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Waldaufteilung
in Mieders

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Waldaufteilung in Mieders

In der Katastralgemeinde Mieders lassen sich jedenfalls zwei historische Waldaufteilungen nachweisen: Einmal im Jahr 1757 und einmal im Jahr 1804. Im Jahr 1757 wurde über wiederholte Bitte der Miederer „auf Gulla“ der Bannwald „nach dem Steuerfuß“ aufgeteilt. Vollzugsbehörden waren das „Salzamt Hall“ als „Waldoberbehörde“ sowie der Richter zu Mieders, Josef Pixner. Die Urkunde stammt vom 18. Juni 1757. Diese ist unterfertigt vom „Miederer Gemeindeausschuss“ und besiegelt vom Landrichter Josef von Stolz. Sie wird im Tiroler Landesarchiv verwahrt und sie ist auf Mikrofilm erschlossen. Der Urkundentext spricht von einem „Feuerstätenprotokoll“. Danach wurden im Jahr 1757 „auf Gulla“ verschiedene Waldparzellen ausgemessen, 65 an der Zahl. Und diese wurden nach dem gezogenen Los auf 65 Miederer Hofbesitzer aufgeteilt, die sämtlich in der Urkunde mit Namen angeführt sind. Die Miederer sprechen heute noch von den „eigenen Teilen“; die Riedbezeichnung der Waldparzellen lautet auch heute noch „Gulla“; gelegentlich wird auch die Bezeichnung „Lehnerwald“ verwendet.

ZWEI WALDTEILUNGEN IN MIEDERS

Eine zweite Waldaufteilung wurde in Mieders im Jahr 1804 vollzogen. Gegenstand der Waldaufteilung war die sogenannte „Gschnalls Waldstrecke“. Die Teilung gründete auf der „Hohen Gubernial Bewilligung dato 03. März 1804, Forst Nr 3821“; Vollzugsorgan war der eigens nach Mieders zugereiste „salzoberämtliche Herr Kommissär und Oberwaldmeister, k.k. Salzoberamtsrat zu Hall, Peter Paul Strele, der auch den k.k. Distrikts-Waldmeister, Johann Seybold von Matrei, und den k.k. Waldhüter Blasius Diechtl beigezogen hat. Die „Gschnalls Waldstrecke“ wurde in 66 Waldparzellen aufgeteilt. Wiederum wurde der Steuerschlüssel zugrunde gelegt. Die Miederer Haus- und Hofbesitzer wurden entsprechend ihrer „Steuergibigkeit“ in fünf Klassen eingeteilt und jede Klasse bekam entsprechend dem Steuerschlüssel einen „größeren, mittleren oder kleineren Einfangswald“. Innerhalb der Klassen wurden die gebildeten Parzellen nach dem Los zugewiesen. Die Urkunde wird im Miederer Gemeindearchiv verwahrt und trägt die laufende Nummer acht.

Eine der ursprünglich 65 bzw. später 66 Hofstellen in Mieders, die an diesen Waldaufteilungen  beanteilt wurde, ist der Weberhof. Im Jahr 1757 bei der Waldteilung „auf Gulla“ wurde dem Weberhof, damals im Besitz des Antoni Brugger, die Waldparzelle mit der laufenden Nummer 16 im Ausmaß von 300 Klafter zuerkannt. Im Jahr 1804, als die Waldstrecke „im Gschnalls“ unter den Haus- und Hofbesitzern von Mieders aufgeteilt wurde, war der Weberhof im Eigentum eines gewissen Anton Auer. Dem Anton Auer vulgo Weber wurde „im Gschnalls“ der Waldteil 15 zugewiesen. Das Teilungsprotokoll beschreibt die Größe dieser Waldparzelle mit 4 Klafter und 2 ½ Schuh.

1856: FRANZISZEISCHER KATASTER IN MIEDERS

Bei der Erstellung des Franziszeischen Grundstückskatasters war im ganzen Land festzustellen, wessen Eigentum die diversen Grundparzellen in den jeweiligen Katastralgemeinden waren. Das Grundsteuerpatent 1817 umreißt in 26 Paragraphen die zentralen Punkte dieses gigantischen Vorhabens. Der § 9 dieses Gesetzes ordnete an, dass insbesondere auch die „Person des Eigentümers“ einer jeden Grundparzelle zu erfassen ist. Die Ausführungsverordnung zum Gesetz, die Katastral-Vermessungs-Instruktion (KVI), regelt in ihrem V. Teil, §§ 383 bis 414, ganz exakt, wie bei der Feststellung des jeweiligen Eigentümers der Grundparzellen vorzugehen war. Die lückenlose Erfassung aller Eigentümer war eines der zentralen Ziele des ganzen Projektes. Die steuerpflichtigen Grundeigentümer sollten  vollständig und richtig erfasst werden.

Bei Erstellung des Franziszeischen Katasters wurde die Waldparzelle des Miederer Weberhofes „im Gschnalls“ unter der laufenden Parzellennummer 1134 erfasst; die Waldparzelle des Weberhofes „auf Gulla“ wurde mit der laufenden Parzellennummer 1204 erfasst. Sowohl das Grundparzellenprotokoll, als auch das Eigentümerverzeichnis weisen einen gewissen Andre Auer, vulgo Weber, als Eigentümer aus. Sowohl die Waldparzelle 1204 „auf Gulla“, als auch die Waldparzelle 1134 „im Gschnalls“, wurden somit im Jahr 1856, als der Franziszeische Grundkataster erstellt wurde, ganz offiziell als Teil des Eigentumsbestandes des Weberhofes anerkannt. Als Eigentümer wurde seitens der Behörde festgestellt: Andre Auer, vulgo Weber.

Bedenkt man die Rechtsfolgen der Ersitzung war es jedenfalls richtig, den Franziszeischen Grundstückskataster als Grundlage für die Eigentümerfeststellung bei der Grundbuchanlegung heran zu ziehen. War der Rechtsvorgänger bereits im Grundstückskataster als Eigentümer erfasst und stand der Rechtsnachfolger mehr als vierzig Jahre später immer noch in ungestörtem Besitz, so konnte nur dieser Besitzer der wahre Eigentümer sein. Wegen Ablaufes der langen Ersitzungszeit hatte jeder andere (ursprüngliche) Eigentümer gegen den „redlichen Besitzer“ alle Rechte verloren. Der Vergleich des ursprünglichen Katasterstands mit dem Grundbuchstand ist deshalb eine Methode, anhand derer Fehler bei der Grundbuchanlegung aufgedeckt werden können. Die Katastralgemeinde Mieders, wo der Streit um das „agrargemeinschaftliche Gemeindeeigentum“ seinen Ausgang nahm, liefert eindrucksvolle Beispiele dafür, wonach bei der Grundbuchanlegung lediglich ein „Scheineigentum“ kraft unrichtiger Grundbuchseintragungen erfasst wurde. Waldparzellen, an denen die Haus- und Hofbesitzer von Mieders seit den Waldteilungen „auf Gulla“ (anno 1757) und „im Gschnalls“ (anno 1804) ungestörten Besitz hatten und die 1856 im Franziszeischen Grundstückskataster als ihr Eigentum ausgewiesen wurden, waren spätestens 40 Jahre nach Erstellung des Franziszeischen Grundstückskataster, sohin im Jahr 1896, rechtlich unanfechtbares Privateigentum der Miederer Haus- und Hofbesitzer. Dies allein aufgrund des Rechtsinstituts der Ersitzung, wonach derjenige, der sich redlicher Weise für den Eigentümer  halten durfte, spätestens auch gegen eine Kirche, das Land Tirol oder eine Gemeinde ein unanfechtbares Eigentum erworben hat. Im Jahr 1913, als das Miederer Grundbuch angelegt wurde, wurden jedoch ohne nachvollziehbare Begründung alle Waldparzellen „auf Gulla“ und alle Waldparzellen „im Gschnalls“ der Gemeinde Mieders zugeschrieben.

FRANZISZEISCHER KATASTER UND GRUNDBUCH

1913: Im Zuge der Grundbuchanlegung wurde unter laufende Postnummer 26 für den geschlossenen Hof „Weber“ ein Grundbuchanlegungsprotokoll eröffnet. Die Grundparzelle 1204, Riedbezeichnung „Gullen“, wurde dem Gutsbestand der Liegenschaft „Weber“, EZ 19 I, zugeschrieben. Nachträglich wurde die Grundparzelle 1204 jedoch vom Grundbuchanlegungsprotokoll Postnummer 26,  geschlossener Hof Weber, mit roter Tinte abgestrichen und dem Grundbuchanlegungsprotokoll Postnummer 79 „Gemeinde Mieders“ zugeschrieben. Irgendeine Begründung für diese nachträgliche Abstreichung der Waldparzelle mit roter Tinte findet sich im Grundbuchanlegungsprotokoll nicht. Nur auf der letzten Seite des Grundbuchanlegungsprotokolls findet sich der Vermerk, dass ein Holzbezugsrecht auf Waldparzelle 1204 in laufender Postnummer 79, bestehe. Das Privateigentum des Weberhofbesitzers an der Waldparzelle 1204 wurde somit im Miederer Grundbuch als eine „Gemeindegutsnutzung“ dargestellt. Eine Begründung für diesen „offenkundig verfassungswidrigen Vorgang“ lässt sich weder dem Grundbuchanlegungsprotokollen (GAP) Nummer 26 (geschlossener Hof Weber), noch dem GAP Nummer 79 (Gemeinde Mieders) entnehmen.

Die Waldparzelle 1134 „im Gschnalls“ betreffend, findet sich im GAP Nr 26 „Weberhof“ überhaupt kein Hinweis auf ein Eigentum des Weberhofbesitzers. Sucht man die 66 Waldparzellen der Miederer Haus- und Hofbesitzer „im Gschnalls“, so muss man das GAP Nr 79 „Gemeinde Mieders“ heranziehen. Dort wurden alle 66 Waldparzellen „im Gschnalls“ der Gemeinde Mieders als Eigentum zugeordnet. Irgend ein Hinweis darauf, wie die Gemeinde Mieders ein wahres Eigentum oder auch nur einen besitz erworben hätte, findet man nicht. Auch das Privateigentum der Miederer Haus- und Hofbesitzer an den Waldparzellen „im Gschnalls“ wurde somit offenkundig verfassungswidrig in eine „Gemeindegutsnutzung“ verwandelt.

EIGENTUM AN WALDPARZELLEN

Wessen Eigentum war die Waldparzelle 1134 „im Gschnalls“ sowie die Waldparzelle 1204 „auf Gulla“ im Jahr 1913, als das Grundbuch in Mieders angelegt wurde? Auszugehen ist davon, dass die Teilungsakte in den Jahren 1757 und 1804 von offiziellen Stellen des Staates vollzogen wurden. In beiden Fällen war der jeweilige Richter von Mieders beteiligt; hinzu kamen übergeordnete Staatsorgane. Aus heutiger Sicht ist die Annahme unbedenklich, dass jeder Haus-und Hofbesitzer in Mieders im Jahr 1757 bzw. im Jahr 1804 die betreffende Waldparzelle in dem guten Glauben in Besitz nehmen durfte, dass diese Waldparzelle in Hinkunft alleine seine Waldparzelle sein werde. Blickt man auf die Rechtslage, wie diese im Jahr 1815 mit Inkrafttreten des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs in Tirol geschaffen wurde, so muss man die Hausbesitzer von Mieders jedenfalls als „Ersitzungsbesitzer“ anerkennen. Ersitzungsbesitzer deshalb, weil historisch der Tiroler Landesfürst ein Obereigentum über die Tiroler Wälder in Anspruch genommen hat. Mit dem Wegfall des landesfürstlichen Obereigentums und Auflösung der feudalen Eigentumsstruktur im Verlauf des 19. Jahrhunderts („Tiroler Forstregulierung 1847“; Grundlastenablösung) wurden diese Ersitzungsbesitzer Eigentümer. Völlig zu Recht wurden deshalb sowohl die Waldparzellen „auf Gulla“, als auch die „Gschnallsparzellen“ im Jahr 1856 gemäß Grundparzellenprotokoll als Eigentum der Haus- und Hofbesitzer registriert. Legt man die für die Anlegung des Franziszeischen Katasters geltende Instruktion zugrunde, so waren die Miederer im Jahr 1856 jedenfalls „in Besitz und Nutzung“ dieser Waldteile; zusätzlich waren sie als verfügungsberechtigt anerkannt. Bedenkt man, dass zwischen dem Jahr 1856 und der Grundbuchsanlegung in Mieders im Jahr 1913 noch einmal mehr als 50 (!) Jahre verstrichen sind, kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass im Jahr 1913 nur die Miederer Hof- und Gutsbesitzer Eigentümer sein konnten.

Vor diesem Hintergrund relativiert sich der Standpunkt des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2008. Richtiger Weise wären die 66 (65) Hof- und Gutsbesitzer von Mieders als Eigentümer dieser Waldparzellen festzustellen gewesen, weil die Waldparzellen ihr geteiltes Einzeleigentum waren. Zweifellos war es jedoch deren gutes Recht, das Eigentum an den Waldparzellen zusammen zu legen und in einer Agrargemeinschaft gemeinschaftlich zu verwalten. Verfassungswidrig sind die Rechtsvorgänge seit dem Jahr 2008, mit denen der Ortsgemeinde ein Substanzrecht an diesen Waldparzellen zuerkannt wurde.

MP

 

 

Die Lanser
Waldinteressentschaft

 

Die Meldung klingt wie ein aktueller Tageszeitungsartikel. „Reklamationsverfahren der Grundbuch­anlegung in der Katastralgemeinde Lans. Neben Lechner und Reitmayr sind die Vertreter der Gemeinde anwesend. Die Bauern wollen sämtliche Holzbezugsberechtigte zu einer Verhandlung vorladen. Die Holzbezugsrechte seien keine Gemeindenutzungen, sondern seit jeher Privatrechte und als solche müssten diese auch behandelt werden.“ Am 26. November 1899 legte der Grundbuchanlegungskommissär die Angelegenheit der Landeskommission zur Entscheidung und Erledigung vor. Er selbst hatte ursprünglich auf „Gemeindegutsnutzung“ erkannt und zugunsten der alten Höfe in Lans keinerlei Rechte am Gemeindegut einverleibt. Dagegen richtete sich die Reklamation von Lechner und Reitmayr, denen sich die übrigen Stammliegenschaftsbesitzer von Lans angeschlossen hatten.

DIE LANDESKOMMISSION ENTSCHEIDET 

Die Entscheidung fiel höheren Orts: Am 22. März 1901 wurden mit Rang vom 1. April 1900 die geforderten Servitutsrechte am Gemeindewald im Grundbuch einverleibt. Es heißt dort: Aufgrund von Ersitzung wird die Dienstbarkeit des Holz- und Streubezuges, nach Deckung des Holzbedarfs der Gemeinde Lans, zu öffentlichen Zwecken, auf diesen Grundparzellen zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Stammsitzliegenschaften in EZ 1. I bis 34. I, jeweils KG Lans, einverleibt.

Der Umfang der einzelnen Servitutsrechte wurde in Form von Anteilsrechten definiert, in Bruchteilen, nämlich konkret in 248stel-Anteilen. Die einzelnen Anteile variieren zwischen 4/248 Anteilen (ein halber Teil), 8/248 Anteilen (ein ganzer Teil), 16/248 Anteilen (zwei ganze Teile) sowie 22/248 Anteilen (zwei ganze und dreiviertel Teile). In Summe wurde der gesamte Holz- und Streunutzen der Liegenschaften des Gemeindeguts von Lans in quotenmäßig bestimmten Servitutsrechten den alten Stammsitzen von Lans zugeordnet. Damit war die Aufteilung der Holzerträge des Gemeindeguts von Lans klar geregelt: Der Gemeinde stand die Abdeckung des laufenden Holzbedarfs für öffentliche Zwecke zu, das heißt für das Gemeindehaus, die Schule, das Widum usw., und der verbleibende Ertrag war den Stammsitzliegenschaften der Katastralgemeinde Lans zugeordnet. Dies nach festen Quoten auf der Grundlage von privaten Servitutsrechten, die grundbücherlich sichergestellt waren.

Jahrzehntelang hat dieser Rechtsbestand unangefochten gegolten. Im Zuge des Regulierungsverfahrens der Agrargemeinschaft Lans in den 1950er Jahren wurden die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken des Lanser Gemeindeguts geprüft. Als Eigentumstitel der „Gemeinde“ ist bei der Grundbuchanlegung die „Forst-Eigentums-Purifikations-Urkunde“ herangezogen worden. Dieser Eigentumstitel stammt aus der Zeit der Tiroler Forstregulierung, die auf der allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847 beruht. Mit diesem Gesetz wurden die Waldeigentumsverhältnisse in Tirol grundlegend neu geordnet.

Die Agrarbehörde am Amt der Tiroler Landesregierung hat zu solchen Eigentumstiteln in ihrem Zehnjahresbericht vom 28. Juli 1959 an die Tiroler Landesregierung Folgendes zum Ausdruck gebracht: Die in Österreich einzigartige, kritische bzw. komplizierte Situation der Nutzungsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer am Gemeindegut gründe in der falschen Auslegung der Tiroler Forstregulierung aus dem Jahr 1847. Das kaiserliche Gesetz wollte den jeweiligen Grundeigentümern und den von diesen gebildeten Gemeinschaften die Waldungen zu Eigentum zuweisen. Trotz eines klaren historischen Gesetzeswillens seien im Zuge der Grundbuchanlegung die historischen Wirtschaftsgemeinden, die Gemeinschaften der historischen Stammsitze, mit den erst zu einem späteren Zeitpunkt entstandenen heutigen politischen Gemeinden gleichgesetzt worden. Deshalb sei fälschlich den heutigen politischen Ortsgemeinden bei der Grundbuchsanlegung das Eigentum einverleibt worden.

Aufgrund dieser Rechtsauffassung hat die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren über das Gemeindegut von Lans entschieden, dass Eigentümerin der betreffenden Liegenschaft nicht die Ortsgemeinde sei, sondern die neu konstituierte, körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft Lans, die Gemeinschaft aller historischen Stammsitze dieser Katastralgemeinde. In demselben Verfahren entschied die Agrarbehörde über die im Grundbuch einverleibten Holz- und Streubezugsservituten. Diese seien bei der Ermittlung der Anteilsrechte berücksichtigt worden, weshalb diese zufolge „Konfusion von herrschendem und dienendem Gut zu löschen“ seien. Kein Agrargemeinschaftsmitglied hat sich gegen die Löschung der Servitutsrechte ausgesprochen. Schließlich war die von allen gebildete Gemeinschaft, die Agrargemeinschaft, nun als Eigentümerin anerkannt.

ETWAS IST VERLOREN GEGANGEN

Heute geht die herrschende Auffassung zu den Rechtsverhältnissen am Gemeindegut von Lans davon aus, dass die Gemeinde seit jeher wahre Eigentümerin gewesen sei. Die historische Entscheidung der Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse sei als verfassungswidrige Enteignung zu verstehen. Deshalb soll der Ortsgemeinde der Substanzwert zustehen, der auch alle Holzerträge umfasst, die verbleiben, wenn der konkrete Naturalbedarf der Stammsitzliegenschaften gedeckt ist. Auch die erzielten Ertragssteigerungen in der Forstwirtschaft – die Agrargemeinschaft hat den jährlich nachhaltig erzielbaren Holznutzen fast verdoppelt – stehen nach dieser Auffassung der Ortsgemeinde zu. Vom Standpunkt der Stammliegenschaftsbesitzer besteht im Blick auf diese Entwicklung freilich der Eindruck, dass ihnen im Verlauf der Geschichte an irgendeiner Stelle Wesentliches abhanden gekommen sein muss!

Das Tiroler Verfachbuch und die Gemeindearchive dokumentieren die historischen Aktivitäten der Nachbarschaften, die heute als agrarische Gemeinschaften nach Flurverfassungsrecht konstituiert sind. Aus der älteren Zeit überwiegen Dokumente, die im Zuge der behördlichen Streitentscheidung unter den Nachbarschaften entstanden sind.

SPURENSUCHE EINER NACHBARSCHAFT

1177: Kaiser Friedrich I. Barbarossa bestätigte dem Kloster Biburg (Bayern) diverse Besitzungen unter anderem auch in Schöfens, in Navis und in Lans. Diese Urkunde ist der älteste schriftliche Beleg für die Existenz der Nachbarschaft Lans. Die Namenskundler gehen sogar von vorrömischen Wurzeln des Siedlungsgebietes aus. Das Altkeltische kannte einen Begriff „landa“, den man mit „freies Land“ oder „Heide“ übersetzen kann.

1449: Die „ehrsamen Nachbarschaften“ zu Lans und Sistrans einigen sich vor Ulrich Saurwein, Landrichter zu Sonnenburg im Inntal, betreffend „Bluembesuch und Behülzung“ (Weide und Holznutzung). Die gegenseitig gemachten Schäden sollten sich aufheben.

1486: Konrad Mürringer, Verweser des Landgerichts Sonnenburg im Inntal, regelte eine Auseinandersetzung zwischen der Nachbarschaft Igls und den Nachbarn zu Lans wegen der Nutzung und Erhaltung des Ramsbaches sowie „Wun“, „Waid“ und was dazu gehört im Grenzgebiet.

1536: An der Grenze zwischen dem Igler und dem Lanser Besitz wurden 21 Grenzsteine gesetzt und darüber eine Urkunde errichtet. Als Schiedsrichter fungierten der Richter in Stubai, Ruelanden Dieperskircher zu Hohenburg, und der Landrichter zu Sonnenburg im Inntal, Hannsen Magen.

1557: Die ehrsame „gemaine“ Nachbarschaft Lans und jene von Igls waren sich uneinig darüber, wo sich der in einer Urkunde von 1393 genannte „Schrippels“ befinde, der als Grenze zwischen ihren Weidegebieten vereinbart war. Nach der gütlichen Einigung werden die Gerichtskosten Halbe-Halbe aufgeteilt. Das Holz sollen die Igler und die Lanser im strittigen Gebiet gemeinsam nutzen. Entschieden hat den Streit der Landrichter zu Sonnenburg, Jakob Saurwein. Am öftesten sind die Lanser Nachbarn gegen die Igler und die Sistranser zu Gericht gezogen; im Juli 1637 haben die Lanser dann gemeinsam mit den Iglern auch einmal die Nachbarschaft Patsch verklagt. Regelmäßig trat eine gesamte Nachbarschaft als Prozesspartei gegen eine andere Nachbarschaft auf; einzelne Besitzer als Kläger oder Beklagte sind die Ausnahme in den historischen Streitigkeiten über Grenzen, Weide- und Holznutzungsrechte.

1956: EINE AGRARGEMEINSCHAFT ENTSTEHT

Das Gemeinschaftsgebiet der Lanser Nachbarn wurde im Zuge der Grundbuchanlegung im Jahr 1899 als Gemeindeeigentum erfasst. 1901 wurden im Zuge des „Reklamationsverfahrens“ zu Gunsten der Nachbarschaftsmitglieder Holznutzungsservituten im Grundbuch eingetragen. Danach war zuerst der Holzbedarf der Gemeinde Lans zu öffentlichen Zwecken abzudecken; der gesamte weitere Ertrag war nach Quoten den Mitgliedern der Nachbarschaft zugeordnet. Im Jahr 1956 entschied die Agrarbehörde, dass das Gemeinschaftsgebiet der Lanser Eigentum einer körperschaftlich einzurichtenden Agrargemeinschaft sei. Der Ortsgemeinde wurde ein Anteilsrecht von zehn Prozent zuerkannt. Alle Anteilsrechte wurden von der Agrarbehörde im Eigentümerblatt des Grundbuchs ausgewiesen.

Seit Gründung der Agrargemeinschaft wurden von den Mitgliedern 541.767 Forstpflanzen gesetzt und insgesamt 37.040 unbezahlte Arbeitsstunden im Gemeinschaftsgebiet geleistet. 20 km Forstwege wurden errichtet. Durch nachhaltige Forstwirtschaft wurde der Ertrag des Wirtschaftswaldes von 1.177 fm Nutzholz im Jahr 1955 auf 2.700 fm Nutzholz laut Stand 2012 gesteigert. Die Ertragssteigerung resultiert nicht nur aus gezielter Aufforstung und nachhaltiger Pflanzenpflege, sondern auch aus massiven Einschränkungen bei der Waldweide und Aufforstung diverser Weideparzellen. Agrargemeinschaft Lans hat 12 km vertraglich geregelte Wanderwege, Laufrouten und Gesundheitslehrpfade eröffnet;  eine Vielzahl an Ruhebänken wurden aufgestellt. Das gesamte Forstwegenetz steht allen Wanderern und sonstigen Erholungssuchenden zur Verfügung. Im „Ull-Wald“ wurde eine Kneipp-Anlage errichtet. 34 Miteigentümer hatte die Agrarbehörde im Jahr 1956 festgestellt; hinzu kam die Ortsgemeinde mit einem Zehntelanteil. Die Lanser haben keinen Waldbesitz im Alleineigentum, weil es in der Vergangenheit nie zu einer Aufteilung des Gemeinschaftswaldes gekommen ist. Gemeinschaftlich bewirtschaftet werden in Lans insgesamt 436 ha Grundfläche, davon Wirtschaftswald 268,3 ha, Schutzwald außer Ertrag 55,5 ha, Schutzwald im Ertrag 69,1 ha, Wegfläche 7,5 ha und Almfläche 35,6 ha. Auf das Anteilsrecht der Ortsgemeinde entfallen anteilig 43,6 ha Wald- und anteilige Almfläche, auf jeden einzelnen Nachbarn durchschnittlich 11,5 ha.

Behördenmühlen
mahlen langsam

Schon im Jänner 1911 hatten die Mutterer sich an die Agrarbehörde gewandt, weil die Mutterer Alm als Agrargemeinschaft reguliert werden sollte. Das Verfahren wurde 1924 abgeschlossen. Im Oktober 1930 wurde die Regulierung des Gemeinschaftswaldes eingeleitet. Nach 20-jähriger Verfah­rensdauer setzte das Bezirksgericht Innsbruck im Jahr 1950 den letzten Akt. Alle Instanzen – vom Gemeinderat bis zum Oberlandesgericht, vom Bezirksgericht bis zur Landesregierung – hatten auf Eigentum der Agrargemeinschaft entschieden. Die Ortsgemeinde war nirgends mitbeteiligt, insbesondere nicht an den Walderträgnissen. Heute soll alles anders sein?

Der Name der Nachbarschaft Mutters ist urkundlich erstmals nachgewiesen in einer Besitzbeschreibung des Benediktinerklosters Ebersberg, Diözese Freising in Bayern. Die Entstehung dieser Urkunde wird auf den Anfang des 12. Jahrhunderts datiert. In Mutters besaß das Kloster zwei zehntpflichtige Höfe. Die Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass der Name Mutters vorrömischen Ursprungs ist und sich von „mutra“ (= Bergkuppe) herleitet.

ABT VON WILTEN ALS SCHIEDSRICHTER

Im Pfarrarchiv von Mutters wird eine große Anzahl von Urkunden verwahrt, die ein Bild davon geben, was die Gemüter der Nachbarn bewegte: Weide und Holznutzung. Eine der ältesten Urkunden enthält den durch Egloff von Wiesenbach am 4. Mai 1398 gesiegelten Vergleich der Nachbarn zu Natters, Mutters und Nock mit den Götznern auf der Gegenseite; verhandelt wurde wegen der „Weide und Holzung“ auf „gemeinländern zwischen wazzern“. Die prominenteste Besetzung findet sich bei einem Schiedsgericht, das am 19. Mai 1434 den Streit der Nachbarn von Mutters und Natters wegen des Grünseit-Waldes entschieden hat: Den Vorsitz führte Abt Johannes von Wilten höchstpersönlich. Als Beisitzer fungierten Bürger von Ampass, Innsbruck, Götzens, Axams und aus dem Stubaital. Gesiegelt wurde der Schiedsspruch von Ulrich Saurwein, damals Landrichter zu Sonnenburg.

Über die Jahrhunderte wurden in diversen Rechtsakten die Ausdehnung und die Grenzen der jeweiligen Nachbarschaftsgebiete verfestigt. Mit dem Ende des feudalen Obereigentums der kirchlichen und weltlichen Herren Mitte des 19. Jh. wurde aus dem Nutzungseigentum ein Volleigentum, entweder als Alleineigentum oder als gemeinschaftliches Eigentum der ganzen Nachbarschaft. In Mutters sind gleich zwei Eigentumsgemeinschaften entstanden: Die eine wurde bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1898 als „Nachbarschaft Raitis“ erfasst, die andere als „Gemeinde Mutters ohne Raitis“. Zum Hintergrund muss man wissen, dass in Tirol ein Gesetz zur Teilung und Regulierung von Agrargemeinschaften erst im Jahr 1909 in Kraft getreten ist. Im Jahr 1898, als diese Grundbucheintragungen entstanden sind, hat diese Organisationsform rechtlich in Tirol gar nicht existiert. Wie die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre festgestellt hat, sind die Grundbuchanlegungsbeamten deshalb bei solchen Liegenschaften sehr uneinheitlich vorgegangen. Einmal wurde die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen.

DAS NACHBARSCHAFTSEIGENTUM

Die Mutterer wussten allerdings genau, welche Bewandtnis es um das Gemeinschaftsgut hatte. Als der Eigentümer des „Klampererhofes“ im Sommer 1909 um Anerkennung eines Holzrechtes ersuchte, entschied der Gemeinderat, dass nur die Besitzer der „alten Feuerstätten“ am Gemeinschaftsbesitz beteiligt seien. Der „Klampererhof“ zähle nicht dazu. Über die Verwaltung des Gemeinschaftsbesitzes gibt ein Dokument der Agrarbezirksbehörde vom 11. Oktober 1921 Auskunft: Seit jeher hatten in der Gemeinde Mutters zwei ganz getrennte Kassen und zwei getrennte Verrechnungssysteme bestanden: „Kasse I“ für die Vermögensgebarung und Verrechnung der politischen Gemeinde Mutters und „Kasse II“ für die Vermögensgebarung und Verrechnung der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“, worunter die Gesamtheit der alten Stammsitze von Mutters verstanden wurde, 52 an der Zahl.

Die Errichtung der Agrargemeinschaft Mutters verlief in drei Phasen: Schon am 4. Juni 1910 hatten der Gemeinde-Vorsteher Johann Grubinger und drei weitere Gemeinderäte in Innsbruck beim k. k. Lokal-Kommissär für agrarische Operationen Dr. Pirker Erkundigungen wegen einer Regulierung für die Mutterer Alpe eingezogen; am 27. Jänner 1911 wurde die agrarische Operation förmlich beantragt. Vorausgegangen war dem ein Beschluss des Gemeinde-Ausschusses (= heute Gemeinderat), den die Tiroler Landesregierung zu bestätigen hatte. Die förmliche Verfahrenseröffnung oblag der k. k. Landeskommission für agrarische Operationen, die mit Erkenntnis vom 3. April 1911 in „Starbesetzung“ auf Verfahrenseinleitung entschieden hatte: Den Vorsitz führte Seine Exzellenz Markus Freiherr von Spiegelfeld, Beisitzer waren die drei k. k. Oberlandesgerichtsräte Eudard Lorenzoni, Anton Müller und Dr. Karl Schandl, als Landesausschussbeisitzer fungierte Dr. Paul Freiherr von Sternbach und als Referent k. k. Hofrat Adolf Freiherr von Rungg.

Als erste Maßnahme hatte der k. k. Lokal-Kommissär die Grenzen und die näheren Verhältnisse der Mutterer Alpe zu erheben; dies ist am 3. Juni 1913 geschehen. Eine Grenzstreitigkeit mit der Nachbarschaft Raitis wurde in einer gesonderten Verhandlung am 16. Juli 1913 beigelegt. Mit Bescheid vom 25. Juni 1914 wurden die zur Agrargemeinschaft Mutterer Alpe gehörenden Grundstücke förmlich festgestellt. Festgestellt wurden darüber hinaus jene 52 alten Hofliegenschaften, deren Gutsbestand ein Anteilrecht an dieser Alpe mitumfasste. Bei den Erträgen der Gemeinschaftsalpe erwähnt der Bescheid ausdrücklich den Pachtschilling, der für die Ausübung des Gast- und Schankgewerbes in der Sennhütte bezahlt wird. Offensichtlich war die Mutterer Alpe schon vor einhundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel!

REGIERUNG UND OBERLANDESGERICHT
INNSBRUCK PRÜFEN

Kriegsbedingt kam das Regulierungsverfahren dann zu einem Stillstand. Im Juni 1919 verfolgte das k. k. Lokal-Kommissariat vorübergehend die Idee, das „Operationsgebiet“ zu erweitern: Sämtliche Mutterer Gemeinschaftsliegenschaften sollten in das Regulierungsverfahren einbezogen werden. Weil das Eigentum grundbücherlich der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“ zugeschrieben war, verfasste der Lokal-Kommissär unter dem 27. Juni 1919 einen Vorhabensbericht an den zuständigen Landesrat. In diesem nahm er auch zu den Eigentumsverhältnissen an der Mutterer Alpe Stellung: „Die grundbücherliche Eintragung entspricht, wie im Zuge des Regulierungsverfahrens ermittelt, nicht den tatsächlichen Rechtsverhältnissen. Die Mutterer Alpe ist nicht als Gemeindegut im Sinn der Gemeindeordnung, sondern als Eigentum der Mutterer Alpinteressentschaft anzusehen, welche sich aus den jeweiligen Eigentümern der im Anteilsregister genannten Höfe zusammensetzt. Es ist daher beabsichtigt, die grundbücherliche Eintragung richtig stellen und das Eigentumsrecht am Gemeinschaftsgut für die Agrargemeinschaft Mutterer Alp- und Waldinteressentschaft eintragen zu lassen.“ Auch der Mutterer Gemeinderat wollte das gesamte agrargemeinschaftliche Vermögen in dieser ersten Phase der Regulierung einbeziehen; in der Sitzung vom 11. Mai 1919 wurde in diesem Sinn beschlossen. Gescheitert ist dies an formellen Voraussetzungen. Das Regulierungsverfahren wurde deshalb hinsichtlich der Mutterer Alpe mit „Generalakt“ der Agrarbezirksbehörde vom 5. Februar 1925, berichtigt am 19. Jänner 1926, abgeschlossen. Der Generalakt bestätigt förmlich das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft an der Alpe. Zuvor hatten die Tiroler Landesregierung mit Beschluss vom 24. April 1924 und der Gemeinderat mit Beschluss vom 13. Jänner 1924 das Eigentum der Agrargemeinschaft anerkannt und in die Berichtigung des Grundbuches ausdrücklich eingewilligt. Die Agrarbehörde hat dann die Richtigstellung des Grundbuches durch das Bezirksgericht Innsbruck beantragt, wobei nach damaliger Rechtslage auch noch das Oberlandesgericht Innsbruck als Prüfinstanz einschreiten musste. Dieses hat mit Beschluss vom 16. März 1926 den gesamten Vorgang genehmigt, sodass die Agrargemeinschaft als wahre Eigentümerin der Mutterer Alpe im Grundbuch eingetragen wurde.

DAS „ZWEI-KASSEN-SYSTEM“

Wie im Gemeinderatsbeschluss vom 11. Mai 1919 nachzulesen, existierte erhebliches weiteres Vermögen, das den 52 Mutterer Hofbesitzern zugeordnet und über die „Kasse II“ der Ortsgemeinde verwaltet wurde: 1.) der Urschelerhof, Haus Nr. 63, KG Mutters, 2.) die Waldung vom Sillbach bis zum Kahlgestein, 3.) die Brettersäge im Mühlgraben, 4.) zwei Schottergruben, 5.) das Stiermahd und 6.) diverse im Ortsried gelegene Parzellen. Das Protokoll der Agrarbezirksbehörde Innsbruck vom 11. Oktober 1921, gibt zu den näheren Verhältnissen dieser Liegenschaften folgende Auskunft: „1. Urscheler Hof: Dieser wurde von der Gemeinde Mutters ohne Raitis im Jahr 1909 gekauft und das erforderliche Geld hierzu bei der Raiffeisenkasse aufgeliehen. Das Haus samt Garten wurde vermietet und die Grundstücke wurden parzelliert und immer für ein Jahr deren Ernte verpachtet; zur Pachtung waren nur die Besitzer der 52 Höfe zugelassen. Die Pachtgelder wurden zur Verzinsung und Amortisierung des Ankaufskapitals verwendet und nach Rückzahlung desselben im Jahr 1917 in Kasse II verrechnet.“ Behandelt werden im genannten Protokoll ex 1921 weiters die Verhältnisse an der Waldung von der Sill bis zum Kahlgestein, die von jeher in der Benützung der 52 Höfe stand, deren Besitzer das Holz auch verkaufen durften; an der Brettersäge im Mühlgraben, die in den 1880er Jahren von den 52 Besitzern gebaut und deren Überschüsse in die „Kasse II“ verrechnet wurden, sowie an den Schottergruben, dem Stiermahd, den Pfrimesmähdern sowie den Grundstücken im Ortsried. Diese Liegenschaften wurden sämtlich als Eigentum der 52 Stammsitzeigentümer angesehen.

Nachdem schon die Regulierung der Almliegenschaft gut 15 Jahre in Anspruch genommen hatte, wollten der Gemeinderat und die Stammliegenschaftsbesitzer das weitere Agrarverfahren beschleunigen: Am 20. November 1925 beschloss der Gemeinderat von Mutters, die der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“ grundbücherlich zugeschriebenen Liegenschaften den rechtmäßigen Besitzern in das Eigentum zu übergeben. Dieser Beschluss des Gemeinderates von Mutters wurde unter Ausschluss der dem Gemeinderat angehörenden sechs Mitglieder der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe sowie unter Beiziehung von unparteiischen Ersatzmännern einstimmig gefasst. Am 13. Mai 1926 beschloss der Gemeinderat von Mutters, dass der Wunsch der Gemeinde bestehe, die Liegenschaften, die im Grundbuch als Eigentum der „Fraktion Mutters“ aufscheinen, einer Regulierung zu unterziehen und der Mutterer Interessentschaft zu übertragen. Wenn einzelne der Gemeinschaftsgüter nicht in das Agrarverfahren einbezogen werden könnten, so werde der Gemeinderat versuchen, für eine direkte Übertragung die Genehmigung der Aufsichtsbehörde zu erwirken. Am 4. Mai 1929 beschloss der Gemeinderat eine größere Anzahl dieser Liegenschaften aus dem Grundbuch der Gemeinde auszuscheiden und in die Agrargemeinschaft der Mutterer Alpe einzuverleiben; am 16. Juli 1930 wurde dieser Beschluss in detaillierterer Ausführung wiederholt.

52 ALTE „FEUERSTÄTTEN“

Unter dem 2. Juli 1930 errichtete die Ortsgemeinde Mutters gemeinsam mit der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe eine Aufsandungsurkunde, nach deren Inhalt die politische Gemeinde Mutters das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe an diversen Liegenschaften anerkannte.

Zum Rechtsgrund dieser Eigentumsanerkennung führt der errichtete Vertrag Folgendes aus: „Da diese Liegenschaften nie im Besitze und Genuss der Gemeinde Mutters standen, sondern vielmehr von den in der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe zusammengefassten Haus-, Hof- und Viehbesitzern von Mutters ausschließlich allein benützt und verwaltet wurden, überlässt und übergibt die Gemeinde Mutters, um das Eigentumsrecht mit dem faktischen Besitz in Einklang zu bringen, diese Liegenschaften der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe und letztere übernimmt dieselben in ihr volles und wahres Eigentum.“ Unter dem 2. Juni 1931 wurde ein Nachtrag verfasst.

Alle diese Rechtsakte sind vom Standpunkt der Aufsicht über das Gemeindevermögen durch die Tiroler Landesregierung genehmigt worden. In einem Amtsvermerk vom 4. September 1930 wurde dazu Folgendes festgehalten: „Gegen die formelle Abtretung der nie im Eigentum der Gemeinde gestandenen Realitäten bestehen keinerlei Bedenken.“ Am 20. Juli 1931 wurde die Berichtigung der Eigentumsverhältnisse im Grundbuch durchgeführt, nachdem die Aufsandungsvereinbarung noch vom Landesagrarsenat genehmigt worden war und die Agrarbezirksbehörde am 9. Juli 1931 dies bestätigt hatte.

Für die Regulierung des Gemeinschaftswaldes „von der Sill bis zum Kahlgebirge“ hatte die Agrarbehörde ein eigenes Verfahren durchgeführt, welches mit Erkenntnis des Landesagrarsenates vom 24. Oktober 1930 eingeleitet wurde. Der Senat unter dem Vorsitz von Landesrat Andreas Gebhart gelangte in Anwesenheit der weiteren Mitglieder Vz.Präs. des Oberlandesgerichts Dr. Blaas, des Richters des Oberlandesgerichts HR Dr. Zingerle, des Leiters der Rechtsabteilung für Bodenreform HR Dr. An der Lan, des Regierungsforstdirektors HR Ing. Johann Christian und des Landeskulturrats-Vz.Präs. Josef Steiger, zu der Erkenntnis, dass dieser Wald eine Gemeinschaftsliegenschaft ist, über welche ausschließlich die Agrarbehörde zu entscheiden hat. Nach weiterer, rund 15-jähriger Verfahrensdauer wurde mit Regulierungsplan vom 10. Oktober 1945 die Entscheidung gefällt, dass auch der Wald „zwischen der Sill und dem Kahlgebirge“ im wahren Eigentum der Agrargemeinschaft steht. Unter einem wurde die Agrargemeinschaft umbenannt: Seit diesem Tag lautet ihr Name „Agrargemeinschaft Mutters“. Den letzten Rechtsakt setzte das Bezirksgericht Innsbruck: Im April 1950 wurden auch bei den Waldliegenschaften die Eigentumsverhältnisse richtig gestellt. Nach rund 40-jähriger (!) Verfahrensdauer insgesamt und Involvierung jeder denkbaren Behörde vom Mutterer Gemeinderat bis zum Oberlandesgericht Innsbruck waren die Rechtsverhältnisse am Mutterer Gemeinschaftsbesitz geordnet.

Der Gemeinschaftsbesitz der 52 Mutterer Stammsitze umfasst knapp 425 ha Grundfläche, davon sind ca. 220 ha Wirtschaftswald, 83 ha Schutzwald im Ertrag, 50 ha Schutzwald außer Ertrag und 70 ha Almfläche. Die Agrargemeinschaft hat 36 km Wald- und Wirtschaftswege errichtet, die laufend instand gehalten werden. Im Durchschnitt entfällt somit auf jede der alten 52 Hofstätten ein Gemeinschaftsgebiet von rund 8,2 ha, wovon rund die Hälfte Schutzwald- oder Almflächen sind. Die Bauern von Mutters haben keinen nennenswerten Wald in ihrem Alleineigentum.

Die Glaserbäuerin in Tulfes will’s wissen

Wie das Gemeindegut in Tulfes entstanden ist

Bereits 1951 hatte die Glaserbäuerin Maria Feichtner beim Obersten Agrarsenat in Wien die Entscheidung erwirkt, dass der Nachbarschaftswald in Tulfes kein Gemeindegut sei. Der Oberste Agrarsenat hatte erkannt, dass die Ortsgemeinde zu Unrecht im Grundbuch eingetragen war. 1849 haben die Tulfer Nachbarn eine Servitutenablösung vereinbart: Der eine Teil des Hochwaldes wurde Nachbarschaftseigentum, der andere Teil nutzungsfreier Staatswald. So sind der Bundesforstwald und der Agrargemeinschaftswald in Tulfes entstanden. Heute soll auch der Agrargemeinschaftswald wieder Staatseigentum sein, über das die Ortsgemeinde verfügt.

Der Name der Nachbarschaft Tulfes ist erstmals nachgewiesen in einer Urkunde der Benediktiner-Abtei St. Georgenberg aus dem Jahr 1266. Die Vogtei über die Nachbarschaft wurde der Abtei

übertragen. Die älteste Urkunde der Nachbarschaft selbst verwahrt das Tiroler Landesarchiv. Am 29. Mai 1550 wurde ein Vergleich über den Tulfer Wald errichtet. Parteien waren die „Ehrsame Nachtperschafft zu Tulfs Vorperg“ und das „firstliche Pfannhaus Ambt zu Hall im Ynntal“, der staatliche Salinebetrieb. Anlass waren Beschwerden der „Pfannhaus Ambtsherren“, weil die „gemain Nachtperschafft zu Tulfs“ sich unterstehen würde, „je länger je mehr hinauf in den Ambtswald zu greifen und dort das Holz niederzuschlagen“. Die Urkunde dokumentiert die Grenzfestlegung und deren Vermarkung: Unterhalb der vermarkten Grenze ist „Nachtperschaft zu Tulfs Vorperg und gemainer Wald“; oberhalb derselben „Amtswald“ im Eigentum des Landesfürsten. Gleichzeitig wurden die Rechte der „Nachtpern zu Tulfs und ihrer Nachkommen“ auf Holzbezug aus dem Amtswald reguliert: Den Nachbarn sollte „Kachlofen, Schintl und Pfreten Holz, auch Saag und Zimerholz zu irer gebirenden Haußnottdurft“ nach altem Herkommen durch den „Ambtswaldmaister vergunnt und bewilligt“ werden. Schließlich wurde von der Saline zugestanden, dass ausschließlich die Tulfer Nachbarn das Holz im Tulfer Amtswald für den Salinebetrieb „hacken, verkohlen und liefern“ dürfen; dies gegen „gebirliche Besoldung“.

WALDTEILUNG IN TULFES

Im Jahr 1638 wurde der „gemaine Wald“ um das Dorf aufgeteilt. So sind ca. 500 Waldteile in der Größe von jeweils weniger als 1,1 ha entstanden. Im Jahr 1848 wurden diese Waldparzellen als Privateigentum anerkannt. Die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Hall dokumentiert, dass diese Waldung laut Steuerkataster „frei luteigen“ sei. Die Grundbuchanlegung fasste im Jahr 1904 alle Waldteile in einer Einlagezahl zusammen und schrieb das Eigentumsrecht einer Nachbarschaft zu. Mit „Teilwälder-Übertragungsurkunde“ vom Februar 1935 wurden diese Waldparzellen den jeweiligen Besitzern der Waldteile in das Eigentum übertragen. Die Urkunde erklärt, dass diese Nachbarschaft in Wahrheit eine „Agrargemeinschaft (Realgemeinde)“ sei, die nun aufgeteilt würde. Das Eigentum der einzelnen Tulfer Nachbarn an diesen Waldteilen ist auch heute unbestritten.

Mit Gesetz vom 6. Februar 1847, dem Tiroler Forstregulierungspatent, hat Kaiser Ferdinand I. die Ablösung der Holznutzungsrechte in den Tiroler Staatswäldern angeordnet. Den Stamm­liegenschaftsbesitzern sollte zur Ablösung ihrer Rechte ein Gemeinschaftseigentum an einem Teil des belasteten Staatswaldes angeboten werden. Die Tulfer haben das kaiserliche Angebot angenommen: Mit Servitutenablösungsvergleich vom 14. März 1849 wurden ihre Rechte im Tulfer Amtswald abgelöst. Moritz von Kempelen, k. k. Berg- und Salinen-Direktions-Sekretär berichtete am 6. Juni 1849 Folgendes an das Ministerium für Landeskultur und Bergwesen in Wien: Gemäß einer Urkunde vom Jahre 1550 ist den Tulfern das Recht zugesichert, aus dem Amtswald das „Bach-, Kachl-, Ofen-, Schintl-, Spalten-, Sag- und Zimmer-Holz zu ihren gebührenden Hausnotdürften“ zu beziehen. Diese Holzbezugsrechte seien im Steuerkataster eingetragen und würden als veräußerlich betrachtet. Es handle sich um 77 ½ Holzteile à zwei Klafter jährlich, wobei zusätzlich das nötige Bau-, Brunnröhren- und Stangenholz bezogen würde. Zur Ablöse dieser Rechte seien 591 Jauch produktiven Bodens aus dem Amtswald als Eigentum der Nachbarn vorgesehen. Zur Abdeckung der Salinebedürfnisse würden als nutzungsfreier Staatswald 370 Jauch produktiver Waldboden verbleiben. Die Tulfer würden dort auf alle Rechte verzichten. Der Landeskulturminister Ferdinand Ritter von Thinnfeld hat den Vergleich am 25. Jänner 1850 genehmigt.

FORSTSERVITUTENABLÖSUNG IN TULFES

Die Nachbarn von Tulfes hatten somit auf ihre Holzbezugsrechte auf Staatsgrund verzichtet; im Gegenzug hatten sie einen Teil des ursprünglich belasteten Grundes als Gemeinschaftseigentum erhalten. Von 961 Jauch staatlichen Waldbodens insgesamt entfielen 591 Jauch auf die Nachbarn von Tulfes, heute Gp 1857/1 Grundbuch Tulfes im Ausmaß von 255 ha; 370 Jauch hat die Servitutenablösungskommission für den Staat zurückbehalten, heute Gp 1858/1 im Ausmaß von 134 ha. Die Kommission hatte auf eine Teilung des seinerzeitigen Tulfer Amtswaldes in einen östlichen und einen westlichen Teil entschieden, wobei für den Staat der kleinere, westliche Teil Richtung KG Rinn vorbehalten wurde. Jenseits der Gemeindegrenze begegnet uns die Vorbehaltsfläche aus dem Servitutenablösungsvergleich mit den Rinner Nachbarn. Die heutigen Bundesforste als Verwalter der ehemals „aerarischen Wälder“ verfügen deshalb im Grenzbereich zwischen den Katastralgemeinden Tulfes und Rinn über ein geschlossenes Gebiet von heute insgesamt ca. 220 ha Waldfläche.

Im Oktober 1904 hatten die Grundbuchanlegungsbeamten die Rechtsverhältnisse zu beurteilen. Nach den Erhebungen sei der Hochwald in Gp 1857/1 in der Nutzung unter den Hofbesitzern der ganzen Gemeinde Tulfes so verteilt, dass das jährlich schlagbare Holz in 76 ½ Anteile (Lose) geteilt und verlost wird. Das Schnee- und Winddruckholz wird von der Gemeinde verkauft, der Erlös fließt nicht in die Gemeindekasse, sondern in eine abgesondert verwaltete Kasse, aus welcher die auf den Wald entfallenden Steuern, die Auslagen für Waldhüter, Weginstandhaltungen etc. bestritten werden. Im Steuerkataster vom Jahr 1787 findet sich bei den berechtigten Häusern bzw. Höfen folgende Bemerkung: „Derzeit wird ein ganzer (eventuell halber) Holzteil genossen. Das von den Berechtigten nicht zum Haus- und Gutsbedarf benötigte Holz kann ohne weiteres verkauft werden.“ Die Grundbuchsanlegung entschied: Die Gemeinde Tulfes sei Eigentümerin; die gesamte Holznutzung entfalle auf die Nachbarn als Servitutsberechtigte nach genau definierten Anteilen.

DIE GLASERBÄUERIN LEGTE BESCHWERDE EIN

In den 1940er Jahren entstanden Differenzen zwischen den Servitutsberechtigten und der Ortsgemeinde Tulfes. Die Ortsgemeinde hat Holzschlägerungen im „Gemeindewald“ vorgenommen, was Maria Feichtner vlg. Glaser und Genossen nicht dulden wollten. Über deren Beschwerde entschied die Agrarbehörde mit Bescheid vom 30. Dezember 1949, dass der Gemeinde Tulfes das Holzbezugsrecht auf Gp 1857/1 nur in dem Umfang zustehe, wie es ihr als Eigentümerin des Hauses Steinbriggen zukomme. Der gesamte Holznutzen sei in Form von Servitutsrechten auf 72 berechtigte Höfe aufgeteilt. Die Gemeinde sei Eigentümerin eines berechtigten Hofes. Dagegen erhob die Gemeinde Berufung an den Landesagrarsenat, der mit Erkenntnis vom 13. November 1950 entschied, dass ein Gemeindegut vorliege. Zur Regelung der Rechtsverhältnisse daran und um künftige Streitigkeiten ein für allemal auszuschließen, wurde das Regulierungsverfahren nach Flurverfassungsrecht eingeleitet und der Agrarbehörde aufgetragen, dieses durchzuführen.

Gegen das Erkenntnis des Landesagrarsenates erhoben die Glaserbäurin in Tulfes und Genossen Berufung an den Obersten Agrarsenat in Wien. Die Glaserbäurin wollte eine Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaft Gp 1857/1 als „Gemeindegut“ nicht akzeptieren. Mit Erkenntnis vom 2. Juni 1951 entschied der Oberste Agrarsenat wie folgt: Es sei weder von Servitutsrechten noch von Gemeindegut auszugehen. Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens stehe den jeweiligen Besitzern der Tulfer Höfe „weit mehr als ein bloßes Recht auf Holzbezug“ zu, nämlich „ein Anteilrecht an dem agrargemeinschaftlichen Gut“. Der Oberste Agrarsenat weiter: „Die irrige Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin des Gutes ist nur darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Grundbuchanlegung die alte Agrargemeinde mit der politischen Gemeinde irrtümlicherweise gleichgesetzt wurde.“

Auf dieser Grundlage wurde in der Folge das Regulierungsverfahren an der Liegenschaft Gp 1857/1 durchgeführt. Mit Bescheid vom 20. März 1954 entschied das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz, dass der Ortsgemeinde Tulfes ein Anteilsrecht von 10 % bzw. von 8 ½ Anteilsrechten zustehe; den 70 Nutzungsberechtigten wurden jeweils Anteilsrechte zwischen ½ und 2 ½ Anteilen zuerkannt. Mit Bescheid vom 23. Juni 1955 entschied das Amt der Tiroler Landesregierung über die Eigentumsverhältnisse an der Gp 1857/1: Das Eigentumsrecht stehe der Agrargemeinschaft Tulfes zu, die sich aus den Anteilsberechtigten zusammensetze. Die Dienstbarkeiten des Holzbezuges seien zu löschen, weil an deren Stelle das Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft trete. Die Nutzungen aus dem Eigentum und alle damit verbundenen Lasten seien nach den Anteilrechten zu tragen.

2013: GEMEINDEGUT WIRD GEFUNDEN

63 Jahre, nachdem der Oberste Agrarsenat ausgesprochen hatte, dass kein Gemeindegut vorliege, sondern Anteilsrechte an einem Gemeinschaftsgut, erkannte der Landesagrarsenat in Tirol mit Erkenntnis vom 19. Juni 2013, dass heute ein „atypisches Gemeindegut“ vorliege. Der Ortsgemeinde Tulfes sollen deshalb 100 % der Substanz und zusätzlich der Großteil der Holznutzung zustehen. Die übrigen Mitglieder der Agrargemeinschaft werden auf einen historischen Hof- und Gutsbedarf gekürzt. Eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos.

Die Feuerspritze im Mittelpunkt
des Kirchspiels

Wie der Lärchwald in Obsteig zum Gemeindegut der Mötzer wurde

Die heutige Ortsgemeinde Mötz ist aus zwei Gemeindeteilungen hervorgegangen: Einmal im Jahr 1833, als die Gemeinde Miemingerberg in die Gemeinden Obsteig, Untermieming und Wildermieming aufgeteilt wurde, sowie einmal im Jahr 1959, als die Gemeinde Mieming in diese und die neue Ortsgemeinde Mötz geteilt worden ist. Im Jahr 1833 wurde das zu teilende Gemeindevermögen genauestens erhoben. Rechte an Wald und Weide befanden sich nicht darunter. Das Vermögen der aufgeteilten Großgemeinde erschöpfte sich vielmehr in einem Armenfonds und  einer Feuerlöschspritze.

Im Gemeindearchiv von Mötz finden sich zahlreiche Urkunden, die belegen, wie sich der Besitz der Nachbarschaft im Verlauf der Jahrhunderte gebildet und abgegrenzt hat – etwa in der „freundtlichen Vergleichung“ vom 29. Jänner 1632 zwischen der „Ehrsamen Gemain des Metzerviertls“ und den „Nachperleithen im Viertel Obgestaig“ oder im „Giettingen Vergleich“, der am 23. Oktober 1673 zwischen der „Gemain Möz und Obstaig firgangen“ ist, mit dem sich die Mötzer das Weiderecht und den Holzgenuss im „Larchwald“, auch „Rieglwald“ genannt, sicherten. Im Frühjahr 1797 hatten die beiden Nachbarschaften mit einer Rinderseuche zu kämpfen und der möglichen Ansteckungsgefahr, wenn das Galtvieh aus den verschiedenen Dörfern gemeinsam am Simmering gealpt würde. Am 30. Mai 1797 trafen die zwei „Gemeinden“ die Übereinkunft, dass die Tiere der Mötzer für einen Sommer der Simmering Alpe fern bleiben sollten.

1833: TEILUNG AM MIEMINGERBERG

In politischer Hinsicht bildeten alle Nachbarschaften des Mie­minger Plateaus – einschließlich Mötz – über Jahrhunderte eine Einheit: Schon das landesfürstliche Steuer-Urbar aus dem Jahr 1406 nennt ein „ampt auf mieminger perg“, dem die Ortschaften „Metz, Miemingen, See, Wilraimingen, auf dem Gestayg pis an den Reßbach“ unterstellt waren. Anfang des 19. Jh. begegnet uns eine „Gemeinde am Miemingerberg“, die in 28 Ortschaften und Weiler gegliedert war. 1833 wurde die Großgemeinde entsprechend den drei Seelsorgestationen Untermieming, Wildermieming und Obsteig aufgeteilt. Jede der drei neuen Gemeinden sollte mit einem Vorsteher, zwei Ausschüssen (= heute Gemeinderäte) und den nötigen „Steuertreibern“ versehen werden. Der Bericht befasst sich detailliert mit den Kosten der bisherigen politischen Verwaltung, den künftigen Kosten, dem gemeinschaftlichen Ver­mögen sowie den gemeinsamen Schulden. Das Vermögen der Gemeinde Miemingerberg beschränkte sich auf einen Armenfonds und eine Feuerspritze. Der Armenfonds wurde geteilt. Die „Feuerlöschspritze“ sollte weiterhin „im Mittelpunkt des gesamten Kirchspiels aufgestellt“ und ein „Gemeingut der drei Comunen“ bleiben. Mit Dekret der Hofkanzlei in Wien vom 1. Februar 1833 wurde dieser Teilungsplan genehmigt und umgesetzt.

Von den Gemeinschaftsweiden und Gemeinschaftswäldern in der Gemeinde Miemingerberg ist weder im Bericht des Landgerichts Silz vom 6. Dezember 1831 etwas nachzulesen, noch im Bericht des Kreisamtes im Oberinntal 28. Dezember 1832 oder im Dekret der Hofkanzlei in Wien vom 1. Februar 1833. Wären Wald und Weide Vermögen von politischen Einrichtungen gewesen, hätte gerade im Blick auf den „Larch- bzw. Rieglwald“ der Mötzer aller Anlass für eine genaue Regelung bestanden: Im Jahr 1673 hatten sich die Mötzer das alleinige Recht dort gesichert. Mit Waldteilungsprotokoll vom 8. September 1818 war dieser Wald in 180 Parzellen unterteilt und zwischen den Mötzer Hof- und Gutsbesitzern aufgeteilt worden. Durch die neue Gemeindeteilung kam dieser Wald auf Gemeindegebiet von Obsteig zu liegen. Die Mötzer selbst wurden Teil der politischen Gemeinde Untermiemingen.

OBEREIGENTUM DES LANDESFÜRSTEN …

Spätestens seit dem 14. Jh. nahm der Tiroler Landesfürst das Obereigentum an den Wäldern und Almen für sich in Anspruch. Eigentum an Grund und Boden konnte nur der behaupten, der eine landesfürstliche Verleihungsurkunde besaß oder einen noch älteren Rechtstitel, wie beispielsweise das Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten, das sein Eigentum auf eine Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1140 stützt. Alle anderen waren nur als Nutzungsberechtigte anerkannt. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde die Regierung zu einer Rechtsbereinigung gezwungen. Durch das Tiroler Forstregulierungspatent vom 6. Februar 1947 ordnete der Kaiser für den Nordtiroler Raum eine generelle Servitutenablösung an: Die Nutzungsrechte wurden gegen Übereignung von Ablöseflächen aufgehoben. Zusätzlich wurde für spezielle Fälle die Anerkennung von ersessenem Privateigentum an Wäldern und Almen angeordnet. Voraussetzung war unter anderem, dass ein Wald unter den Hof- und Gutsbesitzern aufgeteilt war.

… WIRD ZUM PRIVATEIGENTUM

Die Mötzer Nachbarn nahmen für sich erfolgreich ersessenes Privateigentum in Anspruch: Gemäß Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Silz, ausgefertigt von der k. k. Berg- und Salinendirektion Hall am 14. Juli 1848, wurde insbesondere auch der Larch- oder Rieglwald in Obsteig als Privateigentum anerkannt. Am 12. September 1848 wurde die Eintragung dieser Urkunde im Verfachbuch vom k. k. Landgericht Silz angeordnet und durchgeführt. Das „Verfachbuch“ erfüllte in Tirol über Jahrhunderte die Funktion des heutigen Grundbuches. Eine Aus­führungsverordnung zum Forstregulierungspatent vom 17. Juni 1847 erklärt, dass das „purifizierte“ Privateigentum von allen künftigen staatlichen Ansprüchen „enthoben und gesichert“ ist, sodass „in diesem besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Staat ein Ziel gesetzt und für die Zukunft begegnet werden soll“. Künftige staatliche Ansprüche auf das Eigentum oder die Substanz dieser Liegenschaften waren danach ausgeschlossen.

EIN DORFMEISTER WIRD FRAKTIONSVORSTEHER

Am 19. April 1909 beauftragten die Mötzer ihren Dorfmeister Alois Kluibenschödl, Bauer in Mötz, beim k. k. Grundbuchkommissär die Eintragungen ihrer in Obsteig gelegenen Lärchwald-Grundstücke in das öffentliche Grundbuch zu veranlassen. Die Entscheidung des Grundbuchkommissärs über das Eigentumsrecht war heikel: In Vertretung der „Gesamtgemeinde Mieming“ war auch der Gemeindevorsteher (= heute Bürgermeister) Johann Sonnweber erschienen und er verlangte, den Lärchwald als Eigentum der Gesamtgemeinde Mieming zu erfassen. Der Dorfmeister Kluibenschödl war offensichtlich vorbereitet: Der Lärchwald sei Alleineigentum der Gemeinschaft Mötz, was sich aus den Waldprotokollen von 1733 und 1735 ergebe (im Protokoll „Gemeinde Mötz“ genannt). Und dieser Wald sei unter den Orts­bewohnern durch das Waldteilungsprotokoll vom 8. September  1818 aufgeteilt. Dies alles ohne Zutun der Gemeinde Mieming in selbständiger Verwaltung. Am 28. April 1909 entschied der Grundbuchkommissär, dass der Lärchwald im letzten faktischen Besitz der „Fraction Mötz“ stehe und als Eigentum derselben eingetragen werde. Zusätzlich wurde auf Grund des Waldteilungsprotokolles vom 8. September 1818 zu Gunsten der Mötzer Stammsitzliegenschaften an jeder der 180 Grundparzellen die Dienstbarkeit des ausschließlichen und unbeschränkten Holz- und Streubezuges im Grundbuch eingetragen. Der Dorfmeister Alois Kluibenschödl, im Grundbuchanlegungsprotokoll zum „Fractions-Vorsteher“ erhoben, war mit dieser Entscheidung zufrieden. Auch der Gemeinschaftswald der Mötzer in der Katastralgemeinde Mieming wurde nach diesem System erfasst. Dieser Wald war bereits im Jahr 1735 in ca. 380 Waldteile unterteilt und unter den Mötzern aufgeteilt worden. Somit haben die Grundbuchanlegungsbeamten den Grundstein dafür gelegt, dass die Mötzer ihre in den Jahren 1735 und 1818 aufgeteilten Wälder als „Fraktion“ verwalteten.

DIE REGULIERUNG DER AGRARGEMEINSCHAFT

Im Jahr 1950 hat die Agrarbehörde das auf „Fraction Mötz“ im Grundbuch Mieming einverleibte Liegenschaftsvermögen im Zuge einer „agrarischen Operation“ überprüft. Einbezogen wurden die Grundstücke, die als Weide und zur Heugewinnung genutzt wurden und die aufgeteilten Waldgrundstücke. Als „Gemeindevermögen“ ausgeschieden wurden unter anderem das alte Schulgebäude in Mötz und das Mötzer „Spritzenhaus“. Die Agrarbehörde stellte fest, dass diese Grundstücke „seit jeher“ nur von den Eigentümern bestimmter Häuser in Mötz genutzt wurden, weshalb das Eigentum dieser Gesamtheit der Nutzungsberechtigten, bezeichnet als „Agrargemeinschaft Mötz“, zuzusprechen sei. In weiterer Folge hat die Agrarbehörde detailliert erhoben, welche „Teilwälder“ welchen Stammsitzen zuzuordnen sind. Die Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft wurden entsprechend der Größe der eingebrachten Teilwaldflächen festgestellt; ebenso die Tragung der mit dem Besitz verbundenen Lasten.

DIE BILDUNG DER ORTSGEMEINDE MÖTZ

Aufgrund des Landesgesetzes vom 15. Jänner 1959 wurde die politische Ortsgemeinde Mieming geteilt in diese und die neue Ortsgemeinde Mötz. Gemäß § 3 des Gesetzes erfolgte die Ver­mö­gen­sauseinandersetzung entsprechend dem Beschluss des Gemeinderates von Mieming vom 14. und 15. Oktober 1958. Mit Bescheid vom 27. März 1969 hat die Tiroler Landesregierung der neuerrichteten Ortsgemeinde Mötz jene Liegenschaften übertragen, die ihr aufgrund der Teilungsvereinbarungen zustanden. Mit Bescheid vom 2. Juni 2010 hat die Agrarbehörde entschieden, dass die Ortsgemeinde Mötz zusätzlich „Substanzrecht“ am Mötzer Lärchwald in Obsteig besitze. Der Landesagrarsenat hat diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 2. Dezember 2010 bestätigt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die von der Agrargemeinschaft Mötz erhobene Beschwerde steht noch aus.

Das Wiehern des Amtsschimmels von 1897

Bereits im Jahr 1897 hatte der „Tiroler Landesausschuss“, das ist die heutige Landesregierung, in einem aufwändigen Verfahren geprüft, ob der „Öster Fraktionswald“ ein Privatgut oder ein öffentliches Eigentum sei. Diverse bürokratische Vorgänge waren notwendig, um die Erkenntnis zu gewinnen, dass ein gemeinschaftliches Privatvermögen vorliege, über das ohne Einwilligung des Landesausschusses verfügt werden könne. Trotzdem hat der Verwaltungsgerichtshof in Wien 114 Jahre später entschieden, dass die Ortsgemeinde Umhausen „Substanzrecht“ am Gemeinschaftseigentum der Öster besitze, weil im Zuge der Regulierung im Jahr 1959 die Agrarbehörde ein Fraktionsgut festgestellt hätte. Eine solche Feststellung begründe zwingend das „Substanzrecht“ der Ortsgemeinde, ohne dass geprüft werden müsse, ob die Ortsgemeinde jemals Eigentümerin war.

Die Geschichte des Gemeinschaftsgutes der Öster ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Nachbarschaft selbst. Urkundlich erstmals nachgewiesen in den Klosterdokumenten Augsburg-St. Gertrud aus dem Jahr 1071 als „Öste“, findet sich im Steuer-Urbar Meinhard II. aus dem Jahr 1288 die Schreibweise „Aeusten“. Die Sprachforscher leiten den Nachbarschaftsnamen aus dem Althochdeutschen her: „bi den ewistun“ bedeutet so viel wie „bei den Schafställen“. Das Gemeindearchiv von Umhausen dokumentiert diverse Rechtsakte zum Öster Gemeinschaftsgut. So wurde im Jahr 1758 mit landesfürstlicher Bewilligung das „Bockauele“ gerodet, in Weide umgewandelt und um 200 Gulden an die Nachbarn von Hopfgarten verkauft. Mit dem Geld haben sich die Öster eine Feuerspritze angeschafft. Eine Geschichte um 200 Zirbenstämme aus dem Öster Wald ist in den Akten des Tiroler Landesausschusses aus dem Jahr 1897 belegt.

660 GULDEN WAREN ZU VERTEILEN 

Am 19. April 1897 trafen sich im Schulhaus zu Umhausen beim Gemeindevorsteher Josef Leiter 13 Ausschussmitglieder der Gemeinde Umhausen, um die Verwendung von 660 Gulden zu beraten, die durch den Verkauf von 200 Zirbenstämmen aus der Öster „Fraktions-Waldung“ erlöst worden waren. Beschlossen wurde, diesen Betrag an die 41 „Feuerstattbesitzer“ in Östen zu verteilen, weil die dortige Fraktions-Waldung ausschließlich den Feuerstattbesitzern gehöre. Laut Inhalt des Waldaufteilungs-Protokolls von 1745 hätte niemand anderer Anspruch auf die Fraktions-Waldung. In diesem Sinne richtete die Gemeinde Umhausen am 26. April 1897 ein Schreiben an den Tiroler Landesausschuss, mit der Bitte, der „hohe Landesausschuss“ wolle dem Gemeindebeschluss die Genehmigung erteilen. Der Wald sei gemäß Waldaufteilungsprotokoll von 1745 Eigentum der 41 Feuerstattbesitzer. Nur diese hätten seit dem Jahre 1880, als die Versteuerung des Waldes begonnen habe, die Grundsteuer entrichtet.

Dem Tiroler Landesausschuss schienen diese Informationen unzureichend. Mit Schreiben vom 29. April 1897 wurde die Gemeindevorstehung beauftragt, mitzuteilen, ob die Fraktion Östen eigenes Vermögen besitze und eine separate Verwaltung habe sowie ob für Fraktionsauslagen eigene Fraktionsumlagen eingehoben würden. Weiters sollte die Gemeindevorstehung bekanntgeben, „ob die 41 Hausbesitzer allein die Fraktionisten von Östen sind oder ob zu dieser Fraktion auch noch andere Besitzer gehören“. Diesem Auftrag kam der Gemeindevorsteher von Umhausen am 8. Mai 1897 nach. Er berichtete, dass die Fraktion Östen eigenes Vermögen besitze und eine separate Verwaltung habe. In den Jahren 1896 und 1897 seien eigene Fraktionsumlagen eingehoben worden, deren Höhe detailliert angegeben wurde. Schließlich teilte er mit, dass die „41 Haus- und Feuerstattbesitzer“ nicht die alleinigen „Fraktionisten von Östen“ wären, sondern dass „zu dieser Fraktion auch noch andere Grundbesitzer (ohne Haus) gehören, welche teilweise in Östen sesshaft“ wären, „zum größeren Theile (nämlich bei hundert an der Zahl) aber in den Fraktionen Umhausen und Tumpen ihren Wohnsitz“ hätten. Auf dieser Grundlage empfahl der Referent des Landesausschusses am 14. Mai 1897 in wenigen Zeilen, „gegen die Verteilung des Holzerlöses unter diese Feuerstattbesitzer nichts einzuwenden“.

In der am 15. Mai 1897 stattfindenden Sitzung des Tiroler Landesausschusses wurde jedoch ein vom Referentenvorschlag abweichender Beschluss gefasst: Das „Purifications-Protocoll“ von 1848 sollte beigeschafft und der in Rede stehende Walde genau bezeichnet werden. Sogleich wurde die Gemeindevorstehung von Umhausen erneut angeschrieben und „beauftragt“, diese Urkunde vorzulegen. Rund zwei Wochen später (26./27. Mai 1897) wurde im Landhaus ein Protokoll mit dem „namens der Gemeindevorstehung Umhausen“ erschienenen Johann Christian Frischmann aufgenommen. Er legte das Original eines Waldaufteilungsprotokolls vom
8. Juni 1745 sowie die Grundbesitzbogen vor und die Mappe zu dem Wald, aus welchem die 200 Zirbenstämme geschlagen wurden. Mit Schreiben vom 31. Mai 1897 teilte Frischmann dann ergänzend mit, dass sich das „Purifications-Protocoll von 1848“ wegen eines Streites bezüglich der Jagd im Hochgebirge schon seit 1887 beim Advokaten Dr. Kathrein in Hall befinde. Ersatzweise legte er aber einen Vergleich aus dem Jahr 1862 vor, dem entnommen werden könne, dass alle Waldungen in der Fraktion Östen einzig und allein den Feuerstätten gehören würden. Der Landesausschuss blieb hartnäckig. Nun wurde mit 8. Juni 1897 „die löbl. Advokaturskanzlei Dr. Theodor Kathrein in Hall“ ersucht, das „Waldpurifikationsprotokoll vom Jahre 1848 zur Einsichtnahme gefälligst anher mittheilen zu wollen“. Zwar erfolgte die Urkundenvorlage offenbar umgehend, zu einer Entscheidung kam es aber noch immer nicht. Vielmehr wandte sich der Landesausschuss am 18. Juni 1897 an die Bezirkshauptmannschaft Imst, die herausfinden sollte, woher diese Zirbenstämme tatsächlich stammten.

41 FEUERSTATTBESITZER ALS „FRAKTIONISTEN“

Zu den Ereignissen der folgenden Wochen ist die Überlieferung etwas lückenhaft. Offenbar hatte sich die Bezirkshauptmannschaft ihres Auftrags dadurch entledigt, dass sie die Forstinspektion Silz mit Erhebungen betraute. Zur Feststellung der Eigentumsverhältnisse am Klammwald, aus welchem die Fraktion Östen die Zirben verkauft hat, schrieb der Silzer Forsttechniker Rittmeyer mit 3. Juli 1897 an die Gemeindevorstehung von Umhausen und ersuchte um Übermittlung von Unterlagen. Rund zwei Wochen später übersandten die Umhauser die „Eigenthums-Nachweisung über das von der Purifikationskommission zuerkannte Eigenthum von Wäldern und Alpen“. Auf dieser Grundlage formulierte Rittmeyer am 17. Juli 1897 seine Antwort für die Bezirkshauptmannschaft, an die übrigens am gleichen Tag auch ein Urgenzschreiben des Landesausschusses abgegangen war. Rittmeyer schrieb die Urkunde, die die Umhauser vorgelegt hatten, wortgetreu ab. Es war die Tabelle der Forsteigentums-Purifikationskommission, ausgefertigt von der „k. k. Berg- und Salinen-Direktion Hall“ am 14. Juni 1848, bestätigt durch das „k. k. Landgericht Silz“ am 12. September 1848 und verfacht unter Zahl 648. Dem standardisierten Text des Originals entsprechend unterstrich Rittmeyer das im Kopf der Urkunde vorkommende Wort „Privateigenthum“ und er identifizierte den in dieser Tabelle für die „Parzelle“ Östen eingeschriebenen „Klammwald“ als jenes Waldstück, aus dem die Zirbenstämme stammten.

Mit 22. Juli 1897 legte der Imster Bezirkshauptmann dieses Ermittlungsergebnis dem Landesausschuss vor. Ungefragt interpretierte er auch die Eigentumsverhältnisse am Klammwald: Dieser sei, „insofern er der ‚Parzelle Östen‘ zugeschrieben ist, nicht als ein Privat-Interessentenwald, sondern als ein Gemeindefraktionswald zu betrachten“. Doch der Landesausschuss sah dies anders: Am
6. August 1897 endete der mühselige Ermittlungsvorgang ernüchternd in wenigen Zeilen: „41 Feuerstättenbesitzer von Östen haben auf Grund des Gemeinde-Ausschussbeschlusses die Bitte gestellt, es wolle die Aufteilung eines Holzerlöses von 660 fl bewilliget werden. Nach vielseitig gepflogener Erhebung wurde festgestellt: 1. Nach dem Berichte des Forsttechnikers in Silz, dass das verkaufte Holz aus dem so genannten Klammwald herrührt. 2. Dass der Klammwald laut Forst- Alpen- und Auen-Tabelle Nr 24 Privateigentum ist, daher die Bittsteller zur Verteilung des Holzerlöses keiner Bewilligung bedürfen.“ Noch am gleichen Tag wurde dieses Ergebnis, nämlich dass „zur beabsichtigten Verteilung des Holzerlöses eine höhere Genehmigung nicht notwendig ist“ – der Gemeindevorstehung Umhausen mitgeteilt. Der Öster Klammwald ist damit im Jahr 1897 als Privateigentum der 41 Öster Feuerstattbesitzer festgestellt worden.

OBEREIGENTUM DES LANDESFÜRSTEN …

Spätestens seit dem 14. Jh. nahm der Tiroler Landesfürst das Obereigentum an allen Tiroler Wäldern und Almen für sich in Anspruch. Eigentum an Grund und Boden konnte nur derjenige behaupten, der eine landesfürstliche Verleihungsurkunde besaß oder einen noch älteren Rechtstitel. Beispielsweise gründet das Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten sein Eigentum auf eine Schenkungsurkunde des Bischofs Reginbert von Brixen aus dem Jahr 1140, ein Eigentumstitel, der heute noch im elektronischen Grundbuch ausgewiesen ist. Einzelne Hofbesitzer oder Nachbarschaften, die keinen schriftlichen Eigentumstitel besaßen, waren nur als Nutzungsberechtigte anerkannt. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde das landesfürstliche Obereigentum in Tirol massiv in Frage gestellt. Zahlreiche Gerichtsverfahren gegen das landesfürstliche Ärar (die „Finanzkasse“) um das Eigentum waren anhängig. 1847 sah sich die Regierung zu einer Rechtsbereinigung gezwungen: Durch das „Tiroler Forstregulierungspatent“, ein Gesetz vom 6. Februar 1847, ordnete der Kaiser für den Nordtiroler Raum eine generelle Ablösung aller Holznutzungsrechte an („Servitutenablösung“). Die Nutzungsrechte der Hofbesitzer im landesfürstlichen Wald sollten am Vergleichsweg durch Vereinbarung mit den jeweiligen Nachbarschaften abgelöst werden. Als Gegenleistung wurde Gemeinschaftseigentum zuerkannt. Zusätzlich wurde für spezielle Fälle ersessenes Privateigentum an Wäldern und Almen „purifiziert“. Voraussetzung war unter anderem, dass die jeweiligen Hof- und Gutsbesitzer über lange Zeit bestimmte Abgaben für die betreffende Liegenschaft geleistet hatten oder dass ein bestimmter Wald unter den Hof- und Gutsbesitzern aufgeteilt war. Aus der „Tiroler Forstregulierung“ im Zeitraum 1847 bis 1849 ist der Großteil der heutigen „Nordtiroler Bundesforste“ als Staatseigentum und der Großteil des privaten Wald- und Almeigentums in Tirol hervorgegangen.

Die Nachbarn von Östen erfüllten die Voraussetzungen, dass ihre Wälder als Privateigentum „purifiziert“ werden konnten. Gemäß Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Silz, ausgefertigt von der k. k. Berg- und Salinendirektion Hall am 14. Juli 1848, wurden folgende Wälder als gemeinschaftliches Privateigentum der „Parzelle Östen“ anerkannt: der „Klammwaldig“ und der „Acherkar-, Gries-Saulen- und Farstrinnenwald“; dies in definierten Grenzen: Für den Klammwald: grenzt „1. an Ötztaler Bach und Öster Güter, 2. an Thureberger Grat und Hagelasegg, 3. an Gebirgsrücken, 4. an Grat von der Klammlesnase bis zum Altmoser Boden und von dort bis zum Zunternkopf“; für die Wälder Acherkar, Gries-Saulen und Farstrinnen: grenzt „1. an die Staatswaldung Acherkopf, wo jedoch die Grenze im Streit befangen ist. 2. an Rennebach in den Farstrinnen. 3. an Ötztalerbach, Fahrweg und Grundstücke. 4. an Acherkogelgrat; davon besitzt der Hof Acherbach die zugeschriebene äußerste Waldstrecke im Acherkar und die Parzelle Farst die dortnächst umliegende Waldstrecke, welche sub. Cat. Nr. 2293 vorkommt.“ Am 12. September 1848 wurde vom k. k. Landgericht Silz die Einverleibung der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Silz, ausgefertigt am 14. Juli 1848, im Verfachbuch angeordnet und durchgeführt. Das von den Landgerichten geführte „Verfachbuch“ erfüllte in Tirol über Jahrhunderte die Funktion des heutigen Grundbuches.

Die Rechtsgrundlage für die so genannte Forsteigentumspurifikation (= Anerkennung als Privateigentum aufgrund Ersitzung) findet sich in Artikel 2 des Forstregulierungspatents vom 6. Februar 1847: In den Verwaltungskreisen Ober- und Unterinntal „gestatten seine Majestät die Beurteilung der Eigentumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältnisse für das Vergangene in Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts“, jedoch nur dann und insofern, als diese Ansprüche entweder schon gerichtlich geltend gemacht wurden oder binnen drei Monaten bei der Forsteigentums-Purifikationskommission angemeldet würden. Eine Ausführungsverordnung vom 17. Juni 1847 erklärt, dass das „purifizierte“ Privateigentum von allen künftigen staatlichen Ansprüchen „enthoben und gesichert“ sei, sodass „in diesen besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Staat ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll“. Jedes Blatt der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle enthält im Kopf folgenden drucktechnisch hergestellten Formeltext: „Forsteigentum – Purifikationstabelle für Forste, Alpen und Auen. Anerkennung des Privateigenthums über die auf Grund der a.h. Entschließung vom 6. Februar 1847 bei der tirolischen Privatforsteigenthums-Purifikations-Kommission angemeldeten Forste, Alpen und Auen, auf welche zufolge hoher Hofkammer-Präsidial-Genehmigung vom 23. März 1848, Zahl 117, die Staatsverwaltung keinen Eigentumsanspruch [geltend] macht, sondern welche sie, […] ohne Gewährleistung gegen die Ansprüche dritter Personen als Privateigentum anerkennt, weshalb sie zugleich die Einverleibung dieser Tabelle in das landgerichtliche Verfachbuch bewilliget.“ Zusammengefasst ging es darum, dass die Staatsverwaltung den Untergang des landesfürstlichen Obereigentums bestätigte, ohne sich festzulegen, welcher Private tatsächlich Eigentümer sei („ohne Gewährleistung gegen die Ansprüche dritter Personen“).

… WIRD PRIVATEIGENTUM 

Zentrales Anliegen der Tiroler Forstregulierung 1847 war es, Staats- und Privatsphäre zu trennen: Erheblich verkleinerten, holznutzungsfrei gestellten Staatswäldern sollten nachhaltig bewirtschaftete, gemeinschaftliche Privatwälder gegenüber stehen, die sich auch als Objekt neuer Steuern anboten. Nach der bis zum Jahr 1847 geltenden Rechtslage war zwar jeder Tiroler Forst vermutetes Eigentum des „aller höchsten Landesfürsten“; mit jedem Hofbesitz in Tirol war jedoch das Recht verbunden, den „Haus- und Hofbedarf“ aus den Staatswäldern zu decken. Insbesondere das Holzbezugsrecht hatte dazu geführt, dass die Wälder für die landesfürstliche Kasse weitgehend ertragslos waren, weil im Staatswald keine nachhaltige Wirtschaft betrieben wurde. Diesen Verhältnissen wollte Kaiser Ferdinand I. 1847 ein Ende bereiten. In einem ersten Schritt definierte er einen abschließenden Kreis von Berechtigten: Die Ablösungskommission hat sich gewärtig zu halten, dass das Beholzungsservitut „nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht; dem Gewerbestande kann diese im Allgemeinen nach Analogie mit Titel II. Buch IV. der Tiroler Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbestandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen.“ (Ausführungsverordnung zur Forstservitutenablösung vom 1. Mai 1847)

Zur Vorbereitung der Servitutenablösung wurde gemeindeweise erhoben, mit wie vielen Berechtigten zu kalkulieren und in welchem Umfang die Rechte anzuerkennen seien. Bestehendes Waldeigentum aus landesfürstlichen Verleihungsakten wurde eingerechnet. Aus diesem Grund hatte die Forsteigentums-Purifikations-Kommission bei der Anerkennung der Öster Wälder als Privateigentum im Juli 1848 folgende Einschränkung ausgesprochen: „Wird aus Gnade als Privateigentum anerkannt unter der Bedingung der Beanschlagung des Ertrages dieser Wälder bei der Ausmittlung des Haus- und Hofbedarfes der Gemeinden […].“ Das für die „Parzelle Östen“ bereits purifizierte Waldeigentum wurde somit bei der Ablöseleistung für den Verzicht auf die Holznutzung im Staatsforst einkalkuliert.

FORSTSERVITUTENABLÖSUNG IN UMHAUSEN

Am 6. September 1847 hatten die Umhauser vor dem k. k. Landrichter Johann Marberger sechs Vertreter für die Verhandlungsführung über die Ablösung ihrer Forstnutzungsrechte gewählt, zwei aus dem Dorf Umhausen und je einen aus den Nachbarschaften Köfels, Tumpen, Niederthai und Östen. Siegmund Auer hat die Öster vertreten. Grundlage dafür war der Erlass der Wiener Hofkanzlei vom 29. Juni 1847, der die Rechtswirkungen der Bevollmächtigung ausdrücklich auch auf jene Berechtigten erstreckte, die sich am Bevollmächtigungsakt nicht beteiligen sollten. Der Wortlaut der Vollmacht lautete auf unbeschränkte Vertretungsmacht für die gesamte „Kirchspielgemeinde Umhausen“ über Forstrechte und Servituten in den k. k. Staatswäldern zu verhandeln, Vergleiche abzuschließen und deren Ablösung zu vereinbaren. Am 24. November 1848 haben die sechs Vertreter den Ablösungsvergleich unterfertigt und für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf die Forstnutzungen in den vorbehaltenen Staatswäldern feierlichst Verzicht geleistet (Pkt. siebentens des Vergleichsprotokolls). Im Gegenzug konnte das Eigentum an folgenden Wäldern eingehandelt werden: 1. herrschaftlichen Acherkopfwald, 2. Teil des Funduslägerwaldes, 3. Öster Kern- und Kopfwaldung sowie des Schachtele-Teilwaldes, 4. Armeleswald und Köfler Greitwald, 5. Teil des Mauslehen- und Tauferberg-Amtswaldes. Dies ausdrücklich zusätzlich zu den bereits von der Forsteigentums-Purifikations-Kommission als Privateigentum anerkannten Wäldern. Ausdrücklich wird im Vergleichsprotokoll festgestellt, dass die übrigen im Gemeindebezirk gelegenen Wälder im Eigentum des k. k. Ärars verbleiben. Insgesamt handelte es sich dabei über 550 ha Waldvermögen, die heutigen Bundesforste in Umhausen. Am 19. Oktober 1849 wurde der Vergleich seitens des
k. k. Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen in Wien bestätigt; das Protokoll trägt die eigenhändige Unterschrift des Ministers Ferdinand Ritter von Thinnfeld. Am 11. Mai 1856 hat das k. k. Landgericht Silz über Antrag der k. k. Berg- und Salinendirektion das Vergleichsprotokoll „zur Begründung dinglicher Rechte“ dem Verfachbuch einverleibt.

TEILUNGSVERTRAG VOM 15. JUNI 1862

Aus der Tiroler Forstregulierung war eine Vielzahl gemeinschaftlicher Privatwälder hervorgegangen. Wie die Nutzungsberechtigten in der Folge ihr neues Gemeinschaftseigentum verwalten und die Nutzung aufteilen sollten, wurde nicht geregelt. Die Öster wollten einen alleinigen Anteil an den mit Ablösungsvergleich vom 24. November 1848 erworbenen Wäldern, weshalb sie sich am 15. Juni 1862 verglichen haben: Die „Fraktion Östen, gerade so, wie es im Öster Waldprotokolle vom Jahre 1745 enthalten ist“, erhielt vom abgetretenen Acherkar-, Gries-Saulen- und Farstrinnenwald die Flächen zwischen Acherkar und Rennebach, vom Funduslägerwald den Teil zwischen dem Schachtele-Teilwald und dem Lägeralpzaun und die aufgeteilten Waldungen im Kern- und Kopfwald samt Schachtele-Teilwald. Im Gegenzug haben die Öster auf ihre Beteiligung im verbleibenden „Gemeindewald“ verzichtet.

Im Zuge der Grundbuchanlegung in Umhausen im Jahr 1909 wurde das Gemeinschaftseigentum der 41 Öster Feuerstattbesitzer als EZ 713 Grundbuch Umhausen der „Fraction Östen“ zugeschrieben. Der nach Ausscheidung des Öster Anteils verbliebene „Gemeindewald“ wurde in EZ 702 Grundbuch Umhausen als Eigentum der „politischen Gemeinde Umhausen“ erfasst. Im Jahr 1959 hat die Agrarbehörde entschieden, dass das Waldvermögen der „Fraction Östen“ in Wahrheit Eigentum einer „Agrargemeinschaft Östen“ sei, an der die 41 „Feuerstätten“ von Östen beteiligt seien. Im Jahr 1967 wurde von der Agrarbehörde auch über die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindewald“ in EZ 702 Grundbuch Umhausen entschieden. Festgestellt wurde, dass diese Liegenschaft kein Eigentum der heutigen Gemeinde Umhausen sei, sondern das Eigentum einer „Agrargemeinschaft Kirchspielwald“.

Am 30. Juni 2011 hat der Verwaltungsgerichtshof in Wien entschieden, dass bei Agrargemeinschaft Kirchspielwald kein atypisches Gemeindegut und kein Substanzrecht der Ortsgemeinde Umhausen vorliege, hingegen sehr wohl bei Agrargemeinschaft Östen. Auch die 1862 aus dem „Kirchspielwald“ abgetrennten Waldteile, die den Östern übertragen wurden, seien Substanzrecht der Ortsgemeinde. Seither grübeln 41 Öster Feuerstattbesitzer darüber, warum das vom „Kirchspielwald“ abgetrennte Waldgebiet Substanzrecht der Ortsgemeinde Umhausen sein könne, obwohl für den gesamten verbliebenen Kirchspielwald das Gegenteil gilt.

Gerlos: Das Dorf
ohne Gemeindegut

Die politische Ortsgemeinde Gerlos verfügt in der Katastralgemeinde Gerlos aus der Zeit der Grundbuchanlegung über rund 5.760 m² (!) Liegenschaftsvermögen, großteils Gemeindewege; weder Wald- noch Almeigentum findet sich darunter (EZ 52 Grundbuch Gerlos). Alle anderen Liegenschaften, welche die Ortsgemeinde heute besitzt wurden seit Mitte der 1970erJahre käuflich erworben.

Dem gegenüber steht die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, ehemals k.k. Aerar, heute Republik Österreich (Österreichische Bundesforste), im Ausmaß von 7.477 (!) ha. Die Liegenschaft ist mit zahlreichen Dienstbarkeitsrechten belastet; dies vornehmlich zugunsten von rund 60 alten Stammsitzen. Neben Weiderechten stehen zu: Rechte zum Bezug von Bau-, Nutz-, Zaun-, Brennholz und Streu sowie das Recht zum Bezug von Kalkholz, Bau- und Kalksteinen, Sand, Lehm und Schotter.

Diese ca 60 Stammsitzeigentümer sind somit servitutsberechtigt auf ehemals kaiserlichem Eigentum, heute Eigentum der Republik Österreich „Bundesforste“. Diese ca 60 Stammsitzeigentümer besitzen jedoch genauso wenig Waldeigentum wie die politische Ortsgemeinde Gerlos selbst. Dies, weil die Stammsitzeigentümer in Gerlos im Jahr 1849 (!) es nicht riskieren wollten, die Grundsteuer für den Wald zu tragen. Sie haben deshalb die Ablösung ihrer Forstservituten gegen Privateigentum an einem Gemeinschaftswald, verweigert.

Aus der Tiroler Forstregulierung 1847 ist deshalb in der Katastralgemeinde Gerlos kein gemeinschaftliches Waldeigentum der Gerloser Grundbesitzer hervorgegangen. Natürlich wurde auch die politische Gemeinde Gerlos nicht mit Waldeigentum „beschenkt“. Der Kaiser, damals “k.k. Aerar”, hat vielmehr das Waldeigentum in der Katastralgemeinde zur Gänze für sich behalten. Daraus ist die heutige Bundesforsteliegenschaft in der Katastralgemeinde Gerlos hervorgegangen.

Im Zuge der Grundbuchanlegung in der Katastralgemeinde Gerlos ist es deshalb auch zu keinen Verwechslungen von Gemeinschaftseigentum der Gerloser Grundbesitzer mit Gemeindeeigentum gekommen. Somit ist auch nie ein „Gerloser Gemeindegut“ entstanden.

Offenkundig ist, dass die politische Ortsgemeinde Gerlos ein „Gemeindegut“ nie besessen und nie vermisst hat. Für ein gründliches Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern und Almen ist das von hohem Interesse. Ganz ähnlich liegen die Grundeigentumsverhältnisse beispielsweise auch in Mayrhofen, in Alpbach, in Brandenberg oder in Steinberg.

Solche Grundeigentumsverhältnisse widerlegen schlagend die These, dass der “gütige Kaiser” die heutigen politischen Ortsgemeinden seinerzeit im Schenkungsweg zu Waldeigentümern gemacht hätte. Die Berichte der kaiserlichen Forst-Servituten-Ablösungskommission aus den Jahren 1847 bis 1849, liefern eine genaue Erklärung.

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Übersicht:
Grundeigentumsverhältnisse in Gerlos
Wo sind Gemeindegut und Bauernwälder geblieben?
Die holzbezugsberechtigte Gemeinde Gerlos
Nutzungsrechte im kaiserlichen Forst
Kommissionsbericht vom 21. Dezember 1849
“Servitutenablösung” heute?
Einfach zum Nachdenken
Das Zillertal: Heimat der Verweigerungsgemeinden
Aus dem “General Konspekt” vom 11. April 1850
Aus dem Kommissions-Protokoll vom 21. Dezember 1849

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Grundeigentumsverhältnisse in Gerlos

Die Ortsgemeinde Gerlos verfügt in der Katastralgemeinde Gerlos aus der Zeit der Grundbuchanlegung über rund 5.760 m² (!), das ist gerade einmal ein halber Hektar Grund und Boden – großteils Gemeindewege. Weder Wald- noch Almeigentum findet sich darunter. Eigentümlich ist der Ortsgemeinde Gerlos seit der Grundbuchanlegung die Liegenschaft in EZ 52 Grundbuch Gerlos, wo diese rund 5.000 m² vorgetragen sind. Alle anderen Liegenschaften, welche die Ortsgemeinde heute besitzt, wurden erst seit Mitte der 1970er Jahre käuflich erworben.
Dem gegenüber steht die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, ehemals k.k. Aerar, heute Republik Österreich, Österreichische Bundesforste, im Ausmaß von 7.477 ha (!). In dieser Liegenschaft ist praktisch das gesamter Waldvermögen in der Katastralgemeinde Gerlos vorgetragen, aber auch eine Unzahl von “öden” Flächen zwischen den Höfen und an den Wegen und Bächen usw.
In Gerlos haben wir somit eine Ortsgemeinde, die keinen einzigen Flecken Wald, aber auch keine Alm und auch keine Wiesen besitzt – kein Waldeigentum, kein Almeigentum und kein Wieseneigentum. Die politische Ortsgemeinde Gerlos besitzt somit auch kein “Gemeindegut”.
Besondere interessant ist diese Situation deshalb, weil die Stammsitzeigentümer in Gerlos ebenfalls kein Waldeigentum besitzen. Die “Bauern” können deshalb keine Schuld daran tragen, dass die Ortsgemeinde Gerlos kein Gemeindegut an Wäldern besitzt. Die “Bauern von Gerlos” haben dort jedenfalls nichts “gestohlen”.
Das gesamte Waldeigentum in der Katastralgemeinde Gerlos ist Eigentum der Republik Österreich, Österreichischen Bundesforste.

Wo sind Gemeindegut und Bauernwälder geblieben?

Einziger erwähnenswerter Waldbesitz in der Katastralgemeinde Gerlos ist derjenige im Eigentum der Republik Österreich, die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, ehemals k.k. Aerar, heute Österreichische Bundesforste im Ausmaß von 7.477 ha.
Hat der Kaiser den Wald behalten, statt diesen der Gemeinde Gerlos zu schenken?
Waren die Gerloser Bauern deshalb gehindert, der Gemeinde Gerlos den Wald zu “stehlen”, weil der Kaiser die Gemeinde Gerlos nicht beschenkt hat?
Weit gefehlt! Die Ursache für diese Verhältnisse ist nicht ein kaiserlicher Geiz oder Kleinmut oder Zorn. Ursächlich ist vielmehr die seinerzeitige Haltung der Stammsitzeigentümer in Gerlos. Diese haben es im Jahr 1849 abgelehnt, ihre Servituten im kaiserlichen Forst in Grund und Boden ablösen zu lassen. Der Kaiser wollte das Grundeigentum am Wald nicht zurückbehalten. Im Gegenteil. Die Stammsitzeigentümer in Gerlos haben das Angebot der kaiserlichen Kommission ausgeschlagen!
Der historische Hintergrund der heutigen Verhältnisse in der Ortsgemeinde Gerlos ist somit in der Tiroler Forstregulierung von 1847 zu suchen. Die Beamten der Forstservituten-Ablösungs-Kommission hatten den Stammliegenschaftsbesitzern von Gerlos im Spätherbst des Jahres 1849 ein ganz ähnliches Angebot unterbreitet wie beispielsweise den damaligen Stammliegenschaftsbesitzern von Gerlosberg, Rohrberg, Ramsau, Kaltenbach, Schwendau, Laimach, Aschau, Finkenberg, Tux oder anderen im Landgerichtsbezirk Zell gelegenen Gemeinden.
Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos haben den Abfindungsvergleich jedoch ausgeschlagen. Dies aufgrund einer außergewöhnlich hohen Steuerbelastung, die auf dem Gerloser Wald lastete und die die Stammliegenschaftsbesitzer übernehmen hätten müssen.

Die holzbezugsberechtigte Gemeinde Gerlos

Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos, im historischen Sprachgebrauch die (holzbezugsberechtigte) “Gemeinde Gerlos”, wurden dementsprechend nie Eigentümer einer Gemeinschaftsliegenschaft; das Waldeigentum ist “beim Kaiser” – richtig “k.k. Aerar”, verblieben. Im Zuge der Grundbuchsanlegung konnte deshalb auch das historische Eigentum der Nachbarschaft Gerlos nicht verwechselt werden mit demjenigen der politischen Ortsgemeinde Gerlos.
Die politische Ortsgemeinde Gerlos ist deshalb im Zuge der Grundbuchsanlegung mit keinerlei Wald- oder Almflächen bedacht worden; sämtliches Eigentum an den Wäldern, aber auch an allen öden Liegenschaften zwischen den Höfen und an den Wegen wurden als Eigentum des k.k. Aerar behandelt und so im Grundbuch einverleibt.
Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos haben auf diese Art nie für die von ihnen genutzten Wälder Grundsteuer bezahlt; im Gegenzug sind sie auch heute keine Eigentümer von Waldliegenschaften (abgesehen von Aufforstungen auf ursprünglichen Mähdern). Und weil die historische Gemeinschaft der Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos kein Eigentum besessen hat, konnte deren Eigentum im Zuge der Grundbuchanlegung – anders als in Gerlosberg – auch nicht irreführend als „Gemeindeeigentum“ im Grundbuch angeschrieben werden.
Die Verhältnisse in der Ortsgemeinde Gerlos machen deutlich, wem die Nutzungsrechte im historischen Staatsforst zugestanden haben und welcher Personengruppe im Fall einer Servitutenablösung die Eigentumsfläche als Gegenleistung zustand. Würde heute eine Servitutenablösung in Gerlos vereinbart, würde selbstverständlich die Ablösefläche, welche die Republik Österreich im Gegenzug für den Verzicht auf die Nutzungsrechte zur Verfügung zu stellen hätte, ausschließlich den 60 berechtigten Stammsitzen gehören. Die politische Ortsgemeinde würde leer ausgehen.
Am Beispiel der Gemeinde Gerlos wird eindrucksvoll deutlich, wem die Ablöseliegenschaften, die als Privateigentum aus der Tiroler Forstregulierung 1847 hervorgegangen sind, tatsächlich gehören: Es handelt sich um Gemeinschaftseigentum der abgelösten Grundbesitzer, der Gemeinschaft der Grundbesitzer, heute als Nachbarschaft bezeichnet, im historischen Sprachgebrauch auch “Gemeinde” genannt.
Nur wer ein Nutzungsrecht in Staatsforst besessen hatte, konnte an der Ablöseleistung beteiligt sein. Alles andere würde auf eine Enteignung der historischen Nutzungsrechte hinauslaufen.

Nutzungsrechte im kaiserlichen Forst

Die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, rund 7.500 ha Grund und Boden, großteils Wald, weist eine Besonderheit auf: Diese Liegenschaft ist mit zahlreichen Dienstbarkeitsrechten belastet – vornehmlich zugunsten von ca 60 alten Stammsitzen des Dorfes Gerlos. Diesen stehen neben Weiderechten insbesondere Rechte zum Bezug von Bau-, Nutz-, Zaun-, Brennholz und Streu sowie das Recht zum Bezug von Kalkholz, Bau- und Kalksteinen, Sand, Lehm und Schotter zu.
Diese ca 60 Servitutsberechtigten besitzen anstatt eines (gemeinschaftlichen) Waldeigentums heute noch Nutzungsrechte im Staatsforst – genannt “Einforstungsrechte” und kein Waldeigentum.
Wer servitutsberechtigt im k.k. Staatsforst gewesen ist, der wurde Miteigentümer der Ablöseliegenschaft, heute Agrargemeinschaft, wenn die Stammsitzeigentümer die Ablöse wollten. Die Instruktion für die Forstservituten-Ablösungs-Kommission vom 1. Mai 1847 definiert exakt und klar, wem abzulösende Rechte zustanden: Abzulösende Nutzungsrechte standen nur den „Bauern” zu, das waren “die Besitzer von Grund und Boden“. Gewerbetreibende waren nur dann nutzungsberechtigt, wenn sie – grob gesprochen – Feuerstattzins bezahlt haben.
Alle anderen, insbesondere die „Neubauten“ (aus der Sicht des Jahres 1847 [!]) waren vom Holzbezug im Staatsforst ausgeschlossen. Diese hatten sich ihren Holzbedarf auf „rechtlichem Weg“, d.h. gegen Bezahlung, zu beschaffen. Die Verhältnisse waren diesbezüglich nicht anders wie heute. Auch ein Kaiser hatte nichts zu verschenken!

Kommissionsbericht vom 21. Dezember 1849

Gemäß Instruktion vom 1. Mai 1847 war die Forstservituten-Ablösungs-Kommission verpflichtet, jeden abgeschlossenen Vergleich mit einem Bericht jedes einzelnen Kommissionsmitgliedes dem Ministerium vorzulegen. Der Bericht zu den im Landgerichtsbezirk Zell abgeschlossenen Vergleichen vom 21. Dezember 1849 ist in einer Ausfertigung im Tiroler Landesarchiv überliefert. Speziell die Verhältnisse in Gerlos betreffend berichten zwei der Kommissionsmitglieder folgende Details:
Aus dem “Protokoll, welches mit sämtlichen Komissionsgliedern über die Annehmbarkeit der im Landgerichte Zell abgeschlossenen Vergleiche aufgenommen wurde.
Dr. Anton Janiczek, Aushilfsreferent der kk. tirol. Kammerprokuratur: „Die Abfindungsversuche mit den übrigen Gemeinden des Landgerichtsbezirkes scheiterten theils an den überspannten Forderungen derselben, theils wie bei Brandberg u. Mayerhofen an der Uneinigkeit über die Abtheilung der gemeinschaftlich benützten Waldungen, die sie auch nicht in das gemeinschaftliche Eigenthum übertragen wollten, endlich auch u. zwar namentlich bei Gerlos an der Verweigerung der Steuerübernahme. Bei diesen Gemeinden erübrigt daher nichts anderes, als es vorläufig bei der bisherigen Einforstung zu belassen, jedoch auf eine bessere Waldwirthschaft hinzuwirken, und günstigere Verhältnisse zu einem etwaigen guten Abfindungsversuch abzuwarten, der seiner Zeit auch durch die Administrativbehörde eingeleitet werden könnte.“
Jakob Gaßer, kk. Gubernial Sekretär: „Die Ursache, warum mehrere Gemeinden des Zellerbezirkes zu keiner Abfindung vermacht werden konnten, läßt sich zumeist auf die eigenthümlichen Einforstungs- u. Steuerverhältnisse, vorzüglich aber auf die ungemessenen Ansprüche der Gemeindevertreter zurückführen; so zb. zahlt das Forstärar für die Gerloser Wälder jährlich bei 1200 f Steuer an den Steuerfond, welche Steuer zum großen Theil im Falle einer Abfindung die Gemeinde Gerlos übernehmen müßte, welches wohl nie zu erwarten sein dürfte.“

„Servitutenablösung“ heute?

Die „holzbezugsberechtigte Gemeinde Gerlos“, die nachweislich das Ablösungsangebot im Jahr 1849 nicht angenommen hat, weil die Liegenschaften mit außergewöhnlich hohen Steuerlasten belegt waren, setzt sich aus rund 60 Nutzungsberechtigten zusammen, die samt und sonders Eigentümer von Gerloser Stammsitzen sind. Da gibt es keine “Zugroasten” – es sei denn, sie hätten einen Stammsitz gekauft.
Bemerkenswert ist, wie diese Rechte der Gerloser Stammsitze heute reguliert sind: Die Stammliegenschaftsbesitzer sind berechtigt a) zum Bezug von Bau-, Nutz- und Zaunholz (in fm), b) zum Bezug von Brennholz (in rm), c) zum Bezug von Streu (Ast- und Bodenstreu in rm) d) zur Benützung des Waldbodens, nämlich zum Bezug von Kalkholz, Bau- und Kalksteinen, Sand, Lehm und Schotter; e) zur Ausübung der Weide (Kuhgräser, Schafgräser, usw usf – s Liegenschaft in EZ 51 GB Gerlos ca 7.500 ha).
Seltsam ist, dass „der Kaiser“ nichts vom Substanzrecht der Ortsgemeinde Gerlos wusste, anderenfalls er den Stammliegenschaftsbesitzern doch nicht das Recht einräumen hätte dürfen, Bau- und Kalksteine, Sand, Lehm und Schotter im Staatsforst abzubauen.
Und: Würden diese Rechte heute in Grund und Boden abgelöst, wem würde die Gegenleistung für den Verzicht auf diese „Einforstungsrechte“ wohl zustehen?

Einfach zum Nachdenken

Wenn die Bundesforste AG in der Katastralgemeinde Gerlos heute den Servitutenablösungsvergleich nachholen könnte, den die ca 60 Gerloser Stammliegenschaftsbesitzer im Jahr 1849 abgelehnt haben, wen würden die Österreichischen Bundesforste wohl in Grund und Boden ablösen?
Antwortvorschlag A: die politische Ortsgemeinde Gerlos
Antwortvorschlag B: die ca 60 Stammliegenschaftsbesitzer
Die richtige Antwort auf diese Frage sollte leicht zu geben sein!

Das Zillertal: Heimat der Verweigerungsgemeinden

Auffällig ist, dass gerade im hinteren Zillertal, das war seinerzeit der Gerichtsbezirk Zell (im Gegensatz zum Gerichtsbezirk Fügen), die Grundbesitzer es relativ oft abgelehnt haben, die mit ihren Stammsitzen verbundenen Forstservituten ablösen zu lassen. Während aus dem Oberland kaum Fälle bekannt wurden, dass eine holzbezugsberechtigte Gemeinschaft das Angebot der Forstservituten-Ablösungs-Kommission endgültig abgelehnt hätte, häufen sich derartige Fälle im hinteren Zillertal.

Aus dem “General Konspekt” vom 11. April 1850

Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall, Berg- und Forstrath, hat im April 1850 einen „General Konspekt“ über die Forstservituten Ablösung im Unterinnthaler Kreise erstellt. Die Verhandlungsergebnisse für den Landgerichtsbezirk Zell fasst er wie folgt zusammen:

Zu X. Forstamt Zell, Landgericht Zell
Abfindungsmodalitäten:
Die Gemeinden 1 bis inklusive 9 (das sind Tux, Finkenberg, Rohrberg, Kaltenbach, Aschau, Gerlosberg, Ramsau, Laimach, Schwendau) sind von der Waldservituten-Ablösungskommission abgefunden worden, die übrigen sind dermalen noch unabgefunden. [Hinweis. Das waren: 10 Distelberg, 11 Hainzenberg, 12 Schwendberg, 13 Zellberg, 14 Zell, 15 Gerlos, 16 Mayrhofen, 17 Brandberg]
Bedeckungsverhältnisse:
Das Landgericht Zell zählt 1842 Familien, 9405 Seelen. Es entfallen 6,5 Klafter rechtlichen Holzbezugs, 21,5 Jauch produktive Waldfläche, 6,3 Klafter gegenwärtigen Ertrages auf die Familie. Es muss sohin zur vollständigen Holzbedeckung der gegenwärtige Ertrag von 0,28 Klafter auf 0,29 Klafter pro Jauch produktiv erhöht werden.
Sonstige Bemerkungen:
ad 2 (Finkenberg): Die unabgefundene Fraktion Dornauberg ist mit ihrem Holzbedarfe von 73 Klaftern gleich wie der Alpholzbezug von dem Ertrage der betreffenden vom Staatswalde bereits in Abschlag gebracht.
ad 3 (Rohrberg): Diese Gemeinde hat eine Taxstreuaushilfe gegen Abgabe von 6 Fichtenstämmen an den Goldbergbau erhalten.
ad 6 (Gerlosberg): Dieser Gemeinde wurde eine jährliche Schindelholzaushilfe bei erwiesenem Mangel gegen Ersatz der Gestehungskosten oder Stellung eines gleichen Brennholzquantums zugestanden.
ad 9 (Schwendau): Der Holzbedarf der unabgefundenen Gemeindefraktion Mühlau pro 72 Klafter ist samt dem Alpholzbezuge von dem Ertrage der betreffenden reservierten Staatswälder bereits in Abzug gebracht.
ad 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9 (das sind Finkenberg, Kaltenbach, Aschau, Gerlosberg, Ramsau, Laimach, Schwendau): Diese Gemeinden haben die bisher entrichteten Forstgebühren kapitalisch abgelöst.”

(General Konspekt über die Forstservituten Ablösung im Unterinnthaler Kreise, vom 11. April 1850,
Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall, Berg- und Forstrath)

Aus dem Kommissions-Protokoll vom 21. Dezember 1849

Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall, Berg- und Forstrath, gibt im Protokoll, welches die Komissionsglieder über die im Landgericht Zell abgeschlossenen Vergleiche am 21. Dezember 1849 aufgenommen haben, interessante Erklärungen zur Kommissionsarbeit im hinteren Zillertal:

Das Zillertal gehörte ehedem zum salzburgischen Gebiete. – An die Stelle der Verleihwaldungen, wie sie im Unterinnthale vorkommen, sind hier die sogenannten Freigelacke getreten, welche sich jedoch von den erstern bloß durch die Benennung unterscheiden. Es sind dies nemlich größtentheils aufgetheilte Waldungen, für welche die Theilinhaber den Kaufgroschen und für Verkaufsholz eine bestimmte geringe Abgabe an die Forstkasse entrichten. Von der Forsteigenth: Purif: Komission theils bedingt gegen Fortentrichtung der Forstpreise, theils unbedingt anerkannt, war es hier wie dort Aufgabe der Ablösungs Komission, die mit Waldtheilen entweder gar nicht versehenen, oder mit denselben nur unvollständig gedeckten Eingeforsteten zu befriedigen und nebenbei die kapitalische Ablösung der bisher entrichteten Forstpreise zu bewirken.
Die Verfolgung beider dieser Zwecke stieß jedoch hier auf ganz besondere Schwierigkeiten.
Die Viehzucht, welche im Zillerthal in den ausgedehntesten Maßen betrieben wird, indem sich der Viehhandel bis nach Russland erstreckt – hat einen so übermäßigen Bedarf an Waldstreu hervorgerufen, daß die Gewinnung derselben nur mehr mit dem größten Nachtheil für den Wald statt finden kann, wovon die bis auf die Wipfeln verstümmelten Bäume einen traurigen Beweis geben.
Diesem unwirthschaftlichen Gebaren in den freigelackten Waldungen, die mehr oder weniger als Privateigenthum betrachtet wurden, Einhalt zu thun, ist bisher trotz allen Bemühungen nicht gelungen, und so mußte sich die schädliche Rückwirkung auf den Holzertrag bald zum Nachtheil der übrigen Staatswälder geltend machen. Die Streugewinnung von den letztern Wäldern fernzuhalten, war man schon längst nicht mehr im Stande, nun ließen sich auch die genehmigten Holzbedürfnisse nicht mehr abwehren, und also kam es, daß gegenwärtig ausser in einigen entferntern Thälern, wie das Gerloser und Dornauberger Thal oder dem Zillergrund, – fast alle Staatswaldungen durch die Bedürfnisse der Unterthanen so belastet sind, daß ein Holzbezug zu Aerarial Zwecken schon seit Jahren nicht mehr statt finden konnte, und auch für die Zukunft nicht zu erwarten stand.
Da nun überdies die Wälder in diesen Landestheilen vom Staate versteuert werden, und in demselben Maße mit Gemeinde Wüstungen belegt sind, so hat das Aerar für den größten Theil der Waldungen nur Lasten zu tragen, ohne irgend einen Vortheil zu geniessen.
Aber selbst die entfernteren Thäler und Gründe bleiben nicht fern von jeder Belastung, indem die Gemeinden häufig Bauholzaushilfen aus denselben erfüllen. Ausserdem haben die größeren Komerzien Gewerbe, namentlich die Sensen Schmiede, ihr Gewerbeholz aus den letztgenannten Wäldern bezogen, ja einige von ihnen sprachen sogar ein Recht zum Holzbezuge gegen den mindern oder höhern Forstpreis an
.”

Auszug aus: Protokoll, welches mit sämtlichen Komissionsgliedern über die Annehmbarkeit der im Landgerichte Zell abgeschlossenen Vergleiche aufgenommen wurde, 21. Dezember 1849,
Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall

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MP

Forstnutzung in Schwendau, Burgstall und Hippach

Auf dem heutigen Gebiet der Ortsgemeinde Schwendau bestanden Mitte des 19. Jahrhunderts folgende Forstverhältnisse: Das Dorf Schwendau und der Weiler Burgstall nutzten jeweils eigene Waldgebiete. Bei den Nachbarn im Weiler Mühlen bestand die Besonderheit, dass diese, obzwar Teil der politischen Gemeinde Schwendau, nach den Forstnutzungsverhältnissen in Gemeinschaft mit den Bewohnern der Nachbargemeinde Hippach standen, damals als „Schwendberg“ bezeichnet. Die Stammliegenschaftsbesitzer von Mühlen nutzten somit ein Gemeinschaftsgebiet mit denen von Hippach, obwohl sie politisch der Gemeinde Schwendau zugeordnet waren.

KEIN ABLÖSUNGSVERGLEICH IN HIPPACH 

Der Forstservituten-Ablösungskommission ist es gelungen, mit Vergleich vom 20. Dezember 1849 die Forstservituten der Schwendauer und der Burgstaller abzulösen. Entsprechend der üblichen Terminologie in diesen historischen Dokumenten wurden die Stammliegenschaftsbesitzer von Burgstall unter der Bezeichnung „Fraktion Burgstall“ erfasst, die aus Schwendau als „Fraktion Schwendau“. Die Stammliegenschaftsbesitzer von Mühlen verhandelten gemeinsam mit denjenigen von Hippach, wo die Kommission erfolglos war. Die Hippacher, einschließlich der Nachbarn von Mühlen blieben deshalb im Staatsforst „eingeforstet“, heute Bundesforste.

Im Bericht der Forstservituten-Ablösungskommission vom 21. Dezember 1849 bemerkte das Kommissionsmitglied Dr. Anton Janiczek, Aushilfsreferent der k. k. tirol. Kammerprokuratur, dazu Folgendes: „Die Sieberlagler Güter, welche nach der politischen Eintheilung zur Gemeinde Laimach gehören, werden ihre bisherigen Einforstungsrechte in Staatswaldungen aus dem Grunde behalten, weil sie die Waldbenützung gemeinschaftlich mit der nicht abgefundenen Gemeinde Schwendberg [heute: Hippach] ausüben, von welcher sie nicht getrennt werden konnten. In derselben Situation befindet sich die Fraktion Mühlen, welche in politischer Beziehung zur Gemeinde Schwendau gehört, aber in den Staatswaldungen gemeinschaftlich mit der Gemeinde Schwendberg eingeforstet ist.“ Die damals bestätigten Einforstungsrechte an den heutigen Bundesforsteliegenschaften auf Gemeindegebiet von Hippach bestehen noch heute. Diese Einforstungsrechte stehen nur den historischen Stammsitzen zu. Gemäß Servitutenpatent von 1853 können Forstnutzungsrechte seit dem Jahr 1853 nicht mehr neu ersessen werden.

SCHWENDAU WIRD 1928 REGULIERT

Im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung wurden die beiden aus dem Ablösungsvergleich vom 20. Dezember 1849 hervorgegangenen Gemeinschaftsgebiete der Schwendauer und der Burgstaller – entsprechend der Bezeichnung im Servituten-Ablösungsvergleich vom 20. Dezember 1849 – unter den Etiketten „Fraktion Schwendau“ und „Fraktion Burgstall“ erfasst. Wegen Unstimmigkeiten bei der Gemeinschaftsnutzung versuchten die Schwendauer beginnend ab dem Jahr 1905 die Aufteilung ihres Gemeinschaftsgebietes zu erreichen. Diese Bemühungen waren jedoch erfolglos. In den 1920er Jahren wurde jedoch nach dem neuen (Tiroler) Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz von 1909 eine Regulierung „als Fraktionsgut“ erreicht. Mit Register der Anteilsrechte vom März 1926 und Generalakt vom 15. September 1928 wurde durch die Agrarbehörde eine Ergänzung der Gemeindeordnung verfügt: Es wurde eine Verwaltung des Gemeinschaftsgebietes getrennt vom Gemeindeeigentum angeordnet, es wurde ein „Fraktionsausschuss“ konstituiert, der den „Schwendauer Wald“ nach den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnung über die Verwaltung des Gemeindegutes verwaltet; als durchführende Organe der Verwaltung habe dieser aus der Mitte der Teilgenossen einen Obmann, einen Obmannstellvertreter und einen Kassier zu bestellen, und zwar für die Dauer der Funktionsperiode des Gemeinderates; dies nach näheren Vorgaben der Agrarbehörde. Schließlich stellte die Agrarbehörde fest, dass „Fraktion Schwendau“ aus einer taxativ aufgezählten Anzahl von Stammsitzliegenschaften des Dorfes Schwendau bestehe; konkret wurden 48 anteilberechtigte Stammsitze festgestellt. Die körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft erfolgte jedoch nicht, weil das Tiroler Teilungs-Regulierungs-Gesetz 1909 dies für Agrargemeinschaften in Gemeindeverwaltung nicht vorgesehen hat.

In Burgstall kam es erst im Jahr 1958 zu Beschwerden der Nutzungsberechtigten und in Konsequenz zur Einleitung der Regulierung. Seitens des bestellten Gemeindevertreters, Bürgermeister Johann Spitaler, wurde am 3. Oktober 1958 im Regulierungsverfahren die Erklärung abgegeben, dass die
Gemeinde Schwendau keinen Anspruch auf Nutzung des Burgstallwaldes erhebe und dass zugestimmt werde, wenn kein Anteilsrecht zuerkannt werde. Mit Bescheid vom 12. August 1959 wurde entschieden, dass neun Stammsitze in Burgstall, nicht jedoch die Ortsgemeinde Schwendau, anteilberechtigt wären. Diese Feststellungen wurden im Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Burgstall vom 27. Februar 1967 wiederholt. Unter einem hat die Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse am Gemeinschaftsgebiet der Burgstaller entschieden. Das Gemeinschaftsgebiet der Burgstaller wurde als Eigentum der Agrargemeinschaft Burgstall festgestellt. Das Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz 1909 war in der Zwischenzeit vom Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 1935, und dieses vom Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 1952 abgelöst worden. Eine bestehende Gemeindeverwaltung war danach kein Hindernis mehr für die körperschaftliche Einrichtung einer Agrargemeinschaft.

ATYPISCHE FRAKTION BURGSTALL

Auf Grund dieser geänderten Rechtslage kam es bei Agrargemeinschaft Schwendau im Jahr 1964 zu einer Revision des Regulierungsplanes; auch Agrargemeinschaft Schwendau wurde als juristische Person „körperschaftlich eingerichtet“. Unter einem hat die Agrarbehörde auch im Fall des Schwendauer Gemeinschaftsgebietes über die Eigentumsverhältnisse entschieden. Auch hier wurde die Agrargemeinschaft als Eigentümerin festgestellt.

Mit Erkenntnis vom 5. April 2012 hat der Landesagrarsenat in Tirol befunden, dass Agrargemeinschaft Schwendau nicht aus „Gemeindegut“ reguliert wurde; der Ortsgemeinde Schwendau steht danach kein Substanzrecht am Regulierungsgebiet zu. Im Fall von Agrargemeinschaft Burgstall entschied dieselbe Behörde mit Erkenntnis vom 26. April 2012, dass eine Regulierung aus „Gemeindegut“ vorliege. Im Fall der ehemaligen Fraktion Burgstall stehe deshalb – anders als im Fall der ehemaligen Fraktion Schwendau – der Ortsgemeinde Schwendau heute das Substanzrecht am Regulierungsgebiet zu. Burgstall ist demnach eine „atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft“; die Burgstaller Stammliegenschaftsbesitzer fungieren demnach als „Hausmeister der Ortsgemeinde“, die „Gemeindesubstanz“ verwalten. Seit 1. Juli 2014 verfügt in allen Angelegenheiten der bestellte Staatskommissar der Ortsgemeinde Schwendau, der „Substanzverwalter“. Die Schwendauer sind dagegen als wahre Eigentümer ihres Gemeinschaftsgebietes anerkannt.

Diese Erkenntnisse des Landesagrarsenates Tirol zu den Gemeinschaftsliegenschaften von Schwendau und Burgstall sind in konsequenter Anwendung der Grundsatzentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom Juni 2011 gefällt worden. Danach ist es für die Feststellung von „atypischem Gemeindegut“ ohne Bedeutung, wer der wahre Eigentümer des Regulierungsgebietes ursprünglich gewesen ist. Entschieden wird vielmehr danach, ob die Agrarbehörde seinerzeit eine „Gemeindeguts- bzw. Fraktionsgutqualifizierung“ vorgenommen hat oder nicht. Eine solche Gemeindegutsqualifizierung soll bei den Burgstallern erfolgt sein, bei den Schwendauern hingegen nicht. Dass das agrargemeinschaftliche Eigentum der ehemaligen Fraktion Burgstall aus demselben Servituten-Ablösungsvergleich hervorging wie dasjenige der Schwendauer, ist laut höchstgerichtlicher Erkenntnis irrelevant.

Gedingstatt Zams

What the hell
is „Gedingstatt“?

 

Steinhaufen,
bis zum Himmel

 

Almböden,
Jahrhunderte gepflegt

 

Menschen,
die hart arbeiten

 

Gedingstatt ist eine
Agrargemeinschaft!

 

Gedingstatt Zams

Gedingstatt Zams, das sind ca. 5400 ha atemberaubende Felskulisse mit eingestreuten Weide- und Waldflächen, in Summe ein rundes Dutzend Almen, die seit Jahrhunderten von den Nachbarn von Angedair, Schönwies, Zams und Zamerberg gemeinsam bewirtschaftet werden. Neun Almgebäude werden für den Almbetrieb erhalten, von denen drei mit Solarenergie ausgestattet sind. Rund 40 Kilometer Wege und Stege führen durch das Gebirge, damit das Vieh sicher auf-, ab- und umgetrieben werden kann. Das Alter der Agrargemeinschaft lässt ihr Name erahnen: Im Begriff „Gedingstatt“ steckt der altdeutsche Begriff „Thingstatt“ = Gerichtsstätte, wo sich Mitglieder der Gerichtsgemeinde versammelten, um Recht zu sprechen. Im Stanzertal existiert ein Pendant dazu: das „Zweidrittelgericht Landeck“. Im Zuge der „Tiroler Forstregulierung“ wurden die Eigentumsverhältnisse am Gemeinschaftsgebiet der „Gedingstätter“ überprüft: Es wurde Privateigentum bestätigt („purifiziert“). Die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichts Landeck nennt als Rechtsgrundlage einen Grenzmarkbrief vom Jahr 1452 sowie Kaufverträge vom 25. März 1536, 20. September 1806 und 28. Oktober 1816. Die Grundbuchanlegung hat im Jahr 1925 lediglich „Ersitzung“ und einen Kaufvertrag vom 30. November 1925 als Eigentumstitel angezogen. In den Augen der Grundbuchanlegungsbeamten erschien die „Gedingstatt“ als ein Verband, bestehend aus „der Gemeinde Schönwies und den den Gemeindefraktionen Zams, Zamerberg und Angedair“.

Hans Portner, Dorfvogt
Bevollmächtigter des “Dingstuhls zu Zams”

Wie dieses Gebilde nach historischem Recht organisiert war, lässt ein Kaufvertrag erahnen, der im Gemeindearchiv von Zams, „Archiv Madau“, verwahrt wird. Am 25. März 1536 kaufte der Bevollmächtigte des „Dingstuhls zu Zams“, Hans Portner, Dorfvogt zu Zams, um 175 Gulden von Christian Gramayser und seiner Ehefrau Barbara den Röthof im Röttal, das „Bau- und Lehenrecht der Behausung, Hofmark, Stück und Güter in Madau“. Die Urkunde wurde von Thomas Schweitzer, Richter zu Landeck, gesiegelt. Demnach war ein „Dingstuhl zu Zams“ im 16. Jahrhundert als eine juristische Person anerkannt, die durch einen Vertreter Kaufgeschäfte tätigen konnte. Der Rechtsbegriff „Agrargemeinschaft“ zur Bezeichnung solcher Gebilde hat erst im 20. Jahrhundert breiteren Eingang in die Rechtssprache gefunden. Früher nannte man diese Gebilde einfach „Gericht“, häufiger „Gemeinde“ oder eben „Gedingstatt“ – jeweils in Verbindung mit dem Namen der betreffenden Nachbarschaften. Die falsche Rechtsauffassung der Grundbuchanlegungsbeamten aus dem Jahr 1925, wonach die Eigentümerin ein „Gemeindeverband“ sei, der aus der Gemeinde Schönwies und den Gemeindefraktionen Zams, Zamerberg und Angedair bestehen soll, konnte an den wahren Rechtsverhältnissen nichts ändern.

 

Max Paua

Eine Gemeinde, drei Entscheidungen

In Obertilliach (Bildrechte: Osttirol Werbung) hat die Suche der Tiroler Agrarbehörde nach dem sogenannten „atypischen Gemeindegut“ gar verwunderliche Ergebnisse hervorgebracht:
Obwohl alle Nachbarn in der Gemeinde seit Menschengedenken Alm, Wald und Weide in gleicher Art und Weise nutzen, soll eine der drei Agrargemeinschaften, nämlich die der Nachbarn von Bergen, zu 100 % aus „atypischem Gemeindegut“ bestehen, diejenige der Nachbarn von Leiten teilweise, während die dritte, nämlich diejenige der Nachbarn von Dorf mit Rodarm, keinerlei „atypisches Gemeindegut“ aufweist. Agrargemeinschaft Dorf mit Rodarm ist zu 100 % „gemeindegutsfrei“. Drei Agrargemeinschaften gibt es im Dorf; drei Mal wurde unterschiedlich entschieden: Die Nachbarn von Dorf und Rodarm behalten das gesamte Gemeinschaftsgut; die Nachbarn von Leiten behalten ein bisschen davon; die Nachbarn von Bergen verlieren das gesamte Gemeinschaftsgut.
Warum das so sei, fragen wir Herrn LH Günther P? „Von wegen der unterschiedlichen historischen Qualifizierung durch die Agrarbehörde!“ Die Nachbarn von Obertilliach haben jedenfalls nicht verstanden, warum eine angebliche „Qualifizierung“ durch die historische Agrarbehörde ausschlaggebend dafür sein soll, ob man heute als Dieb behandelt wird oder als Eigentümer.
GEMEINDEGUT-IRRSINN – DREI MAL ANDERS!

Das „atypische Gemeindegut“ ist bekanntlich jenes, wo das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft zusteht, das Substanzrecht jedoch der Ortsgemeinde.

Im Blick auf dieses Substanzrecht der Ortsgemeinde wurde jede der drei Agrargemeinschaften von Obertilliach, das sind die
# Agrargemeinschaft Bergen,
# Agrargemeinschaft Leiten und die große
# Agrargemeinschaft Dorf mit Rodarm,
unterschiedlich beurteilt.
Verwunderlich ist nur, dass die Gemeindebewohner nie etwas davon bemerkt haben, dass bei jeder dieser drei Agrargemeisnchaften ganz unterschiedliche Verhältnisse herrschen.

In Obertilliach hat die Suche der Tiroler Agrarbehörde nach dem sogenannten „atypischen Gemeindegut“ gar verwunderliche Ergebnisse hervorgebracht:
Obwohl alle Nachbarn in der Gemeinde seit Menschengedenken Alm, Wald und Weide in gleicher Art und Weise nutzen, soll eine der drei Agrargemeinschaften, nämlich die der Nachbarn von Bergen mit 25 Mitgliedern, zu 100 % aus „atypischem Gemeindegut“ bestehen, diejenige der Nachbarn von Leiten mit 11 Mitgliedern, soll teilweise aus atypischem Gemeindegut bestehen, während die dritte, nämlich diejenige der Nachbarn von Dorf mit Rodarm mit 70 Mitgliedern, keinerlei „atypisches Gemeindegut“ aufweist.

WO SIND DIE DIEBE AM GEMEINDEGUT?

Agrargemeinschaft Dorf mit Rodarm, die mit Abstand größte Agrargemeinschaft der Gemeinde Obertilliach, ist zu 100 % „gemeindegutsfrei“.
Drei Agrargemeinschaften gibt es im Dorf; drei Mal wurde unterschiedlich entschieden: Die Nachbarn von Dorf und Rodarm behalten das gesamte Gemeinschaftsgut; die Nachbarn von Leiten behalten ein bisschen davon; die Nachbarn von Bergen verlieren das gesamte Gemeinschaftsgut.

Warum das so sei erklären die Juristen der Agrarbehörde folgendermaßen: Anders als der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlg 19.424/2010 angeordnet hat, muss zur Entscheidung über atypisches Gemeindgeut nicht das wahre Eigentum geprüft werden, sondern die „Qualifikation durch die Agrarbehörde„.  Jene Mitglieder, deren Gemeinschaftsgebiet als „Gemeinschaftsgebiet“ „qualifiziert“ wurde, sind frei vom Substanzrecht der Ortsgemeinde; jene Gemeinschaftsgebiete, die als „Gemeindegut“ oder „Fraktionsgut“ qualifiziert wurden, haben nun das Substanzrecht picken. Die Mitglieder verlieren alles – nicht aufgrund einer ernsthaften Prüfung der wahren Eigentumsverhältnisse, sondern wegen einer willkürlichen historischen Zufälligkeit (siehe dazu: VwGH: Buchstabensuppelesen statt Faktencheck!)
„Von wegen der unterschiedlichen historischen Qualifizierung durch die Agrarbehörde!“ Die Nachbarn von Obertilliach haben jedenfalls nicht verstanden, warum eine angebliche „Qualifizierung“ durch die historische Agrarbehörde ausschlaggebend dafür sein soll, ob man heute als Dieb behandelt wird oder als Eigentümer.

EINHEITLICHE BEURTEILUNG IN DER VERGANGENHEIT

Es ist nachvollziehbar, dass diese unterschiedliche Behandlung bei den betroffenen Grundbesitzern in Obertilliach auf wenig Verständnis stößt. Eine so unterschiedliche Beurteilung der Gemeinschafts­liegenschaften in Obertilliach hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. In den 1940er Jahren hatten sich die Nachbarn von Obertilliach gemeinschaftlich beschwert, weil ihre Gemeinschaftsliegenschaften durch die neue Nazi-Führung enteignet wurden. Auf der Grundlage einer „Niederschrift vom 07. April 1939“ war bei allen drei agrargemeinschaftlichen Liegenschaften die „Gemeinde Obertilliach“ im Grundbuch als Eigentümerin einverleibt worden; die Obmänner der Agrargemeinschaften hatten alle Verwaltungsunterlagen, die Bankguthaben und die Handkasse dem Bürgermeister zu übergeben. Mit ihrer Beschwerde über diese Enteignung waren die Obertilliacher nicht alleine. Ganz Osttirol war auf den Beinen, als nach Einführung der Deutschen Gemeindeordnung zum

1. Oktober 1938 die Bürgermeister in Wald und Feld das Kommando übernehmen sollten. Der Kärntner Agrarjurist Dr. Wolfram Haller, der noch unter NS-Herrschaft mit der Untersuchung dieser Vorgänge in Osttirol beauftragt war, berichtete dazu Folgendes: „Bitter wirkte sich die enge Verbundenheit der Agrargemeinschaften als Fraktionen mit der Gemeinde im Agrarbezirk Lienz aus. Ein aus dem Altreich gekommener Landrat, der mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut war, löste sofort alle Fraktionen auf Grund der Einführungsverordnung zur Dt. Gemeindeordnung auf und führte die Fraktionsgüter ins Vermögen der Gemeinden über. Dadurch entstand eine derartige Unruhe unter den Bauern, dass sogar das Reichssicherheitshauptamt in Berlin Erhebungen pflegen ließ. Eine Abordnung Tiroler Bauern unter Führung des vulgo Plauz in Nörsach kam zu mir nach Villach und bat dringend um Hilfe. Plauz erklärte, dass eher Blut fließen werde, als dass sich die Bauern ihre alten Rechte nehmen ließen.“

DR. WOLFRAM HALLER PRÜFTE

Dr. Wolfram Haller hat in der Folge auch in Obertilliach die Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften geprüft. In seinem Bericht vom 31. Dezember 1941 schrieb er dazu Folgendes: „Gemeinde Obertilliach: Eine Verhandlungsniederschrift wurde nicht aufgenommen, da der Bürgermeister erklärte, seine Stellungnahme erst nach reiflicher Überlegung abgeben zu können. Mit Schreiben vom 11. November 1941 hat dann der Bürgermeister mitgeteilt, dass der Gemeinderat grundsätzlich bereit ist, den als Gemeindegliedervermögen eingezogenen Grundbesitz der ehemaligen Fraktionen Leiten, Bergen und Dorf mit Rodarm wieder auszuscheiden. Die Voraussetzungen hiefür sind gegeben. Über Einschreiten des Landrates wurde aufgrund der Verhandlungsniederschrift vom 7. April 1939 die Liegenschaft in EZ 14 II, 15 II und 72 II der KG Obertilliach als Gemeindegliedervermögen übernommen, da grundbücherlich die Fraktionen Bergen, Leiten bzw. Dorf mit Rodarm als Eigentümer einverleibt waren. Es liegt eine unrichtige Eintragung bei der Grundbuchsanlegung vor. Diese Liegenschaften gehörten nach ihrer geschichtlichen Entwicklung Agrargemeinschaften.“

Im Sommer 2012 hat o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber, Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz, im Auftrag der Tiroler Landesregierung die Vorgänge in Osttirol während der NS-Herrschaft untersucht und die historischen Grundlagen nachvollzogen. Im Osttiroler Lesachtal, mit den Ortsgemeinden Kartitsch, Obertilliach und Untertilliach, war zu berücksichtigen, dass diese Landesteile ehemals dem Bistum Brixen zugeschlagen waren, das dort die grundherrschaftlichen Rechte ausübte. Roman Sandgruber führt dazu in seinem Gutachten vom Oktober 2012 Folgendes aus: „Bei den bischöflichen Mensalwaldungen wurden die Einforstungsrechte durch die Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungskommission behandelt. Wie aus den Servitutenoperaten der Gemeindebereiche Assling, Anras, Obertilliach und Untertilliach hervorgeht, erfolgte die Ablösung der Holzbezugsrechte in der Weise, dass durch Sachverständige der durch die Eigenwälder nicht befriedigte Haus- und Gutsbedarf der berechtigten Güter erhoben und die zur Deckung dieses Abgangs benötigte Waldfläche ins Eigentum der Berechtigten abgetreten wurde. In den Servitutenoperaten im Bereiche der Gemeinde Obertilliach wurde vorerst das Eigentumsrecht an den früheren Staatswaldungen im Vergleichswege dadurch bereinigt, dass die fürst-bischöfliche Mensa zu 2/3 und die Gemeinde Obertilliach auf Grund der kaiserlichen Entschließung vom Jahre 1847 als Rechtsnachfolgerin des Forstärars zu 1/3 als eigentumsberechtigt anerkannt wurden. Im Erkenntnis der Grundlasten-Ablösungs- und Regulierung-Landeskommission vom 25. April 1868 Nr. 180/13 wurde sodann ausdrücklich festgestellt, dass die Gutsbesitzer die Rechte ohne Rücksicht auf die Gemeinde oder den Fraktionsverband, sondern lediglich als Eigentümer bestimmter Güter ausgeübt haben, daher die Rechte sich als wirkliche Servituten darstellen.“

PROFESSOR SANDGRUBERS URTEIL

Roman Sandgruber in seinem Gutachten vom Oktober 2012 weiter: „Als Beispiel sei die Fraktion Leiten und Bergen gewählt: Unter den berechtigten Gütern, deren Servitutsrechte durch Abtretung von Grund und Boden abgelöst wurden, erscheinen im Erkenntnis außer den Höfen, Gebäulichkeiten, Wege und Brücken der Ortschaften Bergen und Leiten. Es heißt in der Urkunde: ‚Die abgetretenen Waldpartien, welche zur Deckung des Holz- und Streubezugs für die bisher herrschenden Anwesen der Fraktion Leiten und Bergen bestimmt sind, haben ein Zugehör dieser Güter zu bilden. Die den Hofbesitzern von Leiten, dann den Hofbesitzern von Bergen abgetretenen Waldungen bilden zwar ein gemeinschaftliches Eigentum, jedoch der ideelle Anteil eines jeden Mitbesitzers wird in seiner Intensität durch das festgestellte Bedarfsquantum an Holz und Streu geregelt und formiert, worauf bei einer künftigen Aufteilung eine entscheidende Rücksicht zu nehmen ist.‘ Diese als ‚Fraktion Leiten‘ bezeichnete moralische Person wurde sowohl im Erkenntnis der Grundlasten-Ablösungs- und Regulierung-Landeskommission vom 25. April 1868 wie auch im Regulierungsvergleich vom 7. Jänner 1891 ausdrücklich als ‚Nachbarschaft‘ bezeichnet. In ganz gleicher Weise wurden die Servitutsrechte im Bereich der Gemeinde Untertilliach behandelt. Das galt für alle von der fürst-bischöflichen Mensa abgetretenen Wälder.“

Professor Sandgruber bestätigte somit aus heutiger Sicht die Beurteilung durch den Agrarjuristen Dr. Wolfram Haller. Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften in Bergen und Leiten, Gemeinde Obertilliach, waren die jeweiligen Nachbarschaften der Grundeigentümer in der Gemeinde. Dass trotz dieser eindeutigen Expertise zu den wahren Eigentumsverhältnissen in Leiten und Bergen einmal teilweise, einmal zur Gänze auf „atypisches Gemeindegut“ entschieden wurde, ist Folge der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, welche die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 10. Dezember 2010 systematisch ignoriert und die Beweisführung zu den wahren Eigentumsverhältnissen einfach ausschließt.

ATYPISCH-TYPISCH TIROL

Bekanntlich hat der Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass nicht die wahren Eigentumsverhältnisse den Ausschlag geben, sondern eine „Qualifizierung durch die Agrarbehörde“. „Atypisches Gemeindegut“ sei heute anzunehmen, wenn die historische Agrarbehörde ein „Gemeindegut“ oder ein „Fraktionsgut“ angenommen habe. Eine solche Entscheidung der Behörde sei wegen Rechtskraft heute unbekämpfbar und unüberprüfbar. Ob diese Entscheidung richtig war oder falsch, sei irrelevant – Rechtskraft heile alle Mängel. Dazu der Verwaltungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 30. Juni 2011 Zl 2010/07/0075: Es „erübrigt sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfene rechtshistorische Fragestellungen. Darauf, ob die entscheidungswesentliche Feststellung im Bescheid vom 17. Juni 1949 zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“

Diese Rechtsauffassung ist für einen Rechtsstaat inakzeptabel; dies aus mehreren Gründen. Schwer ins Gewicht fallen vor allem zwei Argumente: Zum einen, dass der Verfassungsgerichtshof zu eben dieser Agrargemeinschaft Unterlangkampfen rund sechs Monate zuvor am 10. Dezember 2010 in seinem „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ VfSlg 19.262/2010 ausgesprochen hat, dass im historischen Tiroler Flurverfassungsrecht der Begriff „Gemeindegut“ im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde. Die heutige Schlussfolgerung von historischem Gemeindegut auf historisches Eigentum einer Ortsgemeinde sei deshalb ein Trugschluss. Zum anderen, dass die historische Agrarbehörde bei der Annahme von „Gemeindegut“ oder „Fraktionsgut“ keinesfalls konsequent vorgegangen ist. Aus historischer Sicht war die Entscheidung für ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ absolut untergeordnet. Wesentlich war, was im Regulierungsverfahren bezüglich der Eigentumsverhältnisse vereinbart und bescheidmäßig umgesetzt wurde. Die heutige Auslegung der historischen Bescheide anhand einer Rechtsauffassung, die vom damaligen Flurverfassungsrecht nicht gedeckt war, führt deshalb zu inhaltlich falschen, willkürlichen Ergebnissen. Dies zeigt sich deutlich, wenn man die heutige „Gemeindegutsbeurteilung“ von Agrargemeinschaften mit gleicher oder ähnlicher historischer Entwicklung vergleicht.

 

Max Paua

Zwei Agrargemeinschaften in Niederthai

Blick auf Niederthai, Umhausen, und seine Gemeinschaftswälder
Blick auf Niederthai, Umhausen, und seine Gemeinschaftswälder

Niederthai ist eine Ortschaft der Gemeinde Umhausen im Bezirk Imst. Niederthai liegt auf rund 1540 m Seehöhe am Horlachbach oberhalb des Stuibenfalls. Zur Ortschaft gehören neben „Niederthai Dorf“ die Weiler Bichl, Lehen und Überfeld sowie die Rotten Ennebach, Höfle, Sennhof und Tölderboden. Das Tal des Horlachbaches verläuft in Niederthai von Osten nach Westen. Der Horlachbach trennt den Wald in eine Sonnseite und eine Schattseite; letztere wird im Ötztal „Neaderseite“ genannt. Die Niederthaier haben es sich einfach gemacht: Den Wald auf dem südseitigen Hang nennen sie seit jeher den „Neaderwald“; denjenigen am Nordhang „Sonnseite“. In den Wäldern auf beiden Seiten des Tales wurden Anfang des 19. Jahrhunderts sogenannte Waldteilungen durchgeführt. Ein landesfürstlicher Waldmeister hat mit seinen Gehilfen gleichwertige Waldstücke ausgewiesen, die dann den einzelnen Nachbarn zugelost wurden. Deshalb werden diese Waldteile heute noch „Lusse“ genannt.

Ob ursprünglich alle Hofstellen von Niederthai sowohl im Neaderwald als auch sonnseitig beteiligt waren, könnte anhand dieser Waldteilungsprotokolle nachvollzogen werden. Auf den Zeitpunkt der Regulierung der beiden Gemeinschaftswälder als Agrargemeinschaften Anfang der 1980er Jahre wurden jedenfalls unterschiedliche Beteiligungsverhältnisse festgestellt: Für den „Neaderwald“ hat die Agrarbehörde im Februar 1982 35 mitberechtigte Liegenschaftsbesitzer festgestellt. Diese wurden als „Agrargemeinschaft Neaderseite-Niederthai“ organisiert. Für den „Sonnseitenwald“ wurden knapp ein Monat später, im März desselben Jahres, 30 Mitberechtigte festgestellt. Diese wurden als „Agrargemeinschaft Sonnseite-Sennhof“ reguliert. Mehr als die Hälfte der Mitglieder von Agrargemeinschaft Sonnseite-Sennhof wurden gleichzeitig als Mitglieder der Agrargemeinschaft Neaderseite festgestellt.

GLEICHES MUSS …

Die Grundbuchanlegung in der Katastralgemeinde Umhausen datiert in den wesentlichen Teilen vom August 1909. Die Gemeinschaftsliegenschaften auf der „Neaderseite“ wurden unter der Eigentümerbezeichnung „Fraktion Niederthay Neaderseite“ erfasst; diejenigen auf der Sonnenseite unter der Eigentümerbezeichnung „Fraktion Niederthay Sonnseite“. Bei beiden Liegenschaftskomplexen hatte die Grundbuchanlegung den identen Eigentumstitel angezogen und im sogenannten Hauptbuch der Grundbuches Folgendes vermerkt: „Aufgrund der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli, verfacht 12. September 1848, wird das Eigentumsrecht für die Fraktion Niederthay Neaderseite (Fraktion Niederthay Sonnseite) einverleibt.“ Im Zuge des agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens, abgeschlossen im Februar 1982 (Agrargemeinschaft Neaderseite) sowie März 1982 (Agrargemeinschaft Sonnseite), hat die Agrarbehörde einheitlich für beide Regulierungsfälle entschieden, dass die jeweiligen Liegenschaften Eigentum der Agrargemeinschaften seien. Der Ortsgemeinde Umhausen wurde in beiden Fällen kein Anteilsrecht an den Agrargemeinschaften zuerkannt.

Aufgrund einer (scheinbar) identen Ausgangslage würde man sich erwarten, dass beide Liegenschaften im Blick auf die Suche nach „atypischem Gemeindegut“ im Tiroler Agrarstreit einheitlich beurteilt würden. Beide Waldstücke scheinen dieselbe Eigentumsgeschichte zu haben und die Personengruppe, die diese Waldstücke „seit Menschengedenken“ genutzt hat, überschneidet sich gut zur Hälfte. Der offenkundige Unterschied, dass der eine Wald auf der Schattseite des Tales gelegen ist und der andere auf der Sonnseite, kann rechtlich nicht ins Gewicht fallen. Der Landesagrarsenat hat dies anders gesehen. Ident beurteilt wurden nur die aufgeteilten Waldstücke, die sogenannten „Teilwälder“, unterschiedlich dagegen die ungeteilten Waldstücke. Im Fall von Agrargemeinschaft Neaderseite soll diesbezüglich Gemeinschaftseigentum vorliegen, im Fall von Agrargemeinschaft Sonnseite hingegen „atypisches Gemeindegut“.

… GLEICH BEHANDELT WERDEN 

Warum dies so sei, begründete der Landesagrarsenat folgendermaßen: Mit agrarbehördlichem Bescheid vom 23. Februar 1982 sei in Ansehung genau bezeichneter Grundstücke der Liegenschaft in EZ 987 Grundbuch Umhausen (Agrargemeinschaft Neaderseite) die Eigenschaft als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 33 Abs. 1 lit. b (Gemeinschaftsgut) und Abs. 2 lit. d (Teilwälder) TFLG 1978 festgestellt worden. Das festgestellte Gemeinschaftsgut sei jedoch kein ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde oder politischen Ortsfraktion. Anders dagegen die Grundstücke der Agrargemeinschaft Sonnseite in EZ 711 Grundbuch Umhausen: Diesbezüglich hätte die Agrarbehörde mit Bescheid vom 26. März 1982 entschieden, dass es sich um Grundstücke im Sinn des § 33 Abs. 2 lit. c (Gemeindegut) und § 33 Abs. 2 lit. d (Teilwälder) TFLG 1978 handle. Die jeweilige historische Entscheidung der Agrarbehörde – der Landesagrarsenat spricht von einer „Qualifizierung“ der Liegenschaften – sei heute maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob sogenanntes „atypisches Gemeindegut“ vorliege oder nicht. Wegen dieser „Qualifizierung“ durch die Agrarbehörde im seinerzeitigen Regulierungsverfahren sei im Fall von Agrargemeinschaft Sonnseite eine verfassungswidrige Eigentumsübertragung anzunehmen. Dies mit der Konsequenz, dass die beteiligten Hofbesitzer nur mehr ihren aktuellen Naturalbedarf decken dürfen, während alle anderen Erträge aus den ungeteilten Liegenschaften dem Staat zufallen.

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat sich die Überprüfung der Regulierungsfälle der Vergangenheit vermutlich anders vorgestellt. „Atypisches Gemeindegut“ entsteht bekanntlich als Folge einer rechtswidrigen Wegnahme von Gemeindeeigentum. Die entscheidende Frage, ob die Agrarbehörde in der Vergangenheit eine Ortsgemeinde rechtswidrig um ihr Gut gebracht hat oder ob durch die Agrarbehörde das Grundbuch richtig gestellt wurde, kann nur anhand der Eigentumsgeschichte der betreffenden Liegenschaft geklärt werden. Diese Eigentumsgeschichte der einzelnen Liegenschaften wäre zu überprüfen gewesen. Wer glaubt, er würde in den seinerzeitigen Erkenntnissen der Agrarbehörde den entscheidenden Hinweis finden, ob die Behörde seinerzeit richtig oder falsch entschieden hat, geht in die Irre.