils eine „Fraktion“ umbenannt (im Fall der „Parzelle Niederthai“ als Neubildung unter der Bezeichnung „Fraktion Niederthai Sonnseite“). Die „Weiler“ wurden teils zu „Fraktion“ umetikettiert, teils in realrechtlich gebundenes Miteigentum aufgelöst. Die singuläre Erscheinung „Hof Acherbach“ wurde in „Fraktion Hof Acherbach“ umbenannt . Insgesamt wurde in der KG Umhausen im Zuge der Grundbuchsanlegung für neun Eigentumsträger die Zusatzbezeichnung „Fraktion“ gewählt, obwohl im entsprechenden Eigentumstitel, der FEPT, das Privateigentum von „Parzellen“ anerkannt worden war. Es liegt auf der Hand, dass diese Eigentumsträger – ungeachtet ihrer Bezeichnung – nichts mit einer ehemaligen Teilorganisation der modernen politischen Ortsgemeinde zu tun haben. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Vorgang der Umbenennung, für den die Grundbuchsanlegungsprotokolle leider keinerlei Motive erkennen lassen, sondern auch aus dem in das moderne Grundbuch übernommenen Eigentumstitel, einer auf Privateigentum verweisenden FEPT aus dem Jahr 1848.

Nicht weniger irritierend als der Vergleich zwischen Grundbuch und Verfachbuch ist jener zwischen Grundbuch und Steuerkataster, dessen Informationen einen Ausgangspunkt bei der Grundbuchsanlegung bildeten. Die „Ortschaft Acherbach“ des Steuerkatasters wurde umgeschrieben auf „Fraktion Hof Acherbach“, „Neudorf Ortschaft“ auf „Fraktion Umhausen“, „Farst Ortschaft“ auf „Fraktion Farst“ , „Sennhof Ortschaft“ auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“, „Östen Ortschaft“ auf „Fraktion Östen“, „Tumpen Ortschaft“ auf „Fraktion Tumpen“, „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“, „Gemeinde Umhausen“ auf „politische Gemeinde Umhausen“.

Auch dazu enthalten die einzelnen Grundbuchsanlegungsprotokolle keinerlei Hinweis, was sich die Beamten bei diesen Änderungen gedacht haben. Eine Information darüber, warum alle im Steuerkataster als „Ortschaft“ verzeichneten Gemeinschaftsliegenschaften auf „Fraktion“ umgeschrieben wurden, ist nicht zu finden. Selbst in jenem Fall, in dem die „strukturell“ bedeutendste Veränderung erfolgte – von der ursprünglichen Eigentümerbezeichnung laut Steuerkataster, „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“, auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“ – ergibt sich aus dem GAP nicht der geringste Anhaltspunkt, warum die Umschreibung erfolgte. Lapidar lautet die Erklärung: „Erhebung der Eigentumsrechte: Fraktion Niederthai Neaderseite“.

Angesichts eines solchen Befundes verwundert es nicht, dass die Tiroler Landesregierung im Rahmen des in VfSlg 9336/1982 mündenden Gesetzesprüfungsverfahrens die Behauptung aufstellte: „Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ Diese einfache Erklärung, dass sich die Vorgangsweise der Grundbuchsanlegung als willkürlich einfach nicht nachvollziehen lasse, ist also verständlich, aber dennoch unbefriedigend.

Anstelle einer noch nicht möglichen Erklärung kann hier aber zumindest eine Beobachtung präsentiert werden, die eher gegen reine Willkür bei der GBA spricht. Das Beispiel der KG Umhausen zeigt nämlich, dass Privateigentum, das in der FEPT des Landgerichts Silz mit bestimmten „Parzellen“ in Verbindung gebracht worden war, bei der Grundbuchsanlegung je nach Liegenschaftsqualität unterschiedlich behandelt wurde: In „Fraktionen“ umbenannt wurden in erster Linie die Eigentumsträger privater Gemeinschaftswälder, während die in der FEPT als Privateigentum anerkannten Gemeinschaftsalpen als Miteigentumsgemeinschaften registriert wurden. Bei den auf „Parzelle Umhausen“ verfachten Liegenschaften wurde, soweit es sich um Wald handelte, zugunsten „Fraktion Umhausen“ einverleibt, die ebenfalls auf „Parzelle Umhausen“ verfachte „Alpe Groß- und Kleinhorlach“ hingegen wurde – aufgegliedert in zwei Einlagezahlen – als schlichtes Miteigentum erfasst; im Fall der „Parzelle Östen“ wurde die Waldliegenschaft zugunsten „Fraktion Östen“ einverleibt, die ebenfalls für „Parzelle Östen“ verfachte „Alpe Fundus“ hingegen als schlichtes Miteigentum erfasst; im Fall der „Parzelle Niederthai“ wurden die Waldliegenschaften einmal auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“, einmal auf „Fraktion Niederthai Neaderseite“ einverleibt, die ebenfalls für die „Parzelle Niederthai“ verfachte „Alpe Zwieselbach“ hingegen als schlichtes Miteigentum und die „Alpe Grasstall“ als realrechtlich gebundenes Miteigentum verbüchert. Möglicherweise hat man sich dabei am Franziszeischen Steuerkataster orientiert; soweit dort natürliche Personen als steuerpflichtig registriert waren, wurde im Allgemeinen – unter Umständen realrechtlich gebundenes – Miteigentum einverleibt. Allerdings lassen die Grundbuchsanlegungsprotokolle nicht erkennen, warum im Fall der „Umhausner Wälder“ „Fraktionen“ angeschrieben wurden, im Fall der „Umhausner Almen“ realrechtlich gebundenes oder schlichtes Miteigentum.

Nicht anders verhält es sich bei der als Eigentümerin mehrerer Liegenschaften verfachten „Parzelle Tumpen“: Aus dem gleichen Eigentumsträger „Parzelle Tumpen“ wurde bei der Grundbuchsanlegung, jeweils unter Bezugnahme auf die FEPT, eine „Fraktion Tumpen“, soweit es sich um eine Waldliegenschaft handelte, während die ebenfalls für „Parzelle Tumpen“ verfachte „Tumpener Alpe“ als schlichtes Miteigentum erfasst wurde.

Festzustellen ist auch, dass bei der Grundbuchsanlegung im Gegensatz zu der im Steuerkataster üblicherweise verwendeten Bezeichnung „Ortschaft“ bevorzugt der Begriff „Fraktion“ Verwendung fand. Teilweise wurden allerdings auch Rechtsverhältnisse auf „Fraktion“ angeschrieben, die nach der Darstellung im Steuerkataster als Miteigentum erschienen. Ob und inwieweit die Grundbuchsanlegung im Zusammenhang mit historischem Privateigentum, das nach Art 2 FRP 1847 „purifiziert“ worden war, ein bestimmtes System verfolgt hat, ist also (noch) nicht nachvollziehbar.

Erwiesen ist hingegen, dass die im Rahmen der Grundbuchsanlegung durch Umbenennung alter Eigentumsträger neu geschaffenen, mit den alten Titelurkunden in Widerspruch stehenden Fraktionen keine gemeinderechtlichen Fraktionen gewesen waren. Besonders deutlich macht dies das weitere rechtliche Schicksal von zwei der Umhausner Fraktionen: Das im Zuge der Forsteigentumspurifikation anerkannte Privateigentum von „Hof Acherbach“, im Steuerkataster als Eigentum von „Acherbach Ortschaft“ registriert, war bei der Grundbuchsanlegung 1909 als Eigentum der „Fraktion Hof Acherbach“ verbüchert worden. Diese „Fraktion Hof Acherbach“ veranlasste von sich aus im Jahr 1920 eine Richtigstellung des Grundbuchs. Mit ausdrücklicher Genehmigung des Landesausschusses wurde die Löschung der Bezeichnung „Fraktion“ und die Einverleibung der Bezeichnung „Nachbarschaft“ bewilligt. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass die Rechtsgemeinschaft „eben nicht wie eine Fraktion ein politischer Unterteil der Gesamtgemeinschaft Umhausen“ sei. Ähnliches geschah hinsichtlich der „Fraktion Farst“ mit einem Bescheid der Agrarbehörde vom 1. März 1949, der folgende Feststellung enthielt: „Die im Grundbuch gegenwärtig als Eigentümerin eingetragene Fraktion Farst ist keine Fraktion im Sinn der Tiroler Gemeindeordnung.“ In der Begründung führte der Bescheid aus: „Der Besitz wurde von den Beteiligten selbst verwaltet und hatte die Gemeinde Umhausen keinen Einfluss auf die Verwaltung. Lediglich während der Herrschaft des Deutschen Reiches nahm die Gemeinde den Jagdpacht ein, verwendete ihn aber um die Steuer für die Fraktion Farst abzudecken.“

“Fraktion” als Eigenschaft

Grundbuchsanlegungsprotokolle aus dem Bezirk Osttirol legen eine weitere eigenständige Wurzel des Fraktionsbegriffes offen. Die Kennzeichnung als „Fraktion“ konnte auch dazu dienen, eine bestimmte Eigenschaft des Gemeinschaftsgebietes auszudrücken. Eine Fraktions-Alpe lag nach diesem Verständnis dann vor, wenn die Auftriebsrechte in der Fraktion „radiziert“ waren, wenn sich also die Eigentumsverhältnisse in dem als Fraktion verstandenen Gebiet (zB einem Dorf) bzw der als Fraktion verstandenen Summe von Stammsitzliegenschaften in den Eigentumsverhältnissen der Alm widerspiegelten. Die Auftriebsrechte sind dabei also den landwirtschaftlichen Flächen im Dorf zwingend zugeordnet; das Auftriebsrecht folgt dem jeweiligen Flächenanteil. Dabei wird – der Rechtsnatur einer Sommerweide entsprechend – ein „Mindestanteil“ definiert: Um an einer „Fraktions-Alpe“ mitberechtigt zu sein, muss jemand in der „Fraktion“, also im Tal, zumindest jene Fläche besitzen, mit deren Ertrag eine Kuh überwintert werden kann. Zwei ausgewählte Grundbuchsanlegungsprotokolle aus der KG Windisch Matrei können die konkreten Überlegungen der Grundbuchsanlegungsbeamten bei Verwendung dieses „Fraktionsbegriffes“ verdeutlichen.

Beispiel 1: GAP PostNr 315 KG Windisch-Matrei Land vom 14. Juli 1906: Erhebung der Eigentumsrechte: Die Fraktion Prossegg-Kaltenhaus der Landgemeinde Windisch Matrei ist Eigentümerin auf Grund Ersitzung. Die … Landeck-Alpe ist eine Fraktions-Alpe d.h. die einzelnen auftriebsberechtigten Anwesen sind deshalb auftriebsberechtigt, weil sie entweder als ganze zur Fraktion Prosegg-Kaltenhaus gehören oder wenigstens weil Grundstücke zu ihnen gehören, welche in der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus einliegen. Die Auftriebsrechte beruhen auf der Zugehörigkeit der auftriebsberechtigten Realitäten zur Fraktion Prosegg-Kaltenhaus u. sohin auf dem § 63 der Gemeindeordnung. Diese Auftriebsrechte sind im Einverständnisse der Fraktionsmitglieder schon vor unvordenklicher Zeit nach bestimmter Stückzahl auf die einzelnen Anwesen verteilt worden u. sind die einzelnen Anwesen bzw. Grundstücke nach derzeit bestehender Übung mit folgender Stückzahl auftriebsberechtigt: a) der Nachbarschaft Prosegg: ….; b) der Nachbarschaft Kaltenhaus: …. Die hier nicht aufgeführten Anwesen der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus haben deshalb keine Auftriebsrechte in die Landeck-Alpe, weil zu denselben nicht soviel Grund gehört, um mit dem darauf erzeugten Futter eine Kuh überwintern zu können. Wenngleich nun die Auftriebsrechte der obigen Anwesen, weil auf dem § 63 der Gem. Ord. beruhend, nicht frei veräußerlich sind, u. nur als Zugehör von in der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus einliegenden Grundstücken verkäuflich sind, so sind dennoch vor Jahrzehnten schon Auftriebsrechte außer die Fraktion hinaus verkauft worden, ohne daß damit auch ein in Prosegg-Kaltenhaus einliegendes Grundstück mitgegeben worden wäre. So gehört heute zum Pettauer-Hofe in A.12 das Auftriebsrecht von 5 Stück Rindern u. 12 ½ Schafen u. zum Landeck-Sägeranwesen in A. 218 das Auftriebsrecht von 18 Rindern u. 25 Schafen in die Landeck-Alpe. Für diese beiden letztern Auftriebsrechte kann der § 63 der Gem. Ord. natürlich nicht mehr den Titel bilden u. müssen dieselben auf Grund Ersitzung als privatrechtliche Servituten behandelt werden.“ Berechtigungen, Feld u. Hausservituten, Reallasten für öffentliche Zwecke: Auf Grund Ersitzung lastet auf den die Landeck-Alpe bildenden Gp 3834 u. 3831 z. G. des jew. Eigentümers des Pettauerhofes in A 12 das Auftriebsrecht mit 5 Stück Rindern und 12 ½ Schafen u. z. G. des jew. Eigentümers des Landeck-Sägerhofes in A 218 das Auftriebsrecht mit 18 Stück Rindern u. 25 Schafen während der Alpzeit. Windisch Matrei am 14. Juli 1906. Die Vertreter der Fraktion Prossegg-Kaltenhaus: Andrä Steiner, Paul Steiner. Die Vertrauensmänner: Paul Steiner, Alois Wibmer.

Auftriebsberechtigt sind im Fall dieser Fraktion „Anwesen bzw Grundstücke“, das Auftriebsrecht klebt an den Heimweideflächen. Die Weide-Fraktion setzt sich demnach aus anderen Liegenschaften zusammen als eine allfällige Holz-Fraktion, für die „Feuerrechte“ maßgeblich wären, die an „Feuerstätten“ kleben. Bemerkenswert ist die Vorstellung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen für verschiedene Auftriebsrechte: Nur wenn die berechtigte Liegenschaft „innerhalb der Fraktion“ gelegen ist, sollen sie sich auf § 63 der Gemeindeordnung gründen (obwohl gar nicht alle Liegenschaften berechtigt sind), andernfalls nicht. Mit dessen Anwendung steht jedoch der ausdrückliche Hinweis auf privatautonome Rechtssetzung „schon vor unvordenklicher Zeit“ in Widerspruch; er stellt klar, dass hier gar keine originäre Rechtssetzung der neuen Ortsgemeinde kraft Hoheitsakt auf eigenem Eigentum gemeint gewesen sein konnte.

Beispiel 2:  GAP 482 KG Windisch-Matrei Land: „Die Schilder Alpgenossenschaft ist Eigentümerin aufgrund Ersitzung und besteht aus den Fraktionen: a) Mattersberg b) Moos der Gemeinde Windisch-Matrei. Wenngleich von der Fraktion Mattersberg das Brenneranwesen in A 151 und von der Fraktion Moos verschiedene Anwesen in die Schilderalpe nicht auftriebsberechtigt sind und wenn auch die in die Schilderalpe auftriebsberechtigten Anwesen der beiderseitigen Fraktionen nach der heute bestehenden Übung mit einer bestimmten Stückzahl auftriebsberechtigt sind, so besitzt die Schilderalpe trotzdem für die Fraktionen Mattersberg und Moos den Charakter einer Fraktionsalpe, dh es darf von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht fortverkauft werden, ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde. Die Grasrechte sind mit anderen Worten fest verbunden mit den ganzen Anwesen oder wenigstens mit den einzelnen Stücken der Fraktionen Mattersberg und Moos. Die bestimmte Stückzahl, mit der die einzelnen Anwesen auftriebsberechtigt sind, entspricht der Größe der betreffenden Anwesen und wurde vor ungefähr 20 Jahren im gegenseitigen Einverständnis unter den Fraktionisten geregelt. Nachdem es sich bei der Schilderalpe um eine Fraktionsalpe handelt, gründen sich die Auftriebsrechte der einzelnen Anwesen auf den § 63 Gemeindeordnung.“

Der „Charakter einer Fraktionsalpe“ besteht nach dieser Definition darin, dass „von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht fortverkauft werden [darf], ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde.“ Auch hier wird also mit dem Begriff „Fraktion“ die Verknüpfung von „Grasrecht“ und Liegenschaftsbesitz in der Fraktion ausgedrückt; der Hinweis auf § 63 TGO erscheint vor diesem Hintergrund kaum nachvollziehbar. Die definierte Verknüpfung müsste sinnvoller Weise, auch wenn dies so nicht formuliert wurde, sowohl im Fall des Verkaufes von Heimweideflächen als auch im Fall des Verkaufes von Grasrechten gelten.

Solche Eigentumsverhältnisse könnten dadurch entstanden sein, dass in weit zurückliegender Vergangenheit eine Gemeinschaftsalpe in Besitz genommen und das Weiderecht (später das Eigentum) gemeinschaftlich ersessen wurde. Stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Anteilsberechtigungen, so wird man versuchen, dies anhand des langfristig überwinterten Viehbestandes „festzustellen“. Hat eine derartige Gemeinschaft zur Vorbeugung von „Weidenot“ die Regel aufgestellt, dass ausschließlich das im Dorf überwinterte Vieh aufgetrieben werden dürfe, so ist es davon nicht mehr weit zu der bei der Grundbuchsanlegung festgeschriebenen „Eigentumsform“, wonach die Auftriebsrechte mit den Besitzverhältnissen an der Heimweide „harmonisiert“ sind. Um das eigene Eigentum nicht zu entwerten und auch für „Auswärtige“ handelbar zu halten, wird das Regelwerk so modifiziert werden, dass ein „Grasrecht“ auf der Alm gemeinsam mit „einer Kuhfuhre“ an Heimweidefläche handelbar gemacht wird. Das Grasrecht kann dann gemeinsam mit „einer Kuhfuhre“ auch an Auswärtige veräußert werden. Damit ist den Verkaufswilligen ebenso gedient wie dem generellen Ordnungsprinzip, wonach im Dorf nicht mehr Vieh gehalten werden soll, als auch auf die Sommerweide aufgetrieben werden kann.

Inkonsequenzen der Grundbuchanlegung

Schon die bisherigen Feststellungen legen den Verdacht nahe, dass bei der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ nicht konsequent verfahren wurde. Dies indiziert auch der Vergleich verschiedener Katastralgemeinden, bei denen aufgrund ihrer geographischen Nähe relativ ähnliche Verhältnisse anzunehmen wären; diese Erwartung wird nämlich enttäuscht: In der KG Prägraten, historischer Gerichtsbezirk Windisch-Matrei, wurden sieben „Genossenschaften“ als Eigentümerinnen einverleibt, fünf „Fraktionen“, eine „Nachbarschaft”, jedoch keine einzige „Interessentschaft“. Nicht weit von Prägraten entfernt finden sich die Katastralgemeinden Sillian, Sillianberg und Arnbach, historischer Gerichtsbezirk Sillian; in diesen drei unmittelbar angrenzenden Katastralgemeinden wurde im Zuge der Grundbuchsanlegung nicht eine einzige „Genossenschaft“ ermittelt, nur eine „Fraktion“, zwei „Nachbarschaften“, jedoch vier „Interessentschaften“. Wenige Kilometer weiter gab es in der KG Kartitsch, historischer Gerichtsbezirk Lienz, gleich neun „Nachbarschaften”, dafür jedoch keine einzige „Fraktion“, keine einzige „Interessentschaft“ und keine einzige „Genossenschaft“; in der KG Obertilliach hingegen keine einzige „Nachbarschaft“ und keine einzige „Genossenschaft“, dafür jedoch drei „Fraktionen“ und zwei „Interessentschaften“.
Der genauere Vergleich der beiden letztgenannten Katastralgemeinden Kartitsch und Obertilliach bringt aber noch bemerkenswertere Widersprüche ans Licht. Kartitsch ist nämlich eine jener drei Katastralgemeinden Tirols, in denen die Eigentumsverbücherung bei der Grundbuchsanlegung zugunsten von „Nachbarschaften“ erfolgte, die ausdrücklich als „agrarische Gemeinschaften“ einer „Gemeinde“ definiert wurden. Dies erfolgte jeweils in Kombination mit einer taxativen Aufzählung jener Stammsitzliegenschaften, die an diesen „agrarischen Gemeinschaften“ beteiligt waren. Diese Verbücherungstechnik findet sich offenbar nur in den Osttiroler Katastralgemeinden Kartitsch, Innervillgraten und Außervillgraten; die Grundbuchsanlegung wurde hier in den Jahren 1904 und 1905, also vor dem Inkrafttreten des TRLG 1909, durchgeführt. Daraus könnte man nun die Schlussfolgerung ziehen, dass den zuständigen Beamten das Wesen der Gemeinschaftsliegenschaften als „agrarische Gemeinschaften“ durchaus bewusst war – im Gegenschluss würde dies bedeuten, dass bei der „üblichen“ Verwendung des Begriffes „Fraktion“ gerade nicht eine agrarische Gemeinschaft, sondern tatsächlich eine gemeinderechtliche Einrichtung gemeint gewesen sei. Derartige Überlegungen scheinen jedoch nicht angebracht, wie eine genauere Betrachtung dieser Verhältnisse in ihrem Zusammenhang zeigt.

Die in der KG Kartitsch als Liegenschafteigentümerin begegnende, hier ortsfremde „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ sucht man in der KG Obertilliach vergebens. Stattdessen stößt man auf eine „Fraktion Leiten der Gemeinde Obertilliach“ und weitere, offensichtlich gleichartige Erscheinungen, nämlich „Fraktion Bergen der Gemeinde Obertilliach“ und „Fraktion Dorf mit Rodarm der Gemeinde Obertilliach“ .

Allen drei genannten Gemeinschaftsliegenschaften in der KG Obertilliach ist gemeinsam, dass an ihnen, wie das B-Blatt des historischen Grundbuchs zeigt, „aufgrund der Niederschrift vom 7. April 1939 und des Gesetzes für das Land Österreich, LGBl 408/38 Art II § 1 das Eigentum für Gemeinde Obertilliach“ einverleibt worden war. In dieser Form fand also die Beseitigung gemeinderechtlicher Fraktionen durch das Inkrafttreten der deutschen Gemeindeordnung Ausdruck. Der „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ ist vergleichbares in der KG Kartitsch hingegen nicht widerfahren. Nun könnte man meinen, dass die in Kartitsch im Zuge der Grundbuchsanlegung einverleibte „Nachbarschaft Leiten …“ eine andere Rechtspersönlichkeit sei als die in der KG Obertilliach einverleibte „Fraktion Leiten“. Dieser Annahme widerspricht jedoch das weitere Schicksal der vormaligen Fraktionsliegenschaft Leiten in der KG Obertilliach: Aufgrund eines agrarbehördlichen Bescheides vom 31. Dezember 1942 wurde nämlich schon am 2. April 1943 das Eigentumsrecht für „Agrargemeinschaft Nachbarschaft Leiten“ einverleibt. Der Regulierungsplan und die Grundbuchseintragung dazu weisen als Mitglieder dieser Agrargemeinschaft die Eigentümer genau jener 11 Liegenschaften aus, die bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung in der KG Kartitsch die „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ gebildet hatten.

Der agrarbehördliche Bescheid vom Dezember 1942 wurde von Dr. Wolfram Haller, Jurist der Agrarbehörde Villach, verantwortet. Er hatte aufgrund von massiven Beschwerden, die im Bezirk Osttirol gegen die Vereinnahmung von altem agrargemeinschaftlichem Vermögen durch die politischen Ortsgemeinden laut geworden waren, eingehende Untersuchungen zu den Rechtsverhältnissen durchgeführt. Sie erweisen Haller als kompetenten Kenner der Materie, dem die Grundsatzfrage agrarbehördlicher Tätigkeit nach den Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetzen, nämlich die behördliche Klärung und Entscheidung der Eigentumsfrage, vollkommen bewusst war. In diesem Sinne unterschied der von Haller verfasste Bescheid vom Dezember 1942 das öffentliche Eigentum der politischen Ortsgemeinde Obertilliach genau von privatem Gemeinschaftsvermögen.

Was bedeutet dies für die Beurteilung der Entscheidung der Grundbuchsanlegungsbeamten in den Katastralgemeinden Obertilliach und Kartitsch hinsichtlich der Liegenschaften in EZ 33 II KG Kartitsch und EZ 15 II KG Obertilliach? Folgt daraus zwangsläufig, dass die Anschreibung einer „Fraktion“ ob der Liegenschaft in EZ 15 II KG Obertilliach falsch war? Nimmt man an, dass die Grundbuchsanlegungsbeamten unter dem Begriff „Fraktion Leiten“ einen öffentlichrechtlichen Eigentumsträger verstanden hatten, so erscheint die undifferenzierte Beurteilung der Gesamtliegenschaft als „Fraktionsvermögen“ rückblickend tatsächlich als unrichtig. Kann aber der seinerzeitigen Beamtenschaft (der Jahre 1904/1905) dieses Verständnis unterstellt werden?

Ein Überblick über die vier benachbarten Ortsgemeinden Kartitsch, Anras, Obertilliach und Untertilliach wirkt jedenfalls irritierend. In jeder dieser vier Ortsgemeinden wurde bei der Grundbuchsanlegung eine andere Technik zur Anschreibung der Gemeinschaftsliegenschaften verwendet: Die Eigentumseinverleibung erfolgte auf Gemeindegebiet von Anras, gebildet aus den drei Katastralgemeinden Anras, Asch mit Winkl und Ried, jeweils unter der Bezeichnung „Ortschaft“, in der KG Obertilliach jeweils unter der Bezeichnung „Fraktion“, in der KG Untertilliach jeweils unter der Bezeichnung „Fraktion, bestehend aus …“ (verbunden mit einer taxativen Aufzählung von Stammsitzliegenschaften), auf dem Gebiet der Ortsgemeinde Kartitsch schließlich unter Verwendung der bereits angesprochenen Formulierung „Nachbarschaft (…), agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch“.

Dieser Befund ist kein Osttiroler Spezifikum, wie ein Beispiel aus dem Außerfern illustrieren kann: Hier betraf der Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Oberletzen ein Regulierungsgebiet, das sich aus Liegenschaften in den Katastralgemeinden Oberletzen, Lechaschau und Musau zusammensetzte. Der ursprüngliche Eigentumsträger war in den historischen B-Blättern jedoch ganz verschieden bezeichnet worden. Als Eigentümerin verbüchert wurde in der KG Oberletzen die „Katastralgemeinde Oberletzen“ aufgrund eines Forstservitutenablösungsvergleichs vom 19.10.1848, in der KG Lechaschau eine „Gemeinde Oberletzen“ aufgrund eines Kaufvertrages vom 22. November 1858 und in der KG Musau eine „Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle“ ebenfalls aufgrund eines Forstservitutenablösungsvergleichs, nämlich vom 14.9.1848 .

Die KG Oberletzen gehörte zur Zeit der Grundbuchsanlegung zum Gemeindegebiet der politischen Ortsgemeinde Wängle. Hätte es sich bei Oberletzen um eine politische Gemeindefraktion gehandelt, so wäre zu erwarten, dass man dies gerade auf Gemeindegebiet der politischen Gemeinde Wängle, also in der KG Oberletzen, erkannt hätte. Insofern erscheint es besonders erstaunlich, dass als Eigentümerin gerade hier die „Katastralgemeinde Oberletzen“ verbüchert wurde, während man eine „Fraktion Oberletzen“ nur in Musau annahm. Die auf den ersten Blick irritierende Verbücherung einer „Katastralgemeinde Oberletzen“ kommt jedoch bei näherer Betrachtung dem Sachverhalt nicht nur besonders nahe, sondern erspart auch die andernorts notwendig erschienene Definition: Die „Katastralgemeinde Oberletzen“ umfasst nämlich alle ihr zugemessenen Grundstücke bzw deren Eigentümer, wobei sich die Anteile aus den auf diese Grundstücke entfallenden Steuerbeträgen in Relation zu deren Gesamtsumme ergeben. Gleichzeitig ist eine Radizierung dieser Anteile im Sinne realrechtlicher Verbindung entbehrlich: Wer Liegenschaften verkauft, die zu dieser Katastralgemeinde gehören, verliert damit auch einen entsprechenden Anteil am Liegenschaftseigentum der Katastralgemeinde.

Solche komplexen Überlegungen sind allerdings im Fall der drei unterschiedlichen Anschreibetechniken für die Gemeinschaftsliegenschaften der Stammliegenschaftsbesitzer von Oberletzen nicht zu unterstellen. Die Eigentümerbezeichnung für die Liegenschaft in EZ 195 II KG Lechaschau wurde schlicht aus dem Kaufvertrag vom 22. November 1858 übernommen, der von einer „Gemeinde Oberletzen“ abgeschlossen wurde; in den beiden Ablösungsvergleichen vom 19.10.1848 und vom 14.9.1848 wurde jeweils den Stammliegenschaftsbesitzern einer „Fraktion Oberletzen“ gesondertes Waldeigentum zuerkannt. Vielleicht wollten die historischen Akteure auf dem Gebiet der eigenen Ortsgemeinde Wängle, dh in der KG Oberletzen, klarstellen, dass „Oberletzen“ nicht den Status einer politischen Ortsfraktion nach Fraktionengesetz 1893 besaß, weshalb man den Begriff „Katastralgemeinde Oberletzen“ zur Erfassung der Eigentümerin verwendete, wohingegen man sich in der KG Musau schlicht an der Titelurkunde vom 14.9.1848 orientierte, in welcher tatsächlich durch die Forstservitutenablösungskommission einer „Fraktion Oberletzen“ eigenes Waldeigentum zuerkannt wurde.

Abschließend sei noch ein vergleichbares Beispiel aus dem Tiroler Oberland erwähnt: In der KG Zamserberg begegnen als Eigentümer sowohl die „Katastralgemeinde Zams“ als auch die „Katastralgemeinde Zamserberg“ . Offensichtlich dieselben Eigentumsträger erscheinen in der benachbarten KG Zams jedoch als „Gemeinde-Fraktion Zams“ bzw. als „Gemeinde-Fraktion Zamserberg“. Eine Kombination dieser Bezeichnungen, die zugleich zeigt, dass man ihnen in diesem Fall synonyme Bedeutung beilegte, findet sich wieder in einem historischen Eigentumsblatt der KG Zamserberg: Hier wurde die Liegenschaftseigentümerin angeschrieben unter dem Namen „Gemeinde-Fraktion (Kat. Gem.) Zamserberg“.

ERGEBNISSE

Die Untersuchung der Tiroler Grundbuchsanlegung zeigt, dass Gemeinschaftsgüter in sehr vielen verschiedenen Varianten erfasst wurden. Die Grundbuchsanlegungsbeamten verfügten nicht über ausreichende rechtsdogmatische Kenntnisse und Fähigkeiten, waren aber auch von der Rechtswissenschaft und Gesetzgebung allein gelassen. Zwar erscheint ihr Vorgehen aus heutiger Sicht überwiegend als Willkür, doch zeigen sich gelegentlich auch regelmäßige, wenngleich rechtsdogmatisch problematische Handlungsmuster. Die „Etikettierung“ eines Eigentumsträgers durch die Grundbuchsanlegungsbeamten kann also durchaus von systematischen Überlegungen bestimmt gewesen sein, etwa bei der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ als Fachterminus zur Erfassung von Gemeinschaftsliegenschaften, deren Anteilsrechte mit Liegenschaftseigentum „in der Fraktion“ rechtlich verknüpft wäre. Doch typischer Weise war die Verwendung des „Fraktionsbegriffes“ zur Erfassung bestimmter Erscheinungsformen agrarischer Gemeinschaften auch aus historischer Sicht nicht gerechtfertigt.

Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 war zwar von der erklärten Absicht des Gesetzgebers getragen, den „Überbleibseln der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“, ein rechtlich anerkanntes Organisationsmodell zur Durchsetzung von Beteiligungsrechten im politischen Gemeindeleben zur Verfügung zu stellen; das förmliche Anerkennungsverfahren, wie es das Fraktionengesetz 1893 voraussetzte, scheinen freilich die wenigsten der unter diesem Namen im Grundbuch erfassten Eigentumsträgerinnen durchlaufen zu haben.

In der Regel bedeutet „Fraktion“ als Bezeichnung eines Eigentumsträgers deshalb nichts anderes als einen (der Erfassung von Gemeinschaftsliegenschaften dienenden) alternativen Begriff zu „Interessentschaft“, „Nachbarschaft“, „Katastralgemeinde“ oder „Genossenschaft“. Es handelte sich dabei also nicht um eine „gemeinderechtliche Einrichtung“ im Sinne der Deutschen Gemeindeordnung 1935 und damit nicht um eine Rechtsvorgängerin der heutigen politischen Ortsgemeinde, sondern um eine „moralische Person“ im Sinne des ABGB, um eine privatrechtliche „Gemeinde“. Deren historisches Gemeinschaftsvermögen ist unabhängig von den heutigen politischen Strukturen entstanden.
Die Art der Etikettierung einer Liegenschaft im Zuge der Grundbuchsanlegung erlaubt deshalb keine Schlussfolgerung auf die seinerzeit bestandenen Eigentumsverhältnisse.
Das insgesamt negative Urteil über die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsliegenschaften, zu dem die Tiroler Landesregierung 1982 kam, erweist sich daher als nicht unberechtigt.

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„… dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde ausmachen“

Maria Theresia von Österreich (* 13. Mai 1717 in Wien; † 29. November 1780 ebenda) war eine Fürstin aus dem Hause Habsburg. Die regierende Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn mit Kroatien und Königin von Böhmen (1740–1780) zählte zu den prägenden Herrscherpersönlichkeiten der Habsburgermonarchie. Im Jahr 1745 wurde ihr Gatte Franz I. Stephan zum römisch-deutschen Kaiser gewählt. Die Regierungsgeschäfte der Habsburgermonarchie führte Maria Theresia trotzdem allein. Wie jede Gattin eines Kaisers wurde sie, obwohl nicht selbst gekrönt, als Kaiserin tituliert.
Maria Theresia von Österreich (* 13. Mai 1717 in Wien; † 29. November 1780 ebenda), Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn mit Kroatien und Königin von Böhmen (1740–1780). Im Jahr 1745 wurde ihr Gatte Franz I. Stephan zum römisch-deutschen Kaiser gewählt, weshalb auch sie als „Kaiserin“ bezeichnet wird.
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Die Regierungsgeschäfte der Habsburgermonarchie führte Maria Theresia allein. Bald nach Amtsantritt richtete Maria Theresia ihr Augenmerk auf innere Reformen ihrer Länder. Ihre weitreichenden Änderungen wurden unter dem Namen „Theresianische Staatsreform“ bekannt („aufgeklärter Absolutismus“).
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Ein roter Faden ihrer Reformpolitik war, dass an Stelle der überkommenen und zersplitterten ständischen Einrichtungen ein zentraler, absolutistisch regierter Staatsapparat treten sollte. In Maria Theresias Zeit fielen bedeutende Reformen des Justizwesens. Maria Theresia ließ die Rechte der Länder im 1769 veröffentlichten Codex Theresianus sammeln. Auf dieser Grundlage sollte eine Rechtsvereinheitlichung vorgenommen werden.
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Der Codex Theresianus (CTH) ist ein Vorläufer des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB). Eine von Maria Theresia 1753 eingesetzte Kommission mit dem Hauptreferenten Joseph von Azzoni (1712–1760) und eine anschließende Revisionskommission schufen in mehrjähriger Arbeit bis 1766 den Codex Theresianus (CTH).
Er war als Gesetzbuch jedoch zu einzelfallbezogen („kasuistisch“) und viel zu umfangreich (über 50.000 §§). Maria Theresia hat dem Werk deshalb nie Gesetzeskraft verliehen. Der CTH blieb bloßer Gesetzesentwurf, der jedoch nach dem Charakter eines Rechtslehrbuches das im 18. Jahrhundert geltende Recht für die historische Forschung erschließt. Annähern 40 Nr – heute würde man sagen „Paragrafen“ – sind darin den Rechtsverhältnissen der historischen Nachbarschaften gewidmet, „Gemeinden“ bezeichnet. Nach dem CTH können bereits drei Personen einen Gemeinde bilden.

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VERWECHSLUNG ALSEIGENTUMSTITEL“

Das historische Recht Mitteleuropas kannte keine der heute gängigen juristischen Personen wie die Aktiengesellschaft, die GmbH, die Genossenschaft oder die Stiftung. Trotzdem war das Phänomen eines Zusammenschlusses von Personen, die ein gemeinsames Ziel verfolgt haben,  allgegenwärtig.
„Gemeinde“ war einer der Begriffe, mit dem im historischen Recht das beschrieben wurde, was wir heute „Gesellschaft“ nennen.

Der „Codex Theresianus“ (CTH),  ein Gesetzesentwurf erstellt im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia, erklärt die „Gemeinde“ als einen Zusammenschluss von mindestens drei Personen.
„Gemeinde“ ist danach ein von den Nachbarn begründetes Gebilde, zur Umsetzung eines gemeinsamen Zweckes – zB Gewährleistung einer Wasserversorgung für die Mitglieder, einer Holzversorgung für die Mitglieder, des gemeinsamen Schutzes gegen Hochwasser und Vermutung.

Der „Codex Theresianus“ (CTH),  ein im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia 1766 vorgelegter Entwurf für ein Bürgerliches Gesetzbuch, definierte die „Gemeinde“ wie folgt: „Alle anderen zu den Gemeinden gehörige Sachen sind in ihrem Eigentum, welche in dieser Absicht als sittliche Personen betrachtet und hierunter die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften wie auch alle und jede weltliche Versammlung mehrerer in größerer oder kleinerer Anzahl bestehender Personen, welche rechtmäßig errichtet und von Uns bestätigt sind, verstanden werden, also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“ (CTH II. Teil „Von Sachen und dinglichen Rechten, Caput I „Von Unterschied der Sachen, § V Von Sachen der Gemeinden, Nr 133)

Kaiserin Maria Theresia hat das Gesetzeswerk CTH nicht in Kraft gesetzt; trotzdem bietet der Gesetzesentwurf CTH einen wertvollen Einblick in das damalige Rechts- und Begriffsverständnis. Mit dem Charakter eine Lehrbuches erklärt der CTH in  „Gemeinde“ war danach eine private Gesellschaft der Nachbarn.

Dieses privatrechtliche Begriffsverständnis (Gemeinde als privater Zusammenschluss der Nachbarn), war im „deutschen Rechtskreis“  über Jahrhunderte fest verwurzelt, bevor der moderne Staat die moderne politische Ortsgemeinde geschaffen hat. Nicht zuletzt aus diesem Grund kam es noch zur Zeit der Grundbuchanlegung in Tirol zu zahllosen Verwechslungen.

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Übersicht:
Drei machen eine Gemeinde
„Gemeinde“ war eine Gesellschaft
Zur Geschichte des Gemeindebegriffes

DREI MACHEN EINE GEMEINDE

Der Codex Theresianus ist ein Vorläufer des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB). Eine von Maria Theresia 1753 eingesetzte Kompilationskommission mit dem Hauptreferenten Universitätsprofessor Dr. Joseph von Azzoni (1712–1760) und eine anschließende Revisionskommission, hatte den Auftrag, das geltende Privatrecht zu erfassen und in einem Gesetzeswerk als unmittelbare Quelle der Rechtsprechung niederzulegen. Auch wenn das Werk letztlich zu kasuistisch, zu wenig systhematisch durchdacht und viel zu umfangreich ausgefallen ist, so bleibt der Codex Theresianus eine wertvolle Quelle für das damals geltende Recht. Der Codex Th. hat jedenfalls die Qualität eines für die damaligen Zeit allgemein anerkannten Standardwerkes zum Privaterecht. Dies umso mehr, als dieses Standardwerk von einem ganzen Professorenteam bearbeitet und „approbiert“ wurde.
Die zitierte Gesetzesbestimmung ist Teil eines ganzen Abschnittes (§ V, Nr 126 bis 155), der sich aus 30 (!) Absätzen, heute würde man sagen Paragraphen, damals „Nummern“ genannt, zusammensetzt. Nr 133 wie oben zitiert, sagt inhaltlich zum Gemeindeeigentum selbst nichts anderes aus, als das, was im selben Abschnitt bereits in der einleitenden Nr 126 geregelt wurde:
„Sachen der Gemeinden sind jene, deren Eigentum nicht einzelnen Personen, sondern der ganzen Gemeinde gehörig, der aber davon entweder der Gemeinde allein vorbehalten, oder allen Mitgliedern gemein ist.“ Die sachenrechtlichen Verhältnisse betreffend ist die Bestimmung der Nr 133, § V, Caput I, II. Teil Codex Th offensichtlich wenig ergibig.

Ganz anders sind die Aussagen der Gesetzesbestimmung zur die Rechtsnatur der „Gemeinde“ zu beurteilen. Diese Aussagen machen deutlich, dass die „Gemeinde“ zur damaligen Zeit ein begriff war, der eine Personengesellschaft definiert. Diese Personengesellschaft hat bestimmte Eigenschaften, nämlich a) sie wird als eine „sittliche Person“ betrachtet (heute würde man sagen „juristische Person“); b) diese „Gemeinde“ findet man in den Städten, Märkten und anderen Ortschaften aber auch als andere privatrechtliche Zusammenschlüsse von Personen; c) wenigstens drei Personen müssen sich beteiligen, damit von einer „Gemeinde“ gesprochen werden kann.

„GEMEINDE“ WAR EINE GESELLSCHAFT

Damit definieren die Rechtsprofessoren aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia die „Gemeinde“ als eine Gesellschaft nach privatem Recht, als Zusammenschluss von mindestens drei Personen und gerade nicht als eine Staatsorganisation, wie dies dem heutigen Begriffsverständnis entsprechen würde.

Das Eigentum der „Gemeinde“, bestehend aus zumindest drei Personen, wurde in Nr 126 bis 155, heute würde man sagen §§ 126 bis 155, somit in 30 (!) Paragraphen geregelt. Losgelöst von den sachenrechtlichen Regelungen und bereinigt um die missglückte Gleichstellung einer „Versammlung“ mit einer „Gemeinde“ im letzten Halbsatz von Nr 133, ist dieser legistische Regelungsversuch der „Gemeinde“ als Zusammenschluss von Privatpersonen zu einer juristischen Person nach Privatrecht (heute: „Gesellschaft“) wie folgt zu verstehen:
„Die Gemeinden in den Städten, Märkten und anderen Ortschaften sowie die weltlichen Zusammenschlüsse mehrerer Personen sind als sittliche Person anerkannt, soferne sie rechtmäßig errichtet und hoheitlich bestätigt sind, sofern sich mindestens drei Personen zusammen geschlossen haben.“

Bemerkenswert ist, dass der Codex Th in der anschließenden Nr 134 die Rechtsfolgen für den Fall regelt, dass sich die Anzahl der Gesellschafter einer solchen „Gemeinde“ nachträglich unter die für die Gründung erforderliche Mindestanzahl verringert. Nr 134, § V, Caput I, II. Teil Codex Th lautet wie folgt: „Würde aber deren Anzahl bis auf eine einzige noch übrige Person vermindert, so bleiben dennoch die Rechte der Gemeinde in dieser einzigen Person aufrecht, und das alle abgingen, hat die Behörde (Original: „haben Unsere Stellen“ – gemeint die Beamten der Kaiserin) wegen der Sachen und Rechte der Gemeinde einstweilen die Vorsehung zu treffen …“

ZUR GESCHICHTE DES GEMEINDEBEGRIFFES

Wer die Geschichte des Gemeindebegriffes verstehen möchte, muss sich von Vorstellungen befreien, welche das einfließen lassen, was heute eine politische Ortsgemeinde darstellt. Die historischen Siedlergemeinschaften, genannt die „Markgemeinden“, die zur Anfangszeit der heutigen Besiedlung ein bestimmtes Territorium in Besitz genommen haben, hatten politisch-soziale Aufgaben wahrgenommen und solche wirtschaftsgenossenschaftlicher Art. Treffend prägte Otto Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd I (1895) 577, den Begriff des „doppelten Berufes“ den die historischen Markgemeinden gehabt hätte: Sie waren örtliches Gemeinwesen und sie waren ländliche Wirtschaftsgenossenschaft, Verwalter des gemeinsamen Privaten Grund und Bodens.
Je nach der lokaler Rechtsentwicklung wurden die politischen Aufgaben früher oder später in staatlich „implementierte Rechtsträger“ ausgelagert.
Zurück blieb die Wirtschaftsgenossenschaft, heute als Agrargemeinschaft definiert.

Diese staatlichen Gemeindegebilde, die durch Hoheitsakt in die historische Privatgemeinden, in die Gesellschaften der Nachbarn, hineingepflanzt wurden, sind streng zu unterscheiden von der „wirtschaftsgenossenschaftlichen Seite der Markgemeinde“. Aus der ursprünglichen „Gesellschaft der Nachbarn“ hat sich die Agrargemeinschaft entwickelt, als Eigentumsträger von typischer Weise unbesiedeltem Land, von Heimweiden, Wäldern und Almen.
Je nach dem wann die moderne Agrargesetzgebung die Regulierung der Gemeinschaftsliegenschaften ermöglicht hat, entstanden die heutigen „körperschaftlich eingerichteten“ Agrargemeinschaften; oft wurde das Gemeinschaftsland auch einfach aufgeteilt.

Nicht alle derartigen Agrargemeinden wurden bis dato reguliert. Zum Teil haben die politischen Ortsgemeinden das Kommando übernommen; zum Teil existieren noch die uralten Korporationen, Agrargemeinden nach bürgerlichem Recht, mit eigenständiger Organisation, vertreten durch gewählte Machthaber. So existiert im Bezirk Landeck die „Zweidrittelgericht Landeck“, Eigentümerin von insgesamt acht Liegenschaften, ua der Liegenschaft in EZ 178 Grundbuch Grins. Diese Agrargemeinde existiert wohl schon seit dem Beginn der heutigen Besiedlung. Als „Groß-Alpe“ vereinigt diese Gesellschaft der Nachbarn nutzungsberechtigte Stammliegenschaftsbesitzer aus mehreren Siedlungsverbänden.

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Gemeinde, das sind „Häuser“ mit Rechten und Pflichten

 

MP

Gemeinde, das sind „Häuser“ mit Rechten und Pflichten

Johann Gottfried Reichsgraf von Heister, Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol vom 6. Februar 1774 bis 7. Januar 1787, (*1717 Ragitsch; † 1800 Klagenfurt). 1738: steirischer Landesrat, dann Kreishauptmann in Judenburg, 1742: Repräsentationsrat, 1763: Landeshauptmann von Kärnten, 1771: Kommandeur des Stephansordens, Mitglied der Oberösterreichischen Gesellschaft des Ackerbaus, 1772: Gouverneur und 1774 bis 1787 auch Landeshauptmann von Tirol. 1775: Gründer der Innsbrucker Ritterakademie; 1782: Deputierter Meister der Innsbrucker Freimaurer “St. Johannisloge zu den drei Bergen”, 1784: Mitbegründer und Meister vom Stuhle der zweiten Innsbrucker Freimaurerloge “Zum symbolischen Zylinder“ sowie Großmeister der Distriktsloge von Tirol. Johann Gottfried Reichsgraf von Heister hatte im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia die Schulreform in Tirol durchzuführen; in seine Zeit als Gouverneur von Tirol fällt Abschaffung der Hexenprozesse sowie der wichtige Bau der Straße von Wilten nach Matrei im Wipptal. Johann Gottfried Reichsgraf von Heister hatte als Gouverneur von Tirol die Josephinischen Reformen durchzuführen, beginnend mit den Toleranzpatent (1781) und Aufhebung zahlreicher Klöster, deren Angehörige sich nur der “beschaulichen Frömmigkeit” widmeten, Umverteilung der eingezogenen kirchlichen Vermögen insbesondere auf neue Seelsorgekirchen in abgelegenen Ortschaften (“Pfarrregulierung Josephs II.), den umfassenden Schulreformen Josephs II., den neuen “Justizgesetzen” wie die Allgemeine Gerichtsnorma 1781, ein neues Ehe- und Erbrecht, neue Zollgesetze, Neuerungen im Gewerberecht, die Verstärkung des Tiroler Land- und Feldregiments, die Neu-Einrichtung des Tiroler Jägerkorps sowie insbesondere auch die Neu-Regulierung der Grundsteuer. Johann Gottfried Reichsgraf von Heister konnte sich bei der Umsetzung all dieser Maßnahmen auf leitende Beamte verlassen, die zum Großteil – so wie er selbst – einer Freimauerloge angehörten. (Zu Heisters Wirken in Tirol: Helmuth Oberprantacher: Johann Gottfried Graf von Heister. Versuch einer Charakterisierung seiner Regierungstätigkeit als Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol, Diss. Innsbruck 1981.) Bildbearbeitung: Peter Parker; Originalbild: Eigentum von Stift Wilten, beschädigt.
Johann Gottfried Reichsgraf von Heister, Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol vom 6. Februar 1774 bis 7. Januar 1787, (*1717 Ragitsch; † 1800 Klagenfurt). 1738: steirischer Landesrat, dann Kreishauptmann in Judenburg, 1742: Repräsentationsrat, 1763: Landeshauptmann von Kärnten, 1771: Kommandeur des Stephansordens, Mitglied der Oberösterreichischen Gesellschaft des Ackerbaus, 1772: Gouverneur und 1774 bis 1787 auch Landeshauptmann von Tirol. 1775: Gründer der Innsbrucker Ritterakademie; 1782: Deputierter Meister der Innsbrucker Freimaurer “St. Johannisloge zu den drei Bergen”, 1784: Mitbegründer und Meister vom Stuhle der zweiten Innsbrucker Freimaurerloge “Zum symbolischen Zylinder“ sowie Großmeister der Distriktsloge von Tirol. Johann Gottfried Reichsgraf von Heister hatte im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia die Schulreform in Tirol durchzuführen; in seine Zeit als Gouverneur von Tirol fällt Abschaffung der Hexenprozesse sowie der wichtige Bau der Straße von Wilten nach Matrei im Wipptal. Johann Gottfried Reichsgraf von Heister hatte als Gouverneur von Tirol die Josephinischen Reformen durchzuführen, beginnend mit den Toleranzpatent (1781) und Aufhebung zahlreicher Klöster, deren Angehörige sich nur der “beschaulichen Frömmigkeit” widmeten, Umverteilung der eingezogenen kirchlichen Vermögen insbesondere auf neue Seelsorgekirchen in abgelegenen Ortschaften (“Pfarrregulierung Josephs II.), den umfassenden Schulreformen Josephs II., den neuen “Justizgesetzen” wie die Allgemeine Gerichtsnorma 1781, ein neues Ehe- und Erbrecht, neue Zollgesetze, Neuerungen im Gewerberecht, die Verstärkung des Tiroler Land- und Feldregiments, die Neu-Einrichtung des Tiroler Jägerkorps sowie insbesondere auch die Neu-Regulierung der Grundsteuer. Johann Gottfried Reichsgraf von Heister konnte sich bei der Umsetzung all dieser Maßnahmen auf leitende Beamte verlassen, die zum Großteil – so wie er selbst – einer Freimauerloge angehörten. (Zu Heisters Wirken in Tirol: Helmuth Oberprantacher: Johann Gottfried Graf von Heister. Versuch einer Charakterisierung seiner Regierungstätigkeit als Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol, Diss. Innsbruck 1981.) Bildbearbeitung: Peter Parker; Originalbild: Eigentum von Stift Wilten, beschädigt.

 

Mit großem Engagement hatte sich Kaiser Joseph II (* 13. März 1741 in Wien; † 20. Februar 1790 ebenda) nach dem Tod seiner Mutter Kaiserin Maria Theresia (* 13. Mai 1717 in Wien; † 29. November 1780 ebenda) auch der Steuerreform gewidmet. Seinen hohen Ansprüchen an ein gerechtes Steuersystem wollte er mit einem klaren und gerechten Steuerfuß auf Grund und Boden entsprechen. Tirol kam eine gewisse Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Josephinischen Steuerreform zu, die schon im Jahr 1784 hier umgesetzt wurde. Joseph II. „allgemeines Steuerregulierungspatent“ stammt vom 20. April 1785.

Kaiser Joseph II. genehmigte die neue Steuergesetzgebung für Tirol mit Hofdekret vom 11. Oktober 1784. Kurz zuvor erging noch eine Anfrage an den Gouverneur und Landeshauptmann von Tirol, Graf Johann Gottfried von Heister. Die Zentralregierung wollte wissen, ob die Steuerbezirke unter Berücksichtigung der Gemeindegrenzen gebildet wurden. Das Tiroler Gubernium antwortete darauf unter dem „28ten Septembris 1784” mit einer umfassenden Darstellung zum Verhältnis der neuen „Steür bezürcke“ und der jeweiligen Gemeindeverbände.

DEFINITION DER TIROLER GEMEINDE 1784

„In Tyroll wird unter der Benamsung Gemeinde eine gewise, bald größere, bald kleinere Anzahl beysammen ligender oder auch einzeln zerstreüter Häuser mit den dazu gehörigen Gründen verstanden, die gewise Nuzbarkeiten an Wayden, Waldungen, und unbeurbarten gründen Gemeinschäftlich und mit ausschlus anderer Gemeinden genüssen, einen gemeinschäftlichen beütel oder Cassa führen, und eben also auch gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben, Z: B: ein bestimte Strecke eines Wildbachs, oder eines Stromes zu verarchen.“

Sprachlich und orthographisch im Sinn des heute Geläufigen „geglättet“ definierte die Behörde von Gouverneur Johann Gottfried Graf von Heister im Jahr 1784 die “Gemeinde” in Tirol wie folgt:

„In Tirol wird unter der Bezeichnung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beisammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser mit den dazugehörigen Gründen verstanden, die gewisse Nutzungsrechte an Weiden und Waldungen sowie bebaubarem Land gemeinschaftlich und mit Ausschluss anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Kassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu regulieren.

(TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249 – auch zitiert bei Wilfried Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, in: Tiroler Heimat 2008, 162).

„GEMEINDE“ ALS ORGANISATION DER HAUSBESITZER

Wesentlich instruktiver als die Gemeindedefinition des Codex Theresianus von 1766, wonach „wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können“ (CTH II, 26, § III n 133), umschreibt diese Definition des Tiroler Guberniums, was man sich nach historischem Recht unter einer „Gemeinde“ vorzustellen hätte. Diese „Definition“ enthält konkrete Tatbestandselemente, welche die „Gemeinde“ als einen bestimmten Typus der „moralischen Person“ charakterisieren:

* Die Gemeinde setzt sich demnach aus beisammen liegend oder zerstreuten „Häusern“ samt den dazugehörigen Gründen, gemeint „Stammsitzeigentümer“, zusammen, welche bestimmte Rechte an Liegenschaften gemeinschaftlich ausüben, und zwar unter Ausschluss von anderen (Gemeinden = Stammsitzeigentümergruppen).

* Dieses Gemeinschaftsgebilde (bestehend aus mehreren Stammsitzeigentümern) ist Träger von Rechten und Pflichten und damit nach heutigem Verständnis juristische Person.

Nach der Definition des Tiroler Guberiums von 1784 besitzt diese Ansammlung von Hausbesitzern nämlich eine Verwaltungsstruktur – konkret „einen gemeinsamen „Beutel“, somit eine gemeinsame Finanzgebarung, und Gemeinschaftspflichten.

Durch Interpretation zu erschließen sind aus dieser Gemeindedefinition auch die Regeln für den Erwerb und den Verlust der (Gemeinde-)Mitgliedschaft:
Die jeweils am Stammsitz berechtigte natürliche Person ist Gemeindeglied;
die Gemeindemitgliedschaft folgt dem Recht am Stammsitz!
Der Verlust der Berechtigung am Stammsitz hat demnach den Verlust der Gemeindemitgliedschaft nach sich gezogen.

Das Recht am Stammsitz und die Mitberechtigung in der Gemeinde sind so eng verknüpft, dass nach dem historischen Wortlaut der Definition der Stammsitz selbst als Mitglied erscheint.
Weil ein Stammsitz als solches nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann, kann sich diese Rechtsfolge freilich nur auf die jeweilige natürliche Person beziehen, welche am Stammsitz verfügungsberechtigt ist.

Nach exakt diesem System vollzieht sich auch heute noch in Tirol der Erwerb und der Verlust der Mitgliedschaft an einer Agrargemeinschaft: Das Recht an der Agrargemeinschaft folgt dem Recht am Stammsitz!

Zwischenergebnis:

Nicht die Tatsache des Wohnortes begründete die Gemeindemitgliedschaft, sondern die Tatsache des Stammsitzeigentums.

Jene Gebilde, welche das Tiroler Gubernium im Jahr 1784 als „Gemeinden“ beschrieben hat, waren deshalb keinen politischen Ortsgemeinden.

Die gemeinsame Mitberechtigung dieser Gruppe von Stammsitzeigentümern an landwirtschaftlichen Liegenschaften sowie die gemeinschaftliche Verwaltungsstruktur erweist diese Gebilde vielmehr als historische „Wirtschafts- bzw Realgemeinden“.

Das verbandsrechtliches Organisationsmodell dieser „Gemeinde“ findet sich im modernen Recht im Flurverfassungsrecht.

Die Tiroler Gemeinde des Jahres 1784, so wie diese seitens des Guberniums im Gutachten vom 28. September definiert wurde, ist nach heutigem Rechtsverständnis eine Agrargemeinschaft!

„GEMEINDE“ ALS GRUNDEIGENTÜMER

In Tirol bestand eine lange Tradition, nach der die Obrigkeit lokalen Gruppen der heimischen Landbevölkerung „Besitz“ an bestimmten Alp-, Weide- oder Waldgrundstücken in förmlichen Verleihurkunden uä bestätigte. Eines der ältesten Beispiele bildet offensichtlich die „Melch- und Galtalpe und zwei Kasern im Sennerthale“, welche der „Gemeinde Kematen“ aufgrund Verleihbriefes des Stiftes Wilten vom Freitag in der Pfingstwoche des Jahres 1352 (!) in das Eigentum übertragen wurde (FEPT 55 Fortsetzung, Landgericht Sonnenburg vom 10.2.1849, fol 34; heute in EZ 37 GB Grinzens).

Die daraus historisch abzuleitende Rechtsposition ist durchaus mit dem modernen Grundeigentum vergleichbar. Durch eine breite und ausführliche Beschreibung der Befugnisse, welche die „Nachbarn“ hinsichtlich des Erworbenen erlangten, wurde hier inhaltlich all das umschrieben, was heute mit dem Begriff des Eigentums als Selbstverständlichkeit umfasst ist.

Zu verweisen ist etwa auf eine Verleihungsurkunde vom 1. Juli 1670, Urkunde Nr. 8 im Gemeindearchiv von Langkampfen, wonach „Paris Graf zu Lodron, Kastell Roman, Herr zu Castellan, Kastell Novo, Gmünd, Sommeregg und Piberstein, der röm. kaiserlichen Majestät, auch zu Ungarn und Böheim königlicher Majestät wirklicher Kämmerer und obrister Jägermeister der ober- und vorderösterreichischen Landen“ von „Obristjägermeisteramtswegen“ der „Gemein und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen“ sowie „allen ihren Erben und Nachkommen“ eine Au zur Zurichtung eines Wiesmahds verlieh. Das „zu ewigem Erbrecht“ übertragene Recht inkludierte die Befugnis, die Liegenschaft zu „reiten, räumen und zu einem Wiesmahd zurichten, solches innehaben, gebrauchen, nutzen und nießen (…), es sei mit Verkommen, Verkaufen, Versetzen, Verwechseln, Vertauschen, oder in ander gebührender Weg“ damit zu verfahren und zu handeln, „wie Recht ist, unverhindert meiniglichens.“

„GEMEINDE“ BEDEUTETE NACHBARSCHAFT

Jene Gruppen, die in diesen Urkunden als Adressaten der Verleihungen Erwähnung fanden, wurden regelmäßig als Nachbarschaften oder Gemeinden oder mit einer Kombination dieser Worte („Gmeind und Nachperschafft“) bezeichnet. Bei diesen Gebilden war ausschließlich an einen geschlossenen Personenkreis gedacht! Unmissverständlich definierten die historischen Rechtstitel „die Nachbarn, ihre Erben und Nachkommen“ als jeweiligen Vertragspartner.

Juristisch ist die Nachbarschaft als Gemeinde nach bürgerlichem Recht (§ 27 ABGB – Gemeinde nbR) zu verstehen, als eine „moralische Person“, verwandt der personamoralis collegialis des Gemeinen Rechts.

HISTORISCHE GEMEINDEORGANISATIONEN

Keinesfalls ist die landwirtschaftliche Nutzung des Gemeinschaftsbesitzes Bedingung der Gemeindebildung, wie man an historischen Brunnengemeinden ersehen kann.Zu Verweisen ist etwa auf die Brunnengemeinschaften von Lermoos; Mader, Ortskunde von Lermoos, Das Außerfernerbuch, Schlern-Schriften Nr 111, 1955, 195, erwähnt einen „Brunnenbrief“ aus dem Jahr 1560. Die Grundbuchsanlegung hat „Brunnen-Interessentschaften“ auch als Liegenschaftseigentümer erfasst (s zB hist B-Blatt der Liegenschaft in Ez 172 II KG Obsteig).

BRUNNEN- UND ARCHENGEMEINSCHAFTEN

Auch eine gemeinschaftliche Pflicht kann Veranlassung zur Gemeinschafts-, dh Gemeindebildung, geben, wenn diese Pflicht nur bedeutsam genug ist. Zu denken ist an die bereits im Gutachten des Tiroler Guberniums von 1784 erwähnte Verpflichtung, einen bestimmten Flussabschnitt zu regulieren. Eine derartige Aufgabe wird bedeutsam genug erscheinen, um sich zu deren Bewältigung mit seinen Nachbarn zu einer Gemeinschaft, einer Gemeinde, zu verbinden.

Die betreffende Gemeinde könnte als „Verarchungsgemeinde“ charakterisiert werden. Insoweit dieser für jeden lokalen Siedlungsverband bedeutsamen, großen Aufgabe, eine materielle Ausstattung dauernd gewidmet wurde, beispielsweise ein entsprechendes Landstück, wo die erforderlichen Steine und das Bauholz gewonnen wurden, könnte sich der Name „Archenwald“ eingebürgert haben. Alle Nutzbarkeiten aus den Liegenschaften Archenwald wären der Verarchungsgemeinde zuzuordnen.

Die FEPT Landgericht Sonnenburg, Tabelle Nr 55 Fortsetzung, erwähnt im Zusammenhang mit einer Anmeldung für „Gemeinde Kematen“, eine ungeteilte Gemeindewaldung von 118 Morgen betreffend, ausdrücklich folgendes: „Dieser Wald ist zur Verarchung des Melachbachs gewidmet“. Offensichtlich ist aus diesem Gemeinschaftswald die heutige Agrargemeinschaft Archberg- Winkelbergwald Kematen hervorgegangen. In Weer existiert eine Agrargemeinschaft, in welcher ebenfalls ein „Archenwald“ reguliert ist (Agrargemeinschaft Archen- und Ganglwald, Weer).

SCHULGEMEINDEN NACH STEUERSCHLÜSSEL

In jüngerer Zeit neu gebildete „Gemeinden“, die Aufgaben zu bewältigen hatten, die dem Nachbarschaftsverband neu zugewachsen waren, wurden auch nach dem „Grundsteuerschlüssel“ der jeweiligen Nachbarschaft eingerichtet. Dies beweist unter anderem die Liegenschaft in EZ 11 Grundbuch Thiersee, für welche die Grundbuchsanlegungskommission die wesentlichen Rechtsverhältnisse wie folgt festhielt: „Auf Grund des Kaufes vom 28. Mai, verfacht 1.Juni 1877 Folio 307 wird mit Bezug auf den Servituten-Ablösungs-Vergleich vom 23. August 1872 Folio 694 das Eigentumsrecht für die Gemeindefraktion Hinterthiersee, welche Lasten und Nutzungen nach Verhältnis der von der Fraktion zu entrichtenden Grundsteuer zu tragen und zu genießen hat, einverleibt.“

Offensichtlich hatten sich die im Jahr 1877 im Weiler Hinterthiersee grundsteuerpflichtigen Liegenschaftsbesitzer zum Erwerb dieser Liegenschaft zusammengeschlossen; maßgebliche Grundlage für die Beteiligung an der errichteten Gemeinde nbR war in diesem Fall die im Jahr 1877 jeweils zu tragende Grundsteuer. Gegenstand des Kaufes und in weiterer Folge des Umbaus und Adaptierung war ein kombiniertes Schul- und Lehrerwohnhaus, das die Nachbarn eingerichtet haben. Allfällige Einwohner des Weilers Hinterthiersee, welche im Jahr 1877 keine Grundsteuer bezahlten, waren demnach am Erwerb der Liegenschaft, an den Lasten und Nutzungen der Liegenschaft nicht beteiligt.

VERSCHIEDENE AGRARGEMEINDEN

Abgesehen davon, dass eine Gemeinde als Korporation nach dem gemeinen Recht zumindest aus drei Mitgliedern bestehen musste, existierten keinerlei Vorschriften etwa des Inhalts, dass einzelne Personen nur in einer Korporation, nur in einer Gemeinde, Mitglied sein durften. Insoweit kleinere Siedlungsverbände eigene Heimweiden oder eigene Almweiden besaßen, während dieselben Personen im größeren Verband den Wald gemeinschaftlich bewirtschaftet haben, waren ebenso viele Gemeinden des Typus Agrargemeinde anzunehmen, wie unterschiedliche Mitgliedergruppen vorhanden waren.

So bestehen auf dem Gebiet der Pfarrgemeinde zum Heiligen Vitus, Umhausen, Ötztal, sechs Gruppen von Stammliegenschaftsbesitzern, nämlich Umhausen, Tumpen, Köfels, Farst, Östen und Niederthai, welche gemeinsam die Pfarrgemeinde zum Heiligen Vitus bildeten. Als Einzugsbereich einer Kirchengemeinde wird ein solches Gebiet historisch auch „Kirchspiel“ genannt. Im Kirchspiel der Pfarrgemeinde zum Heiligen Vitus existierten folgende „Wald-Agrargemeinden“ im Sinne von Gesellschaften der Stammliegenschaftsbesitzer: Kirchspiel, Umhausen, Tumpen, Köfels, Farst, Östen, Nederseite-Niederthai, Bichl-Höfle und Sonnseite-Sennhof – die letzteren drei sämtlich in der „Fraktion“ Niederthai.

Bezeichnenderweise waren die als „Kirchspiel“ zusammengefassten Liegenschaften über die ganze Pfarrgemeinde verstreut, weil ursprünglich die Stammliegenschaftsbesitzer der gesamten Pfarrgemeinde daran beteiligt waren. Die ursprünglich mitbeteiligten Stammliegenschaftsbesitzer von Östen und Farst wurden im Zuge einer Teilung ausgeschieden, sodass an der heutigen „Agrargemeinschaft Kirchspielwald“ nur mehr die übrigen Stammliegenschaftsbesitzer der Pfarrgemeinde zum Heiligen Vitus beteiligt sind.

Daneben gibt es im „Kirchspiel Umhausen“ elf Alm-Agrargemeinden, welche Almweiden gemeinschaftlich bewirtschaften. Die Mitglieder dieser historischen „Alm-Gemeinden“ im Sinnen von Gesellschaften der Stammliegenschaftsbesitzer im „Kirchspiel zum Heiligen Vitus“ (=Umhausen)“ entsprechen den Mitgliedern der heutigen Agrargemeinschaften Großhorlach, Kleinhorlachalpe, Grasstall, Gehsteigalpe, Ischlehen, Zwieselbachalpe, Leierstal, Fundusalpe, Tumpener Alpe, Bergmahd Tumpenerberg, Jochalpe-Vorderleierstal.

Die historischen Stammliegenschaftsbesitzer im Kirchspiel zum Heiligen Vitus waren dementsprechend typischer Weise sämtlich Mitglieder der Agrargemeinde Kirchspiel als Eigentümerin der Liegenschaften „Kirchspielwald“, sie waren Mitglieder einer der den sechs (Kirchen-) Fraktionen entsprechenden Wald-Agrargemeinden, das sind die Agrargemeinschaften Umhausen-Dorf, Tumpen, Köfels, Farst, Östen, Nederseite-Niederthai, Bichl-Höfle, Sonnseite-Sennhof, und sie waren Mitglieder in einer oder mehreren der elf Alm-Agrargemeinden, innerhalb derer die zum Kirchspiel gehörigen elf Alpen bewirtschaftet wurden.

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Der Grundbuchforscher

Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“, hat die Tiroler Grundbuchanlegung gründlich erforscht.
Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“, hat die Tiroler Grundbuchanlegung gründlich erforscht.

 

Gerald KOHL, Wien:
Territoriale Rechtsvielfalt und gesamtstaatliche Rechtsvereinheitlichung in der Habsburgermonarchie: Die Einführung des Grundbuchs in Tirol

1. Allgemeines

Dieser Beitrag hat keinen Vergleich zwischen Großreich und Kleinstaat zum Gegenstand, sondern widmet sich einem großstaatstypischen Problem, nämlich dem Spannungsverhältnis zwischen Rechtsvielfalt und Rechtsvereinheitlichung. Bei mehrstufigem Staatsaufbau gibt es für die „Aufgabenverteilung“ ein Klischee: Die Länder sind für die Rechtszersplitterung verantwortlich, der Bund bzw. Gesamtstaat übernimmt die Rechtsvereinheitlichung. Hier wird nun ein Beispiel gezeigt, in dem diese Rollen nicht so klar verteilt erscheinen: die Einführung des Grundbuchs in Tirol.

2. Grundbuch und Verfachbuch

Dem Liegenschaftsverkehr dienende öffentliche Bücher gab es in Tirol schon seit dem 14. Jahrhundert. Diese sogenannten „Verfachbücher“ unterschieden sich als „tirolische Specialität“ in mehrfacher Weise vom modernen Grundbuch und hatten erhebliche Nachteile : Dazu gehörten die unübersehbare Vielfalt der rechtlichen Grundlagen , der Mangel des öffentlichen Glaubens, hervorgerufen durch das Unterbleiben einer gerichtlichen Prüfung verfachter Urkunden, sowie nicht zuletzt die Unübersichtlichkeit im Einzelfall: Das Verfachbuch war nämlich nur eine annähernd chronologische Sammlung von Urkunden mit Personen-, doch ohne Realregister. Die mühsame Rekonstruktion der Rechtsverhältnisse an einer Liegenschaft blieb Aufgabe der Parteien; zu ihren Lasten gingen Fehler und Lücken in den Registern, die u.a. dadurch entstanden, daß die Verfachung von Rechtsübergängen oder Löschungsurkunden unterblieb. Gerichtliche „Hypothekenzertifikate“ über die bestehenden Belastungen hatten bloß informativen Charakter, weder Vollständigkeit noch Richtigkeit waren garantiert. In Anbetracht dieser Unterschiede galten in Tirol auch all jene Bestimmungen der Gerichtsordnung und des ABGB nicht, „welche die Existenz der Grundbuchs- und Landtafelverfassung voraussetzen“; stattdessen waren ältere Bestimmungen in Kraft geblieben.
Dagegen bestanden die Vorteile des Grundbuchs in dessen Übersichtlichkeit und Verlässlichkeit infolge des Realfoliensystems, also der Zusammenfassung aller für eine Liegenschaft relevanten Informationen in einer Einlage, sowie im ihm zukommenden öffentlichen Glauben. Hier setzte allerdings auch die (Tiroler) Kritik am Grundbuchssystem mit dem Vorwurf ein, das Grundbuch stelle die Form über den Inhalt, weil der Bucheintrag und nicht die Urkunde gelte. Weiters befürchteten die Grundbuchsgegner Schwierigkeiten bei der Buchführung infolge der starken Eigentumszersplitterung, die hohen Kosten der Grundbuchsanlegung sowie soziale Umwälzungen. So erschien das Grundbuch als Gefahr für den Kredit der Bauern, weil es deren Verschuldung sichtbar machte. Dem „Capitalismus (…) ganz auf den Leib geschnitten“ , würde es längerfristig den Realverkehr und die Verschuldung des Bauernstandes fördern sowie durch „Güterschlächterei“ der Seßhaftigkeit der Bauern schaden. Das Verfachbuch könnte hingegen den „Güterschacher“ verhindern und Tirol „vor der Hörigkeit des fremden Capitals“ bewahren.

3. Kompetenzverteilung im Grundbuchswesen

Nach der Verfassung 1867 gehörte u.a. „die Civilrechtsgesetzgebung mit Ausschluß der Gesetzgebung über die innere Einrichtung der öffentlichen Bücher (…)“ zum „Wirkungskreise des Reichsrathes“, alle dem Reichsrat nicht zugewiesenen „übrigen Gegenstände“ fielen „in den Wirkungskreis der Landtage“. Eine freiwillige Übertragung von Landtagsaufgaben an den Reichsrat blieb allerdings möglich.
Der „Ausschluß der Gesetzgebung über die innere Einrichtung der öffentlichen Bücher“ aus der Zivilrechtsgesetzgebung ging auf einen „Kompromiß“ im Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses (AH) zurück , gegen den sich im Plenum Widerspruch zeigte: So beschwor der Abg. Hanisch die „Nothwendigkeit einer einheitlichen Justizgesetzgebung“ und entwickelte eine interessante Auffassung über das Verhältnis des Reichsrates zur „Specialgesetzgebung“: Eine solche bliebe weiterhin möglich, „Specialgesetze“ könnten auch „von demjenigen Factor erlassen werden, welchem die Justizgesetzgebung im Ganzen zugewiesen ist. Nicht jedes vom Reichsrathe votirte Gesetz muß für das ganze Reich, es kann auch für ein einzelnes Land oder für mehrere Länder gelten; die ausschließliche Zuständigkeit der Reichsvertretung schließt also nicht aus, daß besondere Verhältnisse, wo sie lebendig wirken, berücksichtigt und in einem Specialgesetze niedergelegt werden“.
Auch die Mehrheit der juridisch-politischen Kommission des Herrenhauses (HH) empfahl die Ablehnung dieses Paragraphen wegen der „hohen Wichtigkeit der Grundbücher“: „Die Grundbuchsordnung und die Einrichtung der Grundbücher stehen in so innigem Zusammenhange mit der (…) einheitlichen Justizgesetzgebung, daß eine Trennung der bezüglichen Legislation und deren Theilung zwischen Reichsrath und Landtagen (…) nicht wohl thunlich erscheint.“
Obwohl diese Sicht im HH-Plenum keine ungeteilte Zustimmung fand und Justizminister Hye beruhigend darauf verwies, die wirtschaftlichen Zwänge würden ohnehin im eigenen Interesse der Länder eine Einheitlichkeit nahelegen , beschloß das HH schließlich eine vom AH abweichende Textierung, wobei der die Reichsratskompetenz einschränkende Halbsatz („insoferne sie nicht die Einrichtung der Grundbücher (…) betrifft“) entfiel.
Bei der Umformulierung im neuerlich befaßten AH entstand die schließlich endgültige Textierung. Mit „Selbstüberwindung“ zur Vermeidung eines „Conflictes“ schloß sich ihr auch das HH an , in dessen zweiter Debatte man Widersprüchliches gehört hatte: Einerseits wurde vor einer Überschätzung der „Einheit der Civilgesetzgebung“ gewarnt – gleiches Recht sei „nicht selten gerade in der Ungleichheit oder Verschiedenheit gelegen, in der maßvollen Berücksichtigung der eigenthümlichen Verhältnisse“ – andererseits rechnete man eine „gemeinsame Civil- und Strafgesetzgebung (…) zu den größten Wohlthaten, zu den größten Stärkungsmitteln der staatlichen Einheit, zu den größten Förderungsmitteln der materiellen Wohlfahrt“ .

Die Kompetenzbestimmungen, deren Entstehung eben kurz skizziert wurde, bedeuteten eine Zäsur für die (weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichenden und hier nicht näher darzustellenden) Arbeiten an einem allgemeinen Grundbuchsgesetz (in der Folge: GBG), machten sie doch eine Umarbeitung im Sinne einer Trennung der zivilrechtlichen Bestimmungen von den Normen der inneren Einrichtung der Grundbücher erforderlich. Damit entstand ein komplexes System: Die zivilrechtlichen Teile enthielt das Allgemeine GBG (RGBl 1871/95), das mit 15. 2. 1872 in Kraft trat. Dieses Reichsgesetz regelte das Grundbuch im Allgemeinen, die Arten bücherlicher Eintragungen sowie das Verfahren. Daneben ergingen Grundbuchsanlegungs-Landesgesetze (GBA-LG) „über die Anlegung neuer Grundbücher und deren innere Einrichtung“. Zentrale Bedeutung hatte hier jeweils § 1, der die Anlegung neuer Grundbücher anordnete.
Dabei sind zwei Gruppen von Ländern zu unterscheiden: Erstens solche, in denen diese GBA-LG, wie von § 11 StGG/RV beabsichtigt, von den Landtagen erlassen und im Landesgesetzblatt kundgemacht wurden – dies geschah zwischen 1873 und 1881 in Böhmen, Bukowina, Dalmatien, Galizien-Lodomerien, Krakau, Görz-Gradiska, Krain und Steiermark, sodann erst 1897 in Tirol und 1900 in Vorarlberg –, zweitens jene, bei denen man die Rechtszersplitterung dadurch überbrückte, daß die Landtage die Regelung der GBA gemäß § 12/2 StGG/RV der Reichsgesetzgebung überließen; diese wurden daher im Reichsgesetzblatt kundgemacht (Salzburg, Istrien, Kärnten, Mähren, Österreich ob der Enns, Österreich unter der Enns, Schlesien).

4. Die Grundbuchsanlegung im Tiroler Landtag

Noch 1892 war der Vorschlag einer Einführung des Grundbuchs im Tiroler Landtag knapp der Idee einer Modernisierung des Verfachbuches unterlegen. Im Frühjahr 1893 erklärte jedoch der Referent des dazu eingesetzten Ausschusses sein Scheitern und sprach sich für das Grundbuch aus. Bei einer ebenfalls 1893 durchgeführten Enquete, bei der an 16 Orten fast 300 mit Lokal- und Landesverhältnissen vertraute Männer angehört wurden, zeigte sich der Wunsch nach einem „erleichterten Grundbuch“.
Nach weiteren Vorbereitungen – die Befürworter des Grundbuchs wurden bereits ungeduldig – legte der Statthalter am 2. Jänner 1896 dem Landtag endlich den Regierungsentwurf eines „Gesetzes betreffend die Anlegung von Grundbüchern und die innere Einrichtung derselben“ vor. Er begründete die verflossene Zeit mit der Gründlichkeit der Vorarbeiten, bei denen die Regierung zur Überzeugung gelangt sei, „daß im Lande Tirol eine Reihe von besonderen thatsächlichen Verhältnissen“ bestünde, „welche in dieser Weise in anderen Ländern nicht bestehen, und die daher einer besonderen Berücksichtigung in der Grundbuchsgesetzgebung in Tirol bedürfen“. Der „Kreis der Competenz der Landesvertretung“ würde jedoch nicht ausreichen, um den „Wünschen der Bevölkerung“ zu entsprechen. „Die Regierung entschloß sich daher, auch den Weg der Reichsgesetzgebung zu betreten, um jene Abänderungen und Modificationen der allgemeinen Grundbuchsordnung zu erzielen, welche für die Einführung dieser Institution in Tirol wünschenswert und nothwendig erscheinen“. Daraus resultierte eine „zweifache gesetzgeberische Action“.
Einerseits war eine „landesgesetzliche Vorlage“ erstellt worden, die weitgehend den bekannten GBA-LG entsprach, aber doch auch einige Abweichungen aufwies. So wurde etwa mit der Möglichkeit „geschlossener Höfe“ Rücksicht auf die Untrennbarkeit von Bauerngütern genommen, auch die Eintragung des öffentlichen Gutes ins Grundbuch vorgesehen. Da mit dem Inkrafttreten eines GBA-LG „das ganze allgemeine österreichische Grundbuchsrecht und eine Reihe materieller Rechtsbestimmungen des Civilrechtes“ in Tirol neu eingeführt worden wären, wurde diese Vorlage von einer weiteren begleitet: Der Entwurf eines „Gesetzes, womit für den Fall der Einführung der Grundbücher in Tirol einige grundbuchsrechtliche Sonderbestimmungen (…) eingeführt werden“, war zwar für die Behandlung im Reichsrathe bestimmt“, dennoch erwartete der Statthalter für diese Beilage seitens der Landtagsabgeordneten „Aufmerksamkeit in noch höherem Maße“ als für die Landtagsvorlage selbst. Dieser zweite Entwurf würde zeigen, daß die „Regierung aufrichtig bemüht war, den Besonderheiten des Landes Rechnung zu tragen“, enthielt er doch „gesetzliche Sonderbestimmungen, welche in den anderen Grundbuchsländern nicht vorkommen“ , Änderungen „jener reichsgesetzlichen Bestimmungen (…), die man in Tirol als eine übermäßige Belästigung des bücherlichen Verkehrs bezeichnet und gewisse finanzielle Begünstigungen (…), die dem Lande den Uebergang zur neuen Einrichtung erleichtern.“

Der am 3. Jänner 1896 gewählte Grundbuchsausschuß hatte sich demnach mit zwei Vorlagen zu beschäftigen, deren Verhältnis der Referent Karl von Grabmayr ausführlich beleuchtete. Nach „geltendem Verfassungsrechte [war] eine directe Einflußnahme der tirolischen Landesvertretung auf den reichsgesetzlichen Entwurf ausgeschlossen“. Dennoch „brachte (…) die Regierung den gedachten Entwurf als Beilage des Landesgesetzentwurfes zur Kenntnis des Landtags und erklärte sich (…) bereit, allfällige Wünsche [nach] Änderungen des Reichsgesetzes im Reichsrathe zu vertreten.“ Dies stützte man auf § 19 der Tiroler Landesordnung , wonach der Tiroler Landtag über Reichsgesetze, deren Wirkung sich auf Tirol erstrecken sollte, Gutachten abgeben konnte.

Das „Verhältnis zwischen Reichs- und Landesgesetz, zwei Gesetzen, die einerseits in unlösbarem innerem Zusammenhange stehen, andererseits der unabhängigen Beschlußfassung verschiedener parlamentarischer Körperschaften unterliegen“, fand daher im Ausschuß „eingehende Erörterung“. Dabei ging man davon aus, daß der Landtag das GBA-LG nur unter der Voraussetzung beschließen würde, daß „von der Reichsvertretung die im Entwurfe des Reichsgesetzes enthaltenen Erleichterungen und Begünstigungen gewährt werden“. Letzteres galt es abzusichern: „Sollte die Reichsvertretung wider Erwarten nicht darauf eingehen, so soll auch der Tiroler Landtag an seinen zu Gunsten der Grundbuchseinrichtung gefaßten Beschluß nicht gebunden sein.“ Den Ansatzpunkt einer Bedachtnahme auf den Reichsrat sah man in der Bestimmung eines Zeitpunkts für das Inkrafttreten: „Diesem eigenthümlichen Verhältnisse zwischen den beiden Vorlagen glaubte der Ausschuß am besten durch eine Amendierung des § 39 L-G Rechnung zu tragen, der nunmehr lautet: ‚Der Beginn der Wirksamkeit dieses Gesetzes wird durch ein besonderes Landesgesetz bestimmt.’“ Würde der Reichsrat „den durch die Regierung vertretenen Wünschen des Landes“ entsprechen, dann könnte „der Landtag in der nächsten Session das von der Reichs- und Landesvertretung geschaffene legislative Gesammtwerk lediglich durch den Beschluß, das Landesgesetz sofort in Wirksamkeit treten zu lassen, (…) ratificieren“. Sollte die Reichsvertretung jedoch „wider Erwarten den Landeswünschen in wesentlichen Punkten die Genehmigung versagen, dann steht es im freien Ermessen des Tiroler Landtags, das Landesgesetz nicht in Wirksamkeit zu setzen, und damit auf die Einführung der Grundbücher zu verzichten.“

Ungeachtet dieses Mißtrauens gegenüber dem Reich lobte Grabmayr die „wohlwollende, thatkräftige Mithilfe“ der Regierung, ohne die ein „Reformwerk von solchen Schwierigkeiten“ unmöglich wäre. Eigens hob er hervor, daß Tirol „der Zustimmung der Reichsvertretung zu den Erleichterungen des Grundbuchsrechtes [bedürfe], die den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen des Landes entsprechen“. Es war daher von grundlegender Bedeutung, daß sich die Regierung „zur nachdrücklichen Vertretung dieser Wünsche vor den parlamentarischen Körperschaften des Reiches bereit“ erklärte. Dabei sei, wie der Statthalter betonte, „kein Grund zur Annahme vorhanden (…), daß nicht in allen wesentlichen Punkten den Wünschen des Landtages seitens der Reichsgesetzgebung werde Rechnung getragen werden.“ Auch auf die Landtagsberatungen selbst nahm die Regierung wesentlich Einfluß, indem sie den auf Modernisierung des Verfachbuches gerichteten Minoritätsantrag des Ausschusses für „unannehmbar“ erklärte; die gewünschte Zusammenfassung aller Bestimmungen für ein modernisiertes Verfachbuch in einem Landesgesetz war „durch die Bestimmungen des Verfassungsrechtes ausgeschlossen“, Zivilrecht fiel nicht „in die Competenz der Landesgesetzgebung“.
Hier wird besonders deutlich, daß die zentrale Rolle der Regierung in diesem Gesetzgebungsverfahren vom kompetenzrechtlichen Rahmen mitbestimmt war: Im Gegensatz zu den parlamentarischen Körpern der Gesetzgebung blieb sie nämlich nicht bloß auf eine staatliche Ebene beschränkt!
Der Landtag beschloß schließlich neben dem Text des GBA-LG, dessen Sanktion durch den Kaiser einzuholen war , auch das Ersuchen an die Regierung, „das verfassungsmäßige Zustandekommen eines mit [einer] Beilage übereinstimmenden Reichsgesetzes zu erwirken.“

5. Die Tiroler Grundbuchsanlegung im Reichsrat

Auf Reichsebene hatte die Regierung – der erwarteten Annahme der Vorlage im Landtag vorauseilend – ihren Gesetzentwurf im HH eingebracht, wobei sie der „gutachtliche[n] Stellungnahme des Landtages (…) in weitem Maße nachgekommen“ war. In den Erläuterungen stellte sie fest, daß „wesentliche, unüberwindliche Hindernisse“ für eine Rezeption des Grundbuchs nicht bestünden, daß es jedoch „unvermeidlich“ scheine, „Eigenthümlichkeiten und herrschenden Anschauungen Rechnung zu tragen und somit einzelne gesetzliche Sonderbestimmungen, welche in den anderen Grundbuchsländern nicht vorkommen, zu erlassen“. Auch die Juridische Kommission des HH betonte das Bemühen, den Tiroler „Wünschen thunlichst zu entsprechen“ , um „das Grundbuchsinstitut in Tirol gedeihlich zu gestalten“. So wurden nur geringfügige Veränderungen gegenüber den Landtagswünschen beschlossen, im HH-Plenum ging kein Redner auf die besondere Gesetzgebungstechnik ein.

Dem AH empfahl sein Justizausschuß die unveränderte Annahme der Vorlage, so wie sie vom HH beschlossen worden war, und zwar „in der Erwägung, daß die Einführung von Grundbüchern in Tirol nicht nur im Interesse dieses Kronlandes zur Herstellung eines geordneten und verläßlichen Buchwesens wärmstens zu fördern ist, sondern auch einen bedeutsamen Schritt zur Rechtseinheit (…) auf dem Gebiete des Immobiliarrechtes bedeutet“. Die beantragten Sonderbestimmungen wären nicht nur „durch den Übergang vom bisherigen Rechtszustande zu dem neuen Rechte nothwendig und gerechtfertigt“, sondern auch „geeignet (…), das in Tirol noch vollkommen fremdartige Grundbuchsinstitut den besonderen Landesverhältnissen und Bedürfnissen anzupassen und hierdurch zur gedeihlichen Entwicklung zu bringen“.

Im AH-Plenum wurde die Rücksichtnahme auf regionale Verhältnisse zwar aus nationalen Gründen kritisiert , doch erfuhren die Parlamentarier hier auch, daß Änderungen an der Vorlage kontraproduktiv wären. So erklärte der böhmische Abgeordnete Dr. Nitsche, 35 Jahre zuvor Rechtspraktikant in Tirol, er wüßte zwar manche Anträge zu stellen, wolle davon jedoch absehen, nachdem ihm „von verschiedenen Freunden aus Tirol, selbst von Notaren bekannt gegeben wurde, daß, wenn irgend eine Änderung mit dieser Vorlage vorgenommen würde, es fraglich wäre, ob der tirolische Landtag dann seine Zustimmung geben würde“. Man müsse sich bewußt sein: „Wenn man hier etwas macht, und es paßt ihnen im Lande nicht, so nehmen sie es nicht an. Es gibt, wie ich höre, eine Menge von Stimmen und Persönlichkeiten in Tirol, die nur darauf warten, daß sie nachträglich die Einführung des ganzen Grundbuches unmöglich machen können.“ In diesem Sinne begrüßte auch Justizminister Gleispach das Unterbleiben von Abänderungsanträgen, „um nicht zu bewirken, daß etwa durch Annahme derselben das Tiroler Landtagsgesetz eventuell in Brüche ginge und dadurch die Neuanlegung der Grundbücher in Tirol vereitelt werde.“ – Unter diesen Rahmenbedingungen verwundert die reibungslose Annahme des Tiroler GBA-RG nicht.

6. „Schlußact“ im Landtag

Im Februar 1897 erfolgte der „legislative Schlußact“, bei dem es nur mehr darum ging „das Tüpferl auf das I zu setzen“ . Eine eigene Vorlage zum Wirksamkeitsbeginn des legislativen Gesamtwerks sah vor, das Tiroler GBA-LG solle mit dem Tag der Kundmachung desselben sowie des Gesetzes über grundbuchsrechtliche Sonderbestimmungen in Kraft treten. Dadurch wäre „der untrennbare Zusammenhang zwischen Landesgesetz und Reichsgesetz zum denkbar klarsten Ausdruck gebracht und die Möglichkeit absolut ausgeschlossen, daß ein Gesetz ohne das andere Gesetzeskraft erlangen könne“.

Zuvor hatte der Tiroler Landtag noch eine „vergleichende Prüfung“ von „Gesetz und Gutachten“ anzustellen und zu untersuchen, „ob das von der Reichsvertretung beschlossene (…) Reichsgesetz den vom vorjährigen Landtage in Form eines Gutachtens formulierten Wünschen in vollem Umfang entspreche“. Während der Ausschußmehrheit die Abweichungen „durchwegs geringfügig“ erschienen, qualifizierten die Grundbuchsgegner sie als „bedeutend und wesentlich“. Noch einmal eine Chance witternd, schlugen sie eine Vertagung der Frage vor, „bis der im vorigen Jahre von uns begutachtete Gesetzentwurf an den Reichsrath wieder zurückgeleitet wird, um nach unseren Anträgen modificiert zu werden“. Grabmayr warnte hingegen, die Angelegenheit nochmals in den Reichsrat zu bringen, weil das Ergebnis eines solchen Vorstoßes „unberechenbar“ sei. Es hätte „schon diesmal Mühe genug gekostet. In dem Trubel, der in Wien herrscht, wo hunderterlei verschiedene Interessen durcheinander laufen und sich kreuzen“, sei es „nicht so einfach, ein solches Gesetz durchzubringen“. Man sollte keine Eifersucht provozieren im Sinne der Überlegung „Wozu sollen die Tiroler eine Extrawurst haben?“
So nahm der Landtag das Gesetz schließlich an. Zum Termin des Inkrafttretens hieß es nun: „Die Wirksamkeit dieses Gesetzes beginnt mit dem Tage der Kundmachung dieses und des Gesetzes vom (…) RGBl Nr (…), womit für den Fall der Einführung der Grundbücher in Tirol einige grundbuchsrechtliche Sonderbestimmungen (…) eingeführt werden.“ Die Regierung hielt ihr Versprechen, für eine gleichzeitige Kundmachung der beiden Gesetze zu sorgen: Diese erfolgte am 24. März 1897.

7. Inhaltliche Besonderheiten des Tiroler Grundbuchsrechts

Die reichsgesetzlichen Sonderbestimmungen waren teils dem Gebiet des Zivilrechts (Reichskompetenz gemäß § 11 Abs.2 lit k StGG/RV) zuzuordnen, teils waren sie finanzieller Natur (Reichskompetenz gemäß § 11 Abs.2 lit c StGG/RV). Die finanziellen Sonderregeln ermöglichten den Tirolern bedeutende Kostenersparnisse etwa durch Porto- und Gebührenbegünstigungen oder die gerichtliche Urkundenaufnahme . Hierher gehörte mit der Einführung sogenannter Legalisatoren zur Beglaubigung von Privaturkunden aber auch eine besonders umstrittene Maßnahme: Von diesen neuen Legalisierungsorganen befürchtete man, sie würden sich nicht auf die Beglaubigung fremder, ihnen von den Parteien vorgelegter Urkunden beschränken, sondern selbst winkelschreiberisch als Urkundenverfasser tätig werden.
Im Bereich des Zivilrechts brachte das Tiroler GBA-RG „zum Teil (…) bleibende Abweichungen vom Reichsrecht“. Dazu gehörten nicht nur recht unauffällige Details wie die „grundbuchsrechtliche Neuerung“ von Sonderbestimmungen über die Beseitigung gesetzwidriger Eintragungen oder die Ausdehnung des Verbots neuer materieller Gebäudeteilungen durch räumliche Erstreckung von RGBl 1879/50 auf „Deutschtirol“. Auch – vermeintlich – grundlegende Elemente des österreichischen Zivilrechts waren betroffen: Entgegen der Definition von Pflanzen als Zugehör des Grundstücks (§ 295 ABGB) sowie in Abkehr von dem durch die Pandektistik betonten Grundsatz „superficies solo cedit“ wurden Bäume als abgesonderte Vermögensobjekte zugelassen. Eine Maßnahme, die primär der Aufwandsersparnis bei der Grundbuchsanlegung dienen sollte, zog ebenfalls grundsätzliche Konsequenzen nach sich: Da nämlich für einen einzigen Weg in der Natur uU tausend Eintragungen notwendig waren , wurden durch Ersitzung begründete Wege- und Wasserleitungsrechte, soweit Felddienstbarkeiten, von der Eintragung ausgenommen. Auf diese Rechte konnte somit der grundbücherliche Vertrauensgrundsatz – das materielle Publizitätsprinzip – keine Anwendung finden; § 1500 ABGB gilt in Tirol daher nur eingeschränkt .

8. Ergebnis

Betrachtet man die Grundbuchsanlegung in Tirol aus dem Gesichtspunkt von Rechtsvielfalt und Rechtvereinheitlichung, so läßt sich feststellen: Die Rechtsvereinheitlichung – des Grundbuchs an sich – ist durch Sonderbestimmungen, also durch eine Rechtsvielfalt erkauft. Rechtsvereinheitlichung und Rechtvielfalt sind demnach kein Gegensatz, sondern gehen Hand in Hand. Hergebrachte Klischees erscheinen dabei aufgeweicht: Das GBA-LG ist „wirksam für die gefürstete Grafschaft Tirol“, also einheitlich für das gesamte Land; das GBA-RG schafft hingegen Differenzierungen, sogar solche innerhalb Tirols: Das Verbot künftiger materieller Gebäudeteilungen wurde (zunächst) nur für „Deutschtirol“ erlassen und erst 1910 auf das ganze Land erstreckt. Noch länger, nämlich bis 1942, lieferte das Tiroler GBA-RG eine von drei verschiedenen Rechtsgrundlagen für die Beseitigung gesetzwidriger materieller Gebäudeteilungen. Sogar bis heute gilt schließlich § 1500 ABGB in Tirol nur eingeschränkt.
Damit ist das – durch das Bundesrechtsbereinigungsgesetz BGBl 1999/191 in seinem Bestand bestätigte – Tiroler GBA-RG bis heute Denkmal einer Rechtsvielfalt innerhalb der Habsburgermonarchie.