„Mein Interesse für die Geschichte hat mich gelehrt, einem Hype um ganze Bevölkerungsgruppen, die ihren Besitz gestohlen haben sollen, mit Misstrauen zu begegnen. Wann immer in der Vergangenheit Vergleichbares verbreitet wurde, dann war diese Botschaft eine krumme Tour der Mächtigen, die sich fremdes Gut aneignen wollten.
Die Grundbesitzer in Tirol sind heute in der Lage von unbescholtenen Bürgern, die vom Gericht ohne Beweisaufnahme als Dieb verurteilt werden. Diese unbescholtene Bürger werden als Diebe behandelt, weil die Urkunden, die das Eigentumsrecht beweisen, vom Gericht als Beweismittel nicht zugelassen werden!
Bedauerlicher Weise war in Österreich das Urteil über die Tiroler Stammsitzeigentümer bereits gefällt, noch bevor das Mieders-Erkenntnis vom Juni 2008 zugestellt war. Abhilfe kann nur der Spruch einer internationalen Instanz schaffen!“
Bernd Oberhofer
Jahrgang 1961,
geboren in Lienz/Osttirol, verheiratet, Vater zweier Kinder.
Volksschule und Realgymnasium in Lienz,
Studium der Rechtswissenschaften an der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck;
1983: Promotion in Innsbruck
1983-1984: Rechtsanwaltsanwärter in Lienz (Dr. Jakob Oberhofer)
1984-1991: Universitätsassistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Innsbruck (Univ.-Prof. Dr. Gerhard Schnorr und Univ.-Prof. Dr. Gustav Wachter),
1991-1994: Rechtsanwaltsanwärter in Innsbruck (Dr. Bernt Strickner, Dr. Gerald Hauska)
1994, Juni: Habilitation im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht 1994, Herbst: Absolvierung der Anwaltsprüfung.
1994, Dezember: Eröffnung der Anwaltskanzlei in Innsbruck.
2014, Dezember: Erwerb des Bauernhofes Maar am Goldberg, Dellach iG, Kärnten, aus Familienbesitz.
2017/2018: Ablegung der Ergänzungsprüfungen für die Rechtsanwaltszulassung in Deutschland.
2018, September: Rechtsanwaltszulassung auch in Deutschlannd.
Univ.-Doz. Dr. Bernd Oberhofer ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Fachbereichen Eigentumsrecht, Schadenersatzrecht, Arbeitsrecht, GmbH-Recht, Arztrecht und Agrarrecht.
Seit Herbst 2008 engagiert sich Univ.-Doz. Dr. Bernd Oberhofer umfangreich für die Sache der Tiroler Grundbesitzer, die unverfroren entschädigungslos enteignet werden sollen. Dass er diese Sache nicht ruhen lassen will hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass er Eigentümer eines Stammsitzes in Kärnten ist, einem Bundesland, wo die Gemeinden nicht als Wald- und Almbesitzer begegnen. In Kärnten existiert kein Gemeindegut, sondern lediglich „Gemeinschaftsgut“.
Als die Presseberichterstattung 2008 einen angeblichen „Raub“ der Tiroler Bauern am Gemeindeeigentum zum beherrschenden Thema machte, verfestigte sich seine Überzeugung, dass bei der Tiroler Grundbuchanlegung einiges falsch gelaufen sein musste. Es war ihm schleierhaft, wie Ortsgemeinden ein Eigentum an einer Alm ersitzen konnten, wenn über Jahrhunderte nur eine Gemeinschaft von Auftreibern Besitz ausgeübt hatte.
Ersitzung setze die Nutzung des Eigentums voraus – Nutzung in der redlichen Überzeugung, Eigentümer zu sein. Eine politische Ortsgemeinde hätte aber schon theoretische Probleme, diese Voraussetzungen zu erfüllen, weil eine Ortsgemeinde als Viehauftreiberin nicht in Frage kommen kann. Ortsgemeinden sind und waren keine Eigentümer von überwinterten Rindviehern!
Entsprechend schnell verfesstigte sich bei Univ.-Doz. Dr. Bernd Oberhofer die These, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung, die erst Ende des 19. Jhds in die Gänge kam, rechtsirrig Gemeindeeigentum angenommen wurde, wo in Wahrheit Gemeinschaftseigentum der Hofbesitzer vorlag. Das „atypische Gemeindegut“und das „Substanzrecht“ der Ortsgemeinde erweisen sich vor diesem Hintergrund als bloße Erfindungen zur Enteignung tausender Tirolerinnen und Tiroler – so Oberhofer an die Adresse der Tiroler Landespolitik.
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Erfunden zur Enteignung?
Interview mit Univ.-Doz. Dr. Bernd Oberhofer, Innsbruck.
Herr Univ.-Doz. Dr. Oberhofer. Warum widmen Sie sich mit solcher Hartnäckigkeit dem bäuerlichen Gemeinschaftseigentum?
Univ.-Doz. Dr. Oberhofer: Am Anfang stand die Neugierde als Wissenschaftler. Bei der konkreten Forschungsarbeit zu den Eigentumsverhältnissen am Tiroler Hochgebirge, am Eigentum der Bundesforste in Tirol, am Eigentum an den ehemaligen Allmenden, aber auch am ausgedehnten Eigentum des Alpenvereins an Hochgebirgsflächen in Osttirol, verfestigte sich sehr schnell der Eindruck, dass in dieser Sache tausenden Tirolerinnen und Tirolern ein Unrecht geschieht.
Was macht Sie sicher, dass hier ein Unrecht zu Lasten der Grundbesitzer geschieht? Der Verfassungsgerichtshof hat doch festgestellt, dass die Agrarbehörde die heutigen Ortsgemeinden „offenkundig verfassungswidrig“ enteignet hat.
Oberhofer: Ich hatte meine Zweifel am agrargemeinschaftlichen Gemeindeeigentum. Dies aus gutem Grund. Mütterlicherseits stammen meine Vorfahren aus Kärnten und ich bin heute Eigentümer eines Kärntner Stammsitzes. Ich wusste Bescheid um die Rechtsverhältnisse in Kärnten. Ein Eigentum der Kärntner Ortsgemeinden an Wäldern und Almen mit Nutzungsrechten der alten Bauerngüter, existiert nicht. Es gibt in Kärnten keine “Gemeindegutswälder” und keine „Gemeindegutsalmen“. Wer dieses Faktum zur Kenntnis nimmt, muss sich die Frage stellen: „Kann es Rechtens sein, dass in Tirol einerseits und in Kärnten andererseits im Verlauf der Geschichte an einer Alm oder an einem Wald vollkommen andere Eigentumsverhältnisse entstanden sind?“
Was hat historisch Tirol mit Kärnten zu schaffen?
Oberhofer: Tirol und Kärnten hatten seit den Meinhardinern einen gemeinsamen Landesfürsten. Seit die Grafen von Görz dem Kaiser Maximilian I. allen Besitz vererbt haben, war alles Land zwischen dem Arlberg und Unterdrauburg (Dravograd, heute Sowenien; damals Kärnten) in der Hand eines Fürsten vereint. Warum gibt es keinen einzigen Hinweis in der Tiroler oder Kärntner Landesgeschichte, dass derselbe Landesfürst in Tirol die Allmenden verstaatlicht hat, in Kärnten dagegen privatisiert?
Man muss deshalb als Arbeitsthese davon ausgehen, dass entweder in Kärnten oder in Tirol bei der Grundbuchanlegung die Gemeinschaftsliegenschaften falsch erfasst wurden!
Gibt es in Kärnten Agrargemeinschaften?
Oberhofer: J. In Kärnten gibt es das Gemeinschaftseigentum in allen Spielarten. Alleine im Bereich der Bergflanke, wo sich der Hof meiner Vorfahren befindet, existiert eine “Nachbarschaft Jauken”, eine “Nachbarschaft St. Daniel-Stollwitz-Höfling”, eine “Nachbarschaft Goldberg” und eine “Nachbarschaft Dellach”; dies neben umfangreichem Individualeigentum an Wäldern. Nie wurde allerdings der Staat in Form einer Fraktion oder einer Gemeinde als Eigentümer angesehen. Immer sind die Kärntner Juristen von Nachbarschaften ausgegangen, die sich aus den alten Stammsitzen zusammensetzen.
Welche Bedeutung hat das für die Tiroler Verhältnisse?
Oberhofer: Wenn man in Erfahrung bringen will, wie sich die Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern und Almen über die Jahrhunderte entwickelt haben, dann muss man gewonnene Forschungsergebnisse mit der Situation in den Nachbarländern laufend abgleichen. Die Situation in Kärnten kann man dabei nicht ignorieren; genauso wenig wie diejenige in Vorarlberg und in Salzburg. Die Kärntner Verhältnisse waren mir freilich bekannt, lange bevor ich über die Tiroler Medien mit einem angeblichen Diebstahl der Tiroler Bauern konfrontiert wurde. Ich vermutete einen Irrtum, der in der Tiroler Grundbuchanlegung wurzelt.
Ist das alles?
Oberhofer: Es gab einen zweiten wesentlichen Gedanken, der meine Arbeitsthese von den unrichtigen Tiroler Grundbüchern beflügel hat: Mein Interesse für die Geschichte! Dieses Geschichtsinteresse hat mich gelehrt, einem Hype um ganze Bevölkerungsgruppen, die ihren Besitz „gestohlen“ hätten, mit Misstrauen zu begegnen. Wann immer in der Vergangenheit Vergleichbares verbreitet wurde, dann war diese Botschaft eine krumme Tour der Mächtigen, die sich fremdes Gut aneignen wollten. Dies kann an zahlreichen Beispielen in der Geschichte belegt werden!
Wie hat sich die Forschungsarbeit entwickelt?
Oberhofer: Noch im Herbst 2008 habe ich im Kreis der Österreichischen Rechtswissenschaftler einen Experten zum Recht der Grundbuchanlegung gesucht. So kam ich in Kontakt mit dem Rechtshistoriker Univ.-Prof. Dr. Gerald Kohl, Universität Wien, der Experte auf diesem Gebiet ist. Zeitgleich habe ich die Universitätsprofessoren für Verfassungsrecht, Theo Öhlinger und Heinz Mayer, ebenfalls Universität Wien, für eine Mitarbeit gewonnen. Weitere Universitätsprofessoren sind hinzugekommen. Unter Mithilfe eines ganzen Teams von Juristen, einschließlich der Rechtshistoriker Gerald Kohl, Werner Orgris, beide Wien, und Markus Steppan, Graz, konnten alle Elemente der Judikatur gegen die Tiroler Agrargemeinschaften als Irrtümer aufgeklärt werden – vom Wesen des “atypischen Gemeindeguts”, bis zu den wahren historischen Eigentumsverhältnissen an den Tiroler Almen und Wäldern.
GUT: Was ist ein „atypisches Gemeindegut“?
Oberhofer: Beim „atypischen Gemeindegut“ handelt es sich um ein rechtliches Konstrukt, das vom Verfassungsgerichtshof erfunden wurde. Bis zum „coming out“ mit dem so genannten „Mieders-Erkenntnis“ im Jahr 2008 hat nie ein Mensch von diesem Unding jemals etwas gehört oder etwas gesehen. Einziger Zweck dieses Rechtskonstrukts ist es, die Agrarier zu enteignen.
Kann man wirklich von einer „Enteignung“ sprechen?
Oberhofer: Ja, das muss man – eine Erfindung zur Enteignung!
Nur der Begriff der „Enteignung“ kann die Vorgänge in Tirol angemessen beschreiben. Und diese Enteignung soll entschädigungslos von Statten gehen. Was in Tirol passiert ist, das widerspricht den fundamentalsten Grundsätzen im Rechtsstaat. Seit vielen Jahrzehnten rechtskräftige Verfahrensergebnisse werden auf den Kopf gestellt und ad absurdum geführt. Ein Eigentum, das seit 30, 50, 70, in Einzelfällen gar seit 90 Jahren durch die Staatsbehörde bestätigt war, wird einfach weggenommen; dies entschädigungslos. Das ist eine Katastrophe für den Rechtsstaat. Tausende Tiroler erleben am eigenen Vermögen eine unglaubliche Staatswillkür.
Können Sie das näher erläutern?
Oberhofer: Seit dem Jahr 1909 existiert in Tirol ein Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz, ein Ausführungsgesetz zum Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz aus dem Jahr 1883. Erst auf der Grundlage dieses Teilungs-Regulierungs-Landesgesetzes konnten auch in Tirol die so gennannten Bodenreformbehörden eingerichtet werden, damals „Kommassionsbehörde“, heute „Agrarbehörden“ genannt. Erst aufgrund des Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetzes von 1909 bestand in Tirol die Möglichkeit, dass die Agrarier ihr gemeinschaftliches Eigentum als juristische Person mit eigenen Organen, als Agrargemeinschaft, organisieren.
Natürlich hat das Agrargemeinschaftsvermögen schon vorher Jahrhunderte lang existiert. Bis zur förmlichen Organisation einer konkreten Agrargemeinschaft haben jedoch die Gemeindeorgane alles verwaltet.
Die Agrarbehörde hat nur auf Antrag der nutzungsberechtigten Mitglieder die Grenzen des Gemeinschaftsgebietes festgestellt, es wurden die mitbeteiligten Personen ermittelt und es konnte über die Anteilsrechte dieser mitberechtigten Personen entschieden werden. Waren die Grundlagen geschaffen, hat die Agrarbehörde geklärt und bescheidmäßig entschieden, wer Eigentümer des Gemeinschaftsgebietes war und ist. Diese Vorgänge haben sich in Tirol seit dem Jahr 1909 hundertfach wiederholt. Genauso übrigens in anderen Bundesländern, wo die Bodenreformbehörden teilweise schon viel früher die Agrargemeinschaften umgegründet haben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass der europäische Gerichtshof für Menschenrechte es nicht zulassen wird, dass mitten in Europa, ausgerechnet in Tirol, ein seit 30, 50, 70, in Einzelfällen gar 90 Jahren unbestrittenes, staatlich anerkanntes Eigentum entschädigungslos weggenommen wird. Der Staat kann seine Bürger zwar enteignen, er darf dies jedoch nicht entschädigungslos machen. Schließlich geht es da nicht um Behördenentscheidungen eines „Unrechtsstaates“, die kurzfristig revidiert werden sollen. Beispielsweise wurde im Jahr 1925 rechtskräftig entschieden, dass die Mutterer Alm Eigentum der Hofbesitzer des Dorfes Mutters ist. Seit 1925 haben diese Hofbesitzer als Agrargemeinschaftsmitglieder über das Eigentum verfügt, sie haben das Risiko und alle Lasten getragen und es standen ihnen deshalb alle Nutzungen und Erträge zu. 90 Jahre später soll der Staat dieses Vermögen entschädigungslos für die Gemeinde Mutters enteignen können? Da werden die europäischen Instanzen nicht mitspielen. Diese Vorgänge sind heute einzigartig in Europa.
Wurden nicht die Ortsgemeinden zuvor entschädigungslos enteignet?
Oberhofer: Bevor man sich der Frage widmet, ob die Agrarbehörden rechtwidrig gehandelt hätten, muss man den rechtsstaatlichen Aspekt des heutigen Eigentumseingriffs richtig würdigen. In all den Verfahren, die heute zur Diskussion stehen, wurde im Zuge der Organisierung der Agrargemeinschaft durch den gesetzlichen Richter entschieden, dass das Eigentum seit jeher der Agrargemeinschaft zustand. Die nach der Verfassung zuständige Instanz, „der gesetzliche Richter“, hat entschieden, dass nur die Agrargemeinschaft Rechtsanspruch auf das Eigentum hat. Und die Agrarbehörden waren und sind bis heute die nach der Bundesverfassung alleine zuständigen Staatsbehörden, um rechtskräftig zu entscheiden, wer Eigentümer einer agrargemeinschaftlich genutzten Gemeinschaftsliegenschaft ist. Dies mit der Wirkung eines Gerichtsurteils! So verfügt es das Agrarbehördengesetz 1950 und so verfügte es das Teilung-Regulierungs-Reichsgesetz 1883 schon vor über 130 Jahren. Es ist deshalb eine Ungeheuerlichkeit für den Rechtsstaat, wenn unanfechtbare, rechtskräftige Entscheidungen der verfassungsmäßig zuständigen Staatsbehörde über die Eigentumsfrage als „offenkundig verfassungswidrig“ hingestellt werden. Unanfechtbare, rechtskräftige Entscheidungen sind als Rechtstatsache anzuerkennen – das ist eines der Fundamente des Rechtsstaates! Nach diesen rechtskräftigen Entscheidungen war eben die politische Ortsgemeinde gerade keine Eigentümerin. Wenn der Verfassungsgerichtshof Jahrzehnte später behauptet, eine solche Entscheidung sei „offenkundig verfassungswidrig“ gewesen, so ist ein solcher Standpunkt eines Gerichtes „offenkundig unwürdig“. Nur völlig uneinsichtige Menschen ignorieren die durch eine rechtskräftige Entscheidung der zuständigen Staatsbehörde geschaffene Wahrheit.
Widerspricht es dem Gesetz unanfechtbare, rechtskräftige Entscheidungen als „offenkundig verfassungswidrig“ hinzustellen?
Oberhofer: Selbstverständlich widerspricht eine solche Rechtsauffassung dem Gesetz. Üblicherweise sind es lediglich wirklichkeitsfremde Realitätsverweigerer, die darauf beharren, dass rechtskräftige Entscheidungen der zuständigen Staatsbehörden „falsch“ gewesen wären. Es ist nämlich das Wesen der Rechtskraft, dass durch dieses Rechtsinstitut Fakten geschaffen werden. Selbst ursprünglich Falsches würde durch Rechtskraft „geheilt“; Rechtskraft schafft Realität – das ist der Kern ihres Wesens. Das ist die Grundlage jeder staatlichen Streitentscheidung. In diesem Sinn ist derjenige, der rechtskräftige Staatsakte als falsch hinstellen will, ein Realitätsverweigerer, dem der Staat selbstverständlich und zu Recht kein Gehör schenkt. Warum dieser Grundsatz zu Lasten der Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder außer Kraft gesetzt wird, vermag niemand zu erklären.
Welche Rechtsfolgen will der Verfassungsgerichtshof aus der „offenkundigen Verfassungswidrigkeit“ ableiten?
Oberhofer: Die offenkundig verfassungswidrige, obwohl rechtskräftige Behördenentscheidung wurde 2008 im Mieders-Erkenntnis des VfGH erfunden. Diese Behauptung nahm der Gerichtshof zum Anlass, eine Uminterpretation dieser “offenkundig verfassungswidrigen” Bescheide zu fordern. Diese Bescheide seien “verfassungskonform auszulegen”. Ergebnis dieser “verfassungskonformen” Neuinterpretation war insbesondere die Behauptung, dass diese Liegenschaften ein „Gemeindegut“ der Ortsgemeinden geblieben wären! Der Trick dabei ist, dass der Verfassungsgerichtshof bereits in älteren Erkenntnissen die Behauptung aufgestellt hatte, dass ein “Gemeindegut” ein Eigentum der Ortsgemeinde sein müsse. Das Wesen des „Gemeindeguts“ sei es, dass dessen Substanz nur einer politischen Ortsgemeinde zustehen könne, weil diese die wahre Eigentümerin war. Dies gelte ungeachtet der rechtskräftigen Entscheidung für ein Eigentum der Agrargemeinschaften. Deshalb soll der Agrargemeinschaft nur ein substanzloses Eigentum zustehen, der Ortsgemeinde hingegen die „Substanz“. Im Ergebnis wurden nur noch den einzelnen Agrariern gewisse Rechte in Form von Nutzungsmöglichkeiten belassen. Alles andere soll in der Verfügung der politischen Ortsgemeinde stehen. Die Ortsgemeinden seien berechtigt und verpflichtet, sich die Substanz und alle Erträgnisse daraus zuzueignen. Das sollen die verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsverhältnisse am „atypischen Gemeindegut“ sein.
Wie kann man Jahrzehnte alten Bescheiden einen neuen Inhalt geben?
Oberhofer: Die historischen Agrarbehörde haben es sich seit Ende des II. Weltkrieges zur Gewohnheit gemacht, ihre Bescheide so abzufassen, dass einleitend ausgesprochen wurde, welche Erscheinungsform eines agrargemeinschaftlich genutzten Gutes vorliege. Diese formelhaften Bescheid-Formulierungen lauten sinngemäß meist so: “Es handelt sich um Gemeindegut und dieses steht im Eigentum der Agrargemeinschaft XY.” Nach der Leseart des Mieders-Erkenntnisses soll der erste Halbsatz ausdrücken, dass ein Eigentum der Ortsgemeinde vorliege, welches Eigentum der Agrargemeinschaft sei. Eine solche Entscheidung sei aber widersprüchlich und deshalb interpretationsbedürftig – so der VfGH im Mieders-Erk. Als Ergebnis einer „verfassungskonformen Interpretation“ dieser angeblich widersprüchlichen Bescheide, entstand das „atypische Gemeindegut“, ein angeblich „substanzloses Eigentum“ der Agrargemeinschaft und eine angeblich „eigentumslose Substanz“ auf Seiten der Ortsgemeinde.
War dieses Interpretationsergebnis überraschend?
Oberhofer: Die Rechtssätze, die der Verfassungsgerichtshof im Mieders-Erkenntnis 2008 neu erfunden hat, waren für den typischen österreichischen Juristen nicht nur überraschend; diese waren geradezu unglaublich! Die unanfechtbaren und rechtskräftigen Ergebnisse der historischen agrarischen Operationen wurden mit diesem Erkenntnis geradezu auf den Kopf gestellt. Das agrargemeinschaftliche Eigentum wurde vollkommen ausgehöhlt. Die Agrargemeinschaftsmitglieder wurden vom Status der Anteilseigentümer auf Nutzungsberechtigte herabgedrückt. Dies ungeachtet des eindeutigen Inhalts der historischen Bescheide, wonach gerade die Agrargemeinschaft Eigentümerin sein sollte. Hinzu kommt jedoch noch ein weiteres, nämlich der inhaltliche Aspekt, die Frage der Gerechtigkeit. Es ist eine Tatsache, dass alle Prämissen des „Mieders-Erkenntnisses“ 2008 schlicht falsch sind. Selbst das Kernargument, wonach den politischen Ortsgemeinden in den Regulierungsverfahren das Eigentumsrecht „offenkundig verfassungswidrig“ aberkannt worden wäre, ist schlich falsch.
Wie wurde die „offenkundige Verfassungswidrigkeit“ begründet?
Oberhofer: Die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofs, wonach die Eigentumsentscheidungen der Agrarbehörde „offenkundig verfassungswidrig“ gewesen wären, wurde abstrakt aus den historischen Gemeindeordnungen abgeleitet. Angelpunkt war der Begriff „Gemeindegut“. Ein „Gemeindegut“ könne – so der Standpunkt des Gerichts – nur eine Eigentum der Ortsgemeinde sein. Deshalb hätte in allen Fällen, wo die Agrarbehörde über ein „Gemeindegut“ entschieden hat, ein Eigentum der Ortsgemeinde vorgelegen. Die historischen Agrarjuristen konnten diese Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes freilich nicht voraussehen. Seit den Anfängen des Agrarrechts in den 1880er Jahren hat man unter dem Begriff „Gemeindegut“ eine Liegenschaft verstanden, deren Rechtsverhältnisse unklar waren, wo niemand genau wusste, wem diese gehört. Und die Agrarbehörden wurden genau deshalb zuständig gemacht: Sie sollten die Beteiligungsverhältnisse festgestellt und über die Eigentumsverhältnisse entschieden. War die Liegenschaft ein Eigentum der Agrargemeinschaft, musste die Behörde in diesem Sinn entscheiden, egal ob diese als ein „Gemeindegut“ bezeichnet wurde oder nicht. Heute wird aus der Bezeichnung „Gemeindegut“ auf ein Eigentum der Ortsgemeinde geschlossen und immer dann eine „offenkundige verfassungswidrige“ Entscheidung unterstellt, wenn für Agrargemeinschaftseigentum entschieden wurde. Methodisch ist diese Vorgehensweise vollkommen unzulässig!
Wie hätte der Verfassungsgerichtshof vorgehen müssen?
Oberhofer: Der Verfassungsgerichtshof hätte zu allererst berücksichtigen müssen, dass der Begriff „Gemeindegut“ von den historischen Agrarbehörden und vom historischen Gesetzgeber in einem ganz anderen Sinn verwendet wurde, als dies der Verfassungsgerichtshof heute tut. Der Begriff wurde von der Behörde verwendet, um Liegenschaften zu bezeichnen, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt und deren Nutzung ungeregelt war. Schon in den 1880er Jahren, als das Teilungs- und Regulierungsrecht ursprünglich geschaffen wurde, ist das vom “Reichsgesetzgeber” klar gestellt worden. So betonte der Bericht des zuständigen Ausschusses des Abgeordnetenhauses, dass die Eigentumsverhältnisse an den so genannten „Gemeindehutweiden und Gemeindewaldungen“ von Fall zu Fall so verschieden und unklar seien und ihre Verwaltung so ungeregelt und wüst, dass es höchste Zeit wäre, diesen Missständen ein Ende zu setzen. Und es wurde immer wieder hervorgehoben, dass das politische Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“ vollkommen ungeregelt lasse. Neue Spezialbehörden sollten über die Rechtsverhältnisse entscheiden – ab besten aufgrund eines Übereinkommens zwischen der politischen Gemeinde und den Mitberechtigten. Hätte der Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung des Mieders-Erkenntnisses die Absichten des Gesetzgebers beachtet, hätte der Gerichtshof keinen Anlass gehabt, die Agrarbehördenbescheide durch verfassungskonforme Auslegung umzuinterpretieren. Weil das Agrarrecht über rund 100 Jahre lang auch ein Eigentum einer Agrargemeinschaft als „Gemeindegut“ verstanden hat, war nichts Widersprüchliches an den Agrarbehördenentscheidungen. Die gesamte Grundlage des Mieders-Erkenntnisses erweist sich damit als nicht tragfähig!
Haben die Agrarier auf diese Umstände hingewiesen?
Oberhofer: Ja, natürlich – aber erst im Nachhinein. Als im Sommer 2010 der erste Forschungsband zum Thema, „Die Agrargemeinschaften in Tirol“, erschienen ist, wo unter anderem sechs Universitätsprofessoren, in insgesamt zwölf Beiträgen die Rechtslage erörtert haben, hat der Verfassungsgerichtshof auch reagiert. Im so genannten „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom Dezember 2010 hat der Verfassungsgerichtshof klar gestellt, dass die Agrarbehörde bei der Entscheidung über die Frage, ob ein „atypisches Gemeindegut“ vorliege, folgendes berücksichtigen müsse:
Der Begriff „Gemeindegut“ hätte im Tiroler Flurverfassungsrecht früher ein Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnet, die Behörde müsse deshalb in jedem Einzelfall die wahren (historischen) Eigentumsverhältnisse prüfen und bei dieser Eigentumsprüfung sei zu Grunde zu legen, dass das Grundbuch die Eigentumsverhältnisse unrichtig wiedergeben könne.
Was ist aus diesem Unterlangkampfen-Erkenntnis geworden?
Oberhofer: Die weitere Entwicklung der Judikatur ist das eigentlich Bitterste am Tiroler Agrarstreit. Rund ein halbes Jahr nach dem „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofs, im Juni 2011, entschied der Verwaltungsgerichtshof in den Fällen von ca 15 Tiroler Agrargemeinschaften. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof das “Unterlangkampfen-Erkenntnis” des Verfassungsgerichtshofes kräftig ignoriert und stattdessen bei der in Wahrheit überholten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im Mieders-Erkenntniss 2008 angeknüpft. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass jede Agrargemeinschaft als ein „atypisches Gemeindegut“ umzuqualifizieren ist, wo im Regulierungsverfahren von einem „Gemeindegut“ ausgegangen wurde. Weder kümmerte den Verwaltungsgerichtshof, dass das Agrarrecht den Begriff „Gemeindegut“ als Bezeichnung für ein Eigentum der Agrargemeinschaft verwendete, noch kümmerte den Gerichtshof, wer im konkreten Einzelfall ursprünglich der wahre Eigentümer war. Die Leitentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wurde zu Agrargemeinschaft Obergarten am 30.06.2011 gefällt. Beinhart führt der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus: Die Rechtskraft der im Regulierungsbescheid getroffenen Feststellung, es liege ein „Gemeindegut“ vor, wirke für die Zukunft und binde auch den Verwaltungsgerichtshof. Darauf, ob diese Feststellung zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung tatsächlich gestalteten und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, würde es daher nicht ankommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat somit am 30.06.2011 exakt das Gegenteil dessen judiziert als der Verfassungsgerichtshof im “Unterlangkampfen-Erkenntnis” vorgegeben hat!
Wie erklärt ein Rechtsanwalt solche Entscheidungen seinen Mandanten?
Oberhofer: Das kann man nur als „politische Entscheidung“ erklären. Mit einer redlichen Suche nach Recht und Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Nachdem die Tiroler Agrargemeinschaften wegen des Mieders-Erkenntnisses der Verfassungsgerichtshofes im Juni 2008 den Nachweis erbracht haben, dass der Begriff „Gemeindegut“ im Agrarrecht ein Eigentum der Agrargemeinschaft bezeichnete und dass die Ortsgemeinden bei der Grundbuchanlegung in Tirol oft zu Unrecht im Grundbuch eingetragen wurden, kommt der Verwaltungsgerichtshof und erklärt, dass das alles niemanden interessiere. Wer Eigentümer war und wer ein Eigentum erworben hätte, spiele keine Rolle. Ein „atypisches Gemeindegut“ besteht angeblich deshalb, weil die historische Agrarbehörde im Regulierungsverfahren die Bezeichnung „Gemeindegut“ wählte – egal ob zu Recht oder zu Unrecht. Maßgeblich sei auch die „Falschbezeichnung“. Es ist unglaublich!
Sind “Falschbezeichnungen” in den Bescheiden unbeachtlich?
Oberhofer: Diese Frage bringt das Problem auf den Punkt. Diese Bescheide waren aus historischer Sicht nicht falsch, weil der Begriff “Gemeindegut” damals einen ganz anderen Inhalt hatte. Im “Unterlangkampfen-Erkenntnis” vom Dezember 2010 stellte der Verfassungsgerichtshof selbst die historische Rechtslage klar: Ein “Gemeindegut” war nach dem Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz von 1935 ein Eigentum einer Agrargemeinschaft. Und an dieser Gesetzeslage hat sich bis zum Jahr 1984 nichts geändert. Deshalb hat die Agrarbehörde in hunderten Bescheiden ein Eigentum der Agrargemeinschaft als “Gemeindegut” bezeichnet. Tausende Tirolerinnen und Tiroler werden deshalb heute zu Unrecht mit der Behauptung enteignet, dass die Agrarbehörde in den historischen Regulierungsverfahren rechtskräftig ein „Gemeindegut“ festgestellt hätte. Seit Jahrzehnten rechtskräftige Entscheidungen der Agrarbehörde über das Eigentum sollen deshalb bedeutungslos sein. Die rechtskräftige Entscheidung über das Eigentum hätte keine Rechtskraft; dagegen soll die Bezeichnung als „Gemeindegut“ rechtskräftig ein „enteignetes Gemeindeeigentum“ feststellen, obwohl nach der damaligen Rechtslage in Tirol ein Eigentum der Agrargemeinschaft ohne weiteres ein Gemeindegut sein konnte. Angeblich soll eine bindende „Qualifizierung als Gemeindeeigentum“ vorliegen. Weder dürfen die Agrarier ihr wahres Eigentum beweisen, noch dürfen die Agrarier beweisen, dass die Agrarjuristen mit einem „Gemeindegut“ ein Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnet wollten. Diese Rechtsprechung ist schlichte Willkür. Grundbesitzer werden zu Dieben und Räubern gestempelt und der „Entlastungsbeweis“ wird abgeschnitten. Die Agrarier dürfen nicht beweisen, dass die Ortsgemeinde nie ein wahres Eigentum besessen hat.
Eine politische Forderung lautet, das „Gemeindegut“ den Ortsgemeinden zurückzugeben. Wäre es nicht eine Frage der Ehre reinen Tisch zu machen und das Eigentum der Gemeinde zu übertragen?
Oberhofer: Wenn ein wirkliches historisches Unrecht gut zu machen wäre, könnte man vielleicht über die vor vielen Jahrzehnten gefallenen Entscheidungen der Agrarbehörde hinweg sehen. Ein historisches Unrecht wird jedoch nur fingiert. Die Grundbesitzer in Tirol sind heute in der Lage eines unbescholtenen Bürgers, der vom Richter als Dieb verurteilt wird, weil der Kaufvertrag, den er abgeschlossen hat, vor Gericht als Beweismittel nicht zugelassen wird. Mit solchen Methoden als „Dieb und Landräuber“ abgestempelt zu werden, das ist es, was die Grundbesitzer wirklich an der Ehre verletzt.
Wie haben die Tiroler Agrarier ihr Eigentum erworben?
Oberhofer: Die Tiroler Nachbarschaften haben ihren jeweiligen Gemeinschaftswald Jahrhunderte lang als „Gmoan“ bezeichnet. Und ihre Nachbarschaft nannten sie ebenfalls „Gmoan“, das heißt „Gemeinde“. Es ist deshalb auch nicht falsch, den Gemeinschaftswald als „Gemeindewald“ zu bezeichnen. Der „Kaufvertrag“ als Eigentumstitel ist ein Symbol, das jeder versteht. Die Entwicklung der Eigentumsverhältnisse am Tiroler Gemeinschaftswald ist komplex und diese geht über Jahrhunderte. Nehmen wir beispielsweise die Nachbarschaft Lans bei Innsbruck. Die älteste Erwähnung der Nachbarschaft findet sich in einer Urkunde von Kaiser Friedrich I. Barbarossa aus dem zwölften Jahrhundert. Anhand der Feuerstättenzählung Anfang des 14. Jahrhunderts kann man nachprüfen, welche Höfe es damals im Dorf gegeben hat. Anhand des Tiroler Verfachbuches, das im Landesarchiv aufbewahrt wird, kann jeder der 34 Höfe, die von der Agrarbehörde in den 1950er Jahren als anteilberechtigt am „Gemeindewald“ festgestellt wurde, in der Rechtsnachfolge dieser historischen Feuerstätten nachvollzogen werden. Anhand der Größe des jeweiligen Anteils in den 1950er Jahren im Vergleich zu den anderen erkennt man, ob in der Vergangenheit eine Teilung stattgefunden hat oder ein Zukauf. Jeder Hof hatte seit Jahrhunderten ein spezielles Holzmarkzeichen, mit dem das eigene Holz als Eigentum gekennzeichnet wurde. Die schriftlichen Zeugnisse über die Nachbarschaftsgrenzen reichen zurück in das 15. Jahrhundert. Diese Grenzen mussten immer wieder am Gerichtsweg gegen andere Nachbarschaften, die von Igls, Vill, Aldrans oder Patsch usw, erstritten bzw verteidigt werden. Die Urkunden zur Erledigung dieser Rechtsfälle findet man im Archiv der Nachbarschaft, „Gemeindearchiv“ genannt. Jetzt überlegen Sie einmal: Jeder Innsbrucker Bürger, der nur einen 50jährigen Besitz in der Stadt nachweist, wird unbestritten als Eigentümer anerkannt. Die Nachbarn im Dorf Lans können jedoch einen 500jährigen Besitz ihres Gemeinschaftsgebietes nachweisen. Wer soll da der wahre Eigentümer sein?
Zur Zeit der Grundbuchanlegung gab es in Tirol eine verbreitete Meinung, der Tiroler Landesfürst hätte die Nordtiroler Wälder den heutigen politischen Ortsgemeinden geschenkt. Wie sieht das der Fachmann?
Oberhofer: Es ist ein Armutszeugnis für die Tiroler Juristen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, dass viele von ihnen die Thesen eines gewissen Stephan Ritter von Falser ungeprüft übernommen haben. Ritter von Falser war Ende des 19. Jahrhunderts Richter am Oberlandesgericht Innsbruck. Er behauptete, dass im Jahr 1847 der Landesfürst die Bauernwälder den Ortsgemeinden geschenkt hätte. Dieser Stephan Ritter von Falser, auch wenn er selbst Jurist und Richter war, hatte offensichtlich ein Problem mit dem Grundeigentum der Bäurinnen und Bauern. Liest man seine Abhandlung, hat man den Eindruck, er hätte am liebsten die Grundentlastung des Jahres 1848 rückgängig gemacht und das feudale Obereigentum wieder eingeführt. Genau auf das läuft das heutige „atypische Eigentum“ hinaus: Der Bauer besitzt kein Waldeigentum mehr, sondern ein Nutzungsrecht, das er nach dem jeweiligen Willen der Feudalherren, heute der Politiker, einmal mehr, einmal weniger nutzen darf.
Wie ist die Rechtslage wirklich?
Oberhofer: Natürlich ist die Geschichte von der kaiserlichen Schenkung der Nordtiroler Bauernwälder an die Ortsgemeinden ein Ammenmärchen. Im Tiroler Forstregulierungspatent von 1847 kann ganz klar nachgelesen werden, was in den Jahren 1847 bis 1849 in Nordtirol geschehen ist: Der Kaiser hat alle Nordtiroler Wälder per Gesetz als ein Staatseigentum festgestellt, an welchem die Eigentümer der Bauerngüter Holznutzungsrechte besessen haben. Diese Holznutzungsrechte wurden dadurch abgelöst, dass die Eigentümer der Bauerngüter einen Teil der Staatswälder als freies Privateigentum erhalten haben. Dies im Rahmen von Vergleichen, die gewählte Vertreter der jeweiligen Nachbarschaften mit der kaiserlichen Servitutenablösungskommission ausgehandelt haben. Das ist die Grundsatzregelung in Artikel 3 des Forstregulierungspatents von 1847. So sind einerseits die Bundesforste in Nordtirol entstanden, andererseits die Agrargemeinschaftswälder.
Bei der Grundbuchanlegung hat man genau diese Vergleiche herangezogen und daraus Gemeindeeigentum abgeleitet. Was sagen Sie dazu?
Oberhofer: Überall in Tirol wurden anstelle der Agrargemeinschaften die Gemeinde oder die Fraktion im Grundbuch eingetragen. Ein Gesetz über Agrargemeinschaften hat es in Tirol bei Beginn der Grundbuchanlegungsarbeiten nicht gegeben, geschweige denn, dass eine Agrargemeinschaft von der Behörde körperschaftlich eingerichtet war. Wen hätten die Grundbuchbeamten sinnvoll als Eigentümer anschreiben sollen, wenn nicht die „Gemeinde“? Schließlich hatte auch die Nachbarschaft sich seit Menschengedenken „Gemeinde“ genannt. Und in den Ortsgemeinden von damals hatten nur Grundbesitzer ein Wahlrecht – einmal abgesehen vom Pfarrer und vom Lehrer. Wer sollte da überhaupt auf die Idee kommen, dass eine Agrargemeinschaft und eine Ortsgemeinde etwas sein sollen, was man unterscheiden müsse?
Haben die Vorfahren der Agrarier ihr Gemeinschaftsgut vernachlässigt?
Oberhofer: Das sehe ich nicht so. Ende der 1890er Jahre, als die Grundbuchanlegung begonnen wurde, waren Agrargemeinschaft und Ortsgemeinde alleine aufgrund des Wahlrechts, das nur Grundbesitzern zustand, kaum auseinander zu halten. Ein Landesgesetz zu den Agrargemeinschaften hat nicht existiert. Nicht einmal der Tiroler Landesgesetzgeber hatte damals noch erkannt, dass ein Gemeindeeigentum vom Eigentum einer Agrargemeinschaft abzugrenzen ist. Als 1909 das Teilungs- Regulierungs-Landesgesetz in Kraft getreten ist und 1910 die Ausführungsverordnung dazu, haben die Bauern in Lans, um bei dem Beispiel zu bleiben, noch im Jahr 1911 das Regulierungsverfahren für die Gemeinschaftsalm eingeleitet. Den Wald betreffend hat man zwar bis Anfang der 1950er Jahre mit einem Regulierungsantrag zugewartet. Mit den beiden Weltkriegen, dem Zerfall der Monarchie, der Weltwirtschaftskrise und der Währungsreform hatte man freilich in dieser Zeit andere Sorgen. Schließlich wurde im Zuge des Regulierungsverfahrens in den 1950er Jahren das Grundbuch richtig gestellt und das Gemeindeeigentum vom Eigentum der Agrargemeinschaft getrennt. Jeder Schritt erfolgte im besten Einvernehmen zwischen der Ortsgemeinde und den Grundbesitzern. Jeder Schritt war von den zuständigen Landesbehörden genehmigt. Über die Rechtsfolgen der Regulierung existiert ein Parteienübereinkommen, ein Vertrag, mit der Ortsgemeinde. Dieses hat die Landesbehörde mit Bescheid genehmigt. Das Regulierungsverfahren wurde 1956 abgeschlossen und im Jahr 1957 wurde das Grundbuch berichtigt; dies mit Gerichtsbeschluss. Eigentümerin ist danach die Agrargemeinschaft, die sich aus Hofbesitzern zu bestimmten Anteilrechten zusammensetzt. Zehn Prozent der Anteilsrechte sind Eigentum der Gemeinde Lans – so wie im Regulierungsverfahren vereinbart. Mehr konnte man aus damaliger Sicht nicht tun, um die Verhältnisse klar zu stellen.
Was wird die Zukunft bringen?
Oberhofer: Die Novelle zum Tiroler Flurverfassungsgesetz 2014 sieht vor, dass Agrarier, die glauben, Ansprüche auf Entschädigung zu haben, diese bis spätestens 30.06.2016 bei der Behörde anhängig machen müssen. Ich vermute, dass die Mehrzahl der Betroffenen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Einzubringen sind die Anträge bei der Agrarbehörde; über das Landesverwaltungsgericht geht der Rechtszug zum Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof und von dort zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Dieser wird das letzte Wort im Tiroler Agrarstreit sprechen. Das erste Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention erlaubt dem Staat zwar Enteignungen seiner Bürger; verboten sind jedoch entschädigungslose Enteignungen. Verfahrensgegner vor dem Gerichtshof in Strassburg ist die Republik Österreich. Sollte der Gerichtshof in Strassburg entscheiden, dass die Tiroler Agrarier zu entschädigen sind, wird Wien vermutlich nicht bezahlen, sondern stattdessen per Gesetz das „atypische Gemeindegut“ und die Rechtsfolgen daraus beseitigen. Prozessziel der Verfahren auf Geldentschädigung wegen Enteignung ist die vollständige Beseitigung des „atypischen Gemeindeguts“ durch den Bundesgesetzgeber. Ein Gesetzesentwurf, mit welchem der Bundesgesetzgeber das leicht bewerkstelligen kann, wurde in Form einer Bürgerinitiative bereits 2013 an das Parlament herangetragen. Erforderlich ist freilich eine Verurteilung der Republik Österreich in Straßburg.
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MP
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