I. Allgemeines
Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung die Ansicht, dass im Zuge der Grundbuchsanlegung in Tirol bei der Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)
Daran anknüpfend verstand die Tiroler Landesregierung das „Gemeindegut“ nur als eine von mehreren möglichen „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“ und als Ergebnis historischer Zufälligkeit. Hier interessiert nun nicht diese irreführende Verwendung des Begriffs „Gemeindegut“ (Vgl Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 226ff ), sondern der vorangegangene Befund, also die Einschätzung einerseits der Grundbuchsanlegung, andererseits der ihr zugrunde liegenden wahren Eigentumsverhältnisse.
Die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung geht wohl maßgeblich auf Albert Mair zurück, den langjährigen Leiter der Tiroler Agrarbehörde. Er hatte schon 1958 zur Tiroler Grundbuchsanlegung von „mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre“ berichtet; daher liege „es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg) Die Agrargemeinschaften in Tirol, 2010, 24)
Dieser Beitrag soll die Behandlung der Gemeinschaftsliegenschaften bei der Tiroler Grundbuchsanlegung beleuchten.
II. Zum Fraktionsbegriff
1. Allgemeines
Das aus dem lateinischen „frangere“ (=brechen) abgeleitete Wort „Fraktion“ hat mehrere, wenngleich verwandte Bedeutungen; es ist also ein Polysem (König, dtv-Atlas Deutsche Sprache, 12. Auflage München 1998, 23; Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 3. Auflage Mannheim etc 1996, 531f ) – nicht weniger als die Begriffe „Gemeinde“ oder „Gericht“.
Heute ist „Fraktion“, sieht man von der Verwendung dieses Ausdrucks auf naturwissenschaftlichen Gebieten (zB der Chemie) ab, vor allem als organisatorische Gliederung in Parlamenten bekannt. Ausserhalb – und noch vor – seiner parlamentarischen Bedeutung fand das Wort „Fraktion“ in der Rechtsgeschichte für zumindest zwei (verwandte) Phänomene Verwendung, wie bislang eher spärliche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Einerseits konnte damit nach historischem öffentlichen Gemeinderecht ein Teil der modernen politischen Ortsgemeinde definiert werden, andererseits wurden – noch vor Schaffung des modernen Gemeindewesens ab 1849 – auch rechtspersönliche Gemeinschaften („moralische Personen“ im Sinne des ABGB) mit diesem Begriff gekennzeichnet. (Kohl, Die Forstservituten-Ablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 129 f; Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488–511, hier 497f. Vgl auch § 33 Abs 1 TFLG: „…von den Mitgliedern einer Nachbarschaft, einer Interessentschaft, einer Fraktion oder einer ähnlichen Mehrheit von Berechtigten (…) genutzt werden“: Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 265ff, 267)
In Tirol war der Begriff „Fraktion“, wie einschlägige Untersuchungen von August Unterforcher und Josef Egger zu den alten Benennungen der Dörfer, Gemeinden und ihrer Unterabteilungen zeigen, ursprünglich nicht gebräuchlich. (Vgl Unterforcher, Wie man in Tirol in früherer Zeit die Theile der Gemeinde oder die Gemeinden selbst benannte, Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, 3. Folge, 41. Heft, Innsbruck 1897, 187–216; Egger, Die alten Benennungen der Dörfer, Gemeinden und ihrer Unterabtheilungen sowie die gleichlaufenden Namen von Gerichtsbezirken und Gerichtstheilen in Tirol, Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, 3. Folge, 41. Heft, Innsbruck 1897, 217–277, erwähnt nur abschließend die „neuen Namen Fractionen oder Parzellen“ (277). Vgl jedoch Kühebacher, Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte 1: Die geschichtlich gewachsenen Namen der Gemeinden, Fraktionen und Weiler (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 1), 2. Auflage 1995)
Das Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819 kannte „Fraktionen“ jedenfalls noch nicht. (Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819, ProvGSTirVbg 1819/CLXVIII ) Im politischen Gemeinderecht setzte die Bedeutung dieses Begriffes somit erst mit Inkrafttreten des Provisorischen Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 ein. (RGBl 1849/170. § 5 dieses Gesetzes lautete wie folgt: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ vgl. weiters TGO 1866, § 65 LGBl/Tirol 1866/1 und LGBl/Tirol 1893/32 (dieses sog „Fraktionsgesetz“ setzte Fraktionen nur mehr voraus: siehe unten V.3.) sowie LGBl/Tirol 1895/19) Möglicherweise waren Problem und Begriff der Fraktionen dem Schöpfer des ProvGemG 1849, Franz Graf Stadion, während seiner Dienstzeit im Küstenland begegnet. (Zu Stadion: Lippert, Franz Ser. Graf von Stadion-Warthausen, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, XIII, Wien 2007, 69; Charmatz, Franz Graf von Stadion, in: Allgemeine Deutsche Biographie 55, Leipzig 1910, 228ff)
Theodor Veiter hatte sich vor bald 60 Jahren ausführlich mit dem Problem der Fraktionen beschäftigt, wobei er offensichtlich davon ausgegangen war, dass „Fraktion“ und „Ortschaft“ synonyme Rechtsbegriffe wären – worauf bereits der Klammerausdruck im Titel seiner Arbeit hinwies. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff ) Hinter den gleichen Begriffen erkannte er jedoch verschiedene Phänomene: Vom gemeinderechtlichen Begriff der Ortschaft (Fraktion) sollte jene „Ortschaft (Fraktion), die Träger von Sondervermögen ist“, streng unterschieden werden. Fraktionen als Träger von Sondervermögen seien nämlich kein bestimmter Gebietsteil einer Gemeinde, sondern „die rechtspersönliche Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Bürger räumlich bestimmter, mit den Gemeindegrenzen nicht notwendig zusammenfallender, in der Regel aber nur Gemeindeteile umfassender Gemeindegebiete“, wobei diesen Bürgern nach alter Übung Vermögensnutzung und ideeller Anteil an der Nutzungs-Substanz des Sondervermögens zukommen würde. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff, hier 497f )
Die Fraktion als Trägerin von Sondervermögen sei also – so Veiter – eine „rechtspersönliche Gemeinschaft nutzungsberechtigter Bürger“. Diese Definition einer Fraktion als Trägerin von Liegenschaftseigentum entspricht dem Begriff der historischen „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“, also der moralischen Person gem §§ 26f ABGB, gebildet aus gemeinschaftlich berechtigten Gliedern. (Zur Dogmatik der „Gemeinde nbR“: Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 154 ff; Kohl, Überlegungen zur „Gemeinde“ der Tiroler Forstregulierung, in: Olechowski / Neschwara / Lengauer (Hrsg), Grundlagen der österreichischen Rechtskultur. Festschrift für Werner Ogris zum 75. Geburtstag, Wien-Köln-Weimar 2010, 201ff)
Überzogen ist freilich die Annahme Veiters, wonach des Vorhandensein von „Sondervermögen“ zwingend den Ausschlag geben würde, das zu beurteilende Gebilde nicht als Einrichtung des politischen Gemeinderechtes zu qualifizieren. Die Existenz eines solchen Sondervermögens kann als reines Faktum kaum ein tragfähiges Unterscheidungskriterium sein – auch die Rechtspersönlichkeit des Menschen ist bekanntlich nicht von seinen Vermögensverhältnissen abhängig.
Zu unklar erscheint auch das zweite Element von Veiters „Definition“: Wenn Veiter nämlich (über)vorsichtig annimmt, dass es sich bei der Fraktion ausserhalb des politischen Gemeinderechts um eine Gemeinschaft von Bürgern „räumlich bestimmter, mit den Gemeindegrenzen nicht notwendig zusammenfallender, in der Regel aber nur Gemeindeteile umfassender Gemeindegebiete“ handle, so ist damit letztlich fast gar nichts mehr ausgesagt. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff ) Einerseits suggeriert der Begriff „Bürger“ eine bestimmte Gemeindezugehörigkeit, andererseits kann diese keine Bedeutung haben, wenn das räumliche Naheverhältnis mit den Gemeindegrenzen in keinem Zusammenhang steht. Für eine Bürgergemeinschaft, die auch gemeindeübergreifend organisiert sein kann, spielt Gemeindebürgerschaft keine Rolle. Weiters ist zu berücksichtigen, dass jedes Grundstück, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, einem bestimmten Gemeindegebiet zugeordnet ist, demnach einen „Gemeindeteil“ bildet – die Bezugnahme auf „in der Regel nur (…) Gemeindeteile umfassende Gemeindegebiete“ hat also keine Aussagekraft. Es ist nicht anzunehmen, dass Veiter beispielsweise Wohnungseigentümergemeinschaften als Fraktionen definieren wollte, obwohl es sich dabei zweifellos um Gemeinschaften von Bürgern bestimmter Gemeindeteile handelt, die Träger von Vermögensrechten sind. All dies zeigt, dass Normen des politischen Gemeinderechts seit 1849 die „Fraktion als Trägerin von Sondervermögen nutzungsberechtigter Bürger“ nicht erklären können. Ein Phänomen, das gemeindegrenzüberschreitend organisiert sein kann, bedarf jedenfalls einer anderen Erklärungsgrundlage.
2. Erster empirischer Befund: „Fraktionen“ im modernen Grundbuch
Das elektronische Grundbuch weist gegenwärtig für Tirol einen Stand von etwa 75 verschiedenen Eigentumsträgern aus, die sich durch ihre Zusatzbezeichnung „Fraktion“ erfassen lassen. Für Vorarlberg tauchen noch einige wenige solche Erscheinungen auf; in den anderen Bundesländern können sie nicht (mehr?) nachgewiesen werden. Ein beträchtlicher Teil der Tiroler „Fraktionen“ zeichnet sich durch eine spezifische Anmerkung im A2-Blatt aus, nämlich eine „Unterdenkmalschutzstellung“ samt Zusatzbezeichnung „Kapelle“ in Verbindung mit dem Namen des lokalen Schutzpatrons. Dies trifft etwa auf die zwei „Fraktionen“ im Grundbuch Breitenwang zu: Die „Fraktion Lähn“ ist Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 113, „Unterdenkmalschutzstellung Ortskapelle Koloman“, die „Fraktion Mühl“ Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 114 mit der „Ortskapelle hl Antonius“. Im Grundbuch Roppen finden sich gleich drei derartige „Kapellenliegenschaften“, nämlich die EZ 185 im Eigentum der „Fraktion Waldele“ mit Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle hl Markus in Waldele, die EZ 252 im Eigentum der „Fraktion Leckpuit“ samt Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle in Leckpuit sowie die EZ 253 im Eigentum der „Fraktion Ötzbruck“ mit Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle hl Antonius in Ötzbruck.
In diesem Zusammenhang scheint sich auch Theodor Veiters Annahme, dass „Fraktion“ und „Ortschaft“ Synonyme wären, zu bestätigen. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff) Interessanter Weise finden sich im modernen Grundbuch Tirols nämlich insgesamt 17 zugunsten von „Ortschaften“ einverleibte Liegenschaften, bei denen mehrheitlich ebenfalls die Anmerkung einer „Unterdenkmalschutzstellung“ erfolgte und ein Rückschluss auf „Kapellenliegenschaften“ möglich ist. (Bemerkenswert ist, dass das heutige Grundbuch sogar Miteigentum solcher „Ortschaften“ an offensichtlichen Kapellenliegenschaften ausweist wie im Fall der EZ 297 GB Mieming, „Ortskapelle Zein“, welche im ideellen Miteigentum je zur Hälfte der „Ortschaften“ Tabland und Zein stehen soll)
Angesichts der Vielzahl solcher Fälle stellt sich die Frage, ob die „Kapellenliegenschaft“ die typische Erscheinung des seinerzeit von Veiter beschriebenen Phänomens sein könnte, ob also „Fraktionen“ oder „Ortschaften“ typischerweise (nur) als Eigentümer von „Ortskapellen“ begegnen. Dies wird man verneinen müssen: Gerade bei den Ortskapellen ist nämlich keine einheitliche Linie bei der Erfassung der Eigentümer erkennbar. Solche Objekte befinden sich einerseits auch im Eigentum von „Nachbarschaften“ (ZB Nachbarschaft Penning als Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 78 GB Hopfgarten Land ), andererseits wurde eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Ortskapellen bei der Grundbuchsanlegung überhaupt als Rechtssubjekt und Eigentumsträger ihrer eigenen Grundfläche erfasst, sodass also nun die „Kapelle als solche“ ihre eigene Eigentümerin ist. So steht die EZ 530 GB 80001 Arzl im Eigentum der „Kapelle Maria-Hilf zu Timmels“; daneben gibt es zahlreiche andere Beispiele. (ZB EZ 220 GB Sölden, als Eigentümerin einverleibt „Maria-Schnee Kapelle“; EZ 321 GB Matrei-Land, als Eigentümerin einverleibt „Herz-Jesu Kapelle in Bühel“; EZ 326 GB Matrei-Land, als Eigentümerin einverleibt „St. Anna-Kapelle in Proßegg“; EZ 335 GB Matrei-Land, als Eigentümerin einverleibt „Kapelle Maria Schnee in Gschlöß“)
Dass die Eigentümer solcher Kapellen – unabhängig von ihrer Benennung – jedenfalls ursprünglich keine Einrichtungen der modernen politischen Ortsgemeinde gewesen sein können, ergibt sich schon aus dem jeweiligen Alter der Bauwerke. Diese Erkenntnis macht gerade für die „Fraktion“ als Eigentümerin einer „Kapellenliegenschaft“ deutlich, dass die unkritische Annahme, jede Eigentümerbezeichnung in Verbindung mit dem Wort „Fraktion“ würde automatisch Eigentum der Ortsgemeinde als Rechtsnachfolgerin historischer politischer Ortsfraktionen indizieren, verfehlt ist.
Dies anerkennen auch die heutigen politischen Ortsgemeinden, wenn sie in der Regel keinerlei Veranlassung sehen, hinsichtlich solcher Kapellenliegenschaften in Rechtsnachfolge historischer „Fraktionen“ die Rechte und Pflichten eines Eigentümers zu übernehmen. Gerade bei derartigem „Fraktionseigentum“ zeigt sich also die Richtigkeit von Veiters Annahme, dass Ortschaften (Fraktionen), die Träger von Sondervermögen sind, keine Einrichtungen der politischen Ortsgemeinde seien, sondern eine „rechtspersönliche Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Bürger“. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff, hier 497f) Allerdings zeigen die Kapellenliegenschaften auch eine Unvollständigkeit in der Definition Veiters: Die Ausrichtung auf „nutzungsberechtigte Bürger“ erweist sich als erweiterungsbedürftig, tritt doch in diesen Fällen die Nutzungsberechtigung in den Hintergrund. Die widmungsgemäße Nutzung einer Kapelle steht in aller Regel einem unbestimmten Personenkreis offen, sodass sich die Mitgliedschaft in der „rechtspersönlichen Gemeinschaft“ vor allem in Pflichten aus dem Eigentumsrecht niederschlägt.
3. Zweiter empirischer Befund: „Fraktionen“ im historischen Grundbuch
Eine Durchsicht der historischen Grundbücher relativiert den ersten empirischen Befund erheblich, und zwar in zwei verschiedenen Richtungen:
Einerseits waren Fraktionen zur Zeit der Grundbuchsanlegung viel häufiger anzutreffen als heute, andererseits erweisen sich „Kapellenliegenschaften“ dabei nur als eine von vielen Erscheinungsformen des „Fraktionseigentums“. Der Vergleich des Grundbuchstandes bei der Eröffnung der Grundbücher, also unmittelbar nach der Grundbuchsanlegung, mit dem heutigen zeigt, dass die seinerzeit vorhandenen „Fraktionen“ – oder ähnliche Erscheinungen überwiegend aus dem Grundbuch verschwunden sind. Zu verweisen ist beispielhaft auf Fraktions-Miteigentümerschaften (ZB EZ 129 II GB Obsteig: a) Fraktion Gschwendt zu einem Viertel, b) Fraktion Frohnhausen zu drei Viertel), Fraktionen bestehend aus taxativ aufgezählten Liegenschaften (ZB EZ 15 II GB Untertilliach: Fraktion Eggen bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuches …“ (es folgt eine taxative Aufzählung von 21 Liegenschaften), Genossenschaften bestehend aus Fraktionen (ZB EZ 297 II GB Virgen Mullitz-Alpgenossenschaft bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach), Nachbarschaften bestehend aus Fraktionen (ZB EZ 282 II GB Bach: Nachbarschaft Unterbach und Grünau bestehend aus der Fraktion Unterbach der Gemeinde Bach und den Fraktionen Ober- und Untergrünau der Gemeinde Elbigenalp), Fraktionen bestehend aus Nachbarschaften (ZB EZ 169 II GB Windisch Matrei Land: Fraktion Hüben der Landgemeinde Windisch Matrei bestehend aus Nachbarschaft Hüben und Nachbarschaft Brünn), Interessentschaften bestehend aus Fraktionen (ZB EZ 144 II GB Obsteig: Simmering Alpsinteressentschaft bestehend aus den Fraktionen des Mieminger Plateaus: Hauptfraktion Obsteig (Wald, Finsterfiercht, Ober- und Unterstrass), Mötz, Tabland und Zein), Interessentschaften bestehend aus Fraktion und Nachbarschaft (ZB EZ 28 GB Untertilliach: Interessentschaft, bestehend aus Fraktion Eggen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs … und Nachbarschaft Kirchberg, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …); Interessentschaften bestehend aus Fraktionen und Einzelliegenschaften (ZB EZ 128 II GB Obsteig: „Marienberg-Alps-Interessentschaft bestehend aus den Fraktionen Gschwendt und Aschland (der Gemeinde Obsteig), Frohnhausen, See, Barwies, Zürchbichl, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper der Einl. Zl 1 I und 2 beide dieses Hauptbuches, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper in Einl. Zl 94 I, 96 I beide des Hauptbuches der Katastral-Gemeinde Mieming“; EZ 278 II GB Virgen: „Alpengenossenschaft Virgen-Mellitz bestehend aus der Fraktion Virgen-Dorf der Gemeinde Virgen b) der Fraktion Mellitz der Gemeinde Virgen c) dem jeweiligen Eigentümer des Reiterhofes Einl.Zl 1 I dieses Grundbuches“) usw.
Alleine im Grundbuch der KG Windisch-Matrei Land (heute: Grundbuch 85103 Matrei-Land) waren im Zuge der Grundbuchsanlegung dreizehn unterschiedliche „Fraktionen“ als Liegenschaftseigentümer einverleibt worden (EZ 165–182 (ohne die Liegenschaften in EZ 178–181), 330 und 376, jeweils II GB Windisch Matrei Land ); hinzu kamen jedenfalls eine „Genossenschaft bestehend aus Fraktionen“ (EZ 234 II GB Windisch Matrei Land: Schilder-Alpgenossenschaft bestehend aus Fraktion a) Mattersberg b) Moos, beide der Landgemeinde Windisch Matrei ) und eine „Genossenschaft bestehend aus einer Fraktion und taxativ aufgezählten Höfen“ (EZ 236 II GB Windisch Matrei Land: Zünig-Alpgenossenschaft bestehend aus A) der Fraktion Bühel der Landgemeinde Windisch Matrei, B) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Weier der Landgemeinde Windisch Matrei – es folgt eine Aufzählung von acht Hofliegenschaften), C) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Ganz der Landgemeinde Windisch Matrei – es folgt eine Aufzählung von vier Hofliegenschaften).
All diese im Zuge der Grundbuchsanlegung in der ehemaligen KG Windisch-Matrei Land einverleibten Eigentümerpersönlichkeiten sind seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sukzessive als Agrargemeinschaften identifiziert worden, sodass heute im elektronischen Grundbuch dieser Katastralgemeinde keine einzige „Fraktion“ mehr nachweisbar ist.
Diese Veränderungen erfolgten nicht schlagartig, sondern im Rahmen eines „Erosionsprozesses“, der am Beispiel der KG Matrei-Land, GB 85103, gut illustriert werden kann: Aus den erwähnten insgesamt 15 „Fraktionen“ und „Fraktions-Gesellschaften“ bei Grundbuchsanlegung wurden 13 Agrargemeinschaften reguliert und zwar drei in den 1920er Jahren, drei in den 1930er Jahren, sechs in den 1940er Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft und schließlich eine in den 1960er Jahren.
Die gleiche Erosion, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, zeigt sich in der KG Umhausen: Hier hatte die Grundbuchsanlegung acht Eigentümer mit der Zusatzbezeichnung Fraktion festgestellt, nämlich Fraktion Köfels, Fraktion Umhausen, Fraktion Niederthai Sonnseite, Fraktion Östen, Fraktion Farst, Fraktion Tumpen, Fraktion Hof-Acherbach und Fraktion Niederthai Neaderseite; bei allen wurde das Eigentumsrecht einverleibt unter Hinweis auf den Eigentumstitel Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli 1848. Hinsichtlich der „Fraktion Hof-Acherbach“ wurde in den 1920er Jahren aufgrund einer „Richtigstellungsurkunde vom 20. Juli 1920“ die Löschung des Wortes „Fraktion“ und die Einverleibung des Wortes „Nachbarschaft“ bewilligt. (EZ 717 GB Umhausen; die von vier Nachbarn aus Tumpen gefertigte Urkunde begründet das Anliegen damit, dass ihre „Rechtsgemeinschaft eben nicht wie eine Fraktion ein politischer Unterteil der Gesamtgemeinschaft Umhausen ist“; zu 1933/III gab der „Tiroler-Landesrat unter dem 29. Oktober 1920 seinen Segen; für den Landesrat bestätigte dies namens des Landeshauptmannes „Dr. Schumacher“)
Die „Fraktion Farst“ wurde mit Bescheid vom 1. März 1949 als Agrargemeinschaft Farst reguliert, wobei die Agrarbehörde im Spruch des Bescheides ausdrücklich festhielt, dass „Fraktion Farst“ keine Fraktion im Sinne der Tiroler Gemeindeordnung sei. (EZ 712 GB Umhausen; Amt der Tiroler Landesregierung III b -44/4 vom 1. März 1949) Ebenfalls mit Bescheid vom 1. März 1949 wurde die „Fraktion Köfels“ als Agrargemeinschaft umgegründet. (EZ 706 GB Umhausen; Amt der Tiroler Landesregierung III b -45/4 vom 1. März 1949) Die „Fraktion Umhausen“ folgte am 10. August 1959, die „Fraktion Östen“ am 5. Oktober 1959. Erst rund ein Vierteljahrhundert später, 1982, wurde die „Fraktion Niederthai Neaderseite“ umgegründet, sodann 1983 die „Fraktion Tumpen“. Aus den für „Fraktion Niederthai Sonnseite“ einverleibten Liegenschaften wurden zwei Agrargemeinschaften reguliert, nämlich 1982 die Agrargemeinschaft Sonnseite Sennhof und 1990 die Agrargemeinschaft Bichl-Höfle.
Von den insgesamt acht im Zuge der Grundbuchsanlegung einverleibten „Fraktionen“ wurde somit eine in den 1920er Jahren im „Berichtigungswege“ umgegründet, zwei in den 1940er Jahren, zwei in den 1950er Jahren, zwei in den 1980er Jahren und eine Anfang der 1990er Jahre. Dessen ungeachtet ist der Begriff „Fraktion“ im elektronischen Grundbuch hier nicht gänzlich verschwunden: Eine „Fraktion Umhausen“ existiert immer noch; es handelt sich um Liegenschaftsvermögen, das im Zuge der Regulierung zwar der Ortsgemeinde Umhausen zugesprochen wurde, bei dem jedoch eine Richtigstellung der Eigentümerbezeichnung unterblieb. (EZ 704 und 1634 GB Umhausen)
Von diesem Verbücherungsproblem abgesehen, erscheinen die beiden hier beispielhaft gezeigten Katastralgemeinden heute offiziell als „fraktionsfrei“, während im Zuge der Grundbuchsanlegung noch 15 (KG Matrei-Land) bzw 8 (KG Umhausen) Fraktionsliegenschaften festgestellt worden waren. Seit der Grundbuchsanlegung sind also allein in diesen beiden Katastralgemeinden 22 Eigentümerpersönlichkeiten mit der Zusatzbezeichnung Fraktion durch „Umgründung“ in Agrargemeinschaften „verschwunden“. Von diesen 22 „Umgründungsvorgängen“ fallen 13 in den Zeitraum bis 1945, acht in denjenigen ab 1949. Alle drei in den 1920er Jahren in der KG Matrei-Land abgeschlossenen „agrarischen Operationen“ betreffend „Fraktionsvermögen“ waren übrigens noch zur Zeit der Monarchie eingeleitet worden. Dies ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil der Tiroler Landtag von sich aus keinen Bedarf für ein Teilungs- und Regulierungsgesetz gesehen hatte und Tirol – gemeinsam mit der Steiermark und Oberösterreich – Schlusslicht bei der Umsetzung der agrarischen Reichsrahmengesetze des Jahres 1883 gewesen war. ((Erst aufgrund einer Initiative der Reichsregierung im Jahr 1908 wurden im Jahr 1909 entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen. Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 218 f)
Das sukzessive Verschwinden der Fraktionen aus dem Grundbuch lenkt den Blick auf die Frage, wie denn diese Eigentümerpersönlichkeiten überhaupt ins Grundbuch gekommen und wie sie zu qualifizieren waren.
III. „Fraktionen“ in der Tiroler Grundbuchsanlegung
1. Ein Fallbeispiel
Am 12. Juli 1906 unterfertigten zwei Mitglieder für die Fraktion Mattersberg sowie zwei Mitglieder für die Fraktion Moos, insgesamt also vier Mitberechtigte, das Grundbuchsanlegungsprotokoll Nr 482 der KG Windisch-Matrei. Sie verliehen damit ihrer Meinung Ausdruck, dass die „Schilder Alpgenossenschaft“ aus diesen beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos bestehen würde. Zusätzlich bestätigten das auch noch die zwei „üblichen“ Vertrauensmänner. Fast auf den Tag fünf Jahre später, am 3. Juli 1911, leitete die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen das Verfahren zur Regulierung der Verwaltungs- und Benützungsrechte ein; die Liste der unmittelbar an der Alpe Beteiligten datiert vom Dezember 1911. Der Bescheid betreffend das Register der Anteilsrechte erging am 18. September 1925; das Verfahren endete mit Bescheid vom 27. Juli 1927. Darin stellte die Agrarbezirksbehörde folgendes fest: „§ 3 Beteiligte und Anteilrechte. Die Schildalpe steht im Eigentum der Schilderalpinteressentschaft, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der nachstehend angeführten, in der KG Windisch-Matrei-Land gelegenen Stammsitzliegenschaften mit den angegebenen Anteilrechten.“ Es folgte eine Aufzählung von insgesamt 29 Stammsitzen jeweils ohne Nennung des aktuellen Eigentümers; „Fraktionen“ wurden nicht genannt, ein Anteilsrecht für eine politische Ortsfraktion oder für die Ortsgemeinde war nicht vorgesehen worden.
Die Grundbuchsanlegungsbeamten und die Beamten der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen hatten sich im Fall der als „Schilder Alpgenossenschaft“ bezeichneten „Miteigentumsgemeinschaft“ der beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos nahezu die Türklinke in die Hand gegeben: Die einen beendeten ihre Tätigkeit am 12. Juli 1906, die anderen legten am 3. Juli 1911 bereits einen fertigen Bescheid zur Einleitung des Regulierungsverfahrens vor. Nachdem ein Eigentümerwechsel aus dieser Zeit nicht überliefert ist, stellt sich die Frage, warum die in den beiden Verfahren getroffenen Feststellungen nicht gleichlautend waren, sodass der Eindruck entstehen könnte, es müsse eine der beiden Entscheidungen unrichtig sein.
Die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen führte dazu sogleich 1911 in der Begründung zum Bescheid auf Verfahrenseinleitung aus, dass die „Schilderalpe“ laut Grundbuchseintragung zwar der aus den Fraktionen Mattersberg und Moos der politischen Gemeinde Windisch-Matrei-Land bestehenden Schilder-Alpgenossenschaft gehöre, dass diese Grundbuchseintragung den tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht genau entsprechen dürfte. Es handle sich vielmehr um eine den Besitzern bestimmter Talgüter gehörige Alpe und damit um ein gemeinschaftliches Grundstück im Sinne des § 4 lit b TRLG 1909, dessen Verwaltungs- und Benützungsrechte einer Regulierung zu unterziehen seien. Erk der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen vom 3. Juli 1911 Zl 410/2; LAS Tirol 1045/5 -10 vom 13.11.2011, Seite 5) Die Landeskommission für agrarische Operationen äußerte also schon 1911 grundlegende Zweifel an der Richtigkeit jener Eigentümerbezeichnung, die erst 1906 im Zuge der Grundbuchsanlegung gewählt worden war. (Das GAP Nr 482 GB Windisch-Matrei-Land weist als Steuerträger gem Franziszeischem Steuerkataster aus „I. Moos Rotte, II. Mattersberg Rotte“)
Zur Annahme, eine der beiden Kommissionen hätte eben eine falsche Entscheidung getroffen, existiert freilich eine Alternative: Möglicherweise hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten schon 1906 unter dem Begriff „Fraktion“ das verstanden, was dann drei Jahre später im TRLG 1909 als Agrargemeinschaft definiert wurde. Aus der Sicht der nicht-juristischen Beteiligten an der Grundbuchsanlegung – den Vertretern aus Mattersberg und Moos sowie den beiden Vertrauensleuten – lag es jedenfalls nicht nahe, Einwendungen gegen die Wahl des Begriffes „Fraktion“ zu erheben: Im Franziszeischen Steuerkataster, der bekanntlich die Grundlage für die Grundbuchsanlegung bildete, waren nämlich „I. Moos Rotte“ und „II. Mattersberg Rotte“ als Eigentümer verzeichnet gewesen. Ob „Rotte“ oder „Fraktion“ – aus Sicht eines juristischen Laien konnte diese Wortwahl als reine „Geschmackssache“ erscheinen. Damit gewinnt die Frage, welche Vorstellung die Grundbuchsanlegungsbeamten mit dem Begriff „Fraktion“ tatsächlich verbunden hatten, an Bedeutung. Will man den Versuch unternehmen, dazu eine Antwort zu finden, ist eine breitere Tatsachengrundlage erforderlich.
2. Erscheinungsformen der „Fraktion“
Die Verwendung des Wortes „Fraktion“ begegnet bei der Anlegung des Grundbuchs in den verschiedensten Varianten. Zwar ist es für eine Quantifizierung noch zu früh, doch zeichnen sich bestimmte Schwerpunkte recht deutlich ab: Der schlichte Begriff „Fraktion“ (ohne jeglichen Zusatz) kommt ebenso vor wie der Begriff „Gemeinde-Fraktion“ bzw. „Fraktion der Gemeinde“ – diese drei Varianten der Anschreibung einer „Fraktion als Liegenschaftseigentümerin“ sind bei weitem am häufigsten anzutreffen.
Auffälliger, weil eher selten, ist die Variante einer durch Nennung ihrer Teile definierten „Fraktion bestehend aus …“ – wobei sodann eine taxative Aufzählung entweder von Liegenschaften oder von deren Eigentümern erfolgt. Diese Form ist jedenfalls in mehreren Katastralgemeinden nachweisbar: So wurde beispielsweise in der KG Untertilliach der Fraktionsbegriff ausschließlich in dieser Variante verwendet (EZ 15 GB Untertilliach: „Fraktion Eggen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“; EZ 18 GB Untertilliach: „Fraktion Ingenuin, bestehend aus den Nachbarschaften Kirchberg, Au, Bichel und den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …; EZ 27 GB Untertilliach: Nachbarschaft Au, Bichel und Winkl, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“; EZ 20 GB Untertilliach: „Fraktion Klammberg, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“; EZ 28 GB Untertilliach: „Interessentschaft, bestehend aus Fraktion Eggen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs … und Nachbarschaft Kirchberg, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“).
Näher definiert wurden weiters zum Beispiel die „Fraktion Eichelwang“ in der KG Ebbs (Liegenschaft in EZ 35 GB Ebbs: „Fraktion Eichelwang bestehend aus den Eigentümern nachstehender Grundbuchkörper und zwar a) Hödler in Einl Zl 3 I zu einem Siebentel b) Baumgartner in Einl Zl 4 I zu einem Siebentel c) Onimus in Einl Zl 5 I zu einem Siebentel d) Ager in Einl Zl 6 I zu einem Siebentel e) Fagglbauer in Einl Zl 7 I zu einem Siebentel f) Wörer in Einl Zl 8 I zu einem Siebentel g) Breitner in Eichelwang in Einl Zl 9 I zu einem Siebentel“) und mehrere Fraktionen in Steinach, die in der KG Navis Miteigentümer waren. (EZ 154 II GB Navis: „A. Gemeinde Navis zu sieben Achtel B. die Fraktionen der Gemeinde Steinach: a. Tienzens bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Baste in Einl.Zl. 24 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Salchner in Einl.Zl. 144 II der Katastralgemeinde Steinach, c) Knaber in Einl.Zl. 25 I der Katastralgemeinde Steinach, d) Mauser in Einl.Zl. 27 I der Katastralgemeinde Steinach, e) Messner in Einl.Zl. 145 II der Katastralgemeinde Steinach, f) Hilber in Einl.Zl. 59 I der Katastralgemeinde Steinach, g) Kraler in Einl.Zl. 26 I der Katastralgemeinde Steinach; b. Puigg bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Dengg in Einl.Zl. 32 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Vögeler in Einl.Zl. 31 I der Katastralgemeinde Steinach, c) Eggenhäusl in Einl.Zl. 146 II der Katastralgemeinde Steinach, d) Schuster in Einl.Zl. 147 II der Katastralgemeinde Steinach, e) Stampf in Einl.Zl. 33 I der Katastralgemeinde Steinach, f) Nägele (Spinnfabrik) in Einl.Zl. 149 II der Katstralgemeinde Steinach, g) Berger in Einl.Zl. 37 I der Katastralgemeinde Steinach; c. Mühlen bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Unterspörr in Einl.Zl. 30 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Ober-Spörr in Einl.Zl. 29 I der Katstralgemeinde Steinach und c) Mill in Einl.Zl. 28 I der Katastralgemeinde Steinach, zu einem Achtel“)
Damit verwandt ist eine etwas kompliziert anmutende Anschreibungstechnik in der KG Thiersee, wo die Rechtsverhältnisse an EZ 11 II im historischen B-Blatt wie folgt festgehalten wurden: „Auf Grund des Kaufes vom 28. Mai, verfacht 1. Juni 1877 Folio 307 wird mit Bezug auf den Servituten-Ablösungs-Vergleich vom 23. August 1872 Folio 694 das Eigentumsrecht für die Gemeindefraktion Hinterthiersee, welche Lasten und Nutzungen nach Verhältnis der von der Fraktion zu entrichtenden Grundsteuer zu tragen und zu genießen hat, einverleibt.“ Als „Gemeindefraktion Hinterthiersee“ erscheint in dieser Grundbuchseintragung also die Summe aller Liegenschaftseigentümer in der Gemeindefraktion mit ideellen Quoten nach dem Verhältnis der individuellen Grundsteuerbeträge. Damit ist nicht nur der Kreis der Mitberechtigten, sondern auch schon deren Rechtserwerb bzw Rechtsverlust definiert: Wer zur Fraktion gehöriges Liegenschaftseigentum weitergibt oder erwirbt, setzt damit einen Tatbestand, der zu einer Änderung des Kreises der Mitberechtigten führt. Das Anteilsrecht – verbunden mit dem Recht auf Nutzung und der Pflicht zur Lastentragung – klebt demnach am steuerpflichtigen Eigentum in der betreffenden „Fraktion“. (Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 152 in FN 3, führen die historischen Rechtsverhältnisse an der Liegenschaft in EZ 11 GB Thiersee als hervorragendes Beispiel dafür an, wie sich die Bodenverteilung im Siedlungsverband in den wirtschaftsgenossenschaftlichen Aktivitäten der historischen Gemeindeverbände niedergeschlagen hat. „Offensichtlich hatten sich die im Jahr 1877 im Weiler Hinterthiersee grundsteuerpflichtigen Liegenschaftsbesitzer zum Erwerb dieser Liegenschaft zusammengeschlossen; maßgebliche Grundlage für die Beteiligung an der errichteten Gemeinde nbR war in diesem Fall die im Jahr 1877 jeweils zu tragende Grundsteuer. Allfällige Einwohner des Weilers Hinterthiersee, welche im Jahr 1877 keine Grundsteuer bezahlten, waren demnach am Erwerb der Liegenschaft, an den Lasten und Nutzungen der Liegenschaft nicht beteiligt.“)
Mit der durch ihre Teile definierten „Fraktion bestehend aus …“ verwandt ist ein Gebilde in der KG Sölden mit umfangreichem Grundbesitz, nämlich die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ (EZ 201–208, jeweils II GB Sölden). Dieser komplizierten Eigentümeranschreibung waren mehrere andere Versuche vorangegangen: So war im Grundsteuerkataster als Eigentümer noch „Vent – Ortschaft“ verzeichnet; bei der Grundbuchsanlegung hatte man sich zunächst für die neue Bezeichnung „Fraktion Vent ohne Rofenhöfe“ entschieden. Im Protokoll ist auch nur von „Fraktion Vent“ die Rede. Am Ende der Ausführungen zu EZ 487 II KG Sölden findet sich dazu jedoch die Bemerkung: „Unter obgenannter Fraction Vent sind die beiden Rofner-Höfe nicht inbegriffen, daher (…) richtiger Altgemeinde Vent.“ Daraufhin wurde die ursprünglich gewählte Eigentümerbezeichnung „Fraktion Vent ohne Rofenhöfe“ im Kopf des GAP Nr 252 in Klammern gesetzt und die Eigentümerin unter der Bezeichnung „Altgemeinde Vent“ angeschrieben. Im GAP Nr 687 KG Sölden war die Miteigentümerin ursprünglich als „Altgemeinde Vent“ bezeichnet; das Protokoll bemerkte dazu: „nun Fraktion Vent (ohne Rofenhöfe)“. Im Zuge von Nachtragserhebungen entschied man sich für die Eigentümerbezeichnung „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden“. (Vermerk am Kopf des GAP Nr 252 GB Sölden) Im B-Blatt des Hauptbuches schlug sich die gesamte Auseinandersetzung schließlich darin nieder, dass ob den Liegenschaften in EZ 201–208 II KG Sölden die zuvor zitierte Kombination aus allen Vorüberlegungen einverleibt wurde, nämlich die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Auf das B-Blatt der EZ 487 II KG Sölden wirkten sich die Nachtragserhebungen jedoch nicht mehr aus; hier wurde die Eigentümerin unter der Bezeichnung „Altgemeinde Vent“ einverleibt.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Ausschluss bestimmter Liegenschaften von der Mitberechtigung den Charakter des betreffenden Eigentumsträgers zum Ausdruck bringt – es muss sich dabei um einen geschlossenen Kreis von Berechtigten handeln. Dieses Merkmal ist zwar mit einem privatautonomen Zusammenschluss bestimmter Liegenschaftseigentümer kompatibel, nicht jedoch mit der grundsätzlich offenen Einrichtung der heutigen politischen Ortsgemeinde oder einer ihrer ehemaligen Teilorganisationen. Ein vergleichbares Phänomen ist im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Gemeinde“ als Liegenschaftseigentümerin nachweisbar, welches mit dem Terminus „die Gemeinde ohne“ an anderer Stelle beschrieben wird. Hinzuweisen ist nur auf die historische Eigentümerin der Liegenschaften in EZ 19–28, jeweils GB II St. Sigmund, „Gemeinde St. Sigmund mit Ausschluss der Ortschaft Praxmar und der Höfe in Kreutzlehen (GAP Nr 39 GB St. Sigmund).
Neben Fraktionen „bestehend aus“ bestimmten Teilen und Fraktionen „mit Ausschluss“ bestimmer Liegenschaften ist auch die Bildung einer „Fraktion einschließlich“ solcher denkbar. Nachweisbar ist derzeit zumindest ein derartiger Versuch: Die geplante Anschreibung einer „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitzen, Ober- und Außerhöfe“ in der KG Jerzens unterblieb jedoch, nachdem man sich im Zuge von „Nachtragserhebungen“ entschloss, die betreffenden Liegenschaften, die laut Grundsteuerkataster „Jakob Gastl, Jerzens Haus Nr 20, und 95 Mitbesitzern“ zugeschrieben waren, kurzerhand auf „Gemeinde Jerzens“ einzuverleiben. (GAP Nr 178 GB Jerzens vom 10. April 1906; Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 23. Mai 2008, AgrB-R893/82-2008 – AGM Tanzalpe Jerzens)
Einen Sonderstatus unter den Tiroler Fraktionen, jedenfalls im Hinblick auf ihre „Firma“, genießt die „Hauptfraktion Obsteig, bestehend aus den Ortschaften: Wald, Thal, Finsterfiecht, Ober- und Unterstrass“ (Der Begriff „Hauptfraktion Obsteig“ wurde von der GB-Anlegung zur Erfassung der Eigentumsträgerin der Liegenschaften in EZ 133, 134 und 135, jeweils II GB Obsteig verwendet). Auch hier ist zwar die Fraktion durch ihre Teile definiert, doch findet sich offensichtlich nirgendwo sonst im Nord- oder Osttiroler Grundbuch eine vergleichbare Zusatzbezeichnung, mit der die besondere Bedeutung einer Fraktion betont erscheint. Daneben existierten in der KG Obsteig zwei ausdrücklich aus mehreren „Fraktionen“ gebildete Alpinteressentschaften (Marienberg Alpinteressentschaft, Simmering Alpinteressentschaft) sowie „Fraktion Finsterfiecht“ (EZ 94 II GB Obsteig), „Fraktion Oberstrass“, Fraktion Wald“, „Fraktion Weissland“, „Fraktion Mötz“, „Fraktion Holzleiten“, „Fraktion Aschland“, „Fraktion Gschwendt“ und „Fraktion Frohnhausen“, wobei letztere und die Fraktion Mötz als „ortsfremd“ eigentlich in die Gemeinde Mieming zu verweisen wären.
Die aus „Ortschaften“ bestehende „Hauptfraktion“ lenkt den Blick auf das Verhältnis der Fraktionen zu anderen Eigentumsträgern. Nicht immer waren Fraktionen nämlich als „Alleineigentümer“ angeschrieben, oft kam ihnen nur eine Mitberechtigung zu. Insbesondere dadurch sind sie in ein Netz von Beziehungen zu anderen Eigentümerpersönlichkeiten gestellt, das sich kaum logisch-konsistent erfassen lässt. Neben „schlichten Miteigentumsgemeinschaften“ mehrerer Fraktionen – auch gemeindegrenzüberschreitend – begegnen uns im historischen Tiroler Grundbuch „Nachbarschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ (ZB EZ 258 II GB Steeg: „Nachbarschaft Steeg, Dickenau und Hinterellenbogen, bestehend aus den Fraktionen Steeg, Dickenau und Hinterellenbogen der Gemeinde Steeg“), „Genossenschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ (ZB EZ 279 II GB Virgen: Mullitz-Alpgenossenschaft bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach“) und „Interessentschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ (ZB EZ 144 II GB Obsteig: Simmering Alpsinteressentschaft bestehend aus den Fraktionen des Mieminger Plateaus: Hauptfraktion Obsteig (Wald, Finsterfiercht, Ober- und Unterstrass), Mötz, Tabland und Zain).
Zumindest im Rahmen einer Genossenschaft oder Interessentschaft konnten „Fraktionen“ und natürliche Personen bzw Einzelliegenschaften auch als gleichrangige Mitberechtigte nebeneinander stehen, dies sowohl innerhalb einer Gemeinde (ZB EZ 278 II GB Virgen: „Alpengenossenschaft Virgen-Mellitz bestehend aus der Fraktion Virgen-Dorf der Gemeinde Virgen b) der Fraktion Mellitz der Gemeinde Virgen c) dem jeweiligen Eigentümer des Reiterhofes Einl.Zl 1 I dieses Grundbuches“; Liegenschaft in EZ 236 II GB Windisch Matrei Land: Zünig-Alpgenossenschaft bestehend aus A) der Fraktion Bühel der Landgemeinde Windisch Matrei, B) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Weier der Landgemeinde Windisch Matrei … (es folgt eine Aufzählung von acht Hofliegenschaften), C) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Ganz der Landgemeinde Windisch Matrei … – es folgt eine Aufzählung von vier Hofliegenschaften) als auch gemeindegrenzübergreifend (ZB EZ 128 II GB Obsteig: „Marienberg-Alps-Interessentschaft bestehend aus den Fraktionen Gschwendt und Aschland (der Gemeinde Obsteig), Frohnhausen, See, Barwies, Zürchbichl, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper der Einl. Zl 1 I und 2 beide dieses Hauptbuches, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper in Einl. Zl 94 I, 96 I beide des Hauptbuches der Katastral-Gemeinde Mieming“). Daneben gab es auch die Variante einer Mitberechtigung von „Fraktionen“ neben einer „Gemeinde“ auf deren Gemeindegebiet ZB EZ 76 II GB Musau: „Gemeinde Musau mit dem Weiler Unterletzen zu achtundvierzig Einundsechzigstel, Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle zu dreizehn Einundsechzigstel“; EZ 154 II GB Navis: „A. Gemeinde Navis zu sieben Achtel B. die Fraktionen der Gemeinde Steinach: a. Tienzens bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Baste in Einl.Zl. 24 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Salchner in Einl.Zl. 144 II der Katastralgemeinde Steinach, c) Knaber in Einl.Zl. 25 I der Katastralgemeinde Steinach, d) Mauser in Einl.Zl. 27 I der Katastralgemeinde Steinach, e) Messner in Einl.Zl. 145 II der Katastralgemeinde Steinach, f) Hilber in Einl.Zl. 59 I der Katastralgemeinde Steinach, g) Kraler in Einl.Zl. 26 I der Katastralgemeinde Steinach; b. Puigg bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Dengg in Einl.Zl. 32 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Vögeler in Einl.Zl. 31 I der Katastralgemeinde Steinach, c) Eggenhäusl in Einl.Zl. 146 II der Katastralgemeinde Steinach, d) Schuster in Einl.Zl. 147 II der Katastralgemeinde Steinach, e) Stampf in Einl.Zl. 33 I der Katastralgemeinde Steinach, f) Nägele (Spinnfabrik) in Einl.Zl. 149 II der Katastralgemeinde Steinach, g) Berger in Einl.Zl. 37 I der Katastralgemeinde Steinach; c. Mühlen bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Unterspörr in Einl.Zl. 30 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Ober-Spörr in Einl.Zl. 29 I der Katastralgemeinde Steinach und c) Mill in Einl.Zl. 28 I der Katastralgemeinde Steinach, zu einem Achtel“) oder auf allseits fremdem Territorium (ZB EZ 138 GB Steeg: „Gemeinde Holzgau zu sechsundsiebzig Hundertzwanzigstel, Nachbarschaft Oberwinkel-Schönau-Sulzbach-Oberstockach bestehend aus den Fraktionen Oberwinkel, Schönau, Sulzbach, Oberstockach der Gemeinde Bach zu vierundvierzig Hundertzwanzigstel“).
IV. Unterschiedliche Wurzeln unterschiedlicher Fraktionsvorstellungen
Vielgestaltig sind aber nicht nur die Erscheinungsformen der Fraktionen, ihre Bezeichnungen und ihre Rechtspositionen. Mindestens ebenso vielfältig sind die rechtshistorischen Wurzeln der Fraktionen, auch wenn deren Unterschiede verschwimmen: Teils ist dies das Ergebnis wechselseitiger Bezugnahme und Überlagerung, teils verstellen die Formulierungen der Grundbuchsanlegung die Unterschiede.
1. Fraktionen im Rahmen der Forstregulierung 1847 (Art 3 FRP 1847)
Das „Verdienst“, den Begriff „Fraktion“ in die Tiroler Rechtssprache eingeführt zu haben, gebührt vermutlich der Forstservituten-Ablösungs-Kommission (FSAK), die 1847 bis 1849 mit der Ablösung der Forstservituten in den vorbehaltenen Staatsforsten Nordtirols (Kreise Unterinntal samt Wipptal, Oberinntal samt Lechtal) beschäftigt war. Aufgenommen hat die Kommission ihre Tätigkeit aufgrund der Instruktion vom 1. Mai 1847; die ersten Ablösungsvergleiche aus dem Landgerichtsbezirk Ried, Oberinntal, datieren vom September 1847; als letzter Landgerichtsbezirk wurde Zell am Ziller verhandelt; der zusammenfassende Bericht der Kommission, mit welchem die Vergleichsabschlüsse dem Ministerium zur Genehmigung empfohlen wurden, datiert vom 21.12.1849. Ungeachtet dessen existieren auch Ablösungsvergleiche jüngeren Datums, weil das Angebot des k.k. Aerars zur Ablösung der Forstservituten aufrechterhalten wurde. Wie dies im Einzelnen abgewickelt wurde ist noch nicht näher erforscht; jedenfalls hat beispielsweise die „Pfarrgemeinde Breitenwang außer Pflach“ den Ablösungsvergleich noch am 8. Juli 1854 errichtet, obwohl die ständige Kommission Ende des Jahres 1849 ihre Tätigkeit beendet hatte. Siehe dazu: RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851); Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 105ff.
Dazu wurden 283 Ablösungsvergleiche verhandelt, von denen der Großteil von den Servitutsberechtigten angenommen wurde. RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851), 392: „Mit allen berechtigten nordtirolischen Gemeinden wurden die Verhandlungen gepflogen, mit 240 Gemeinden Übereinkommen geschlossen und für die nicht abgefundenen 43 Gemeinden die Vergleichsentwürfe verfasst. Aber auch die letzteren Gemeinden haben sich seit dem Jahr 1849, wo die Kommission zu tagen aufhörte, die Überzeugung verschafft, dass der ihnen angebotene Stand ungleich vorteilhafter als der beibehaltene zu werden verspricht, und haben sich daher auch nachträglich zum Abschluss von Vergleichen herbei gelassen. Im gegenwärtigen Momente dürften wenige Gemeinden mehr übrig sein, welche von der ihnen zu Teil gewordenen allerhöchsten Begünstigung keinen erfolgreichen Gebrauch gemacht haben.“ (391).
Der Begriff „Fraktion“ wurde dabei in zahlreichen Vergleichsprotokollen verwendet, um bestimmte Gruppen von Servitutsberechtigten innerhalb einer größeren Gemeinschaft abzugrenzen. Die Grundlage für die entsprechenden Unterscheidungen der Ablösungsvergleiche war schon in den Erhebungsaufträgen gelegt worden, die durch die Landgerichte den lokalen Verwaltungseinheiten, nämlich den in Tirol seit 1819 regulierten politischen Gemeinden übertragen waren. Ausführlich dazu: Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 114 ff. Dabei hatte die jeweilige Gemeindevorstehung zur Vorbereitung der Tätigkeit der FSAK Informationen durch Erstellung von „Ausweisen“ beizubringen, für die unter anderem folgende Vorgabe bestand: „Wo einzelne Parzellen (!) ganz abgesonderte Forstrechte von der Hauptgemeinde haben, ist dieses zu bemerken.“
Dementsprechend finden wir heute in zahlreichen Ablösungsvergleichen der FSAK Regelungen über abgesonderte Nutzungsrechte oder abgesondertes Eigentum; dies erfolgte regelmäßig im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ zur Erfassung des Trägers abgegrenzten Eigentums oder abgegrenzter Nutzungsrechte. Einschlägige Bestimmungen enthalten unter anderem die Ablösungsvergleiche von Arzl im Pitztal, Bach, Berwang, Ehrwald, Elmen, Elbigenalp, Finkenberg, Imst, Lermoos und Oberperfuss und zahlreiche andere Ablösungsvergleichsprotokolle. (FSAV vom 10. Jänner 1848, verfacht 1850 fol 3677 – 3686; das Vergleichprotokoll erwähnt folgende Fraktionen, aus welchen die Gemeinde bestehe: Arzl, Wald, Ried, Leins, Timmels, Hochasten und Plons; FSAV vom 29. August 1848, verfacht am 13. November 1852, fol 910; den Fraktionen Oberbach und Unterwinkl wurde ein vorzugsweises Benützungsrecht eingeräumt; der Fraktion Sulzelbach wurde ein Nutzungsgebiet; ebenso der Fraktion Seesumpf, in deren Nutzungsgebiet die zur Gemeinde Elbigenalp gehörige Fraktion Obergilben der unentgeltliche Bezug von Archenholz vorbehalten wurde; den Fraktionen Oberstockach, Unterstockach, Unterwinkl, Oberbach wurde ein Nutzungsgebiet gemeinschaftlich zuerkannt; den Fraktionen Unterbach, Oberbach, Kraichen, Benglerwald, Seesumpf, Bichel, Unterwinkl, Unterstabach, den Häusern von Oberstockach mit den zur Gemeinde Elbigenalp gehörigen Fraktionen Unter- und Obergrünau, wurde direkt Gemeinschaftseigentum „nach dem Maße der bisherigen Benützung“ zugeordnet, auf welchem der Gemeinde Fraktion Elbigenalp sowie Unter- und Obergiblen allfällige Holzbezugsrechte vorbehalten wurden; weiteres Gemeinschaftseigentum wurde zugeordnet an die Fraktionen „Oberbach, Unterbach, Stockach und ihrer Mitverwandten mit den zur Gemeinde Elbigenalp gehörigen Fraktionen Unter- und Obergrünau (nach Maßgabe der bisherigen Benützung)“; gemeinschaftliches Eigentum der Parzelle Unterbach mit den zur Gemeinde Elbigenalp gehörigen Fraktionen Unter- und Obergrünau nach Maßgabe der bisherigen Benützung; schließlich den Fraktionen der Gemeinde Bach als Oberstockach, Kraichen, Benglerwald, Oberwinkl mit der zur Gemeinde Holzgau gehörigen Fraktion Unterholzgau; FSAV vom 21. Oktober 1848, verfacht am 13. November 1852, fol 931 (Landgericht Reutte), im Volltext abgedruckt bei Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, aaO, 144 ff; den Fraktionen Berwang, Bichelbächle, Brand, Gröben, Mitteregg, Kelmen, Namlos und Stockach wurde darin direkt Eigentum zugeordnet – zusätzlich den Fraktionen Berwang und Gröben in einem Fall gemeinschaftliches Eigentum nach dem Verhältnis der jeweiligen Feuerstätten; FSAV vom 16. Oktober 1848, verfacht am 10. Dezember 1852, fol 1008 (Landgericht Reutte); den Fraktionen Oberehrwald und Unterehrwald wurde darin gesondertes Eigentum zugeordnet; bemerkenswert ist die Alternativbezeichnung „Fraktion Oberehrwald oder den drei oberen Höfen“ bzw „Unterehrwald oder den zwei unteren Höfen“; FSAV vom 31. August 1848, verfacht am 13. November 1852 fol 912; den Fraktionen Elmen, Klimm und Martinau wurde darin gesondertes Eigentum zugeordnet; FSAV vom 3. Mai 1851, verfacht am 13. November 1852 fol 932; den Fraktionen Untergilben und Obergilben wurde darin jeweils gesondertes Eigentum zugewiesen; Fraktion Köglen erhielt danach einmal gemeinsames Eigentum mit der Gemeinde Elbigenalp, einmal gemeinsames Eigentum mit der Gemeinde Elbigenalp und der Fraktion Grünau „nach Maßgabe der bisherigen Benützung“; schließlich existiert auch die Variante von Waldeigentum der Gemeinde Elbigenalp und der Fraktion Köglen „unter Ausschluss der übrigen Fraktionen“; FSAV vom 15. Februar 1851, verfacht am 10. Juli 1853 fol 337; der Vergleich enthält in Pkt Elftens folgende Regelung: „In diesem Vergleich ist die Fraktion Dornauberg, insoweit sie zur Gemeinde Finkenberg gehört, nicht inbegriffen …“; FSAV vom 18. Jänner 1848, verfacht 1850, fol 3705 (Landgericht Imst); FSAV vom 20. Oktober 1848, verfacht am 13. November 1852, fol 909 (Landgericht Reutte); FSAV vom 21. Juli 1848, verfacht 1850 fol 162 (nur hinsichtlich Fraktion Unterperfuss).
Darüber hinaus weisen insbesondere folgende Forstservitutenablösungsvergleiche (FSAV) „Fraktionen“ entweder direkt Eigentum (E) zu oder grenzen zumindest Nutzungsgebiete (N) von „Fraktionen“ ab: FSAV Gries/Brenner 19.5.1848, verfacht am 20.11.1849 fol 328 (N); FSAV Häselgehr 31.8.1848 verfacht 13.9.1852 fol 913 (E); FSAV Haiming 2.12.1848 verfacht fol 689 (N); FSAV Holzgau 30.8.1848 verfacht 13.9.1852 fol 915 (E); FSAV Lech, Höfen, Weisenbach und Wängle 19.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 924 (E); FSAV Imst 18.1.1848 verfacht 1850 fol 3705 (N, E); FSAV Imsterberg 12.1.1848 verfacht 12.12.1851 fol 437 (E); FSAV Jerzens 7.1.1848 verfacht 1850 fol 3713; FSAV Stanz, Angedair, Perfuchs 17.12.1847 verfacht 5.8.1852 fol 2363 (E); FSAV Lermoos 20.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 909 (N); FSAV Mieming 14.11.1848 verfacht 25.6.1851 fol 528 (Teilungsanordnung bezogen auf Fraktionen); FSAV Mühlbachl 15.12.1849 verfacht 13.3.1853 fol 434 (E); FSAV Matrei/Brenner Vergleichsprotokoll 19.12.1849 verfacht 11.3.1851 fol 435 (E: Dieser Vergleich weist sogar die Besonderheit auf, dass er mit der Gemeinde Matrei und den zur Gemeinde Mühlbachl gehörigen Fraktionen Mühlbachl, Zieglstadl, Mutzens und Alpenstadt errichtet wurde); FSAV Musau 14.9.1848 verfacht 13.11.1852 fol 930 (E – „volles und unbeschränktes Eigentum die Gemeinde Musau mit Ausschluss der Fraktion Unterletzen“; E – Fraktion Unterletzen, E – Fraktion Oberletzen); FSAV Nassereith 18.1.1848 verfacht fol 3695 (N); Nesselwängle 12.9.1848 verfacht 13.11.1852 fol 927 (E).
Insoweit deshalb zum Beispiel in den Katastralgemeinden Berwang, Rinnen, Mitteregg und Bichlbächle (alle im Gemeindegebiet der heutigen Ortsgemeinde Berwang) im Zuge der Grundbuchsanlegung „Fraktionen“ unter Bezugnahme auf das Vergleichsprotokoll der FSAK vom 21. Oktober 1848 als Eigentümerinnen einverleibt wurden, so hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten einfach die jeweiligen Eigentumsträger gemäß der Titelurkunde in das Grundbuch übernommen. (Zum Wortlaut eines solchen Forstservituten-Ablösungsvergleichs siehe Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 144 ff. Im Vergleichstext wurde den damals acht „Fraktionen“ von Berwang in den Grenzen exakt beschriebenes Waldeigentum zugewiesen; das restliche Waldvermögen auf Gemeindegebiet wurde gem Pkt Siebentens von allen Holznutzungsrechten freigestellt und verblieb als „vorbehaltene Staatswaldung“ im Eigentum der „öffentlichen Hand“)
Es handelt es sich bei diesen „Fraktionen“ also im Sinne des FRP 1847 um (aus Stammliegenschaftsbesitzern zusammengesetzte) „holzbezugsberechtigte Gemeinden“. (Vgl Kohl, Die Forstservituten-Ablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 124ff; weiters VerfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung. In Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Salzburger Landesregierung gegen den Einleitungsbeschluss stellte der Verfassungsgerichtshof folgendes klar: „Entgegen der Auffassung der Sbg. Landesregierung ist daher die von ihr beschriebene … Erscheinung, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, nicht von den in Prüfung stehenden, sondern von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, so dass sich aus der Eigenart jener Erscheinung nichts für den Inhalt dieser Gesetzesbestimmungen [Anm: gemeint § 15 Abs 2 lit c FlVerfGG] ergibt.“)
Nach einhelliger Auffassung in Literatur und Judikatur kann aus einem Vorgang der Servitutenablösung kein öffentliches Eigentum etwa in Form von „politischem Gemeindegut“ entstanden sein. Im Fall gemeindeweiser oder ortschaftsweiser Ablösung von Forstservituten entstehen Gemeinden „nach bürgerlichem Recht“ (§ 26f ABGB), kurz: Agrargemeinschaften. (VfGH Slg 9336/1983; Oberster Agrarsenat 234-OAS/60 vom 5.9.1960; 267-OAS/61 vom 12.10.1961; Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht, 1923, 388; Ehrenzweig, System I/1, 1925, 183: „Es gibt landwirtschaftliche Grundstücke, deren Nutzung den Besitzern gewisser behauster Grundstücke gemeinschaftlich für die Zwecke ihrer Einzelwirtschaften zusteht. Solche Agrargemeinschaften sind zum Teil erst in neuerer Zeit bei der Servitutenablösung dadurch entstanden, dass man einer Gesamtheit von Berechtigten Abfindungsgrundstücke zur gemeinschaftlichen Nutzung abgetreten hat.“ Klang in Klang, ABGB II², 608: „Gewöhnlich sollen Wald- und Weidegrund allen Berechtigten gemeinsam abgetreten werden. Dadurch entstehen Agrargemeinschaften.“ In diesem Sinn schon Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 592 oder Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Österreichische Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff; 155 ff uam; Falser, Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche, Innsbruck, 1896, 35, stellt dies speziell bezogen auf die Maßnahmen der Jahre 1847 ff für das heutige Nordtirol klar: „Dort wo das ärarische Waldeigentum im Allgemeinen festgehalten worden ist, wie im Inn- und Wipptal, schuf die Forsteigentums-Purifikations-Kommission, teils im Wege der Anerkennung des Privateigentums, teils im Wege der Ablösung bestehender Einforstungen durch Abtretung von Grund und Boden, zahlreiche wirkliche Privateigentumswaldungen“; ausdrücklich nunmehr auch: VwGH 30.6.2011 Zl 2010/07/0091 VwSlg 18.171 A/2011 Obergarten: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. Gleiches gilt für die Fälle von Grundstücken gem § 15 Abs. 1 lit. b Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951. „Gemeinde“ bedeutet in dieser Gesetzesbestimmung eine Gemeinschaftsorganisation der Nutzungsberechtigten.)
2. Fraktionen des Provisorischen Gemeindegesetzes 1849
Ein gänzlich anderes Verständnis der Begriffs „Fraktion“ hatte das ProvGemG 1849. Dieses in seiner Bedeutung über Tirol weit hinausgehende Gesetz hatte vorgesehen, dass eine „Fraktion“ nur durch Rechtsakt der (neuen) politischen Ortsgemeinde geschaffen werden könne. (§ 5 RGBl 1849/170: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ – In den GRP-Gemeinden von 1819 hatte es keine Fraktionen gegeben.)
Dazu enthielt § 5 ProvGemG 1849 folgende Bestimmung: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ Fraktionen durften also nur bei „bedeutender Volkszahl“ gebildet werden, was sich nicht nur aus dem ausdrücklichen Wortlaut, sondern auch aus der dahinter stehenden Zweckbestimmung, nämlich der „Erleichterung der Verwaltung“ ergab. Die Fraktionsbildung trat nicht ex lege ein, sondern erforderte ein Handeln der Gemeinde sowohl zur Begründung der Fraktionen („sich in Fractionen zu theilen“) als auch bei der Definition ihrer jeweiligen Aufgaben („einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen“). (Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 129)
Die Errichtung der Gemeinden nach ProvGemG 1849 geriet mit der Abkehr vom Konstitutionalismus ins Stocken (Im Rahmen der sogenannten Silvesterpatente – RGBl 1852/4, Nr. 7ff – wurden wesentliche Grundsätze des Gemeindegesetzes verlassen; die angekündigten Gemeindeordnungen für die einzelnen Länder wurden nicht erlassen) und damit wohl umso mehr die Bildung von Untergliederungen in Form politischer Gemeindefraktionen. Beschlüsse von Gemeindeausschüssen, denen die Teilung in Fraktionen und die Zuweisung eines bestimmten Wirkungskreises an solche Fraktionen zu entnehmen wäre, konnten bislang nicht nachgewiesen werden. Es ist daher zu vermuten, dass solchen gemeinderechtlichen Fraktionen nach ProvGemG 1849 weder quantitative noch länger andauernde Bedeutung zukam.
3. Fraktionen als Gemeindeteile im Sinne der Tiroler Fraktionsgesetzgebung
a) Das Fraktionengesetz LGBl 1893/32 und sein Umfeld
Erheblich wichtiger als die gemeinderechtlichen Fraktionen nach dem ProvGemG 1849 waren jene Fraktionen, mit denen sich der Tiroler Landtag gegen Ende des 19. Jahrhunderts auseinandersetzen mußte. Eine Wurzel des Problems lag in einer Ergänzung, die der Tiroler Landtag selbst jener Gesetzesvorlage hinzugefügt hatte, die von der Wiener Zentralregierung für die Gemeindegesetze der Länder entworfen worden war. Der dadurch modifizierte § 65 der Tiroler Gemeindeordnung 1866 enthielt die Bestimmung, wonach dann, wenn eine Gemeinde aus mehreren „Fraktionen“ bestünde, die Erträgnisse „getrennter Vermögenheiten und die abgesonderten Bedürfnisse“ in den Voranschlägen und Jahresrechnungen der Gemeinde besonders ersichtlich zu machen seien. (§ 65 Abs 5 TGO 1866) Damit wurde der Begriff der „Fraktion“ allerdings vorausgesetzt; er korrelierte nämlich mit keiner anderen Regelung der TGO 1866 und bildete in deren Gesamtsystem einen Fremdkörper. Es war daher kein Wunder, dass diese Fraktionen, wie man später feststellte, „behördlich so viel als möglich ignoriert“ wurden. (Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)
Dessen ungeachtet fanden 1892 „Fractionen“ als „Gemeindetheile“ bzw als „Theile dieser Gemeinde“ (dh der politischen Ortsgemeinde) sehr punktuell in ein Gesetz Eingang, das die Verwaltung des Gemeindeeigentums regelte. (LGBl 1892/17, § 2, § 14, § 34) Auch dabei kam es aber zu keiner vertieften Auseinandersetzung mit dem Fraktionsbegriff. Dies kann kaum erstaunen; im Landtag wußte man nur zu gut, dass dieses Problem erst seiner Lösung harrte: Wenige Monate zuvor, in seiner Sitzung vom 31. März 1892 (StenProt Tiroler Landtag, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 89ff), hatte der Landtag nämlich eine Resolution beschlossen, worin der Landesausschuss aufgefordert wurde, Erhebungen und Überlegungen im Hinblick auf verschiedene Änderungen des Gemeindewesens anzustellen. Insbesondere betraf dies, neben zwei hier nicht näher darzustellenden Problemkreisen (einer Abänderung der Regeln zur Gemeindegutsnutzung sowie einer Verlängerung der Wahlperiode der Gemeindevertretungen bei Einführung periodischer Ergänzungswahlen), die Fraktionen; dazu formulierte die Resolution:
„Um den einzelnen Gemeindetheilen (Fractionen) in der Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung den ihnen gebührenden Einfluß zu wahren, wird als zweckmäßig anerkannt, daß in größern Gemeinden, welche aus mehrern selbständigen Theilen bestehen, bei den Gemeindewahlen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde entfallenden Vertreter, nach Gemeindetheilen (Fractionen) im Verhältnisse der Bevölkerungsziffer aufgetheilt werden. (…) Der Landesausschuß wird beauftragt die nöthigen Erhebungen zu pflegen, welche Bestimmungen der Gemeindewahlordnung bezw. der Gemeindeordnung abgeändert werden müssen, um (…) die Rechtsverhältnisse der Gemeindefractionen überhaupt in zweckentsprechender Weise zu regeln.“ (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Berichterstatter A. Graf Brandis, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93)
Hintergrund der Beschäftigung mit den Fraktionen war der Befund, dass zahlreiche Gemeinden „nicht lebensfähig“ erschienen. Die „volle Wahrung der Gemeindeautonomie“ verhinderte eine zwangsweise Vereinigung dieser Gemeinden; auch war es „seit 9. Jänner 1866 noch nicht gelungen (…), Gemeinden zur vollkommen freiwilligen Vereinigung zu veranlassen“. In dieser Hinsicht sollte mit der Ausgestaltung der Fraktionen ein Anreiz geboten werden, um den größeren „Sammelgemeinden“ das „Beisammensein zu erleichtern, und andererseits den jetzt selbständigen lebensunfähigen Gemeindegebilden ihre Verschmelzung mit anderen zu erleichtern“. (StenProt Tiroler Landtag, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 90. Schon in dem Bericht des Gemeindeausschusses, der dem Resolutionsbeschluss voranging, zeigte sich allerdings eine dogmatische Unsicherheit; einerseits erschien es notwendig, den nicht lebensfähigen Gemeinden „ihre wohlberechtigten autonomen Interessen zu wahren“, andererseits sollten sie sich nicht als „Privatverbände oder Privatvereine“ verstehen.)
In Ausführung der „Aufträge“ des Landtages legte der Landesausschuss mit 30. März 1893 einen Bericht sowie drei Gesetzentwürfe vor, darunter einen solchen „über die Vertretung der Gemeindefractionen“. Als Berichterstatter fungierte das langjährige Ausschussmitglied Anton Graf von Brandis, zu dieser Zeit bereits Landeshauptmann von Tirol. (Anton Graf von Brandis war k. u. k. Geheimer Rath und Kämmerer und erbliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses, vom 30. September 1889 bis zum 25. April 1904 Landeshauptmann von Tirol.) Sein Bericht lässt erkennen, was man sich unter dem Begriff „Fraktion“ vorgestellt hatte, auch wenn man sich offenkundig schwer tat, diesen Gegenstand exakt zu definieren:
„Die großen Gemeinden, mit Ausnahme einiger weniger geschlossener Orte, bestehen durchweg aus mehreren getrennten Dörfern, Weilern, kurz gesagt Fractionen. Bei den kleinen Gemeinden dürfte sich wohl in den allermeisten Fällen geschichtlich nachweisen lassen, daß sie ursprünglich Theile eines größeren Gemeindewesens bildeten, mit anderen Worten, daß sie aus ehemaligen Fractionen selbstständige Gemeinden wurden.“ „Eine weitere Veranlassung der gegenwärtigen Vorlage ist das Bedürfnis, den Fractionen endlich einmal den ihnen gebührenden Platz in unserer Gemeinde-Gesetzgebung zu verschaffen. Unser Gemeindegesetz kennt eigentlich nur Ortsgemeinden mit ihrer Vertretung. Daß diese Ortsgemeinden auch aus Theilen, Fractionen, bestehen können, wird insoferne anerkannt, als diese Fractionen auch eigenes Vermögen besitzen können[,] welches sie, und zwar unter Oberaufsicht der gemeinsamen Gemeindevertretung, selbstständig verwalten sollen; wie aber diese Verwaltung geschehen soll? durch wen? wer die Fraction vertreten soll? das ist der rechtsgiltigen Übung anheimgestellt. Diese rechtsgiltige Übung nun ist ein sehr vielgestaltiges Etwas, und läßt mitunter auch bezüglich ihrer Rechtsgiltigkeit begründete Zweifel aufkommen. Es sind dies größtentheils Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte, die man aber behördlich so viel als möglich ignorirte, weil sie nicht in den Rahmen der neuen Gesetzgebung hineinpaßten, und die so möglichst uncontrollirt fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach.“ (Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)
Die Zielsetzung, „Gemeindetheilen“ als „Fraktionen“ den „ihnen gebührenden Platz“ in der Tiroler Gemeindegesetzgebung zu verschaffen, wurde jedoch dadurch erschwert, dass sich der Landesausschuss weder zu einer exakten Definition des Gegenstandes durchringen konnte noch in der Frage nach dessen Rechtsnatur eindeutig Stellung bezog. Diese Probleme spiegelten sich in weiterer Folge auch in dem schließlich beschlossenen Fraktionengesetz vom 14. Oktober 1893 (Fraktionengesetz“, Gesetz vom 14. Oktober 1893 gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, LGBl 1983/32. Ausschussbericht dazu: Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93).
Die zentrale Bestimmung dieses Gesetzes lautete wie folgt: „§ 1 (1) Bei Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen, kann über Ansuchen oder in Folge von Beschwerden einer oder mehrerer Fractionen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde nach § 14 der Gemeindeordnung entfallenden Ausschußmitglieder und Ersatzmänner unter eben diesen Gemeindefractionen aufgetheilt werden. (2) Ob und in welcher Art diese Auftheilung und wie die Vornahme der Wahl zu geschehen habe, bestimmt die k.k. Statthalterei im Einverständnisse mit dem Landesausschusse, wobei folgende Grundsätze zu beobachten sind: [Es folgen Abs 3 und 4; abgedruckt unten b.]
b) Begriff und Rechtsnatur der Fraktionen des Fraktionengesetzes LGBl 1893/32
Schon der Bericht des Landesausschusses hatte den Ausdruck „Fractionen“ zunächst nur als eingeklammertes Synonym verwendet und den „Gemeindetheilen“ nachgestellt; als Beispiele genannt wurden „Dörfer“ und „Weiler“. Dabei überwog der Charakter einer Beschreibung; eine möglichst genaue Definition wurde offenkundig gar nicht angestrebt. In Zusammenhang damit standen auch historische Überlegungen zur Entstehung kleiner Gemeinden aus ehemaligen Fraktionen größerer. Mit „Gemeindetheilen (Fractionen)“ sollten somit aus der älteren Gemeindeverfassung stammende Gebilde erfasst werden, „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen“, deren Bestand darauf zurückzuführen war, dass man „nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte“. (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)
Unsicherheiten hinsichtlich des Fraktionsbegriffs und hinsichtlich der Art, wie der undefinierte Gegenstand den ihm „gebührenden Platz“ in der modernen Gesetzgebung erhalten sollte, zeigte bereits der Landesausschussbericht durch zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: Einerseits nahm er auf einen örtlichen Siedlungszusammenhang („Dörfer“, „Weiler“) Bezug, andererseits auf die Existenz „eigenen Vermögens“; letzteres durch Hinweis auf die im Rahmen der „älteren Gemeindeordnungen“ bestehende „rechtsgiltige Übung“ betreffend Vermögensverwaltung und Vertretung der Fraktionen. Dies liefert einen Anhaltspunkt für einen eigenständigen Rechtsträger. Das Fraktionengesetz kombinierte diese beiden möglichen Anknüpfungspunkte und betraf daher „Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen“.
Die hier offenbar werdenden Schwierigkeiten bei der juristischen Erfassung eines historischen Phänomens sind durchaus nachvollziehbar, stand man dabei doch vor einem recht spezifischen Tiroler Problem. Im Gegensatz zu Tirol, wo mangels grundherrschaftlicher Strukturen die lokalen Gemeinschaften als „Markgemeinden“ einen „doppelten Beruf“ als örtliche Gemeinwesen und als ländliche Wirtschaftsgenossenschaften bewahrten, hatten nachbarschaftliche Organisationsformen im anderen Ländern keine Bedeutung mehr: Der Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, spricht davon, dass diese „unkontrolliert fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach“ (Seite 3); der Niederösterreichische Landesausschuss stellte im Gegensatz dazu im Jahr 1878 fest, dass die „alte Organisation der Nachbarschaft“ zertrümmert sei und im modernen Staate den öffentlichen Charakter verloren hätte. (Bericht betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode, Seite 8) Es verwundert daher nicht, wenn der Verwaltungsgerichtshof eineinhalb Jahrzehnte später, 1894, erklärte, dass „der Ausdruck „Gemeinde“ [auch] als gleichbedeutend mit „Ortschaft“ aufzufassen“ sein könne. (Budwinski, Erkenntnisse des k.k. Verwaltungsgerichtshofes 1894, Nr. 8032)
Im Gegensatz zu Niederösterreich bestand daher für Tirol die Notwendigkeit oder zumindest das Bedürfnis, die – vielfach aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Vermögenswerte – erhalten gebliebenen örtlichen Gemeinwesen in die moderne Gemeindeverfassung zu integrieren und durch politische Beteiligungsrechte auf Gemeindeebene als „Erscheinung gemeinderechtlicher Art“ anzuerkennen. Dies erfolgte jedoch nicht durch eine generelle und grundlegende Veränderung des Charakters dieser historischen Gemeinschaften als Erscheinungen des Privatrechts, sondern dadurch, dass einigen von ihnen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine zusätzliche rechtliche Stellung eingeräumt werden konnte (nicht aber mußte), die als weitere Funktion im Rahmen des politischen Gemeinderechtes zu ihrer Rechtsnatur als privatautonom gegründete „moralische Person“ (§ 26f ABGB) hinzutrat.
Dazu hatte der Tiroler Landesausschuss dem Landtag folgendes berichtet: „Es möge nun der Versuch gemacht werden, diese alten Einrichtungen innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes mit den gegenwärtigen Rechtsverhältnissen in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe ist durchaus nichts Unmögliches, ja sie ist vielleicht nicht einmal so schwierig als sie auf den ersten Anblick aussehen mag. Unsere alten Gemeindeordnungen waren ja keine so starren Eisgebilde, als man sich heutzutage mitunter vorstellt. Der allgemeine Rahmen blieb allerdings durch manche Jahrhunderte hindurch unverändert der gleiche; aber innerhalb dieses Rahmens fanden manche Entwicklungen und Veränderungen statt, insbesondere betrafen diese Veränderungen die Art der Vertretung und die Competenz der einzelnen Gemeinde-Funktionäre. Es ist daher gar kein so unerhörter Eingriff in die alten Formen, wenn man heute festsetzt, der Dorfmeister, Regolano, oder wie er immer heißen mag, bleibt Vorsteher der Fraction, wird aber in Hinkunft nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 9. Jänner 1866 gewählt. Er hat an seiner Seite nach Bedarf einen Ausschuß, früher von … jetzt von … Männern, die in gleicher Weise gewählt werden. (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 3 f)
Die „alten Einrichtungen“ der historischen Nachbarschaften als private „Gemeinden“ (moralische Personen gem § 26f ABGB) konnten somit in den „Rahmen des Gemeindegesetzes“ gestellt und als Fraktionen „nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes“ anerkannt werden. Die politische Institutionalisierung wurde durch Reglementierung und Kontrolle erkauft; dies betraf insbesondere das Verhältnis von Gemeinde- und Fraktionsvorsteher, das Vertretungsrecht und das Fraktionsbudget: Wenn es heißt, „innerhalb des Rahmens der Gemeindegesetze“, so sind da gewisse allgemeine Gesichtspunkte, welche festgehalten werden müssen. So ist vor allem der Gemeindevorsteher nicht nur Vorsteher der Hauptgemeinde, sondern auch aller ihrer einzelnen Theile, er hat die Interessen derselben ebenso wie die der Hauptgemeinde gewissenhaft zu wahren, und erforderlichen Falles nach Außen zu vertreten. Der Gemeindevorsteher ist verantwortlicher Rechnungsleger nicht nur für die Hauptgemeinde, sondern auch für alle einzelnen Theile derselben. Damit will durchaus nicht gesagt sein, daß das Gesetz annehme, der Vorsteher sei immer auch selbst der Verfasser der Gemeinderechnung. Im Gegentheile, man weiß wohl, daß insbesondere in größeren Gemeinden Verfasser der Rechnung der Gemeindekassier sei. Aber der Vorsteher ist für diese Arbeit seines untergeordneten Beamten verantwortlich, er hat sie deshalb vorerst selbst genau zu prüfen, ehe er sie unter seinem Namen und unter seiner Verantwortung dem Ausschusse vorlegt. In ähnlicher Weise wird Niemand zweifeln, daß der Gemeindevorsteher nicht selbst die Rechnungen für die einzelnen Gemeinde-Fractionen verfaßt, sondern daß dies zunächst Aufgabe des Fractions-Vorstehers sei, der nach Umständen auch wieder einen Fractions-Kassier an der Seite haben kann, aber vor dem allgemeinen Gemeindeausschusse übernimmt gleichfalls in erster Linie der Vorsteher der Gesammtgemeinde die Verantwortung für die Richtigkeit der Rechnungslegung.
Das hat, oder soll vielmehr die Folge haben, daß vorerst der Gemeindevorsteher, und dann auch der Gemeindeausschuß den Theilrechnungen eine ebensolche Sorgfalt zuwende, als der Hauptrechnung. Darin liegt eben eine Controlle, die nach den vielfach gemachten Erfahrungen gewiß nicht überflüssig ist. Ebenso entspricht es, wie bereits bemerkt, dem Gemeindegesetze, speciell dem § 52, daß im Allgemeinen der Gemeindevorsteher nicht nur die Hauptgemeinde, sondern auch deren sämmtliche Theile nach Außen vertritt. Handelt es sich aber um besondere Fractions-Angelegenheiten, insbesondere um solche Fälle, wo der Gemeindevorsteher, der doch auch irgend einer innerhalb der Gemeinde befindlichen Fraction angehört, einigermaßen befangen erscheinen könnte, so mußte bisher immer nur fallweise durch Bestellung eines Amtsvertreters vorgesorgt werden, da wie erwähnt, der Fractionsvorsteher eigentlich keine bestimmte rechtliche Stellung hatte innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes. Diesem Mangel soll für die Zukunft abgeholfen werden, insbesondere dadurch, daß den sehr vagen und bisher durchschnittlich sehr wenig befolgten Bestimmungen des § 51 eine etwas concretere Gestalt gegeben werde.
(Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 4)
Politisch-administrative Bedeutung sollte jedoch nicht jeder vorhandenen Fraktion zukommen: Unter Festhaltung solcher allgemeiner Grundsätze möge man jedoch vertrauensvoll den ausführenden Organen, nämlich der k.k. Regierung im Einverständnisse mit dem Landesausschusse es überlassen, wie die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Gemeindelebens mit den Anforderungen des Gemeindegesetzes in Einklang gebracht werden können, und zwar durch Entscheidungen von Fall zu Fall, unter Berücksichtigung der an jedem Orte obwaltenden besonderen Verhältnisse. Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse. Im allgemeinen dürfte wohl die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal sein, doch kann es auch Fractionen geben ohne eigenem Vermögen, die doch alle übrigen Erfordernisse einer selbstständigen Stellung in sich tragen, während mitunter kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht darauf erheben können, als eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt zu werden. (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 4 f)
Dem Tiroler Landesausschuss war demnach sehr deutlich bewusst, dass nur einem Teil der vorausgesetzten, also bereits vor Erlassung des Fraktionengesetzes vorhandenen Fraktionen – Ortschaften bzw Korporationen – auch ein politisch-administrativer Charakter beigelegt werden sollte. Dabei zeigt der Hinweis auf „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung“, dass die Kenntnis des alten zivilrechtlichen Gemeindebegriffs noch vorhanden war; nach historischen Rechtsvorstellungen reichte eine Anzahl von drei Beteiligten aus, um eine solche Gemeinde zu bilden. (Vgl Harras v Harrasowsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 133: „… also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“)
Die Entscheidung darüber, welcher dieser Gemeinden auch im „Rahmen des Gemeindegesetzes“ Bedeutung zukommen sollte, schien jedoch zu schwierig, um sie generell-abstrakten Regeln des Gesetzgebers zu unterwerfen. „Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse.“ Daher sollte diese Frage „vertrauensvoll den ausführenden Organen“, also der Exekutive – Regierung und Landesausschuss – überlassen werden. Die Anerkennung als „eigentliche Gemeinde-Fractionen“ mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung war nach dem Gesetzestext einer Entscheidung der k.k. Statthalterei im Einverständnis mit dem Landesausschusse vorbehalten. (§ 1 Abs 2 – 4 Fraktionengesetz 1893; der Gesetzesentwurf dazu hatte nähere Kriterien für diese Entscheidung vermissen lassen; Beilage B zum Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93)
Der Landesausschussbericht hatte dazu nur vage Entscheidungskriterien genannt; insbesondere schien „die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal“, das allerdings nicht zu weit gehen sollte – einerseits gedachte man möglicher „Fractionen (…) ohne eigenem Vermögen“, andererseits sollten „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht“ auf Anerkennung als politische Gemeindefraktionen erwerben. Im Fraktionengesetz wurde schließlich eine bestimmte Mindeststeuerleistung verlangt: § 1 (3): Die Gesammtzahl der Ausschußmitglieder und Ersatzmänner ist unter die zur selbständigen Wahl berufenen Fractionen nach Verhältnis des Gesammtbetrages der Steuer-Jahresschuldigkeit (§ 12 der Gemeindewahlordnung) zu der Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten der einzelnen Fractionen zu vertheilen. (4): Wenn die Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction nicht jene Ziffer erreicht, welche sich aus der Theilung der für die Gemeinde ermittelten Gesammtsumme der Steuer-Jahresschuldigkeiten durch die Zahl der Gemeinde-Ausschußmitglieder ergibt, so ist diese Fraction mit einer benachbarten Fraction zu vereinigen. (§ 1 Abs 3 und 4 Fraktionengesetz LGBl 1893/32)
Nur bei Vorliegen entsprechender Einzel-Steuerleistungen („Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction“) war also eine politisch-administrative „Gemeinde-Fraktion“ im Sinne des Fraktionengesetzes anzunehmen. Ein „kleinere[s] Corporatiönchen“, dessen Steuerleistung nicht die für ein Gemeindeausschussmandat erforderliche Verhältniszahl erreichte, sollte – nur für die politisch-administrativen Zwecke des Fraktionengesetzes – jeweils „mit einer benachbarten Fraction“ vereinigt werden. Diese Zusammenlegung änderte jedoch nichts an allfälligen Privateigentumsverhältnissen der beteiligten Eigentumsträger und an deren Charakter als „private“ Fraktionen: Es ist kein Zufall, dass auch jene Korporationen, die keine ausreichende Steuerleistung erbrachten und daher nicht als „eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt“ waren, vom Gesetz als Fraktionen bezeichnet wurden.
Daran ist logisch anzuknüpfen: Wenn mehrere vorausgesetzte („private“) Fraktionen erst gemeinsam – infolge ihrer Zusammenlegung – eine gemeinderechtliche Fraktion im Sinne des Fraktionengesetzes bildeten, so bewahrte auch die Fraktion mit ausreichender Steuerleistung einen Doppelcharakter als privatautonomer Rechtsträger und politisch-administrative Einrichtung. Die gemeinderechtliche Anerkennung brachte den privatrechtlichen Charakter solcher Fraktionen nicht zum Erlöschen. Gegen jede andere Auffassung spricht schon ein sehr einleuchtender Grund: Das Verhältnis der Fraktions-Steuerleistung zur Gesamtsteuerleistung unterlag naturgemäß Schwankungen. So wie sich beim „Dreiklassenwahlrecht“ das Stimmgewicht jedes einzelnen Wählers von Gemeindeausschusswahl zu Gemeindeausschusswahl verändern konnte, so war auch der politisch-administrative Status als „Gemeinde-Fraktion“ niemals abgesichert; die Voraussetzungen konnten von Wahl zu Wahl verloren gehen oder neu erworben werden. Ohne die Annahme eines doppelten Charakters der Fraktion wäre deren Stellung als Privatrechtsträger von der nicht zu beeinflussenden Steuerleistung anderer Wahlberechtigter abhängig gewesen! Damit bestätigt auch und gerade das Fraktionengesetz trotz seines primär gemeinderechtlichen Zweckes die Verwendung des Begriffes „Fraktion“ zur Erfassung privater Rechtsträger von Gemeinschaftsliegenschaften.
Das Fraktionengesetz 1893 legte also bestimmten vorgefundenen Fraktionen eine gemeinderechtliche Bedeutung bei. Damit wird auch deutlich, was man sich unter jenen gemeinderechtlichen Fraktionen vorzustellen hat, die 1938 als „Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ von § 1 der Verordnung über die Einführung der Deutschen Gemeindeordnung im Lande Österreich erfaßt und beseitigt wurden. Fraktionen mit Doppelcharakter verloren spätestens damit wieder ihre politisch-administrative Bedeutung, während die (ältere) privatrechtliche Stellung der mit dem Begriff „Fraktion“ benannten „moralischen Personen“ (Körperschaften) als Eigentumsträger erhalten blieb. (DRGBl I 1938, S. 1167f , § 1)
c) Zum gesetzgebungsgeschichtlichen Rahmen des Fraktionengesetzes LGBl 1893/32
Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 gehört zu jenen Normen, mit denen sukzessive einzelne Aspekte der ländlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung an das sich langsam verändernde, sich auf die politische Ortsgemeinde verengende Gemeindeverständnis angepasst und mit der modernen politischen Gemeindegesetzgebung in Einklang gebracht wurden. Dabei war vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen eine zunehmende Differenzierung des zunächst umfassenden Gemeindebegriffs erforderlich, teils eine Abwicklung verschiedener historischer Gemeinschaftsverhältnisse. In diesem Sinne führten die Landesgesetzgeber schon seit 1866, den ursprünglichen Intentionen des Jahres 1849 Rechnung tragend, Jagdgenossenschaften anstelle von „Gemeindejagden“ ein. (Vgl. zu diesem Themenkomplex mwN Kohl, Otto Bauer und das Jagdrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeindejagd, Zeitschrift für Jagdwissenschaft 40 (1994) 253 ff; Kohl, Jagd und Revolution. Das Jagdrecht in den Jahren 1848 und 1849 (=Rechtshistorische Reihe 114), Frankfurt/Main 1993, 59ff, 90ff; Kohl, Zur Rechtsnatur des österreichischen Jagdrechts, in: Juristische Blätter 1998, 755ff)
1874 löste der Gesetzgeber die religiösen Aspekte aus dem säkularen Gemeindewesen und stellte klar: „Alle einen kirchlichen Gegenstand betreffenden Rechte und Verbindlichkeiten, welche in den Gesetzen den Gemeinden zugesprochen oder auferlegt werden, gebühren und obliegen den Pfarrgemeinden.“ (§ 35 Abs 2 RGBl 1874/50) Mit dem Fraktionengesetz sollte der Vielfalt historischer Siedlungseinheiten („Ortschaften“, „Weiler“ etc) Rechnung getragen werden: So wie man die jagdberechtigten oder kirchlichen Gemeinschaften von den „Gemeinden“ unterschieden hatte, so wollte man auch die verschiedenen geschichtlich gewachsenen Siedlungen von der „politischen Ortsgemeinde“ unterscheiden, allerdings – und darin liegt eine Abweichung von den Jagd- oder Pfarrgemeinden – um sie anschließend mittels besonderer Bestimmungen mit den Ortsgemeinden in Einklang zu bringen.
Deutlich zeigt sich auch eine Parallele zwischen dem Fraktionengesetz und der Bodenreformgesetzgebung, insbesondere den Teilungs- und Regulierungsgesetzen: So wie sich das TRRG 1883 nach den dazu vorliegenden Erläuternden Bemerkungen mit Liegenschaften beschäftigte, die sich als „Überreste der alten Agrargemeinde“ innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten hätten (EB zur Regierungsvorlage, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33; der Bericht des Commassationsausschusses verwendet denselben Begriff: Ausschussbericht, 582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12: „Überreste der alten Agrargemeinde“), so zeigen die Materialien zum Tiroler Fraktionengesetzes von 1893 die Absicht einer Auseinandersetzung mit einem „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“. (Fraktionengesetz“, Gesetz vom 14. Oktober 1893 gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, LGBl 1983/32. Ausschussbericht dazu: Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93) Die enge Verwandtschaft dieser Problemkreise wird dann deutlich, wenn solche historischen Siedlungseinheiten (Nachbarschaftsstrukturen) keine mit den Tiroler Verhältnissen vergleichbare Rolle als örtliche Gemeinwesen spielen konnten. In Niederösterreich, wo die realen Siedlungseinheiten von verschiedenen grundherrschaftlichen Zugehörigkeiten überlagert und dadurch rechtlich weniger stark verbunden gewesen waren, hatten sie keine solche Bedeutung – und erlangten sie auch nach dem Ende der Grundherrschaften nicht mehr. Der niederösterreichische Landtag beschäftigte sich daher auch nicht mit der Frage, ob und inwieweit historischen Siedlungsverbänden ein Gewicht innerhalb der modernen politischen Ortsgemeinden beigelegt werden sollte. Stattdessen wollte er vor allem Eigentum und Nutzungsberechtigung an den Gemeinschaftsliegenschaften geklärt haben und forderte ein Reichsgrundsatzgesetz, um die fehlende Kompetenz des Landesgesetzgebers für den Bereich des Zivilrechtes auszugleichen. Umgekehrt waren in Tirol, dessen Landtag sich mit den Fraktionen beschäftigte, Streitigkeiten um Eigentum und Nutzung von Gemeinschaftsliegenschaften kein Thema; dies selbst im Jahr 1909, als man sich über Veranlassung der Reichsregierung mit der Teilung und Regulierung von Gemeinschaftsliegenschaften auseinandersetzen musste.
So erscheinen Fraktionen und Gemeinschaftsliegenschaften geradezu als zwei Lösungsvarianten des gleichen Problems historischer Gemeindeverhältnisse: Das TRRG 1883 setzte sich mit den Gemeinschaftsliegenschaften als „Überresten der alten Agrargemeinden“ auseinander, das Fraktionengesetz 1893 mit „Überbleibsel[n] der älteren Gemeindeordnungen“. Während das TRRG das Problem der alten Gemeindeverhältnisse durch deren „Privatisierung“ und Ausscheidung aus der neuen politischen Ortsgemeinde löste, diente das Tiroler Fraktionengesetz 1893 deren Integration in die neue Gemeindeverfassung. Nach TRRG gingen alte und neue Gemeinden also getrennte Wege, nach dem Tiroler Fraktionengesetz 1893 wurde manchen alten Nachbarschaften politische Beteiligung zugestanden, um Spaltungstendenzen innerhalb der Ortsgemeinden vorzubeugen, somit unter bestimmten Voraussetzungen Mitbestimmungsrechte an der modernen Gemeinde eingeräumt. (Vgl Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite
4. Die Erfindung von Fraktionen im Rahmen der Grundbuchsanlegung
Schließlich sind noch jene Fraktionen zu betrachten, die ihre Existenz einem „Interpretationsvorgang“ im Rahmen der Grundbuchsanlegung zu verdanken haben. Verschiedene Phänomene wurden nämlich bei der Grundbuchsanlegung als „Fraktionen“ erfasst, ohne dass dies auf eine der historischen Rechtsgrundlagen zurückzuführen gewesen wäre. Ein prägender Einfluss des oben dargestellten, kurz vor Beginn der Grundbuchsanlegung beschlossenen Fraktionengesetzes kann dabei jedoch nicht ausgeschlossen werden.
a) Fraktion als Gemeinde gem Art 2 FRP
Im Rahmen der Forstregulierung erfolgte neben der Forstservitutenablösung (siehe oben) in Nordtirol auch eine „Forsteigentumspurifikation“. Dies bedeutete, dass in den aufgrund des „Regalitätsrechts“ landesfürstlich bleibenden Wäldern „bei Beurtheilung der Eigenthumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden (…) die Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes“ gestattet wurde. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich nichts anderes als die Anerkennung moderner privatrechtlicher Eigentumsansprüche insbesondere aufgrund eines Eigentumserwerbs durch Ersitzung. Die Eigentumsanerkennung erfolgte jedoch nicht generell, sondern „nur dann und in so ferne“, als die Ansprüche entweder „schon (…) gerichtlich gestellt“ waren oder „binnen 3 Monaten vom Tage, an welchem die zur Purifikation dieser Eigenthumsansprüche auszusendene Kommission den Beginn ihrer Wirksamkeit bekannt gemacht haben wird, bei eben dieser Kommission angemeldet“ wurden (Art 2 FRP). Die dazu erlassene Instruktion vom 17. Juni 1847 definierte einerseits eine Reihe von Ersitzungstatbeständen (§ 14), andererseits einen Anerkennungstatbestand „gnadenhalber“ (§ 11). („Instruction für die Commission zur Purifizirung der Privat Eigenthums-Ansprüche auf Wälder in jenen Landestheilen oder Forstgebieten Tirols, in welchen das l.f. Forsthoheits-Recht vorbehalten bleibt“, 17. Juni 1847: AVA Wien, Hofkanzlei, IV G 11 Waldwesen Tirol, 21889/1847; auch in: TLA Innsbruck, Gub. 1847, Forst 9357, Fasz. 421)
Tatsächlich wurden von der „Forsteigentumspurifikationskommission“ (FEPK) zahlreiche Liegenschaften als Privateigentum anerkannt. Dies erfolgte als Ergebnis eines Verfahrens, bei dem die angemeldeten Eigentumsansprüche natürlicher oder moralischer Personen (Körperschaften) in sogenannten „Forsteigentumspurifikationstabellen“ (FEPT) detailliert erfasst wurden. In diesem Zusammenhang fällt insbesondere auf, dass in diesen FEPT zur Kennzeichnung moralischer Personen unter anderem Begriffe wie „Parzelle“ oder „Hof“ Verwendung fanden. (Ogris/Oberhofer, Die Privateigentumsverhältnisse an den Tiroler Forsten, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 175, am Beispiel der FEPT für Umhausen) Bei der Grundbuchsanlegung wurde diese Begriffswahl aber nicht nachvollzogen; stattdessen hat man – ohne erkennbares System – verschiedenste Eigentumsformen (zB schlichtes oder realrechtlich gebundenes Miteigentum) und Eigentumsträger, wie eben auch „Fraktionen“, einverleibt.
Diese Vorgangsweise sei zunächst anhand eines Vergleichs zwischen dem Grundbuch und den der Grundbuchsanlegung zugrundeliegenden Informationsquellen – FEPT und Steuerkataster – illustriert, und zwar für die KG Umhausen mit den verfachten Eigentumsträgern „Parzelle“, „Weiler“ und „Hof“. Mit der Zusatzbezeichnung „Parzelle“ waren dabei folgende Eigentumsträger von Gemeinschaftsliegenschaften verfacht worden: Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels; unter dem Begriff „Weiler“ Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grasstall, Ischelehn und Larsteck sowie unter dem Begriff „Hof“ Acherbach. Bei der Grundbuchsanlegung wurden alle im Verfachbuch enthaltenen Eigentumsträger mit der Zusatzbezeichnung „Parzelle“ in jeweils eine „Fraktion“ umbenannt (im Fall der „Parzelle Niederthai“ als Neubildung unter der Bezeichnung „Fraktion Niederthai Sonnseite“). Die „Weiler“ wurden teils zu „Fraktion“ umetikettiert, teils in realrechtlich gebundenes Miteigentum aufgelöst. Die singuläre Erscheinung „Hof Acherbach“ wurde in „Fraktion Hof Acherbach“ umbenannt. Insgesamt wurde in der KG Umhausen im Zuge der Grundbuchsanlegung für neun Eigentumsträger die Zusatzbezeichnung „Fraktion“ gewählt, obwohl im entsprechenden Eigentumstitel, der FEPT, das Privateigentum von „Parzellen“ anerkannt worden war.
*FEPT 23 ff des LG Petersberg/Silz, Forsteigentumsverhältnisse in der heutigen KG Umhausen: Neben den Parzellen Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels sowie den verfachten „Weilern“ Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grastall, Ischelehn und Larsteck, wurde auch „Hof Acherbach“ als Eigentümer verfacht. Darstellung bei Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten, aaO, 175; FEPT 26 des LG Petersberg/Silz: bei der „Waldung Brandle und Schlittegger Sonnseite“ findet sich der ausdrückliche Vermerk: „gehört den Weilern Sennhof, Höfl, Bichl.“; Eigentumsträger der Liegenschaften in EZ 703, 703, 705 (Fraktion Umhausen); 706 (Fraktion Köfels); 707–711 (Fraktion Niederthai Sonnseite); 712 (Fraktion Farst), 713 (Fraktion Östen); 715, 716 (Fraktion Tumpen), 987 (Fraktion Niederthai Neaderseite); Eigentumsträger der Liegenschaften 707–711 (Fraktion Niederthai Sonnseite): Die Liegenschaften in EZ 708–710 wären den Weilern Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach zuzuordnen gewesen; EZ 946 (Alpe Grasstall) und EZ 989 (Ischelehner Hof); Liegenschaft in EZ 717 (Fraktion Hof Acherbach)*
Es liegt auf der Hand, dass diese Eigentumsträger – ungeachtet ihrer Bezeichnung – nichts mit einer ehemaligen Teilorganisation der modernen politischen Ortsgemeinde zu tun haben. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Vorgang der Umbenennung im Zuge der Grundbuchanlegung, für den die Grundbuchsanlegungsprotokolle leider keinerlei Motive erkennen lassen. Im Mittelpunkt steht vielmehr der in das moderne Grundbuch übernommenen Eigentumstitel, einer auf Privateigentum verweisenden FEPT aus dem Jahr 1848.
Nicht weniger irritierend als der Vergleich zwischen Grundbuch und Verfachbuch ist jener zwischen Grundbuch und Steuerkataster, dessen Informationen einen Ausgangspunkt bei der Grundbuchsanlegung bildeten. Die „Ortschaft Acherbach“ des Steuerkatasters wurde umgeschrieben auf „Fraktion Hof Acherbach“, „Neudorf Ortschaft“ auf „Fraktion Umhausen“, „Farst Ortschaft“ auf „Fraktion Farst“, „Sennhof Ortschaft“ auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“, „Östen Ortschaft“ auf „Fraktion Östen“, „Tumpen Ortschaft“ auf „Fraktion Tumpen“, „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“, „Gemeinde Umhausen“ auf „politische Gemeinde Umhausen“.
Auch dazu enthalten die einzelnen Grundbuchsanlegungsprotokolle keinerlei Hinweis, was sich die Beamten bei diesen Änderungen gedacht haben. Eine Information darüber, warum alle im Steuerkataster als „Ortschaft“ verzeichneten Gemeinschaftsliegenschaften auf „Fraktion“ umgeschrieben wurden, ist nicht zu finden. Selbst in jenem Fall, in dem die „strukturell“ bedeutendste Veränderung erfolgte – von der ursprünglichen Eigentümerbezeichnung laut Steuerkataster, „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“, auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“ (Betrifft EZ 987 II GB Umhausen) – ergibt sich aus dem GAP nicht der geringste Anhaltspunkt, warum die Umschreibung erfolgte. Lapidar lautet die Erklärung: „Erhebung der Eigentumsrechte: Fraktion Niederthai Neaderseite“ (GAP Nr 837 GB Umhausen).
Angesichts eines solchen Befundes verwundert es nicht, dass die Tiroler Landesregierung im Rahmen des in VfSlg 9336/1982 mündenden Gesetzesprüfungsverfahrens die Behauptung aufstellte: „Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ Diese einfache Erklärung, dass sich die Vorgangsweise der Grundbuchsanlegung als willkürlich einfach nicht nachvollziehen lasse, ist also verständlich, aber dennoch unbefriedigend. (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)
Anstelle einer noch nicht möglichen Erklärung kann hier aber zumindest eine Beobachtung präsentiert werden, die eher gegen reine Willkür bei der GBA spricht. Das Beispiel der KG Umhausen zeigt nämlich, dass Privateigentum, das in der FEPT des Landgerichts Silz mit bestimmten „Parzellen“ in Verbindung gebracht worden war, bei der Grundbuchsanlegung je nach Liegenschaftsqualität unterschiedlich behandelt wurde: In „Fraktionen“ umbenannt wurden in erster Linie die Eigentumsträger privater Gemeinschaftswälder, während die in der FEPT als Privateigentum anerkannten Gemeinschaftsalpen als Miteigentumsgemeinschaften registriert wurden. Bei den auf „Parzelle Umhausen“ verfachten Liegenschaften wurde, soweit es sich um Wald handelte, zugunsten „Fraktion Umhausen“ einverleibt, die ebenfalls auf „Parzelle Umhausen“ verfachte „Alpe Groß- und Kleinhorlach“ hingegen wurde – aufgegliedert in zwei Einlagezahlen – als schlichtes Miteigentum erfasst. (FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 25, 25 Fortsetzung und Tabelle Nr 26: „die Waldung Köfelrain, Forchachwaldung, Tauferbergwaldung“ und andere; Tabelle Nr 23: „die Alpe Groß- und Kleinhorlach“; Wald: EZ 703–705 II GB Umhausen; EZ 941 II GB Umhausen (Alpe Kleinhorlach) und EZ 953 II GB Umhausen (Alpe Großhorlach)
Im Fall der „Parzelle Östen“ wurde die Waldliegenschaft zugunsten „Fraktion Östen“ einverleibt, die ebenfalls für „Parzelle Östen“ verfachte „Alpe Fundus“ hingegen als schlichtes Miteigentum erfasst. (FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 25 und Tabelle Nr 25 Fortsetzung: „die Klammwaldung“ und die Waldungen „Acherkar, Grießsäulen und Farsterrinnen mit Farsterkopf“; Tabelle Nr 23: „die Alpe Vorder- und Hinterfundus“; Wald: EZ 713 II GB Umhausen; Alpe: EZ 965 II GB Umhausen (Alpe Fundus).
Im Fall der „Parzelle Niederthai“ wurden die Waldliegenschaften einmal auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“, einmal auf „Fraktion Niederthai Neaderseite“ einverleibt, die ebenfalls für die „Parzelle Niederthai“ verfachte „Alpe Zwieselbach“ hingegen als schlichtes Miteigentum und die „Alpe Grasstall“ als realrechtlich gebundenes Miteigentum verbüchert. (FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 26, 26 Fortsetzung: „die Brandlewaldung, die Schlittegerwaldung, die Nederwaldung, die Greitwaldung“; FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 24: die Alpe Zwieselbach, die Alpe Grasstall, die Alpe Larstegg; Niederthai Sonnseite: EZ 707–711, jeweils II GB Umhausen; Niederthai Neaderseite: EZ 987 II GB Umhausen; EZ 987 II GB Umhausen (Alpe Zwieselbach: schlichtes Miteigentum); EZ 967 II GB Umhausen (Alpe Grasstall: realrechtlich gebundenes Miteigentum)
Möglicherweise hat man sich dabei am Franziszeischen Steuerkataster orientiert; soweit dort natürliche Personen als steuerpflichtig registriert waren, wurde im Allgemeinen – unter Umständen realrechtlich gebundenes – Miteigentum einverleibt. Allerdings lassen die Grundbuchsanlegungsprotokolle nicht erkennen, warum im Fall der „Umhausner Wälder“ „Fraktionen“ angeschrieben wurden, im Fall der „Umhausner Almen“ realrechtlich gebundenes oder schlichtes Miteigentum.
Nicht anders verhält es sich bei der als Eigentümerin mehrerer Liegenschaften verfachten „Parzelle Tumpen“: Aus dem gleichen Eigentumsträger „Parzelle Tumpen“ wurde bei der Grundbuchsanlegung, jeweils unter Bezugnahme auf die FEPT, eine „Fraktion Tumpen“, soweit es sich um eine Waldliegenschaft handelte, während die ebenfalls für „Parzelle Tumpen“ verfachte „Tumpener Alpe“ als schlichtes Miteigentum erfasst wurde.
(„Parzelle Tumpen“: FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 24 Fortsetzung: „die Waldung Gstaig“; Tabelle Nr 23 Fortsetzung: „die Alpe Vorderleierstal, die Alpe Gersteig, die Alpe Tumpen“; Waldliegenschaft „Fraktion Tumpen“: EZ 715 und 716, jeweils II GB Umhausen; Schlichtes Miteigentum: EZ 936 II GB Umhausen)
Festzustellen ist auch, dass bei der Grundbuchsanlegung im Gegensatz zu der im Steuerkataster üblicherweise verwendeten Bezeichnung „Ortschaft“ bevorzugt der Begriff „Fraktion“ Verwendung fand. Teilweise wurden allerdings auch Rechtsverhältnisse auf „Fraktion“ angeschrieben, die nach der Darstellung im Steuerkataster als Miteigentum erschienen. Ob und inwieweit die Grundbuchsanlegung im Zusammenhang mit historischem Privateigentum, das nach Art 2 FRP 1847 „purifiziert“ worden war, ein bestimmtes System verfolgt hat, ist also (noch) nicht nachvollziehbar.
Erwiesen ist hingegen, dass die im Rahmen der Grundbuchsanlegung durch Umbenennung alter Eigentumsträger neu geschaffenen, mit den alten Titelurkunden in Widerspruch stehenden Fraktionen keine gemeinderechtlichen Fraktionen gewesen waren. Besonders deutlich macht dies das weitere rechtliche Schicksal von zwei der Umhausner Fraktionen:
Das im Zuge der Forsteigentumspurifikation anerkannte Privateigentum von „Hof Acherbach“(FEPT Nr 25 des Landgerichts Silz), im Steuerkataster als Eigentum von „Acherbach Ortschaft“ registriert, war bei der Grundbuchsanlegung 1909 als Eigentum der „Fraktion Hof Acherbach“ verbüchert worden. (GAP Post Nr 323 GB Umhausen; historisches B-Blatt der Liegenschaft in EZ 717 II GB Umhausen)Diese „Fraktion Hof Acherbach“ veranlasste von sich aus im Jahr 1920 eine Richtigstellung des Grundbuchs. Mit ausdrücklicher Genehmigung des Landesausschusses wurde die Löschung der Bezeichnung „Fraktion“ und die Einverleibung der Bezeichnung „Nachbarschaft“ bewilligt. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass die Rechtsgemeinschaft „eben nicht wie eine Fraktion ein politischer Unterteil der Gesamtgemeinschaft Umhausen“ sei.
Historisches B-Blatt der Liegenschaft in EZ 717 II GB Umhausen; Richtigstellungsurkunde vom 20. Juli 1920, Urkundensammlung des BG Silz 1920/Zl 845. Richtigstellungsurkunde vom 3.10.1920, Urkundensammlung des BG Silz eingelangt am 3. Dezember 1920 Zl 845)
Ähnliches geschah hinsichtlich der „Fraktion Farst“ mit einem Bescheid der Agrarbehörde vom 1. März 1949, der folgende Feststellung enthielt: „Die im Grundbuch gegenwärtig als Eigentümerin eingetragene Fraktion Farst ist keine Fraktion im Sinn der Tiroler Gemeindeordnung.“ In der Begründung führte der Bescheid aus: „Der Besitz wurde von den Beteiligten selbst verwaltet und hatte die Gemeinde Umhausen keinen Einfluss auf die Verwaltung. Lediglich während der Herrschaft des Deutschen Reiches nahm die Gemeinde den Jagdpacht ein, verwendete ihn aber um die Steuer für die Fraktion Farst abzudecken.“ (Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 1. März 1949 III b -44/4)
b) „Fraktion“ als Ausdruck einer spezifischen Rechtseigenschaft
Grundbuchsanlegungsprotokolle aus dem Bezirk Osttirol legen eine weitere eigenständige Wurzel des Fraktionsbegriffes offen. Die Kennzeichnung als „Fraktion“ konnte auch dazu dienen, eine bestimmte Eigenschaft des Gemeinschaftsgebietes auszudrücken. Eine Fraktions-Alpe lag nach diesem Verständnis dann vor, wenn die Auftriebsrechte in der Fraktion „radiziert“ waren, wenn sich also die Eigentumsverhältnisse in dem als Fraktion verstandenen Gebiet (zB einem Dorf) bzw der als Fraktion verstandenen Summe von Stammsitzliegenschaften in den Eigentumsverhältnissen der Alm widerspiegelten:
Die Auftriebsrechte sind dabei den landwirtschaftlichen Flächen im Dorf zwingend zugeordnet; das Auftriebsrecht folgt dem jeweiligen Flächenanteil. Dabei wird – der Rechtsnatur einer Sommerweide entsprechend – ein „Mindestanteil“ definiert: Um an einer „Fraktions-Alpe“ mitberechtigt zu sein, muss jemand in der „Fraktion“, also im Tal, zumindest jene Fläche besitzen, mit deren Ertrag eine Kuh überwintert werden kann. Zwei ausgewählte Grundbuchsanlegungsprotokolle aus der KG Windisch Matrei können die konkreten Überlegungen der Grundbuchsanlegungsbeamten bei Verwendung dieses „Fraktionsbegriffes“ verdeutlichen.
Beispiel 1: GAP PostNr 315 KG Windisch-Matrei Land vom 14. Juli 1906: Erhebung der Eigentumsrechte: Die Fraktion Prossegg-Kaltenhaus der Landgemeinde Windisch Matrei ist Eigentümerin auf Grund Ersitzung. Die … Landeck-Alpe ist eine Fraktions-Alpe d. h. die einzelnen auftriebsberechtigten Anwesen sind deshalb auftriebsberechtigt, weil sie entweder als ganze zur Fraktion Prosegg-Kaltenhaus gehören oder wenigstens weil Grundstücke zu ihnen gehören, welche in der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus einliegen. Die Auftriebsrechte beruhen auf der Zugehörigkeit der auftriebsberechtigten Realitäten zur Fraktion Prosegg-Kaltenhaus u. sohin auf dem § 63 der Gemeindeordnung. Diese Auftriebsrechte sind im Einverständnisse der Fraktionsmitglieder schon vor unvordenklicher Zeit nach bestimmter Stückzahl auf die einzelnen Anwesen verteilt worden u. sind die einzelnen Anwesen bzw. Grundstücke nach derzeit bestehender Übung mit folgender Stückzahl auftriebsberechtigt: a) der Nachbarschaft Prosegg: ….; b) der Nachbarschaft Kaltenhaus: …. Die hier nicht aufgeführten Anwesen der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus haben deshalb keine Auftriebsrechte in die Landeck-Alpe, weil zu denselben nicht soviel Grund gehört, um mit dem darauf erzeugten Futter eine Kuh überwintern zu können. Wenngleich nun die Auftriebsrechte der obigen Anwesen, weil auf dem § 63 der Gem. Ord. beruhend, nicht frei veräußerlich sind, u. nur als Zugehör von in der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus einliegenden Grundstücken verkäuflich sind, so sind dennoch vor Jahrzehnten schon Auftriebsrechte außer die Fraktion hinaus verkauft worden, ohne daß damit auch ein in Prosegg-Kaltenhaus einliegendes Grundstück mitgegeben worden wäre. So gehört heute zum Pettauer-Hofe in A.12 das Auftriebsrecht von 5 Stück Rindern u. 12 ½ Schafen u. zum Landeck-Sägeranwesen in A. 218 das Auftriebsrecht von 18 Rindern u. 25 Schafen in die Landeck-Alpe. Für diese beiden letztern Auftriebsrechte kann der § 63 der Gem. Ord. natürlich nicht mehr den Titel bilden u. müssen dieselben auf Grund Ersitzung als privatrechtliche Servituten behandelt werden.“ Berechtigungen, Feld u. Hausservituten, Reallasten für öffentliche Zwecke: Auf Grund Ersitzung lastet auf den die Landeck-Alpe bildenden Gp 3834 u. 3831 z. G. des jew. Eigentümers des Pettauerhofes in A 12 das Auftriebsrecht mit 5 Stück Rindern und 12 ½ Schafen u. z. G. des jew. Eigentümers des Landeck-Sägerhofes in A 218 das Auftriebsrecht mit 18 Stück Rindern u. 25 Schafen während der Alpzeit. Windisch Matrei am 14. Juli 1906. Die Vertreter der Fraktion Prossegg-Kaltenhaus: Andrä Steiner, Paul Steiner. Die Vertrauensmänner: Paul Steiner, Alois Wibmer.
Auftriebsberechtigt sind im Fall dieser Fraktion „Anwesen bzw Grundstücke“, das Auftriebsrecht klebt an den Heimweideflächen. Die Weide-Fraktion setzt sich demnach aus anderen Liegenschaften zusammen als eine allfällige Holz-Fraktion, für die „Feuerrechte“ maßgeblich wären, die an „Feuerstätten“ kleben. Bemerkenswert ist die Vorstellung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen für verschiedene Auftriebsrechte: Nur wenn die berechtigte Liegenschaft „innerhalb der Fraktion“ gelegen ist, sollen sie sich auf § 63 der Gemeindeordnung gründen (obwohl gar nicht alle Liegenschaften berechtigt sind), andernfalls nicht. Mit dessen Anwendung steht jedoch der ausdrückliche Hinweis auf privatautonome Rechtssetzung „schon vor unvordenklicher Zeit“ in Widerspruch; er stellt klar, dass hier gar keine originäre Rechtssetzung der neuen Ortsgemeinde kraft Hoheitsakt auf eigenem Eigentum gemeint gewesen sein konnte.
Beispiel 2: GAP 482 KG Windisch-Matrei Land: „Die Schilder Alpgenossenschaft ist Eigentümerin aufgrund Ersitzung und besteht aus den Fraktionen: a) Mattersberg b) Moos der Gemeinde Windisch-Matrei. Wenngleich von der Fraktion Mattersberg das Brenneranwesen in A 151 und von der Fraktion Moos verschiedene Anwesen in die Schilderalpe nicht auftriebsberechtigt sind und wenn auch die in die Schilderalpe auftriebsberechtigten Anwesen der beiderseitigen Fraktionen nach der heute bestehenden Übung mit einer bestimmten Stückzahl auftriebsberechtigt sind, so besitzt die Schilderalpe trotzdem für die Fraktionen Mattersberg und Moos den Charakter einer Fraktionsalpe, dh es darf von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht fortverkauft werden, ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde. Die Grasrechte sind mit anderen Worten fest verbunden mit den ganzen Anwesen oder wenigstens mit den einzelnen Stücken der Fraktionen Mattersberg und Moos. Die bestimmte Stückzahl, mit der die einzelnen Anwesen auftriebsberechtigt sind, entspricht der Größe der betreffenden Anwesen und wurde vor ungefähr 20 Jahren im gegenseitigen Einverständnis unter den Fraktionisten geregelt. Nachdem es sich bei der Schilderalpe um eine Fraktionsalpe handelt, gründen sich die Auftriebsrechte der einzelnen Anwesen auf den § 63 Gemeindeordnung.“
Der „Charakter einer Fraktionsalpe“ besteht nach dieser Definition darin, dass „von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht fortverkauft werden [darf], ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde.“ Auch hier wird also mit dem Begriff „Fraktion“ die Verknüpfung von „Grasrecht“ und Liegenschaftsbesitz in der Fraktion ausgedrückt; der Hinweis auf § 63 TGO erscheint vor diesem Hintergrund kaum nachvollziehbar. Die definierte Verknüpfung müsste sinnvoller Weise, auch wenn dies so nicht formuliert wurde, sowohl im Fall des Verkaufes von Heimweideflächen als auch im Fall des Verkaufes von Grasrechten gelten.
Solche Eigentumsverhältnisse könnten dadurch entstanden sein, dass in weit zurückliegender Vergangenheit eine Gemeinschaftsalpe in Besitz genommen und das Weiderecht (später das Eigentum) gemeinschaftlich ersessen wurde. Stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Anteilsberechtigungen, so wird man versuchen, dies anhand des langfristig überwinterten Viehbestandes „festzustellen“. Hat eine derartige Gemeinschaft zur Vorbeugung von „Weidenot“ die Regel aufgestellt, dass ausschließlich das im Dorf überwinterte Vieh aufgetrieben werden dürfe, so ist es davon nicht mehr weit zu der bei der Grundbuchsanlegung festgeschriebenen „Eigentumsform“, wonach die Auftriebsrechte mit den Besitzverhältnissen an der Heimweide „harmonisiert“ sind. Um das eigene Eigentum nicht zu entwerten und auch für „Auswärtige“ handelbar zu halten, wird das Regelwerk so modifiziert werden, dass ein „Grasrecht“ auf der Alm gemeinsam mit „einer Kuhfuhre“ an Heimweidefläche handelbar gemacht wird („Kuhfuhre“ als historisches Flächenmaß umfasste soviel Weideland, wie zur Überwinterung einer Kuh nötig war). Das Grasrecht kann dann gemeinsam mit „einer Kuhfuhre“ auch an Auswärtige veräußert werden. Damit ist den Verkaufswilligen ebenso gedient wie dem generellen Ordnungsprinzip, wonach im Dorf nicht mehr Vieh gehalten werden soll, als auch auf die Sommerweide aufgetrieben werden kann.
c) Inkonsequenzen bei der Grundbuchsanlegung
Schon die bisherigen Feststellungen legen den Verdacht nahe, dass bei der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ nicht konsequent verfahren wurde. Dies indiziert auch der Vergleich verschiedener Katastralgemeinden, bei denen aufgrund ihrer geographischen Nähe relativ ähnliche Verhältnisse anzunehmen wären; diese Erwartung wird nämlich enttäuscht: In der KG Prägraten, historischer Gerichtsbezirk Windisch-Matrei, wurden sieben „Genossenschaften“ als Eigentümerinnen einverleibt, fünf „Fraktionen“, eine „Nachbarschaft“, jedoch keine einzige „Interessentschaft“. Nicht weit von Prägraten entfernt finden sich die Katastralgemeinden Sillian, Sillianberg und Arnbach, historischer Gerichtsbezirk Sillian; in diesen drei unmittelbar angrenzenden Katastralgemeinden wurde im Zuge der Grundbuchsanlegung nicht eine einzige „Genossenschaft“ ermittelt, nur eine „Fraktion“, zwei „Nachbarschaften“, jedoch vier „Interessentschaften“. („Fraktion Schlittenhaus-Oberberg“, EZ 22 II GB Sillianberg; „Nachbarschaft Schlittenhaus“, EZ 9 II GB Sillianberg; „Nachbarschaft Kopsgut“, EZ 13 II GB Sillianberg; „Sillianer Alpinteressentschaft“, EZ 66 II GB Sillian; „Alpinteressentschaft Sillianberg“, EZ 8 II GB Sillianberg; „Weideinteressentschaft Leite Ober- und Unterleita“, EZ 43 II GB Arnbach; „Schade Weideinteressentschaft“, EZ 88 II GB Sillian)
Wenige Kilometer weiter gab es in der KG Kartitsch, historischer Gerichtsbezirk Lienz, gleich neun „Nachbarschaften“, dafür jedoch keine einzige „Fraktion“, keine einzige „Interessentschaft“ und keine einzige „Genossenschaft“; in der KG Obertilliach hingegen keine einzige „Nachbarschaft“ und keine einzige „Genossenschaft“, dafür jedoch drei „Fraktionen“ und zwei „Interessentschaften“.
(Boden EZ 30 und 47, Leiten EZ 33, Oswald EZ 34, Schuster EZ 35, Sulzenbach EZ 36, Walcher EZ 37 und 127, Winkl EZ 38, Erschbaum und Sulzenbach EZ 48, Boden und Erschbaum EZ 91, jeweils II KG Kartitsch; Neben der besagten „Fraktion Leiten“ EZ 15 II GB Obertilliach, „Fraktion Dorf mit Rodarm“ EZ 72 und „Fraktion Bergen“ EZ 14, jeweils II GB Obertilliach; „Wald- und Weideinteressentschaft Bergen“ EZ 108 und „Wald- und Weideinteressentschaft Leiten“ EZ 110, je II GB Obertilliach)
Der genauere Vergleich der beiden letztgenannten Katastralgemeinden Kartitsch und Obertilliach bringt aber noch bemerkenswertere Widersprüche ans Licht. Kartitsch ist nämlich eine jener drei Katastralgemeinden Tirols, in denen die Eigentumsverbücherung bei der Grundbuchsanlegung zugunsten von „Nachbarschaften“ erfolgte, die ausdrücklich als „agrarische Gemeinschaften“ einer „Gemeinde“ definiert wurden. Dies erfolgte jeweils in Kombination mit einer taxativen Aufzählung jener Stammsitzliegenschaften, die an diesen „agrarischen Gemeinschaften“ beteiligt waren. Diese Verbücherungstechnik findet sich offenbar nur in den Osttiroler Katastralgemeinden Kartitsch, Innervillgraten und Außervillgraten; die Grundbuchsanlegung wurde hier in den Jahren 1904 und 1905, also vor dem Inkrafttreten des TRLG 1909, durchgeführt. Daraus könnte man nun die Schlussfolgerung ziehen, dass den zuständigen Beamten das Wesen der Gemeinschaftsliegenschaften als „agrarische Gemeinschaften“ durchaus bewusst war – im Gegenschluss würde dies bedeuten, dass bei der „üblichen“ Verwendung des Begriffes „Fraktion“ gerade nicht eine agrarische Gemeinschaft, sondern tatsächlich eine gemeinderechtliche Einrichtung gemeint gewesen sei. Derartige Überlegungen scheinen jedoch nicht angebracht, wie eine genauere Betrachtung dieser Verhältnisse in ihrem Zusammenhang zeigt.
(Beispiel: EZ 33 GB Kartitsch: „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 34 GB Kartitsch: „Nachbarschaft Oswald, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 35 GB Kartitsch: „Nachbarschaft Schuster, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 36: „Nachbarschaft Sulzenbach, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 37: „Nachbarschaft Sulzenbach, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 38: „Nachbarschaft Winkl, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; uam; Auf dieses Phänomen verweist bereits der Bericht der Agrarbezirksbehörde Lienz, Zl 519/41/Vi, Überprüfung agrargemeinschaftlicher Grundstücke im Landkreis Lienz, an die „Obere Umlegungsbehörde beim Reichsstatthalter“ vom 31. Dezember 1941 (Berichterstatter Dr. Wolfram Haller), Pkt IV., Seite 6)
Die in der KG Kartitsch als Liegenschafteigentümerin begegnende, hier ortsfremde „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ sucht man in der KG Obertilliach vergebens. Stattdessen stößt man auf eine „Fraktion Leiten der Gemeinde Obertilliach“ und weitere, offensichtlich gleichartige Erscheinungen, nämlich „Fraktion Bergen der Gemeinde Obertilliach“ und „Fraktion Dorf mit Rodarm der Gemeinde Obertilliach“. (EZ 33 II GB Kartitsch; EZ 15 II GB Obertilliach; EZ 14 II GB Obertilliach; EZ 72 II GB Obertilliach)
Allen drei genannten Gemeinschaftsliegenschaften in der KG Obertilliach ist gemeinsam, dass an ihnen, wie das B-Blatt des historischen Grundbuchs zeigt, „aufgrund der Niederschrift vom 7. April 1939 und des Gesetzes für das Land Österreich, LGBl 408/38 Art II § 1 das Eigentum für Gemeinde Obertilliach“ einverleibt worden war. (Zu dieser Praxis im damaligen Bezirk Lienz des Reichsgaues Kärnten: Oberhofer, Von der Gemeinde zur Agrargemeinschaft, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 92 ff)
In dieser Form fand also die Beseitigung gemeinderechtlicher Fraktionen durch das Inkrafttreten der deutschen Gemeindeordnung Ausdruck. Der „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ ist vergleichbares in der KG Kartitsch hingegen nicht widerfahren. Nun könnte man meinen, dass die in Kartitsch im Zuge der Grundbuchsanlegung einverleibte „Nachbarschaft Leiten …“ eine andere Rechtspersönlichkeit sei als die in der KG Obertilliach einverleibte „Fraktion Leiten“. Dieser Annahme widerspricht jedoch das weitere Schicksal der vormaligen Fraktionsliegenschaft Leiten in der KG Obertilliach: Aufgrund eines agrarbehördlichen Bescheides vom 31. Dezember 1942 wurde nämlich schon am 2. April 1943 das Eigentumsrecht für „Agrargemeinschaft Nachbarschaft Leiten“ einverleibt.
Dies erfolgte aufgrund des Einzelteilungsplanes und Regulierungsplans vom 7. August 1939 Zl 2550/39 und des ersten Anhanges hiezu Zl 931/42 Vi sowie aufgrund des Regulierungsplans von 31. Dezember 1942 Zl 911/42 Vi: Der agrarbehördliche Bescheid vom 31. Dezember 1942, mit dem diese Klarstellung der Eigentumsverhältnisse der Obertilliacher Liegenschaft erfolgte, enthüllt dazu weitere Details: Im Rahmen des Regulierungsverfahrens wurde das „Baugrundstück 307/2 Schulhaus“ als Eigentum der Gemeinde Obertilliach abgeschrieben und dafür eine neue Grundbuchseinlage eröffnet. Der übrige Gemeinschaftsbesitz ist aufgrund der laut Verhandlungsniederschrift vom 2. Oktober 1942 abgegebenen gemeindeaufsichtsbehördlich genehmigten Anerkennungserklärung des Bürgermeisters der Gemeinde Obertilliach Eigentum der Agrargemeinschaft Nachbarschaft Leiten. Gemäß den weiteren Bescheidfeststellungen setzt sich diese Nachbarschaft aus besagten 11 Liegenschaften zusammen, welche in der Nachbar-Katastralgemeinde Kartitsch bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung als Träger der „Nachbarschaft Leiten“ ausgewiesen wurden. Der Regulierungsplan und die Grundbuchseintragung dazu weisen als Mitglieder dieser Agrargemeinschaft die Eigentümer genau jener 11 Liegenschaften aus, die bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung in der KG Kartitsch die „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ gebildet hatten.
Der agrarbehördliche Bescheid vom Dezember 1942 wurde von Dr. Wolfram Haller, Jurist der Agrarbehörde Villach, verantwortet. Erhatte aufgrund von massiven Beschwerden, die im Bezirk Osttirol gegen die Vereinnahmung von altem agrargemeinschaftlichem Vermögen durch die politischen Ortsgemeinden laut geworden waren, eingehende Untersuchungen zu den Rechtsverhältnissen durchgeführt. (Dazu existiert ein Vorhabensbericht von Dr. Haller datiert mit 31. Dezember 1941 Zl 519/41/Vi betreffend „Überprüfung agrargemeinschaftlicher Grundstücke im Landkreis Lienz“, gerichtet an die „Obere Umlegungsbehörde beim Reichsstadthalter“; darüber hinaus existiert von Dr. Wolfram Haller eine Abhandlung zum Thema: Haller, Die Entwicklung der Agrargemeinschaften Osttirols, 1947 (Österreichische Nationalbibliothek 753.717-C). Sie erweisen Haller als kompetenten Kenner der Materie, dem die Grundsatzfrage agrarbehördlicher Tätigkeit nach den Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetzen, nämlich die behördliche Klärung und Entscheidung der Eigentumsfrage, vollkommen bewusst war. In diesem Sinne unterschied der von Haller verfasste Bescheid vom Dezember 1942 das öffentliche Eigentum der politischen Ortsgemeinde Obertilliach genau von privatem Gemeinschaftsvermögen. (Konsequenter Weise ging der Bescheid vom 31. Dezember 1942 Zl 911/42/Vi distinktiv vor und stellte hinsichtlich des Baugrundstückes 307/2 KG Obertilliach „Schulhaus“, welches von der Liegenschaft in EZ 15 II GB Obertilliach abgeschrieben wurde, das Eigentumsrecht der politischen Ortsgemeinde fest)
Was bedeutet dies für die Beurteilung der Entscheidung der Grundbuchsanlegungsbeamten in den Katastralgemeinden Obertilliach und Kartitsch hinsichtlich der Liegenschaften in EZ 33 II KG Kartitsch und EZ 15 II KG Obertilliach? Folgt daraus zwangsläufig, dass die Anschreibung einer „Fraktion“ ob der Liegenschaft in EZ 15 II KG Obertilliach falsch war? Nimmt man an, dass die Grundbuchsanlegungsbeamten unter dem Begriff „Fraktion Leiten“ einen öffentlichrechtlichen Eigentumsträger verstanden hatten, so erscheint die undifferenzierte Beurteilung der Gesamtliegenschaft als „Fraktionsvermögen“ rückblickend tatsächlich als unrichtig. (Ausgenommen wäre dabei die Bp 307/2 KG Obertilliach („Schulhaus“), die offensichtlich öffentlichen Zwecken gewidmet war. Hier ist ein Eigentumserwerb durch die Ortsgemeinde auf der Grundlage von Dereliktion und Okkupation anzunehmen: Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 200 ff) Kann aber der seinerzeitigen Beamtenschaft (der Jahre 1904/1905) dieses Verständnis unterstellt werden?
Ein Überblick über die vier benachbarten Ortsgemeinden Kartitsch, Anras, Obertilliach und Untertilliach wirkt jedenfalls irritierend. In jeder dieser vier Ortsgemeinden wurde bei der Grundbuchsanlegung eine andere Technik zur Anschreibung der Gemeinschaftsliegenschaften verwendet: Die Eigentumseinverleibung erfolgte auf Gemeindegebiet von Anras, gebildet aus den drei Katastralgemeinden Anras, Asch mit Winkl und Ried, jeweils unter der Bezeichnung „Ortschaft“, in der KG Obertilliach jeweils unter der Bezeichnung „Fraktion“, in der KG Untertilliach jeweils unter der Bezeichnung „Fraktion, bestehend aus …“ (verbunden mit einer taxativen Aufzählung von Stammsitzliegenschaften), auf dem Gebiet der Ortsgemeinde Kartitsch schließlich unter Verwendung der bereits angesprochenen Formulierung „Nachbarschaft (…), agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch“.
Dieser Befund ist kein Osttiroler Spezifikum, wie ein Beispiel aus dem Außerfern illustrieren kann: Hier betraf der Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Oberletzen ein Regulierungsgebiet, das sich aus Liegenschaften in den Katastralgemeinden Oberletzen, Lechaschau und Musau zusammensetzte. Der ursprüngliche Eigentumsträger war in den historischen B-Blättern jedoch ganz verschieden bezeichnet worden. Als Eigentümerin verbüchert wurde in der KG Oberletzen die „Katastralgemeinde Oberletzen“ aufgrund eines Forstservitutenablösungsvergleichs vom 19.10.1848, in der KG Lechaschau eine „Gemeinde Oberletzen“ aufgrund eines Kaufvertrages vom 22. November 1858 und in der KG Musau eine „Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle“ ebenfalls aufgrund eines Forstservitutenablösungsvergleichs, nämlich vom 14.9.1848. (Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Oberletzen vom 7. Juli 1970, Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung III b 1-383/2; EZ 15 II GB Oberletzen, EZ 195 II GB Lechaschau, Miteigentumsanteil zu 13/61 an EZ 76 und EZ 121 je II GB Musau; FSAV Lech, Höfen, Weisenbach und Wängle 19.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 924 (E); FSAV Musau 14.9.1848 verfacht 13.11.1852 fol 930 (E – „volles und unbeschränktes Eigentum die Gemeinde Musau mit Ausschluss der Fraktion Unterletzen“; E – Fraktion Unterletzen, E – Fraktion Oberletzen)
Die KG Oberletzen gehörte zur Zeit der Grundbuchsanlegung zum Gemeindegebiet der politischen Ortsgemeinde Wängle. Hätte es sich bei Oberletzen um eine politische Gemeindefraktion gehandelt, so wäre zu erwarten, dass man dies gerade auf Gemeindegebiet der politischen Gemeinde Wängle, also in der KG Oberletzen, erkannt hätte. Insofern erscheint es besonders erstaunlich, dass als Eigentümerin gerade hier die „Katastralgemeinde Oberletzen“ verbüchert wurde, während man eine „Fraktion Oberletzen“ nur in Musau annahm. Die auf den ersten Blick irritierende Verbücherung einer „Katastralgemeinde Oberletzen“ kommt jedoch bei näherer Betrachtung dem Sachverhalt nicht nur besonders nahe, sondern erspart auch die andernorts notwendig erschienene Definition: Die „Katastralgemeinde Oberletzen“ umfasst nämlich alle ihr zugemessenen Grundstücke bzw deren Eigentümer, wobei sich die Anteile aus den auf diese Grundstücke entfallenden Steuerbeträgen in Relation zu deren Gesamtsumme ergeben. Gleichzeitig ist eine Radizierung dieser Anteile im Sinne realrechtlicher Verbindung entbehrlich: Wer Liegenschaften verkauft, die zu dieser Katastralgemeinde gehören, verliert damit auch einen entsprechenden Anteil am Liegenschaftseigentum der Katastralgemeinde.
Solche komplexen Überlegungen sind allerdings im Fall der drei unterschiedlichen Anschreibetechniken für die Gemeinschaftsliegenschaften der Stammliegenschaftsbesitzer von Oberletzen nicht zu unterstellen. Die Eigentümerbezeichnung für die Liegenschaft in EZ 195 II KG Lechaschau wurde schlicht aus dem Kaufvertrag vom 22. November 1858 übernommen, der von einer „Gemeinde Oberletzen“ abgeschlossen wurde – als Käuferin trat eine „Gemeinde Oberletzen“ in Erscheinung – verfacht 1858 fol 3417); in den beiden Ablösungsvergleichen vom 19.10.1848 und vom 14.9.1848 wurde jeweils den Stammliegenschaftsbesitzern einer „Fraktion Oberletzen“ gesondertes Waldeigentum zuerkannt (FSAV Lech, Höfen, Weisenbach und Wängle 19.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 924 (E).
Vielleicht wollten die historischen Akteure auf dem Gebiet der eigenen Ortsgemeinde Wängle, dh in der KG Oberletzen, klarstellen, dass „Oberletzen“ nicht den Status einer politischen Ortsfraktion nach Fraktionengesetz 1893 besaß, weshalb man den Begriff „Katastralgemeinde Oberletzen“ zur Erfassung der Eigentümerin verwendete, wohingegen man sich in der KG Musau schlicht an der Titelurkunde vom 14.9.1848 orientierte, in welcher tatsächlich durch die Forstservitutenablösungskommission einer „Fraktion Oberletzen“ eigenes Waldeigentum zuerkannt wurde.
Abschließend sei noch ein vergleichbares Beispiel aus dem Tiroler Oberland erwähnt: In der KG Zamserberg begegnen als Eigentümer sowohl die „Katastralgemeinde Zams“ als auch die „Katastralgemeinde Zamserberg“. Offensichtlich dieselben Eigentumsträger erscheinen in der benachbarten KG Zams jedoch als „Gemeinde-Fraktion Zams“ bzw. als „Gemeinde-Fraktion Zamserberg“. Eine Kombination dieser Bezeichnungen, die zugleich zeigt, dass man ihnen in diesem Fall synonyme Bedeutung beilegte, findet sich wieder in einem historischen Eigentumsblatt der KG Zamserberg: Hier wurde die Liegenschaftseigentümerin angeschrieben unter dem Namen „Gemeinde-Fraktion (Kat. Gem.) Zamserberg“.
(EZ 49 II GB Zamserberg; EZ 44, 45, 46, 47, 48, 50, 101 jeweils II GB Zamserberg; EZ 109 II GB Zams, EZ 227 II GB Zams, EZ 408 II GB Zams sowie EZ 412 II GB Zams; EZ 412 II GB Zams; EZ 121 II GB Zamserberg)
VI. Ursachen der Begriffsverwirrung
Die Überprüfung der im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung geschaffenen Rechtstatsachen bestätigt jenen Befund, den die Tiroler Landesregierung 1982 ihrer Stellungnahme zugrundelegte: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)
Worin lagen nun aber die Ursachen dieses aus rechtsstaatlicher Sicht nicht unbedenklichen Ergebnisses? Waren es wirklich nur die in Tirol zum Einsatz gekommenen „Grundbuchsbeamten“, wie die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung suggeriert?
Tatsächlich handelt es sich um kein Tiroler Spezifikum. Die Verbücherung von Gemeinschaftsliegenschaften stieß vielmehr in allen Bundesländern auf erhebliche Probleme, wie sich deutlich aus einer umfassenden literarischen Diskussion über diese Frage ergibt: Sie setzte Mitte der 1870-er-Jahre, also bald nach dem Grundbuchsgesetz, ein, erreichte ihren Höhepunkt ab der Mitte der 1880-er-Jahre und belegt die Komplexität der Rechtslage und die Unsicherheit aller Beteiligten. (Vgl: Paris, Die Gemeinschaften (Gemeinden – Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1875, 49 f; Stampfl, Ein Beitrag zur Frage über die Gemeinschaften (Gemeinden-Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1875, 97 f; Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 591 ff; Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff, 147 ff, 155 ff; Lackenbacher, Über die Rechtsverhältnisse an den für abgelöste Servituten an eine Gesamtheit von Berechtigten abgetretenen Grundstücken, JBl 1886, Nr 29; Dr. S, Über die Realgenossenschaften in Österreich, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, Nr 46 – Nr 51; Pitreich, Miteigentum als Realrecht, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1887, 393 ff, 403 ff, 409 f; Snetiwy, Über den Tabularverkehr bei sogenannten „Nachbarschafts-„ oder „Ortschaftsrealitäten“, Allgemeine österreichische Gerichtszeitung, 1892, 321 f; Amschl, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7; Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1894, 129 ff; Wallner, Wald-, Weide- und Alpengenossenschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1912, 269 ff. Eine hervorragende Zusammenfassung dieser literarischen Diskussion findet sich bei Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, 1916, 126ff; 134ff, 144ff, 153f, 159f)
Auch die einschlägige, weit über 100 Jahre zurückreichende Literatur liefert als Erklärung des Phänomens der falschen Grundbucheintragungen die, wenngleich unverschuldete, Inkompetenz der historischen Akteure: „Dass die neuen Grundbücher Mängel aufweisen, ist bekannt. Es soll dies den Anlegungsorganen nicht zum Vorwurfe gemacht werden. Erstlich handelte es sich um ein Werk, für das Vorbilder fehlten: die Vorschriften über die Anlegung und die hierüber erflossenen Weisungen stellten sich in mancher Richtung als unzulänglich, an anderer wieder als Förderungsmittel der Schwerfälligkeit dar; dann aber ruhte das Anlegungsgeschäft selbst meist in den Händen der Grundbuchsführer oder ganz junger richterlicher Beamten, die sich erst mühsam in ihre Aufgabe hinein leben mußten, anstatt dieselbe von vorneherein mit jener überlegenen Sicherheit in Angriff zu nehmen, die allein die Grundlage jedes Erfolges bildet. Bedenklicher erscheint, dass die Operate trotz der Prüfung durch die Präsidien und Oberlandesgerichte an schweren Mängeln leiden.“ (Amschl, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine Österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7, Seite 49)
Diese Analyse des Bezirksrichters Alfred Amschl betraf zwar, weil 1893 publiziert, nicht Tirol, enthielt aber doch auch Faktoren, die in Tirol wirkten. So kann man die vom Justizministerium 1897 ergangenen Direktiven für die Grundbuchsanlegung in Tirol wirklich nur als „unzulänglich“ bezeichnen: Insbesondere betrifft dies den „allgemeine[n] Grundsatz“, wonach „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen war, wobei „darauf gesehen werden [sollte], dass die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen und nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“. (Verordnung des Justizministeriums vom 19.10.1897, Z. 23089, womit anlässlich der Anlegung von Grundbüchern in Tirol eine Anleitung für die Eigenthumsanschreibung hinsichtlich mehrerer Gattungen von Liegenschaften, die in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen, ertheilt wird: JMVOBl 1897/37)
Zugleich verstießen die Grundbuchsanlegungsorgane tatsächlich wiederholt gegen die vom Justizministerium ergangenen Direktiven. (Verordnung des Justizministeriums vom 19.10.1897, Z. 23089, womit anlässlich der Anlegung von Grundbüchern in Tirol eine Anleitung für die Eigenthumsanschreibung hinsichtlich mehrerer Gattungen von Liegenschaften, die in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen, ertheilt wird: JMVOBl 1897/37)
Diese hatten beispielsweise verlangt, darauf zu achten, dass „nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“ – dennoch kam es, wie die oben gezeigten Beispiele beweisen, vielfach zu einer synonymen Verwendung der Bezeichnungen Fraktion, Katastralgemeinde und Nachbarschaft.
So wurde beispielsweise das Gemeinschaftseigentum der Stammliegenschaftsbesitzer von Oberletzen in drei verschiedenen Erscheinungsformen erfasst, nämlich in der KG Oberletzen als „Katastralgemeinde Oberletzen“ (EZ 15 II GB Oberletzen), in der KG Musau als „Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle“ (EZ 76 II GB Musau) und in der KG Lechaschau als „Gemeinde Oberletzen“ (EZ 195 II GB Lechaschau)
Auch dem „allgemeinen Grundsatz“, wonach „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen war, wurde oftmals nicht Rechnung getragen; manche der verbücherten Eigentümer konnten weder als natürliche noch als juristische Person angesehen werden, wie beispielsweise die „Schießstätten“, welche als Eigentümerinnen der Schießstände erfasst wurden. Beispiele: EZ 203 GB Tannheim: Eigentümerin „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, Eigentumsrecht aufgrund Verleihungsurkunde vom 19. September 1699 und Ersitzung – 1929 berichtigt auf „Schützengilde Tannheim; EZ 782 GB Längenfeld: „k.k. Gemeinde Schießstand Längenfeld“, Eigentumsrecht aufgrund Überlassungsvertrag vom 30. Juli 1889 – 1930 berichtigt auf „Schützengilde Längenfeld“; EZ 202 GB Innervillgraten: „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 111 GB Kartitsch: „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 28. Jänner 1905 – 1926 berichtigt auf Schützengilde Kartitsch.
Doch schon dabei liegt die Verantwortung nicht allein bei den ausführenden Grundbuchsanlegungsbeamten: Eine derartige Verbücherung war vielmehr durchaus nachvollziehbar, nachdem dieselben Direktiven gerade die Verbücherung von Kirchen oder Schulen als Rechtsträger ihrer selbst angeordnet hatten, also in sich widersprüchlich waren.
Allerdings fehlte auch dort, wo die Direktiven lediglich Grundsätze aufstellten, von denen bei der Grundbuchsanlegung aus begründeten Ursachen abgegangen werden durfte und sollte, die – gerade dann besonders erforderliche – gründliche juristische Auseinandersetzung: Obwohl nach den Direktiven von 1897 Schulen „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen“ waren, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ wäre, stellten die Grundbuchsanlegungsbeamten offenbar keine einschlägigen Recherchen an. So zeigen etwa die Grundbuchsanlegungsprotokolle in der KG Längenfeld, wo (wie erwähnt) „Schulgemeinden“ anstelle der vorschriftsmäßigen „Schulen“ einverleibt wurden, nicht die geringste Auffälligkeit: Die „Schulgemeinde“ wurde als Eigentümerin so behandelt, als wäre sie eine gewöhnliche „natürliche oder juristische Person“. Das Grundbuchsanlegungsprotokoll enthält in der Rubrik „Name und andere zur Bezeichnung des Besitzers dienende Merkmale“ lediglich die folgenden Ausführungen: „Nach dem Grundsteuerkataster: Unterried Schule, Unterried HausNr 50“, „Nach der Erhebung: Schulgemeinde Unterried“. Unter der gestempelten Überschrift „Erhebung der Eigentumsrechte“ findet sich nur der handschriftliche Vermerk: „Schulgemeinde Unterried, Titel Ersitzung“ – darauf folgen die Unterschriften, eine weitere Begründung findet man nicht. (So GAP Nr 369 GB Längenfeld; weitere Beispiele: Liegenschaft in EZ 8 Grundbuch See: Eigentümerin „Schulgemeinde See“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; Liegenschaft in EZ 67 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Bruggen“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; Liegenschaft in EZ 299 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Dorf“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 17. März 1897; EZ 432 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Unterried“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 967 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Huben“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 968 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Oberlängenfeld“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 28. August 1908)
Überhaupt wird meist enttäuscht, wer in den Grundbuchsanlegungsprotokollen eine gründliche Untersuchung der jeweiligen Rechtsverhältnisse oder gar Spuren rechtsdogmatischer Analyse zu finden hofft. Eher gewinnt man den Eindruck einer gewissen Unbeschwertheit oder Sorglosigkeit.
Es gibt beispielsweise keinerlei Indizien dafür, dass die Grundbuchsanlegungsbeamten bei den als Eigentümerinnen anerkannten „Genossenschaften“ deren Konstituierung nach dem Genossenschaftsgesetz (RGBl 1873/70) oder einer anderen Norm geprüft haben könnten; gleiches gilt für die Konstituierung der angeschriebenen „Fraktionen“ nach politischem Gemeinderecht.
Bei den „Gerichtsgemeinden“ wurden zwar Angaben dazu gemacht, dass sich der betreffende Eigentumsträger aus bestimmten „Gemeinden“ zusammensetze – etwa der „Rustikalgerichtsfond Sillian“ aus „sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“ oder das „Gerichtsviertel untere Schranne“ aus den Gemeinden Ebbs, Buchberg, Niederndorf, Erl, Niederndorferberg, Rettenschöß und Walchsee. (Zum Beispiel EZ 178 GB Grins: Eigentümerin „Zweidrittelgericht Landeck“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 110 GB Mieders: Eigentümerin „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft“ bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 1 GB Panzendorf: Eigentümer „Rustikalgerichtsfond Sillian“, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 20. November 1833; EZ 16 GB Ebbs: Eigentümerin „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufes vom 26. Oktober 1826, 1956 berichtigt auf „Verwaltungsgemeinschaft Altersheim Ebbs“)
Doch wie sich politische Ortsgemeinden, konstituiert aufgrund der Tiroler Gemeindeordnung 1866, schon 1826 bzw. 1833 anlässlich eines jeweils gemeinsamen Liegenschaftserwerbs zu einer Gemeinschaft verbunden haben könnten, blieb unklar und wurde nicht einmal in Ansätzen problematisiert (EZ 1 GB Panzendorf: Eigentümer „Rustikalgerichtsfond Sillian“, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 20. November 1833). Umso mehr galt dies im Hinblick auf weiter zurückliegende Eigentumstitel: Selbst wenn aufgrund eines „Verleihbriefs vom 21. Juni 1622“ eine „politische Gemeinde“ (EZ 33 GB Ebbs: „politische Gemeinde Ebbs“, Eigentumsrecht aufgrund Verleihbriefs vom 21. Juni 1622) oder aufgrund einer „Urkunde vom 14. November 1415“ eine „Altgemeinde“ (EZ 487 GB Sölden: „Altgemeinde Vent“, Eigentumsrecht zur Hälfte aufgrund Urkunde vom 14. November 1415) verbüchert wurde – die Grundbuchsanlegungsbeamten hielten es nicht für notwendig, zu diesen juristisch fragwürdigen Erscheinungen auch nur eine kurze Bemerkung in den Anlegungsprotokollen anzubringen.
Ob die Beamten eine Vorstellung von der Rechtsnatur jenes Eigentumsträgers hatten, den sie in der KG Kaunertal unter der Bezeichnung „Röm. Kath. Kirchspiel Feichten“ einverleibten, bleibt mangels aussagekräftiger Grundbuchsanlegungsprotokolle ebenfalls offen; es wird aber zu bezweifeln sein. (EZ 74 II GB Kaunertal „aufgrund Kaufvertrages vom 12. Juni 1877 fol 192 und vom 4. Oktober 1881 fol 248)
Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass sich die Grundbuchsanlegung weniger an dogmatischen Grundsatzüberlegungen als an den jeweils anzutreffenden lokalen Verhältnissen orientierte; allerdings könnten auch die Vorlieben der jeweiligen Grundbuchsanlegungsbeamten eine Rolle gespielt haben. Es fällt jedenfalls auf, dass jeweils für einzelne Katastral- oder Ortsgemeinden ein bestimmtes „Handlungsschema“ umgesetzt wurde.
Verständlich wäre es auch, wenn die Beamten bei Konsens aller Beteiligten einfach deren Vorstellungen umsetzten, also deren Terminologie übernahmen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit die jeweilige Idee mit dem geltenden Recht perfekt in Einklang gebracht werden konnte. Dies wäre den Grundbuchsanlegungsbeamten im Grunde nicht zu verübeln, denn die komplexen Rechtsverhältnisse der Gemeinschaftsliegenschaften konnten gar nicht richtig erfasst werden.
Selbst dort, wo die Bezeichnung „Nachbarschaft X, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Y, bestehend aus …“ gewählt wurde (was nur in den drei Osttiroler Katastralgemeinden Kartitsch, Außervillgraten und Innervillgraten geschehen war), erfolgte dies doch auf höchst anfechtbarer Rechtsgrundlage – eine „Nachbarschaft“ war und ist weder eine „natürliche“ noch eine „juristische“ Person. (Beispielsweise in der KG Kartisch: EZ 33 KG Kartitsch: Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern …; EZ 34 KG Kartitsch: Nachbarschaft Oswald, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern …; EZ 35 KG Kartitsch: Nachbarschaft Schuster, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern …)
Alle zweifellos vorhandenen Unzulänglichkeiten der ausführenden Grundbuchsanlegungsbeamten werden nämlich in den Schatten gestellt von den unzureichenden dogmatischen und legistischen Vorgaben. Der in den Direktiven von 1897 enthaltene Auftrag des Justizministeriums, es müsste „die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen“ werden, erweist sich als von der Realität geradezu abgehoben.Damit verschloss das Justizministerium nämlich die Augen vor den aus dem heimischen Recht stammenden Eigentumsgemeinschaften, die weder durch Gesetz „reguliert“ noch mit einer Satzung versehen waren.
Bereits zur Zeit der Grundbuchsanlegung entsprach den agrarischen Gemeinschaften nämlich kein allgemein anerkanntes Organisationsmodell mehr (Vgl Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 267): Die Rechtsfigur der „Gemeinde“ als „moralische Person“ schien Ende des 19. Jahrhunderts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bereits völlig in die Bedeutungslosigkeit versunken zu sein. (Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 156) Dies war die Folge eines massiven „Verdrängungs-“ bzw. „Überlagerungsprozesses“, der „von einer die Rechtsverhältnisse der lokalen Siedlungsverbände völlig beherrschenden juristischen Neuschöpfung, der heutigen politischen Ortsgemeinde, ausging.“ Angesichts der daraus resultierenden dogmatischen Desorientierung erstaunt es nicht, dass die historischen Akteure das Eigentumsrecht einmal den Stammliegenschaftsbesitzern als Miteigentümern zuordneten, ein anderes Mal realrechtlich gebundenes Eigentum annahmen, dann wieder Genossenschaften, Nachbarschaften oder Interessentschaften als Eigentümer vermuteten. In dieser Situation wurden die Grundbuchsanlegungsbeamten allein gelassen; der Auftrag des Justizministeriums, es müsste „die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen“ werden, half da nicht weiter.
Weiter erschwert wurde das Verständnis der historisch gewachsenen Gemeinschaften durch die Dogmatik der Pandektistik, die beschränkte dingliche Rechte „an eigener Sache“ strikt ablehnte. Die Vorstellung eines „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war damit nicht vereinbar. (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 23)
Gegen eine „Flucht ins Miteigentum“ sprachen neben diesen dogmatischen aber wohl auch praktische Gründe der Grundbuchsanlegung und Grundbuchsführung; zahlreiche Miteigentumsverhältnisse hätten die Grundbücher vermutlich ebenso belastet wie jene Felddienstbarkeiten, die in Tirol nicht in die Grundbücher aufgenommen werden mussten. Schon aus Gründen der Arbeitsökonomie lag es also nahe, die Eigentümer unter Sammelbezeichnungen zu erfassen. Dazu standen mit den Begriffen „Gemeinde“ oder „Fraktion“ zumindest theoretisch anerkannte Organisationsmodelle zur Verfügung.
Diese unübersichtliche, geradezu chaotische Rechtslage wurde seitens der Justiz hingenommen, doch durchaus beklagt: „Die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsgüter ist sehr verschiedenartig…. Die gerichtlichen Entscheidungen bei Grundbuchsgesuchen und bei Prozessen sind fortwährend schwankend, und da die Motivierung, namentlich auch der oberstgerichtlichen Urteile, keine feste und klare Rechtsansicht verraten, so erscheint der Ausgang jeder derartigen Rechtsache als ein unberechenbarer Zufall.“ Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1894, 129) In noch deutlicheren Worten prangerte Hoegel schon 1885 die Verbücherungsprobleme bei „gemeinschaftlichen Weiden und Waldungen“ an: Es gäbe dabei eine „Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität“ heranwachse. (Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 591 ff, 592)
VII. Konsequenzen aus der Begriffsverwirrung
Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass bei der Grundbuchsanlegung die Gemeinschaftsliegenschaften vielfach falsch beurteilt, die Eigentumsverhältnisse in den Grundbüchern daher unrichtig dargestellt und zahlreiche Liegenschaften zu Unrecht einer Gemeinde oder Fraktion zugeschrieben wurden. Damit scheint bestätigt, was die Tiroler Landesregierung 1982 festgestellt hatte: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)
Doch welche Konsequenzen ergeben sich nun aus der festgestellten Begriffsverwirrung? Hatten die Grundbücher „hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen“ enthalten, so versteht sich daraus auch die Aufgabe der Agrarbehörden im Zusammenhang mit der Klärung der Eigentumsverhältnisse: Die unrichtigen Eintragungen auf „Gemeinde“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“, „Interessentschaft“, „Genossenschaft“, „Katastralgemeinde“, realrechtlich gebundenes Miteigentum oder schlichtes Miteigentum waren zu korrigieren. (Vgl Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, Vortragsmanuskript aus dem Jahre 1958, aaO, 24)
Soweit die „Gemeinde“, die „Fraktion“ oder eine andere Eigentümerin zu Unrecht im Grundbuch einverleibt war, weil das Eigentumsrecht der agrarischen Gemeinschaft zustand, konnte die Entscheidung der Agrarbehörde über das Eigentum der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft nicht zu Gunsten desjenigen ausfallen, der sich mit der unrichtigen Eigentümerbezeichnung im Grundbuch identifizierte. (Gemäß § 38 Abs 1 TFLG hat die Agrarbehörde festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Grundstücke sind und wem sie gehören, insbesondere, ob das Eigentum daran mehreren Parteien als Miteigentümern oder einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft zusteht; vgl dazu Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 275)
Die Regulierungsakten zeigen deutlich, dass die Agrarbehörden sorgfältig differenzierten: Typischer Weise wurden in einem eigenen Verfahrensabschnitt all jene Grundstücke aus dem Verfahren ausgeschieden, die anderen agrarischen Gemeinschaften, der Ortsgemeinde oder Einzelpersonen als Eigentum zuzuordnen waren. Diese Trennung des agrargemeinschaftlichen Vermögens vom übrigen Vermögen anderer Beteiligter, vornehmlich der politischen Ortsgemeinde, war genau deshalb erforderlich, weil vielfach weder die Gemeindebürger selbst, noch die Grundbuchsanlegungsbeamten das gemeinschaftliche Privatvermögen der „alten Agrargemeinden“ vom Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde unterschieden hatten bzw zu unterscheiden im Stande waren.
Daher wäre es verfehlt, heute beim Wortlaut der historischen Eigentümerbezeichnungen anzusetzen, um die wahren Eigentumsverhältnisse an einer bestimmten Liegenschaft zu ermitteln. Man würde damit auf einer unverlässlichen Grundlage aufbauen und an Umstände anknüpfen, die von subjektiven Präferenzen der historischen Akteure – insbesondere der „Willkür“ rechtsdogmatisch überforderter Grundbuchsbeamter – geprägt waren. Dies wäre ein Widerspruch zu den in jahrzehntelanger Arbeit gewonnenen Erfahrungen der Tiroler Agrarbehörden, die erkannt hatten, dass die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchsanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften höchst unzuverlässig waren. („Bei … den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten“ (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, aaO, 24)
Juristischer Sorgfalt entspräche es vielmehr, in jedem Einzelfall die historischen Eigentumsverhältnisse anhand aller zur Verfügung stehenden Umstände abzuklären. Dabei hätte die im Rahmen der Grundbuchsanlegung erfolgte Darstellung der Rechtsverhältnisse in den hier interessierenden Fällen lediglich den Charakter einer Vermutung, weil das Vertrauensprinzip nur Dritten gegenüber gilt, nicht aber auch zwischen den Parteien. Auch die formelle Rechtskraft der Verbücherung entfaltet zwischen den Parteien keine Wirkung; der „nicht titulierte Tabularbesitzer“ hätte dem wahren Berechtigten jederzeit zu weichen.
Der Eigentumserwerb durch die heutige Ortsgemeinde setzt – wie der Erwerb jedes Sachenrechts – einen gültigen Titel voraus. „Dingliche Rechte an Liegenschaften entstehen zwar grundsätzlich durch die Eintragung im Grundbuch, aber nur dann, wenn ihnen ein gültiger Titel zu Grunde liegt. Das Grundbuchsanlegungsverfahren kann einen solchen Titel nicht ersetzen. Das Grundbuchsanlegungsgesetz betrifft nur die inneren Einrichtungen der neu anzulegenden Grundbücher; eine im Richtigstellungsverfahren unterlassene Anfechtung hat nur die formelle Rechtskraft einer bei Anlegung des Grundbuches erfolgten Eintragung zur Folge, kann aber den materiell Berechtigten nicht hindern, sein Recht im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.“ (VwGH 13.Dezember 2001 98/07/0082 unter Berufung auf OGH 1. Dezember 1965, 2 Ob 407/65; E 14. Dezember 1995, 93/07/0178)
Nicht die grundbücherliche Anschreibung ist somit maßgeblich, sondern die wahren Rechtsverhältnisse. Insofern kann aus unrichtigen Grundbuchseintragungen niemand Eigentum für sich ableiten. Anderes gilt für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten unter Vertrauen auf das Grundbuch; dieser Fall hat jedoch für die hier interessierenden Gemeinschaftsliegenschaften keine praktische Relevanz.
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die im Grundbuch vorgefundene Bezeichnung eines Eigentumsträgers als „Gemeinde“ gerade keinen zwingenden Rückschluss auf die wahren Eigentumsverhältnisse erlaubt. Einerseits war es – ganz im Sinne des weiten Gemeindebegriffs im ABGB – im allgemeinen Sprachgebrauch zumindest bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich, auch Gemeinschaften von Nutzungsberechtigten als „Gemeinde“ zu bezeichnen; in diesem Sinne setzten die Flurverfassungsgesetze derartige „Gemeinden“ (als Gemeinschaften der Nutzungsberechtigten) voraus. (Vgl VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung; es handelt sich um „Gemeinden nbR“ gem §§ 26f ABGB. Beispielsweise stellte man 1917 im Ministerium des Innern aus Anlaß eines konkreten Falles historische Nachforschungen über die „Gemeindeverhältnisse (…) in Tirol an und kam zum Ergebnis, „für die früheren Zeiten [könne] nur auf Grund spezieller Untersuchung jedes einzelnen Falles ein Urteil über das Verhältnis zweier Gemeinden gefällt werden. Steuergemeinde, Wirtschafts- und politische Gemeinde fallen in jener Zeit nicht immer zusammen, sondern stehen zu einander in verschiedenartig abgestuftem Verhältnisse“: AVA Wien, MdI, 14181/1917; zur Unschärfe und Bedeutungsvielfalt des Gemeindebegriffes: Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 121 ff )
Andererseits kam es im Zuge der Grundbuchsanlegung immer wieder zu Verwechslungen, wenn das Eigentum auf historische Titel gestützt wurde, in denen der Gemeindebegriff im Sinne einer privatrechtlichen Gemeinde (d.h. einer „moralischen Person“) verwendet worden war. Dieses Phänomen schilderte der Niederösterreichische Landesausschuss in einem Bericht aus dem Jahr 1878 sehr plastisch; demnach wäre „die Gemeinde“ in allen Urkunden aufgeschienen und die moderne Gemeinde hätte ihre „Mutter“, die Nachbarschaft, „beerbt“, ohne dass letztere gestorben wäre. (Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode, Seite 8)
Die Verhältnisse der Tiroler Grundbuchsanlegung scheinen damit treffend charakterisiert. Auch dem Obersten Agrarsenat war dieses Phänomen bekannt, wie eine Entscheidung von 1958 („Commune Markt Ysper“) zeigt (Oberster Agrarsenat, 245-OAS/58 vom 6.10.1958): Mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung sei man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten nicht bewusst geworden. Die mangelnde Fähigkeit der Rechtspraxis (einschließlich der Grundbuchsanlegung) zur Unterscheidung dieser komplexen Rechtsverhältnisse hatte die Schaffung des TRRG 1883 und seiner Ausführungsgesetze sowie die Tätigkeit der Agrarbehörden zur Regulierung der Gemeinschaftsliegenschaften motiviert. Gerade zur Bewältigung dieser Unterscheidungsprobleme hätte das Flurverfassungsrecht an den „geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und (…) die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (die Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet“. (Oberster Agrarsenat, 245-OAS/58 vom 6.10.1958 (Agrargemeinschaft Commune Markt Ysper, Seite 14 der Originalentscheidung) Demnach wurden die Agrarbehörden also insbesondere dazu geschaffen, im Zuge von Regulierungs- oder Teilungsverfahren die aus den öffentlichen Büchern nicht nachvollziehbaren Eigentums- und Nutzungsverhältnisse zu klären und rechtskräftig zu entscheiden.
VIII. Ergebnisse
Die Untersuchung der Tiroler Grundbuchsanlegung zeigt, dass Gemeinschaftsgüter in sehr vielen verschiedenen Varianten erfasst wurden. Die Grundbuchsanlegungsbeamten verfügten nicht über ausreichende rechtsdogmatische Kenntnisse und Fähigkeiten, waren aber auch von der Rechtswissenschaft und Gesetzgebung allein gelassen. Zwar erscheint ihr Vorgehen aus heutiger Sicht überwiegend als Willkür, doch zeigen sich gelegentlich auch regelmäßige, wenngleich rechtsdogmatisch problematische Handlungsmuster. Die „Etikettierung“ eines Eigentumsträgers durch die Grundbuchsanlegungsbeamten kann also durchaus von systematischen Überlegungen bestimmt gewesen sein, etwa bei der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ als Fachterminus zur Erfassung von Gemeinschaftsliegenschaften, deren Anteilsrechte mit Liegenschaftseigentum „in der Fraktion“ rechtlich verknüpft wäre. Doch typischer Weise war die Verwendung des „Fraktionsbegriffes“ zur Erfassung bestimmter Erscheinungsformen agrarischer Gemeinschaften auch aus historischer Sicht nicht gerechtfertigt.
Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 war zwar von der erklärten Absicht des Gesetzgebers getragen, den „Überbleibseln der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“, ein rechtlich anerkanntes Organisationsmodell zur Durchsetzung von Beteiligungsrechten im politischen Gemeindeleben zur Verfügung zu stellen; das förmliche Anerkennungsverfahren, wie es das Fraktionengesetz 1893 voraussetzte, scheinen freilich die wenigsten der unter diesem Namen im Grundbuch erfassten Eigentumsträgerinnen durchlaufen zu haben.
In der Regel bedeutet „Fraktion“ als Bezeichnung eines Eigentumsträgers deshalb nichts anderes als einen (der Erfassung von Gemeinschaftsliegenschaften dienenden) alternativen Begriff zu „Interessentschaft“, „Nachbarschaft“, „Katastralgemeinde“ oder „Genossenschaft“. Es handelte sich dabei also nicht um eine „gemeinderechtliche Einrichtung“ im Sinne der Deutschen Gemeindeordnung 1935 und damit nicht um eine Rechtsvorgängerin der heutigen politischen Ortsgemeinde, sondern um eine „moralische Person“ im Sinne des ABGB, um eine privatrechtliche „Gemeinde“.Deren historisches Gemeinschaftsvermögen ist unabhängig von den heutigen politischen Strukturen entstanden. (Dies zeigen besonders deutlich die überörtlichen Realgemeinden, deren (ursprüngliche) Mitberechtigte verschiedenen Ortsgemeinden zuzuordnen sind. Privatautonom gebildete Rechtsträger wie „Nachbarschaften“ zeigen, dass auch jene „Gemeinden“, die durch den Ausschluss der privaten Nachbarschaften definiert wurden, private Rechtsträger sind.)
Die Art der Etikettierung einer Liegenschaft im Zuge der Grundbuchsanlegung erlaubt deshalb keine Schlussfolgerung auf die seinerzeit bestandenen Eigentumsverhältnisse.
Das insgesamt negative Urteil über die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsliegenschaften, zu dem die Tiroler Landesregierung 1982 kam, erweist sich daher als völlig berechtigt!
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aus:
Gerald Kohl
Die Tiroler Grundbuchsanlegung und das „Fraktionseigentum“
in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg),
Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, Seite 177 ff
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MP