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Bildgeschichte mit Sinn

ATTILA UND DER GEMEINDEWIRRWARR

Attila und Peter Nindler,Phase I
Attila konfrontiert Adalbert mit dem Zeitungsartikel von Peter Nindler betreff „gestohlene Bauernliegenschaften“

 

 

 

Adalbert kommentiert Peter Nindler: Das Grundbuch war falsch!
Adalbert kommentiert Peter Nindler: Das Grundbuch war falsch!

 

 

 

Attila und Pater Nindler, Phase II: Attila endtdeckt den Schwindel
Attila entdeckt, dass Peter Nindler einem Schwindel aufsitzt.

 

 

 

schnitzen

Attilas Kommentar zum Mieder-Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes
Mieders-Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes. Attila erkennt den Schwindel. Peter Nindler: Er ist der Letzte, der glaubt

 

Entwürfe aus der in Vorbereitung befindlichen Bildgeschichte. Diese sollen mithelfen zu erklären, was tatsächlich in Tirol geschehen ist.

 

DARSTELLUNGSFORM SEIT DER ANTIKE

Die Bildgeschichte wird seit der Antike als eine besonders einprägsame Form der Darstellung geschätzt. Schon im „Papyrus des Hunefer“, einem ägyptischen „Totenbuch“, entstanden ca 1300 v. Chr, wurden Bildfolgen mit Dialogtext ergänzt; desgleichen im Aztekenreich am amerikanischen Kontinent und im historischen China. Für Europa ist besonders der „Bildteppich der Königin Mathilda“, zu erwähnen, eine in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstandene Stickarbeit auf einem Tuchstreifen, die auf 68 Metern in 58 Einzelszenen in Bild und Text die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm darstellt.

VOM UNSINN DER BILDGESCHICHTE

Bildgeschichten können viel Unsinn transportieren – das ist bekannt. Dagegen ist der besondere Nutzen dieser Darstellungsform weniger geläufig: Die Bildgeschichte zwingt den Erzähler zu eiserner Disziplin. Der Erzähler einer Bildgeschichte muss sich auf das Äußerste beschränken; er muss sich auf die zentralsten Aussagen konzentrieren, er muss knappest mögliche Formulierungen finden und eine logische Abfolge entwickeln.

Während der Erzähler im Ausdruck höchst präzise sein muss, verschaffen ihm die Ideen der Kunst und Karikatur Freiheit den Inhalt betreffend. Was als reine Schreibe nur schwer verständlich ist, kann die Bildgeschichte spielerisch und verstärkt durch die Instrumente von Kunst und Karikatur in die Köpfe der Menschen legen!

BILDGESCHICHTE UND REINE SCHREIBE

Wenn eine Bildgeschichte zum Thema entsteht, wie das Substanzrecht erfunden und die Tiroler Agrarier entschädigungslos enteignet wurden, dann verfolgen wir damit auch einen ganz speziellen Zweck. Für die finale Auseinandersetzung über das Substanzrecht am Gemeindegut sind präzise und knappe Darstellungen dieser speziellen Tiroler Erscheinung erforderlich.

Unser Bemühen gegen den Tiroler Gemeindeguts-Irrsinn wendet sich an das in Europa mit den höchsten Fallzahlen am stärksten belastete Gericht überhaupt – Anfang 2010 waren beim EGMR 100.000 Verfahren anhängig. Gingen 1981 gerade einmal 400 Beschwerden jährlich ein, hat sich diese Zahl im Jahr 2007 auf jährlich rund 40.000 Beschwerden verhundertfacht! (Wikipedia)

Eine einprägsame, präzise und knappe Darstellungen des Tiroler Gemeindeguts-Irrsinns ist ein Fundament, ohne das ein Erfolg nicht erwartet werden kann. Die Entwicklung der Texte und Szenen der Bildgeschichte wird es wesentlich erleichtern, diese präzise und knappe Neudarstellung zu leisten.

Insofern ist die Bildgeschichte zugleich Vorbereitung für neue Schreibe!

Meint euer ergebener

Bernd Oberhofer

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„Tiroler Bauern“, das sind diejenigen, die sich um
150.000 ha Grund und Boden bestehlen ließen

 

Viele schöne Bildchen

 

Scene 1

 

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Mit dem Band „Attila und das Atypische“ ist die Mission unserer beiden Helden Attila, Haushahn vom Loachnerhof, und Adalbert, 35. Loachnerbauer seit der ersten urkundlichen Erwähnung des Loachnerhofes im Jahr 1335, nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Im neuen Band „Attila und der Chefreporter“ fliegen unsere Helden gemeinsam mit dem Chefreporter neuen Abenteuern entgegen!

Attila und der Chefreporter fliegen neuen Abenteuern entgegen
Vorschau auf den neuen Band: „Attila und der Chefreporter“. Der Chefreporter und Attila fliegen neuen Abenteuern entgegen.

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Attila und der Gemeindewirrwarr


Erklär´s mir so, als wäre ich sechs Jahre alt!“ So lautet die Vorgabe für die Bildgeschichte zur entschädigungslosen Enteignung der Tiroler Agrarier.

Damit ist die Aufgabenstellung für die Autoren definiert. Die Rechtsgrundlage und der Anlass für die entschädigungslose Enteignung der Tiroler Agrarier soll nachvollziehbar gemacht werden. Es handelt sich um einen Enteignung, die als Wiedergutmachung erscheinen  will. Die potenziellen Opfer wurden im Vorfeld als Täter gebrandmarkt.

Ziel der Bildgeschichten ist es, die Willkür der Vorgangsweise offenkundig zu machen.

Offenkundig werden soll, dass hier eine entschädigungslose Enteignung als Wiedergutmachung historischen Unrechts hingestellt wird.

Offenkundig werden soll, dass diejenigen, die als „Diebe und Räuber“ verunglimpft wurden, in Wahrheit die Opfer sind.

 

Vorschau

Margit Schuschou bei der Arbeit
Das Fernsehen berichtet über die Aufklärung des Gemeindeguts-Irrtums durch Attila vom Loachner Hof und das Ende des gemeindeeigenen Substanzrechts in Tirol

Der härteste Job für Mag. Peter Nindler - die Aufklärung der Hintergründe, wie es zur Enteignung der Tiroler Grundbesitzer kommen konnte!
Ein Chef-Reporter beim Interview mit Attila vom Loachner Hof. Der Gemeindeguts-Irrtum wird aufgeklärt. Eine Aufgabe für Peter Nindler, Chefreporter der Tageszeitung?
Margit Schuschou bei der Arbeit
Großes Interview mit Adalbert dem Loachnerbauern

Margit Schuschou bei der Arbeit
INterview mit dem Loachnerbauern

Führend engagiert sich der Chef-Reporter
Ein Chef-Reporter bei der Arbeit. Der Gemeindeguts-Irrtum wird aufgeklärt

Professor 1: „Eigentum der Ortsgemeinden an den Wäldern und Almen habe ich nicht gefunden. Nur falsche Grundbucheintragungen.“
Professor 2: „Das Nachbarschaftseigentum wurde in Tirol als Gemeindegut bezeichnet. Es ist völlig falsch, wegen dieses Begriffs ein Eigentum der heutigen Ortsgemeinden zu fingieren.

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Professor 3: „Wir sind uns einig. Dann werde ich den Landeshauptmann informieren.“

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Landeshauptmann Günther Platter Superstar Günther Platter Landshauptmann Günther Platter Günter Platter Günther Platter Landeshauptmann Günter Platter Günther Platter Superstar

Professor: „Landeshauptmann! Mit deinem Gefühl bist du ganz richtig gelegen. Das atypische Gemeindegut ist eine juristische Erfindung.  Ihr einziger Zweck ist es, die Agrargemeinschaften zu zu enteignen.“
Landeshauptmann: „Genau so habe ich das vermutet! Bitte setz dich doch, Professor, und erklär mir, was da vor sich gegangen ist.“

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Zwei Stunden später. Büro des Landeshauptmannes von Tirol. Professor:  „Und wir haben einen Weg gefunden, diesen Gemeindeguts-Irrsinn auch in Tirol wieder in Ordnung zu bringen – so wie das die Vorarlberger von Anfang an gemacht haben.“

MP

 

Weisenrates die Sache mit dem atypischen Gemeindegut prüfen. Da scheint einiges im Argen zu liegen!“ 
Josef: „Günther, das veranlasse ich gerne. Bis heute konnte mir niemand nachvollziehbar erklären, warum eine bestimmte Liegenschaft atypisches Gemeindegut ist und eine andere nicht. Da liegt wirklich etwas im Argen!“

 

VORSCHAU AUF DEN ZWEITEN AKT

 

Attila: „Alles Lug und Trug. Eine bloße Erfindung, um die Agrarier zu enteignen!“

 

bildgeschichte

Taroller Adler: „Das Gemeindegut-Verkenntnis  1982 – das Übel muss man beim Namen nennen – dieses Verkenntnis aus dem Jahr 1982 hat in Taroll eine riesen Aufregung ausgelöst.  Entgegen dem gesetzlichen Konzept wollte das Verfassungsgericht in einem Gemeindegut ein Eigentum der Ortsgemeinde sehen.“

VORSCHAU AUF DEN FÜNFTEN AKT

Attilas Interview mit Chefreporter Pietro Windler

Der Chefreporter interviewt Attila

Pietro: Attila. Wie hast du herausgefunden, dass die Geschichte vom gestohlenen Gemeindegut eine bloße Erfindung ist, um die Taroller Agrarier zu enteignen?“
Attila: „Das war nicht schwer. Als die modernen Ortsgemeinden vom Gesetzgeber errichtet wurden – das war in den 1860er Jahren – da waren die Agrarliegenschaften schon Jahrhunderte lang in Bauernhand. Natürlich haben die Bauern die älteren und besseren Rechte.

 

 

 

 

 

 

 

Margit Schuschou Margit Schuschou

Margit Schuschou bei der Arbeit Margit Schuschou

Reporter Nase klärt den Gemeindeguts-Irrtum auf Reporter Nase klärt den Gemeindeguts-Irrtum auf

 

Vorschau auf Band

Attila und der Chefreporter

Attila und Chefreporter Pietro Windler ermitteln wie der Gemeoindeguts-Irrsinn in die Welt kommen konnte
Attila und Chefreporter Pietro Windler

 

Scene 1

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Dr. Otto Ender (Quelle: https://www.oecv.at)

 

hahn2

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Julius

Ackerbauminister Julius Graf von Falkenhayn (* 20. Februar 1829 in Wien; † 12. Jänner 1899 ebenda). Aus Wikipedia: Er entstammte dem alten naumburgischen Adelsgeschlecht Falkenhayn und war der Sohn des Generals der Kavallerie Eugen Graf von Falkenhayn (1792–1853) und der Karoline Gräfin Colloredo-Wallsee (1802–1835). Sein älterer Bruder war der ultramontan gesinnte Franz Graf von Falkenhayn (1827–1898), erbliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses.  Falkenhayn trat zuerst in die k.u.k. Armee ein, aus welcher er als Rittmeister 1857 ausschied; er  und übernahm dann seine Herrschaft Sankt Wolfgang im Salzkammergut in Oberösterreich. In der Nähe von Ischl gründete er eine Papierfabrik, die er jedoch bald wieder aufgab. Er wurde wiederholt als Abgeordneter in den oberösterreichischen Landtag gewählt und schließlich für kurze Zeit zum Landeshauptmann von Österreich ob der Enns ernannt. Er gehörte der föderalistischultramontanen Partei an und beschäftigte sich mit Finanzfragen. Nachdem er im Juli 1879 bei den Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus in Wels an Stelle des liberalen Franz Gross zum Abgeordneten gewählt worden war, ernannte ihn der Kaiser am 12. August zum Ackerbauminister im Ministerium Eduard Taaffe, in dem er den äußersten rechten Flügel des Reichsrats vertrat. Insgesamt 16 Jahre stand Julius Graf von Falkenhayn seinem Ressort als hochkonservativer Politiker vor (Min. Taaffe 1879–93 und Min. Windischgrätz 1893–95). Zahlreiche Gesetze sind ihm zu verdanken: Das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883, Kommassationsgesetz 1883, Gesetz über Höferecht 1889, Viehseuchengesetze 1880, 1882, 1892, Forstgesetznovellen zum Schutze der Wälder, die Einleitung zu den Landesgesetzen etc. Nach 1895 gehörte er als Abg. des Großgrundbesitzes dem äußersten rechten Flügel an. Als Badeni’s (s. d.) Kampf gegen die Obstruktion im Abgeordnetenhaus auf dem Höhepunkt war, brachte er den Vorschlag einer strafferen Geschäftsordnung – lex Falkenhayn – ein, der zwar zunächst angenommen, dann jedoch fallen gelassen wurde, worauf Falkenhayn sich vom politischen Leben zurückzog.

 

 

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MP. Fortsetzung folgt

 

Ischgl: Wen kümmert ein Vertrag?

Ischgl im Paznaunthal [Paznauntal]
Die Enteignung der Agrarier von Ischgl gibt Zeugnis über eine besonders widerwärtige Seite des Tiroler Gemeindegutsirrsinn. Danach werden Verträge ignoriert und gebrochen, die vor Jahrzehnten abgeschlossen wurden und die über Jahrzehnte unbeanstandet angewandt und anerkannt waren.
Durch solchen systematischen Vertragsbruch wird von der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde einer der fundamentalsten und zugleich obersten Grundsätze im Recht mit Füßen getreten, nämlich dass Verträge einzuhalten sind. Dies in der Manier übelster Rabulistik, indem ein Sachverhalt so lange wortklauberisch verdreht wird, dass Täuschung und Irreführung dominiert.
Die Geschichte wird lehren, ob die Tiroler Landesregierung damit auf Dauer durchkommt oder am Ende doch Schiffbruch erleidet!
Bild: Ischgl ca um 1890; Wikipedia, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_05094-024-AL-FL / Public Domain Mark.
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Abstract:

Es ist eine besondere Note des Tiroler Agrarstreits, des „Gemeindegutsirrsinns“, dass die Tiroler Agrarbehörde die Verträge ignoriert werden, die zwischen der heutigen politischen Ortsgemeinde einerseits und den Stammliegenschaftsbesitzern oder der Agrargemeinschaft als solcher, abgeschlossen wurden. Dazu gibt es keine Begründung und keine Diskussion, sondern bloße Ignoranz und üble Rabulistik mit wortklauberischer Verdrehung des Sachverhaltes, Täuschung und Irreführung.

 

Verträge, die im Verlauf eines Verwaltungsverfahrens vor der Behörde abgeschlossen werden, nennt man „Parteienübereinkommen“. Das Bodenreformrecht begünstigt die Herbeiführung solcher Übereinkommen außerordentlich, ja verlangt geradezu danach. Trefflich brachte der langjährige Leiter der Agrarbezirksbehörde Feldkirch, Josef Kühne, diese Vorgabe an das Einschreiten der Agrarbehörde folgendermaßen zum Ausdruck: Es sei ein Übereinkommen anzustreben“, wie es allgemein für das Rechtsleben treffend das englische Rechtssprichwort ausdrückt: don´t litigate, don´t arbitrate, find a settelment“.

 

Es entspricht der Natur eines Übereinkommens, dass dieses Bindungswirkung beansprucht. Das ist die gewöhnliche Wirkung eines Vertrages! Diese gilt, weil jeder Person das fundamentale Recht zusteht, durch Verträge die eigene Rechtssituation zu gestalten. „pacta sunt servanda“, „Verträge sind einzuhalten“ – lautet einer der fundamentalsten und zugleich obersten Grundsätze im Recht, in der Österreichischen Rechtsordnung genauso wie in jedem anderen Rechtsstaat auf der Welt.

 

Nicht so im Tiroler Gemeindegutsirrsinn! Entgegen den obersten Grundsätzen im Recht ignoriert die Tiroler Agrarbehörde alle zwischen den Nutzungsberechtigten, typischer Weise vertreten durch den „Regulierungsausschuss“, und der politischen Ortsgemeinde errichteten Verträge, genauso wie Verträge, die eine regulierte Agrargemeinschaft mit der politischen Ortsgemeinde getroffen hat. So wird das Recht im Tiroler Gemeindegutsirrsinn mit Füßen getreten und es verdient sich die gesamte Periode zu Recht die Qualifikation als „Periode des Gemeindegutsirrsinns“.

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Fortsetzung folgt.

 

MP

Berwang: Bauernland in Gemeindehand

Berwang_mit_Thaneller
Getreu dem Motto „Umsetzung des Mieders-Verkenntnisses auf Punkt und Beistrich“ hat die Agrarbehörde bei allen „Fraktionsagrargemeinschaften“ des Berwangertales ein „atypisches Gemeindegut“ festgestellt.
In Konsequenz wurde das gesamte agrargemeinschaftliche Vermögen von insgesamt acht Agrargemeinschaften des Berwangertales mit Stichtag 1. Juli 2014 wegen angeblichen Gemeindegutdiebstahls zu Gunsten der politischen Ortsgemeinde enteignet.
Die Tatsache, dass mit dem Servituten-Ablösungs-Vergleich vom 21. Oktober 1848 neun Nachbarschaften, nämlich (Stockach, Bichlbächle, Gröben, Berwang, Rinnen, Brand mit Anrauth, Mitteregg, Kelmen, Namlos) Gemeinschaftseigentum erworben haben, wurde ignoriert. Selbstverständlich wurde auch die Tatsache ignoriert, dass die „Fraction Berwang“ in das „gemeinschäftliche Eigenthum mit der Fraction Gröben nach Verhältniß ihrer Feuerstätten jenen Theil des „Schönbichlwaldes W. B. N. 242 welcher dem Rothleche zuhängt“, erhalten hat.
Selbstverständlich wurde auch ignoriert, dass der Verfassungsgerichtshof schon im Jahr 1982 am Beispiel der Servitutenablösungsverfahren im Land Salzburg klar gestellt hat, dass ein Servitutenablösungsvergleich keinesfalls zu einem Gemeindegut im Sinn von Eigentum der heutigen Ortsgemeinde führen kann.
Weder die historische Wahrheit spielt heute in Tirol eine Rolle, noch die anerkannten Rechtssätze der Vergangenheit. Vielmehr geht es ausschließlich um die falschen Grundsätze im Mieders-Verkenntnis 2008, die mit jeder nur denkbaren juristischer Trixerei auf jede Agrargemeinschaft angewandt werden, die irgendeinmal in den Organen der politischen Ortsgemeinde verwaltet wurde.
Aus Wikipedia; copyright: CC-BY-SA 4.0. Berwang mit Thaneller im Hintergrund, vom Roten Stein aus gesehen; im Vordergrund die berühmten „Grasberge von Berwang“, der Hönig (links) und der Kamp (rechts).

 

Ungeachtet der Tatsache, dass die so genannten Fraktionen von Berwang offensichtlich Privateigentum der Nachbarschaften verwalteten („Fraktion“ war auch ein anderer Ausdruck für „Nachbarschaft„), lautete das Urteil der heutigen Agrarbehörde auf „atypisches Gemeindegut“.

Niemand interessiert sich für die Tatsache, dass die Gemeinschaftsliegenschaften als Ablöseleistungen des k.k. Aerars in das Eigentum der Nachbarschaften übertragen wurden, obwohl der Verfassungsgerichtshof schon 1982 klar gestellt hat, dass eine Servitutenablöse als Entstehungsgrund einer Agrargemeinschaft niemals zu Gemeindegut im Sinn von wahrem Eigentum der Ortsgemeinde führen kann. (VfSlg 9336/1982)

Niemand interessiert sich für die Tatsache, dass im Zuge der Regulierungsverfahren umfangreiche Vereinbarungen mit der Ortsgemeinde getroffen wurden und dass die gesamte Regulierung auf Parteienübereinkunft beruht, was in Vorarlberg Anlass war, den Gemeingutsirrsinn von Vorneherein abzuschneiden

Die Agrarbehörde hat mit ihren Bescheiden, wonach bei den Agrargemeinschaften des Berwangertals ein atypisches Gemeindegut festgestellt wurde, die historische Wahrheit geradezu mit Füßen getreten.

Im Blick auf die politischen Vorgaben wurden die Berwanger Grundbesitzer als Diebe am Gemeindegut hingestellt und radikal enteignet, ohne dass diesen das Recht gewährt wurde,  ihr besseres Eigentum zu beweisen. Angeblich soll es nämlich für die heutigen Enteignungen gar nicht darauf ankommen, ob eine Nachbarschaft oder die politische Ortsgemeinde ursprünglich die wahre Eigentümerin war.

Bedauerlicher Weise interessieren die mit der Ortsgemeinde abgeschlossenen Verträge in Tirol heute kaum jemanden; genauso wenig wie die historische Wahrheit zum Ursprung der Tiroler Agrargemeinschaften kaum jemanden interessiert. Statt dessen wird das Mieders-Verkenntnis 2008 auf Punkt und Beistrich umgesetzt,  getreu wie der Landeshauptmann befohlen hat! Und es regiert der Neid gegen jeden Tiroler Grundbesitzer.

Dass die betroffenen Grundbesitzer schockiert sind, welche Scheinargumente herhalten müssen, damit das Mieders-Verkenntnis angewandt und die Enteignung durchgesetzt werden kann, liegt auf der Hand. Das Gesetz wird gebogen und gebeugt in jede Richtung! 

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Übersicht:
Zeitraum bis zur Tiroler Forstregulierung
Forsteigentums-Purifikation in Berwang
Servitutenablösung in Berwang
Forstregulierung in Berwang war Servitutenablösung
Irreführende Grundbuchanlegung
Kein atypisches Gemeindegut in Berwang
„Wiedererrichtung der Fraktionen von Berwang“ im Jahr 1947
Das Regulierungsverfahren der Agrarbehörde
„Fraktion Brand der Gemeinde Berwang“ als Sonderfall
Die Enteignung der Nachbarschaften in Berwang
Das Vergleichsprotokoll, Anhang 1
Das Vollmachtprotokoll, Anhang 2
Hofkanzleidekret vom 29. Juni 1847, Anhang 3
Instruktion zur Ablösung der Forstservituten (1.5.1847)
Instruktion zur Purifikation des Privateigentums (17.6.1847)

 

I. Zeitraum bis zur Tiroler Forstregulierung

 Seit den Ursprüngen der heutigen Besiedlung nutzen die Stammliegenschaftsbesitzer von Berwang sowie diejenigen der weiteren Ortschaften des Siedlungsverbanes, nämlich von (Klein-)Stockach, Bichlbächle, Rinnen, Brand, Mitteregg, Kelmen und Namlos die umliegenden Wälder und Almen gemeinschaftlich, wobei jedes dieser genannten Nachbarschaften seit jeher abgegrenzte Nutzungsgebiete besaß.

In der gefürsteten Grafschaft Tirol beanspruchte zurückgehend auf das 13. und 14. Jahrhundert der Landesfürst das Obereigentum an den gemeinschaftlichen Wäldern, Alpen und Auen; dies aus dem Titel des Allmend-Regals. Die daraus erfließende Rechtsposition des Landesfürsten im Verhältnis zu den jeweiligen Nachbarschaften war umstritten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zu zahlreichen Streitigkeiten um das Eigentumsrecht; diese drängten auf eine Bereinigung der Rechtslage (RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, Österreichisches Vierteljahresschrift für Forstwesen, 1851, 376 ff).

Mit allerhöchster Entschließung vom 6.2.1847 (Forstregulierungspatent 1847) wurden die Forsteigentumsverhältnisse in Tirol durchgreifend neu gestaltet. Zum einen wurde ersessenes Eigentum zugunsten von Einzelpersonen oder ganzen Nachbarschaften anerkannt (Forsteigentums-Purifikation), zum anderen wurde eine Forstservituten-Ablösung durchgeführt.

 II. Forsteigentums-Purifikation in Berwang

Zur Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichts Reutte existiert ein Register, gegliedert nach Gemeinden. Für die Gemeinde Berwang relevant ist die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle Nr. 85. Gemäß dieser Tabelle Nr. 85 des Landgerichts Reutte wurde im Bereich der Gemeinde Berwang folgendes Privateigentum an Forsten, Alpen und Auen anerkannt:

Anmeldung Nr. 1323: Gemeinde Stockach durch den Gemeindevorsteher, die sogenannte Stockacher Alpe samt der darin befindlichen ganzen Zunder und Waldboden; laut Lehensbrief vom 1. Februar 1641 und Kauf vom 14. Jänner 1707; grenzt östlich an die Nassereiter Alpe, südlich an das Berwanger Galtalpele, westlich an die Stockacher Heumähder, nördlich an Hochbrandwald; in der Ausdehnung von einer halben Stunde Länge und Breite. An den zurückgestellten Urkunden vermerkt die Tabelle: „zwei Stück Lehensbrief von 1641“.

Unter Nr. 1324 findet sich folgende weitere Anmeldung: Gemeinde Bichlbächle durch die Gemeindevorstehung; das sogenannte Bichlbächler Alple samt dem Grund und den ganzen Zunder und Waldboden; laut Lehensbrief vom 1. Februar 1671 und Kauf vom 14. Jänner 1707. Grenzt gegen Morgen an das Gartner Joch, gegen Mittag an das Nassereiter Joch, gegen Abend an die Gemeindeweide, gegen Mitternacht an die Bergwiesen; in der Ausdehnung von einer halben Stunde Länge und Breite. (dazu Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Reutte, Tabelle Nr. 85 Fortsetzung)

Gemäß Schematismus von Tirol und Vorarlberg für das Jahr 1839 existierte eine politische Gemeinde auf der Grundlage des Gemeinderegulierungspatentes 1819 mit der Bezeichnung Perwang, welche sich zusammensetzte aus Stockach (Dorf), Bichlbächle (Weiler), Rinnen (Weiler), Brand (Weiler), Mitteregg (Weiler), Kelmen (Weiler), Namlos (Dorf). Weder Stockach noch Bichlbächle waren jemals politische Gemeinden; insoweit in der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichts Reutte, Tabelle Nr. 85 Fortsetzung, von „Gemeinde Stockach“ bzw. Gemeinde Bichlbächle die Rede ist, handelte es sich um Nutzungsgemeinden, historische Wirtschaftsgenossenschaften, welche in Tirol seit dem Beginn der heutigen Besiedlung die Bezeichnung „Gemeinde“ bzw. „Nachbarschaft“ führten.

(Zur Tiroler Forsteigentums-Purifikation 1847)

 III. Servitutenablösung in Berwang

Abgesehen von den in der FEPT, Tabelle Nr. 85 Fortsetzung, registrierten Privateigentumsliegenschaften existierte im historischen Siedlungsverband „Perwang“ kein historisches Privateigentum an Forsten Almen oder Auen. Vielmehr bestanden Holzbezugsrechte der jeweiligen Grundbesitzer; die Wälder als solche standen im landesfürstlichen Eigentum. Ausdrücklich formuliert dazu die Instruktion für die Kommission zur Ablösung der Forstservituten an den vorbehaltenen Wäldern Tirols (das gesamte heutige Nordtirol) die Rechtspositionen der historischen Stammliegenschaftsbesitzer wie folgt:

1. Die Beholzungsservitut. Sie besteht dem Befugnisse, aus den gemeinen Waldungen das zum Haus- und Gutsbedarf erforderliche Brenn- und Bauholz (auf Auszeigung des gemeinen Waldmeisters) unentgeltlich zu beziehen. Die Ablösungscommission hat sich gegenwärtig zu halten, dass dieses Befugniß nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht; dem Gewerbstande kann es im Allgemeinen nach Analogie mit Titel II. Buch IV. der Tiroler Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbstandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen.

Das Hofkammerpräsidium findet sich jedoch bestimmt, bei den radizirten Gewerben eine Ausnahme zu gestatten und zu bewilligen, dass bei denselben auf einen über die Verjährungszeit hinausreichenden Besitzstand, auf den Inhalt des ursprünglichen Steuerkatasters, auf allenfalls bestehende, an ein landesfürstliches Urbarium zu entrichtende Feuerstattzinse, oder auf sonst den eben angeführten ähnliche, besonders beachtenswerte Verhältnisse in der Art Rücksicht genommen werden dürfe, dass ihr auf das Genaueste zu erhebender, bisheriger Bedarf, nicht aber auf die Möglichkeit einer Steigerung desselben, in den Gesamtbestand der in einer Gemeinde abzulösenden Beholzungsbefugnisse einbezogen werde. Bei Vorlage der Ablösungsoperate zur Genehmigung des Hofkammerpräsidiums ist die Einbeziehung solcher Gewerbsholzbedarfe in die Ablösung besonders anzugeben und zu begründen. Überhaupt ist bei der, jeder Ablösungsverhandlung vorausgehenden, näheren Constatirung der Beholzungsbefugniß der einzelnen Gemeinden auf landesfürstliche, oder auf Verleihungen einer competenten Behörde, auf das Steuerkataster, auf allfällige Theillibelle, alte Kontrakte oder Vergleiche zwischen einzelnen Gemeinden, dann auf einen über die Verjährungszeit hinausreichenden Besitzstand Rücksicht zu nehmen.

Hinsichtlich der Neubauten und der Vergrößerung bestehender Bauten kann das Recht der Einforstung nicht zugestanden werden; auf die Herhaltung der mit Feuerstattzinsen belegten Häuser ist jedoch gebührend Rücksicht zu nehmen. In Bezug auf die subsidiarisch (wenn nämlich die gemeinen Waldungen ungeachtet der waldordnungsmäßigen Verwendung derselben zur Deckung des Haus- und Gutsbedarfes nicht hinreichten) den Insassen aus Amtswaldungen verabfolgten Holzes, welche Verabfolgung theils gegen, theils ohne Entrichtung eines Stockgeldes geschah, ist sich in Ansehung dieses letzteren Umstandes an den dermaligen Stand der Dinge zu halten, und der Kapitalswerth des einjährigen Stockzinserträgnisses bei Ausmittlung des künftigen Gemeinde-Forsteigenthums entweder in angemessenen Abschlag zu bringen, oder diesfalls mit der betreffenden Gemeinde über die Fortdauer eines fixen jährlichen Zinsbetrag-Aequivalentes, das sofort von der Gemeinde, und nicht von einzelnen Insassen abzuführen sein würde, oder über einen andern, diesfalls angemessenen Vergleichspunkt zu unterhandeln.“
(gesamter Text der Instruktion vom 1. Mai 1847)

Auf der Grundlage von Artikel 3 Forstregulierungspatent 1847 sowie der Instruktion für die Kommission zur Ablösung der Forstservituten in den vorbehaltenen Wäldern Tirols vom 1. Mai 1847 kam es unter dem 21. Oktober 1848 zum Vergleichs­abschluss zwischen dem k.k. Aerar und den Stammliegenschaftsbesitzern von Berwang. Bereits am 30. November 1847 hatten die Stammliegenschaftsbesitzer vor dem k.k. Landgerichtsadjunkten Klattner ein Verhandlungsteam bevollmächtigt. Dies auf der Grundlage des Hofkanzleidekrets vom 29. Juni 1847.

Der Wortlaut dieses Hofkanzleidekrets lautete wie folgt:

20968/1216 und 48. Von der k.k. vereinigten Hofkanzlei
Mit dem Berichte vom 22. vorigen Mts Zhl 12460 hat das Gubernium über Anregung des Vorstandes der Forstservituten Ablösungs Kommission Freiherrn von Binder den Antrag gestellt, daß die Herbeiführung der dießfälligen Abfindungen mit den Gemeinden durch von sämmtlichen Gemeindegliedern gehörig zu wählende Bevollmächtigte geschehen, die Zahl der letzteren aber bei größeren Gemeinden auf sechs, bei kleineren auf drei Personen festgesetzt werden sollte.

Ueber diesen Bericht wird dem Gubernium im Einverständnisse mit dem k.k. Hofkammer Präsidium unter Rückschluß der Beilage erwiedert, daß man bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Ablösungs Geschäftes und mit Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen, dann um künftigen allfälligen Anständen so viel wie immer thunlich vorzubeugen, endlich mit Rückblick auf den Absatz der der A.h. Entschließung von 6. Februar l. Jhs. die Vornahme der Gesammt-Verhandlungen zum Behufe der Forstservituten Ablösung mit von den Gemeinden, auf die von dem Gubernium beantragte Weise zu wählenden Bevollmächtigten nur unter folgenden Bedingungen zu genehmigen findet.
1. daß jene Gemeindeglieder, welche bei dem Akte der Bevollmächtigung nicht intervenieren, in Absicht auf die Wahl der bevollmächtigten Personen, und auf den Zweck der Bevollmächtigung als dem Willen der Mehrzahl der Vollmachtgeber beigetreten erachtet werden.
2. daß die Bevollmächtigten aus den betreffenden Gemeinden selbst, und zwar bei größeren Gemeinden in der Zahl von 12 (zwölf) bei kleineren aber in der Zahl von mindestens 6 (sechs) und höchstens 9 (neun) Individuen genommen werden und die Feststellung des Begriffes von großen und kleinen Gemeinden zu diesem Behufe nach den dortlandes bestehenden Verhältnissen von dem Gubernium erfolge, endlich
3. daß wenn mit den dergestalt gewählten Bevollmächtigten eine Ausgleichung nicht zu Stande käme, der Forstservituten Ablösungs Kommission die individuelle Berufung der Servitutsberechtigten oder mit Gnadenbezügen betheilten Gemeindegliedern vorbehalten bleibe, und dann über die Annahme der von der Kommission vorgeschlagenen Abfindung die Stimmen der Mehrheit der a Servitutsberechtigt oder b eher mit Gnadenbezügen betheilt anerkannten Gemeindeglieder für die ganze Gemeinde bindend erscheinen, die formellen Vergleichs Abschlüsse aber in diesem Falle, wo dieselben nicht mit den Bevollmächtigten, sondern unmittelbar mit der Mehrzahl der Gemeindeglieder zu Stande kamen, von ebendieser Mehrzahl gefertiget werden sollen.
Hierauf ist das Entsprechende zu verfügen.
Von der k.k. vereinigten Hofkanzlei, Wien, am 29. Juni 1847
Unterschrift: Pillendorff

Die Stammliegenschaftsbesitzer von Berwang hatten am 30. November 1847 vor dem k.k. Landgerichtsadjunkten Klattner folgendes Verhandlungsteam bevollmächtigt:
Johann Berktold,
Johann Sprenger,
Anton Wechner,
Josef Koch,
Alois Schwarz,
Stephan Gräßle,
Michael Siniger,
Martin Rhainstadler,
Josef Koch,
Paul Fuchs,
Johann Fuchs,
Josef Hosp.

Dieses Verhandlungsteam, welches für alle Stammliegenschaftsbesitzer des historischen Siedlungsverbandes Berwang, d.h. einschließlich der Stammliegenschaftsbesitzer von Namlos und Kelmen, abschlussbefugt war, einigte sich mit dem k.k. Aerar unter dem 21. Oktober 1848 über die Ablösung der Beholzungsservituten der Stammliegenschaftsbesitzer von Berwang. Siehe dazu das Protokoll zum Vergleich vom 21. Oktober 1848, Anhang 1.

IV. Forstregulierung war Servitutenablösung

Die Tiroler Forstregulierung 1847 war ein mit forstwissenschaftlichen Methoden vorbereitetes Unternehmen. Zu den Ablösungsvergleichen existieren sogenannte „Konspecte“ (über die Forstservituten-Ablösung in den einzelnen Landgerichten). Der Konspect über die Forstservituten-Ablösung im Landgericht Reutte respektive mit den Gemeinden Bach, Holzgau, Häselgehr, Elmen, Vorderhornbach, Hinterhornbach, Stanzach, Forchach, usw. einschließlich Lermoos und Berwang konnte aufgefunden werden. Berwang wird darin als Gemeinde mit der Bezeichnung XVIII geführt. Die Verhältnisse betreffend die Gemeinde Berwang werden im Konspect wie folgt zusammengefasst

Die Gemeinde Berwang zählt Familien 219, Seelen 1060;
Von den berechtigten Bezügen (Holzbezugsrechten) trifft auf die Familie 8,5 Klafter;
Von der produktiven Fläche trifft auf die Familie 21,8 Klafter;
Von dem Ertrag trifft pro Familie 7,3 Klafter …

Auf dieser Grundlage wurde der Ablösungsvergleich vom Oktober 1848 errichtet. Insoweit im Zuge der Tiroler Forstservituten-Regulierung die Holzbezugsrechte der historischen Stammliegenschaftsbesitzer in Grund und Boden als Privateigentum abgelöst wurden, sind die Grundlagen dieser abgelösten Holzbezugsrechte, die Umrechnung in Privateigentumsflächen, sohin exakt dokumentiert.

Aus dem heutigen elektronischen Grundbuch kann nachvollzogen werden, welche Flächen das k.k.Aerar als holzbezugsfrei gestellte Staatsforste zurückbehalten hat. Im Bereich des historischen Siedlungsverbandes Berwang (einschließlich Kelmen und Namlos, welche heute eine eigene politische Ortsgemeinde bilden) sind sohin aus dem Forstservituten-Ablösungs-Geschäft aus dem Jahr 1848 folgende – weitestgehend servitutsfrei gestellte – Staatsforste hervorgegangen.
Grundbuch 86023 Mitteregg, EZ 17: 363 ha
Grundbuch 86023 Rinnen, EZ 51: 16,7ha
Grundbuch 86002 Berwang, EZ 61: 51 ha
Grundbuch 86005 Bichlbächle, EZ 28: 252 ha
Grundbuch 86025 Namlos, EZ 52: 646 ha
Summe: 1328,70 ha

In der Vierteljahresschrift für Forstwesen, 1851, Seite 376, wird zur Forstservituten-Ablösung in Tirol aufgrund des Forstregulierungspatents 1847 eine Übersicht gegeben. Ein anonymer Autor, dem offensichtlich das gesamte Zahlenmaterial der beiden Kommissionen (Eigentums-Purifikations-Kommission sowie Forstservituten-Ablösungs-Kommission) zugänglich war, berechnete folgende Details: „Im großen Durchschnitte stellte sich für jede Familie ein Bedarf von 6 Klafter Holz zu 108 Kubikfuß Raum heraus und dieser wurde durchschnittlich mit einer Waldfläche von 9,9 Joch, wovon im Durchschnitt 10 % unproduktiv sind, abgelöst.“„Bei der Forstregulierung im Ober- und Unterinntal in Frage kommende Waldfläche beträgt ungefähr 557.565 Joch; hievon wurden als Privateigentum anerkannt 40.000 Joch [Anm: Maßnahme gem Art 2 FRP 1847], zur Ablösung des Bezugsrechts von beiläufig 217.000 Niederösterreichische Klafter Holz wurden in das Eigentum der [berechtigten] Gemeinden abgetreten: 358.140 Joch [Maßnahme gem Art 3 FRP 1847]. Es verbleiben somit Staatseigentum: 159.425 Joch, mit einem Durchschnittsertrag von beiläufig 75.000 Niederösterreichischen Klafter Holz. Im großen Durchschnitte stellte sich für jede Familie ein Bedarf von 6 Klafter Holz zu 108 Kubikfuß Raum heraus und dieser wurde durchschnittlich mit einer Waldfläche von 9,9 Joch, wovon im Durchschnitt 10 % unproduktiv sind, abgelöst.“ (RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851), 391 f).

Die sog. Fraktionen von Berwang sind somit aus dem Servituten-Ablösungsvergleich, k.k. Landgerichte Reutte am 21. Oktober 1848, bestätigt durch das k.k. Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen am 15. October 1849 [Unterschrift Thinnfeld], hervorgegangen; die nach Dörfern gegliederten Nutzungsberechtigten haben danach als Nachbarschaften, im Servitutenablösungsvergleich „Fraktionen“ genannt, Gemeinschaftseigentum erworben.

 V. Irreführende Grundbuchanlegung

a) Im Zuge der Grundbuchsanlegung wurden auf dem damaligen Gebiet der politischen Ortsgemeinde Berwang folgende „Fraktionen der Gemeinde Berwang“ als Eigentümer verschiedener agrarischer Liegenschaften im Grundbuch angeschrieben: Fraktion Namlos der Gemeinde Berwang, Fraktion Kelmen der Gemeinde Berwang, Fraktion Mitteregg der Gemeinde Berwang, Fraktion Brand der Gemeinde Berwang, Fraktion Rinnen der Gemeinde Berwang, Fraktion Berwang der Gemeinde Berwang, Fraktion Gröben der Gemeinde Berwang, Fraktion Bichlbächle der Gemeinde Berwang sowie Fraktion Kleinstockach der Gemeinde Berwang. Bei sämtlichen solcher Art angeschriebenen Liegenschaften handelt es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke.

Grundlage für diese Eigentümeranschreibung bildete jeweils das Protokoll der Waldservitutenausgleichskommission vom 21. Oktober 1848, welches durch 12 gewählte Repräsentanten der Stammliegenschaftsbesitzer von Berwang mit dem k.k. Ärar errichtet worden war. Nach diesem Vergleichsprotokoll vom Oktober 1848 (!) wurden die Wälder auf Gemeindegebiet – insofern dieselben nicht für das k.k. Ärar vorbehalten worden waren, folgenden Gruppen von Stammliegenschaftsbesitzern in das Eigentum zugewiesen: „Gemeindefraktion Stockach“, „Gemeindefraktion Bichlbächle“, „Fraktion Gröben“, „Fraktion Berwang“, „Fraktion Rinnen“, „Fraktion Brand“, „Gemeindefraktion Mitteregg“, „Fraktion Kelmen“ sowie „Fraktion Namlos“.

b) Die Instruktion der k.k. vereinigten Hofkanzlei 233 Pr/847 vom 1. Mai 1847, erlassen auf der Grundlage der allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847, Tiroler Waldzuweisungspatent, Z 4 Abs. 3, macht deutlich, was die Tätigkeit und das Ergebnis der Kommissionstätigkeit war: Die Beholzungsservituten des Bauernstandes, das sind die Besitzer von Grund und Boden, auf ärarischen Wäldern sollten aufgehoben werden; im Gegenzug wurde dieser Gruppe „als holzbezugsberechtigte Gemeinde“ verschiedene Ablöseliegenschaften in das freie Eigentum zugewiesen. Der Umfang der Ablöseflächen wurde exakt bemessen nach dem Umfang der abzulösenden Rechte.

Selbstverständlich waren am Ablösegrundstück nur jene mitberechtigt, deren Beholzungsservitut auf ärarischen Liegenschaften im Zuge dieses Rechtsaktes aufgehoben wurde. Wörtlich führt die Instruktion für die Tätigkeit der Waldservituten-Ausgleichskommission vom 1.5.1847 dazu aus wie folgt: „Die Ablösungskommission hat sich gegenwärtig zu halten, dass dieses Befugnis nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht. Dem Gewerbstande kann es im Allgemeinen nach Analogie mit Titel 2 Buch IV der Tiroler Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbstandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen.“… Die Instruktion weiter: „Hinsichtlich der Neubauten und der Vergrößerung bestehender Bauten kann das Recht der Einforstung nicht zugestanden werden“.

c) Damit ist die holzbezugsberechtigte Gemeinde des WZP 1847 definiert: Mitglieder sind nur die Bauern, das sind die Besitzer von Grund und Boden; beim Gewerbestand konnte eine Ausnahme gemacht werden, wenn es sich um sog. „radizierte Gewerbe“ handelte, welche auf einen über die Verjährungszeit hinausreichenden Besitzstand oder auf den Inhalt des ursprünglichen Steuerkatasters (1770 bis 1780) verweisen konnten. Neubauten mit Stand 1847 (!) waren nicht zu berücksichtigen.

d) Vor diesem Hintergrund ist auch erklärt, was unter der Formulierung „Fraktion Namlos“, „Fraktion Kelmen“, „Fraktion Mitteregg“ usw. gemäß Waldservituten-Vergleichsprotokoll vom 21. Oktober 1848 zu verstehen war: unregulierte Agrargemeinschaften! (Der damals bestehenden politischen Gemeinde gemäß Gemeinderegulierungspatent 1819 war die Möglichkeit zur Einrichtung von politischen Fraktionen nicht gegeben. Der Terminus „Fraktion“ findet sich nirgends im Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819.

e) Damit hatte die Grundbuchanlegungskommission guten Anlass, ob der Liegenschaften der unregulierten Agrargemeinden von Berwang als Eigentümer „Fraktionen“ anzuschreiben – schließlich entsprach dies der Eigentümerbezeichnung gem Waldservituten-Vergleich von 1848. Vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung geltenden Rechtslage war die Verwendung dieser Termini allerdings grob irreführend: Seit Inkrafttreten des prov. GemG 1849 waren „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl“ berechtigt, politische Fraktionen zu errichten und diesen bestimmte Verwaltungsaufgaben der politischen Gemeinde (!) zur eigenständigen Besorgung zu übertragen. Der offensichtlich von der Waldservituten- Ausgleichskommission kreierte Begriff „Fraktion“ hatte vor dem Hintergrund dieser Rechtslage einen ähnlichen Bedeutungswandel vollzogen, wie der Begriff „Gemeinde“: Die allgegenwärtige Erfolgsgeschichte der politischen Ortsgemeinde auf der Grundlage des prov. GemG 1849 bzw. der Ausführungsgesetze zum RGG 1862 hatte die Erinnerung an die ursprüngliche Bedeutung der Begriffe „Gemeinde“ und „Fraktion“ verdrängt.

f) Ungeachtet der Tatsache, dass der bei der Grundbuchsanlegung angeschriebene Eigentümer sich von der gewählten Bezeichnung mit der Eigentümerbezeichnung gemäß Waldservituten-Ausgleichsprotokoll vom 21. Oktober 1848 deckte, war die Verwendung des Begriffs „Fraktion“ im Zuge der Grundbuchsanlegung, sohin ca 50 Jahre nach Einrichtung der heutigen politischen Ortsgemeinden, zumindest irreführend und insofern aus der Sicht des Zwecks des Grundbuchs falsch: Die verschiedenen Agrargemeinden auf dem Gebiet der politischen Ortsgemeinde Berwang liefen wegen dieser Eigentümeranschreibung nämlich Gefahr, mit politischen Ortsfraktionen der politischen Ortsgemeinde verwechselt zu werden. Die Tatsache, dass in jedem Einzelfall jeweils formuliert wurde „Fraktion … der Gemeinde Berwang“ legt den Schluss nahe, dass auch die Grundbuchanlegungskommission die „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ gemäß Waldservituten-Vergleichsprotokoll vom 21. Oktober 1848 fälschlicher Weise als „politische Ortsfraktionen“ einstufte. Dies, obwohl der Instruktion für die Waldservituten-Ausgleichskommission jedermann leicht entnehmen hätte können, dass nicht jeder Einwohner mitberechtigt sein sollte, sondern ausschließlich jene, welche im Jahr 1847 bereits auf ein Holzbezugsrecht verweisen konnten. Nur solche Einwohner der verschiedenen Ortsteile von Berwang haben durch die Aufgabe ihrer „Beholzugsservituten“ einen Beitrag dazu geleistet, diese Liegenschaften im Zuge des Ablösegeschäftes mit dem Ärar einzuhandeln. Insofern ist es nur selbstverständlich, dass nur jene, welche einen Beitrag durch Aufgabe ihrer Rechtspositionen „wider das Ärar“ geleistet hatten, an der Ablöseliegenschaft mitbeteiligt, sprich „Mitglied der holzbezugsberechtigten Gemeinde“ als Eigentümerin der Ablöseliegenschaft waren.

 VI. Kein atypisches Gemeindegut

Bereits im Jahr 1982 hatte der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336 sich mit dem aus Servituten-Ablösung hervorgegangenen Gemeinschaftseigentum auseinander gesetzt und diese Erscheinung vom „Gemeindegut“ (im Sinn von Eigentum der Ortsgemeinde) abgegrenzt.

Die Salzburger Landesregierung hatte zum Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, das Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten, eingewandt, dass in Salzburg im Zuge der Servitutenablösung Waldgrundstücke nicht an einzelne Gemeindeinsassen, sondern (formell) nur an ganze Gemeinden abgetreten wurden. Es handle sich aber nicht um Gemeinde-, sondern um Gemeinschaftswälder, sodass später das Eigentum den aus den Nutzungsberechtigten gebildeten Agrargemeinschaften zugesprochen worden sei. Das sei nicht gleichheitswidrig gewesen, weil die Grundflächen als Ablösung für alte Nutzungsrechte aus dem Staatswald abgetreten worden seien.
Der Verfassungsgerichtshof erklärte dazu im Erkenntnis, dass aus Servituten-Ablösung entstandene Gemeinschaftsgut vom „Gemeindegut“ zu unterscheiden sei. „Entgegen der Auffassung der Sbg. Landesregierung ist daher dievon ihr beschriebene und nicht nur in Sbg. aufgetretene, […] Erscheinung, dass `die Gemeinde´ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, nicht von den in Prüfung stehenden“ Gesetzesbestimmungen zum Gemeindegut erfasst, sondern von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts. (VfSlg 9336/1982 Pkt III. 1. Abs 2 der Entscheidungsbegründung) Aus einem historischen Vorgang der Servituten-Ablösung kann danach kein „Gemeindegut“ entstanden sein.

Erst 2011 jüngst hat der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsauffassung unter Berufung auf das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 bestätigt: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. (VwSlg 18171 A/2011 vom 30.6.2011)

Nach den Gesetzen der Logik hätten die Agrargemeinschaften im Berwangertal nie mit der Judikatur zum atypischen Gemeindegut behelligt werden dürfen. Aber das Urteil über das Waldvermögen der Agrarier im Berwangertal war offensichtlich bereits gefällt, bevor die Verfahren Fahndung nach dem atypischen Gemeindegut eingeleitet wurden. Agrarbehörde und Landesagrarsenat haben kurzen Prozess gemacht; es wurde steif und fest behauptet, dass die Gemeinschaftswälder des Berwangertales im Jahr 1848 an politische Ortsfraktionen übergeben worden seien. Mit Inkrafttreten der dt Gemeindeordnung im Oktober 1938 seien diese „Fraktionen“ aufgelöst worden. Seit damals soll die heutige Ortsgemeinde Eigentümerin sein!

 VII. „Wiedererrichtung“ der Fraktionen

a) Eine Falschbeurteilung der „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ von Berwang liegt auch dem Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 23. Dezember 1947 Ib-889/1-1947 zugrunde. Mit diesem Bescheid hatte die Tiroler Landesregierung die – scheinbar in Folge Einführung der dt. Gemeindeordnung aufgelösten, bis 1. Oktober 1938 in der Gemeinde Berwang bestandenen – Fraktionen Berwang, Bichlbächle, Kleinstockach, Rinnen, Brand, Mitteregg, Kelmen und Namlos, „im früheren Umfang und mit dem alten Wirkungskreis“ wiedererrichtet. Ausdrücklich wurde die Gemeinde Berwang verpflichtet, die seinerzeit bei „Aufhebung der Fraktionen“ von diesen übernommenen und noch vorhandenen Vermögenschaften und Rechte der Fraktionen wieder zurückzustellen. Hinsichtlich der der Gemeinde in der Zeit von 1. Oktober 1938 bis 31. Dezember 1947 aus den Fraktionsvermögenschaften und Fraktionsliegenschaften zugeflossenen und verbrachten jährlichen Einkünfte und Erträge wurde den Fraktionen ein Anspruch auf Erstattung aberkannt!

Als Begründung führt der Bescheid folgendes aus: „Die mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 1938 erfolgte Einführung der deutschen Gemeindeordnung während der nationalsozialistischen Herrschaft hatte die Aufhebung der bis dahin bestandenen Fraktionen zur Folge, wobei das Fraktionsvermögen und Fraktionsgut allgemein in die Verwaltung (!) der Gemeinde übergegangen ist. Zu einer endgültigen Verfügung über das Fraktionsvermögen und –gut und zu einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den ehemals berechtigten Fraktionisten sowie zur Bildung der hiebei einzurichtenden Agrargemeinschaften (!) ist es bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft nicht gekommen…“

b) Ungeachtet eines falschen Ansatzes (Deutung der historischen Agrargemeinden als politische Fraktionen der politischen Gemeinde) sind diese Ausführungen im Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung Ib-889/1-1947 vom 23. Dezember 1947 höchst bedeutungsvoll. Die Tiroler Landesregierung hatte erkannt und berücksichtigt, dass gemäß deutschem Gemeinderecht die Aufhebung der politischen Fraktionen nicht zum stillschweigenden Inkasso dieser Vermögenschaften durch die politischen Ortsgemeinden führen konnten. Ausdrücklich wird die nötige Vermögensauseinandersetzung zwischen der politischen Ortsgemeinden und den berechtigten Gemeindegliedern über das „Gemeindegliedervermögen“ angesprochen. Ausdrücklich wird angeführt, dass diese Auseinandersetzung bei Vorliegen von agrarischen Liegenschaften durch Bildung von Agrargemeinschaften als neue Eigentumsträger von agrarischen Liegenschaften zu erfolgen hätte. Verwiesen wird auf § 16 der Angleichungsverordnung, Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 409/1938, welche Bestimmung ausdrücklich fordert, dass im Kreis der Berechtigten am Gemeindegliedervermögen – vorbehaltlich anderweitiger reichsrechtlicher Regelung – keine Änderung eintreten dürfe.

Selbst das Vermögen politischer Fraktionen, welche mit Einführung der deutschen Gemeindeordnung tatsächlich aufgelöst worden waren, fällt dementsprechend nicht als Beute nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen der politischen Ortsgemeinde anheim, sondern wäre gemäß § 16 der Angleichungsverordnung, Gesetzblatt für das Land Österreich Nr 409/1938, eine Vermögensauseinandersetzung mit der politischen Ortsgemeinde unter Erhaltung des Kreises der ursprünglichen Berechtigten, sohin Bildung von Agrargemeinschaften für agrargemeinschaftliche Grundstücke, gesetzlich zwingend vorgesehen gewesen.

 VIII. Das Regulierungsverfahren

1. Die Regulierungsverfahren auf Gemeindegebiet Berwang wurden parallel für mehrere Agrargemeinschaften geführt. Diese Verfahren beweisen schlagend, dass die Agrarbehärde als gesetzlicher Richter zur Entscheidung der Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut agiert und entschieden hat. Verfahrensgegenstand war die Klärung der Eigentumsverhältnisse und die Entscheidung darüber, welches Vermögen der Ortsgemeinde zusteht und welches Vermögen der Agrargemeinschaft zusteht und mit welchem Anteil gegebenenfalls die Ortsgemeinde am agrargemeinschaftlichen Vermögen beteiligt ist und mit welchem Anteil die Eigentümer der beteiligten Stammsitze.

In diesem Zusammenhang fand am 6.11.1986 im Gemeindeamt Berwang eine Besprechung statt. Die Agrarbehörde errichtete darüber folgenden Aktenvermerk, datiert vom 7.11.1986, gezeichnet von Hofrat Dr. Sponring. Darin ist unter anderem Folgendes festgehalten: „Bürgermeister Sprenger erklärt, dass der Gemeinderat mehrheitlich der Regulierung der Fraktionen dahingehend zustimmt, dass Agrargemeinschaften gebildet werden und diesen das Eigentum übertragen wird, jedoch unter der Bedingung, dass der Gemeinde ein entsprechendes Anteilsrecht eingeräumt wird. Bürgermeister Sprenger betont, dass er selbst gegen die Bildung von Agrargemeinschaften mit Eigentumsübertragung ist.

Mit Erklärung vom 28. Dezember 1992 hat die Ortsgemeinde Berwang aufgrund entsprechender Gemeinderatsbeschlüsse folgende Erklärung in den Regulierungsverfahren AGM Bichlbächle, AGM Rinnen, AGM Berwang und AGM Brand abgegeben: Anlässlich der für alle ehemaligen Fraktionen stattgefundenen mündlichen Verhandlung am 14. bzw 28. Oktober 1992 wurden von der Agrarbehörde Niederschriften verfasst, mit deren Inhalt sich der Gemeinderat bei der Sitzung am 18. Dezember dJ eingehend beschäftigt hat und insbesondere zu den Kundmachungen der Ediktalverfahren, an der Amtstafel verlautbart seit 9. Dezember 1992, Stellung bezogen.

Anhand einer Kopie aus dem Sitzungsprotokoll vom 18. Dezember 1992 wird hiermit der Antrag um Berücksichtigung der Einzelnen im Beisein von Vertretern der Nutzungsberechtigten beschlossenen Änderungen und Neuerungen bei der Agrarbehörde I. Instanz eingebracht.

Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass es sich hiebei um hier örtliche Verhandlungen und Lösungen handelt, die sowohl von den Vertretern der künftigen Agrargemeinschaften einerseits, als auch von der Gemeindevertretung andererseits für zweckmäßig und sinnvoll gehalten und deshalb vollinhaltlich gemeinsam getragen werden. Anlage. Der Bürgermeister

Die Anlage dazu, der Auszug aus dem Sitzungsprotokoll vom 18. Dezember 1992, lautet in den wesentlichen Punkten wie folgt: Zu Top 2: Regulierungskundmachung der Agrarbehörde unter Einforstungsrechten nach alter Übung, Abgrenzung weiterer im Eigentum der Gemeinde verbleibenden Liegenschaftsteile des Gemeindegutes.

BM. Sprenger verliest die Niederschriften der am 14. und 28. Oktober dJ stattgefundenen Verhandlungen der Agrarbehörde im jeweiligen Beisein von Vertretern der Nutzungsberechtigten bzw in Anwesenheit des Bezirksforsttechnikers. Die im Eigentum der Gemeinde verbleibenden Hofraumflächen und Flächen der Ortsbereiche werden nochmals anhand der Lagepläne benannt und geprüft. …

Berwang:
Vortrag der Trennung hinsichtlich Agrarflächen und der bei der Gemeinde verbleibenden Grundflächen.
Herauszutrennen sind die Hochbehälter der WVA-Berwang, der Hochbehälter der WVA-Rinnen auf berwanger Gebiet (je samt Umgebungsgrund).
Auch in Berwang müssen sämtliche Quellen, Quellstuben und Sammelbehälter aus der (den) großen Parzellen herausgetrennt und kleine Grundstücke neu gemacht werden, mit dem notwendigen Umgebungsgrund.
Gemeinderat einstimmig beschlossen:

Nun stellt der Bürgermeister zum Schwimmbadareal (Sportzentrum) die Frage, wie verhält sich die Gemeinde dazu, Betreiber der Anlage ist bekanntlich seit eh und je der Tourismusverband.
Mehrheitlich besteht die Vorstellung im Gemeinderat, dass das gesamte Schwimmbad mit Tennisplatz und Kinderspielplatz bei der Gemeinde verbleiben soll. Die Benützungsart passt besser zur Gemeinde als zur Agrargemeinschaft.
Der Gemeinderat beschließt in Anbetracht dessen mit 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen, den Schwimmbadbereich neu parzellieren und das Eigentumsrecht bei der Gemeinde Berwang zu belassen (Gemeinderat Helmut Sprenger enthält sich im Moment der Stimme, da er seinen Ausschuss damit befassen muss, detto GV Erhard Falger als Agrarausschussmitglied).

Auch für Berwang ist festzuhalten:
Die Agrargemeinschaft ist verpflichtet, den Bestand und Betrieb, die Instandhaltung und Erneuerung von Anlagen und Einrichtungen der öffentlichen Wasserversorgung und Kanalisationsanlagen entschädigungslos zu dulden. Sie ist weiters verpflichtet, Grundflächen die für einen Ausbau der Wasserversorgung und für Kanalisation benötigt werden, entschädigungslos in Anspruch nehmen zu lassen.

Weiters verlangt der Gemeinderat, dass grundsätzlich Einforstungsrechte, so wie bisher, am Haus verbleiben und nicht mit Grundstücken oder einem Teil landwirtschaftlicher Grundstücke dem Besitzer wechseln. Hier muss es jedenfalls ein gesondertes Verfahren geben, wenn solches gewünscht oder vereinbart würde. Nach endgültigem Abschluss des laufenden Agrarverfahrens erscheint derartiges ohnehin ausgeschlossen, da Mitglieder Anteile an Agrargemeinschaften im Grundbuch (in der Grundbuchsanlage) ausgewiesen sein werden.
… Gemeinderat einstimmig beschlossen …

Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 01.04.1987 IIIb1-1325 R/8, Fraktion Berwang; Regulierung wurde auf Antrag einer Mehrheit der Mitglieder der „Fraktion Berwang“ das Regulierungsverfahren eingeleitet. Im Rahmen der Bescheidbegründung beurteilte die historische Agrarbehörde das Regulierungsgebiet ausdrücklich als ein solches gem. § 33 Abs 2 lit a TFLG (hervorgegangen aus der Tiroler Forstregulierung 1847); die Beurteilung erfolgte zu Recht unter Berufung auf das Forstservituten-Ablösungs-Vergleichs-Protokoll vom Oktober 1848. Die Willenserklärung der politischen Ortsgemeinde Berwang betreffend deren Vorstellungen zur Regulierung der Beschwerdeführerin wurde seitens der Nutzungsberechtigten akzeptiert. Entsprechend der Willenserklärung der politischen Ortsgemeinde Berwang erfolgte die Auseinandersetzung zwischen den Nutzungsberechtigten und der Ortsgemeinde, und zwar hinsichtlich der Agrargemeinschaft Berwang aufgrund des in der agrarbehördlichen Verhandlung am 14.10.1992 getroffenen Übereinkommens und der weiteren Bescheide vom 3.3.1993 sowie 2.2.1994.

Der Regulierungsplan vom 28.11.1994 IIIb1-1325 R/53 des Amtes der Tiroler Landesregierung, mit dem gem. § 37 Abs 1 TFLG 1978 über die Eigentumsrechte am Regulierungsgebiet entschieden wurde, hält dazu Folgendes fest: „Die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen der Gemeinde und Agrargemeinschaft erfolgte mit den Bescheiden vom 3.3.1993 und 2.2.1994“ (Seite 8 des Bescheides unten). Konsequenterweise wurde mit diesem Bescheid über das Eigentumsrecht (im allseitigen Einvernehmen der Parteien) wie folgt entschieden: Amt der Tiroler Landesregierung 28.11.1994 IIIb1-1325 R/53 (Agrargemeinschaft Berwang) Spruch: „…Regulierungsgebiet. Das Regulierungsgebiet besteht aus den in EZ 102 vorgetragenen Grundstücken. Diese sind agrargemeinschaftliche Grundstücke und stehen im Eigentum der Agrargemeinschaft Berwang. Die Agrargemeinschaft Berwang ist Miteigentümerin zur Hälfte an den in EZ 355 vorgetragenen Grundstücken; Eigentümerin des zweiten Hälfteanteils ist die Gemeinde Berwang.“

Dieser Bescheidspruch ist eindeutig; mit diesem Bescheid wurde festgestellt, dass die Agrargemeinschaft Berwang Eigentümerin ist; gem. § 14 Agrarverfahrensgesetz entfaltet dieser Bescheid Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitswirkung vergleichbar einem gerichtlichen Feststellungsurteil. Rechtskräftig ist damit festgestellt:
a) die Agrargemeinschaft Berwang war und ist Eigentümerin des Regulierungsgebietes
b) die politische Ortsgemeinde Berwang war und ist nicht Eigentümerin des Regulierungsgebietes
c) die historische Grundbuchseintragung, lautend auf „Fraktion Berwang“ ist dahingehend zu lesen, dass unter dem Begriff „Fraktion Berwang“ eine nicht regulierte Agrargemeinschaft zu verstehen ist.

Die Agrarbehörde hat in ihrer Eigenschaft als gesetzlicher Richter über das Gemeindegut nicht nur über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet entschieden; unter einem wurde über die Beteiligungsverhältnisse an dieser Agrargemeinschaft entschieden und dazu folgendes von der Behörde festgestellt: Die Ortsgemeinde Berwang hat ein Anteilsrecht von 25%; die weiteren Anteile, 75% insgesamt verteilen sich zu gleichen Teilen auf die Eigentümer von 46 Liegenschaften, welche im einzelnen rechtskräftig festgestellt werden.

Dass es sich dabei um aliquote Anteilsrechte vom Ganzen handelte, die festgestellt wurden, zeigt unwiderlegbar folgende rechtskräftige Entscheidung zum Inhalt und Umfang der Anteilsrechte: „Die Mitglieder der Agrargemeinschaft Berwang nehmen an den gemeinschaftlichen Nutzungen und Erträgnissen im Verhältnis ihrer Anteilsrechte teil; in diesem Verhältnis sind auch die gemeinsamen Lasten zu tragen.“ (Bescheid vom 28.11.1994 IIIb1-1325 R/53 der Tiroler Landesregierung „Regulierungsplan“).

 VIII. „Fraktion Brand der Gemeinde Berwang“

Die Regulierung des Vermögens der ehemaligen „holzbezugsberechtigten Gemeinde Brand“ (auf dem Gebiet der politischen Ortsgemeinde Berwang) wurde von den 13 Nutzungsberechtigten erst mit Eingabe vom 17. Juni 1985, sohin nach dem Bekanntwerden des Erkenntnisses VfGH Slg 9336/1982 eingeleitet. Weil die politische Ortsgemeinde Berwang die Zustimmung zur Übertragung des Eigentumsrechtes verweigerte, entschied die Agrarbehörde I. Instanz beim Amt der Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 4. September 1985 IIIb1-170 R/22 über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet und stellte fest, dass das Regulierungsgebiet im Eigentum der Agrargemeinschaft Brand stehe. In der Begründung geht dieser Bescheid richtigerweise davon aus, dass es sich bei dem im Grundbuch angeschriebenen Eigentumsträger keinesfalls um eine politische Ortsfraktion der politischen Ortsgemeinde Berwang handle, sondern um eine nicht regulierte Agrargemeinschaft. „Fraktion Brand“ – wie im Grundbuch ursprünglich angeschrieben, sei demnach zu lesen als „Nachbarschaft Brand“.

Zu dieser Erkenntnis gelangte das Amt der Tiroler Landesregierung ohne Verwendung der seinerzeitigen Instruktion für die Tätigkeit der Forstservituten-Ablösungs-Kommission vom 1. Mai 1847, welche schlagend die Zusammensetzung der holzbezugsberechtigten Gemeinden als Empfänger von Ablöseliegenschaften beweist: Die Eigentümer von Grund und Boden die 1847 Holznutzung über die Dauer der Verjährungsfrist hinaus nachweisen konnten, nicht jedoch die „Neubauten“. Aus diesem strikt begrenzen Mitgliederkreis der seinerzeitigen „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ ergibt sich als selbstverständlich, dass die „Fraktionswälder“ eine Ablöseleistung nur für die Gruppe der Holzbezugsberechtigtenm waren. Gemeinderechtlich liegt „Klassenvermögen“ gemäß § 26 prov. GemG 1849 bzw. Klassenvermögen gem. § 12 TGO 1866 vor, das streng vom Eigentum der politischen Ortsgemeinde oder allfälligen Bestandteilen derselben (politischen Fraktionen) zu trennen war.

 IX. Enteignung der Nachbarschaften

Aufgrund der historischen Entscheidungen der Agrarbehörde waren die Agrargemeinschaften des Berwangertales Eigentümerinnen im Rechtssinn, insbesondere im Sinn des Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1. ZPEMRK.
Und die  geschichtliche Betrachtung zeigt, dass die Entscheidungen der Agrarbehörde richtig waren: Die so genannten „Fraktionsliegenschaften“ im Berwangertal waren Eigentum der jeweiligen Nachbarschaften; der Begriff „Fraktion“, wie diesen die Grundbuchanlegung  am Ende des 19. Jahrhunderts verwendet hat, bezeichnete demnach eine Nachbarschaft. Diese Fakten interessieren jedoch niemanden!

Mit Landesgesetz vom 30.06.2014 LGBl. Nr. 70/2014, in Kraft getreten am 1.7.2014, wurde allen „Fraktionsagrargemeinschaften“ des Berwangertales das Eigentum am Regulierungsgebiet und an allen damit verbundenen Vermögenswerten entzogen. Dieses Eigentum wurde durch den Landesgesetzgeber in eine Sonderform des öffentlichen Eigentums verwandelt – “atypisches Gemeindegut” genannt. Dieses „atypische Gemeindegut“ ist nur dem Buchstaben nach ein Eigentum der Agrargemeinschaft; der Sache nach wurde dieses Gut in ein Staatseigentum verwandelt und einer Staatsverwaltung unterstellt. Der Staat verfügt nunmehr über dieses Eigentum im Wege von „Substanzverwaltern“, die dem Gemeinderat weisungsgebunden sind und der Staat zieht den Nutzen daraus. Alle Verfügungsbefugnisse über dieses Eigentum und die Erträgnisse daraus stehen dem Staat zu. Die von den Mitgliedern gewählten Organmitglieder, der Obmann und der Ausschuss, wurden jeder Verwaltungs- und Vertretungskompetenz beraubt.

Per 01. Juli 2014 waren die Gemeinschaftskasse, alle Konten der Agrargemeinschaft und die Sparbücher, alle Schlüssel und Verwaltungsunterlagen an den Bürgermeister als Staatskommissar (= Substanzverwalter) auszuliefern. Eine in der Praxis relevante Restzuständigkeit der gewählten Agrargemeinschaftsorgane besteht nicht.Anders als ein Sachwalter, der im Interesse eines Geschäftsunfähigen handeln muss und den Nutzen des Geschäftsunfähigen befördert, handelt der Substanzverwalter nicht zum Nutzen der bisherigen Anteilsberechtigten, der Antragsteller. Zweck und Ziel der Tätigkeit eines Substanzverwalters ist es, den Nutzen und die Erträgnisse aus dem Eigentum, die Mieten, Pachten und Verkaufserlöse dem Staat, konkret der Ortsgemeinde zuzuwenden. Nach formellem Recht ist der Substanzverwalter zwar ein Organ der Agrargemeinschaft; dieses Organ handelt jedoch nicht im Interesse der Agrargemeinschaft. Als „implantiertes Staatsorgan“ soll er den Nutzen aus dem ursprünglichen Gemeinschaftsgut dem Staat zuwenden! Obwohl neben dem Substanzverwalter die Organisation der nutzungsberechtigten Agrargemeinschaftsmitglieder bestehen blieb, wurden keinerlei Einnahmen für eine Gemeinschaftsorganisation der Mitglieder gewidmet. Zur Förderung eines Gemeinschaftszweckes der Mitglieder gibt es keine Mittel mehr.

Den Mitgliedern der Agrargemeinschaften wurde die „Substanz“ ihres Anteilrechtes entzogen; in der Vollversammlung entscheidet der Staatskommissar (= “Substanzverwalter“); das Recht auf Beteiligung an Überschüssen bzw Gewinnen ist abgeschnitten; ebenso die Möglichkeit zur Aufteilung oder Nutzung des Eigentums der Agrargemeinschaft. Geblieben ist den Mitgliedern lediglich ein diffuses Recht auf Deckung eines „historischen Hof- und Gutsbedarfes“ nach Holz und Weide in Form von Naturalleistungen, für welche ein konkreter Bedarf im Einzelfall nachzuweisen ist; unter bestimmten Umständen sollen diese Rechte der „Ausregulierung“ unterliegen. (§ 54 Abs. 6 TFLG 1996).

In Konsequenz steht den enteigneten Agrargemeinschaften bzw den Mitgliedern dieser Agrargemeinschaften Enteignungsentschädigung zu. Im Fall der Agrargemeinschaft Berwang sind das EUR 21,738.807,00 (einundzwanzig Millionen siebenhundertachtunddreißigtausend 807,00 EURO). Hinsichtlich eines Teilbetrages von EUR 21,053.452,– wurde eine Ersetzungsbefugnis derart eingeräumt, dass auf diesen Betrag sofort verzichtet wird, wenn die politische Ortsgemeinde auf das behauptete Substanzrecht am Agrargemeinschaftsgrund verzichten würde.

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Das Vergleichsprotokoll, Anhang 1

Vergleichs-Protocoll

welches von Seite der kk Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission mit der Gemeinde Berwang im kk Landgerichtsbezirke Reutte am 21. Oktober 1848 aufgenommen wurde.[1]

Gegenwärtige

 

Von Seite der GemeindeDie BevollmächtigtenJoh. BerktoldJoh. SprengerAnt. WechnerJos. KochAlois SchwarzStephan GräßleMich. SinigerMartin RhainstadlerJos. KochPaul FuchsJohann FuchsJos. Hosp Von Seite des k.k. Aerar’sDer k.k. BergrathHerr Gottlieb Zöttlals einstweiliger Leiter der k.k.Waldservituten-Ausgleichungs-Kommißiondann die KommißionsgliederHl [=hochlöblicher] Jakob Gaßerk.k. Gub. SekretärHl Georg Kinkk.k. Land- u. Kriminal UntersuchungsrichterHl Ant. JaniczekAushilfsreferent der k.k. tirol. KammerprokuratorHl Moritz von Kempelenk.k. Berg- u. Salinendirections-Sekretär Aktuar der Kommißion

 

[Hier eingelegt ist die Abschrift der Vollmacht, unten, Anhang 2]

 

In Folge der allerhöchsten Entschliessung vom 6ten Februar 1847, kundgemacht mit h. Gubernial-Erlasse vom 11ten April 1847 Z. 9357 ist mit den laut des beigehefteten Protokolles vom 30ten November 1847 bevollmächtigten Gemeinde-Repräsentanten der nachstehende

 Vergleich

abgeschlossen worden.

Erstens: Ueberläßt das k.k. Aerar mit Vorbehalt der Rechte Dritter und ohne Gewährleistung wider dieselben der Gemeinde Berwang in das volle Eigenthum:a die weiter unten beschriebenen Wälderb die landesfürstlichen Freien (öde Gründe), welche sich zerstreut zwischen den Höfen, in und um die Dörfer u. Weiler dann an den Wegen befinden, und nicht zum unmittelbaren Gebrauche des k.k. Aerars dienen. Jedoch ist die Frage, welche von diesen Freien zum Gebrauche des k.k. Aerars dienen, ehe sie von der Gemeinde auf eine andere Art, als zur Weide benützt werden dürfen, von der Montanbehörde zu entscheiden.
Zweitens: Die Ausübung der Weide in den der Gemeinde überlassenen Waldungen und der Bezug der Alpennothdurft für die in, oder an denselben dann in Staatswaldungen liegenden, Wem immer gehörigen Alpen, hat nach der bisherigen Uebung fortzubestehen.
Drittens: Die Ausübung der Weide wird der Gemeinde auch in den vorbehaltenen Staatswaldungen nach der bisherigen Uebung jedoch ausschließlich jeden fremden Viehes, dann der Ziegen, Schafe und Pferde, und mit Beschränkung auf jenen Viehstand, welchen die Gemeinde auf ihren eigenen Gütern zu überwintern vermag, gegen Beobachtung der jeweiligen forstpolizeilichen Bestimmungen, und gegen dem fernerhin gestattet, daß die Gemeinde keine eigenmächtige Schwendung der Weideplätze vornehmen, das Aerar in dem Forstkultursrechte, und überhaupt in dem Befugnisse, seine Waldungen beliebig zu benützen, nicht beeinträchtigen, sowie auch wegen des ihr allenfalls entgehenden Weidegenusses keine Entschädigung fordern dürfe.
Viertens: Verpflichtet sich die Gemeinde Berwang für den Fall, als sie früher oder später aus den ihr gegenwärtig in das Eigenthum überlassenen Waldkomplexen einen Ueberschuß an Holz erübrigen sollte, diesem dem k.k. Aerar zum Vorkaufe anzubieten.
Fünftens: Die von dem k.k. Aerar über das Pechklauben, Saamen sammeln, und andere derlei Nebennutzungen in den an die Gemeinde überlassenen Wäldern mit Privaten bereits abgeschlossenen Pachtverträge bleiben in der Art aufrecht, daß die Gemeinde von dem Tage der Verfachung dieser Vergleichs-Urkunde in die Rechte und Verbindlichkeiten des k.k. Aerars, als Verpächters trit[t].
Sechstens: Sollen die der Gemeinde überlassenen Waldungen mit Dazwischenkunft des k.k. Landgerichtes, und des k.k. Forstamtes, dann aller Anrainer, nach der hochortigen Genehmigung dieses Vergleiches, ungesäumt auf Kosten der Gemeinde vermarkt und hierüber Vermarkungs- und Grenzrevisions-Protokolle errichtet werden, welche diesem Vergleiche als wesentliche Bestandtheile desselben nachträglich beizulegen sind, und als solche keiner weiteren Ratifikation unterzogen werden sollen, indem diese schon durch die höhere Genehmigung des vorliegenden Vergleiches als ertheilt zu betrachten [sind.] Die für die Abmarkung der Gemeinde-Waldungen von den vorbehaltenen Staatswäldern auflaufenden Kosten sind von der Gemeinde und dem k.k. Aerar je zur Hälfte zu tragen.
Siebentens: Leistet die Gemeinde Berwang für sich und sämmtliche Gemeindeglieder auf alle ihr von der k.k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission nicht ausdrücklich vorbehaltenen Nutzungen und Bezüge, also auch auf das Streumachen, Grasmähen, u.s.w. in den vorbehaltenen Staatswäldern sowohl, als aus den. anderen Gemeinden überlassenen Wäldern feierlichst Verzicht.
Achtens: Der gegenwärtige Vergleich ist für die Gemeinde Berwang gleich nach dessen Fertigung bindend, während die k.k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission sich die Ratifikation des hohen Finanzministeriums[2] vorbehält, wobei festgesetzt wird, daß die der Gemeinde zugedachten Waldungen erst von dem Tage der nach der obigen Vermarkung zu erfolgenden Vergleichs-Verfachung als Gemeinde-Eigenthum zu behandeln sind.
Neuntens: Die vergleichenden Theile ermächtigen sich wechselseitig zur Erwirkung der Verfachung dieser Vergleichs-Urkunde.
Zehntens: Die in das Eigenthum der Gemeinde Fraction Stokach übergehenden Wälder sind folgende:der Kampwald W. B. N. 270der Hochbrandwald W. B. Nro. 269.Diese beiden Wälder gränzen1. an das Bichelbacher Waldmark2. an den Bühnbach3. an das Bichlbacher Thal4. an Bergmähder.der Rautz- u. Wiesbannwald W. B. N. 271.Derselbe liegt zwischen den Kohlgruben – Rinner u. den Stokacher Wäldern.
Elftens: Die Gemeindefraction Bichlbächle erhält in das Eigenthum:den Bichelbächler Bannwald W. B. N. 268den Rastalpwald W. B. N. 267.Diese beiden Wälder liegen zwischen dem Bichlbachnerthale u. den Bichlbache, den Gütern u. Mähder[n].
Zwölftens: Die Fraction Gröben erhält in das Eigenthumden [unleserlich] und Schrofeneck-Wald W. B. N. 266, welcher an beiden Seiten des Alpthales gelegen ist u. theils an den Bichlbacher [unleserlich]bodenwald mittels Marksteinen, theils an Mähder gränzt.
Dreizehentens: Die Fraction Berwang erhält in das Eigenthumden Stihleithenwald W. B. N. 265den Finsterthälerwald W. B. N. 264den Bernbandwald W. B. Nro. 263den Bigele- u. Sandgrubenwald W. B. Nro. 262.Diese vier Wälder gränzen:1. an das Bichelbacher-Waldmark2. an das Hochgebirg,3. an das Rinner Waldmark mittels Zaun,4. theils an Felder, theils an den nach Rinnen führenden Weg.Den Rothmoos- u. Rastwald W. B. Nro. 261 welcher gränzt:1. an den nach Rinnen führenden Weg,2. an das Rinner Waldmark,3. an Mähder,4. an Gütter.Außerdem erhält noch die Fraction Berwang in das gemeinschäftliche Eigenthum mit der Fraction Gröben nach Verhältniß ihrer Feuerstätten Jenen Theil des Schönbichlwaldes W. B. N. 242 welcher dem Rothleche zuhängt.
Vierzehentens: Die Fraction Rinnen erhält in das Eigenthumden Brandwald W. B. Nro. 258den Bannwald W. B. Nro. 259Diese beiden Wälder gränzen:1. an das Hochgebirg2. an das Reutener Waldmark, u. den hinteren Reuchälples Wald.3. an den Rothlech4. an das Berwanger Waldmark u. Güterden Grünewald W. B. N. 257.derselbe gränzt:1 u. 2 an das Reutener-Waldmark3. an den Rothbach und Mähder4. an den Rothlech.den Hebeleswald W. B. N. 256 welcher gränzt:1. an den Rothbach2. an den Brander Hebele-Wald3. an das Hochgebirg4. an das Rothbachthal.den Reißeigwald W. B. Nro. 260 gränzend:1. an das Berwanger Waldmark2. an den nach Rinnen führenden Weg3. u. 4. an Güter und Mähder.
Fünfzehentens: In das Eigenthum der Fraction Brand mit Anrauth übergehen folgende Wälder:der Bildwald W. B. Nro. 255der Bannwald W. B. N. 254.Diese beiden Wälder gränzen:1. an das Rinner Waldmark2. an den Rothlech3. an das Brander- oder Mitteregger Thal4. an Mähder.der Brander Hebeleswald W. B. N. 252.der Fichtwald W. B. Nro. 253.Diese beiden Wälder gränzen:1. an den Rothlech2. an den Rothbach3. ans Hochgebirg und Mähder4. an den Kelmer RinnerHinsichtlich des eben angeführten Fichtwaldes, der in der Gemeinde auch Hebeleswald genannt wird, überträgt des k.k. Aerar das ihm mittels landgerichtl. Protokolles vom 7. Jänner 1836 eingeräumte Holzabtriebsrecht an die Gemeinde Fractionen Berwang und Gröben.der Knodenwald W. B. N. 251Derselbe liegt zwischen der Kelmer Maiswaldung und dem Mitteregger Knodenwalde, und gränzt nach oben an das Hochgebirg, nach Unten an den Gringleichbach.
Sechzehentens: Die Gemeindefraction Mitteregg erhält in das Eigenthumden Schliernwald W. B. Nro. 245den Knoderwald W. B. N. 246den Hansenebene- oder Subwald W. B. N. 247den Bann- oder Schlisserlwald W. B. Nro. 248den Mederwald W. B. N. 249den Mühlwald W. B. N. 250.Diese sechs Wälder gränzen:1. theils an das Schifferthal, theils an den Brander Knodenwald2. an das Hochgebirg u. Mähder,3. theils an das Grießthal, theils an das Gröberthal,4. an das Hochgebirg.der Setteles- und Althütteles-Wald W. B. Nro. 244Derselbe gränzt1. an den Wildkarbach2. an das Hochgebirg3. an den Rothlech4. an den SchliernwaldAußerdem wird der Fraction Mitteregg aus dem vorbehaltenen Gröber Staatswalde der unentgeltliche Bezug von Lärchstämmen für den Haus- und Guts-Baubedarf zugesichert.
Siebzehentens: Die Fraction Kelmen erhält in das Eigenthumden Birchnwald W. B. N. 235den Fichtwald W. B. N. 236den Eckwald W. B. N. 237den Hocheckwald W. B. No. 238den Rein- u Hebeleswald W. B. N. 239Diese Wälder liegen zwischen dem Namloser u. dem Brander Waldmark u. gränzen nach oben an das Hochgebirg u. Mähder, nach Unten an Güter u. den Weg.den Rothmooswald W. B. N. 233den Mühlwald W. B. N. 234.den Maiswald W. B. Nro. 240.Diese drei Wälder liegen zwischen dem Namloser- u. Brander Waldmark, und gränzen nach oben an das Hochgebirg, nach Unten an Kelmer Güter, den Weg u. an den Grinzlingbach.
Achtzehentens: Die Fraction Namlos erhält in das Eigenthumden Rebmaiswald W. B. N. 226den Kaglwald W. B. N. 227den Langeckwald W. B. Nro. 228den Borbeleswald W. B. N. 229.Diese Wälder gränzen:1. an das Riglthal2. an den Stangechbach3. an das Kelmer Waldmark4. an das Hochgebirg.den Klausenwald W. B. N. 225die Schritzermaiswaldung W. B. N. 224den Munchlewald W. B. Nro. 223.Diese drei Wälder gränzen:1. an die Fallerschen Mähder,2. an die Dreimaiswaldung mittels des Dreithales,3. an das Hochgebirg,4. an den Brenntbach.den Sulzeckwald W. B. Nro. 230.den Lärchwald W. B. Nro. 231den Rothmooswald W. B. N. 232den Kößlwald W. B. Nro. 221.

Diese Vier Waldungen gränzen:

1. an das Rudnigerthal

2. an das Hochgebirg u. Mähder,

3. an das Kelmer Waldmark,

4. an den Brennt- und an den Mühlbach und Güter.

Neunzehentens: Alle übrigen hier nicht außgeführten im Gemeindebezirke Berwang gelegenen Wälder werden für das k.k. Aerar als Eigenthum vorbehalten.
Zwanzigstens: Bleibt das Recht zum Holzbezuge für die auf Wiesmähdern, sie mögen wem immer gehören, befindlichen Heupillen, Zeunen u. [unleserlich] aus den mit diesem Bezuge belasteten Wäldern aufrecht bestehen.
Einundzwanzigstens: Das Lf. Trifthocheitsrecht bleibt für das k.k. Aerar auf dem Rothlech u. seinen Seitenbächen dann auf dem Brennt- oder Stangenbach vorbehalten. Die Ausübung der Triftberechtigungen wird sich nach den in dieser Beziehung zu erlaßenden forstpolizeilichen Bestimmungen zu richten haben.

 

Zur Urkunde deßen folgen die Unterschriften der Vergleichenden Theile unter Beidrückung der Sigille. Geschehen bei dem k.k. Landgerichte Reutte am 21. Oktober [1]848.

[Unterschriften]

Vorstehendes Vergleichsprotokoll wird von Seite des k.k. Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen hiermit bestätiget.

Wien am 15. October 1849.  [Unterschrift Thinnfeld]

(aus Gerald Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 144 ff)

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Anhang 2, das Vollmachtprotokoll

TLA Innsbruck, Verfachbuch Reutte, 13.11.1852, fol. 931.

Geschehen zu Rinnen den 30ten November 1847

Vor dem k.k. Landgerichtsadjunkten Klattner. act. Alber.

Die vorgetragene Gemeinde Berwang aus mehreren Fraktionen bestehend hat nach dem anruhenden Wahlprotokolle vom heutigen Tage zu den Verhandlungen, welche die k.k. Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols zu pflegen hat, in voller Versammlung folgende zwölf Vertreter gewählt:

[es folgen die 12 Namen, siehe Anhang 2]

Auf Grund des h. Hofkanzleidekretes vom 29. Juni dJ. Z. 16413 des h. Gubernialauftrages vom 10. Juli dJ. Z. 16413 u. kreisämtl. Eröffnung vom 19. Juli dJ. Z. 6457 Forst ertheilen nun heute die unten gefertigten Gemeinde Glieder für sich und ihre Erben den genannten 12 Vertrettern, welche vereint mit den Mandanten vermöge des allegirten Wahlprotokolles über den Gegenstand der Frage deutlich und klar schon unterrichtet worden sind die

Vollmacht

Sie Gemeinde in ihren Fraktionen resp. sie Gemeindeglieder bei den Verhandlungen, welche die k.k. Commißion zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols nach dem allerh. Willen Sr. k.k. Majestät hinsichtlich der Holzbezugsrechte und Gnadenholzbezüge auch hinsichtlich sonstiger Rechte zu pflegen hat, u. bei den diesfälligen Ausgleichungen, insbesondere in Bezug der Beholzungsservitut, des Weidebefugnißes des Grasmähens oder Grasausraufens, des Pechklaubens u.s.w. ohne alle Beschränkung nach bestem Wissen und Gewissen zu vertretten, diesfalls etwa nothwendig werdende entgeldliche oder unentgeldliche Waldeinlösungen, entgeldliche od. unentgeldliche Waldveräußerungen unter beliebigen Bedingungen einzugehen, oder andere entgeldliche Servitutsverträge gleich unbeschränkt abzuschließen, Prozesse anhängig zu machen und durch alle Instanzen durchzuführen, Eide aufzutragen, anzunehmen oder zurückzuschieben, Vergleiche zu schließen, Kompromiße einzugehen, Rechte unentgeldlich aufzugeben, Vermarkungen in Waldungen und anderen Grundflächen vorzunehmen, kurz sie Gemeinde Glieder bei allen Verhandlungen ohne Ausnahme unbeschränkt zu vertretten, welche der belobten Servituten Ablösungskommißion nach der Instruktion dat Wien 1. Mai 1847 Z. 15314/892 obliegen und allenfalls durch etwa noch nachfolgende Instruktionen zur Pflicht gemacht werden sollten. Sie Gemeindeglieder ertheilen den 12 Vertrettern das beliebige Substitutionsbefugniß und versichern sie noch überdieß der vollen Genehm- und Schadloshaltung.

Dieses Ermächtigungsprotokoll wird von der gesamten Gemeinde zur Bestättigung und von den 12 Vertrettern mit dem ausdrückl. Beisatze eigenhändig unterzeichnet, daß sie Vertretter nach ihrer Pflicht und Vollmacht im Interesse der Gemeinde handeln werden.

[Es folgen die Namen der 50 Unterzeichner.]

Commißionelle Fertigung

Plattner mp Adj.

Alber mp

Daß gegenwärtige Abschrift der Original Vollmacht gleichlautend ist, wird hiemit bestätigt. K.k. Land- u. Crim. Unt. G[er]icht Ehrenberg. Reutte am 24t 8ber 1848 [Stempel und Unterschrift]

(aus Gerald Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 144 ff)

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Anhang 3, Hofkanzleidekret vom 29. Juni 1847

Ministerialdekret 20968/1216 und 48, AVA Wien, Hofkanzlei 20968/1847

Von der k.k. vereinigten Hofkanzlei.

Mit dem Berichte vom 22. vorigen Mts Zhl 12460 hat das Gubernium über Anregung des Vorstandes der Forstservituten Ablösungs Kommission Freiherrn von Binder den Antrag gestellt, daß die Herbeiführung der dießfälligen Abfindungen mit den Gemeinden durch von sämmtlichen Gemeindegliedern gehörig zu wählende Bevollmächtigte geschehen, die Zahl der letzteren aber bei größeren Gemeinden auf sechs, bei kleineren auf drei Personen festgesetzt werden sollte.

Ueber diesen Bericht wird dem Gubernium im Einverständnisse mit dem k.k. Hofkammer Präsidium unter Rückschluß der Beilage erwiedert, daß man bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Ablösungs Geschäftes und mit Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen, dann um künftigen allfälligen Anständen so viel wie immer thunlich vorzubeugen, endlich mit Rückblick auf den Absatz der der A.h. Entschließung von 6. Februar l. Jhs. die Vornahme der Gesammt-Verhandlungen zum Behufe der Forstservituten Ablösung mit von den Gemeinden, auf die von dem Gubernium beantragte Weise zu wählenden Bevollmächtigten nur unter folgenden Bedingungen zu genehmigen findet.

  1. daß jene Gemeindeglieder, welche bei dem Akte der Bevollmächtigung nicht intervenieren, in Absicht auf die Wahl der bevollmächtigten Personen, und auf den Zweck der Bevollmächtigung als dem Willen der Mehrzahl der Vollmachtgeber beigetreten erachtet werden.
  2. daß die Bevollmächtigten aus den betreffenden Gemeinden selbst, und zwar bei größeren Gemeinden in der Zahl von 12 (zwölf) bei kleineren aber in der Zahl von mindestens 6 (sechs) und höchstens 9 (neun) Individuen genommen werden und die Feststellung des Begriffes von großen und kleinen Gemeinden zu diesem Behufe nach den dortlandes bestehenden Verhältnissen von dem Gubernium erfolge, endlich
  3. daß wenn mit den dergestalt gewählten Bevollmächtigten eine Ausgleichung nicht zu Stande käme, der Forstservituten Ablösungs Kommission die individuelle Berufung der Servitutsberechtigten oder mit Gnadenbezügen betheilten Gemeindegliedern vorbehalten bleibe, und dann über die Annahme der von der Kommission vorgeschlagenen Abfindung die Stimmen der Mehrheit der a Servitutsberechtigt oder b eher mit Gnadenbezügen betheilt anerkannten Gemeindeglieder für die ganze Gemeinde bindend erscheinen, die formellen Vergleichs Abschlüsse aber in diesem Falle, wo dieselben nicht mit den Bevollmächtigten, sondern unmittelbar mit der Mehrzahl der Gemeindeglieder zu Stande kamen, von ebendieser Mehrzahl gefertiget werden sollen.

Hierauf ist das Entsprechende zu verfügen. Von der k.k. vereinigten Hofkanzlei, Wien, am 29. Juni 1847 [Unterschrift Pillendorff]

-.-.-.-.-

MP

 

 

 

 

 

 

Virgen-Dorf: NS-Enteignung 2.0
DIE ERBEN DER NAZI?

Agrargemeinschaft Virgen Dorf: Die Agrarbehörde bemüht NS-Gemeinderecht um die Stammsitzteigentümer von Virgen zu enteignen!
Agrargemeinschaft Virgen Dorf: Die Agrarbehörde bemüht NS-Gemeinderecht um die Stammsitzteigentümer von Virgen zu enteignen!

Die Besiedelungsgeschichte Virgens geht auf die Zeit um 500 vor Christus zurück, wobei der Kupferbergbau eine tragende Rolle spielte. Nach dem Ende der Römerzeit siedelten sich Slawen im Virgental an, die ab dem 8. Jahrhundert nach und nach von bairischen Siedlern assimiliert wurden. Die gleichzeitig einsetzende Christianisierung führte zur Einrichtung einer der ersten Pfarren in der Region. Im Mittelalter war Virgen Teil Kärntens und der Grafschaft Görz, 1500 wurde es an Tirol angegliedert. Mit 2198 Einwohnern (Stand 1. Jänner 2016) ist Virgen heute die bevölkerungsmäßig fünftgrößte Gemeinde Osttirols. (aus: Wikipedia – Gemeinde Virgen) <br />

 

Landeshauptmann:
„Josef, ich höre es gerade vom Landesadler und von Attila: Der Walser und seine Leute in der Agrarbehörde zitieren jetzt sogar schon Nazigesetze, um zu begründen, warum ehemals ein Gemeindeeigentum bestanden haben soll. Will der Walser wirklich die Ortsgemeinden als die Erben der NAZI bloßstellen? Das muss aufhören!“

 

Als der Tiroler Landesfürst im Jahr 1847 landesfürstliche Hoheitsrecht an den Wäldern und Almen aufgegeben hat, wurden die „berechtigten Gemeinden“ Volleigentümer. Wörtlich formuliert das Gesetz, dass die Wälder „den bisher zum Holzbezuge berechtigten oder mit Gnadenholzbezügen beteilten Gemeinden als solchen, in das volle Eigentum“ überlassen werden. Volleigentümer wurden jene Gruppen von Personen, welche berechtigt waren, in den betreffenden Forstgebieten bis zu diesem Zeitpunkt das Holz zu nutzen (Art 6 Tiroler Forstregulierungspatent 1847). Entsprechend der gesetzlichen Vorgabe konnten nur die jeweiligen „Nutzungseigentümer“, das heißt jene Personengruppen das Volleigentum erwerben, welche in den betreffenden Wäldern möglicherweise über Jahrhunderte Rechte zum Holzbezug ausgeübt haben.

In der Katastralgemeinde Virgen wurden diese „Gruppen von Nutzungsberechtigten“ – sprich Agrargemeinschaften im Sinne des heutigen Verständnisses, bei der Grundbuchanlegung unter anderem mit folgenden Bezeichnungen erfasst: „Gemeinde Virgen“, Göriach Fraktion der Gemeinde Virgen, Mellitz Fraktion der Gemeinde Virgen, Mitteldorf Fraktion der Gemeinde Virgen, Niedermauern Fraktion der Gemeinde Virgen, Obermauern Fraktion der Gemeinde Virgen, Virgen Dorf Fraktion der Gemeinde Virgen, Welzelach Fraktion der Gemeinde Virgen, Zedlach Fraktion der Gemeinde Windisch Matrei Land sowie als „Alpengenossenschaft Virgen-Mellitz bestehend aus a) der Fraktion Virgen-Dorf der Gemeinde Virgen, b) der Fraktion Mellitz der Gemeinde Virgen c) dem jeweiligen Eigentümer des Reiterhofes Einl.Zl 31 I dieses Grundbnuches“ und der Mullitz-Alpengenossenschaft bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern, b) Welzelach“. <br />

Offensichtlich ist, dass in der KG Virgen bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1905 unter der Bezeichnung „Fraktionen“ Rechtsträger in das Grundbuch einverleibt wurde, die entsprechend dem seither entwickelten Rechtsverständnis nur Agrargemeinschaften sein können. Diese haben entsprechend dem jeweiligen historischen Selbstverständnis der Nachbarschaften über viele Jahrhunderte zahlreiche Aufgaben wahrgenommen, die wir heute dem öffentlichen Bereich zuordnen wie lokale Sicherheitspolizei, Wegebau und –erhaltung, Anstellung des Lehrers und Schulhalterei usw.

 

VIRGEN-DORF: NS-ENTEIGNUNG 2.0
Übersicht:
I. Ausgangslage Osttirol
Agrargemeinschaften oder Gemeindeteile
Wolfram Haller – Jurist mit Herz und Hirn
Fraktionengesetz statt Regulierung
NS-Gemeinderecht trifft „Fraktionen“
Wolfram Haller soll es richten
Roman Sandgruber zu Haller & Osttirol
II. Feststellung der Eigentümer
NS-Enteignung zur Zweiten
III. Die Enteignung
Enteignungsgesetz LGBl Nr 70/2014
Enteignung wie zur NS-Zeit?

 

I. AUSGANGSLAGE OSTTIROL

Die Agrarbehörde als gesetzliche Richterin für das Eigentum an Gemeindegut hat in den 1940er Jahren die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken in diversen Osttiroler Gemeinden genauestens überprüft.

Anlass waren widerwärtige Enteignungsmaßnahmen, welche die neu eingesetzten NS-Bürgermeister samt einem aus dem „Altreich“ stammenden Landrat (entspricht heute  dem Bezirkshauptmann) verfügt hatten.  Die Argumentation, die die NS-Bürgermeister angewandt haben, deckt sich erschreckender Weise mit der Argumentation, wie man diese heute in den Enteignungsbescheiden der Agrarbehörde liest!

Die agrargemeinschaftlichen Strukturen, die historisch in Tirol als „Gemeinde“ bzw als „Fraktion“, seltener als „Ortschaft“, bezeichnet wurden, wurden als gemeinderechtliche Strukturen hingestellt.
So ist es in diversen Osttiroler Ortsgemeinden vorgekommen, dass das Bezirksgericht Lienz aufgrund eines bloßen Zettels, den ein Nazi-Bürgermeister unterfertigt hatte, eine Grundbucheintragung lautend auf „Ortschaft“ oder auf „Fraktion“ (beides Bezeichnungen für  einen agrargemeinschaftlichen Eigentumsträger) umgeschrieben hat auf „Gemeinde“.

 

AGRARGEMEINSCHAFTEN ALS GEMEINDETEILE?

Mit der Deutung einer agrargemeinschaftlichen Struktur als „Einrichtung gemeinderechtlicher Art“ konnte die neue, politische NS-Gemeinde als Nachfolgerin im Eigentumsrecht auftreten. Dafür ausreichend war offensichtlich ein äußerer Anschein und die Meinung des jeweiligen lokalen NAZI-Bürgermeisters. Auf der Grundlage von bloßen „Niederschriften“ und dem Verweis auf die neue NAZI-Gemeindeordnung, wurde den Agrarobleuten die Kasse, alle Verwaltungsunterlagen und letztlich das Eigentum an den Liegenschaften abgenommen.

Die Osttiroler Grundbücher vermerken zu diesen Vorgängen lapidar: „Aufgrund der Niederschrift vom xxx [Datum der Amtshandlung] und des GesBl f.d. Land Österreich Nr 408/38 [Einführung der NAZI-Gemeindeordnung 1935 in Österreich] wird das Eigentumsrecht für die Gemeinde xxx einverleibt.“ Anstatt eines unabhängigen Rechtssprechungsorganes hat der NAZI-Bürgermeister entschieden, ob das jeweilige „Enteignungsziel“ eine „Einrichtung gemeinderechtlicher Art“ oder eine Agrargemeinschaft war.

Bei dieser völligen Vereinnahmung des agrargemeinschaftlichen Vermögens für die neuen NS-Gemeinden dienten die irreführenden Grundbucheintragungen auf „Ortschaft“ oder „Fraktion“ als Anknüpfungspunkt, um eine „Einrichtung gemeinderechtlicher Art“ zu unterstellen. Hinzu kam, dass die uralten Nachbarschaften über Jahrhunderte Funktionen wahrgenommen hatten, die im NS-Staat und auch heute als typische Aufgaben der politischen Ortsgemeinde angesehen werden (zB: Betrieb und Erhaltung der lokalen Volksschule, Wege- und Brückenerhaltung auf Nachbarschaftsgebiet, lokale Sicherheitspolizei).

Die Deutsche Gemeindeordnung vom 30.01.1935, (dRGBl I Nr. 6), die am 1.10.1938 auch in Österreich in Kraft getreten war, sah keine demokratisch gewählten Gemeindevertretungen vor und sollte die Übereinstimmung der kommunalen Organe mit der NS-Staats- und Parteiführung und den Durchgriff der Partei nach unten absichern. § 6, Abs. 2 lautete: „Bürgermeister und Beigeordnete werden durch das Vertrauen von Partei und Staat in ihr Amt berufen. Zur Sicherung des Einklangs der Gemeindeverwaltung mit der Partei wirkt der Beauftragte der NSDAP bei bestimmten Angelegenheiten mit.“ Und § 33, Abs. 1: „Zur Sicherung des Einklangs der Gemeindeverwaltung mit der Partei wirkt der Beauftragte der NSDAP bei der Berufung und Abberufung des Bürgermeisters, der Beigeordneten und der Gemeinderäte mit“ „Versagt der Beauftragte der NSDAP seine Zustimmung und kommt es zu keiner Einigung“, so entscheidet der Statthalter bzw. die Aufsichtsbehörde. Die Partei hatte Zugriff auf Bürgermeister, Beigeordnete und Gemeinderäte. § 51 lautete: „Der Beauftragte der NSDAP beruft im Benehmen mit dem Bürgermeister die Gemeinderäte.“ (Roman Sandgruber)

Die nationalsozialistische Gemeindeordnung von 1935 und die Angleichungsverordnung für Österreich (Angleichungsverordnung zur DGO, Ges.Bl. f. Öst. Nr. 429/38) ordneten dem Bürgermeister, was das Gemeindegliedergut und Vermögen betrifft, umfassende Macht zu: Vor allem § 55, Abs. 8 und 9 der Gemeindeordnung musste das Misstrauen aller agrarischen Gemeinschaften mit Sondervermögen wecken: „Der Bürgermeister entscheidet über Umwandlung von Gemeindegliedervermögen in freies Gemeindevermögen, über Veränderungen der Nutzungsrechte am Gemeindevermögen, Veräußerungen etc.“ Der NS-Staat war als monokratischer Einheitsstaat ausgelegt. Die Partei kontrollierte alles. Dieser Zugriff wäre auf autonome Fraktionen, Agrargemeinschaften oder Vereine nicht in dieser Art möglich gewesen, zumal die Organisationsdichte der NSDAP in Osttirol sehr niedrig war. Daher wollte man möglichst viel den leichter beherrschbaren Gemeinden zuordnen. Die Fraktionen, Kommunen und sonstigen Korporationen wurden daher aufgelöst.

Generell lag es in den Intentionen des nationalsozialistischen Staates, die Gemeinden gegenüber „Fraktionen, Ortschaften, und ähnlichen innerhalb der Gemeinde bestehenden Verbänden, Körperschaften und Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ (DGO, Art. II, § 1), aber auch gegenüber Agrargemeinschaften oder Vereinen etc. zu stärken. Nach Möglichkeit sollten autonome oder subsidiäre Unterorganisationen beseitigt werden. Auf die Gemeinden hingegen hatte sich die Partei einen entsprechenden Zugriff gesichert.

Die Gemeindezusammenlegungen – die Zahl der Osttiroler Gemeinden wurde von 50 auf 25 halbiert -, die Fraktionsaufhebungen und Vermögenseinverleibungen, die praktisch völlig über die Köpfe der Bevölkerung hinweg geschahen, erweckten viel böses Blut. Die neue Gemeindeordnung und die Gemeindezusammenlegungen, die die Fraktionen und Kleingemeinden beseitigten und die von vielen Bauern als Enteignung der in Nachbarschaften udgl. organisierten Bevölkerung empfunden wurden, indem das Gemeinschaftsvermögen als Fraktionsvermögen den neuen Großgemeinden zugesprochen wurde, führten zusammen mit den sonstigen Eingriffen und Einziehungen lokaler, insbesondere auch religiöser oder traditioneller Korporationen und Vereine, einem gewaltigen Widerstandspotential, das sich besonders bei parteiskeptischen Bauern aufbaute. (Roman Sandgruber)

Es kam zu massiven Protesten der Bauern, die letztlich eine Reaktion der Gauleitung in Klagenfurt zur Folge hatten. Es ist durchaus verständlich, dass eine Fraktion, Interessentschaft oder Genossenschaft einiger weniger Bauern in einem abseits vom Hauptort der Gemeinde gelegenen Teil angesichts der Auflösung ihrer Fraktion oder gar Gemeinde erhebliches Misstrauen gegen die neue Gemeindeführung haben musste. Der Bürgermeister der Gemeinde war mit Sicherheit ein Vertrauensmann der Partei, häufig gar kein Bauer, während die Bauern, meist tief katholisch, mit der Partei wenig anzufangen wussten und ihre Enteignung befürchteten. (Roman Sandgruber) Die in der Folge eingeleiteten Untersuchungen der Agrarbehörde erfolgten – jedenfalls ursprünglich – in uneingeschränktem Einvernehmen mit der Gauleitung in Klagenfurt.

WOLFRAM HALLER – JURIST MIT HERZ UND HIRN

Der damalige Leiter der Agrarbezirksbehörde Lienz, Dr. Wolfram Haller, war Kärntner Agrarjurist und Leiter der Agrarbezirksbehörde Villach. Er hat die von ihm festgestellten Mängel bei der Verbücherung des agrargemeinschaftlichen Besitzes in den Grundbüchern Osttirols ausführlich dokumentiert. So beispielsweise im Bericht Zl 519/41/Vi, Agrarbezirksbehörde Lienz, „Überprüfung agrargemeinschaftlicher Grundstücke im Landkreis Lienz, Bericht an die Obere Umlegungsbehörde beim Reichsstatthalter“ vom 31. Dezember 1941 oder in einer systhematischen Darstellung aus dem Jahr 1947: Wolfram Haller, Die Entwicklung der Agrargemeinschaften in Osttirol (1947) Österreichische Nationalbibliothek, Sign 753717 –C.

Als Agrarjurist aus Kärnten hatte Dr. Wolfram Haller die Problematik der Tiroler Grundbuchanlegung schnell erkannt: In Kärnten war das Teilungs- Regulierungs- Landesgesetz bereits 1885 in Kraft gesetzt worden (Gesetz für das Herzogtum Kärnten vom 5.6.1885, LGBl 23/1885). Bei der Anlegung der neuen Grundbücher war die Agrargemeinschaft als rechtsfähiges Gebilde präsent.

 Dr. Wilhelm Wadl, Direktor des Kärntner Landesarchivs, erläuterte die historische Situation in Kärnten in einem Schreiben an das Tiroler Landesarchiv vom 20. Juni 2012 folgendermaßen: „In Kärnten wurde die Regulierung des agrargemeinschaftlichen Besitzes in ganz ähnlicher Weise wie in Tirol schon in den 1870er und 1880er durchgeführt. Anlässlich der Neuanlage der Grundbücher wurden sowohl die Bürgermeister als auch die Obmänner der örtlichen Nachbarschaften vorgeladen und mussten diese bei allen nicht in Individualbesitz stehenden Parzellen erklären, ob es sich um agrargemeinschaftliches Gut oder öffentliches Gut handelte. Dementsprechend wurden dann Einlagezahlen für die jeweiligen Agrargemeinschaften gebildet und der restliche Gutsbestand in die Verzeichnisse des öffentlichen Guts eingetragen. In weiterer Folge kam es bei den Agrargemeinschaften selbst zur Regulierung, das heißt, entweder zur Aufteilung auf Einzeleigentümer oder zur eindeutigen Festlegung von Anteilen und der Zuschreibung dieser Anteile zu Stammliegenschaften. Niemand in Kärnten würde daraus heute eine Enteignung der Gemeinden ableiten, obwohl vor der eindeutigen Zuschreibung durch die Grundbuchanlegung bekanntermaßen in den Parzellenprotokollen des Grundsteuerkatasters in der Besitzerrubrik fast überall der durchaus mehrdeutige Begriff „Gemeinde XY“ aufscheint. Bekanntlich erfolgte die Vermessung in Kärnten in den Jahren 1826 bis 1829, als es noch längst keine politischen Ortsgemeinden im heutigen Sinn gab und der Gemeindebegriff daher einen ganz anderen Bedeutungsinhalt hatte.“

FRAKTIONENGESETZ STATT REGULIERUNG

Im krassen Gegensatz zum historischen „Herzogtum Kärnten“ hatte man in der „gefürsteten Grafschaft Tirol“ für mehr als 35 Jahre darauf verzichtet, das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 in einem entsprechenden Landesgesetz umzusetzen. Während der Stern der neuen politischen Ortsgemeinde aufgrund des Reichsgemeindegesetzes 1862 und des Tiroler Ausführungsgesetzes 1866 samt Gemeindewahlordnung dazu, unaufhaltsam im Steigen war, geriet die ursprüngliche Organisation der Nachbarn unter deren Räder: Die neue, politische Ortsgemeinde wurde als Fortsetzung der historischen Nachbarschaften angesehen. Dies war schon deshalb naheliegend, weil sich diese Nachbarschaften über Jahrhunderte „Gemeinde“ genannt und sich als „Gemeinde“ verstanden hatten.
Konsequenterweise wurden die historischen Nachbarschaftsliegenschaften, die der gesamten „Gemeinde-Nachbarschaft“ zugeordnet wurden, bei der Grundbuchanlegung unter der Eigentümerbezeichnung „Gemeinde“ erfasst.

Dabei hat es sich als Manko erwiesen, dass das neue, politische Gemeinderecht für die Nachbarschaften, die nur einen Teil des Gebietes der neuen Ortsgemeinden abdeckten, kein passendes Organisationsmodell angeboten hat. Für diese Nachbarschaften hat man in Tirol im Jahr 1893 ein „Fraktionengesetz“ geschaffen (LGBl 1893/32). Nach dem erklärten Willen des historischen Gesetzgebers sollten die „alten Cooperationen“ – aus heutiger Sicht Agrargemeinschaften – in das politische Gemeinderecht integriert werden.

Vgl nur: Bericht des Landesausschusses betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Berichterstatter: Landeshauptmann Anton Graf Brandis: „Denn es ist vor Allem sehr schwer gesetzlich zu definieren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraktion sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse. Im Allgemeinen dürfte wohl die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal sein, doch kann es auch Fraktionen ohne eigenem Vermögen, die doch alle übrigen Erfordernisse einer selbstständigen Stellung in sich tragen, während mitunter kleine Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht darauf erheben können, als eigentliche Gemeinde-Fraktionen anerkannt zu werden.“

„Eine weitere Veranlassung der gegenwärtigen Vorlage ist das Bedürfnis, den Fraktionen endlich einmal den ihnen gebührenden Platz in unserer Gemeindegesetzgebung zu verschaffen. Unser Gemeindegesetz kennt eigentlich nur Ortsgemeinden mit ihrer Vertretung. Dass diese Ortsgemeinden auch aus Teilen, Fraktionen, bestehen können, wird insofern anerkannt, dass diese Fraktionen auch eigenes Vermögen besitzen können, welches sie, und zwar unter Oberaufsicht der gesamten Gemeindevertretung, selbstständig verwalten sollen; wie aber diese Verwaltung geschehen soll? Durch wen? Wer die Fraktion vertreten soll? Das ist der rechtsgültigen Übung anheimgestellt. Diese rechtsgültige Übung nun ist ein sehr vielgestaltiges Etwas, und lässt mitunter auch bezüglich ihrer Rechtsgültigkeit begründete Zweifel aufkommen. Es sind dies größtenteils Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts passendes an deren Stelle zu setzen wusste, die man aber behördlich so viel als möglich ignorierte, weil sie nicht in den Rahmen der neuen Gesetzgebung hineinpassten, und die so möglichst unkontrolliert fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach.“

„Es möge nun der Versuch gemacht werden, diese alten Einrichtungen innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes mit den gegenwärtigen Verhältnissen in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe ist durchaus nichts unmögliches, ja sie ist vielleicht nicht einmal so schwierig als sie auf den ersten Blick aussehen mag. Unsere alten Gemeindeordnungen waren ja keine so starren Eisgebilde, als man sich heutzutage mitunter vorstellt. Der allgemeine Rahmen blieb allerdings durch manche Jahrhunderte hindurch unverändert der gleiche; aber innerhalb dieses Rahmens fanden manche Entwicklungen und Veränderungen statt, insbesondere betrafen diese Veränderungen die Art der Vertretung und die Kompetenz der einzelnen Gemeinde-Funktionäre. Es ist daher gar kein so unerhörter Eingriff in die alten Formen, wenn man heute festsetzt, der Dorfmeister, Regolano, oder wie er immer heißen mag, bleibt Vorsteher der Fraktion, wird aber in Hinkunft nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 9. Jänner 1866 gewählt. Er hat an seiner Seite nach Bedarf einen Ausschuss früher von … jetzt von … Männern, die in gleicher Weise gewählt werden.“

Dieses „Fraktionengesetz“ ist – als Tiroler Spezialität – noch im Jahr 1893 in Kraft getreten und bildete seither den Rechtsrahmen für die Verwaltung zahlloser Agrargemeinschaften. Konsequenter Weise hatte die Tiroler Grundbuchanlegung in zahllosen Fällen – schon wegen des Mangels an Alternativen – Agrargemeinschaften als „Fraktionen“ verstanden und das Nachbarschaftseigentum im Grundbuch als „Fraktion“ angeschrieben. Umso mehr wurde damit das Verständnis der Agrargemeinschaft als Teil der politischen Gemeindestruktur bestärkt: Statt eines Obmannes hatte die Agrargemeinschaft einen „Fraktionsvorsteher“; statt der Vollversammlung entschied die Fraktionsversammlung; die Funktion der Agrarbehörde als Aufsicht übten Bürgermeister und Gemeinderat.

NS-GEMEINDERECHT TRIFFT „FRAKTIONEN“

Dieses funktionierende System wurde im Jahr 1938 vom dt Gemeinderecht überrollt, wonach im Sinn des „Führerprinzips“ auf Gemeindeebene alle Teil- und Unterorganisationen der politischen Gemeinden für aufgelöst erklärt wurden. Ihr Rechtsnachfolger sollte die Gesamtgemeinde werden; das alles per 1. Oktober 1938, mit welchem Stichtag die dt Gemeindeordnung aus dem Jahr 1935 auch „im Land Österreich“ in Kraft gesetzt wurde.

Streng dem Gesetz nach war natürlich nur an wahre Einrichtungen der politischen Ortsgemeinden gedacht. Laut Artikel II, § 1 der Einführungsverordnung zur Dt Gemeindeordnung wurden Ortschaften, Fraktionen und ähnliche innerhalb einer Gemeinde bestehende Verbände, Körperschaften und Einrichtungen gemeinderechtlicher Art aufgelöst. Ihr Rechtsnachfolger sollte die Gemeinde sein.
Generell lag es freilich in den Intentionen des nationalsozialistischen Staates, die politischen Gemeinden zu stärken; dies gegenüber „Fraktionen, Ortschaften, und ähnlichen innerhalb der Gemeinde bestehenden Verbänden, Körperschaften und Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ (DGO, Art. II, § 1), aber auch gegenüber Agrargemeinschaften oder Vereinen etc. . Nach Möglichkeit sollten autonome oder subsidiäre Unterorganisationen beseitigt werden. Alle diese Einrichtungen und Organisationen sollten – dem Gedanken des „Führerprinzips“ folgend – dem Bürgermeister unterstehen, weil die Partei sich auf die politischen Gemeinden und deren Bürgermeister einen gesicherten Zugriff ausüben konnte.

Nach dem 1. Oktober 1938 beanspruchten deshalb zahllose Nazi-Bürgermeister das agrargemeinschaftliche Vermögen als angebliches neues Gemeindeeigentum. Die Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder hatten sich im allgemeinen Konsens über Jahrzehnte des Organisationsmodells der Gemeindefraktion (§§ 127 – 141 TGO 1935, LGBl 36/1935) bedient;  unter den Rahmenbedingungen des NS-Unrechtsstaates musste dies Konsequenzen haben: Der Agrarobmann wurde in seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsteher (einer „Anscheins-Fraktion“ der Ortsgemeinde) einbestellt, es wurden ihm die Kasse und alle Verwaltungsunterlagen abgenommen und es wurde über den Vorgang eine Niederschrift angefertigt. Unter Berufung auf diese Niederschrift wurde dem NAZI-Bürgermeister Verfügungsbefugnis über das Bankkonto  eingeräumt und das Bezirksgericht Lienz hat das Eigentumsrecht an den Liegenschaften auf die jeweilige Ortsgemeinde umgeschrieben.

Solche Vorgänge verursachten im Osttirol eine derartige Unruhe, dass die Gauleitung eine Überprüfung derselben durch die Agrarbehörde Villach initiierte. Dr. Wolfram Haller,  Agrarbehördenleiter in Villach, berichtet darüber folgendes: „Bitter wirkte sich dagegen die enge Verbundenheit der Agrargemeinschaften als Fraktionen mit der Gemeinde im Agrarbezirk Lienz aus, der zuerst der Agrarbezirksbehörde Villach angeschlossen, dann aber als selbständige Agrarbezirksbehörde Lienz eingerichtet wurde, die ich rechtlich mitbetreuen musste. Ein aus dem Altreich gekommener Landrat, der mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut war, löste sofort alle Fraktionen auf Grund der Einführungsverordnung auf und führte die Fraktionsgüter ins Vermögen der Gemeinden über. Dadurch entstand eine derartige Unruhe unter den Bauern, dass sogar das Reichssicherheitshauptamt in Berlin Erhebungen pflegen ließ. Eine Abordnung Tiroler Bauern unter Führung des vulgo Plauz in Nörsach kam zu mir nach Villach und bat dringend um Hilfe. Plauz erklärte, dass eher Blut fließen werde, als dass sich die Bauern ihre alten Rechte nehmen ließen.“ (Wolfram Haller, Kärntner Agrargemeinschaften , in: Carinthia 1.157.1967, S. 662 f)

WOLFRAM HALLER SOLL ES RICHTEN

Am 6. Oktober 1942 berichtet Dr. Wolfram Haller an den Reichsstatthalter in Klagenfurt als ein Zwischenergebnis seiner Arbeit, dass agrargemeinschaftliche Grundstücke, die grundbücherlich als Eigentum von „Fraktionen, Ortschaften oder von Gemeinden“ eingetragen waren, in das Eigentum von Agrargemeinschaften übertragen wurden. Wegen dieses Engagements wurden Dr. Wolfram Haller Verstöße gegen NS-Recht vorgeworfen.

Dr. Haller dazu: „In einer Bereisung aller Osttiroler Gemeinden wurde die Überführung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke auf Grund des Tiroler FLG durch Hauptteilungen und Regulierungen in körperschaftlich eingerichtete Nachbarschaften in die Wege geleitet. Auf Grund einer Denunziation durch einen Angehörigen der Reichsforstverwaltung beim Reichsforstmeister schritt dieser beim Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft ein, der in einem scharfen Erlass den Reichsstatthalter in Klagenfurt anwies, diese gegen nat.soz. Gesetze gerichteten Umtriebe abzustellen. Regierungsdirektor Dr. Stotter, der damals die Agrarabteilung leitete, übergab mir den Erlass zur Stellungnahme. In einem sehr ausführlichen Bericht wies ich an Hand alter Urkunden nach, dass es sich bei den Fraktionen um Agrargemeinschaften handle, die schon vor Jahrhunderten als Nachbarschaften bestanden haben. Ich wies auch darauf hin, dass bei der Neubildung Deutschen Bauerntums im Osten ähnliche Einrichtungen geplant seien. Darauf kam vom RMfE u.L. ein Erlass, der feststellte, dass mein Bericht mit Befriedigung aufgenommen worden sei. Ich wurde auch eingeladen, für die vom Ministerium herausgegebene Zeitschrift „Agrarrecht“ einen diesbezüglichen Aufsatz zu schreiben. Da ich als einziger Jurist der Agrarbezirksbehörden Villach, Klagenfurt, Lienz mit Arbeit überhäuft war, schrieb ich keinen Aufsatz, wohl aber verfasste ich 1947 bei der Rückgliederung Osttirols eine Gedenkschrift über die Entwicklung der Agrargemeinschaften in Osttirol, von der sich eine Ausfertigung im Kärntner Landesarchiv befindet. Mit Ausnahme von zwei Gemeinden, wo ich nicht mehr dazukam, wurden in allen Gemeinden die agrargemeinschaftlichen Grundstücke ins Eigentum von Nachbarschaften überführt, die reguliert wurden.“ (Roman Sandgruber, Gutachterliche Stellungnahme – Haller´sche Urkunden (2012) Gutachten, erstellt im Auftrag der Tiroler Landesregierung, Seite 27)

ROMAN SANDGRUBER ZU HALLER & OSTTIROL

Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber beschreibt in seiner gutachterlichen Stellungnahme „Haller´sche Urkunden“ (2012) im Auftrag der Tiroler Landesregierung, die Osttiroler Vorgänge der Jahre 1938 ff:

„Der zeitliche Ablauf lässt sich aufgrund der dürftigen Aktenlage nur bruchstückhaft darstellen: Jedenfalls begannen die nationalsozialistischen Bürgermeister umgehend mit der grundbücherlichen Einverleibung des bisherigen Fraktionseigentums zugunsten der politischen Gemeinden. Anlässlich der Übergabe des Fraktionsvermögens und des Fraktionsguts der Fraktion Oberassling am 10. 11. 1938 wurde dem ehemaligen Fraktionsvorsteher Anton Fuchs mitgeteilt bzw. nahegelegt, dass auch das Eigentum der Nachbarschaft im Sinne der Deutschen Gemeindeordnung als Körper gemeinderechtlicher Art angesehen werde und daher an die politische Gemeinde übergehe. Einwände wurden von der Landeshauptmannschaft abgewiesen.

Die Agrarbezirksbehörde unter Leitung Hallers scheint sich auf die Seite der Bauern gestellt zu haben. Die Agrarbezirksbehörde forderte mit Kundmachung 12. April 1939 Zl. 928/39 alle Nutzungsberechtigten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken, die durch die Einführungsverordnung zur DGO betroffen waren, zur Anmeldung ihrer Rechte zwecks Überprüfung der eigentumsrechtlichen Verhältnisse auf. Anlässlich einer Tagung der Landesbauernschaft Südmark Abt. 1 in Lienz in Anwesenheit der Ortsbauernführer und der Vertreter der Gemeinden im Mai 1939 wurde die Einbeziehung der Fraktionen, Ortschaften und ähnlichen Körperschaften besprochen. Nach gründlicher Erläuterung des Falles der Nachbarschaft Oberassling durch den Ortsbauernführer Hans Passler beantragte der Leiter der Hauptabteilung 1 der Landesbauernschaft Südmark Ing. Geil diesen Fall als Schulbeispiel herauszugreifen und sofort an Ort und Stelle zu besichtigen. Nach Ende der Tagung begaben sich die Herren Ing. Geil, Dr. Jörger, Stabsleiter Grosse und Gunzenhauser sowie der Ortsbauernführer und der Vertreter der Gemeinde zum Grundbuch, sodann unverzüglich nach Assling zur örtlichen Besichtigung und Erhebung.Die genannten Herren kamen zur vollen Überzeugung, dass es sich in diesem Falle tatsächlich um keine Einrichtung gemeinderechtlicher Art handle.

Im Bericht dazu heißt es: Die Nachbarschaft Oberdorf besteht aus 21 Höfen, die Gesamtortschaft bzw. Fraktion aus 33 Höfen. Auf verschiedenen Parzellen waren Servitute eingetragen: Weideausübung, Bezug von Bauholz. Diese Servitute wurden in den 20er und 30er Jahren abgelöst. Bei der Durchführung dieser Ablöse war weder die Fraktion noch die Gemeinde zuständig und wurde deshalb von bevollmächtigten Vertretern der Besitzer einerseits und bevollmächtigten Vertretern der Servitutsberechtigten andererseits durchgeführt. Die alljährlich zu entrichtenden Steuern aller Art wurden nicht aus Fraktionsmitteln, sondern von den Besitzern aufgebracht.In der hierüber aufgenommenen Niederschrift vom 7. Juni 1939 wurde von allen Teilnehmern zum Ausdruck gebracht, dass die Überführung aller ehemaligen Fraktions- und Gemeindegüter in das Eigentum von körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaften (Nachbarschaften) durch die Agrarbehörde die beste und zweckmäßigste Lösung sei, durch die eine Beruhigung innerhalb der bäuerlichen Bevölkerung eintreten und die Durchführung von Eingemeindungen wesentlich erleichtert werden würde.

Das hierauf eingeleitete Verfahren der Agrarbezirksbehörde wurde durch den Kriegsausbruch unterbrochen. Haller machte den Polen- und Frankreichfeldzug mit. Erst im März 1941 wurde Dr. Haller u.k. gestellt. Als die Verfahren der Agrarbezirksbehörde bei der Fraktion Ried wieder aufgenommen wurden, führte es zu keinem Ergebnis, weil die Gemeindeaufsichtsbehörde inzwischen ihre Ansicht dahin geändert hatte, dass die Obere Gemeindeaufsichtsbehörde nicht nur zu entscheiden habe, ob ein Verband gemeinderechtlicher Art gewesen sei, sondern auch ob agrargemeinschaftliche Grundstücke Teil eines solchen Verbands und damit Fraktionsgut waren.

Am 2. Juni 1941 wiederrief der Reichsstatthalter in Kärnten die Entscheidung der Landeshauptmannschaft vom 26. Nov. 1938, dass die der Nachbarschaft Oberdorf zugehörigen Grundstücke nicht unter die Bestimmungen Art. II, § 1, Einführungsverordnung fallen und daher nicht in das Vermögen der Gemeinde Assling übergehen würden.

In einer Verhandlungsniederschrift vom 26.6.1941, aufgenommen von Dr. Wolfram Haller in Assling, gaben die Mitglieder der Nachbarschaft Oberdorf die Erklärung ab: Es sei Gemeinschaftsbesitz der Nachbarschaft Oberdorf, bezüglich der einst das Regelungsverfahren nach dem TRLG bzw. jetzt FLG rechtskräftig eingeleitet war. „Gegen unseren Willen und ohne Genehmigung der Agrarbehörde wurde dieser Gemeinschaftsbesitz, obwohl das Regelungsverfahren grundbücherlich angemerkt war, in das Gemeindegliedervermögen der Gemeinde Assling überführt. Sie seien mit einer Hauptteilung nur einverstanden, wenn damit die Rückführung der Grundstücke ins Eigentum der Nachbarschaft Oberdorf einwandfrei möglich ist.“ Bei einer am 18. Sept. 1941 unter Vorsitz des Herrn Regierungspräsidenten stattgefundenen Besprechung, an der Vertreter der Oberen Gemeindeaufsichts­behörde, Oberen Umlegungsbehörde und der Agrarbezirksbehörde teilnahmen, wurde die sofortige Überprüfung der Eigentumsrechte an den in Frage kommenden agrarwirtschaftlichen Grundstücken in allen Gemeinden des Landkreises Lienz durch eine aus Vertretern der Gemeindeaufsichts-, Agrar- und Forstbehörden, sowie der Kreisbauernschaft Lienz zusammensetzte Kommission für zweckmäßig erkannt. Diese Kommission sollte möglichst einvernehmlich alle schwebenden Fragen bereinigen. In jenen Fällen, wo ein Einvernehmen nicht erzielt werden konnte, erklärte sich Herr Regierungspräsident als stellvertretender Reichsstatthalter bereit, einen Schiedsspruch zu fällen.

In einem Schreiben vom 21.12.1941 wird berichtet, dass zwischen dem 13. und 21.10.1941 Verhandlungen zur Überprüfung agrargemeinschaftlicher Grundstücke im Landkreis Lienz stattgefunden haben. Ausfluss dieses Berichtes war die Vielzahl an durchgeführten Regulierungsverfahren. Bei einer Besprechung am 25.2.1942, an der Reg.Dir. Dr.Ing. Sepp Stotter (Leiter Abt. IV), Reg.Rat Dr. Wolfram Haller, Leiter der Agrarbezirksbehörde Villach, ObReg.Rat Dr. Günther, Sachbearbeiter in Gemeindeangelegenheiten Abt. Ia und ObReg.Rat Dipl.Ing. Franz Trojer, Leiter Unterabt. IVb teilnahmen, berichtete Haller aufgrund der vom 13.-21. Okt. 1941 durchgeführten Verhandlungen und Erhebungen im Landkreis Lienz. Er referierte die geschichtliche Entwicklung und betonte besonders die alte Tradition der als „Nachbarschaften“ bezeichneten Gemeinschaften, die in den landesfürstlichen und bischöflichen Waldungen Weide-, Streu- und Holzbezugsrechte etc. genossen. Die Nachbarschaften wachten streng über die Grenzen ihres Eigenbesitzes und ihrer Nutzungsrechte, was viele Grenzstreitigkeiten und Tausch- und Vergleichsverhandlungen belegen würden.

Es gab Konflikte mit den Bürgermeistern, aber auch Interessenskollisionen der Bürgermeister, wenn sie gleichzeitig nutzungsberechtigt in Agrargemeinschaften waren. Solch einen Konflikt gab es in Assling, wo der Bürgermeister 1941 gewechselt hatte. In einem Schreiben des Reichsstatthalters vom 21. Juli 1942 an die Unterabteilung IVb wurde die Frage der Befangenheit von Bürgermeistern im Fall Assling aufgerollt: „Im Fall Assling hat der jetzige Bürgermeister, damaliger 1. Beigeordneter (= Vizebürgermeister) die Zustimmung zur Hauptteilung und den Verzicht der Gemeinde auf die Abfindung erklärt. Da er in der Fraktion Oberassling nutzungsberechtigt ist, liegt bei ihm Befangenheit vor und sind seine Entschließungen hinsichtlich des Gemeindegliedervermögens aus der ehemaligen Fraktion Oberassling schon gemäß §25 DGO rechtsunwirksam. Wie die Sachlage gelöst wurde, geht aus den verfügbaren Akten nicht hervor.

Auch in Anras gab es Konflikte. Dem Schreiben Hallers vom 17. Sept. 1942 an den Regierungsdirektor ORR Dr. Günther und OI Pabst zufolge haben sich gestern nach einer langen Unterredung nunmehr auch diese bezüglich der Gemeinde Anras dem agrarbehördlichen Standpunkt angeschlossen und der Überführung des Gemeindegliedervermögens an Agrargemeinschaften zugestimmt. In gemeinsamen Verhandlungen soll in der Zeit vom 30.9.-2.10. in den Gemeinden Assling, Anras, Kartitsch und Obertilliach die Bereinigung aller die Gemeindeaufsichtsbehörde und Agrarbehörde noch berührenden Angelegenheiten erfolgen. Er möchte den Bericht an den Reichsinnenminister auf eine kurze Darstellung der getroffenen Maßnahmen beschränken „und würde es sich empfehlen von einer langen Abhandlung über die dadurch beseitigten Zustände, die dem Chef der Sicherheitspolizei Anlass zum Einschreiten geben, abzusehen.“ Zwischen Fraktionsgut und agrargemeinschaftlichem Nachbarschaftsgut, schreibt Haller, bestand große Ähnlichkeit. Die Erträgnisse kamen in beiden Fällen ausschließlich einem bestimmten Kreis von Nutzungsberechtigten zugute. Die Gutsbezeichnung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke spielte namentlich dann keine besondere Rolle, wenn die Unterordnung unter die Gemeinde außer Acht gelassen wurde. Mit der Einführung der deutschen Gemeindeordnung änderte sich das. Nun sei nicht mehr die Fraktion, sondern die Politische Gemeinde maßgeblich gewesen. Das Interesse der Gemeinden an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken war vor allem ein finanzielles, schreibt Haller. Es wurden verschiedene Argumente vorgebracht, die für Agrargemeinschaften statt Gemeindeeigentum sprachen. Die inneren Gegensätze in Gemeinden, die aus der Zusammenziehung getrennter Nutzungsgruppen mit verschiedener Nutzungsberechtigung. Als Beispiel wurden die Matreier Gemeindewälder angeführt. Kleine Gemeinschaften, die Eigentümer sind, wirtschaften besser. Schließlich spreche auch die Anpassung der Agrarverfassung im Landkreis Lienz an die des Gaus Kärnten für die Agrargemeinschaft.“

II. FESTSTELLUNG DER EIGENTÜMER

Mit Bescheid vom 23. September 1943 502/43/Vi hat die Agrarbehörde als gesetzlicher Richter über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut hinsichtlich der Liegenschaft in EZ 200 II KG Virgen folgendes entschieden: Der Gemeinschaftsbesitz, vorgetragen in EZ 200 II KG Virgen, ist Eigentum der Agrargemeinschaft Nachbarschaft Virgen. Diese Agrargemeinschaft besteht aus insgesamt 53 anteilberechtigten, jeweils mit Einlagezahl und Hofnahmen rechtskräftig festgestellten Liegenschaften.

Auch die Anteilrechte, die auf jede Liegenschaft entfallen, wurden umfangmäßig bestimmt und rechtskräftig entschieden. Es wurden 2130 Anteile gebildet und jeder Liegenschaft die entsprechende Zahl an Anteilen zugeordnet – von 11 bis 168. Jedes dieser rechtskräftig festgestellten Anteilrechte ist einem bestimmten Haus in der Nachbarschaft zugeordnet. Ein Anteilsrecht der politischen Ortsgemeinde als solcher existiert nach diesem rechtskräftigen Bescheid nicht.

NS-ENTEIGNUNG ZUR ZWEITEN

Obwohl die Agrarbehörde mit Bescheid vom 23. September 1943 502/43/Vi entschieden hatte, dass die Ortsgemeinde Virgen gerade nicht die Eigentümerin des Regulierungsgebietes war und ist, wird heute – bezeichnender Weise mit den identen Argumenten wie ursprünglich vom NAZI-Bürgermeister – ein „Substanzrecht der Ortsgemeinde Virgen“ behauptet: Es hätte wahres Eigentum einer politischen Ortsfraktion vorgelegen; kraft NS-Unrechtsgesetzen sei die Ortsgemeinde Rechtsnachfolgerin der „Fraktionen“; die Entscheidung der Agrarbehörde aus dem Jahr 1943 sei wegen „verfassungswidriger Enteignung“ der Gemeinde zu korrigieren.

Die Agrarbehörde hat jedoch als gesetzlicher Richter für die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut entschieden, dass die Agrargemeinschaft Eigentümerin ist. Das Regulierungsgebiet war deshalb seit jeher Eigentum der (nicht regulierten) Agrargemeinschaft.

Rechtskräftig entschieden wurde des Weiteren, dass die weiteren Beschwerdeführer mit ihrem jeweiligen Anteil an allen Erträgnissen und allen Lasten des Regulierungsgebietes aliquot beteiligt sind. Sämtlichen Liegenschaften, heute im Eigentum der weiteren Antragsteller wurden aliquote Anteilsrechte zugesprochen.

Die Entscheidung über die Anteilrechte gemäß Regulierungsplan ist seit Jahrzehnten rechtskräftig. Insbesondere ist diese Entscheidung über die Anteilrechte der verschiedenen Stammsitze und der Ortsgemeinde auch im Verhältnis zur Ortsgemeinde in Rechtskraft erwachsen. Über Jahrzehnte wurde entsprechend dieser Zuordnung der Anteilrechte das Gemeinschaftsgebiet bewirtschaftet. Die historische Entscheidung über die Anteilrechte ist deshalb nicht nur vom Wortlaut eindeutig; diese historische Entscheidung wurde über Jahrzehnte entsprechend dem klaren und eindeutigen Bescheidwortlaut geübt, insbesondere auch mit Zustimmung der Agrarbehörde als zuständige Aufsichtsbehörde.

Das Land Tirol versucht offensichtlich heute Enteignungen des NS-Staates, die noch unter der Herrschaft des NS-Unrechtsregimes als Unrecht erkannt und korrigiert wurden, wieder umzusetzen. Dies mit der TFLG-Novelle 2014, in Kraft seit 1.7.2014!

III. DIE ENTEIGNUNG

Aufgrund der Entscheidungen der Agrarbehörde aus den 1940er Jahren war die Agrargemeinschaft Eigentümerin im Rechtssinn, insbesondere im Sinn des Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1. ZPEMRK (so auch VfSlg. 19.262/2010, S. 988). Aber auch die aliquoten Anteilsrechte der Mitglieder an der Agrargemeinschaft vergleichbar einem Aktionär oder Gesellschafter, sind Eigentum im Sinn des Art. 1 1. ZPEMRK; dies ungeachtet ihrer öffentlich-rechtlichen Natur. (vgl EGMR, Gaygusuz, ÖJZ 1996, 955; VfGH Slg. 15.129/1998 zur Notstandshilfe; Slg. 15.448/1999 zu öffentlich-rechtlichen Gehaltsansprüchen; Slg. 16.292 zu Pensionsansprüchen nach dem Bezügegesetz; VfGH 24. 9. 2009, G 165/08, zu Pensionsansprüchen nach dem ASVG, BSVG und GSVG. Kritisch zur ursprünglichen Rechtsauffassung des VfGH: Kucsko-Stadlmayer, Artikel 1 1.ZP, in: Ermacora/Nowak/Treter (Hrsg.), Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 581 (606 ff); Öhlinger, Eigentum und Gesetzgebung, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte in Österreich Bd. II (1992) 643 (655 f). Zu alledem jüngst: Theo Öhlinger, Agrargemeinschaftliche Anteilsrechte und der Eigentumsschutz, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 281ff; nunmehr auch: VfSlg 19.150/2010).

Die Mitglieder übten in der Vollversammlung der Agrargemeinschaft alle Rechte eines Eigentümerorganes der Agrargemeinschaft aus; alle Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse für die Agrargemeinschaft wurden von einem gewählten Ausschuss aus der Mitte der Mitglieder und von einem gewählten Obmann ausgeübt. Alle Erträgnisse aus dem Eigentum der Agrargemeinschaft standen den Mitgliedern nach ihren aliquoten Anteilsrechten zu. Im gleichen Verhältnis hatten die Mitglieder die Lasten zu tragen.

Die Mitglieder und ihre Rechtsvorgänger haben ihr Eigentum über Jahrzehnte ungestört genossen, die Liegenschaften wurden gepflegt, in tausenden Arbeitsstunden wurden die Erträgnisse gesteigert, es wurden umfangreiche Verbesserungen vorgenommen; es wurden Grundstücke zugekauft, Gebäude errichtet und andere Investitionen getätigt. Durch intensive Waldpflege der Mitglieder wurden insbesondere die forstwirtschaftlichen Erträge der Liegenschaften ganz massiv gesteigert.

ENTEIGNUNGSGESETZ LGBl. Nr. 70/2014

Mit Landesgesetz vom 30.06.2014 LGBl. Nr. 70/2014, in Kraft getreten am 1.7.2014, wurde der Agrargemeinschaft das Eigentum am Regulierungsgebiet und an allen damit verbundenen Vermögenswerten entzogen. Das Eigentum der Agrargemeinschaft wurde durch den Landesgesetzgeber in eine Sonderform des öffentlichen Eigentums verwandelt – “atypisches Gemeindegut” genannt.

Dieses „atypische Gemeindegut“ ist nur dem Buchstaben nach ein Eigentum der Agrargemeinschaft; der Sache nach wurde dieses Gut in ein Staatseigentum verwandelt und es wurde einer Staatsverwaltung unterstellt.

Der Staat verfügt nunmehr über dieses Eigentum im Wege von „Substanzverwaltern“, die dem Gemeinderat weisungsgebunden sind und der Staat zieht den Nutzen daraus. Alle Verfügungsbefugnisse über dieses Eigentum und die Erträgnisse daraus stehen dem Staat zu. Die von den Mitgliedern gewählten Organmitglieder, der Obmann und der Ausschuss, wurden als Verwaltungs- und Vertretungsorgane ausgeschaltet.

Per 01. Juli 2014 waren die Gemeinschaftskasse, alle Konten der Agrargemeinschaft und die Sparbücher, alle Schlüssel und Verwaltungsunterlagen an den Bürgermeister als Staatskommissar (= Substanzverwalter) auszuliefern. Eine in der Praxis relevante Restzuständigkeit der gewählten Agrargemeinschaftsorgane besteht nicht. Anders als ein Sachwalter, der im Interesse eines Geschäftsunfähigen handeln muss und den Nutzen des Geschäftsunfähigen befördert, handelt der Substanzverwalter nicht zum Nutzen der bisherigen Anteilsberechtigten. Zweck und Ziel der Tätigkeit eines Substanzverwalters ist es, den Nutzen und die Erträgnisse aus dem Eigentum, die Mieten, Pachten und Verkaufserlöse dem Staat, konkret der Ortsgemeinde zuzuwenden. Nach formellem Recht ist der Substanzverwalter zwar ein Organ der Agrargemeinschaft; dieses Organ handelt jedoch nicht im Interesse der Agrargemeinschaft. Als „implantiertes Staatsorgan“ soll er den Nutzen aus dem ursprünglichen Gemeinschaftsgut dem Staat zuwenden! Obwohl neben dem Substanzverwalter die Organisation der nutzungsberechtigten Agrargemeinschaftsmitglieder bestehen blieb, wurden keinerlei Einnahmen für eine Gemeinschaftsorganisation der Mitglieder gewidmet. Zur Förderung eines Gemeinschaftszweckes der Mitglieder gibt es keine Mittel mehr.

Den Mitgliedern wurde die „Substanz“ ihrer Anteilsrechte entzogen: Die von ihnen gewählten Vertreter, Obmann und Ausschuss, sind ihrer Verwaltungs- und Vertretungsrechte beraubt; in der Vollversammlung entscheidet der Staatskommissar (= “Substanzverwalter“); das Recht auf Beteiligung an Überschüssen bzw Gewinnen ist abgeschnitten; ebenso die Möglichkeit zur Aufteilung oder Nutzung des Eigentums der Agrargemeinschaft.

Geblieben ist den Mitgliedern lediglich ein diffuses Recht auf Deckung eines „historischen Hof- und Gutsbedarfes“ nach Holz und Weide in Form von Naturalleistungen, für welche ein konkreter Bedarf im Einzelfall nachzuweisen ist; unter bestimmten Umständen sollen diese Rechte der „Ausregulierung“ unterliegen. (§ 54 Abs. 6 TFLG 1996).

ENTEIGNUNG WIE ZUR NS-ZEIT?

Im Blick auf einen allseits unbestrittenen Rechtsbestand von Anfang der 1940er Jahre kann schwerlich in Abrede gestellt werden, dass die Mitglieder der Agrargemeinschaft Virgen-Dorf durch die Maßnahmen des Tiroler Landesgesetzgebers 2010 und 2014 enteignet wurden. Die Geltendmachung einer Enteignungsentschädigung in Höhe von EUR 7,260.000,– (sieben Millionen zweihundertsechzigtausend) ist nur konsequent. Gleichzeitig wurde der Ortsgemeinde Virgen das Recht eingeräumt, hinsichtlich eines Teilbetrages von EUR 7,190.000,– anstelle Geldzahlung zu leisten, auf ihr Substanzrecht gem § 33 Abs 5 TFLG 1996 rechtswirksam zu verzichten. Wenn die öffentliche Hand es will, ist der Rechtsfrieden ganz leicht und ganz schnell hergestellt.

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Umhausen: Ein Musterfall

MP

Umhausen: Ein Musterfall

Auf der zweiten Talstufe des Ötztales gelegen, gilt Umhausen als die älteste Dauersiedlung des Tals. Um 1000 n. Ch. kamen bajuwarische Einwanderer, die sich in dem vorerst als Weidegebiet genutzten Talbecken niederließen. Doch früher als das unwirtliche und von Muren und Gletscherausbrüchen bedrohte Umhauser Becken war das Hairlachtal, in dem heute Niederthai liegt, besiedelt. Bereits aus der Zeit von 1130–1145 können hier („in Nidirtaige“) Schwaighöfe nachgewiesen werden, die an das Kloster Ottobeuren zinsten. Auf die Zeit um 7400 v. Ch. lassen sich Feuerrodungen im Bereich der Fundusalm auf 1940 m Seehöhe datieren. Auch Farst gilt als altes Siedlungsgebiet; bereits zur Zeit des Ötzi gab es auch hier durch Brandrodung gewonnene Felder. (aus Wikipedia; Bildnachweis: Monopol-Verlag – Postkarte, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org)

 

Übersicht:
A. Die Agrargemeinschaft und 96 Mitglieder
B. Substanzwert: EURO 41,677.699,00 ?
C. Der Sachverhalt Umhausen
I. HISTORISCHES
1. Überblick
2. Das Flurverfassungsrecht
3. Die wahren Eigentumsverhältnisse
4. Irrsinn im historischen Grundbuch
II. FESTSTELLUNG DER EIGENTÜMER
1. Agrarbehörde ist gesetzlicher Richter
2. Rechtskraft schafft Eigentum
III. AUSÜBUNG DER EIGENTÜMERRECHTE
1. Grundverkäufe an die Ortsgemeinde
2. Verpachtungen an die Ortsgemeinde
3. Ausschüttungen an die Mitglieder
IV. DIE ENTEIGNUNG TAUSENDER TIROLERINNEN
D. DIE BEGRÜNDUNG DER VFGH-BESCHWERDE
1. Verfassungsrechtlich relevante Fragen
a. Der Anspruch auf angemessenen Wertausgleich
b. Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter
c. Die verfassungswidrige Bestimmung des § 86d TFLG
2. Die Beschwerdegründe
E. VERLETZUNG DES EIGENTUMSRECHTS
Entschädigungslose Enteignung
Entleerung des Eigentums der Agrargemeinschaft
Verletzung der Institutsgarantie des Eigentums
F. RECHT AUF DEN GESETZLICHEN RICHTER
 G. ANWENDUNG EINER VERFASSUNGSWIDRIGEN NORM

 

A. DIE AGRARGEMEINSCHAFT UND 96 MITGLIEDER

Die Agrargemeinschaft Umhausen und 96 Mitglieder dieser Agrargemeinschaft fordern gemeinsam 42 Millionen EURO an Enteignungsentschädigung. So stand es am Karfreitag 2017 in der Zeitung zu lesen und das entspricht ausnahmsweise der Wahrheit. Genau genommen fordern die Agrargemeinschaft Umhausen und 96 Mitglieder 42 Millionen 103 tausend und 654,00 EURO.

Was nicht in der Zeitung steht und was fairer Weise den Lesern zusätzlich mitgeteilt  werden muss, ist folgendes:
Agrargemeinschaft Umhausen und 96 Mitglieder haben zusätzlich zu dieser Geldforderung ein aufrechtes Alternativ-Angebot unterbreitet. Im Verfahrensrecht nennt man das eine „Ersetzungsbefugnis einräumen„.

Dieses Angebot lautet: In dem Moment, in dem du, liebe Ortsgemeinde Umhausen, auf das „Substanzrecht“, auf das „neue, atypische Obereigentum“, verzichtest, sind EURO 41,677.699,00 von den insgesamt geforderten EURO 42,103.654,00 erledigt und verglichen. In dem Moment, wo die Ortsgemeinde Umhausen auf die „Erfindung zur Enteignung„, eben dieses so genannte „Substanzrecht“  verzichtet, geht es im Verfahren nur mehr um die Ersparnisse, die die Ortsgemeinde am 1. Juli 2014 einkassiert hat und um die seither weggenommenen Einnahmen, die weggenommenen Grundstücke, die getätigten Verkäufe usw, kurz: die Nebensachen der größten Enteignung, die Tirol je gesehen hat. Das sind nach den Behauptungen der Agrargemeinschaft restlich ca EUR 575.000,–.

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Das klingt immer noch viel; aber dazu muss man wissen, dass diese Berechnung einerseits die Ersparnisse enthält, die über viele Jahre in der Agrargemeinschaft angespart  wurden und die ebenfalls entschädigungslos zum 1. Juli 2014 von der Ortsgemeinde einkassiert wurden. Andererseits enthält dieser  Forderungsteil eine Hochrechnung: Ausgehend von einer geschätzt siebenjährigen Verfahrensdauer wurden auch die Einnahmen, die in dieser Zeit von der Ortsgemeinde  Umhausen noch einkassiert werden, gleich „miteingeklagt“.  Das ist effizient und erspart die Ausdehnung des Klageantrages während eines länger dauernden Agrarverfahrens.

Sollte die Ortsgemeinde in dieser Zeit mehr wegnehmen, beispielsweise Grund und Boden verschenken, verkaufen oder sonst der Agrargemeinschaft dauernd entziehen, wird dies natürlich ebenfalls am Ende des Verfahrens abgerechnet; der Klageantrag wird um diese Vermögenswerte ausgedehnt.

B. SUBSTANZWERT: EURO 41,677.699,00 ?

Im Blick auf diese Gestaltung des Klageantrages der Agrargemeinschaft und ihrer 96 Mitglieder wird schnell klar, worum es bei diesen Verfahren geht:
Es geht darum, das so genannte „Substanzrecht“ zu beseitigen, ein Obereigentum, das es von Verfassungswegen eigentlich gar nicht geben dürfte (Art 7 StGG). Und es soll derjenige Zustand  wieder hergestellt werden, wie er seit Beginn der heutigen Besiedelung bestanden hat. Anstatt bloß „nutzungsberechtigt von Bürgermeisters Gnaden„, sollen die Agrargemeinschaftsmitglieder wieder wahre Miteigentümer sein.

Der für die jeweiligen Nachbarn des Dorfes nutzbare Grund und Boden war entweder aufgeteilt als Einzelrecht oder der Grund und Boden war ungeteilt als Gemeinschaftsrecht.
Das Recht am Grund und Boden war in Zeiten der Feudalherrschaft immer ein Nutzungsrecht am Obereigentum  der Fürsten; heute ist es ein Eigentum (am eigenen Grund und Boden), weil das Obereigentum für die „Großkopferten“ mit unserem Menschenbild nicht mehr vereinbar ist. Die bürgerliche Revolution des Jahres 1848 hat dieses „Obereigentum der Großkopferten“ weggefegt. Im Staatsgrundgesetz von 1867, das heute noch geltendes  Verfassungsrecht ist, wurde die Neubegründung solcher Oberrechte ausdrücklich untersagt (Art 7 StGG).

Die Tiroler Grundbesitzer, die Bauern, hatten die klassische Grundherrschaft am aufgeteilten landwirtschaftlichen Boden schon in den vergangenen Jahrhunderten abgeschüttelt. Die Grundentlastung der 1850er Jahre hat deshalb nur mehr Reste der ehemaligen Grundherrschaft betroffen. Die Ende der 1830er Jahre in Tirol ausgebrochenen Streitigkeiten gegen die kaiserliche Verwaltung betrafen das (behauptete) landesfürstliche Obereigentum an den Nachbarschaften, am Gemeinschaftsgut, an den Allmenden. An diesen Allmenden haben die Tiroler Bauern sich damals ein Gemeinschaftseigentum erstritten.

Wie soll das Eigentum der Nachbarn am gemeinschaftlichen Grund und Boden wieder hergestellt und das Obereigentum der politischen Ortsgemeinde beseitigt werden, wenn der Klageantrag auf EURO 42,103.654,00 lautet?
Im Wesentlichen wird die Entschädigung zum Ausgleich dafür gefordert, weil der Landesgesetzgeber Grund und Boden enteignet und ein Obereigentum („Substanzrecht“) der politischen Ortsgemeinde eingeführt hat.

Es versteht sich von selbst, dass die Republik Österreich, konkret der Finanzminister, für den Fall einer Verurteilung der Republik Österreich durch den Europäischen Gerichtshof  für Menschenrechte, keine Entschädigung für die Enteignung von Grund und Boden bezahlen wird. Vielmehr wird jeder Finanzminister die Absurdität der Tiroler Situation dadurch beseitigen, dass dem Tiroler (!) Gemeindegut-Irrsinn per Verfassungsgesetz ein schnelles Ende gesetzt wird. Der Finanzminister erspart sich dadurch den größten Teil der Entschädigung für die Tiroler Enteignungsopfer; Und unter den Österreichischen Stammsitzeigentümern wird wieder Gleichbehandlung gewährleistet.
Jeder Finanzminister wird nämlich schnell erkennen, dass unter allen Landeshauptleuten Österreichs nur Günter Platter sein politisches Glück in der Enteignung seiner Bürgerinnen und Bürger gefunden hat. Alle anderen Bundesländer haben die absurde Idee des Verfassungsgerichts ignoriert, wonach die Grundbesitzer das Gemeinschaftseigentum verfassungswidrig zureguliert erhalten hätten.
Den Gemeindegutirrsinn aus der Welt zu schaffen, ist deshalb auch ein Gebot der Gleichbehandlung aller Grundbesitzer in Österreich. Der Gemeindegutirrsinn konnte sich ausschließlich in Tirol ausbreiten – alleine der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz verlang bereits dessen Beseitigung.

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C. DER SACHVERHALT „UMHAUSEN“

I. HISTORISCHES

1. Überblick

Die Agrargemeinschaft Umhausen ist diejenige Rechtspersönlichkeit, in der historisches Gemeinschaftseigentum der Rechtsvorgänger der Agrargemeinschaftsmitglieder organisiert wurde. Der historische Regulierungsvorgang, die agrarische Operation, war eine Umgründung, durch welche das agrargemeinschaftliche Eigentum in ein rechtlich anerkanntes, neues Organisationsmodell überführt wurde. Bis zur Eigentumsentziehung in den Jahren 2009 bis 2014 hat die politische Ortsgemeinde Umhausen kein Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft Umhausen gekannt und auch nie behauptet.

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Die Rechtsvorgänger der Mitglieder, die historischen „Nachbarn von Umhausen“, haben das Regulierungsgebiet ca. im 10. Jahrhundert in Besitz genommen. Seit den Anfängen der heutigen Besiedlung Umhausens nutzen die historischen Nachbarn von Umhausen, die Rechtsvorgänger der Mitglieder der Agrargemeinschaft, das Regulierungsgebiet. Mit Waldaufteilungs-Protokoll vom 15. März 1741 wurde der Großteil des Regulierungsgebietes aufgeteilt; die Grundbuchsanlegung hat die damals errichteten Waldteile jedoch nur als Servituten einverleibt; dies im Rang vom 15. März 1741. Im Jahr 1848 wurde das Regulierungsgebiet im Zuge der Tiroler Forstregulierung als Privateigentum der Nachbarschaft Umhausen anerkannt. Dass im Regalitätsforstbezirk insoweit, als die landesfürstlichen Waldungen nicht als unbelastete Staatsforste zurückbehalten wurden, echtes Privateigentum entstanden ist, wird von keinem Ernst zunehmenden Wissenschaftler bestritten. (Vgl nur: Stefan v. Falser, Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche, Innsbruck, 1896: „Dort wo das ärarische Waldeigentum im Allgemeinen festgehalten worden ist, wie im Inn- und Wipptal, schuf die Forsteigentums-Purifikations-Kommission, teils im Wege der Anerkennung des Privateigentums, teils im Wege der Ablösung bestehender Einforstungen durch Abtretung von Grund und Boden, zahlreiche wirkliche Privateigentumswaldungen; ebenso entstanden solche Waldungen durch anderweitige Ablösungen, welche seitens der als Rechtsnachfolger des Ärars auftretenden Gemeinden oder Nachbarschaften gegenüber den Eingeforsteten verlangt und durchgeführt wurden. Auf diese Weise ist jetzt ein ziemlich umfangreicher Privateigentumswald entstanden, doch überwiegen noch immer weit die Gemeindeteilwälder.“ – Falser, aaO, Seite 35)

Die Tiroler Grundbuchanlegung hat die Ergebnisse der Tiroler Forsteigentums-Purifikation in Umhausen in einer Weise interpretiert, welche selbst heute (noch) nicht nachvollziehbar ist. Insoweit Almen betroffen waren, wurde Einzeleigentum einverleibt; insoweit Wälder betroffen waren, wurden „Fraktionen“ einverleibt; einverleibt wurde im Zuge der Grundbuchsanlegung auch Fraktion Umhausen, eine Gemeinde nach bürgerlichem Recht, moralische Person.

2. Das Flurverfassungsrecht

Seit der Neuordnung des Flurverfassungsrechtes mit FlVfGG 1931 – BG vom 2. August 1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung, BGBl 1932/256 und den dazu ergangenen Landes-Ausführungsgesetzen besteht die ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung, im Zuge der agrarischen Operation die Eigentumsverhältnisse an den in das jeweilige Regulierungsverfahren einbezogenen agrargemeinschaftlichen Grundstücken festzustellen, dh rechtskräftig darüber zu entscheiden, wer Eigentümer einer agrargemeinschaftlichen Liegenschaft ist (Vgl zur entsprechenden Kompetenz der Agrarbehörden: s § 34 Abs 4 FlVerfGG 1951 und § 35 Abs 1 FlVerfGG 1951; zur Ermittlungspflicht betreffend die Eigentumsverhältnisse am „Operationsgebiet: s § 31 FlVerfGG 1951; vgl § 10 Abs 3 FlVerfGG 1951. Übereinstimmend verpflichten die Landesausführungsgesetze zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz die Agrarbehörden, über die Eigentumsverhältnisse am Operationsgebiet zu entscheiden: vgl §§ 38 Abs 1 NÖ FLG 1934; 38 Abs 1 Tiroler FLG 1935, 37 Vlbg FLG 1951).

Im Regulierungsverfahren der Agrargemeinschaft Umhausen wurden die Eigentumsverhältnisse an den einbezogenen Liegenschaften geprüft und gewogen: Insoweit es sich um Eigentum der Agrargemeinschaft Umhausen handelte (noch als nicht regulierte Agrargemeinschaft), wurde das Eigentumsrecht zu Gunsten der nicht regulierten Agrargemeinschaft Umhausen festgestellt; es kam zur Umgründung in der Agrargemeinschaft Umhausen und die Rechtsnachfolger der historischen Nachbarn wurden als Anteilberechtigte festgestellt. Insoweit das Eigentum der politischen Ortsgemeinde Umhausen zustand, wurde das Eigentumsrecht der Ortsgemeinde festgestellt und zu deren Gunsten aus dem Regulierungsgebiet ausgeschieden.

Das Regulierungsgebiet wurde im Zuge der Grundbuchsanlegung vorgetragen in EZ 703 – 705 II KG Umhausen; als Eigentumstitel wurde angeschrieben:
# Gp 1717: Kaufvertrag vom 03.05.1896
# Gp 3695/2, 3697 und 3701: Servitutenablösungsvertrag vom 27.05.1898
# Gp 135: Rfv vom 28.08.1898
# die übrigen Grundparzellen: Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14.07.1848 und Vergleichsprotokoll vom 19.10.1849 (richtig: Vergleichsprotokoll vom 24.11.1848)

Mit Bescheid vom 10.08.1959 IIIb1-1617/52 des Amtes der Tiroler Landesregierung wurde hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet wie folgt entschieden: „Das in Abschnitt I angeführte Regulierungsgebiet stellt agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne der Bestimmungen des § 36 Abs 2 lit d und lit e FLG dar. Es steht im Sinne der Bestimmungen des § 37 FLG im Eigentum der Agrargemeinschaft Umhausen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern nachstehender Liegenschaften (Stammsitzliegenschaften) der KG Umhausen mit den unten angeführten Anteilrechten (Feuerstätten): …
In Pkt II. des Bescheides, „Parteien und deren Anteilrechte des Bescheides“, hat die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden, wer an der Agrargemeinschaft Umhausen mit welchem Anteilrecht beteiligt war.

Diese Entscheidungen sind vor vielen Jahrzehnten in Rechtskraft erwachsen.

3. Die wahren Eigentumsverhältnisse

 

Die agrarbehördliche Entscheidung auf Feststellung des Eigentumsrechtes der damals (noch) nicht regulierten Agrargemeinschaft Umhausen war richtig. Bereits der historisches Landesausschuss hat im Jahr 1897 entschieden, dass Liegenschaften, welches aus der Tiroler Forstpurifikation hervorgingen, Privatvermögen der Feuerstättenbesitzer von Umhausen darstellen, was angesichts der klaren gesetzlichen Vorgaben gemäß „Instruktion vom 17.6.1847“ auch nicht verwunderlich ist.

 

§ 1 Z 2 Abs 5 der „Instruction für die Commission zur Purifizirung der Privat Eigenthums-Ansprüche auf Wälder in jenen Landestheilen oder Forstgebieten Tirols, in welchen das l.f. Forsthoheits-Recht vorbehalten bleibt“, 17. Juni 1847: AVA Wien, Hofkanzlei, IV G 11 Waldwesen Tirol, 21889/1847, lautet: „Die Commission hat also die Bestimmung, in jenen Forstgebieten Tirols, in welchem das lf. Forsthoheitsrecht als Regel aufrecht verbleibt, Namens der obersten Finanzverwaltung – welche dieses Hoheitsrecht zu wahren, und aus demselben jeden Privatforstbesitzer zur Nachweisung seines Besitztitels aufzufordern berechtiget ist – das Privatforsteigenthum im außergerichtlichen Wege zu liquidiren, wodurch dasselbe von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert und in diesem besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Aerar ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll“.

 

Die politische Ortsgemeinde Umhausen hatte am Gemeinschaftsgebiet nie Eigentum besessen, sondern lediglich an dessen Verwaltung mitgewirkt. Einkünfte und Ausgaben des Gemeinschaftsgebietes wurden auch während der Zeit des Nationalsozialismus in getrennten Waldkassen verwaltet. Die Agrargemeinschaft Umhausen wurde somit aus wahrem Eigentum der Nachbarschaft Umhausen reguliert – so und nicht anders hatte auch die Agrarbehörde entschieden.

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4. Irrsinn im historischen Grundbuch

Wenn die Entscheidung der Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft Umhausen richtig war, dann ergibt sich daraus zwangsläufig, dass bei der Tiroler Grundbuchanlegung das agrargemeinschaftliche Vermögen der Nachbarn von Umhausen falsch/irreführend registriert wurde. Die undifferenzierte, irreführende Vorgehensweise der Grundbuchanlegungsbeamten lässt sich am Beispielfall der KG Umhausen sogar besonders eindrucksvoll nachweisen. Im Tiroler Verfachbuch (= Tiroler Vorläufer des Grundbuches) gab es die verfachten Eigentümer
– „Parzelle“,
– „Weiler“ und –
– „Hof“.

Als Eigentumsträger von Gemeinschaftsliegenschaften im „alten Tiroler Grundbuch“ verfacht waren unter dem Begriff „Parzelle“: Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels; unter dem Begriff „Weiler“: Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grasstall, Ischelehn und Larsteck sowie unter dem Begriff „Hof“: Acherbach. (FEP-Tabellen 23 ff des LG Petersberg/Silz, Forsteigentumsverhältnisse in der heutigen KG Umhausen: Neben den Parzellen Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels sowie den verfachten „Weilern“ Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grastall, Ischelehn und Larsteck, wurde auch „Hof Acherbach“ als Eigentümer verfacht. Darstellung bei Oberhofer/Ogris, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten, aaO, 175)

Die Grundbuchanlegung hat die im alten Tiroler Grundbuch, dem „Verfachbuch“, einverleibten Eigentumsträger „Parzellen“ sämtlich umbenannt in „Fraktion“; die „Weiler“ wurden teilweise in „Fraktion“ umbenannt und mit „Parzelle Niederthai“ unter der Einheitsbezeichnung „Fraktion Niederthai Sonnseite“ zusammengeworfen – teilweise wurden diese als „realrechtlich gebundenes Miteigentum“ aufgelöst; die singuläre Erscheinung „Hof Acherbach“ wurde in „Fraktion Hof Acherbach“ umbenannt.

a) Dass so gebildete Eigentumsträger – ungeachtet ihrer Bezeichnung – nichts mit den ehemaligen Teilorganisationen der heutigen Ortsgemeinden gemeinsam haben, versteht sich von selbst. Die Grundbuchanlegungsprotokolle lassen auch in keiner Weise erkennen, warum die Umbenennung erfolgt ist, genauso wenig warum im Fall der „Umhausner Wälder“ „Fraktionen“ angeschrieben wurden, im Fall der „Umhausner Almen“ realrechtlich gebundenes Miteigentum oder schlichtes Miteigentum. Dies ohne jedwede Rechtsgrundlage, nach freier Willkür – so wie die Tiroler Landesregierung dies bereits klargestellt hatte: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“(Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung.)

b) Wenn im Tiroler Verfachbuch mehrere Liegenschaften auf „Parzelle Tumpen“ verfacht wurden ((FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 24 Fortsetzung: „die Waldung Gstaig“; Tabelle Nr 23 Fortsetzung: „die Alpe Vorderleierstal, die Alpe Gersteig, die Alpe Tumpen“) und wenn die Grundbuchanlegungsbeamten solche verfachte Liegenschaften, insoweit es sich um eine Waldliegenschaft handelt, auf „Fraktion Tumpen“ einverleiben (B-Blatt Liegenschaften in EZl 715 und 716, jeweils II KG Umhausen (S die Urkunden im Beschwerdefall Köfels Zl 2010/07/099 des Verwaltungsgerichtshofes, historisches B-Blatt der Liegenschaften in EZ 715 und 716), wohingegen die ebenfalls auf „Parzelle Tumpen“ verfachte „Tumpener Alpe“ hingegen auf „schlichtes Miteigentum“ umgeschrieben wurde (unter Bezugnahme auf den Eigentumstitel FEPT), dann wird offensichtlich, dass die Grundbuchanlegungsbeamten ohne Plan und ohne Ziel waren. Der Befund der Tiroler Landesregierung zur Qualität dieser Arbeit bestätigt sich: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“

Nach dem selben Muster ist man bei den im Tiroler Verfachbuch auf „Parzelle Umhausen“ verfachten Liegenschaften vorgegangen: Waldliegenschaft wurden auf „Fraktion Umhausen“ einverleiben, die ebenfalls auf „Parzelle Umhausen“ verfachte „Alpe Groß- und Kleinhorlach“ hingegen – aufgeliedert in zwei Einlagezahlen als „schlichtes Miteigentum“. Nichts anderes wurde im Dorf Östen gemacht oder im Dorf Niederthai. Wenn im Tiroler Verfachbuch mehrere Liegenschaften auf „Parzelle Niederthai“ verfacht wurden und wenn die Grundbuchanlegungsbeamten die Waldliegenschaften einmal auf „Fraktion Niederthai Sonseite“, einmal auf „Fraktion Niederthai Neaderseite“ einverleibten, die ebenfalls auf „Parzelle Niederthai“ verfachten „Alpe Zwieselbach“ hingegen auf schlichtes Miteigentum und die „Alpe Grasstall“ als realrechtlich gebundenes Miteigentum, dann braucht über eine „Methode“, nach der die Grundbuchanlegungsbeamten vorgegangen sein könnten, nicht mehr diskutiert zu werden: Solche Ergebnisse offenbaren reine Willkür und bestätigen den Befund der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1980 zur Qualität dieser Arbeit. („Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“)

c) Ein weiteres mal springt die Willkür der Grundbuchanlegungsbeamten in die Augen, wenn man die unmittelbare Arbeitsgrundlage derselben, dh. den Steuerkataster, mit den „Arbeitsergebnissen“, dh den letztlich erwählten Eigentümerbezeichnungen vergleicht. Auch hier zeigt sich die KG Umhausen als „mustergültiges Chaos“: „Ortschaft Acherbach“ (Stand Steuerkataster) wurde umgeschrieben auf „Fraktion Hof Acherbach“ (Grundbuchanlegung); „Neudorf Ortschaft“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Umhausen“; „Farst Ortschaft“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Farst“; „Sennhof Ortschaft“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“; „Östen Ortschaft“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Östen“; „Tumpen Ortschaft“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Tumpen“; „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“; „Gemeinde Umhausen“ wurde umgeschrieben auf „politische Gemeinde Umhausen“.

Die einzelnen Grundbuchanlegungsprotokolle (GAPs) enthalten keinerlei Hinweis, was die Beamten sich bei diesen Änderungen gedacht haben. Dabei ist ein GB-Anlegungsprotokoll genauso informativ wie das andere: Der Informationsgehalt zur Frage, warum alle Gemeinschaftsliegenschaften auf die Bezeichnung „Fraktion“ umgeschrieben wurden, ist NULL! Gerade in dem Fall, in dem die „strukturell größte Änderung“ vollzogen wurde, nämlich derjenigen betreffend die Liegenschaft EZ 987 II KG Umhausen, wo von der ursprünglichen Eigentümerbezeichnung laut Steuerkataster, nämlich „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“ umgeschrieben wurde auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“ ergibt sich aus dem GAP Nr 837 KG Umhausen buchstäblich „NULL“ Information, warum die Umschreibung erfolgte: Lapidar lautet beispielsweise eine Erklärung: „Erhebung der Eigentumsrechte: Fraktion Niederthai Neaderseite“.

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II. FESTSTELLUNG DER EIGENTÜMER

1. Agrarbehörde ist gesetzlicher Richter

Die Agrarbehörde als gesetzlicher Richter zur Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut hat im Fall von Agrargemeinschaft Umhausen folgendes entschieden: Die Agrargemeinschaft ist Eigentümerin des Regulierungsgebietes in EZ 703 und 705, jeweils II Grundbuch Umhausen und die Eigentümer bestimmter Liegenschaften in Umhausen sind an dieser Agrargemeinschaft zu aliquoten Anteilen beteiligt. Diese beanteilten Liegenschaften stehen heute im Eigentum der Mitglieder. Ein Anteilsrecht der politischen Ortsgemeinde Umhausen als solche wurde nie vorgesehen.

Ausdrücklich hat die Agrarbehörde auf „aliquote Anteilrechte“ entschieden; ausdrücklich hat die Agrarbehörde entschieden, dass nur die Agrargemeinschaft Eigentümerin des Regulierungsgebietes ist und dass nur die Stammsitze im Eigentum der Mitglieder aliquote Anteilrechte besitzen. Die relevante Vorfrage des gegenständlichen Verfahrens, nämlich ob die Agrargemeinschaft wahre Eigentümerin des Regulierungsgebietes war, wurde dementsprechend bereits als Hauptfrage im Zuge des Regulierungsverfahrens rechtskräftig entschieden: Die Agrargemeinschaft wurde als Eigentümerin im Rechtssinn festgestellt; die Mitglieder wurden als aliquot anteilberechtigt festgestellt.

2. Rechtskraft schafft Eigentum

Aufgrund dieser rechtskräftigen Entscheidungen war die Agrargemeinschaft Umhausen Eigentümerin im Rechtssinn, insbesondere im Sinn des Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1. ZPEMRK (so auch VfSlg. 19.262/2010, S. 988). Aber auch die aliquoten Anteilsrechte der Mitglieder an der Agrargemeinschaft, welche alle Rechtspositionen eines Anteilsberechtigten vermitteln sind Eigentum im Sinn des Art. 1 1. ZPEMRK; dies ungeachtet ihrer öffentlich-rechtlichen Natur. (vgl EGMR, Gaygusuz, ÖJZ 1996, 955; VfGH Slg. 15.129/1998 zur Notstandshilfe; Slg. 15.448/1999 zu öffentlich-rechtlichen Gehaltsansprüchen; Slg. 16.292 zu Pensionsansprüchen nach dem Bezügegesetz; VfGH 24. 9. 2009, G 165/08, zu Pensionsansprüchen nach dem ASVG, BSVG und GSVG. Kritisch zur ursprünglichen Rechtsauffassung des VfGH: Kucsko-Stadlmayer, Artikel 1 1.ZP, in: Ermacora/Nowak/Treter (Hrsg.), Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 581 (606 ff); Öhlinger, Eigentum und Gesetzgebung, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte in Österreich Bd. II (1992) 643 (655 f). Zu alledem jüngst: Theo Öhlinger, Agrargemeinschaftliche Anteilsrechte und der Eigentumsschutz, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 281ff; nunmehr auch: VfSlg 19.150/2010).

Die Agrargemeinschaftsmitglieder übten in der Vollversammlung der Agrargemeinschaft alle Rechte eines Eigentümerorganes der Agrargemeinschaft aus; alle Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse für die Agrargemeinschaft wurden von einem gewählten Ausschuss aus der Mitte der Mitglieder und von einem gewählten Obmann ausgeübt. Alle Erträgnisse aus dem Eigentum der Agrargemeinschaft standen den Mitgliedern nach ihren aliquoten Anteilrechten zu; im gleichen Verhältnis hatten sie die Lasten zu tragen. Die Mitglieder und ihre Rechtsvorgänger haben ihr Eigentum über Jahrzehnte ungestört genossen, die Liegenschaften wurden gepflegt, in tausenden Arbeitsstunden wurden die Erträgnisse gesteigert, es wurden umfangreiche Verbesserungen vorgenommen; es wurden Grundstücke zugekauft, Gebäude errichtet und andere Investitionen getätigt. Insbesondere wurden die forstwirtschaftlichen Erträge der Liegenschaften gesteigert.

III. AUSÜBUNG DER EIGENTÜMERRECHTE

Nach der historischen Wahrheit und nach der offenkundigen historischen Gesetzeslage waren die Agrargemeinschaften, die jetzt als „atypisches Gemeindegut“ bezeichnet werden, beispielsweise Agrargemeinschaft Umhausen, bis zum Inkrafttreten der TFLG-Novellen 2010 und 2014 kraft rechtskräftiger behördlicher Feststellung reguläre Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke mit vollem eigentümerischen Substanzrecht und damit verbundenen Nutzungsrechten.

Der jeweiligen politischen Ortsgemeinde, hier: der politischen Ortsgemeinde Umhausen, standen nur die regulären Mitgliedschaftsrechte entsprechend ihren jeweiligen Anteilsrechten als Ergebnis des Regulierungsverfahrens zu. Insoweit im Zuge des Regulierungsverfahrens der Ortsgemeinde kein Anteilsrecht zuerkannt worden ist, hat die politische Ortsgemeinde überhaupt keine eigentümliche Mitberechtigung (= Anteilsrecht) am Eigentum der Agrargemeinschaft besessen. Die volle eigentümerische Rechtsposition lag bei der Agrargemeinschaft und den rechtskräftig als Mitglieder festgestellten Anteilberechtigten. Eigentümer im Rechtssinn war die Agrargemeinschaft; und ausschließlich den rechtskräftig festgestellten Mitgliedern gebührte ein Anteilsrecht am Eigentum.

Als ein Recht betrachtet ist Eigentum nach der österreichischen Rechtsordnung die Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten und jeden anderen davon auszuschließen (§ 354 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch). Eigentum erweist sich nach Österreichischem Recht vor allem anhand von zwei Rechtspositionen, nämlich
a) dem Recht, über eine Sache zu verfügen, und
b
) dem Recht, sich den Nutzen aus der Sache zuzuwenden.

Beide Voraussetzungen waren im Fall der heutigen, sogenannten Gemeindeguts-Agrargemeinschaften, wie auch der Agrargemeinschaft Umhausen, voll und ganz erfüllt. Dies kann anhand historischer Sachverhalte leicht bewiesen werden, nämlich

1. anhand von historischen Liegenschaftsverkäufen, welche die Agrargemeinschaft direkt mit der politischen Ortsgemeinde Umhausen als Käuferin abgewickelt hat;

2. anhand von historischen Bestandsverträgen über Liegenschaften, wo die Agrargemeinschaft Umhausen gegen Entgelt Grund und Boden an die politische Ortsgemeinde Umhausen überlassen hat und

3. anhand von historischen Ausschüttungen aus der Agrargemeinschaft an ihre Mitglieder, die voll und ganz der historischen Rechtslage entsprochen haben.

1. Grundverkäufe an die Ortsgemeinde

Folgende Grundverkäufe an die Ortsgemeinde gab es in den letzten 15 Jahren:

2003: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen beim alten Schwimmbad, GP 1844/1 im Ausmaß von 625 m²; der Verkaufspreis von EUR 22.712,50 wurde am 03.12.2003 an die Agrargemeinschaft Umhausen ausbezahlt.
2004: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen für die Quellfassung „Molze“; 746 m² aus GP 472/3; der Kaufpreis von EUR 3.797,14 wurde am 05.07.2004 an die Agrargemeinschaft Umhausen ausbezahlt.
2005: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen für das Ärztehaus „Kuglers-Eck“; aus GP 10/1 wurden 115 m² abverkauft; der Kaufpreis von EUR 8.050,00 wurde am 28.12.2005 an die Agrargemeinschaft ausbezahlt.
2006: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen für die Wegverbreiterung „Ponzan“; 143 m² aus GP 4477/2 und 7 m² aus GP 4477/1 wurden zum Preis von EUR 750,00 verkauft; der Kaufpreis wurde an die Agrargemeinschaft am 08.08.2006 ausbezahlt.
2007: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen zum Zweck der Verbreiterung des Antoniusweges; 25 m² aus GP 204/1 wurden zum Preis von EUR 1.090,00 an die politische Ortsgemeinde verkauft; der Kaufpreis wurde am 19.04.2007 an die Agrargemeinschaft Umhausen ausgezahlt.
2007: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen zum Zweck der Verbreiterung des Weges „Molze“; 93 m² aus GP 472/8 wurden zum Preis von EUR 465,00 an die politische Ortsgemeinde verkauft; der Betrag wurde am 19.04.2007 an die Agrargemeinschaft Umhausen ausbezahlt.
2008: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen zur Weggestaltung „Loam“; 28 m² aus GP 317/2 und 265 m² aus GP 353 wurden zum Preis von EUR 12.774,80 an die politische Ortsgemeinde verkauft; der Kaufpreis wurde am 11.04.2008 an die Agrargemeinschaft Umhausen ausgezahlt.
2009: Grundverkauf an die politische Ortsgemeinde Umhausen für das sogenannte Kurzentrum Umhausen; aus GP 5436 wurden 14.773 m² zum Preis von EUR 664.785,00 an die politische Ortsgemeinde verkauft; der Kaufpreis wurde im November 2009 ausbezahlt (und in einem an die Mitglieder nach Anteilrechten verteilt).

2. Verpachtungen an die Ortsgemeinde

 Aus verschiedenen Anlässen hat die politische Ortsgemeinde Umhausen Flächen von der Agrargemeinschaft Umhausen angepachtet und dafür regelmäßig Pachtzins bezahlt. Es handelt sich dabei um folgende Pachtvereinbarungen, und zwar
Pachtentschädigung für eine Kneippanlage: Pächter sind der Tourismusverband Ötztal und die politische Ortsgemeinde Umhausen gemeinsam; im Zeitraum 2006 bis 2010 wurden an Pacht bezahlt jährlich insgesamt EUR 880,–
Pachtvereinbarung betreffend den Parkplatz Bischoffsplatz: Im Zeitraum 2003 bis 2010 wurden an Pacht insgesamt bezahlt EUR 6.733,27
Nutzungsentschädigung für die Mountainbike-Strecke „Höhenweg“: Im Zeitraum 2004 bis 2010 wurden an Pacht insgesamt bezahlt EUR 3.591,00
Pachtvereinbarung betreffend „Ötzi-Dorf“: Im Zeitraum 2004 bis 2010 wurden an Pachtentschädigung insgesamt bezahlt EUR 20.974,72
Pachtentschädigung für das Quellschutzgebiet „Fundus“: Im Zeitraum 2003 bis 2010 wurden an Pacht insgesamt bezahlt EUR 561,00
Pachtentschädigung für den Murplatz: Im Zeitraum 2003 bis 2010 wurden an Pacht insgesamt bezahlt Cent 63; es handelt sich hier um eine symbolische Pacht von ursprünglich ATS 1,00 pro Jahr.

3. Ausschüttungen an die Mitglieder

Nicht wesentlich anders als bei einer Kapitalgesellschaft wurden die erwirtschafteten Überschüsse im engen zeitlichen Zusammenhang mit den jeweiligen jährlichen Vollversammlungen, auf denen ein Überschuss festgestellt wurde, an die aliquot anteilberechtigten Agrargemeinschafts­mitglieder ausbezahlt. Die politische Ortsgemeinde Umhausen wurde bei diesen Ausschüttungen nicht bedacht – warum auch, besitzt diese doch kein von der Agrarbehörde im Regulierungsverfahren festgestelltes aliquotes Anteilrecht.

Im Beobachtungszeitraum seit 1990 gab es folgende Ausschüttungen:
1990: Ausschüttung von ATS 630.000,– am 6.3.1990;
1992: Ausschüttung von ATS 492.000,– am 21.04.1992;
1994: Ausschüttung von ATS 625.000,– am 3.3.1994;
1996: Ausschüttung von ATS 625.000,– am 3.3.1994;
1996: Ausschüttung von ATS 504.000,– am 31.3.1996;
1998: Ausschüttung von ATS 756.000,– am 12.03.1998;
2000: Ausschüttung von ATS 630.000,– am 26.04.2000;
2002: Ausschüttung von EUR 50.100,– am 12.06.2002;
2005: Ausschüttung von EUR 50.400,– am 28.04.2005;
2009: Ausschüttung des Verkaufserlöses von EUR 664.785,00.

Bis zur TFLG-Novelle 1998 wurden solche Ausschüttungsbeschlüsse von der Tiroler Landesregierung im Einzelfall bewilligt. Der Tiroler Landesgesetzgeber entschied sich dann, „den Wirtschaftskörper Agrargemeinschaft zu stärken“. Unter einem wurde entschieden, dass die Agrargemeinschaften selbst am besten wüssten, wie mit den erwirtschafteten Überschüssen zu verfahren ist. Das Erfordernis der behördlichen Bewilligung von Ausschüttungsbeschlüssen wurde unter einem per Gesetzesnovelle abgeschafft.

Noch im Jahr 1998 wurde die Aufteilung der Ertragsüberschüsse ausdrücklich mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 26.06.1998 IIIb1-25/57 Üb, „Verteilung von Ertragsüberschüssen“, gegenüber Agrargemeinschaft Umhausen bewilligt. Die Verteilung und Ausschüttung wurde in der Vollversammlung vom 7.2.1998 beschlossen.

Die Ertragsüberschüsse aus dem agrargemeinschaftlichen Vermögen wurden gerade nicht der Ortsgemeinde zugewendet; die Mitglieder, hier die Beschwerdeführer und deren Rechtsvorgänger, haben die Ausschüttungen erhalten; die politischen Ortsgemeinden haben an Ausschüttungen nur teilgenommen, wenn diese an den betreffenden Agrargemeinschaften beteiligt waren – freilich nur im Ausmaß ihres rechtskräftig festgestellten aliquoten Anteilrechts.

Die politische Ortsgemeinde Umhausen wurde bei all diesen Ausschüttungen mit keinem einzigen Cent bedacht. Dies entsprechend einer über viele Jahrzehnte geltenden, unbestrittenen Rechtslage.

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IV. DIE ENTEIGNUNG TAUSENDER TIROLERINNEN

Mit Landesgesetz vom 30.06.2014 LGBl. Nr. 70/2014, in Kraft getreten am 1.7.2014, wurde der Agrargemeinschaft das Eigentum am Regulierungsgebiet und allen damit verbundenen Vermögenswerten entzogen. Das Eigentum der Agrargemeinschaft Umhausen wurde durch den Landesgesetzgeber in eine Sonderform des öffentlichen Eigentums verwandelt – “atypisches Gemeindegut” genannt.

Dieses „atypische Gemeindegut“ ist nur dem Buchstaben nach ein Eigentum der Agrargemeinschaft; der Sache nach wurde dieses Gut in ein Staatseigentum verwandelt und einer Staatsverwaltung unterstellt. Der Staat verfügt nunmehr über dieses Eigentum im Wege von „Substanzverwaltern“, die dem Gemeinderat weisungsgebunden sind und der Staat zieht den Nutzen daraus. Alle Verfügungsbefugnisse über dieses Eigentum und die Erträgnisse daraus stehen dem Staat zu.

Die von den Agrargemeinschaftsmitgliedern gewählten Organmitglieder, der Obmann und der Ausschuss, wurden jeder Verwaltungs- und Vertretungskompetenz beraubt.

Per 01. Juli 2014 waren die Gemeinschaftskasse, alle Konten der Agrargemeinschaft und die Sparbücher, alle Schlüssel und Verwaltungsunterlagen an den Bürgermeister als Staatskommissar (= Substanzverwalter) auszuliefern. Eine in der Praxis relevante Restzuständigkeit der gewählten Agrargemeinschaftsorgane besteht nicht.

Anders als ein Sachwalter, der im Interesse eines Geschäftsunfähigen handeln muss und den Nutzen des Geschäftsunfähigen befördert, handelt der Substanzverwalter nicht zum Nutzen der bisherigen Anteilsberechtigten. Zweck und Ziel der Tätigkeit eines Substanzverwalters ist es, den Nutzen und die Erträgnisse aus dem Eigentum, die Mieten, Pachten und Verkaufserlöse dem Staat, konkret der Ortsgemeinde zuzuwenden. Nach formellem Recht ist der Substanzverwalter zwar ein Organ der Agrargemeinschaft; dieses Organ handelt jedoch nicht im Interesse der Agrargemeinschaft. Als „implantiertes Staatsorgan“ soll ein Substanzverwalter den Nutzen aus dem ursprünglichen Gemeinschaftsgut dem Staat zuwenden! Obwohl neben dem Substanzverwalter die Organisation der nutzungsberechtigten Agrargemeinschaftsmitglieder bestehen blieb, wurden keinerlei Einnahmen für eine Gemeinschaftsorganisation der Mitglieder gewidmet. Zur Förderung eines Gemeinschaftszweckes der Mitglieder gibt es keine Mittel mehr.

Den Mitgliedern wurde die „Substanz“ ihres Anteilrechtes entzogen: die von ihnen gewählten Vertreter, Obmann und Ausschuss, sind ihrer Verwaltungs- und Vertretungsrechte beraubt; in der Vollversammlung entscheidet der Staatskommissar (= “Substanzverwalter“); das Recht auf Beteiligung an Überschüssen bzw Gewinnen ist abgeschnitten; ebenso die Möglichkeit zur Aufteilung oder Nutzung des Eigentums der Agrargemeinschaft. Geblieben ist den Mitgliedern lediglich ein diffuses Recht auf Deckung eines „historischen Hof- und Gutsbedarfes“ nach Holz und Weide in Form von Naturalleistungen, für welche ein konkreter Bedarf im Einzelfall nachzuweisen ist; unter bestimmten Umständen sollen diese Rechte der „Ausregulierung“ unterliegen. (§ 54 Abs. 6 TFLG 1996).

DIE BEGRÜNDUNG DER VFGH-BESCHWERDE

1. Verfassungsrechtlich relevante Fragen

a) Der Anspruch auf angemessenen Wertausgleich :

Zum 1. Juli 2014 hat die Öffentliche Hand in Tirol das umfangreichste Verstaatlichungsprogramm der Tiroler Geschichte vollzogen: Verstaatlicht wurde ein privates Milliardenvermögen, rund 150.000 ha Grund und Boden samt allem Zubehör. Dies, indem den politischen Ortsgemeinden in Tirol Zugriff auf das Vermögen von rund 250 Agrargemeinschaften verschafft wurde, das Gemeinschaftsvermögen von ca 14.000 Tiroler HausbesitzerInnen. (im Folgenden: „umfangreichstes Verstaatlichungsprogramm der Tiroler Geschichte“ genannt)

 Das „Substanzrecht“ ist eine juristische Konstruktion, mit deren Hilfe verschleiert wird, dass die Öffentliche Hand in Tirol 250 Agrargemeinschaften und den daran beteiligten rund 14.000 Stammsitzeigentümern das Eigentumsrecht am agrargemeinschaftlichen Vermögen weggenommen hat. Tatsächlich umfasst das „Substanzrecht“ nämlich sowohl das Verfügungseigentum, als auch das Nutzungseigentum; in Wahrheit ist das Substanzrecht somit das Eigentum am Agrargemeinschaftsvermögen. Und dieses „Substanzrecht“ hat die Öffentliche Hand in Tirol an sich gezogen. Den Mitgliedern der Nachbarschaften, den Grundbesitzern resp Bauern, gehört nichts mehr, außer einem beschränkten Nutzungsrecht an Wald und Weide.

 Die Erst-Beschwerdeführerin ist Opfer dieses umfangreichsten Verstaatlichungsprogramms der Tiroler Geschichte, indem ihrem Eigentumsrecht das Substanzrecht entzogen wurde. Die weiteren Beschwerdeführer sind ebenfalls Opfer dieses umfangreichsten Verstaatlichungsprogramms der Tiroler Geschichte. Jahrzehnte nachdem ihre Rechtsvorgänger als aliquot Anteilberechtigte am Agrargemeinschaftsvermögen anerkannt wurden, wurde ihnen dieses Vermögen entschädigungslos weggenommen, indem ihren Anteilrechten das Substanzrecht entzogen wurde; dieses Substanzrecht wurde als eigenes Anteilsrecht anerkannt und dieses neue Anteilsrecht soll der politischen Ortsgemeinde zustehen.

Zu entscheiden ist die verfassungsrechtliche Frage, ob den Beschwerdeführern als Opfer dieses umfangreichsten Verstaatlichungsprogramms der Tiroler Geschichte ein Recht auf „angemessenen Wertausgleich“ gem Art 1 1. ZPMRK gebührt oder nicht.

b) Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter

Die Beschwerdeführer forderten mit Antrag, überreicht bei der Agrarbehörde am 30.06.2016, „angemessenen Wertausgleich“ gem Art 1 1. ZPMRK. Die belangte Behörde verweigert die Sachentscheidung über diesen Anspruch. Dies mit der bloßen Schutzbehauptung, die Agrarbehörde sei sachlich zur Entscheidung über den „angemessenen Wertausgleich“ gem Art 1 1. ZPMRK unzuständig.

Zu beurteilen ist die verfassungsrechtliche Frage nach dem „gesetzlichen Richter“ für eine Streitigkeit zwischen den Beschwerdeführern einerseits und der politischen Ortsgemeinde andererseits. Die agrarische Operation, im Zuge derer die Agrarbehörde das neue Anteilsrecht der Ortsgemeinde „Substanz“ feststellte, ist dadurch anzuschließen, dass den übrigen Mitgliedern, deren Anteilsrechte dadurch substanzlos wurde, angemessen entschädigt werden.

c) Die verfassungswidrige Bestimmung des § 86d TFLG

Die belangte Behörde erachtet die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache aufgrund der Bestimmung des § 86d TFLG 1996 nicht gegeben. Diese Bestimmung ist verfassungswidrig. § 86d TFLG wird der völker- und verfassungsrechtlichen Lage nicht gerecht.

Die Beschwerdeführer müssen angemessen entschädigt werden, weil das Substanzrecht aus dem Eigentum der Erst-Beschwerdeführerin und aus dem Anteilrecht der weiteren Beschwerdeführer entzogen und in einem bisher unbekannten Anteilrecht gebündelt wurde, das der politischen Ortsgemeinde gehören soll. Auch die Umverteilung des „Substanzrechts“ (das ist das Verfügungs- und das Nutzungseigentum) ist nur gegen angemessenen Wertausgleich zulässig. Darauf nimmt die Bestimmung des § 86d TFLG 1996 keine Rücksicht, weshalb diese dem Völkerrecht und dem Verfassungsrecht widerspricht.

2. Die Beschwerdegründe
# Die Beschwerdeführer sind in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentumsrechts gem Art I. 1. ZPrMRK verletzt.
# Die Beschwerdeführer sind in ihrem Recht auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter verletzt. (Art 83 Abs2 B-VG).
# Die belangte Behörde wendet die völkerrechtswidrige und verfassungswidrige Norm des § 86d TFLG gegen die Beschwerdeführer an.

Verletzung des Eigentumsrechts (Art I. 1. ZPrMRK)

 I. Allgemeines

Mit der Novelle zum Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 2014, in Kraft seit 1. Juli 2014, wurden die Tiroler Agrargemeinschaften – und nur diese als einzige in ganz Österreich – unter „Substanzverwaltung“ gestellt, eine in Tirol erfundene, neue Form der staatlichen Sachwalterschaft. Die von den Agrargemeinschaftsmitgliedern autonom gewählten Organmitglieder, der Obmann und der Ausschuss, wurden ausgeschaltet. Das Bargeld und die Kasse, alle Konten und Sparbücher, alle Schlüssel und Codewörter sowie alle Verwaltungsunterlagen wurden in Beschlag genommen und mussten an die jeweiligen Bürgermeister ausgeliefert werden. Das gesamte vorhandene Vermögen wurde zu Gunsten der jeweiligen politischen Ortsgemeinde enteignet. Eine Entschädigung für diesen Vermögenstransfer wurde nicht vorgesehen – nicht einmal ein Bereicherungsausgleich für Investitionen und erbrachte Eigenleistungen.

Als Scheinlegitimation für diese Exzesse des Tiroler Landesgesetzgebers fungiert ein „Verkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes in Wien betreffend die Tiroler Agrargemeinschaft Mieders aus dem Jahr 2008 (VfSlg 18.446/2008). Eine seit Jahrzehnten rechtskräftige Entscheidung des zuständigen gesetzlichen Richters über die wahren Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften Mieders von Anfang der 1960er Jahre wurde in Verkennung eines offenkundig falschen, historischen Grundbuchstandes als eine „verfassungswidrige Enteignung der Ortsgemeinde“ hingestellt.

Dies motivierte den Tiroler Landesgesetzgeber zu der falschen Annahme, dass den politischen Ortsgemeinden Wiedergutmachung zu leisten wäre. Tatsächlich hatten die Ortsgemeinden jedoch nie ein Eigentum besessen, sondern bloße Scheinansprüche aus falschen Eintragungen in die öffentlichen Eigentumsregister. (Die falschen Eigentumsregisterstände waren freilich seit vielen Jahrzehnten richtig gestellt und beseitigt.)

Die autonome Verwaltung der Stammliegenschaftsbesitzer, die nach dem Mehrheitsprinzip aus ihrer Mitte die Organe gewählt haben, wurde mit 1.7.2014 ausgeschaltet. Es wurde ein staatliches Obereigentum eingeführt, das über die Verwaltungsstrukturen der Ortsgemeinden kontrolliert wird. Für dieses Obereigentum wurde ein neuer Rechtsbegriff geprägt, den es so bisher in der Österreichischen Rechtsordnung nicht gegeben hat: das „Substanzrecht“. Dieses „Substanzrecht“ hat der Tiroler Landesgesetzgeber so ausgestattet, dass dieses inhaltlich sowohl das Verfügungseigentum umfasst, als auch das Nutzungseigentum. Die bisherigen Eigentümer, die nutzungsberechtigten Stammliegenschaftsbesitzer, wurden auf den Status von Bittstellern gedrückt, die das bisherige Gemeinschaftsvermögen nur mehr dann nutzen dürfen, wenn diese einen konkreten Bedarf als Grundlage für ein Nutzungsrecht nachzuweisen können. Der Sache nach ist dieser Bedarf beschränkt auf Holznutzung und Weidenutzung.

Das ganze Modell erinnert sehr an das mittelalterliche Feudalsystem: Anstelle der alten Feudalherren hat der Tiroler Landesgesetzgeber die Gemeinde- und Landespolitiker eingesetzt. Eine Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Eigentumsschutzes ist nicht erkennbar.

II. Zur Verfassungswidrigkeit im Einzelnen

1. Bereits mit Novelle zum Tiroler Flurverfassungsgesetz 1996, LGBl 2010/7 (TFLG-Novelle 2010) wurde ein Rechtsanspruch der politischen Ortsgemeinden auf den „Substanzwert eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes“ konstruiert; die Gesetzesnovelle vom 14 Mai 2014´, in Kraft per 1. 7. 2014, LGBl 2014/70, (in der Folge: TFLG-Novelle 2014) hat die Verfassungswidrigkeit der Rechtskonstruktion wesentlich verschärft. In der Legaldefinition des Substanzwertes (§ 33 Abs 5 TFLG) wurde zu den „Substanzerlösen“ ausdrücklich auch „das bewegliche und unbewegliche Vermögen, das daraus erwirtschaftet wurde“ hinzugefügt, was im Ergebnis einen massiven Vermögensverlust der Agrargemeinschaften zur Folge hatte, der weit über den „Substanzwert“ hinausgeht. Das durch die TFLG-Novelle 2014 neu geschaffene Organ „Substanzverwalter“ ist der Kern der Neuregelung der Eigentumsnutzung des „atypischen Gemeindegutes“ durch die Gemeinde. Dieses Organ ist organisatorisch ein reines Gemeindeorgan (§ 36b TFLG), während es funktionell alle wesentlichen Eigentumsfunktionen der Agrargemeinschaft unmittelbar selbst ausübt (§ 36c TFLG) und deshalb auch gesetzlich als „Organ der Agrargemeinschaft“ (im funktionellen Sinn) bezeichnet wird (§ 36a TFLG). Während nach der TFLG-Novelle 2010 über den Substanzwert immerhin noch einvernehmlich zu verfügen war (§ 36 Abs 7 TFLG 2010), obliegt „die Besorgung der Angelegenheiten des Substanzwertes“ – die inhaltlich entsprechend § 33 Abs 5 TFLG erweitert wurden – nunmehr ausschließlich dem Substanzverwalter, der auch die gesamte Finanzgebarung der Agrargemeinschaft mit Ausnahme des Abrechnungskontos selbständig führt (§§ 36e – 36g TFLG) und – abweichend von § 35 Abs 9 TFLG – auch die Agrargemeinschaft in diesen Angelegenheiten selbständig nach außen vertritt (§ 36c Abs 6 TFLG). Aus der ehemaligen Agrargemeinschaft „Gemeindegut“ ist nach der TFLG-Novelle 2014 organisatorisch und funktionell eine Doppelkörperschaft geworden: Die  besondere Substanzwert-Nutzungsorganisation der Gemeinde vertreten durch den Substanzverwalter als funktionelle Eigentumsverwerterin und die Agrargemeinschaft als Eigentümerin der agrargemeinschaftlichen Grundstücke rechtlich reduziert zu einer Gemeinschaft der eingeschränkt agrarischen Nutzungsberechtigten.

2. Diese Gesetzesregelungen bewirken bei den betroffenen Agrargemeinschaften und ihren Mitgliedern eine Vielzahl von schwerwiegenden Vermögenseingriffen, deren Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit im Folgenden näher spezifiziert wird. Auszugehen ist dabei von der Rechtslage, dass diese Agrargemeinschaften bis zu den TFLG-Novelle 2010 und 2014 kraft rechtskräftiger behördlicher Feststellung reguläre Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke mit vollem „eigentümerischen Substanzrecht“ und damit verbundenen Nutzungsrechten waren und dass den politischen Ortsgemeinden nur die regulären Mitgliedschaftsrechte entsprechend ihren jeweiligen Anteilsrechten zukamen.

 a) Entschädigungslose Enteignung des Substanzwertes und des Vermögens der Agrargemeinschaft

 Der auf die Gemeinde übertragene Substanzwert (§ 33 Abs 5 TFLG) und die auf den Substanzverwalter übertragenen Verfügungsrechte „über das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der Agrargemeinschaft“ sind Vermögen und vermögenswerte Rechte der Agrargemeinschaft, die ihr mit dem Inkrafttreten der TFLG-Novelle 2014 entzogen und auf die politische Ortsgemeinde, vertreten durch den Substanzverwalter,  übertragen wurden. Diese Rechte – gleichgültig ob es sich dabei um privatrechtliche oder öffentlichrechtliche Ansprüche handelt – gelten verfassungs- und völkerrechtlich als „Eigentum“ im Sinn der Eigentumsgrundrechte. Der Entzug dieser Rechte und Vermögenswerte und ihre Übertragung auf die politische Ortsgemeinde ist nach der Verfassungsrechtsprechung als „Enteignung“ und nach der Judikatur des EGMR als „Eigentumsentziehung“ zu bezeichnen. Unter beiderlei Blickwinkel ist dieser Eigentumseingriff rechtswidrig, weil er ohne irgendeinen Ausgleich mit den bisherigen Eigentümern getroffen wurde und daher als entschädigungslose Enteignung/Eigentumsentziehung anzusehen ist, die nach der übereinstimmenden Judikatur des VfGH und des EGMR als exzessiver (unverhältnismäßiger) Eigentumseingriff und damit als Grundrechtsverletzung zu beurteilen ist. Die sehr eingeschränkten Entschädigungsbestimmungen der TFLG-Novelle 2014 (§ 86d) beziehen sich weder auf das Substanzrecht der Gemeinde noch auf die Verfügungsrechte des Substanzverwalters, sodass sie als Entschädigung für diese Eigentumseingriffe von vorneherein nicht in Betracht kommen und darüber hinaus in sich sachwidrig und unverhältnismäßig sind.

 b) Entleerung des Eigentums der Agrargemeinschaft zu „nuda proprietas“

 Durch die Kombination der Übertragung des Substanzwertes an die Gemeinde mit den umfassenden Verfügungsrechten des Substanzverwalters entleert die TFLG-Novelle 2014 das rechtskräftig festgestellte Eigentum der Agrargemeinschaft zu einem bloßen Rechtstitel ohne rechtlichen Inhalt („nuda porpietas“). Der Entzug des vollständigen Vermögenswertes des Eigentums ohne Entschädigung (Konfiskation) ist aber ebenso verfassungs- und völkerrechtswidrig wie die Übertragung sämtlicher rechtlicher Verfügungsmöglichkeiten des privaten Eigentümers an die öffentliche Hand (Gemeinde). Zwar sind einzelne öffentliche Planungs- und Verfügungsrechte über das Grundeigentum und beschränkte Ertragsminderungen im öffentlichen Interesse als Eigentumsbeschränkungen gemäß Art 5 StGG(VfGH) bzw. als „Regelung der Nutzung des Eigentums“ (EGMR) durchaus mit dem Grundrecht des Eigentums abwägbar und damit grundsätzlich vereinbar. Nicht aber gilt das für den vollständigen entschädigungslosen Entzug aller eigentümerischen Verfügungs- und Ertragsrechte durch Einsetzung eines Gemeindeorgans als öffentlicher Verwalter des Gesamtvermögens der Agrargemeinschaft, der dieses Vermögen im Gemeindeinteresse zu gebrauchen und zu verbrauchen hat.

 c) Verletzung der Institutsgarantie des Eigentums

 Das Eigentum im Verfassungssinn ist zwar primär ein Grund- und Menschenrecht, also das subjektive Recht einer Person als Rechtsträger. Der Inhalt dieses Rechtsanspruches ist aber durch das Eigentum als Einrichtung des Rechts, vor allem des Zivilrechts, geprägt. Die besondere Bedeutung der Institutsgarantie liegt in der dadurch gewährleisteten Schrankenwirkung gegenüber Veränderungen der Eigentumsordnung durch den einfachen Gesetzgeber. Dieser ist zwar durch den Getzesvorbehalt des Eigentumsgrundrechtes auch zur inhaltlichen Gestaltung des Eigentumsrechts im öffentlichen Interesse ermächtigt, aber eben nicht schrankenlos, sondern unter Wahrung der wesentlichen Elemente der Eigentumsgarantie. Dazu gehört – wie noch ausführlich zu begründen sein wird  – einerseits die Eigentumswertgarantie und anderseits die Eigentumsfunktionsgarantie. Das bedeutet, dass das Eigentum sowohl als Vermögen des Einzelnen gegen staatliche Eingriffe geschützt ist als auch in seiner zivilrechtlichen Dispositionsfähigkeit über dieses Vermögen grundsätzlich erhalten bleiben muss.

Im Sinn der grundrechtlichen Wertentscheidung für das private Eigentum darf sowohl in den Wert wie in die Verfügungsmöglichkeit des Eigentums nur aus überwiegendem öffentlichen Interesse eingegriffen werden, was voraussetzt, dass zwischen Eigentumseingriff und öffentlichem Interesse im Sinn einer „fairen Balance“  (EGMR) überhaupt abgewogen wird. Da diese Abwägung im Sinne der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes fehlt, widersprechen sowohl die vollständige und entschädigungslose Übertragung des Vermögenswertes an die öffentliche Hand (Gemeinde) als auch der Entzug sämtlicher Verfügungsrechte des Privateigentums der Institutsgarantie. Ein bloß formaler Rechtstitel des Eigentums mit einer gleichzeitigen Ermächtigung der öffentlichen Hand, darüber rechtlich und wirtschaftlich zu verfügen und die Früchte dieser Verfügungen und des Eigentums zu genießen,  ist ein wert- und funktionsloses Resteigentum und nicht mehr das „vollständige Eigentum“ (§ 358 ABGB) der Institutsgarantie des Eigentumsgrundrechts.

Es wird daher zu prüfen sein, ob die Rechtskonstruktion der TFLG-Novelle 2014 – insbesondere die Übertragung des Substanzwertes an die politische Ortsgemeinde und aller privatrechtlichen Verfügungsrechte darüber an den Substanzverwalter als Gemeindeorgan – der Institutsgarantie des verfassungs- und völkerrechtlich garantierten Eigentumsgrundrechtes widerspricht und insofern rechtswidrig ist.

3. Die Rechtskonstruktion des Substanzrechts der politischen Ortsemeinde (§ 33 Abs 5 TFLG) und seine besonderer öffentliche Verwaltung durch den Substanzverwalter (§§ 33b – 33g TFLG) beruht insgesamt auf der verfassungswidrigen Fiktion des § 33 Abs 2 lit c TFLG. Dort werden agrargemeinschaftliche Grundstücke, die „im Eigentum einer Gemeinde stehen“, mit Grundstücken gleichgesetzt, die „vormals im Eigentum einer Gemeinde gestanden sind, durch Regulierungsplan ins Eigentum einer Agrargemeinschaft übertragen wurden … und nicht Gegenstand einer Hauptteilung waren“.

Damit werden sachlich und rechtlich völlig ungleiche Tatbestände, nämlich Agrargemeinschaften, deren Grundstücke im Eigentum einer Gemeinde stehen und Agrargemeinschaften, deren Grundstücke im Eigentum dieser Agrargemeinschaft stehen, rechtlich gleichgesetzt. Diese sachwidrige Gleichstellung ist deshalb ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie die Grundlage dafür bietet, alle rechtlichen Unterschiede zwischen der Gemeinde als Eigentümer und als Nichteigentümer gesetzlich einzuebnen. Denn sowohl der Substanzwert wie die Verfügungsrechte des Substanzverwalters und die enteignungsgleichen Übergangsbestimmungen dienen nur dazu, die fehlende Eigentümerstellung der Gemeinde auf Kosten des Eigentums der Agrargemeinschaft landesgesetzlich zu substituieren.

Dabei ist nochmals festzuhalten, dass die betroffenen Agrargemeinschaften bis zur TFLG-Novelle 2010 auf Grund rechtskräftiger Feststellung der Agrarbehörde nicht nur Nutzungsberechtigte, sondern zivilrechtliche Volleigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke waren und damit zweifellos auch das Recht auf die Substanz und den Substanzwert dieser Grundstücke hatten. Die politische Ortsgemeinde war – und ist – seit der Regulierung nicht mehr Eigentümerin der Grundstücke, sondern hat – je nach Ergebnis der rechtskräftig abgeschlossenen agrarischen Operation – ein Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft oder auch nicht.

Die besonders schwerwiegende Gleichheitswidrigkeit der generell-abstrakten rechtlichen Gleichbehandlung von Gemeindegut und „atypischen Gemeindegut“ durch das TFLG zeigt sich nach der ständigen Judikatur des VfGH und des EGMR vor allem an den dadurch rechtlich völlig ausgeschlossenen Abwägungskriterien der „Eingriffsschwere“ und der „Verhältnismäßigkeit“ der damit angeordneten Grundrechtseingriffe in das Vermögen der betroffenen Agrargemeinschaften: Gesetzlich angeordnete Eigentumseingriffe, die dem Eigentümer das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen und alle Erträge aus der Substanz des Eigentums entziehen, sind ohne irgendein Verfahren des sachgerechten Vermögensausgleichs sowohl im Sinn des Gleichheitsgrundsatzes unverhältnismäßig und unsachlich als auch im Sinn der Judikatur des EGMR zum Eigentumsgrundrecht (Art 1 1. ZPEMRK) wegen des Fehlens einer „fairen Balance“ zwischen öffentlichem Interesse und Grundrechtseingriff  unverhältnismäßig („exzessiv“) und daher völkerrechtswidrig.

4. Vor der Schaffung des Substanzrechts der Gemeinde (§ 33 Abs 5 TFLG) war das Substanzrecht untrennbar mit der „gemeinschaftlichen Nutzung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke“(§ 33 Abs 1 TFLG) durch die Agrargemeinschaft verknüpft. Das nicht nur wegen der zivilrechtlichen Einheit von Substanz und Nutzungen im Eigentum („Vollständigkeit des Eigentums“, siehe §§ 354 und 358 ABGB), sondern weil eine isolierte Eigentumsnutzung – unabhängig vom Anteilsrecht – an einem agrargemeinschaftlichen Grundstück undenkbar ist: Jede Art der Nutzung eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes ist anteilsmäßig zu organisieren, sodass auch das Eigentum an den Grundstücken im Anteilsrecht zu berücksichtigen ist. Daher konstruiert auch das Leiterkenntnis des VfGH den Restitutionsanspruch der Gemeinde aus dem früheren Eigentumsrecht als Anteilsrecht an den Nutzungen der Agrargemeinschaft, das durch Änderung des Regulierungsplanes zu konkretisieren sei.

Geradezu im Gegensatz dazu steht die Rechtskonstruktion des § 36 Abs 5 TFLG: Hier wird das Substanzrecht als ein unmittelbar wirksamer, von den Anteilsrechten unabhängiger und umfassender eigentumsgleicher Rechtsanspruch begründet, der in Konkurrenz zu den dadurch stark eingeschränkten agrarischen Nutzungsrechten steht, die den Rest der nach wie vor anteilsmäßig organisierten Nutzung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke durch die Agrargemeinschaft bilden.

Diese Rechtskonstruktion wirkt deshalb wie eine Enteignung, weil das Substanzrecht ein –im Einzelfall wertmäßig genau zu bezifferndes – vermögenswertes Anspruchsrecht auf den „Substanzwert“ der agrargemeinschaftlichen Grundstücke ist, der der Agrargemeinschaft und ihren Anteilsrechten entzogen und auf die politische Ortsgemeinde, vertreten durch den Substanzverwalter, übertragen wird. Wie die EB zur Regierungsvorlage der TFLG-Novelle 2014 richtig ausführen, hat dies für die Agrargemeinschaft folgende einschneidende vermögensrechtliche Konsequenzen:Mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens eines dem vorliegenden Entwurf entsprechenden Gesetzes geht das vorhandene bewegliche und unbewegliche Vermögen der atypischen Gemeindegutsagrargemeinschaft einschließlich der vorhandenen Rücklagen in die Verfügungsbefugnis des Substanzverwalters (und damit mittelbar der substanzberechtigten Gemeinde) über.“

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH und des EGMR fällt nicht nur das volle Eigentumsrecht, sondern auch vermögenswerte Rechtsansprüche unter den Schutz der grundrechtlichen Eigentumsverbürgungen der Art 5 StGG und Art1 1.ZPEMRK.Der Klarheit halber sei festgestellt, dass der VfGH von seiner früheren Rechtsprechung abgegangen ist, dass nur privatrechtliche Ansprüche unter die Eigentumsgarantie fallen und nach seiner neueren Judikatur – so wie der EGMR – davon ausgeht, dass alle Rechte mit Vermögenswert unter Art 5 StGG oder Art 1 1.ZPEMRK fallen.Die schwierig zu lösende Rechtsfrage, ob das Substanzrecht der Gemeinde ein öffentlichrechtlicher oder eine privatrechtlicher Rechtsanspruch sei, spielt also für die Enteignungsproblematik keine Rolle.

Eine Entschädigung für die schwerwiegenden Eigentumseingriffe durch die Enteignung des Substanzrechts und aller daraus erwirtschafteten beweglichen und unbeweglichen Vermögenswerte zugunsten der Gemeinde wird der Agrargemeinschaft nicht gewährt. Die sehr eingeschränkten „Abgeltungsansprüche“ für Vermögenswerte, die von der Agrargemeinschaft geschaffen wurden und nun an die Gemeinde gehen, sind keine Enteignungsentschädigung, sondern Ansprüche „bereicherungsrechtlichen Charakters“. Ihre sachlich in keiner Weise gerechtfertigte Abgrenzung erweckt selbst verfassungsrechtliche Bedenken, auf die unten (Abschnitt V) näher eingegangen wird. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Übertragung des Substanzrechts an die Gemeinde sind diese Abgeltungsansprüche irrelevant, weil sie als bereicherungsrechtliche Sonderentgelte begrifflich keine Eigentumsentschädigung der allgemeinen Übertragung des Substanzrechts darstellen, sondern diese allgemeine entschädigungslose Rechtsübertragung begrifflich voraussetzen.

Eine Enteignung ohne irgendeine Entschädigung widerspricht sowohl nach der Judikatur des EGMR als auch nach der neueren Rechtsprechung des VfGH den Grundrechten der Eigentumsgarantie. Während der EGMR die Entschädigungspflicht aus dem dem Art 1 1.ZPEMRK zugrunde liegenden Verhältnismäßigkeitsprinzip ableitet, begründet der VfGH dieselbe Entscheidungslinie eher mit dem Gleichheitsgrundsatz: Danach widerspricht eine entschädigungslose Enteignung jedenfalls der Verfassung, weil sie unverhältnismäßig und unsachlich ist.

Darüber hinaus sind die schwerwiegenden Eingriffe in das Eigentum der betroffenen Agrargemeinschaften durch das Substanzrecht der Gemeinde auch deshalb verfassungswidrig, weil sie nicht für ein sachlich konkretisiertes öffentliches Interesse der Gemeinde angeordnet werden, sondern ihr lediglich einen Vermögenszuwachs im Rahmen ihrer Privatwirtschaftsverwaltung verschaffen sollen. Dies ergibt sich daraus, dass die gesetzliche Enteignungsbestimmung des § 33 Abs 5 TFLG keine konkreten öffentlichen Zwecke  (Sachbedarfe) nennt, für die die (beweglichen und unbeweglichen) Vermögensgegenstände der Agrargemeinschaft entzogen und auf die Gemeinde übertragen werden. Die gesetzliche Konkretisierung des Enteignungszweckes ist aber ein Wesensmerkmal einer verfassungskonformen Enteignung nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH. Es handelt sich also beim Substanzrecht um eine verfassungswidrige Enteignung aus unbestimmten fiskalischen Interessen, zur Förderung allgemeiner privatwirtschaftlichen Interessen der Gemeinde oder allenfalls „auf Vorrat“ für einen noch gar nicht konkretisierten öffentlichen Bedarf.

5. Die (jetzige) Agrargemeinschaft „atypisches Gemeindegut“ war bis zur TFLG-Novelle 2014 rechtskräftig durch Bescheid festgestellte Volleigentümerin der ihr zugeordneten agrargemeinschaftlichen Grundstücke. Ob dieser Bescheid verfassungswidrig oder verfassungskonform war, ist nie rechtskräftig entschieden worden und daher für die Eigentümerstellung der Agrargemeinschaft irrelevant. Daher geht selbst die ständige Rechtsprechung des VfGH, der diese angebliche Verfassungswidrigkeit in einem obiter dictum in die Welt gesetzt und seitdem ständig verbreitet hat, bis heute davon aus, dass „die (atypische) Agrargemeinschaft zivilrechtliche Eigentümerin der Grundstücke ist und jedenfalls den Schutz des Art 5 StGG genießt“. Auch die Anteilsrechte an einer solchen Agrargemeinschaft fallen als vermögenswerte Rechtspositionen unter den Eigentumsschutz des Art 1 1.ZPEMRK.

Die Rechtskonstruktion des Substanzrechts der Gemeinde (§ 33 Abs 5 TFLG ) verwandelt dieses rechtskräftig festgestellte und durch Jahrzehnte als solches bewirtschaftete zivilrechtliche Volleigentum der Agrargemeinschaft in eine substanzlose „nuda proprietas“, das heißt in ein Eigentum ohne alle eigentümerischen Verfügungsrechte und ohne alle eigentümerischen Vermögenswerte. Die der Agrargemeinschaft verbleibenden Vermögenswerte beruhen nämlich nicht auf dem Eigentum, sondern auf den durch § 33 Abs 5 TFLG. reduzierten land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechten. Alle Eigentumserträge und alle dadurch geschaffenen Vermögenswerte werden der Agrargemeinschaft ersatzlos entzogen und auf die politische Ortsgemeinde, vertreten durch den Substanzverwalter übertragen. Analog dazu werden dadurch auch alle Anteilsrechte der Mitglieder der Agrargemeinschaft außer der Gemeinde rechtlich und faktisch entleert.

a. Eine Rechtskonstruktion, die das zivilrechtliche Volleigentum auf eingeschränkte Nutzungsrechte reduziert und alle wesentlichen Eigentumsfunktionen – nämlich sämtliche zivilrechtlichen Verfügungsrechte und den gesamten Vermögenswert des Eigentums –  ohne irgendeine Entschädigung  auf die substanzberechtigte Gemeinde als  Nichteigentümer überträgt, ist nicht nur mit dem zivilrechtlichen Eigentumsbegriff des ABGB unvereinbar, sondern widerspricht auch den grundrechtlichen Eigentumsgarantien des Art 5 StGG und Art 1 1.ZPEMRK. Selbst, wenn man mit der Rechtsprechung des VfGH aus der angeblich verfassungswidrigen Übertragung des Eigentums der Gemeinde auf die Agrargemeinschaft von einem verfassungsrechtlichen Restitutionsanspruch der Gemeinde ausgeht, kann dieser Anspruch grundrechtskonform nur in einem behördlichen Ausgleichsverfahren des Anteilsrechts der Gemeinde mit den Anteilsrechten der übrigen Mitglieder der Agrargemeinschaft verwirklicht werden.

Dagegen verstößt eine Rechtskonstruktion, die das Eigentum der Agrargemeinschaft ersatzlos auf beschränkte Nutzungsrechte reduziert („dominium utile“), über die sich ein umfassendes „Obereigentum“ („dominium eminens“) der politischen Ortsgemeinde als Substanzberechtigte wölbt, schon gegen das Verbot der „Teilung des Eigentums“ (Art 7 StGG). Diese Rechtskonstruktion widerspricht aber auch der Grundrechtsgarantie des Eigentums als Vollrecht im Verhältnis zur Garantie der vermögenswerten Nutzungsrechte, weil sie deren rechtsbegriffliches Verhältnis auf den Kopf stellt, indem sie das Substanzrecht als Nutzungsrecht zum eigentumsgleichen Vollrecht und das Eigentum als Vollrecht zum reduzierten Nutzungsrecht rechtlich umgestaltet.

b. Die Rechtskonstruktion der Entleerung des Eigentumsrechts der Agrargemeinschaft und ihrer Anteilsrechte zugunsten des allumfassenden Substanzrechts der Gemeinde (§ 33 Abs 5 TFLG) widerspricht dem Grundrecht der Eigentumsgarantie schon wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen/völkerrechtlichen Eigentumsbegriff in Art 5 StGG und Art 1 1.ZPEMRK: Beide Normen schützen nämlich im  Rechtsbegriff „Eigentum“ das zivilrechtliche Vollrecht (§ 358 ABGB)  als Vermögenswertgarantie und Eigentumsdispositionsrecht. Insbesondere ist diese Rechtskonstruktion deshalb grundrechtswidrig, weil sie dem Eigentum der Agrargemeinschaft ohne jeden Ausgleich (Entschädigung) sämtliche eigentümerischen Dispositionsrechte und Vermögenswerte entzieht und damit in exzessiver (unverhältnismäßiger) Weise in das Grundrecht des Eigentums eingreift. Der Klarheit halber sei auch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die eingeschränkten Abgeltungsansprüche des § 86d TFLG keine Entschädigung für die Übertragung des Substanzrechts an die Gemeinde bedeuten, sondern eine sehr reduzierte bereicherungsrechtliche Auseinandersetzung zwischen Gemeinde und Agrargemeinschaft für Wertsteigerungen durch besondere  unternehmerische Leistungen darstellen.

6. Die Institutsgarantie des Eigentums folgt aus Satz 1 des Art 5 StGG: „Das Eigentum ist unverletzlich“. Damit ist einerseits garantiert, dass es eine Rechtseinrichtung „Eigentum“ geben soll und anderseits eine Wertentscheidung für ein funktionsfähiges Privateigentum getroffen. Die Institutsgarantie des Eigentums ist im vorliegenden Fall besonders wichtig, weil sie sich gegen verfassungswidrige Maßnahmen der einfachen Gesetzgebung richtet, die „Inhalt und Schranken“ des Eigentumsrechts neu bestimmen. Zwar hat der Gesetzgeber insofern einen gewissen rechtspolitischen Spielraum, die Institutsgarantie gewährleistet aber eine verfassungsrechtliche Schranke dieser Manipulationsmöglichkeit des Eigentumsrechtes. Ein durch den Gesetzgeber bis auf die formale Rechtsträgerschaft entleertes „nudum ius“ ist gerade nicht die von der Verfassung intendierte Eigentumsgarantie.

Der Inhalt der Institutsgarantie bestimmt sich grundsätzlich nach der zivilrechtlichen Eigentumsordnung im historischen Sinn des ABGB, wenngleich allgemeine Wandlungen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Voraussetzungen der Eigentumsnutzung zu berücksichtigen sind. Entsprechend der grundlegenden Unterscheidung in den §§ 353 und 354 ABGB ist auch die Institutsgarantie des Eigentums zweigliedrig: Einerseits ist „Eigentum“ im objektiven Sinn das Vermögen einer Person; anderseits bedeutet Eigentum im subjektiven Sinn die zivilrechtliche Dispositionsfähigkeit über dieses Vermögen.

a) Eigentum als Vermögensbestandsrecht

Das verfassungsrechtliche Vermögensbestandsrecht der Eigentumsgarantie ist in folgende Schutzansprüche aufzugliedern:

(1) Die Beschränkung der verfassungsrechtlichen Eingriffsformen

In das Privatvermögen darf von Verfassungs wegen nur durch Eigentumsbeschränkung und Enteignung eingegriffen werden; beide Eingriffe sind durch das Erfordernis des (überwiegenden) Allgemeinwohls inhaltlich begrenzt. Art 1 des 1. Z Prot MRK unterscheidet zwischen „Entzug“ (Abs 1) und „Regelung der Benutzung“ (Abs 2), wobei diese Begriffe in ähnlicher Weise judikativ entfaltet und verwendet werden wie in Österreich.

(2) Die Eigentumswertgarantie

Das Vermögen des Einzelnen ist durch die Verfassungsgarantie nicht absolut geschützt, sondern durch die zulässigen Eingriffsformen bis zu einer gewissen Grenze belastbar. So können Eigentumsbeschränkungen daran gemessen werden, ob sie als „Sonderopfer“ entschädigungspflichtig sind oder als Abgabenbelastung „konfiskatorisch“ wirken. Enteignungen sind nach heute herrschender Auffassung „angemessen zu entschädigen“.

(3) Die Einzeleingriffsgarantie

Verfassungsmäßige Eigentumseingriffe sind immer gegenständlich streng begrenzt und dürfen nie das Vermögen („Eigentum“) als Ganzes treffen. Das ergibt sich für die Enteignung aus der strengen Zweckbegrenzung aus einer konkreten öffentlichen Aufgabe und bei der Eigentumsbeschränkung aus der notwendigen Eingrenzung auf eine konkrete Eigentumsnutzung im öffentlichen Interesse.

b) Eigentum als Vermögensdispositionsrecht

(1) Die Verfügbarkeit über Substanz und Nutzungen

Der Eigentümer muss die Möglichkeit haben, über sein Eigentum, und zwar im Hinblick auf „Substanz und Nutzungen einer Sache“ (§ 354 ABGB) in den zivilrechtlichen Formen zu verfügen. Wenn dem Eigentümer nur mehr das Recht auf die Substanz („nuda proprietas“) verbleibt und andere ermächtigt werden, darüber rechtlich und wirtschaftlich zu verfügen, kann ein solches funktionsloses „Resteigentum“ nicht mehr als Vollrecht im Sinne der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie bezeichnet werden.

(2) Die Privatnützigkeit

Das Eigentum hat als Rechtsinstitut auch eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Funktion: Es soll damit eine private Risikozurechnung für vermögensrechtliche Dispositionen auf das Vermögen des Verfügenden ermöglicht werden. Gleichzeitig ist die Privatnützigkeit des Eigentums die Garantie der (ökonomischen) Sicherheit und Freiheit des Einzelnen.

(3) Die Verpflichtung des Privatrechtsgesetzgebers

Ist ein Grundrecht – wie die Eigentumsgarantie – nur mit einer einfachgesetzlichen Regelung nutzbar, die bestimmte Rechtseinrichtungen dauernd in verfassungskonformer Weise zur Verfügung hält, so ergibt sich daraus, die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Privatrechtsgesetzgebers zur institutionellen Ausgestaltung des Eigentumsgrundrechts nach den bisher dargestellten Grundsätzen.

7. Das TFLG als Verletzung der Institutsgarantie des Eigentums

a) Das Recht auf den Substanzwert im Sinn der Restitutionsrechtsprechung des VfGH

Das Leiterkenntnis des VfGH konstruiert das Recht der Gemeinde auf Wahrung des „Substanzwertes“ ihres vormaligen Eigentums im atypischen Gemeindegut als ein subjektives öffentliches Recht auf Berücksichtigung des aktuellen Wertes dieses „Surrogateigentums“ bei der Festsetzung ihres Anteilsrechtes an der Nutzung der Agrargemeinschaft. Damit wird zwar das Eigentum der Agrargemeinschaft mit einem besonderen öffentlichrechtlichen Nutzungsrecht der Gemeinde belastet, das Institut des Eigentums aber nicht beeinträchtigt, weil durch diese Eigentumsbeschränkung die verfassungsrechtlichen Kernfunktionen des Eigentums im zuvor angeführten Sinn erhalten bleiben und die Rechtskonstruktion als Ausgleich der Ansprüche der Gemeinde und der Anteilsberechtigten an die Bewirtschaftung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke „im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung für das Eigentum notwendig und sachgemäß ist“.

Im Sinn dieser Restitutionsrechtsprechung ist das Volleigentum der Agrargemeinschaft geradezu die Voraussetzung für eine verfassungskonforme Lösung des Restitutionsanspruches der Gemeinde. Denn dieser Anspruch ist nach der Rechtsprechung des VfGH ein Anteilsrecht der Gemeinde an der Agrargemeinschaft auf Ertragsanteile in der Höhe des Wertes ihres früheren Eigentums. Ohne Substanzrecht kann aber die Agrargemeinschaft diesen Anspruch auf ein „eigentumswertes“ Mitgliedschaftsrecht der Gemeinde gar nicht erfüllen, weil ihr das dafür notwendige Volleigentum an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken fehlt.

Nach dieser, vom VfGH geprägten Begriffsbildung des Restitutionsanspruches als ein subjektives öffentliches Recht auf einen bestimmten Anteil an der Bewirtschaftung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke gegenüber der Agrargemeinschaft bleibt das zivilrechtliche Institut des Eigentums als Einheit von Substanz und Verfügungsrecht unangetastet , weil sich das Recht der Gemeinde weder auf die Verfügungsrechte noch auf die Substanz des Eigentums am agrargemeinschaftlichen Grundstück bezieht, sondern dieses Eigentum nur mit einem subjektiven öffentlichen Recht auf Berücksichtigung des Wertes des vormaligen Gemeindeeigentums bei der Festsetzung der Anteilsrechte an den Nutzungen belastet. Da die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte – einschließlich des damit verbundenen Anteils am Substanzwert der agrargemeinschaftlichen Grundstücke – unberührt bleiben sollen, kann der Anteil der Gemeinde aus ihrem „Surrogateigentum“ an diesen Grundstücken – soweit er nicht einvernehmlich geregelt wird – verfassungskonform nur in einem bodenreformatorischen Ausgleichsverfahren der divergierenden Interessen und Rechtspositionen festgelegt werden.

b) Das Recht auf den Substanzwert nach dem TFLG

Schon die TFLG-Novelle 2010 hat sich von diesem, vom VfGH vorgegebenen Modell des Substanzrechts als Restitutionsanspruch völlig abgewendet und das Recht der Gemeinde auf den Substanzwert als generell-abstrakte Eigentumsbeschränkung konstruiert, die inhaltlich so umfassend ist, dass sie das der Agrargemeinschaft verbleibende Formaleigentum zur inhaltslosen „nuda proprietas“ entleert. Die Formulierung des § 33 Abs 5 TFLG  lässt offen, ob es sich dabei um eine zivilrechtliche Änderung des Inhaltes des Eigentums der Agrargemeinschaft handelt – wofür die Terminologie und das Abzugsverfahren der Nutzungsrechte spricht – oder um eine öffentlichrechtliche Beschränkung dieses Eigentums – wofür die Kompetenz des Landesgesetzgebers und die agrarbehördliche Zuständigkeit für dieses Recht spricht. Im Ergebnis spielt diese Frage keine Rolle, weil auch ein öffentlichrechtliches Zwangsrecht gegenüber dem Eigentum der Agrargemeinschaft am Maßstab des zivilrechtlichen Eigentums als Institutsgarantie zu messen ist.

Dass es dem Landesgesetzgeber um einen Zugriff auf die wesentlichen Funktionen des Eigentumsrechtes der Agrargemeinschaft gegangen ist, zeigt sich zunächst in der Abgrenzung der nicht agrarischen Nutzungsrechte im Zusammenhang mit der abstrakten Definition des „Substanzwertes“: Hier werden der Gemeinde nicht nur bestimmte Nutzungsarten der agrargemeinschaftlichen Grundstücke vorbehalten („Schottergrube, Steinbruch und dergleichen“), sondern auch die grundlegenden rechtlichen Verfügungsmöglichkeiten über die Grundstücke („Veräußerung, Verpachtung, Begründung einer Dienstbarkeit oder eines Baurechtes“) der Agrargemeinschaft als Eigentümerin entzogen und auf die Gemeinde übertragen. Die TFLG-Novelle 2014 hat diese umfassende materielle Rechtsübertragung an die Gemeinde noch dadurch verschärft, dass auch das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen, das aus der Substanz erwirtschaftet wurde und der Überschuss aus der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung der Agrargemeinschaft entzogen wird. Kombiniert wird diese umfassende materielle Rechtsübertragung des Eigentums an die Gemeinde mit  den ausschließlichen und umfassenden Verfügungsrechten des Gemeindeorgans „Substanzverwalter“, die einen weit einschneidenderen Entzug der eigentümerischen Verfügungsrechte bedeuten, als die TFLG- Novelle 2010 durch die privilegierte Integration der Gemeinde in die Organisation der Agrargemeinschaft vorgesehen hatte.

Fasst man die materiell-rechtlichen und organisatorischen Bestimmungen des TFLG über das Substanzrecht der Gemeinde an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken zusammen, kommt man zum Ergebnis, dass der Landesgesetzgeber damit der Gemeinde gegenüber dem „atypischen Gemeindegut“ die Rechtsstellung eines „funktionellen Eigentümers“ gegenüber den land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechten geben wollte und in dieser Rechtsstellung der Gemeinde die rechtliche Gleichbehandlung von „echten“ und „atypischen Gemeindegut“ begründet hat. Unabhängig von der oben behandelten Verfassungswidrigkeit dieser rechtlichen Gleichbehandlung von Eigentümer und Nichteigentümer der Agrargemeinschaft widerspricht diese Rechtskonstruktion allen oben angeführten wesentlichen Kriterien der Institutsgarantie des Eigentums.

Schon die materiell-rechtliche Definition des Substanzrechts (§ 33 Abs 5 TFLG) stellt sich inhaltlich als Übertragung der wesentlichen Eigentumsfunktionen agrargemeinschaftlicher Grundstücke von der Agrargemeinschaft auf die Gemeinde dar, sodass der Agrargemeinschaft von ihrem Eigentumsrecht – außer dem inhaltsleeren „nudum ius“ – nur beschränkte land- und forstwirtschaftliche Nutzungsrechte bleiben. Schon darin liegt – wie zuvor begründet wurde – eine verfassungsrechtlich unzulässige Entleerung und Wertminderung des Eigentums als Rechtsinstitut, weil damit an die Stelle des zivilrechtlichen „Vollrechtes“ ein beschränktes Nutzungsrecht am „eigenen“ Wirtschaftsgut tritt. Damit schafft der Landesgesetzgeber – offenkundig in Überschreitung seines Kompetenzbereiches – eine neue Kategorie des agrarischen Eigentums im zivilrechtlichen Sinn eines Nutzungsrechtes ohne Recht auf die Substanz, was jedenfalls kein Eigentum im Sinn des ABGB und der darauf gerichteten Verfassungsgarantie des Art 5 StGG ist.

Verschärft wird diese materiell-rechtliche Verletzung der Institutsgarantie durch die funktionellen Eigentumsbefugnisse des Gemeindeorgans Substanzverwalter, die wiederum exakt den Verfügungsrechten des – korporativ organisierten – Eigentums der Agrargemeinschaft entsprechen, der sie in verfassungswidriger Weise entzogen und als öffentliche Verwaltung des Eigentums durch die Gemeinde – vertreten durch den Substanzverwalter – neu begründet werden.

An die Stelle des vom VfGH geforderten bodenreformatorischen Ausgleichsverfahrens zwischen land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechten und dem „Surrogateigentum“ der Gemeinde unter Wahrung des (zivilrechtlichen) Eigentums der Agrargemeinschaft hat der Landesgesetzgeber eine neue Type eines eigentumsartigen Substanz-Rechtsanspruches der Gemeinde geschaffen, der alle wesentlichen Eigentumsfunktionen vom privatrechtlichen Eigentum der Agrargemeinschaft absaugt und diese als inhaltlich begrenzte Nutzungsrechte zurücklässt, die nur mehr unter der Oberhoheit der Gemeinde als landesrechtlich kreierter „Obereigentümer“ ausgeübt werden können. Weder das landesrechtliche „Obereigentum“ („dominium eminens“) der Gemeinde, noch die dadurch bewirkte Entleerung des zivilrechtlichen Eigentums als Vollrecht auf begrenzte Nutzungsrechte als ein neuartiges „dominium utile“, noch die umfassenden öffentlichen Verwaltungsbefugnisse des Substanzverwalters der Gemeinde über das Eigentum der Agrargemeinschaft zur Durchsetzung des kommunalen Obereigentums sind mit dem bundesrechtlich geregelten Eigentum als zivilrechtliches Rechtsinstitut und der dieses gewährleistenden Verfassungsgarantie des Eigentums vereinbar.

Auch die Verwandlung der autonomen Wirtschaftsführung der Agrargemeinschaft in eine öffentliche Bewirtschaftung des Substanzrechts der Gemeinde und die daraus abgeleiteten unbegrenzten Zugriffsrechte der Gemeinde auf das Vermögen der Agrargemeinschaft sind mit dem Eigentumsinstitut als Vermögenswertgarantie unvereinbar, weil sie an Stelle des sachlich durch das konkrete öffentliche Interesse streng begrenzten Vermögenseingriffes einen allgemeinen Entzug des gesamten Vermögens („Konfiskation“) ohne Ausgleich oder Entschädigung vorsehen. Verfassungsmäßige Eigentumseingriffe können niemals das Vermögen einer Person als Ganzes treffen, da dies der streng gegenständlich begrenzten Natur der Enteignung widersprechen würde und mit dem Begriff „Eigentumsbeschränkung“ von vorneherein unvereinbar wäre. Die Garantie der Enteignung als sachbezogener Einzeleingriff wird von der Verfassungsrechtsprechung im Wege einer streng limitierenden Zweckbegrenzung der konkreten Eigentumseingriffe praktisch sehr wirksam durchgesetzt. Mit der öffentlichen Verwaltung des Substanzrechts durch den Substanzverwalter wird auch die Privatnützigkeit als Kernfunktion des Privateigentums zugunsten einer öffentlichen Bewirtschaftung der Agrargemeinschaft aufgehoben und damit ein weiteres wesentliches Element der Institutsgarantie des Eigentums verletzt.

Recht auf den gesetzlichen Richter

 Dem Verfahren liegt ein Antrag der Agrargemeinschaft und ihrer Mitglieder zugrunde, wonach der Staat in Form der politischen Ortsgemeinde einen bestimmten Geldbetrag an die Antragsteller leistet. Über diesen Antrag hat die Agrarbehörde zu entscheiden. Nach § 37 Abs. 7 lit. b) TFLG 1996 entscheidet die Agrarbehörde – „unter Ausschluss des Rechtsweges“ – über Streitigkeiten zwischen der Gemeinde und einer Agrargemeinschaft auf Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs 2 lit c TFLG. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist die belangte Behörde somit jedenfalls zuständig, über den Antrag der Erstbeschwerdeführerin zu entscheiden.

Nichts anderes gilt für die weiteren Beschwerdeführer. Nach der klaren Gesetzesregelung des § 34 Abs TFLG gilt: „Die Gesamtheit der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaften, an deren Eigentum ein Anteilrecht an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden ist (Stammsitzliegenschaften), bildet einschließlich jener Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen, sowie bei Agrargemeinschaften nach § 33 Abs. 2 lit. c einschließlich der substanzberechtigten Gemeinde, eine Agrargemeinschaft.“

Sowohl die weiteren Beschwerdeführer, als auch die mitbeteiligte Partei, die politische Ortsgemeinde, sind somit im Fall einer atypischen Gemeindegutsagrar­gemeinschaft, wie es die Erstbeschwerdeführerin nach dem Gesetz offensichtlich ist, Agrargemeinschaftsmitglieder. Für solche Mitglieder sieht § 37 Abs 7 lit b) TFLG jedoch vor, dass Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis unter Ausschluss des Rechtsweges von der Agrarbehörde zu entscheiden sind.

Der Standpunkt der belangten Behörde, dass der verfahrensgegenständliche Anspruch nicht aus der beiderseitigen Mitgliedschaft der politischen Ortsgemeinde einerseits und der weiteren Beschwerdeführer andererseits zur erstbeschwerdeführenden Agrargemeinschaft resultiere, ist nicht nachvollziehbar. Den Anteilsrechten der weiteren Beschwerdeführer wurde die Substanz entzogen; diese Substanz nimmt nunmehr der Österreichische Staat in Form der politischen Ortsgemeinde für sich in Anspruch. Die politische Ortsgemeinde als neues Agrargemeinschaftsmitglied nimmt das ursprüngliche Recht der beschwerdeführenden Mitglieder für sich in Anspruch. Und aus diesem Sachverhalt resultiert der verfahrensgegenständliche Anspruch auf angemessenen Wertausgleich. Wer soll passiv legitimiert sein, „fairen Ausgleich“ (Enteignungsentschädigung) wegen der Vermögensverluste der weiteren Beschwerdeführer zu leisten, wenn nicht die Ortsgemeinde, welche sich heute die Stellung der Alleinsubstanzberechtigten anmaßt? Und wer soll über „fairen Ausgleich“ entscheiden, wenn nicht diejenige Behörde, welche die agrarische Operation zur Entscheidung über das Substanzrecht der Ortsgemeinde durchgeführt hat?

Der Rechtsstandpunkt der belangten Behörde, wonach das gegenständliche Verfahren keinen Rechtsstreit zwischen Agrargemeinschaftsmitgliedern betreffen würde, ist im Übrigen unvereinbar mit der Bestimmung des § 86d TFLG: In den verfassungs- und völkerrechtswidrigen Grenzen dieser Gesetzesbestimmung wurde die passive Antragslegitimation der politische Ortsgemeinde für die Entschädigung der Opfer der TFLG-Novelle 2014 und die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung in dieser Sache ausdrücklich anerkannt.

Somit ist die Agrarbehörde zur Entscheidung über den Anspruch auf angemessenen Wertausgleich nach Feststellung des Substanzrechts der Ortsgemeinde zuständig. Die belangte Behörde, welche die Sachentscheidung des gesetzlichen Richters verweigert, verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Anwendung einer verfassungswidrigen Norm

§ 86d TFLG regelt besondere Fragen des wechselseitigen Bereicherungsrechtes von Agrargemeinschaften bzw ihren Mitgliedern und der substanzberechtigten Gemeinde bei atypischem Gemeindegut und die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung darüber. § 86d Abs 1 lit c TFLG regelt diesen Ausgleich prinzipiell; diese Bestimmung enthält aber so viele radikale Einschränkungen des Anspruches auf angemessene Entschädigung, dass praktisch kaum je ein angemessener Anspruch gegeben sein wird. Dies bewirkt die Sachwidrigkeit und Verfassungswidrigkeit dieser Norm.

Weil § 86d TFLG 1996 so viele Einschränkungen für den Anspruch auf Entschädigung vorsieht, unterstellt die belangte Behörde dass nicht einmal eine Zuständigkeit der Agrarbehörde bestehe, der Sache nach über den Anspruch der Beschwerdeführer zu entscheiden.

Mit Erkenntnis vom 13.10.2016 G 219/2015 hat der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung aus der Sicht der politischen Ortsgemeinden geprüft und für verfassungswidrig befunden. Die Prüfung aus der Sicht der Beschwerdeführer steht noch aus. Verfassungswidrigkeit besteht in zweierlei Hinsicht. Es wurde verabsäumt, eine Zuständigkeit der Agrarbehörde für
– Entschädigung von Wertsteigerungen ausdrücklich vorzusehen;
– Entschädigung für das Substanzrecht (= Eigentumsrecht) ausdrücklich vorzusehen.

In die Schlussbestimmungen des TFLG wurde ein sehr komplexes Regelwerk über „vermögensrechtliche Auseinandersetzungen für die Vergangenheit“ bei atypischen Gemeindegut aufgenommen (§ 86d TFLG). Um die verfassungsrechtlichen Probleme dieser Regelungen zu erkennen, ist es notwendig, zunächst ihre Rechtsnatur als bereicherungsrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu analysieren.

1. Wenn man – wie die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes – der Auffassung ist, dass die atypische Gemeindeguts-Agrargemeinschaft vor Inkrafttreten der TFLG-Novelle 2010 die der Gemeinde zustehenden Substanzwerte  als redlicher Besitzer bewirtschaftet und benutzt hat, so entstehen daraus nach den zivilrechtlichen Grundsätzen des Bereicherungsrechts wechselseitige Ansprüche und Verpflichtungen. Diese zivilrechtlichen Grundsätze des Bereicherungsrechts sind auch im öffentlichen Recht analog anzuwenden.

Im besonderen hat die Agrargemeinschaft als redlicher Besitzer Anspruch auf die Früchte ihrer Bewirtschaftung und „alle anderen schon eingehobenen Nutzungen“ (§ 330 ABGB),  womit der Ertrag des eigenen Aufwandes als abgegolten angesehen wird. Insofern steht die allgemeine wechselseitige Abgeltungsklausel des § 86d Abs 1 TFLG mit den zivilrechtlichen Grundsätzen des Sachenrechts und des Bereicherungsrechts  in Einklang.

Diese allgemeine wechselseitig bereicherungsrechtliche Abgeltung bezieht sich allerdings nur auf den mit der Fruchtziehung verbundenen Aufwand, nicht aber auf Leistungen, die über die Fruchtziehung hinausgehen und einen fortdauernden Vermögenswert geschaffen haben, der den Substanzwert vermehrt hat. Das Bereicherungsrecht vermittelt in diesem Fall dem (redlichen oder unredlichen) Besitzer den Anspruch auf einen angemessenen Anteil an dem erlangten Vorteil nach dem „Beitragswert“, der seinen besonderen Leistungen für die Wertsteigerung entspricht. Der Grund für diese Auffassung liegt darin, dass sich die Herausgabepflicht des Bereicherungsschuldners (§ 1041 ABGB) nur auf jene Vorteile bezieht, „die nach der Bewertung des Verkehrs eindeutig im Wesentlichen der Sache bzw. dem Rechtsgut des Bereicherungsgläubigers zugerechnet wird“. Die Verrechnung der „angemessenen Bewirtschaftabgeltung“ mit den gezogenen Früchten in § 86d Abs 1 TFLG entspricht daher den hier anzuwendenden Grundsätzen des Bereicherungsrechts „nur dann, wenn der Beitrag der Agrargemeinschaft nicht über jene Leistungen hinausgeht, die für die Fruchtziehung zu erbringen sind“.

2. Die Bestimmung des § 86d Abs 1 lit c TFLG soll im Sinn des Bereicherungsrechts jene besondere Vermögensvermehrung der Substanz des Gemeindegutes ausgleichen, die auf Leistungen der Agrargemeinschaft zurückzuführen ist, welche über die Fruchtziehung hinausgehen und daher einen Anspruch auf Anteil am Gesamtwert vermitteln, der ihrem Beitrag entspricht.

Diese Bestimmung enthält eine Reihe von schwerwiegenden Einschränkungen des Ausgleichsanspruches der Agrargemeinschaft bzw ihrer Mitglieder, auf deren Sachwidrigkeit und verfassungsrechtliche Bedenklichkeit im folgenden Punkt eingegangen wird. Zunächst werden grundsätzlich nicht Vermögensvermehrungen ausgeglichen, die im Rahmen der allgemeinen land- und forstwirtschaftlichen Aufgabenerfüllung der Agrargemeinschaft/ihrer Mitglieder durch besondere Leistungen erbracht werden. Dadurch werden etwa Wertsteigerung durch Hiebsatzsteigerungen in der Forstwirtschaft, besonders aufwendige Meliorationen, Katastrophenschutzmaßnahmen, Bauführungen, Errichtung von Wegen, Straßen, Bringungsanlagen und vieles andere ausgeschlossen. Auch die Einschränkung auf agrarbehördlich genehmigte Unternehmen ist bereicherungsrechtlich unangemessen, weil ja – wie oben ausgeführt – sogar der unredliche Besitzer einen Anspruch auf Anteil an der von ihm geschaffenen Wertsteigerung der Substanz hat.

Schlechterdings unverständlich ist die Einschränkung des Vermögensausgleiches durch die Bestimmung des § 86d Abs 4 TFLG, welche die „besondere unternehmerische Leistung“ durch weitere Merkmale beschränkt. Danach soll nur die „nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes“ ausgeglichen werden, dagegen weder die Errichtung eines Unternehmens noch die unternehmerische Fruchtziehung für die Bemessung des Ausgleichsanspruches herangezogen werden dürfen. Wenn die Erläuternden Bemerkungen (S. 33) dies damit begründen, dass das Anfangskapital der Unternehmen aus Substanzerlösen stammt, so übersehen sie, dass zum Kapital eben die besondere unternehmerische Leistung hinzutreten muss, die den Erfolg und Wert des Unternehmens maßgeblich bestimmen und daher in den Vermögensausgleich einbezogen werden muss. Auch die Unternehmenserträge darf man nicht ausschließen, weil sie den entscheidenden Wertbildungsfaktor des Unternehmens bilden.

Bemerkenswert ist, dass die Bewertung der „besonderen unternehmerischen Leistung“ durch das zwingend notwendige Gutachten eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers (§ 86 Abs 5 TFLG) überhaupt nicht auf die Kriterien des Abs 4 eingeht, sondern diese Bewertung offenbar durch den Abzug der der Substanz zurechenbaren Bestandteile des Unternehmenswertes (Abs 5 lit b) vom gesamten Unternehmenswert zu ermitteln ist. Das entspricht der vom Bereicherungsrecht geforderten Methode der Ermittlung des Beitrages der Agrargemeinschaft/ihrer Mitglieder am Unternehmenswert, ist aber mit den zuvor dargestellten extremen Einschränkungen der unternehmerischen Leistung in § 86d Abs 4 TFLG unvereinbar.

3. Vom verfassungsrechtlichen Standpunkt sind die im vorigen Punkt genannten Einschränkungen und Widersprüche zu den analog anzuwendenden zivilrechtlichen Grundsätzen wie folgt zu beurteilen: Wegen der sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen zwischen besonderen land- und forstwirtschaftlichen und erwerbswirtschaftlichen unternehmerischen Leistungen zur Wertsteigerung der Substanz des Gemeindegutes widerspricht schon diese weitreichende Beschränkung des Ausgleichsanspruches der Agrargemeinschaft/ihrer Mitglieder dem Gleichheitsgrundsatz. Dasselbe gilt in verstärktem Maß für die sachlich geradezu unverständliche Differenzierung zwischen Unternehmenswert und nachhaltiger Steigerung des Unternehmenswertes unter Ausschluss der Berücksichtigung der Unternehmenserträge (§ 86d Abs 4 TFLG).

Da alle diese gleichheitswidrigen Ausschlüsse und Verkürzungen von bereicherungsrechtlichen Ausgleichsansprüchen der Agrargemeinschaft/ihrer Mitglieder vermögenswerte öffentlichrechtliche Ansprüche betreffen, die auf besonderen Leistungen der Wertsteigerung des Substanzvermögens beruhen, sind sie nach der oben angeführten Judikatur des EGMR und der neueren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zugleich verfassungswidrige Eingriffe.

§ 86d TFLG 1996 ist deshalb wegen Verletzung des Eigentumsrechts der Gemeindegutsagrargemeinschaften und der Mitglieder solcher Agrargemeinschaften als verfassungswidrig festzustellen.

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Mieming: Kaiserlicher Raub?

MP

TEXT VERBERGEN

Mieming: Kaiserlicher Raub?

Der Ortsgemeinde Mieming sollen alle Substanzrechte an der Seebenalpe gehören? Das, obwohl die Richter des Kaisers es waren, die im Jahr 1912 entschieden haben, dass ein Eigentum der Agrargemeinschaft vorliegt?
Wer soll solchen Unsinn glauben?“

 

Einleitung:

Es gehört schon eine Portion Unverfrohrenheit dazu, einen „Raub am Gemeindegut“ zu unterstellen, wenn eine Agrargemeinschaft zu 100% zur Zeit der Monarchie von den Beamten des Kaisers reguliert wurde.

Im Fall der Seebenalpe in Mieming wurde das Grundbuch aufgrund des Regulierungsplanes des k.k. Lokalkommissars für agrarische Operationen vom 23. November 1912 No 438/9, bestätigt mit Erkenntnis der k.k. Landeskommission für agrarische Operationern vom 21. Februar 1917 Zl 105/1e aB, richtig  gestellt. Seit dem Jahr 1912 (!) war die Agrargemeinschaft (AGM) Seebenalpe als wahre Eigentümerin unbestritten.

Die Beamten des Kaisers hatten ermittelt, dass die AGM „Gemeinschaftsalpe-Seeben“ Eigentümerin der Alpe ist und nicht die „Ortschaft Untermieming und Fiecht“.  In Konsequenz wurde die „Agrargemeinschaft Gemeinschaftsalpe Seeben“ als wahre Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Das war vor 100 Jahren.

100 Jahre später kommt die Tiroler Agrarbehörde und diese unterstellt einen offenkundig verfassungswidrigen Eingriff in das Eigentum der Ortsgemeinde Mieming! Die kaiserlichen Richter hätten offenkundig falsch entschieden!(?) Die Seebenalpe sei deshalb ein Substanzrecht der Ortsgemeinde Mieming.

In Konsequenz haben die Stammsitzeigentümer von Untermieming und Fiecht ihre Eigentumsrechte am Almboden und dem Sennhaus verloren. Wie im Mittelalter hat ein neuer Grundherr das Sagen. Aus Eigentümern wurden Bittsteller am „Gemeindegut„. Die Uhren wurden um 300 Jahre zurückgedreht.

Ein solcher Eingriff in ein seit 100 Jahren rechtskräftiges Verfahren ist mit dem üblichen „Gemeindeguts-Irrsinn“ nicht mehr erklärbar. Offensichtlich geht es der Agrarbehörde bei solchen Entscheidungen nur mehr darum,  den Schein zu wahren! Keine Agrargemeinschaft in Mieming darf verschont werdern. Anderenfalls, so fürchtet man offensichtlich, könnte das gesamte Enteignungskonstrukt zusammen brechen.

Und aus diesem Grund wird in der Tiroler Agrarbehörde und beim Tiroler Landesverwaltungsgerichtshof alles ignoriert, was für ein Eigentum der jeweiligen Nachbarschaft sprechen würde. Maßgeblich ist alleine das Ziel: Es muss unter allen Umständen ein Substanzrecht der politischen Ortsgemeinde festgestellt werden. Die juristische Methode ist Willkür!

Die offenkundige Tatsache, dass eine „Fraktion“ oder eine „Ortschaft“ zu Zeiten der Grundbuchanlegung nichts anderes bedeutete als eine „Nachbarschaft“ („Fraktion“ = eine Agrargemeinschaft), dieser Gedanke hat im Enteignungsprogramm der Tiroler Landesregierung keinen Platz!

Ebenso wenig hat darin Platz eine substanzierte Auseinandersetztung mit dem historischen Verständnis des Begriffs „Gemeinde“ oder damit, warum nur in Tirol  als einzigen Kronland der Monarchie ein „Fraktionengesetz“ geschaffen wurde.

 

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Die Seebenalpe liegt am Mieminger Hochplateau, durch das Gaistal vom Wettersteingebirge getrennt, östlich von der Sonnenspitze in der Katastralgemeinde Mieming, Gerichtsbezirk Silz, in einer Seehöhe von 1580 m bis 2200 m. Die Alpe liegt meist ober Holz, nach Osten und Nordosten ist sie abgedacht und diese muss als Hochalpe betrachtet werden.
Das Eigentumsgebiet dieser Alpe umfasst folgende Grundparzellen der Katastralgemeinde Mieming: 9536/1 Alpe 136,5206 ha, 9537 Drachensee, 9538 Unter-See, 9535/3 unproduktiv, gesamt rund 890 ha. Auf Grundparzelle 9536/1 (Alpe) befindet sich noch die Enklave Grundparzelle 9536/2 Coburger Hütte, Eigentum der Sektion Coburg, Deutscher Alpenverein.

Bildergebnis für Seebenalpe
Die zur Seebenalpe gehörige Alpenbaulichkeiten befinden sich nicht auf den Eigentumsparzellen in der KG Mieming, sondern auf einer Servitutsfläche in der KG Ehrwald. Eigentümerin der Servitutsfläche war seinerzeit die „Gemeindefraktion Oberdorf-Ehrwald“, heute „Gemeindegutsagrargemeinschaft Ehrwald-Oberdorf“. Die Alpsgebäude stehen auf den Grundparzellen 604 und 605, Katastralgemeinde Ehrwald.
Diese Form der Fremdgrundbenützung im Verhältnis zweier Agrargemeinschaften war bereits im 19. Jahrhundert näher behördlich entschieden worden: Die Verhältnisse regelt die Servituten-Regulierungs-Urkunde vom 21. September 1867 No 16.382/731, wonach die „Fraktion Untermieming mit dem Weiler Ficht“ (das ist in Wahrheit die Agrargemeinschaft Seebenalpe) auf den dort angeführten, der „Gemeinde-Fraktion Oberehrwald“ gehörigen, in der Katastral-Gemeinde Ehrwald gelegenen Grundparzellen, servitutsberechtigt ist; dies zur Weide sowie zur Haltung von Alpsgebäuden.

 

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Übersicht:
Räuberische kaiserliche Behörden?
Agrarische Operation Seebenalpe
1910: Landeskommission entscheidet
Was qualifiziert die „Fraktionsalpe“ Seeben?
Der Generalakt vom 23.11.1912
Das Grundbuchgesuch vom 21. April 1921
Der Regulierungsplan 1952
Gemeindegutsirrsinn auf der Seebenalm

Abstract:

Was mussten sich die Agrarier nicht alles anhören: Alt-Landeshauptmann Eduard Wallnöfer hätte die Agrarjuristen angestiftet, den politischen Ortsgemeinden das Gemeindegut zu stehlen und ähnliche Dummheiten.

Als die Verkünder solcher Fake-news nicht länger ignorieren konnten, dass auch in der Zeit der NS-Herrschaft in Österreich „Fraktions- und Gemeindegut“ in Agrargemeinschaften reguliert wurde, wurde dumm-dreist verkündet, die Regulierung von Fraktions- und Gemeindegut in Agrargemeinschaften sei eine NAZI-Methode.

Die Regulierung der Fraktionsalpe Seeben durch kaiserliche Behörden in den Jahren 1910 bis 1917 entlarvt derartiges Geschwätz.

Reguliert mit Rechtsakten aus den Jahren 1912 und 1917 – eine Tiroler Besonderheit! Im Kampf gegen den „Gemeindeguts-Irrsinn“ hat selbst das nichts genützt:

Offensichtlich müssen die Behörden des Kaisers die kaiserliche Ortsgemeinde Mieming schon in den Jahren 1912 und 1917 bestohlen haben! So vermuten das jedenfalls die Tiroler Behörden heute, die Tiroler Agrarbehörde (2011) und der Landesagrarsenat (2012).

Die Tiroler Behörden haben ein „atypisches Gemeindegut“, dh: Substanzrecht der Ortsgemeinde Mieming, festgestellt; die Grundbesitzer von Untermieming wurden kurzerhand enteignet. „Kleinigkeiten“, wie ein 100jähriger Rechtsbestand, interessieren bei der Tiroler Landesregierung niemanden!

Tatsächlich kontakarriert die agrarische Operation „Seebenalpe“ (1910 bis 1917) trefflich die Behauptungen, wonach Alt-Landeshauptmann Eduard Wallnöfer und dessen „mastermind in Sachen agrarischer Operation“, Dr. Albert Mair, die Regulierung des Fraktions- und Gemeindeguts erfunden hätten – angeblich erfunden mit dem Ziel, die heutigen Ortsgemeinden zu bestehlen.

Genauso konterkariert diese Regulierung die dumm-dreisten Behauptungen von Tiroler Politikern, die agrarische Operation am Gemeinde- bzw am Fraktionsgut sei eine Methode des verbrecherischen NS-Staates, weshalb die NAZI gleichsam die Betriebsanleitung für die Gemeindeenteignung durch agrarische Operationen geliefert hätte.

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ wurde nämlich von 1910 bis 1917 durchgeführt, somit gänzlich durch die Behörden des seinerzeitigen kaiserlich-königlichen Vielvölker-Staates.

Den Nachbarn von Untermieming hat das bei den Bemühungen, die Enteignung zu verhindern, nichts geholfen. Fakten, die den Gemeindegut-Irrsinn als solchen entlarven würden, werden von der Tiroler Landesregierung und ihren Beamten hartnäckig ignoriert!

RÄUBERISCHE KAISERLICHE BEHÖRDEN?

Die Seebenalpe Mieming ist vorgetragen in EZ 69 Grundbuch Mieming. Eigentümerin der Alpe ist die Agrargemeinschaft Seebenalpe. Das Grundbuch gibt dazu folgende Hintergründe preis: „Aufgrund des Regulierungsplanes des k.k. Lokalkommissars für agrarische Operationen vom 23. November 1912 No 438/9 bestätigt mit Erkenntnis der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen vom 21. Februar 1917 Zl 105/1e aB wird das Eigentumsrecht für die Agrargemeinschaft Gemeinschaftsalpe-Seeben einverleibt.“

Reguliert mit Rechtsakten aus den Jahren 1912 und 1917 ist „Seebenalpe“ für Tirol eine Besonderheit! Anders als in Mähren, Kärnten oder Niederösterreich, haben die Tiroler Jahrzehnte lang kein Ausführungsgesetz zum Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz geschaffen.
Im Kampf gegen den „Gemeindeguts-Irrsinn“ am Mieminger Plateau hat jedoch selbst die kaiserlich-königliche Regulierung nichts genützt: Offensichtlich müssen die Behörden des Kaisers die kaiserliche Ortsgemeinde Mieming schon in den Jahren 1912 und 1917 bestohlen haben, anderenfalls die Tiroler Agrarbehörde (2011) und der Landesagrarsenat (2012) nicht „atypisches Gemeindegut“, dh: Substanzrecht der Ortsgemeinde Mieming, festgestellt hätten.

So jedenfalls die Theorie zu den heutigen Enteignungsmaßnahmen: Gestohlenes müsse zurück gegeben werden – so lautet der Erklärungsansatz der heutigen Agrargegner. Bezogen auf die Seebenalpe bedeutet das, dass die Tiroler Agrarbehörde im Jahr 2011 festgestellt haben will, dass die Seebenalpe im Jahr 1911 – exakt 100 Jahre vorher – ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde Mieming gewesen sei. Die Entscheidung der kaiserlichen Beamten sei deshalb verfassungswidrig gewesen.
Dieser Gedanke kling lächerlich; und er ist lächerlich.

Und: die wahren Verhältnisse sind ganz andere!
Die kaiserlichen Beamten wussten genau was sie tun. Bereits im Erkenntnis auf Einleitung des Regulierungsverfahrens vom 31. Oktober 1910 bringt die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen, besetzt mit Richtern und Agrarbeamten, klipp und klar zum Ausdruck, dass die Seebenalpe ein Eigentum der damaligen Nachbarn von Untermieming und Fiecht gewesen ist. Die rund 10 jahre zuvor entstandene Eigentumseintragung im Grundbuch auf „Fraktion Untermieming“ sei deshalb irreführend.

Die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde hat es damit geschafft, im Hype des Gemeindeguts-Irrsinns einen Eigentumsbestand auszuhebeln und auf den Kopf zu stellen, der mehr als 100 Jahre unangefochten Geltung hatte, der im Grundbuch seinen Ausdruck fand und in einer 100jährigen autonomen Verwaltung der Mitglieder. Hinzu kommen weit mehr als ein Dutzend Agrarbehördenbescheide.
Selbstverständlich hatte sich die Ortsgemeinde Mieming in diesen 100 Jahren nie in die Verwaltung des Gemeinschaftsgebietes eingemischt – kraft welchem Rechts auch?

Das alles schert die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde nicht. Die Seebenalpe sei im Eigentum der „Fraktion Untermieming“ gestanden. Kraft eines NS-Gesetzes, der Einführungsverordnung zur Dt. Gemeindeordnung vom 15.09.1938, sei die heutige Ortsgemeinde Mieming die Rechtsnachfolgerin dieser seinerzeitigen „Fraktion Untermieming“. Die Ortsgemeinde Mieming sei offensichtlich in ihrem Recht auf Rechtsnachfolge im Jahr 1938 verkürzt – die behördliche Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse war da ja bereits rund 25 Jahre alt.

Im Blick auf diese Rechtsverkürzung zu Lasten der Ortsgemeinde Mieming sei die Eigentumsentscheidung der kaiserlich-königlichen Kommissionen in den 1910er Jahren „offenkundig verfassungswidrig“. Diese offenkundige Verfassungswidrigkeit sei dadurch auszugleichen, dass der Regulierungsplan heute geändert und der Ortsgemeinde Mieming  heute ein „Substanzrecht“ zugestanden werden müsse.

Das alles ist kaum zu glauben, aber es ist die traurige Tiroler Wahrheit!

AGRARISCHE OPERATION SEEBENALPE

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ (1910 bis 1917) konterkariert trefflich die Behauptungen, wonach Alt-Landeshauptmann Eduard Wallnöfer und dessen „mastermind in Sachen agrarischer Operation“, Dr. Albert Mair, die Regulierung des Fraktions- und Gemeindeguts erfunden hätten. Genauso konterkariert diese Regulierung die dumm-dreisten Behauptungen, die agrarische Operation am Gemeinde- bzw am Fraktionsgut sei eine Methode des verbrecherischen NS-Staates, weshalb die NAZI gleichsam die Betriebsanleitung für eine Gemeindeenteignung geliefert hätten.

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ wurde von 1910 bis 1917 durchgeführt, somit gänzlich durch die Behörden des seinerzeitigen kaiserlich-königlichen Staates Österreich. Die Geschichte der Seebenalpe widerlegt damit schlagend, dass die Regulierung des Fraktions- und Gemeindeguts eine NS-Methode darstellen würde, um den so genannten „Reichsnährstand“ zu Lasten der übrigen Bevölkerung zu bereichern. Im negativen Sinn hervorgetan haben sich mit solchen dumm-dreisten Theorien die verbortesten Gegner der agrarischen Gemeinschaften, die seinerzeitigen Abgeordneten zum Tiroler Landtag, Dr. Andreas Brugger, Georg Willi und ein gewisser Ulrich Stern. Am 14.09.2012 verkündeten diese via Pressekonferenz gemeinschaftlich die Botschaft, dass die agrarische Operation am Fraktions- und Gemeindegut eine NAZI-Methode sei, erfunden in der NS-Zeit.
So zitierte die Tiroler Tageszeitung am Freitag, den 15. Juni 2012, Seite 4, die beiden Landtagsabgeordneten Brugger und Willi mit folgenden „Einsichten“: Die Methodik der ersatzlosen Enteignung der Gemeinden hätten die Nationalsozialisten in Osttirol erfunden und damit nach dem Krieg die Betriebsanleitung für die Landesbehörden in Nordtirol geliefert. Die Abgeordneten würden sich deshalb Wiedergutmachung des „NS-Unrechts“ erwarten, das dem politischen Ortsgemeinden in Tirol widerfahren sei.

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ entlarvt diese Thesen als blanken Unsinn!

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ macht aber auch deutlich, dass es gerade nicht Alt-Landeshauptmann Eduard Wallnöfer war, der die Regulierung des Fraktions- und Gemeindeguts „erfunden“ hat und auch nicht sein Berater in allen Agrarfragen, Dr. Albert Mair. Die agrarische Operation „Seebenalpe“ zeigt vielmehr, dass das Teilungs- und Regulierungsrecht bereits zur Zeit der Monarchie geschaffen und auch zur Zeit der Monarchie bereits angewandt wurde – angewandt ganz konkret auf eine Gemeinschaftsalpe, die der zuständige Lokalkommissär und alle Beteiligten ausdrücklich als eine „Fraktionsalpe“ beurteilt haben.

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ macht deutlich, dass eine angeblich verfassungswidrige Vorgehensweise der Agrarbehörden bereits in der k.k. Monarchie nachzuweisen ist – in Tirol und noch viel mehr in anderen Bundesländern. Beispielsweise berichtet Karl Gottfried Hugelmann in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1916 von rund 630 (!) abgeschlossenen agrarischen Operationen in Kärnten und von rund 350 solchen Operationen in Niederösterreich (Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1916, 126 ff Seite 154 bei FN 14).

Die agrarische Operation „Seebenalpe“ gibt damit einen wichtigen Anstoß, die zentrale Prämisse der „Theorie vom atypischen Gemeindegut“, kritisch zu hinterfragen, nämlich: „Ist das Fraktions- oder Gemeindegut tatsächlich zwingend ein wahres Gemeindeeigentum?“
Oder anders gefragt: „Hat erst der Verfassungsgerichtshof dieses Verständnis in das Agrarrecht eingeführt und hat der Gerichtshof damit den historischen Agrarbehördenbescheiden einen völlig verkehrten Inhalt gegeben?“

Erwiesener Maßen haben nämlich die Juristen der Kaiserzeit im Fall der Seebenalpe an einem „Fraktionsgut“ ein Eigentum einer Agrargemeinschaft festgestellt. Und den Juristen des Kaisers kann wohl unterstellt werden, dass diese wussten, wie das zur Kaiserzeit, nämlich im Jahr 1883, geschaffene Teilungs- und Regulierungsrecht (TRRG 1883) und das ebenfalls zur Kaiserzeit geschaffene Gemeinderecht aus der Zeit von 1862 bis 1866 richtig anzuwenden ist. Und den Juristen des Kaisers kann unterstellt werden, dass diese die im Jahr 1910 im Mieming abgeschlossene Grundbuchanlegung richtig zu deuten wussten.

1910: LANDESKOMMISSION ENTSCHEIDET

Zu Zl 609 ex 1910 hat die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen in ihrer Sitzung am 31.Oktober 1910 über den Antrag von 23 Mitbesitzern der Interessentschafts-Alpe Seeben auf Einleitung des Verfahrens betreffend die Regulierung der Verwaltungs- und Benützungsrechte, entschieden: Das Regulierungsverfahren im Sinne des Gesetzes vom 19. Juni 1909 L.G.Bl. N°61 wurde eingeleitet und der k.k. Bezirks-Oberkommissar Dr. Moriz Pirko in Innsbruck wurde als Lokalkommissär aufgestellt.“

Ausdrücklich stellt die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen in diesem Zusammenhang fest, dass die Seebenalpe im Grundbesitzbogen N°655 der Katastralgemeinde Mieming als Eigentum der „Ortschaften Untermieming und Ficht“ angeschriebenen war. Ausdrücklich führt die k.k. Landeskommission weiter aus, dass die Seebenalpe laut Instruierungverhandlung im Eigentum derjenigen Grundbesitzer stehe, die damals die Ortschaften Untermieming und Ficht bildeten. Das waren laut k.k. Landeskommission genau 37.

Wer nun glaubt, er könne schon für das Jahr 1910 die Entscheidungen der Agrarbehörden als Maßnahmen fehlgeleiteter Bauernfreunde hinstellen, die offenkundig verfassungswidrig über ein Fraktionsgut verfügen wollten, der geht gründlich in die Irre: Für den Kommissionsvorsitz war der Statthalter des Kaisers vorgehen, als Mitglieder ein Vertreter des Landesausschuss (heute Landesregierung), drei Mitglieder aus dem Richterstand und der Referent (§ 21 Tiroler TRLG).
Im Fall der „Fraktionsalpe Seeben“ waren im Jahr 1910 folgende Personen vom Kaiser berufen, um in der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen als Richter zu entscheiden:
als Stellvertreter des Vorsitzenden Statthalterei Vizepräsident Arthur Meusburger, und als weitere Mitglieder:
k.k. Oberlandesgerichtsrat Anton Müller,
k.k. Oberlandesgerichtsrat Dr. Karl Schandl,
k.k. Oberlandesgerichtsrat Konrad Lorenzoni,
Dr. Paul Freiherr von Sternbach als Landesausschußbeisitzer und
der k.k. Hofrat und Referent Adolf Freiherr von Rungg.
Gegenwärtig war noch der k.k. Statthalterei-Konzipist Dr. Karl Schönauer als Schriftführer.

Die Gründe für diese Entscheidung fasst das Erkenntnis knapp zusammen wie folgt: Der Antrag auf Einleitung des Regulierungsverfahrens ist von 23 Mitbesitzern der erwähnten, laut Instruierungverhandlung im Eigentum der zusammen 37, die Ortschaften Untermieming und Ficht bildenden Grundbesitzer, befundenen Alpe „Seeben“ gestellt und entspricht daher den Anforderungen der §§ 62 und 57 des Gesetzes vom 19. Juni 1909 L.G.Bl 61. Da ferner die gepflogenen Erhebungen ergeben haben, daß die Regulierung auch von wirtschaftlichem Vorteile sein wird, so daß im Sinne des § 64 des obzitierten Gesetzes und gemäß § 132 und 63 der Ministerialverordnung vom 12. März 1910 L.G.Bl. 28 der Einleitung des Regulierungsverfahrens zu verfügen. Gegen dieses Erkenntnis steht der binnen 14 Tagen an den der Zustellung nachfolgenden Tagen eingerechnet beim k.k. Lokalkommissär für agrarische Operationen in Innsbruck einzugehende und an die agrarische Lokalkommission zu richtende Rekurs offen. Innsbruck, am 6. November 1910. k.k. Landeskommission für agrarische Operationen. Der Vorsitzende.

WAS QUALIFIZIERT DIE „FRAKTIONSALPE SEEBEN“?

Unter dem 7. Juni 1912 erließ der k.k. Bezirkshauptmann als Lokalkommissär für agrarische Operationen Dr. Moritz Pirko zu No 109/1 ex 1912 das „Register der Anteilsrechte an der als Fraktions-Gut bewirtschafteten Gemeinschafts-Alpe Seeben“ – in der Gemeinde-Kanzlei in Mieming vom 12. Juni bis 26. Juni 1912 zur Einsicht aufgelegt.

Hinsichtlich der Anteilsrechte der Teilgenossen regelt der Bescheid Folgendes: „Die Teilgenossen sind an der vorbeschriebenen Weidenutzung in der Weise anteilsberechtigt, dass jeder derselben sein, auf dem Stammgute mit eigenem Futter überwintertes Vieh auf die Alpe auftragen kann. Sollte durch die Anmeldungen die Maximalzahl von 76 ½ Normalrinder und 500 Schafe überschritten werden, so ist der Gemeinschaftsausschuss berechtigt, die Anmeldung von trächtigen Kalbinnen zurückzuweisen. Eine ziffernmäßige Berechnung der Anteilsrechte wurde seitens der Alpinteressentschaft abgelehnt, nachdem eine solche mit dem Wesen dieser Gemeinschaftsalpe als Fraktions-Alpe unvereinbar ist.

Hinsichtlich der Teilnahme an den Lasten des Gemeinschaftsbesitzes wurde folgendes bestimmt: „Der Ertrag der Eigenjagd, welche gegenwertig einen Jagdpachtschilling von 350 K abwirft, ist ausschließlich für die Erhaltung und Verbesserung der Alpe zu verwenden.“ Und weiter: Die Kosten für Alpenverbesserungen sowie die Kosten des Regulierungsverfahrens, wie überhaupt sämtliche Auslagen, welche nicht in die Kategorie der laufenden Verwaltungskosten gehören, werden auf sämtliche Teilgenossen nach Maßgabe ihrer Grundsteuerschuldigkeiten umgelegt. Hingegen werden die jährlichen laufenden Verwaltungskosten, was als da sind: Hirtenlöhne, Salz, Kraftfutter, die gewöhnlichen jährlichen Instandhaltungsarbeiten an Wegen und Zäunen etc., ausschließlich von jenen bestritten, welche im Rechnungsjahr Vieh aufgetrieben haben; die Umlage erfolgt im Verhältnis zur Anzahl der aufgetriebenen Viehstücke, in Normalrinder umgerechnet.

DER GENERALAKT VOM 23.11.1912

Der „Generalakt betreffend die als Fraktionsgut bewirtschaftete Gemeinschafts-Alpe Seeben“ stammt vom 23.11.1912 Zl 438/9; erstellt hat diesen der Lokalkommissär für agrarische Operationen. Der General-Akt fasst das Regulierungsverfahren zusammen; er beschreibt alle wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Erstellt hat diesen der k.k. Bezirks-Oberkommissar Dr. Moriz Pirko.

Am 21.02.1917 bestätigt die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen diesen General-Akt wie folgt: „K.k. Landeskommission für agrarische Operationen. Zl 105/13. Innsbruck, 21. Februar 1917. Erkenntnis: Die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen in Innsbruck hat in der Sitzung vom 2. Juni 1913 unter dem Vorsitz des k.k. Statthalterei-Vizepräsidenten Adolf Freiherr von Rungg, in Gegenwart der Mitglieder: Anton Müller, k.k. Oberlandesgerichtsrat, Karl Prati, k.k. Oberlandesgerichtsrat, Dr. Karl Issotti, k.k. Landesgerichtsrat, Dr. Paul Freiherr von Sternbach, Landes-Ausschuss-Beisitzer, Dr. Gotthard Freiherr von An der Lan, k.k. Statthalterei-Sekretär und Referent, in Anwesenheit des Schriftführers Dr. Emil Hocevar, k.k. Statthalterei-Konzepts-Praktikant, im Sinn des § 96 DRV den Regulierungsplan betreffend die Alpe Seeben der Fraktion Untermieming mit dem Beisatz bestätigt, dass die Grundparzelle No 9535/3, welche ein Teil der mit der Weideservitut belasteten GP No 9535/2 der Katastralgemeinde Mieming bildet, und anlässlich der nunmehr erfolgten Grundbuchanlegung der Fraktion Untermieming ins Eigentum zugeschrieben wurde, ins Regulierungsgebiet aufzunehmen und festzustellen ist, ob dann überhaupt noch eine Weideservitut auf dem übrigen Teil der GP No 9535/2 bestehe.

Da die verlangte Ergänzung vom Lokalkommissär durchgeführt und im Einvernehmen mit den Parteien festgestellt wurde, dass auf dem restlichem Teil der ehemaligen Gp No 9535/2 eine Weideservitut zugunsten der Seebenalpe nicht besteht, so wird, da der Regulierungsplan nunmehr in rechtlicher und administrativer und ökonomischer Beziehung den gesetzlichen Bestimmungen vollkommen entspricht, die formelle Bestätigung des Regulierungsplans vollzogen. Für den k.k. Statthalter als Vorsitzenden: Dr. Böckels“

Das Grundbuchgesuch vom 21. April 1921

Unter dem 21. April 1921 richtete der Amtsvorstand der Agrar-Bezirks-Behörde Innsbruck I, Dr. Moriz Pirko, folgendes Grundbuchsansuchen an das Bezirksgericht Silz:

„Zusammenstellung der infolge der agrarischen Operation vorzunehmenden bücherlichen Veränderungen“, betreffend die Regulierung der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte an der Agrargemeinschaft „Seeben-Alpe“. Gerichtsbezirk: Silz, Katastralgemeinde Mieming, Grundbuchseinlage 69 II; in die agrarische Operation einbezogene Parzellen: 9535/3 9536/1 9537 9538. Im A-Blatt: bei Gp No 9536/1 ist anstelle der Kulturgattung Wald: „Alpe“ zu setzen.
Neue Eintragungen:
1. Hinsichtlich dieses Grundbuchskörpers ist das Verfahren zur Regulierung der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte im Sinn des Gesetzes vom 19.06.1909 LGBl 61 durchgeführt und besteht hierüber der mit Erkenntnis der k.k. Landeskommission für AO vom 21. Februar 1917 Zl 105/13 AO bestätigte Regulierungsplan des k.k. Landeskommissärs f. AO vom 23. November 1912 438/9.
2. Das aufgrund des § 125 des Gesetzes vom 19.06.1909 LGBl 61 sich gründende Verbot, die Anteilsrechte an dieser Agrargemeinschaft von den im Regulierungsplan bzw. in der Liste der unmittelbar beteiligten verzeichneten Stamm-Sitzliegenschaften ohne Bewilligung der Agrarbehörde abzusondern, wird angemerkt.
3. Aufgrund und nach Maßgabe der Servitutenregulierungsurkunde vom 21. September 1867 Nr 16.382/731 wird die Dienstbarkeit der Weide, der Schneeflucht, des Holzbezuges, der Weg-, Boden- und Viehtränkebenützung auf den Grundparzellen 2731, 2732, 2733, 2735, 2736, 2737, 2729 östlicher Teil, 2741, 2665, 2666 und 2684, KG Ehrwald zugunsten dieses Grundbuchskörpers einverleibt.
Im B-Blatte: Löschung der bisherigen Eintragung und neue Eintragung wie folgt: „Aufgrund des Regulierungsplans des Lokalkommissärs für agrarische Operation vom 23. November 1912 438/9, bestätigt mit Erkenntnis der k.k. Landeskommission für agrarische Operation vom 21. Februar 1917, Zl 105/13 wird das Eigentumsrecht für die Agrargemeinschaft „Gemeinschafts-Alpe Seeben“ einverleibt.
Alte Lasten: Löschung von Post-Zl 2 und 5.
Agrar-Bezirks-Behörde I. Innsbruck, am 21. April 1921. Der Amtsvorstand Dr. Moritz Pirko.

Dieser Grundbuchstand, hergestellt im Jahr 1921, blieb bis zum Jahr 1952 unverändert.

DER REGULIERUNGSPLAN 1952

Das Teilungs- Regulierungs- Landesgesetz von 1909 war im Jahr 1935 vom Flurverfassungs-Landesgesetz abgelöst worden. In Konsequenz der neuen Gesetzesgrundlage wurde der Generalakt von 1912 Anfang der 1950er Jahre überprüft. Mit Datum 2. Mai 1952 wurde auf neuer gesetzlicher Grundlage ein Regulierungsplan mit Verwaltungssatzungen erlassen. Das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft wurde darin bestätigt, ebenso die Mitglieder der Agrargemeinschaft. Unter dem 6.12.1952 wurde ob der Liegenschaft in EZ 69 Grundbuch Mieming aufgrund des Regulierungsplanes mit Verwaltungssatzungen vom 2. Mai 1952 der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz Zl III b – 270/28 das Eigentumsrecht für Agrargemeisnchaft Seebenalpe, Mieming, einverleibt; zusätzlich wurde eingetragen, dass diese Agrargemeinschaft aus den jeweiligen Eigentümern bestimmter Liegenschaften bestehe. Die Gemeinde Mieming als solche wurde nicht als beteiligte Miteigentümerin festgestellt und nicht im Grundbuch einverleibt.

Bis zum Jahr 2008 bestand dieser Rechtsstand unangefochten; auch in der II. Republik hat die Ortsgemeinde Mieming nie Anteilsrechte an der Seebenalpe behauptet oder für die Gemeinde als solche ausgeübt.

GEMEINDEGUTS-IRRSINN AUF DER SEEBENALM

Ungeachtet dieser Vorgeschichte wurde die Seebenalpe vom Hype um das angebliche atypische Gemeindegut überrollt. Am 21.04.2011 hat die Agrarbehörde entschieden, dass aus dem ehemaligen Eigentum der Ortsgemeinde Mieming heute ein Substanzrecht dieser Ortsgemeinde resultiere. Am 23.05.2012 hat der Landesagrarsenat diese Entscheidung bestätigt. Mit in Krafttreten der TFLG-Novelle 2014 per 1.7.2014 entscheidet und vertritt alleine der von der Ortsgemeinde bestellte Substanzverwalter.
Eine Jahrhundert lang praktizierte Selbstverwaltung der Nachbarn von Untermieming und Fiecht endet damit unter der Regierung Günther Platter II in der Kommunalisierung und Enteignung der Alm.

Im April 2009 wurde amtswegig ein Verfahren eröffnet, um bei Agrargemeinschaft Seebenalpe den Regulierungsplan im Sinn des Mieders-Verkenntnisses 2008 zu ändern. In diesem Verfahren wurde mit Bescheid vom 21.04.2011 der Agrarbehörde I. Instanz bei der Agrargemeinschaft Seebenalpe „atypisches Gemeindegut“ (Gemeindegut iS des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996) festgestellt; der Landesagrarsenat hat diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 23.05.2012 bestätigt.

Zur Begründung führte die Agrarbehörde I. Instanz Folgendes aus: Das heutige Liegenschaftsvermögen der Agrargemeinschaft Seebenalpe, vorgetragen in EZ 69 Grundbuch 80103 Mieming, sei Eigentum der „Gemeinde Fraktion Untermieming“ gewesen; dies u.a. aufgrund der Urkunde vom 10.11.1696! Die Agrarbehörde weiter: Für eine Beurteilung, ob die agrargemeinschaftlichen Grundstücke solche des Gemeindeguts im Sinn des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG seien, gelte es zu klären, ob die Fraktion Untermieming der Gemeinde Mieming eine Fraktion im gemeinderechtlichen Sinn gewesen sei. Gemeinderechtliche Fraktionen seien gem Art II § 1 Abs 1 der Verordnung vom 15.09.1938 über die Einführung der deutschen Gemeindeordnung im Land Österreich aufgelöst; der Rechtsnachfolger sei die Gemeinde.

Das ist schon überraschend: Im Jahr 2011 argumentiert die Tiroler Agrarbehörde ernstlich damit, dass die Nazi-Gemeindeordnung 1935, die im Jahr 1938 in Österreich in Geltung gesetzt wurde, zur Auflösung der ursprünglichen Eigentümerin der Seebenalpe geführt hätte. Es gelte zu klären, ob die Fraktion Untermieming der Gemeinde Mieming eine Fraktion im gemeinderechtlichen Sinn gewesen sei. Gemeinderechtliche Fraktionen seien gem Art II § 1 Abs 1 der Verordnung vom 15.09.1938 über die Einführung der deutschen Gemeindeordnung im Land Österreich aufgelöst; der Rechtsnachfolger sei die Gemeinde – so die Agrarbehörde im Bescheid von 2011.

Zur Klärung dieser Frage verwies die Agrarbehörde auf das Erkenntnis des Obersten Agrarsenats vom 03.05.1989. Der Oberste Agrarsenat hatte damals anhand des Gemeindelexikons von Tirol und Vorarlberg festgestellt, ob eine bestimmte „Fraktion“ tatsächlich gemeinderechtlicher Natur sei oder nicht. Wenn eine „Fraktion“ in diesem Lexikon aufgezählt sei, dann sei diese von gemeinderechtlicher Natur. Der Oberste Agrarsenat: Der Sinn dieses Lexikons liege in der Erfassung der politischen Gemeinden; dieses Lexikon sei kein Verzeichnis der Agrargemeinschaften! Weil eine „Fraktion Untermieming“ im Gemeindelexikon von Tirol und Vorarlberg aus dem Jahr 1907 ausgewiesen sei, müsse die Seebenalpe ein gemeinderechtliches Fraktionsgut gewesen sein.

Die Agrarbehörde führte im Bescheid dann noch Indizien für eine Gemeindeverwaltung an. Beispielsweise würden in der Urkundensammlung des Bezirkgerichtes Silz mehrere Verträge erliegen, wo in der zeit der Monarchie ein von der „Gemeindefraktion Untermieming“ geschlossener Kaufvertrag vom Tiroler Landesausschuss genehmigt worden sei usw. usf.

Der Landesagrarsenat begründet mit seiner bestätigenden Entscheidung vom 23.05.2012 den Bestand eines atypischen Gemeindeguts damit, dass die Agrarbehörde die Sebenalpe „als ein Fraktionsgut qualifiziert“ habe. Die überprüfte Haupturkunde vom 02.05.1952 würde zwar keine Qualifikation des Regulierungsgebietes enthalten; aus dem „Register der Anteilsrechte“ aus dem Jahr 1912 sei jedoch abzuleiten, dass das Regulierungsgebiet eine „Fraktionsalpe“ gewesen sei. Die Alpinteressenten hätten eine ziffernmäßige Berechnung der Anteilsrechte abgelehnt, da dies mit dem Wesen dieser Gemeinschaftsalpe als Fraktionsalpe unvereinbar sei. Der Landesagrarsenat wertete dies als Hinweis auf „Fraktionsgut“ und damit letztlich auf Eigentum der Ortsgemeinde Mieming.

Als weiteres Indiz für ein ehemaliges Gemeindeeigentum führt der Bescheid aus, dass sich im Generalakt von 1912 die Feststellung finde, dass sich die Auftriebsberechtigten nach der Gemeindeordnung bestimmt hätten: Die Teilgenossen seien nach § 63 Gemeindeordnung die jeweiligen Eigentümer sämtlicher innerhalb der Fraktion Untermieming und des Weilers Fiecht gelegenen behausten Güter, sofern sie dort ansäßig sind und zwar mit dem auf diesen Grundstücken mit eigenem Futter überwintertem Vieh.
Im Tiroler Gemeindeguts-Irrsinn ist es offensichtlich erlaubt, zu Lasten der Stammsitzeigentümer von einer Bewirtschaftungsform auf Eigentumsverhältnisse zu schließen.

Anknüpfend an diese Feststellung in den Bescheiden von 2011 und 2012 wurde das gesamte Gemeinschaftsvermögen der Agrargemeinschaft Seebenalpe bzw. ihrer Mitglieder mit Landesgesetz vom 14. Mai 2014, in Kraft getreten am 01. Juli 2014, Tiroler Landesgesetzblatt 70/2014 zugunsten der Ortsgemeinde Mieming enteignet; als Verwalter des agrargemeinschaftlichen Vermögens wurde ein sogenannter „Substanzverwalter“ eingesetzt Aufgabe dieses „Substanzverwalters“ ist es unter anderem, aus dem Substanzrecht Nutzen für die politische Ortsgemeinde Mieming zu ziehen. Dieser Substanzverwalter verfügt über die vorhandenen Geldersparnisse, über die laufenden Einnahmen aus der Jagd und aus der Verpachtung der Almwirtschaft.

Den gewählten Organen der Mitglieder, dem Obmann und dem Ausschuss, wurde die Vertretung und Geschäftsführung entzogen; die Mitgliederversammlung, seit einem Jahrhundert das Eigentümerorgan der Agrargemeinschaft Seebenalpe, ist aller wesentlichen Kompetenzen beraubt. Alle Entscheidungsgewalt liegt seit 01.07.2014 beim Gemeinderat; der politischen Ortsgemeinde Mieming stehen allfällige Erträgnisse aus dem Vermögen zu.

Und so wurde aus der Gemeinschaftsalpe Seeben, die seit dem Jahr 1912 als ein Eigentum von auftriebsberechtigten Mitgliedern verwaltet wurde, in den Jahren seit 2008 ein Gemeindeeigentum, eine „atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft“.

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MP

TEXT VERBERGEN

Virgen-Dorf: NS-Enteignung 2.0

1. Juli Landestrauertag

Agrargemeinschaften in Tirol. Enteignung der Tiroler Bauern
Wenn sich am 1. Juli 2019 die skandalösen Ereignisse des 1. Juli 2014 jähren, dann gibt das alljährlich Anlass zu besonderem Gedenken.
Per Tiroler Landesgesetz wurden im 21. Jahrhundert die Tiroler Agrargemeinschaften ausgeraubt. Mit den Agrargemeinschaften gemeinsam wurden tausende Tirolerinnen und Tiroler enteignet. Das Land wurde von Exzessen gegen das Bauerneigentum erschüttert – Machenschaften, die bisher nur aus der NS-Zeit bekannt waren.
Und das Absurde ist: Die Tiroler Agrarbehörde macht gar kein Hehl daraus, dass die Enteignungsmaßnahmen der Regierung Platter bei den Maßnahmen des NS-Unrechtsstaates gegen agrargemeinschaftliches Eigentum anknüpfen. Gut drei Viertel der Agrarbehördenbescheide, mit denen ein „atypisches Gemeindegut“ festgestellt wurde, zitieren die Deutsche Gemeindeordnung 1935 als eine wesentliche Rechtsgrundlage.
Die deutsche Gemeindeordnung 1935, ein NS-Kernunrecht, das zum 1. Oktober 1938 auch im „Land Österreich“ in Kraft gesetzt wurde, sei die Rechtsgrundlage dafür, dass während der NS-Zeit die „Fraktionen“, das waren alte Agrargemeinden, ihr Eigentum zu Gunsten der modernen Ortsgemeinden verloren hätten.
Grundlage des Staatsanschlages vom 1. Juli 2014 auf das Privateigentum in Tirol sind erfundene Fakten. Angeblich hätten die Bauern die Gemeinschaftsgüter den heutigen Ortsgemeinden geraubt. Es handelt sich um die erfundenen Fakten vom „Raub am Gemeindegut“.
An jedem 1. Juli soll den erschütternden Vorgängen des Jahres 2014 besonders gedacht werden.
Enteignet durch das Land Tirol
Der spektakuläre Raubzug des Landes Tirol gegen historisches Tiroler Gemeinschaftseigentum, welches „Gemeinde- bzw Fraktionsgut“ genannt wurde, ist untrennbar mit dem Datum: 01. Juli 2014 verbunden.
Tausende Hektar Gemeinschaftswald und viele Millionen EURO an ersparten Gemeinschaftsmitteln wurden auf einen Schlag durch das Land Tirol enteignet. Im Ergebnis wurden damit im Land Tirol Eigentumsverhältnisse geschaffen, wie diese nur in den historischen Grundherrschaften bekannt waren – die Politiker als die neuen Grundherren, die Tiroler Grundbesitzer und Bauern als blos Nutzungsberechtigte, denen ein Eigentum vom Land Tirol nicht (mehr) zugestanden wird.
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Die politische Hauptverantwortung für diesen Skandal trägt der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. Dieser hat ein ausschließlich auf falschen Tatsachen gründendes Verkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes, das „Mieders(V)erkenntnis 2008“, VfSlg 18.446/2008, zur Profilierung der eigenen Person verwendet. Sein gebetsmühlenartig wiederholtes Credo, dass das zu 100% auf Fake-News vom „geraubten Gemeindegut“ gründende Mieders(V)erkenntnis 2008″ auf Punkt und Beistrich“ umgesetzt werden müsse, versetzte die politische Landschaft und den Tiroler Boulevard zeitweise geradezu in die Raserei gegen das historische Bauerneigentum.
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Geradezu beängstigende Assoziationen weckten Massenaussendungen der LISTE FRITZ zum Thema „STOPPEN WIR DEN DIEBSTAHL AM VOLK“ und Ähnliches.
Tausende Tirolerinnen und Tiroler wurden in dem Wahn enteignet, dass deren Gemeinschaftseigentum den heutigen politischen Ortsgemeinden gestohlen worden sei.
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Ganz anders sind die Verhältnisse im angrenzenden Land Vorarlberg. Dort wusste die politische Landesführung die wahren Tatsachen und Fake-News zu trennen.
Das „Mieders(V)erkenntnis 2008“ des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes wurde in Vorarlberg einer mehrjährigen Prüfung unterzogen. Diese Prüfung hat ergeben, dass alle Sachverhaltsgrundlagen des „Mieders(V)erkenntnisses 2008“ für Vorarlberg nicht passen. Es wurde erkannt, dass das „Mieders(V)erkenntnis 2008“ in Vorarlberg unanwendbar ist. Keine einzige Vorarlberger GrundbesitzerIn wurde enteignet. Das agrargemeinschaftliche Vermögen blieb unangetastet.
Auch alle anderen Österreichischen Bundesländer ignorieren das Mieders(V)erkenntnis 2008 kräftig. In keinem einzigen Bundesland außerhalb Tirols wurden die Mitglieder der Agrargemeinschaften enteignet. Dies ungeachtet der Tatsache, dass sich die Agrarier in der Steiermark als weitere Enteignungsziele geradezu anbieten würden. Schließlich beherbergt die Steiermark mit der so genannten „Realgemeinde Leoben“ die zweitgrößte Agrargemeinschaft Österreichs. Auch dutzende „Urbarialgemeinden“ des Burgenlandes sollten lohnende Enteignungsziele sein!
Tatsächlich hat sich kein anderes Bundesland dazu hergegeben, die absurden und im Ergebnis lächerlichen Behauptungen zum angeblichen Substanzrecht der Ortsgemeinden umzusetzen.
Nur Tirol ist anders! Die politische Verantwortung dafür trägt Landeshauptmann Günther Platter.

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Wenn die Almen Trauer tragen

Nur Tirol ist anders – dieser besondere Aspekt des heutigen Tiroler (!) Agrarstreits kann nicht oft genug betont werden.

Das so genannte „Mieders(V)erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes 2008“ beansprucht unzweifelhaft bundesweite Beachtung. Dieses „Verkenntnis“ des VfGH stützt sich seinem Wortlaut nach auf das Eigentumsrecht und den Gleichheitssatz – beides Institutionen des Rechtsstaates, die in Tirol und außerhalb Tirols Geltung und Beachtung verlangen.

Ungeachtet dessen ignorieren alle anderen Bundesländer kräftig, dass aus den (angeblich) verfassungswidrigen Regulierungen der Agrargemeinschaften ein Substanzrecht der politischen Ortsgemeinden entstanden sei. Alle anderen Bundesländer ignorieren das „Atypische“, obwohl alle Landesregierungen ein und derselben Verfassung verpflichtet sind.

Offensichtlich hat man in den anderen Bundesländern die richtige Schlussfolgerung daraus gezogen, dass das „Mieders(V)erkenntnis 2008“ zur Gänze auf erfundenen Fakten beruht:  Auf einem erfundenen Gemeindeeigentum und auf einem erfundenen Behördenwillen, dieses Gemeindeeigentum in den Agrargemeinschaften zu bewahren und zu erhalten.

Hinzu kommt die offenkundig falsche und der historischen Wahrheit widersprechende Prämisse dieses Verfassungsgerichts(V)erkenntnisses, dass ein Gemeindegut zwingend ein Eigentum einer politischen Ortsgemeinde sein müsse. Diese Prämisse ist für das Agrarrecht falsch; diese Prämisse ist für das Gemeinderecht falsch: Ein Gemeindegut kann ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde sein; viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass ein Gemeindegut ein wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft ist.  Ein Gemeindegut erscheint in den öffentlichen Büchern als ein Eigentum der Ortsgemeinde; ob diese Eintragung richtig ist oder falsch, ob die Gemeinde wahre Eigentümerin ist oder „nackte Tabularbesitzerin“, ob ein wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft vorliegt oder eines Dritten, das hat alleine die Agrarbehörde zu entscheiden.

Wider die offenkundige historische Wahrheit ist es schließlich, wenn im (V)Erkenntnis VfSlg 9336/1982 behauptet wurde, das Gemeinderecht als solches stemple ein Gemeindegut zum Eigentum der Ortsgemeinde. Der historische Gesetzgeber hat weitreichende Bemühungen unternommen, um jeden Eindruck zu beseitigen, dass das Gemeinderecht in irgendeiner Weise die Einzelfallentscheidung der Agrarbehörde präjudizieren könne. Der Standpunkt des Verfassungsgerichts, dass die (Landes-)Gemeindeordnungen ein Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde definieren würden, ist schlicht falsch. Tatsächlich wurden die (Landes-) Gemeindeordnungen systematisch an das moderne Flurverfassungsrecht angepasst.

Wen wundert es, dass das „Mieders-(V)Erkenntnis 2008“ in allen anderen Bundesländern kräftig ignoriert wird. Es scheint so, als würde dieses auf „Fake-News“ gegründete (V)Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes in den anderen Bundesländern nicht existieren.

Bezeichnend ist, dass von den anderen Bundesländern überhaupt nur Vorarlberg in eine öffentliche Diskussion über das Mieders(V)erkenntnis eingetreten ist. Nach gründlicher Analyse der wahren historischen Fakten ist dann freilich nichts passiert. Keine Vorarlbergerin wurde um das „Substanzrecht“ enteignet!

Nur in Tirol glaubt man an die räuberische Agrarbehörde!

 

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<em>MP</em>

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Mieming: Kaiserlicher Raub?

 

MP

Graf Paris von Lodron und die Gemeind und Nachbarschaft Unterlangkampfen

Paris Graf von Lodron (* 16.08.1638 in Salzburg; † 9. 10. 1703), aus dem Geschlecht Lodron. Die Familie Lodron führt ihre Abstammung auf altrömische Patrizier zurück. Diesem Geschlecht entstammen der Fürsterzbischof von Salzburg, Paris von Lodron (1586 –1653), der Fürstbischof von Brixen, Karl Franz von Lodron (* 1748; † 1828) und der Landespräsident von Kärnten, Caspar Graf von Lodron-Laterano (1815–1895). Die Errichtung der Stammsitze Castel Laterno-Lodron und Castell Romano in Lodrone (Judicarien, Trentino) soll auf Paris und Annilius zurückgehen, Söhne des römischen Senators Plautius Lateranus; dieser beteiligte sich im Jahr 65 als designierter Consul an einer gescheiterten Verschwörung gegen Kaiser Nero, die mit der Hinrichtung von Plautius Lateranus und seinen Mitverschwörern im Jahr 65 endete und die plausibel macht, warum dessen Söhne Rom verlassen haben, um sich in Judicarien anzusiedeln.  Paris Graf von Lodron (* 1638; † 1703) war der Neffe des gleichnamigen Fürsterzbischofs von Salzburg. Seine im Jahr 1660 mit Maria Constantia Gräfin Lamberg geschlossene Ehe blieb ohne Erben und Paris von Lodron provozierte einen handfesten Skandal: In seinem Haus in Wien hat er die Frau eines gewissen Gottfried Feldheim zurückgehalten; im Oktober 1674 brachte er diese – offensichtlich nicht ganz gegen ihren Willen – nach Innsbruck, wo sich das Paar ein halbes Jahr verbarg. Als der Ehegatte den Paris verklagte, verurteilte ihn der geheime Rat des Kaisers am 30. September 1681 zur Zahlung einer Strafe von 6000 Taler, Prozesskostenersatz und zur Zahlung von 1000 Taler an Gottfried Feldheim. Der Graf scheint das Urteil verschmerzt zu haben! Paris von Lodron hielt sich die meiste Zeit in Wien oder in Innsbruck auf; in der Zeit von 1695 bis 1703, während derer er in Gmünd, Kärnten, die Lehensherrschaft führte, erwirkte er eine Erlaubnis vom Kaiser Leopold, Gmünder Eisen und Stahl ins Pustertal und in das Etschland auszuführen. Paris Graf zu Lodron starb im Jahr 1703; der Leichnam wurde am 24. Oktober dieses Jahres nach Salzburg überführt und dort bestattet.  Paris Graf von Lodron war wirklicher Kämmerer seiner röm. Kaiserlichen Majestät  und obrister Jägermeister der ober- und vorderösterreichischen Lande. Kraft dieses Amtes bestätigte er den Bauern von Unterlangkampfen das Eigentum an einer Au, die die oberösterreichische Hofkammer diesen zuerkannt hatte. (Juli 1670)
Paris Graf von Lodron (* 16.08.1638 in Salzburg; † 9. 10. 1703), aus dem Geschlecht Lodron. Die Familie Lodron führt ihre Abstammung auf altrömische Patrizier zurück. Diesem Geschlecht entstammen der Fürsterzbischof von Salzburg, Paris von Lodron (1586 –1653), der Fürstbischof von Brixen, Karl Franz von Lodron (* 1748; † 1828) und der Landespräsident von Kärnten, Caspar Graf von Lodron-Laterano (1815–1895). Die Errichtung der Stammsitze Castel Laterno-Lodron und Castell Romano in Lodrone (Judicarien, Trentino) soll auf Paris und Annilius zurückgehen, Söhne des römischen Senators Plautius Lateranus; dieser beteiligte sich im Jahr 65 als designierter Consul an einer gescheiterten Verschwörung gegen Kaiser Nero, die mit der Hinrichtung von Plautius Lateranus und seinen Mitverschwörern im Jahr 65 endete und die plausibel macht, warum dessen Söhne Rom verlassen haben, um sich in Judicarien anzusiedeln.
Paris Graf von Lodron (* 1638; † 1703) war der Neffe des gleichnamigen Fürsterzbischofs von Salzburg. Seine im Jahr 1660 mit Maria Constantia Gräfin Lamberg geschlossene Ehe blieb ohne Erben und Paris von Lodron provozierte einen handfesten Skandal: In seinem Haus in Wien hat er die Frau eines gewissen Gottfried Feldheim zurückgehalten; im Oktober 1674 brachte er diese – offensichtlich nicht ganz gegen ihren Willen – nach Innsbruck, wo sich das Paar ein halbes Jahr verbarg. Als der Ehegatte den Paris verklagte, verurteilte ihn der geheime Rat des Kaisers am 30. September 1681 zur Zahlung einer Strafe von 6000 Taler, Prozesskostenersatz und zur Zahlung von 1000 Taler an Gottfried Feldheim. Der Graf scheint das Urteil verschmerzt zu haben! Paris von Lodron hielt sich die meiste Zeit in Wien oder in Innsbruck auf; in der Zeit von 1695 bis 1703, während derer er in Gmünd, Kärnten, die Lehensherrschaft führte, erwirkte er eine Erlaubnis vom Kaiser Leopold, Gmünder Eisen und Stahl ins Pustertal und in das Etschland auszuführen. Paris Graf zu Lodron starb im Jahr 1703; der Leichnam wurde am 24. Oktober dieses Jahres nach Salzburg überführt und dort bestattet.
Paris Graf von Lodron war wirklicher Kämmerer seiner röm. Kaiserlichen Majestät und obrister Jägermeister der ober- und vorderösterreichischen Lande. Kraft dieses Amtes bestätigte er den Bauern von Unterlangkampfen das Eigentum an einer Au, die die oberösterreichische Hofkammer diesen zuerkannt hatte. (Juli 1670)

 

I. Wie die Agrargemeinschaft Unterlangkampfen Eigentum an einer „kleinen Aue“ erworben hat

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1. Urkunde Nr 8 aus dem Gemeindearchiv von Unterlangkampfen, transkribiert von Sebastian Hölzl, 1995

Ich, Paris Graf zu Lodron, Kastell Roman. Herr zu Castellan, Kastell Novo, Gmünd, Sommeregg und Piberstein, der röm. Kaiserlichen Majestär, auch zu Ungarn und Böheim königlicher Majestät wirklicher Kämmerer und obrister Jägermeister der ober- und vorderösterreichischen Landen, bekenne hiermit von obtragenden Obristjägermeisteramtswegen, daß eine löbliche o. ö. Hofkammer auf beschehenes untertänig gehorsames Anlangen der ehrsamen Gemeind und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen, Landgerichts Kufstein, kraft dero an das Obristjäger- und Obristforstmeisteramt der ober- und vorderösterreichischen Landen unterm dato 16. Monatstag Juni dies zu End stehenden 1670. Jahrs ergangenen Dekrets verwilliget und befolchen, ihr Gemein und Nachbarschaft zu besagtem Unterlangkampfen eine kleine Aue daselbst zu Zurichtung eines Wiesmahds auszustecken und zu verleihen.

WORÜBERHIN und zu dessen gehorsamsten Vollzug ich nämlich ermeldte. Au, welche sich anfangt von der Aichen, so in Georg Adamers Gießenacker im Mitterfeld auf dem Rain oder Anewand steht, in welche Eiche ein Kreuz eingehaut, über den Gießen hinüber auf dem Egg, gegen dem Pleypach stehend, allwo ein Markstein stehet, von diesem der Gerade nach hinauf bis an gedachtes Mitterfeld auf der Burg beim Zaunegg, alldahin auch ein Markstein gesetzt worden, von dem 37 Schritt weit ein Kerschbaum steht, und darin auch ein Kreuz eingehackt ist. Sodann in der Prete vom Innstrom, allwo ein Markstein mit einem Kreuz steht, hinüber auf zwei Eichbäume, deren der untere gegen den besagten Pleypach auf einem Acker, so in das Stadlgütl gehörig, und der obere auf Georg Adamers Grund, beide auch in obbenanntem Mitterfeld am Stein stehet, unter dem und zwischen solchem Mitterfeld und oftberührter Au ein Gießen sich befindet. Und begreift solche Au in sich in der Länge 180 und zwerchs in der Breite 60 Klafter, alles der gewöhnlichen Amtsmaßerei gerechnet, mehrbesager Gemeind und Nachbarschaft, allen ihren Erben und Nachkommen hiermit ordentlich verliehen habe.

VERLEIHE demnach im Namen mehrhochgedachter löblichen oberösterreichischen Hofkammer von obtragendem obristen Jägermeisteramts wegen vorgemeldter Gemeind und Nachbarschaft zu Vndterlang Kampfen, allen ihren Erben und Nachkommen solch ausgesteckte Au zu einem ewigen Erbrecht in erbrechtsweis, wie Inhalt und vermög tirolischen Landrechts es beständiges Forms immer wohl sein, geschehen kann, auch soll und mag. DERGESTALTEN UND ALSO, daß mehrgedachte Gemeind und Nachbarschaft, ihre Erben und Nachkommen obausgesteckte Au reiten, räumen und zu einem Wiesmahd zurichten, solches innhaben, gebrauchen, nutzen und nießen sollen und mögen, es sei mit Verkommen, Verkaufen, Versetzen, Verwechseln, Vertauschen oder in ander gebührender Weg, damit gefahren und handeln, wie Recht ist, unverhindert meniglichens.

HINENTGEGEN aber mehrgemeldte Gemeind und Nachbarschaft, ihre Erben und Nachkommen schuldig und verbunden sein, hievon in das herrschaftliche Zoll, Wechsel- und Urbaramt zu Kufstein zu jährlichem Grund- und Herrenzins 24 Kreuzer allwegen zu Martini des hl. Bischofstag und Anno 1672 das erste Mal anzufangen, unwidersprechlich zu reichen, zu erlegen und zu antworten.

AUCH WANN gehörte Gemeind und Nachbarschaft, ihre Erben und Nachkommen solchen Flecken Grund oder Au zu verkaufen, zu verwechseln oder sonst zu verändern gedacht sein würden, solches jederzeit mehrerholter Grundherrschaft vor allen gebührlich anzuzeigen und feilzusprechen. Da aber ihr der Grundherrschaft solcher Grund oder Au nicht annehmlich sein würde, alsdann mit deren erlangtem Konsens und Verwilligung jemand andern zu verkombern und zu verkaufen haben. Zum Fall über lang oder kurz solcher Grund oder Au durch den Innstrom ganz hingefleßt werden sollte, sie alsdann gehörten Grundzins der 24 Kreuzer nicht mehr zu reichen schuldig sein sollen. GESTALTEN DEME ALLEM ganz wahr, fest, stets und unzerbrochen zu halten und nachzukommen. Sie mehrgemeldte Gemeind und Nachbarschaft genugsamlich verreversiert und verschrieben hat. ALLES GETREULICH OHNGEFÄHRDE zu wahrem Urkund dessen, hab ich von obtragendem Obristjägermeisteramts wegen mein gräfliches angebornes Insiegel (doch mit, meinen Erben und Insiegel außer des Amts in allweg ohne Schaden) anhängen, diesen Verleihbrief damit bekräftigen und also verfertigter ihnen letztgedachten Gemeindsleuten zu Unterlangkampfen zustellen lassen.

So beschehen zu Ynsprugg, den 1. Monatstag Juli nach Christi unsers lieben Herrn und Seligmachers freudenreicher Geburt im 1670. Jahr.

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2. Urkunde Nr 9 aus dem Gemeindearchiv von Unterlangkampfen, transkribiert von Sebastian Hölzl, 1995

1670 Juli 31

Wir N. und N. eine gesamte ehrsame Gemein und Nachbarschaft zu Vnnterlangkampfen, Gerichts Kuefstain BEKENNEN hiemit kraft dieses (Briefs) für uns, unser Erben und Nachkommen: Demnach eine löbliche oberösterreichische Hofkammer auf unser beschehenes untertänig gehorsames Anlangen, laut dero an das Obristjäger- und Obristforstmeisteramt der ober- und vorderösterreichischen Landen unterm dato 16. Monatstag Juni dies zu End stehenden 1670isten Jahrs verwilligt eine kleine Au daselbst zu Unterlangkamopen zur Zurichtung eines Wiesmahds auszustecken und zu verleihen. Als ist uns auch von ersagtem obristen Jäger- und obristen Forstmeisteramt solche Aussteckung wirklich geschehen und uns hierum der gebührende Vergleichsbrief erteilt worden, welcher von Wort zu Wort lautet:

ICH PARIS GRAF ZU LODRON … (es folgt das Inserat der Urkunde Nr. 8, vgl. S. 37)

Hierauf so geloben, zusagen und versprechen wir obgemeldte gesamte Gemeind und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen für uns, unser Erben und Nachkommen, deme allem, was in vorinseriertem Vergleichsbrief begriffen ist und uns verbindlich auferladen worden (ist), ganz wahr, fest, stets und unzerbrochen zu halten, nachzukommen, zu leben und hierwider nichts anders fürzunehmen oder zu handeln, bei Pön oder Fälligkeit und Verlierung jedes Verwirkers habende Baumannsgerechtigkeit. OHNGEFÄHRDE zu wahrem Urkund dessen, haben wir
dem wohledel, gestrengen Herrn Francise Leitgöb, der Rechte Doktor, auch Stadt- und Landrichter erbeten, zu Bekräftigung dieses Reversbriefes sein Insiegel, doch ihme Herrn Landrichter und seinen Erben, außer des Amts ohne Schaden, hinfürzudrucken.
So beschehen zu Kufstein, den letzten Monatstag Juli, Anno sechzehnhundertsiebenzigist.

Daß diese Abschrift von dem Originalreversbrief abgeschrieben und ganz gleichlautend, hat obgemeldter Herr Stadt- und Landrichter Dr. Franz Leitgeb von Amts wegen sein eigen Petschaft hiervorgestellt. Actum, den 7. Jänner Anno 1671.

(Pap.-Libell 6 Bl. beglaubigt, mit aufgedr. S.) RV: Abschrift Revers von der Gemein und Nachbarschaft Unterlangkampfen; alte Sign. 12. Wortgetreue Transkription S. Hölzl

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Fortsetzung folgt.

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MP

„Fraktionen“ im Grundbuch

Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“, hat die Tiroler Grundbuchanlegung gründlich erforscht.
Dabei ging er auch den Phänomen der „Fraktion“ auf den Grund.

 

I. Allgemeines

Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung die Ansicht, dass im Zuge der Grundbuchsanlegung in Tirol bei der Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)

Daran anknüpfend verstand die Tiroler Landesregierung das „Gemeindegut“ nur als eine von mehreren möglichen „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“ und als Ergebnis historischer Zufälligkeit. Hier interessiert nun nicht diese irreführende Verwendung des Begriffs „Gemeindegut“ (Vgl Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 226ff ), sondern der vorangegangene Befund, also die Einschätzung einerseits der Grundbuchsanlegung, andererseits der ihr zugrunde liegenden wahren Eigentumsverhältnisse.

Die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung geht wohl maßgeblich auf Albert Mair zurück, den langjährigen Leiter der Tiroler Agrarbehörde. Er hatte schon 1958 zur Tiroler Grundbuchsanlegung von „mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre“ berichtet; daher liege „es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg) Die Agrargemeinschaften in Tirol, 2010, 24)

Dieser Beitrag soll die Behandlung der Gemeinschaftsliegenschaften bei der Tiroler Grundbuchsanlegung beleuchten.


II. Zum Fraktionsbegriff

1. Allgemeines

Das aus dem lateinischen „frangere“ (=brechen) abgeleitete Wort „Fraktion“ hat mehrere, wenngleich verwandte Bedeutungen; es ist also ein Polysem (König, dtv-Atlas Deutsche Sprache, 12. Auflage München 1998, 23; Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 3. Auflage Mannheim etc 1996, 531f ) – nicht weniger als die Begriffe „Gemeinde“ oder „Gericht“.

Heute ist „Fraktion“, sieht man von der Verwendung dieses Ausdrucks auf naturwissenschaftlichen Gebieten (zB der Chemie) ab, vor allem als organisatorische Gliederung in Parlamenten bekannt. Ausserhalb – und noch vor – seiner parlamentarischen Bedeutung fand das Wort „Fraktion“ in der Rechtsgeschichte für zumindest zwei (verwandte) Phänomene Verwendung, wie bislang eher spärliche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Einerseits konnte damit nach historischem öffentlichen Gemeinderecht ein Teil der modernen politischen Ortsgemeinde definiert werden, andererseits wurden – noch vor Schaffung des modernen Gemeindewesens ab 1849 – auch rechtspersönliche Gemeinschaften („moralische Personen“ im Sinne des ABGB) mit diesem Begriff gekennzeichnet. (Kohl, Die Forstservituten-Ablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 129 f; Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488–511, hier 497f. Vgl auch § 33 Abs 1 TFLG: „…von den Mitgliedern einer Nachbarschaft, einer Interessentschaft, einer Fraktion oder einer ähnlichen Mehrheit von Berechtigten (…) genutzt werden“: Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 265ff, 267)

In Tirol war der Begriff „Fraktion“, wie einschlägige Untersuchungen von August Unterforcher und Josef Egger zu den alten Benennungen der Dörfer, Gemeinden und ihrer Unterabteilungen zeigen, ursprünglich nicht gebräuchlich. (Vgl Unterforcher, Wie man in Tirol in früherer Zeit die Theile der Gemeinde oder die Gemeinden selbst benannte, Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, 3. Folge, 41. Heft, Innsbruck 1897, 187–216; Egger, Die alten Benennungen der Dörfer, Gemeinden und ihrer Unterabtheilungen sowie die gleichlaufenden Namen von Gerichtsbezirken und Gerichtstheilen in Tirol, Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, 3. Folge, 41. Heft, Innsbruck 1897, 217–277, erwähnt nur abschließend die „neuen Namen Fractionen oder Parzellen“ (277). Vgl jedoch Kühebacher, Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte 1: Die geschichtlich gewachsenen Namen der Gemeinden, Fraktionen und Weiler (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 1), 2. Auflage 1995)

Das Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819 kannte „Fraktionen“ jedenfalls noch nicht. (Tiroler Gemeinderegulierungspatent 1819, ProvGSTirVbg 1819/CLXVIII ) Im politischen Gemeinderecht setzte die Bedeutung dieses Begriffes somit erst mit Inkrafttreten des Provisorischen Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 ein. (RGBl 1849/170. § 5 dieses Gesetzes lautete wie folgt: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ vgl. weiters TGO 1866, § 65 LGBl/Tirol 1866/1 und LGBl/Tirol 1893/32 (dieses sog „Fraktionsgesetz“ setzte Fraktionen nur mehr voraus: siehe unten V.3.) sowie LGBl/Tirol 1895/19) Möglicherweise waren Problem und Begriff der Fraktionen dem Schöpfer des ProvGemG 1849, Franz Graf Stadion, während seiner Dienstzeit im Küstenland begegnet. (Zu Stadion: Lippert, Franz Ser. Graf von Stadion-Warthausen, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, XIII, Wien 2007, 69; Charmatz, Franz Graf von Stadion, in: Allgemeine Deutsche Biographie 55, Leipzig 1910, 228ff)

Theodor Veiter hatte sich vor bald 60 Jahren ausführlich mit dem Problem der Fraktionen beschäftigt, wobei er offensichtlich davon ausgegangen war, dass „Fraktion“ und „Ortschaft“ synonyme Rechtsbegriffe wären – worauf bereits der Klammerausdruck im Titel seiner Arbeit hinwies. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff ) Hinter den gleichen Begriffen erkannte er jedoch verschiedene Phänomene: Vom gemeinderechtlichen Begriff der Ortschaft (Fraktion) sollte jene „Ortschaft (Fraktion), die Träger von Sondervermögen ist“, streng unterschieden werden. Fraktionen als Träger von Sondervermögen seien nämlich kein bestimmter Gebietsteil einer Gemeinde, sondern „die rechtspersönliche Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Bürger räumlich bestimmter, mit den Gemeindegrenzen nicht notwendig zusammenfallender, in der Regel aber nur Gemeindeteile umfassender Gemeindegebiete“, wobei diesen Bürgern nach alter Übung Vermögensnutzung und ideeller Anteil an der Nutzungs-Substanz des Sondervermögens zukommen würde. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff, hier 497f )

Die Fraktion als Trägerin von Sondervermögen sei also – so Veiter – eine „rechtspersönliche Gemeinschaft nutzungsberechtigter Bürger“. Diese Definition einer Fraktion als Trägerin von Liegenschaftseigentum entspricht dem Begriff der historischen „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“, also der moralischen Person gem §§ 26f ABGB, gebildet aus gemeinschaftlich berechtigten Gliedern. (Zur Dogmatik der „Gemeinde nbR“: Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 154 ff; Kohl, Überlegungen zur „Gemeinde“ der Tiroler Forstregulierung, in: Olechowski / Neschwara / Lengauer (Hrsg), Grundlagen der österreichischen Rechtskultur. Festschrift für Werner Ogris zum 75. Geburtstag, Wien-Köln-Weimar 2010, 201ff)
Überzogen ist freilich die Annahme Veiters, wonach des Vorhandensein von „Sondervermögen“ zwingend den Ausschlag geben würde, das zu beurteilende Gebilde nicht als Einrichtung des politischen Gemeinderechtes zu qualifizieren. Die Existenz eines solchen Sondervermögens kann als reines Faktum kaum ein tragfähiges Unterscheidungskriterium sein – auch die Rechtspersönlichkeit des Menschen ist bekanntlich nicht von seinen Vermögensverhältnissen abhängig.

Zu unklar erscheint auch das zweite Element von Veiters „Definition“: Wenn Veiter nämlich (über)vorsichtig annimmt, dass es sich bei der Fraktion ausserhalb des politischen Gemeinderechts um eine Gemeinschaft von Bürgern „räumlich bestimmter, mit den Gemeindegrenzen nicht notwendig zusammenfallender, in der Regel aber nur Gemeindeteile umfassender Gemeindegebiete“ handle, so ist damit letztlich fast gar nichts mehr ausgesagt. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff ) Einerseits suggeriert der Begriff „Bürger“ eine bestimmte Gemeindezugehörigkeit, andererseits kann diese keine Bedeutung haben, wenn das räumliche Naheverhältnis mit den Gemeindegrenzen in keinem Zusammenhang steht. Für eine Bürgergemeinschaft, die auch gemeindeübergreifend organisiert sein kann, spielt Gemeindebürgerschaft keine Rolle. Weiters ist zu berücksichtigen, dass jedes Grundstück, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, einem bestimmten Gemeindegebiet zugeordnet ist, demnach einen „Gemeindeteil“ bildet – die Bezugnahme auf „in der Regel nur (…) Gemeindeteile umfassende Gemeindegebiete“ hat also keine Aussagekraft. Es ist nicht anzunehmen, dass Veiter beispielsweise Wohnungseigentümergemeinschaften als Fraktionen definieren wollte, obwohl es sich dabei zweifellos um Gemeinschaften von Bürgern bestimmter Gemeindeteile handelt, die Träger von Vermögensrechten sind. All dies zeigt, dass Normen des politischen Gemeinderechts seit 1849 die „Fraktion als Trägerin von Sondervermögen nutzungsberechtigter Bürger“ nicht erklären können. Ein Phänomen, das gemeindegrenzüberschreitend organisiert sein kann, bedarf jedenfalls einer anderen Erklärungsgrundlage.

2. Erster empirischer Befund: „Fraktionen“ im modernen Grundbuch

Das elektronische Grundbuch weist gegenwärtig für Tirol einen Stand von etwa 75 verschiedenen Eigentumsträgern aus, die sich durch ihre Zusatzbezeichnung „Fraktion“ erfassen lassen. Für Vorarlberg tauchen noch einige wenige solche Erscheinungen auf; in den anderen Bundesländern können sie nicht (mehr?) nachgewiesen werden. Ein beträchtlicher Teil der Tiroler „Fraktionen“ zeichnet sich durch eine spezifische Anmerkung im A2-Blatt aus, nämlich eine „Unterdenkmalschutzstellung“ samt Zusatzbezeichnung „Kapelle“ in Verbindung mit dem Namen des lokalen Schutzpatrons. Dies trifft etwa auf die zwei „Fraktionen“ im Grundbuch Breitenwang zu: Die „Fraktion Lähn“ ist Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 113, „Unterdenkmalschutzstellung Ortskapelle Koloman“, die „Fraktion Mühl“ Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 114 mit der „Ortskapelle hl Antonius“. Im Grundbuch Roppen finden sich gleich drei derartige „Kapellenliegenschaften“, nämlich die EZ 185 im Eigentum der „Fraktion Waldele“ mit Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle hl Markus in Waldele, die EZ 252 im Eigentum der „Fraktion Leckpuit“ samt Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle in Leckpuit sowie die EZ 253 im Eigentum der „Fraktion Ötzbruck“ mit Denkmalschutz hinsichtlich Kapelle hl Antonius in Ötzbruck.

In diesem Zusammenhang scheint sich auch Theodor Veiters Annahme, dass „Fraktion“ und „Ortschaft“ Synonyme wären, zu bestätigen. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff) Interessanter Weise finden sich im modernen Grundbuch Tirols nämlich insgesamt 17 zugunsten von „Ortschaften“ einverleibte Liegenschaften, bei denen mehrheitlich ebenfalls die Anmerkung einer „Unterdenkmalschutzstellung“ erfolgte und ein Rückschluss auf „Kapellenliegenschaften“ möglich ist. (Bemerkenswert ist, dass das heutige Grundbuch sogar Miteigentum solcher „Ortschaften“ an offensichtlichen Kapellenliegenschaften ausweist wie im Fall der EZ 297 GB Mieming, „Ortskapelle Zein“, welche im ideellen Miteigentum je zur Hälfte der „Ortschaften“ Tabland und Zein stehen soll)

Angesichts der Vielzahl solcher Fälle stellt sich die Frage, ob die „Kapellenliegenschaft“ die typische Erscheinung des seinerzeit von Veiter beschriebenen Phänomens sein könnte, ob also „Fraktionen“ oder „Ortschaften“ typischerweise (nur) als Eigentümer von „Ortskapellen“ begegnen. Dies wird man verneinen müssen: Gerade bei den Ortskapellen ist nämlich keine einheitliche Linie bei der Erfassung der Eigentümer erkennbar. Solche Objekte befinden sich einerseits auch im Eigentum von „Nachbarschaften“ (ZB Nachbarschaft Penning als Eigentümerin der Liegenschaft in EZ 78 GB Hopfgarten Land ), andererseits wurde eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Ortskapellen bei der Grundbuchsanlegung überhaupt als Rechtssubjekt und Eigentumsträger ihrer eigenen Grundfläche erfasst, sodass also nun die „Kapelle als solche“ ihre eigene Eigentümerin ist. So steht die EZ 530 GB 80001 Arzl im Eigentum der „Kapelle Maria-Hilf zu Timmels“; daneben gibt es zahlreiche andere Beispiele. (ZB EZ 220 GB Sölden, als Eigentümerin einverleibt „Maria-Schnee Kapelle“; EZ 321 GB Matrei-Land, als Eigentümerin einverleibt „Herz-Jesu Kapelle in Bühel“; EZ 326 GB Matrei-Land, als Eigentümerin einverleibt „St. Anna-Kapelle in Proßegg“; EZ 335 GB Matrei-Land, als Eigentümerin einverleibt „Kapelle Maria Schnee in Gschlöß“)

Dass die Eigentümer solcher Kapellen – unabhängig von ihrer Benennung – jedenfalls ursprünglich keine Einrichtungen der modernen politischen Ortsgemeinde gewesen sein können, ergibt sich schon aus dem jeweiligen Alter der Bauwerke. Diese Erkenntnis macht gerade für die „Fraktion“ als Eigentümerin einer „Kapellenliegenschaft“ deutlich, dass die unkritische Annahme, jede Eigentümerbezeichnung in Verbindung mit dem Wort „Fraktion“ würde automatisch Eigentum der Ortsgemeinde als Rechtsnachfolgerin historischer politischer Ortsfraktionen indizieren, verfehlt ist.
Dies anerkennen auch die heutigen politischen Ortsgemeinden, wenn sie in der Regel keinerlei Veranlassung sehen, hinsichtlich solcher Kapellenliegenschaften in Rechtsnachfolge historischer „Fraktionen“ die Rechte und Pflichten eines Eigentümers zu übernehmen. Gerade bei derartigem „Fraktionseigentum“ zeigt sich also die Richtigkeit von Veiters Annahme, dass Ortschaften (Fraktionen), die Träger von Sondervermögen sind, keine Einrichtungen der politischen Ortsgemeinde seien, sondern eine „rechtspersönliche Gemeinschaft der nutzungsberechtigten Bürger“. (Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), in: Zeitschrift für Öffentliches Recht NF 8 (1957/58), 488ff, hier 497f) Allerdings zeigen die Kapellenliegenschaften auch eine Unvollständigkeit in der Definition Veiters: Die Ausrichtung auf „nutzungsberechtigte Bürger“ erweist sich als erweiterungsbedürftig, tritt doch in diesen Fällen die Nutzungsberechtigung in den Hintergrund. Die widmungsgemäße Nutzung einer Kapelle steht in aller Regel einem unbestimmten Personenkreis offen, sodass sich die Mitgliedschaft in der „rechtspersönlichen Gemeinschaft“ vor allem in Pflichten aus dem Eigentumsrecht niederschlägt.

3. Zweiter empirischer Befund: „Fraktionen“ im historischen Grundbuch

Eine Durchsicht der historischen Grundbücher relativiert den ersten empirischen Befund erheblich, und zwar in zwei verschiedenen Richtungen:

Einerseits waren Fraktionen zur Zeit der Grundbuchsanlegung viel häufiger anzutreffen als heute, andererseits erweisen sich „Kapellenliegenschaften“ dabei nur als eine von vielen Erscheinungsformen des „Fraktionseigentums“. Der Vergleich des Grundbuchstandes bei der Eröffnung der Grundbücher, also unmittelbar nach der Grundbuchsanlegung, mit dem heutigen zeigt, dass die seinerzeit vorhandenen „Fraktionen“ – oder ähnliche Erscheinungen überwiegend aus dem Grundbuch verschwunden sind. Zu verweisen ist beispielhaft auf Fraktions-Miteigentümerschaften (ZB EZ 129 II GB Obsteig: a) Fraktion Gschwendt zu einem Viertel, b) Fraktion Frohnhausen zu drei Viertel), Fraktionen bestehend aus taxativ aufgezählten Liegenschaften (ZB EZ 15 II GB Untertilliach: Fraktion Eggen bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuches …“ (es folgt eine taxative Aufzählung von 21 Liegenschaften), Genossenschaften bestehend aus Fraktionen (ZB EZ 297 II GB Virgen Mullitz-Alpgenossenschaft bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach), Nachbarschaften bestehend aus Fraktionen (ZB EZ 282 II GB Bach: Nachbarschaft Unterbach und Grünau bestehend aus der Fraktion Unterbach der Gemeinde Bach und den Fraktionen Ober- und Untergrünau der Gemeinde Elbigenalp), Fraktionen bestehend aus Nachbarschaften (ZB EZ 169 II GB Windisch Matrei Land: Fraktion Hüben der Landgemeinde Windisch Matrei bestehend aus Nachbarschaft Hüben und Nachbarschaft Brünn), Interessentschaften bestehend aus Fraktionen (ZB EZ 144 II GB Obsteig: Simmering Alpsinteressentschaft bestehend aus den Fraktionen des Mieminger Plateaus: Hauptfraktion Obsteig (Wald, Finsterfiercht, Ober- und Unterstrass), Mötz, Tabland und Zein), Interessentschaften bestehend aus Fraktion und Nachbarschaft (ZB EZ 28 GB Untertilliach: Interessentschaft, bestehend aus Fraktion Eggen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs … und Nachbarschaft Kirchberg, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …); Interessentschaften bestehend aus Fraktionen und Einzelliegenschaften (ZB EZ 128 II GB Obsteig: „Marienberg-Alps-Interessentschaft bestehend aus den Fraktionen Gschwendt und Aschland (der Gemeinde Obsteig), Frohnhausen, See, Barwies, Zürchbichl, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper der Einl. Zl 1 I und 2 beide dieses Hauptbuches, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper in Einl. Zl 94 I, 96 I beide des Hauptbuches der Katastral-Gemeinde Mieming“; EZ 278 II GB Virgen: „Alpengenossenschaft Virgen-Mellitz bestehend aus der Fraktion Virgen-Dorf der Gemeinde Virgen b) der Fraktion Mellitz der Gemeinde Virgen c) dem jeweiligen Eigentümer des Reiterhofes Einl.Zl 1 I dieses Grundbuches“) usw.

Alleine im Grundbuch der KG Windisch-Matrei Land (heute: Grundbuch 85103 Matrei-Land) waren im Zuge der Grundbuchsanlegung dreizehn unterschiedliche „Fraktionen“ als Liegenschaftseigentümer einverleibt worden (EZ 165–182 (ohne die Liegenschaften in EZ 178–181), 330 und 376, jeweils II GB Windisch Matrei Land ); hinzu kamen jedenfalls eine „Genossenschaft bestehend aus Fraktionen“ (EZ 234 II GB Windisch Matrei Land: Schilder-Alpgenossenschaft bestehend aus Fraktion a) Mattersberg b) Moos, beide der Landgemeinde Windisch Matrei ) und eine „Genossenschaft bestehend aus einer Fraktion und taxativ aufgezählten Höfen“ (EZ 236 II GB Windisch Matrei Land: Zünig-Alpgenossenschaft bestehend aus A) der Fraktion Bühel der Landgemeinde Windisch Matrei, B) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Weier der Landgemeinde Windisch Matrei – es folgt eine Aufzählung von acht Hofliegenschaften), C) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Ganz der Landgemeinde Windisch Matrei – es folgt eine Aufzählung von vier Hofliegenschaften).

All diese im Zuge der Grundbuchsanlegung in der ehemaligen KG Windisch-Matrei Land einverleibten Eigentümerpersönlichkeiten sind seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sukzessive als Agrargemeinschaften identifiziert worden, sodass heute im elektronischen Grundbuch dieser Katastralgemeinde keine einzige „Fraktion“ mehr nachweisbar ist.

Diese Veränderungen erfolgten nicht schlagartig, sondern im Rahmen eines „Erosionsprozesses“, der am Beispiel der KG Matrei-Land, GB 85103, gut illustriert werden kann: Aus den erwähnten insgesamt 15 „Fraktionen“ und „Fraktions-Gesellschaften“ bei Grundbuchsanlegung wurden 13 Agrargemeinschaften reguliert und zwar drei in den 1920er Jahren, drei in den 1930er Jahren, sechs in den 1940er Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft und schließlich eine in den 1960er Jahren.
Die gleiche Erosion, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, zeigt sich in der KG Umhausen: Hier hatte die Grundbuchsanlegung acht Eigentümer mit der Zusatzbezeichnung Fraktion festgestellt, nämlich Fraktion Köfels, Fraktion Umhausen, Fraktion Niederthai Sonnseite, Fraktion Östen, Fraktion Farst, Fraktion Tumpen, Fraktion Hof-Acherbach und Fraktion Niederthai Neaderseite; bei allen wurde das Eigentumsrecht einverleibt unter Hinweis auf den Eigentumstitel Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli 1848. Hinsichtlich der „Fraktion Hof-Acherbach“ wurde in den 1920er Jahren aufgrund einer „Richtigstellungsurkunde vom 20. Juli 1920“ die Löschung des Wortes „Fraktion“ und die Einverleibung des Wortes „Nachbarschaft“ bewilligt. (EZ 717 GB Umhausen; die von vier Nachbarn aus Tumpen gefertigte Urkunde begründet das Anliegen damit, dass ihre „Rechtsgemeinschaft eben nicht wie eine Fraktion ein politischer Unterteil der Gesamtgemeinschaft Umhausen ist“; zu 1933/III gab der „Tiroler-Landesrat unter dem 29. Oktober 1920 seinen Segen; für den Landesrat bestätigte dies namens des Landeshauptmannes „Dr. Schumacher“)

Die „Fraktion Farst“ wurde mit Bescheid vom 1. März 1949 als Agrargemeinschaft Farst reguliert, wobei die Agrarbehörde im Spruch des Bescheides ausdrücklich festhielt, dass „Fraktion Farst“ keine Fraktion im Sinne der Tiroler Gemeindeordnung sei. (EZ 712 GB Umhausen; Amt der Tiroler Landesregierung III b -44/4 vom 1. März 1949) Ebenfalls mit Bescheid vom 1. März 1949 wurde die „Fraktion Köfels“ als Agrargemeinschaft umgegründet. (EZ 706 GB Umhausen; Amt der Tiroler Landesregierung III b -45/4 vom 1. März 1949) Die „Fraktion Umhausen“ folgte am 10. August 1959, die „Fraktion Östen“ am 5. Oktober 1959. Erst rund ein Vierteljahrhundert später, 1982, wurde die „Fraktion Niederthai Neaderseite“ umgegründet, sodann 1983 die „Fraktion Tumpen“. Aus den für „Fraktion Niederthai Sonnseite“ einverleibten Liegenschaften wurden zwei Agrargemeinschaften reguliert, nämlich 1982 die Agrargemeinschaft Sonnseite Sennhof und 1990 die Agrargemeinschaft Bichl-Höfle.

Von den insgesamt acht im Zuge der Grundbuchsanlegung einverleibten „Fraktionen“ wurde somit eine in den 1920er Jahren im „Berichtigungswege“ umgegründet, zwei in den 1940er Jahren, zwei in den 1950er Jahren, zwei in den 1980er Jahren und eine Anfang der 1990er Jahre. Dessen ungeachtet ist der Begriff „Fraktion“ im elektronischen Grundbuch hier nicht gänzlich verschwunden: Eine „Fraktion Umhausen“ existiert immer noch; es handelt sich um Liegenschaftsvermögen, das im Zuge der Regulierung zwar der Ortsgemeinde Umhausen zugesprochen wurde, bei dem jedoch eine Richtigstellung der Eigentümerbezeichnung unterblieb. (EZ 704 und 1634 GB Umhausen)

Von diesem Verbücherungsproblem abgesehen, erscheinen die beiden hier beispielhaft gezeigten Katastralgemeinden heute offiziell als „fraktionsfrei“, während im Zuge der Grundbuchsanlegung noch 15 (KG Matrei-Land) bzw 8 (KG Umhausen) Fraktionsliegenschaften festgestellt worden waren. Seit der Grundbuchsanlegung sind also allein in diesen beiden Katastralgemeinden 22 Eigentümerpersönlichkeiten mit der Zusatzbezeichnung Fraktion durch „Umgründung“ in Agrargemeinschaften „verschwunden“. Von diesen 22 „Umgründungsvorgängen“ fallen 13 in den Zeitraum bis 1945, acht in denjenigen ab 1949. Alle drei in den 1920er Jahren in der KG Matrei-Land abgeschlossenen „agrarischen Operationen“ betreffend „Fraktionsvermögen“ waren übrigens noch zur Zeit der Monarchie eingeleitet worden. Dies ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil der Tiroler Landtag von sich aus keinen Bedarf für ein Teilungs- und Regulierungsgesetz gesehen hatte und Tirol – gemeinsam mit der Steiermark und Oberösterreich – Schlusslicht bei der Umsetzung der agrarischen Reichsrahmengesetze des Jahres 1883 gewesen war. ((Erst aufgrund einer Initiative der Reichsregierung im Jahr 1908 wurden im Jahr 1909 entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen. Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 218 f)

Das sukzessive Verschwinden der Fraktionen aus dem Grundbuch lenkt den Blick auf die Frage, wie denn diese Eigentümerpersönlichkeiten überhaupt ins Grundbuch gekommen und wie sie zu qualifizieren waren.

III. „Fraktionen“ in der Tiroler Grundbuchsanlegung

1. Ein Fallbeispiel

Am 12. Juli 1906 unterfertigten zwei Mitglieder für die Fraktion Mattersberg sowie zwei Mitglieder für die Fraktion Moos, insgesamt also vier Mitberechtigte, das Grundbuchsanlegungsprotokoll Nr 482 der KG Windisch-Matrei. Sie verliehen damit ihrer Meinung Ausdruck, dass die „Schilder Alpgenossenschaft“ aus diesen beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos bestehen würde. Zusätzlich bestätigten das auch noch die zwei „üblichen“ Vertrauensmänner. Fast auf den Tag fünf Jahre später, am 3. Juli 1911, leitete die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen das Verfahren zur Regulierung der Verwaltungs- und Benützungsrechte ein; die Liste der unmittelbar an der Alpe Beteiligten datiert vom Dezember 1911. Der Bescheid betreffend das Register der Anteilsrechte erging am 18. September 1925; das Verfahren endete mit Bescheid vom 27. Juli 1927. Darin stellte die Agrarbezirksbehörde folgendes fest: „§ 3 Beteiligte und Anteilrechte. Die Schildalpe steht im Eigentum der Schilderalpinteressentschaft, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der nachstehend angeführten, in der KG Windisch-Matrei-Land gelegenen Stammsitzliegenschaften mit den angegebenen Anteilrechten.“ Es folgte eine Aufzählung von insgesamt 29 Stammsitzen jeweils ohne Nennung des aktuellen Eigentümers; „Fraktionen“ wurden nicht genannt, ein Anteilsrecht für eine politische Ortsfraktion oder für die Ortsgemeinde war nicht vorgesehen worden.

Die Grundbuchsanlegungsbeamten und die Beamten der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen hatten sich im Fall der als „Schilder Alpgenossenschaft“ bezeichneten „Miteigentumsgemeinschaft“ der beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos nahezu die Türklinke in die Hand gegeben: Die einen beendeten ihre Tätigkeit am 12. Juli 1906, die anderen legten am 3. Juli 1911 bereits einen fertigen Bescheid zur Einleitung des Regulierungsverfahrens vor. Nachdem ein Eigentümerwechsel aus dieser Zeit nicht überliefert ist, stellt sich die Frage, warum die in den beiden Verfahren getroffenen Feststellungen nicht gleichlautend waren, sodass der Eindruck entstehen könnte, es müsse eine der beiden Entscheidungen unrichtig sein.

Die k.k. Landeskommission für agrarische Operationen führte dazu sogleich 1911 in der Begründung zum Bescheid auf Verfahrenseinleitung aus, dass die „Schilderalpe“ laut Grundbuchseintragung zwar der aus den Fraktionen Mattersberg und Moos der politischen Gemeinde Windisch-Matrei-Land bestehenden Schilder-Alpgenossenschaft gehöre, dass diese Grundbuchseintragung den tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht genau entsprechen dürfte. Es handle sich vielmehr um eine den Besitzern bestimmter Talgüter gehörige Alpe und damit um ein gemeinschaftliches Grundstück im Sinne des § 4 lit b TRLG 1909, dessen Verwaltungs- und Benützungsrechte einer Regulierung zu unterziehen seien. Erk der k.k. Landeskommission für agrarische Operationen vom 3. Juli 1911 Zl 410/2; LAS Tirol 1045/5 -10 vom 13.11.2011, Seite 5) Die Landeskommission für agrarische Operationen äußerte also schon 1911 grundlegende Zweifel an der Richtigkeit jener Eigentümerbezeichnung, die erst 1906 im Zuge der Grundbuchsanlegung gewählt worden war. (Das GAP Nr 482 GB Windisch-Matrei-Land weist als Steuerträger gem Franziszeischem Steuerkataster aus „I. Moos Rotte, II. Mattersberg Rotte“)

Zur Annahme, eine der beiden Kommissionen hätte eben eine falsche Entscheidung getroffen, existiert freilich eine Alternative: Möglicherweise hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten schon 1906 unter dem Begriff „Fraktion“ das verstanden, was dann drei Jahre später im TRLG 1909 als Agrargemeinschaft definiert wurde. Aus der Sicht der nicht-juristischen Beteiligten an der Grundbuchsanlegung – den Vertretern aus Mattersberg und Moos sowie den beiden Vertrauensleuten – lag es jedenfalls nicht nahe, Einwendungen gegen die Wahl des Begriffes „Fraktion“ zu erheben: Im Franziszeischen Steuerkataster, der bekanntlich die Grundlage für die Grundbuchsanlegung bildete, waren nämlich „I. Moos Rotte“ und „II. Mattersberg Rotte“ als Eigentümer verzeichnet gewesen. Ob „Rotte“ oder „Fraktion“ – aus Sicht eines juristischen Laien konnte diese Wortwahl als reine „Geschmackssache“ erscheinen. Damit gewinnt die Frage, welche Vorstellung die Grundbuchsanlegungsbeamten mit dem Begriff „Fraktion“ tatsächlich verbunden hatten, an Bedeutung. Will man den Versuch unternehmen, dazu eine Antwort zu finden, ist eine breitere Tatsachengrundlage erforderlich.

2. Erscheinungsformen der „Fraktion“

Die Verwendung des Wortes „Fraktion“ begegnet bei der Anlegung des Grundbuchs in den verschiedensten Varianten. Zwar ist es für eine Quantifizierung noch zu früh, doch zeichnen sich bestimmte Schwerpunkte recht deutlich ab: Der schlichte Begriff „Fraktion“ (ohne jeglichen Zusatz) kommt ebenso vor wie der Begriff „Gemeinde-Fraktion“ bzw. „Fraktion der Gemeinde“ – diese drei Varianten der Anschreibung einer „Fraktion als Liegenschaftseigentümerin“ sind bei weitem am häufigsten anzutreffen.

Auffälliger, weil eher selten, ist die Variante einer durch Nennung ihrer Teile definierten „Fraktion bestehend aus …“ – wobei sodann eine taxative Aufzählung entweder von Liegenschaften oder von deren Eigentümern erfolgt. Diese Form ist jedenfalls in mehreren Katastralgemeinden nachweisbar: So wurde beispielsweise in der KG Untertilliach der Fraktionsbegriff ausschließlich in dieser Variante verwendet (EZ 15 GB Untertilliach: „Fraktion Eggen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“; EZ 18 GB Untertilliach: „Fraktion Ingenuin, bestehend aus den Nachbarschaften Kirchberg, Au, Bichel und den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …; EZ 27 GB Untertilliach: Nachbarschaft Au, Bichel und Winkl, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“; EZ 20 GB Untertilliach: „Fraktion Klammberg, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“; EZ 28 GB Untertilliach: „Interessentschaft, bestehend aus Fraktion Eggen, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs … und Nachbarschaft Kirchberg, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper dieses Grundbuchs …“).
Näher definiert wurden weiters zum Beispiel die „Fraktion Eichelwang“ in der KG Ebbs (Liegenschaft in EZ 35 GB Ebbs: „Fraktion Eichelwang bestehend aus den Eigentümern nachstehender Grundbuchkörper und zwar a) Hödler in Einl Zl 3 I zu einem Siebentel b) Baumgartner in Einl Zl 4 I zu einem Siebentel c) Onimus in Einl Zl 5 I zu einem Siebentel d) Ager in Einl Zl 6 I zu einem Siebentel e) Fagglbauer in Einl Zl 7 I zu einem Siebentel f) Wörer in Einl Zl 8 I zu einem Siebentel g) Breitner in Eichelwang in Einl Zl 9 I zu einem Siebentel“) und mehrere Fraktionen in Steinach, die in der KG Navis Miteigentümer waren. (EZ 154 II GB Navis: „A. Gemeinde Navis zu sieben Achtel B. die Fraktionen der Gemeinde Steinach: a. Tienzens bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Baste in Einl.Zl. 24 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Salchner in Einl.Zl. 144 II der Katastralgemeinde Steinach, c) Knaber in Einl.Zl. 25 I der Katastralgemeinde Steinach, d) Mauser in Einl.Zl. 27 I der Katastralgemeinde Steinach, e) Messner in Einl.Zl. 145 II der Katastralgemeinde Steinach, f) Hilber in Einl.Zl. 59 I der Katastralgemeinde Steinach, g) Kraler in Einl.Zl. 26 I der Katastralgemeinde Steinach; b. Puigg bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Dengg in Einl.Zl. 32 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Vögeler in Einl.Zl. 31 I der Katastralgemeinde Steinach, c) Eggenhäusl in Einl.Zl. 146 II der Katastralgemeinde Steinach, d) Schuster in Einl.Zl. 147 II der Katastralgemeinde Steinach, e) Stampf in Einl.Zl. 33 I der Katastralgemeinde Steinach, f) Nägele (Spinnfabrik) in Einl.Zl. 149 II der Katstralgemeinde Steinach, g) Berger in Einl.Zl. 37 I der Katastralgemeinde Steinach; c. Mühlen bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Unterspörr in Einl.Zl. 30 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Ober-Spörr in Einl.Zl. 29 I der Katstralgemeinde Steinach und c) Mill in Einl.Zl. 28 I der Katastralgemeinde Steinach, zu einem Achtel“)

Damit verwandt ist eine etwas kompliziert anmutende Anschreibungstechnik in der KG Thiersee, wo die Rechtsverhältnisse an EZ 11 II im historischen B-Blatt wie folgt festgehalten wurden: „Auf Grund des Kaufes vom 28. Mai, verfacht 1. Juni 1877 Folio 307 wird mit Bezug auf den Servituten-Ablösungs-Vergleich vom 23. August 1872 Folio 694 das Eigentumsrecht für die Gemeindefraktion Hinterthiersee, welche Lasten und Nutzungen nach Verhältnis der von der Fraktion zu entrichtenden Grundsteuer zu tragen und zu genießen hat, einverleibt.“ Als „Gemeindefraktion Hinterthiersee“ erscheint in dieser Grundbuchseintragung also die Summe aller Liegenschaftseigentümer in der Gemeindefraktion mit ideellen Quoten nach dem Verhältnis der individuellen Grundsteuerbeträge. Damit ist nicht nur der Kreis der Mitberechtigten, sondern auch schon deren Rechtserwerb bzw Rechtsverlust definiert: Wer zur Fraktion gehöriges Liegenschaftseigentum weitergibt oder erwirbt, setzt damit einen Tatbestand, der zu einer Änderung des Kreises der Mitberechtigten führt. Das Anteilsrecht – verbunden mit dem Recht auf Nutzung und der Pflicht zur Lastentragung – klebt demnach am steuerpflichtigen Eigentum in der betreffenden „Fraktion“. (Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 152 in FN 3, führen die historischen Rechtsverhältnisse an der Liegenschaft in EZ 11 GB Thiersee als hervorragendes Beispiel dafür an, wie sich die Bodenverteilung im Siedlungsverband in den wirtschaftsgenossenschaftlichen Aktivitäten der historischen Gemeindeverbände niedergeschlagen hat. „Offensichtlich hatten sich die im Jahr 1877 im Weiler Hinterthiersee grundsteuerpflichtigen Liegenschaftsbesitzer zum Erwerb dieser Liegenschaft zusammengeschlossen; maßgebliche Grundlage für die Beteiligung an der errichteten Gemeinde nbR war in diesem Fall die im Jahr 1877 jeweils zu tragende Grundsteuer. Allfällige Einwohner des Weilers Hinterthiersee, welche im Jahr 1877 keine Grundsteuer bezahlten, waren demnach am Erwerb der Liegenschaft, an den Lasten und Nutzungen der Liegenschaft nicht beteiligt.“)

Mit der durch ihre Teile definierten „Fraktion bestehend aus …“ verwandt ist ein Gebilde in der KG Sölden mit umfangreichem Grundbesitz, nämlich die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ (EZ 201–208, jeweils II GB Sölden). Dieser komplizierten Eigentümeranschreibung waren mehrere andere Versuche vorangegangen: So war im Grundsteuerkataster als Eigentümer noch „Vent – Ortschaft“ verzeichnet; bei der Grundbuchsanlegung hatte man sich zunächst für die neue Bezeichnung „Fraktion Vent ohne Rofenhöfe“ entschieden. Im Protokoll ist auch nur von „Fraktion Vent“ die Rede. Am Ende der Ausführungen zu EZ 487 II KG Sölden findet sich dazu jedoch die Bemerkung: „Unter obgenannter Fraction Vent sind die beiden Rofner-Höfe nicht inbegriffen, daher (…) richtiger Altgemeinde Vent.“ Daraufhin wurde die ursprünglich gewählte Eigentümerbezeichnung „Fraktion Vent ohne Rofenhöfe“ im Kopf des GAP Nr 252 in Klammern gesetzt und die Eigentümerin unter der Bezeichnung „Altgemeinde Vent“ angeschrieben. Im GAP Nr 687 KG Sölden war die Miteigentümerin ursprünglich als „Altgemeinde Vent“ bezeichnet; das Protokoll bemerkte dazu: „nun Fraktion Vent (ohne Rofenhöfe)“. Im Zuge von Nachtragserhebungen entschied man sich für die Eigentümerbezeichnung „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden“. (Vermerk am Kopf des GAP Nr 252 GB Sölden) Im B-Blatt des Hauptbuches schlug sich die gesamte Auseinandersetzung schließlich darin nieder, dass ob den Liegenschaften in EZ 201–208 II KG Sölden die zuvor zitierte Kombination aus allen Vorüberlegungen einverleibt wurde, nämlich die „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Auf das B-Blatt der EZ 487 II KG Sölden wirkten sich die Nachtragserhebungen jedoch nicht mehr aus; hier wurde die Eigentümerin unter der Bezeichnung „Altgemeinde Vent“ einverleibt.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Ausschluss bestimmter Liegenschaften von der Mitberechtigung den Charakter des betreffenden Eigentumsträgers zum Ausdruck bringt – es muss sich dabei um einen geschlossenen Kreis von Berechtigten handeln. Dieses Merkmal ist zwar mit einem privatautonomen Zusammenschluss bestimmter Liegenschaftseigentümer kompatibel, nicht jedoch mit der grundsätzlich offenen Einrichtung der heutigen politischen Ortsgemeinde oder einer ihrer ehemaligen Teilorganisationen. Ein vergleichbares Phänomen ist im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Gemeinde“ als Liegenschaftseigentümerin nachweisbar, welches mit dem Terminus „die Gemeinde ohne“ an anderer Stelle beschrieben wird. Hinzuweisen ist nur auf die historische Eigentümerin der Liegenschaften in EZ 19–28, jeweils GB II St. Sigmund, „Gemeinde St. Sigmund mit Ausschluss der Ortschaft Praxmar und der Höfe in Kreutzlehen (GAP Nr 39 GB St. Sigmund).

Neben Fraktionen „bestehend aus“ bestimmten Teilen und Fraktionen „mit Ausschluss“ bestimmer Liegenschaften ist auch die Bildung einer „Fraktion einschließlich“ solcher denkbar. Nachweisbar ist derzeit zumindest ein derartiger Versuch: Die geplante Anschreibung einer „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitzen, Ober- und Außerhöfe“ in der KG Jerzens unterblieb jedoch, nachdem man sich im Zuge von „Nachtragserhebungen“ entschloss, die betreffenden Liegenschaften, die laut Grundsteuerkataster „Jakob Gastl, Jerzens Haus Nr 20, und 95 Mitbesitzern“ zugeschrieben waren, kurzerhand auf „Gemeinde Jerzens“ einzuverleiben. (GAP Nr 178 GB Jerzens vom 10. April 1906; Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 23. Mai 2008, AgrB-R893/82-2008 – AGM Tanzalpe Jerzens)

Einen Sonderstatus unter den Tiroler Fraktionen, jedenfalls im Hinblick auf ihre „Firma“, genießt die „Hauptfraktion Obsteig, bestehend aus den Ortschaften: Wald, Thal, Finsterfiecht, Ober- und Unterstrass“ (Der Begriff „Hauptfraktion Obsteig“ wurde von der GB-Anlegung zur Erfassung der Eigentumsträgerin der Liegenschaften in EZ 133, 134 und 135, jeweils II GB Obsteig verwendet). Auch hier ist zwar die Fraktion durch ihre Teile definiert, doch findet sich offensichtlich nirgendwo sonst im Nord- oder Osttiroler Grundbuch eine vergleichbare Zusatzbezeichnung, mit der die besondere Bedeutung einer Fraktion betont erscheint. Daneben existierten in der KG Obsteig zwei ausdrücklich aus mehreren „Fraktionen“ gebildete Alpinteressentschaften (Marienberg Alpinteressentschaft, Simmering Alpinteressentschaft) sowie „Fraktion Finsterfiecht“ (EZ 94 II GB Obsteig), „Fraktion Oberstrass“, Fraktion Wald“, „Fraktion Weissland“, „Fraktion Mötz“, „Fraktion Holzleiten“, „Fraktion Aschland“, „Fraktion Gschwendt“ und „Fraktion Frohnhausen“, wobei letztere und die Fraktion Mötz als „ortsfremd“ eigentlich in die Gemeinde Mieming zu verweisen wären.

Die aus „Ortschaften“ bestehende „Hauptfraktion“ lenkt den Blick auf das Verhältnis der Fraktionen zu anderen Eigentumsträgern. Nicht immer waren Fraktionen nämlich als „Alleineigentümer“ angeschrieben, oft kam ihnen nur eine Mitberechtigung zu. Insbesondere dadurch sind sie in ein Netz von Beziehungen zu anderen Eigentümerpersönlichkeiten gestellt, das sich kaum logisch-konsistent erfassen lässt. Neben „schlichten Miteigentumsgemeinschaften“ mehrerer Fraktionen – auch gemeindegrenzüberschreitend – begegnen uns im historischen Tiroler Grundbuch „Nachbarschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ (ZB EZ 258 II GB Steeg: „Nachbarschaft Steeg, Dickenau und Hinterellenbogen, bestehend aus den Fraktionen Steeg, Dickenau und Hinterellenbogen der Gemeinde Steeg“), „Genossenschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ (ZB EZ 279 II GB Virgen: Mullitz-Alpgenossenschaft bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach“) und „Interessentschaft[en], bestehend aus Fraktionen“ (ZB EZ 144 II GB Obsteig: Simmering Alpsinteressentschaft bestehend aus den Fraktionen des Mieminger Plateaus: Hauptfraktion Obsteig (Wald, Finsterfiercht, Ober- und Unterstrass), Mötz, Tabland und Zain).

Zumindest im Rahmen einer Genossenschaft oder Interessentschaft konnten „Fraktionen“ und natürliche Personen bzw Einzelliegenschaften auch als gleichrangige Mitberechtigte nebeneinander stehen, dies sowohl innerhalb einer Gemeinde (ZB EZ 278 II GB Virgen: „Alpengenossenschaft Virgen-Mellitz bestehend aus der Fraktion Virgen-Dorf der Gemeinde Virgen b) der Fraktion Mellitz der Gemeinde Virgen c) dem jeweiligen Eigentümer des Reiterhofes Einl.Zl 1 I dieses Grundbuches“; Liegenschaft in EZ 236 II GB Windisch Matrei Land: Zünig-Alpgenossenschaft bestehend aus A) der Fraktion Bühel der Landgemeinde Windisch Matrei, B) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Weier der Landgemeinde Windisch Matrei … (es folgt eine Aufzählung von acht Hofliegenschaften), C) nachfolgenden Höfen bzw Grundbuchskörpern der Fraktion Ganz der Landgemeinde Windisch Matrei … – es folgt eine Aufzählung von vier Hofliegenschaften) als auch gemeindegrenzübergreifend (ZB EZ 128 II GB Obsteig: „Marienberg-Alps-Interessentschaft bestehend aus den Fraktionen Gschwendt und Aschland (der Gemeinde Obsteig), Frohnhausen, See, Barwies, Zürchbichl, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper der Einl. Zl 1 I und 2 beide dieses Hauptbuches, ferner aus den jeweiligen Eigentümern der Grundbuchskörper in Einl. Zl 94 I, 96 I beide des Hauptbuches der Katastral-Gemeinde Mieming“). Daneben gab es auch die Variante einer Mitberechtigung von „Fraktionen“ neben einer „Gemeinde“ auf deren Gemeindegebiet ZB EZ 76 II GB Musau: „Gemeinde Musau mit dem Weiler Unterletzen zu achtundvierzig Einundsechzigstel, Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle zu dreizehn Einundsechzigstel“; EZ 154 II GB Navis: „A. Gemeinde Navis zu sieben Achtel B. die Fraktionen der Gemeinde Steinach: a. Tienzens bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Baste in Einl.Zl. 24 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Salchner in Einl.Zl. 144 II der Katastralgemeinde Steinach, c) Knaber in Einl.Zl. 25 I der Katastralgemeinde Steinach, d) Mauser in Einl.Zl. 27 I der Katastralgemeinde Steinach, e) Messner in Einl.Zl. 145 II der Katastralgemeinde Steinach, f) Hilber in Einl.Zl. 59 I der Katastralgemeinde Steinach, g) Kraler in Einl.Zl. 26 I der Katastralgemeinde Steinach; b. Puigg bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Dengg in Einl.Zl. 32 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Vögeler in Einl.Zl. 31 I der Katastralgemeinde Steinach, c) Eggenhäusl in Einl.Zl. 146 II der Katastralgemeinde Steinach, d) Schuster in Einl.Zl. 147 II der Katastralgemeinde Steinach, e) Stampf in Einl.Zl. 33 I der Katastralgemeinde Steinach, f) Nägele (Spinnfabrik) in Einl.Zl. 149 II der Katastralgemeinde Steinach, g) Berger in Einl.Zl. 37 I der Katastralgemeinde Steinach; c. Mühlen bestehend aus den jeweiligen Eigentümer der Höfe beziehungsweise Anwesen: a) Unterspörr in Einl.Zl. 30 I der Katastralgemeinde Steinach, b) Ober-Spörr in Einl.Zl. 29 I der Katastralgemeinde Steinach und c) Mill in Einl.Zl. 28 I der Katastralgemeinde Steinach, zu einem Achtel“) oder auf allseits fremdem Territorium (ZB EZ 138 GB Steeg: „Gemeinde Holzgau zu sechsundsiebzig Hundertzwanzigstel, Nachbarschaft Oberwinkel-Schönau-Sulzbach-Oberstockach bestehend aus den Fraktionen Oberwinkel, Schönau, Sulzbach, Oberstockach der Gemeinde Bach zu vierundvierzig Hundertzwanzigstel“).

IV. Unterschiedliche Wurzeln unterschiedlicher Fraktionsvorstellungen

Vielgestaltig sind aber nicht nur die Erscheinungsformen der Fraktionen, ihre Bezeichnungen und ihre Rechtspositionen. Mindestens ebenso vielfältig sind die rechtshistorischen Wurzeln der Fraktionen, auch wenn deren Unterschiede verschwimmen: Teils ist dies das Ergebnis wechselseitiger Bezugnahme und Überlagerung, teils verstellen die Formulierungen der Grundbuchsanlegung die Unterschiede.

1. Fraktionen im Rahmen der Forstregulierung 1847 (Art 3 FRP 1847)

Das „Verdienst“, den Begriff „Fraktion“ in die Tiroler Rechtssprache eingeführt zu haben, gebührt vermutlich der Forstservituten-Ablösungs-Kommission (FSAK), die 1847 bis 1849 mit der Ablösung der Forstservituten in den vorbehaltenen Staatsforsten Nordtirols (Kreise Unterinntal samt Wipptal, Oberinntal samt Lechtal) beschäftigt war. Aufgenommen hat die Kommission ihre Tätigkeit aufgrund der Instruktion vom 1. Mai 1847; die ersten Ablösungsvergleiche aus dem Landgerichtsbezirk Ried, Oberinntal, datieren vom September 1847; als letzter Landgerichtsbezirk wurde Zell am Ziller verhandelt; der zusammenfassende Bericht der Kommission, mit welchem die Vergleichsabschlüsse dem Ministerium zur Genehmigung empfohlen wurden, datiert vom 21.12.1849. Ungeachtet dessen existieren auch Ablösungsvergleiche jüngeren Datums, weil das Angebot des k.k. Aerars zur Ablösung der Forstservituten aufrechterhalten wurde. Wie dies im Einzelnen abgewickelt wurde ist noch nicht näher erforscht; jedenfalls hat beispielsweise die „Pfarrgemeinde Breitenwang außer Pflach“ den Ablösungsvergleich noch am 8. Juli 1854 errichtet, obwohl die ständige Kommission Ende des Jahres 1849 ihre Tätigkeit beendet hatte. Siehe dazu: RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851); Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 105ff.

Dazu wurden 283 Ablösungsvergleiche verhandelt, von denen der Großteil von den Servitutsberechtigten angenommen wurde. RS, Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, in: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851), 392: „Mit allen berechtigten nordtirolischen Gemeinden wurden die Verhandlungen gepflogen, mit 240 Gemeinden Übereinkommen geschlossen und für die nicht abgefundenen 43 Gemeinden die Vergleichsentwürfe verfasst. Aber auch die letzteren Gemeinden haben sich seit dem Jahr 1849, wo die Kommission zu tagen aufhörte, die Überzeugung verschafft, dass der ihnen angebotene Stand ungleich vorteilhafter als der beibehaltene zu werden verspricht, und haben sich daher auch nachträglich zum Abschluss von Vergleichen herbei gelassen. Im gegenwärtigen Momente dürften wenige Gemeinden mehr übrig sein, welche von der ihnen zu Teil gewordenen allerhöchsten Begünstigung keinen erfolgreichen Gebrauch gemacht haben.“ (391).

Der Begriff „Fraktion“ wurde dabei in zahlreichen Vergleichsprotokollen verwendet, um bestimmte Gruppen von Servitutsberechtigten innerhalb einer größeren Gemeinschaft abzugrenzen. Die Grundlage für die entsprechenden Unterscheidungen der Ablösungsvergleiche war schon in den Erhebungsaufträgen gelegt worden, die durch die Landgerichte den lokalen Verwaltungseinheiten, nämlich den in Tirol seit 1819 regulierten politischen Gemeinden übertragen waren. Ausführlich dazu: Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 114 ff. Dabei hatte die jeweilige Gemeindevorstehung zur Vorbereitung der Tätigkeit der FSAK Informationen durch Erstellung von „Ausweisen“ beizubringen, für die unter anderem folgende Vorgabe bestand: „Wo einzelne Parzellen (!) ganz abgesonderte Forstrechte von der Hauptgemeinde haben, ist dieses zu bemerken.“

Dementsprechend finden wir heute in zahlreichen Ablösungsvergleichen der FSAK Regelungen über abgesonderte Nutzungsrechte oder abgesondertes Eigentum; dies erfolgte regelmäßig im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ zur Erfassung des Trägers abgegrenzten Eigentums oder abgegrenzter Nutzungsrechte. Einschlägige Bestimmungen enthalten unter anderem die Ablösungsvergleiche von Arzl im Pitztal, Bach, Berwang, Ehrwald, Elmen, Elbigenalp, Finkenberg, Imst, Lermoos und Oberperfuss und zahlreiche andere Ablösungsvergleichsprotokolle. (FSAV vom 10. Jänner 1848, verfacht 1850 fol 3677 – 3686; das Vergleichprotokoll erwähnt folgende Fraktionen, aus welchen die Gemeinde bestehe: Arzl, Wald, Ried, Leins, Timmels, Hochasten und Plons; FSAV vom 29. August 1848, verfacht am 13. November 1852, fol 910; den Fraktionen Oberbach und Unterwinkl wurde ein vorzugsweises Benützungsrecht eingeräumt; der Fraktion Sulzelbach wurde ein Nutzungsgebiet; ebenso der Fraktion Seesumpf, in deren Nutzungsgebiet die zur Gemeinde Elbigenalp gehörige Fraktion Obergilben der unentgeltliche Bezug von Archenholz vorbehalten wurde; den Fraktionen Oberstockach, Unterstockach, Unterwinkl, Oberbach wurde ein Nutzungsgebiet gemeinschaftlich zuerkannt; den Fraktionen Unterbach, Oberbach, Kraichen, Benglerwald, Seesumpf, Bichel, Unterwinkl, Unterstabach, den Häusern von Oberstockach mit den zur Gemeinde Elbigenalp gehörigen Fraktionen Unter- und Obergrünau, wurde direkt Gemeinschaftseigentum „nach dem Maße der bisherigen Benützung“ zugeordnet, auf welchem der Gemeinde Fraktion Elbigenalp sowie Unter- und Obergiblen allfällige Holzbezugsrechte vorbehalten wurden; weiteres Gemeinschaftseigentum wurde zugeordnet an die Fraktionen „Oberbach, Unterbach, Stockach und ihrer Mitverwandten mit den zur Gemeinde Elbigenalp gehörigen Fraktionen Unter- und Obergrünau (nach Maßgabe der bisherigen Benützung)“; gemeinschaftliches Eigentum der Parzelle Unterbach mit den zur Gemeinde Elbigenalp gehörigen Fraktionen Unter- und Obergrünau nach Maßgabe der bisherigen Benützung; schließlich den Fraktionen der Gemeinde Bach als Oberstockach, Kraichen, Benglerwald, Oberwinkl mit der zur Gemeinde Holzgau gehörigen Fraktion Unterholzgau; FSAV vom 21. Oktober 1848, verfacht am 13. November 1852, fol 931 (Landgericht Reutte), im Volltext abgedruckt bei Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, aaO, 144 ff; den Fraktionen Berwang, Bichelbächle, Brand, Gröben, Mitteregg, Kelmen, Namlos und Stockach wurde darin direkt Eigentum zugeordnet – zusätzlich den Fraktionen Berwang und Gröben in einem Fall gemeinschaftliches Eigentum nach dem Verhältnis der jeweiligen Feuerstätten; FSAV vom 16. Oktober 1848, verfacht am 10. Dezember 1852, fol 1008 (Landgericht Reutte); den Fraktionen Oberehrwald und Unterehrwald wurde darin gesondertes Eigentum zugeordnet; bemerkenswert ist die Alternativbezeichnung „Fraktion Oberehrwald oder den drei oberen Höfen“ bzw „Unterehrwald oder den zwei unteren Höfen“; FSAV vom 31. August 1848, verfacht am 13. November 1852 fol 912; den Fraktionen Elmen, Klimm und Martinau wurde darin gesondertes Eigentum zugeordnet; FSAV vom 3. Mai 1851, verfacht am 13. November 1852 fol 932; den Fraktionen Untergilben und Obergilben wurde darin jeweils gesondertes Eigentum zugewiesen; Fraktion Köglen erhielt danach einmal gemeinsames Eigentum mit der Gemeinde Elbigenalp, einmal gemeinsames Eigentum mit der Gemeinde Elbigenalp und der Fraktion Grünau „nach Maßgabe der bisherigen Benützung“; schließlich existiert auch die Variante von Waldeigentum der Gemeinde Elbigenalp und der Fraktion Köglen „unter Ausschluss der übrigen Fraktionen“; FSAV vom 15. Februar 1851, verfacht am 10. Juli 1853 fol 337; der Vergleich enthält in Pkt Elftens folgende Regelung: „In diesem Vergleich ist die Fraktion Dornauberg, insoweit sie zur Gemeinde Finkenberg gehört, nicht inbegriffen …“; FSAV vom 18. Jänner 1848, verfacht 1850, fol 3705 (Landgericht Imst); FSAV vom 20. Oktober 1848, verfacht am 13. November 1852, fol 909 (Landgericht Reutte); FSAV vom 21. Juli 1848, verfacht 1850 fol 162 (nur hinsichtlich Fraktion Unterperfuss).
Darüber hinaus weisen insbesondere folgende Forstservitutenablösungsvergleiche (FSAV) „Fraktionen“ entweder direkt Eigentum (E) zu oder grenzen zumindest Nutzungsgebiete (N) von „Fraktionen“ ab: FSAV Gries/Brenner 19.5.1848, verfacht am 20.11.1849 fol 328 (N); FSAV Häselgehr 31.8.1848 verfacht 13.9.1852 fol 913 (E); FSAV Haiming 2.12.1848 verfacht fol 689 (N); FSAV Holzgau 30.8.1848 verfacht 13.9.1852 fol 915 (E); FSAV Lech, Höfen, Weisenbach und Wängle 19.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 924 (E); FSAV Imst 18.1.1848 verfacht 1850 fol 3705 (N, E); FSAV Imsterberg 12.1.1848 verfacht 12.12.1851 fol 437 (E); FSAV Jerzens 7.1.1848 verfacht 1850 fol 3713; FSAV Stanz, Angedair, Perfuchs 17.12.1847 verfacht 5.8.1852 fol 2363 (E); FSAV Lermoos 20.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 909 (N); FSAV Mieming 14.11.1848 verfacht 25.6.1851 fol 528 (Teilungsanordnung bezogen auf Fraktionen); FSAV Mühlbachl 15.12.1849 verfacht 13.3.1853 fol 434 (E); FSAV Matrei/Brenner Vergleichsprotokoll 19.12.1849 verfacht 11.3.1851 fol 435 (E: Dieser Vergleich weist sogar die Besonderheit auf, dass er mit der Gemeinde Matrei und den zur Gemeinde Mühlbachl gehörigen Fraktionen Mühlbachl, Zieglstadl, Mutzens und Alpenstadt errichtet wurde); FSAV Musau 14.9.1848 verfacht 13.11.1852 fol 930 (E – „volles und unbeschränktes Eigentum die Gemeinde Musau mit Ausschluss der Fraktion Unterletzen“; E – Fraktion Unterletzen, E – Fraktion Oberletzen); FSAV Nassereith 18.1.1848 verfacht fol 3695 (N); Nesselwängle 12.9.1848 verfacht 13.11.1852 fol 927 (E).

Insoweit deshalb zum Beispiel in den Katastralgemeinden Berwang, Rinnen, Mitteregg und Bichlbächle (alle im Gemeindegebiet der heutigen Ortsgemeinde Berwang) im Zuge der Grundbuchsanlegung „Fraktionen“ unter Bezugnahme auf das Vergleichsprotokoll der FSAK vom 21. Oktober 1848 als Eigentümerinnen einverleibt wurden, so hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten einfach die jeweiligen Eigentumsträger gemäß der Titelurkunde in das Grundbuch übernommen. (Zum Wortlaut eines solchen Forstservituten-Ablösungsvergleichs siehe Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 144 ff. Im Vergleichstext wurde den damals acht „Fraktionen“ von Berwang in den Grenzen exakt beschriebenes Waldeigentum zugewiesen; das restliche Waldvermögen auf Gemeindegebiet wurde gem Pkt Siebentens von allen Holznutzungsrechten freigestellt und verblieb als „vorbehaltene Staatswaldung“ im Eigentum der „öffentlichen Hand“)
Es handelt es sich bei diesen „Fraktionen“ also im Sinne des FRP 1847 um (aus Stammliegenschaftsbesitzern zusammengesetzte) „holzbezugsberechtigte Gemeinden“. (Vgl Kohl, Die Forstservituten-Ablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 124ff; weiters VerfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung. In Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Salzburger Landesregierung gegen den Einleitungsbeschluss stellte der Verfassungsgerichtshof folgendes klar: „Entgegen der Auffassung der Sbg. Landesregierung ist daher die von ihr beschriebene … Erscheinung, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, nicht von den in Prüfung stehenden, sondern von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, so dass sich aus der Eigenart jener Erscheinung nichts für den Inhalt dieser Gesetzesbestimmungen [Anm: gemeint § 15 Abs 2 lit c FlVerfGG] ergibt.“)

Nach einhelliger Auffassung in Literatur und Judikatur kann aus einem Vorgang der Servitutenablösung kein öffentliches Eigentum etwa in Form von „politischem Gemeindegut“ entstanden sein. Im Fall gemeindeweiser oder ortschaftsweiser Ablösung von Forstservituten entstehen Gemeinden „nach bürgerlichem Recht“ (§ 26f ABGB), kurz: Agrargemeinschaften. (VfGH Slg 9336/1983; Oberster Agrarsenat 234-OAS/60 vom 5.9.1960; 267-OAS/61 vom 12.10.1961; Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht, 1923, 388; Ehrenzweig, System I/1, 1925, 183: „Es gibt landwirtschaftliche Grundstücke, deren Nutzung den Besitzern gewisser behauster Grundstücke gemeinschaftlich für die Zwecke ihrer Einzelwirtschaften zusteht. Solche Agrargemeinschaften sind zum Teil erst in neuerer Zeit bei der Servitutenablösung dadurch entstanden, dass man einer Gesamtheit von Berechtigten Abfindungsgrundstücke zur gemeinschaftlichen Nutzung abgetreten hat.“ Klang in Klang, ABGB II², 608: „Gewöhnlich sollen Wald- und Weidegrund allen Berechtigten gemeinsam abgetreten werden. Dadurch entstehen Agrargemeinschaften.“ In diesem Sinn schon Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 592 oder Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Österreichische Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff; 155 ff uam; Falser, Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche, Innsbruck, 1896, 35, stellt dies speziell bezogen auf die Maßnahmen der Jahre 1847 ff für das heutige Nordtirol klar: „Dort wo das ärarische Waldeigentum im Allgemeinen festgehalten worden ist, wie im Inn- und Wipptal, schuf die Forsteigentums-Purifikations-Kommission, teils im Wege der Anerkennung des Privateigentums, teils im Wege der Ablösung bestehender Einforstungen durch Abtretung von Grund und Boden, zahlreiche wirkliche Privateigentumswaldungen“; ausdrücklich nunmehr auch: VwGH 30.6.2011 Zl 2010/07/0091 VwSlg 18.171 A/2011 Obergarten: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. Gleiches gilt für die Fälle von Grundstücken gem § 15 Abs. 1 lit. b Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951. „Gemeinde“ bedeutet in dieser Gesetzesbestimmung eine Gemeinschaftsorganisation der Nutzungsberechtigten.)

2. Fraktionen des Provisorischen Gemeindegesetzes 1849

Ein gänzlich anderes Verständnis der Begriffs „Fraktion“ hatte das ProvGemG 1849. Dieses in seiner Bedeutung über Tirol weit hinausgehende Gesetz hatte vorgesehen, dass eine „Fraktion“ nur durch Rechtsakt der (neuen) politischen Ortsgemeinde geschaffen werden könne. (§ 5 RGBl 1849/170: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ – In den GRP-Gemeinden von 1819 hatte es keine Fraktionen gegeben.)

Dazu enthielt § 5 ProvGemG 1849 folgende Bestimmung: „Gemeinden mit bedeutender Volkszahl steht das Recht zu, sich in Fractionen zu theilen, und denselben zur Erleichterung der Verwaltung einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen.“ Fraktionen durften also nur bei „bedeutender Volkszahl“ gebildet werden, was sich nicht nur aus dem ausdrücklichen Wortlaut, sondern auch aus der dahinter stehenden Zweckbestimmung, nämlich der „Erleichterung der Verwaltung“ ergab. Die Fraktionsbildung trat nicht ex lege ein, sondern erforderte ein Handeln der Gemeinde sowohl zur Begründung der Fraktionen („sich in Fractionen zu theilen“) als auch bei der Definition ihrer jeweiligen Aufgaben („einen gewissen Wirkungskreis zuzuweisen“). (Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 129)

Die Errichtung der Gemeinden nach ProvGemG 1849 geriet mit der Abkehr vom Konstitutionalismus ins Stocken (Im Rahmen der sogenannten Silvesterpatente – RGBl 1852/4, Nr. 7ff – wurden wesentliche Grundsätze des Gemeindegesetzes verlassen; die angekündigten Gemeindeordnungen für die einzelnen Länder wurden nicht erlassen) und damit wohl umso mehr die Bildung von Untergliederungen in Form politischer Gemeindefraktionen. Beschlüsse von Gemeindeausschüssen, denen die Teilung in Fraktionen und die Zuweisung eines bestimmten Wirkungskreises an solche Fraktionen zu entnehmen wäre, konnten bislang nicht nachgewiesen werden. Es ist daher zu vermuten, dass solchen gemeinderechtlichen Fraktionen nach ProvGemG 1849 weder quantitative noch länger andauernde Bedeutung zukam.

3. Fraktionen als Gemeindeteile im Sinne der Tiroler Fraktionsgesetzgebung

a) Das Fraktionengesetz LGBl 1893/32 und sein Umfeld

Erheblich wichtiger als die gemeinderechtlichen Fraktionen nach dem ProvGemG 1849 waren jene Fraktionen, mit denen sich der Tiroler Landtag gegen Ende des 19. Jahrhunderts auseinandersetzen mußte. Eine Wurzel des Problems lag in einer Ergänzung, die der Tiroler Landtag selbst jener Gesetzesvorlage hinzugefügt hatte, die von der Wiener Zentralregierung für die Gemeindegesetze der Länder entworfen worden war. Der dadurch modifizierte § 65 der Tiroler Gemeindeordnung 1866 enthielt die Bestimmung, wonach dann, wenn eine Gemeinde aus mehreren „Fraktionen“ bestünde, die Erträgnisse „getrennter Vermögenheiten und die abgesonderten Bedürfnisse“ in den Voranschlägen und Jahresrechnungen der Gemeinde besonders ersichtlich zu machen seien. (§ 65 Abs 5 TGO 1866) Damit wurde der Begriff der „Fraktion“ allerdings vorausgesetzt; er korrelierte nämlich mit keiner anderen Regelung der TGO 1866 und bildete in deren Gesamtsystem einen Fremdkörper. Es war daher kein Wunder, dass diese Fraktionen, wie man später feststellte, „behördlich so viel als möglich ignoriert“ wurden. (Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)

Dessen ungeachtet fanden 1892 „Fractionen“ als „Gemeindetheile“ bzw als „Theile dieser Gemeinde“ (dh der politischen Ortsgemeinde) sehr punktuell in ein Gesetz Eingang, das die Verwaltung des Gemeindeeigentums regelte. (LGBl 1892/17, § 2, § 14, § 34) Auch dabei kam es aber zu keiner vertieften Auseinandersetzung mit dem Fraktionsbegriff. Dies kann kaum erstaunen; im Landtag wußte man nur zu gut, dass dieses Problem erst seiner Lösung harrte: Wenige Monate zuvor, in seiner Sitzung vom 31. März 1892 (StenProt Tiroler Landtag, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 89ff), hatte der Landtag nämlich eine Resolution beschlossen, worin der Landesausschuss aufgefordert wurde, Erhebungen und Überlegungen im Hinblick auf verschiedene Änderungen des Gemeindewesens anzustellen. Insbesondere betraf dies, neben zwei hier nicht näher darzustellenden Problemkreisen (einer Abänderung der Regeln zur Gemeindegutsnutzung sowie einer Verlängerung der Wahlperiode der Gemeindevertretungen bei Einführung periodischer Ergänzungswahlen), die Fraktionen; dazu formulierte die Resolution:

„Um den einzelnen Gemeindetheilen (Fractionen) in der Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung den ihnen gebührenden Einfluß zu wahren, wird als zweckmäßig anerkannt, daß in größern Gemeinden, welche aus mehrern selbständigen Theilen bestehen, bei den Gemeindewahlen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde entfallenden Vertreter, nach Gemeindetheilen (Fractionen) im Verhältnisse der Bevölkerungsziffer aufgetheilt werden. (…) Der Landesausschuß wird beauftragt die nöthigen Erhebungen zu pflegen, welche Bestimmungen der Gemeindewahlordnung bezw. der Gemeindeordnung abgeändert werden müssen, um (…) die Rechtsverhältnisse der Gemeindefractionen überhaupt in zweckentsprechender Weise zu regeln.“ (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Berichterstatter A. Graf Brandis, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

Hintergrund der Beschäftigung mit den Fraktionen war der Befund, dass zahlreiche Gemeinden „nicht lebensfähig“ erschienen. Die „volle Wahrung der Gemeindeautonomie“ verhinderte eine zwangsweise Vereinigung dieser Gemeinden; auch war es „seit 9. Jänner 1866 noch nicht gelungen (…), Gemeinden zur vollkommen freiwilligen Vereinigung zu veranlassen“. In dieser Hinsicht sollte mit der Ausgestaltung der Fraktionen ein Anreiz geboten werden, um den größeren „Sammelgemeinden“ das „Beisammensein zu erleichtern, und andererseits den jetzt selbständigen lebensunfähigen Gemeindegebilden ihre Verschmelzung mit anderen zu erleichtern“. (StenProt Tiroler Landtag, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 90. Schon in dem Bericht des Gemeindeausschusses, der dem Resolutionsbeschluss voranging, zeigte sich allerdings eine dogmatische Unsicherheit; einerseits erschien es notwendig, den nicht lebensfähigen Gemeinden „ihre wohlberechtigten autonomen Interessen zu wahren“, andererseits sollten sie sich nicht als „Privatverbände oder Privatvereine“ verstehen.)

In Ausführung der „Aufträge“ des Landtages legte der Landesausschuss mit 30. März 1893 einen Bericht sowie drei Gesetzentwürfe vor, darunter einen solchen „über die Vertretung der Gemeindefractionen“. Als Berichterstatter fungierte das langjährige Ausschussmitglied Anton Graf von Brandis, zu dieser Zeit bereits Landeshauptmann von Tirol. (Anton Graf von Brandis war k. u. k. Geheimer Rath und Kämmerer und erbliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses, vom 30. September 1889 bis zum 25. April 1904 Landeshauptmann von Tirol.) Sein Bericht lässt erkennen, was man sich unter dem Begriff „Fraktion“ vorgestellt hatte, auch wenn man sich offenkundig schwer tat, diesen Gegenstand exakt zu definieren:

„Die großen Gemeinden, mit Ausnahme einiger weniger geschlossener Orte, bestehen durchweg aus mehreren getrennten Dörfern, Weilern, kurz gesagt Fractionen. Bei den kleinen Gemeinden dürfte sich wohl in den allermeisten Fällen geschichtlich nachweisen lassen, daß sie ursprünglich Theile eines größeren Gemeindewesens bildeten, mit anderen Worten, daß sie aus ehemaligen Fractionen selbstständige Gemeinden wurden.“ „Eine weitere Veranlassung der gegenwärtigen Vorlage ist das Bedürfnis, den Fractionen endlich einmal den ihnen gebührenden Platz in unserer Gemeinde-Gesetzgebung zu verschaffen. Unser Gemeindegesetz kennt eigentlich nur Ortsgemeinden mit ihrer Vertretung. Daß diese Ortsgemeinden auch aus Theilen, Fractionen, bestehen können, wird insoferne anerkannt, als diese Fractionen auch eigenes Vermögen besitzen können[,] welches sie, und zwar unter Oberaufsicht der gemeinsamen Gemeindevertretung, selbstständig verwalten sollen; wie aber diese Verwaltung geschehen soll? durch wen? wer die Fraction vertreten soll? das ist der rechtsgiltigen Übung anheimgestellt. Diese rechtsgiltige Übung nun ist ein sehr vielgestaltiges Etwas, und läßt mitunter auch bezüglich ihrer Rechtsgiltigkeit begründete Zweifel aufkommen. Es sind dies größtentheils Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte, die man aber behördlich so viel als möglich ignorirte, weil sie nicht in den Rahmen der neuen Gesetzgebung hineinpaßten, und die so möglichst uncontrollirt fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach.“ (Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)

Die Zielsetzung, „Gemeindetheilen“ als „Fraktionen“ den „ihnen gebührenden Platz“ in der Tiroler Gemeindegesetzgebung zu verschaffen, wurde jedoch dadurch erschwert, dass sich der Landesausschuss weder zu einer exakten Definition des Gegenstandes durchringen konnte noch in der Frage nach dessen Rechtsnatur eindeutig Stellung bezog. Diese Probleme spiegelten sich in weiterer Folge auch in dem schließlich beschlossenen Fraktionengesetz vom 14. Oktober 1893 (Fraktionengesetz“, Gesetz vom 14. Oktober 1893 gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, LGBl 1983/32. Ausschussbericht dazu: Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93).

Die zentrale Bestimmung dieses Gesetzes lautete wie folgt: „§ 1 (1) Bei Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen, kann über Ansuchen oder in Folge von Beschwerden einer oder mehrerer Fractionen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde nach § 14 der Gemeindeordnung entfallenden Ausschußmitglieder und Ersatzmänner unter eben diesen Gemeindefractionen aufgetheilt werden. (2) Ob und in welcher Art diese Auftheilung und wie die Vornahme der Wahl zu geschehen habe, bestimmt die k.k. Statthalterei im Einverständnisse mit dem Landesausschusse, wobei folgende Grundsätze zu beobachten sind: [Es folgen Abs 3 und 4; abgedruckt unten b.]

b) Begriff und Rechtsnatur der Fraktionen des Fraktionengesetzes LGBl 1893/32

Schon der Bericht des Landesausschusses hatte den Ausdruck „Fractionen“ zunächst nur als eingeklammertes Synonym verwendet und den „Gemeindetheilen“ nachgestellt; als Beispiele genannt wurden „Dörfer“ und „Weiler“. Dabei überwog der Charakter einer Beschreibung; eine möglichst genaue Definition wurde offenkundig gar nicht angestrebt. In Zusammenhang damit standen auch historische Überlegungen zur Entstehung kleiner Gemeinden aus ehemaligen Fraktionen größerer. Mit „Gemeindetheilen (Fractionen)“ sollten somit aus der älteren Gemeindeverfassung stammende Gebilde erfasst werden, „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen“, deren Bestand darauf zurückzuführen war, dass man „nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte“. (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)

Unsicherheiten hinsichtlich des Fraktionsbegriffs und hinsichtlich der Art, wie der undefinierte Gegenstand den ihm „gebührenden Platz“ in der modernen Gesetzgebung erhalten sollte, zeigte bereits der Landesausschussbericht durch zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: Einerseits nahm er auf einen örtlichen Siedlungszusammenhang („Dörfer“, „Weiler“) Bezug, andererseits auf die Existenz „eigenen Vermögens“; letzteres durch Hinweis auf die im Rahmen der „älteren Gemeindeordnungen“ bestehende „rechtsgiltige Übung“ betreffend Vermögensverwaltung und Vertretung der Fraktionen. Dies liefert einen Anhaltspunkt für einen eigenständigen Rechtsträger. Das Fraktionengesetz kombinierte diese beiden möglichen Anknüpfungspunkte und betraf daher „Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen“.

Die hier offenbar werdenden Schwierigkeiten bei der juristischen Erfassung eines historischen Phänomens sind durchaus nachvollziehbar, stand man dabei doch vor einem recht spezifischen Tiroler Problem. Im Gegensatz zu Tirol, wo mangels grundherrschaftlicher Strukturen die lokalen Gemeinschaften als „Markgemeinden“ einen „doppelten Beruf“ als örtliche Gemeinwesen und als ländliche Wirtschaftsgenossenschaften bewahrten, hatten nachbarschaftliche Organisationsformen im anderen Ländern keine Bedeutung mehr: Der Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, spricht davon, dass diese „unkontrolliert fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach“ (Seite 3); der Niederösterreichische Landesausschuss stellte im Gegensatz dazu im Jahr 1878 fest, dass die „alte Organisation der Nachbarschaft“ zertrümmert sei und im modernen Staate den öffentlichen Charakter verloren hätte. (Bericht betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode, Seite 8) Es verwundert daher nicht, wenn der Verwaltungsgerichtshof eineinhalb Jahrzehnte später, 1894, erklärte, dass „der Ausdruck „Gemeinde“ [auch] als gleichbedeutend mit „Ortschaft“ aufzufassen“ sein könne. (Budwinski, Erkenntnisse des k.k. Verwaltungsgerichtshofes 1894, Nr. 8032)

Im Gegensatz zu Niederösterreich bestand daher für Tirol die Notwendigkeit oder zumindest das Bedürfnis, die – vielfach aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Vermögenswerte – erhalten gebliebenen örtlichen Gemeinwesen in die moderne Gemeindeverfassung zu integrieren und durch politische Beteiligungsrechte auf Gemeindeebene als „Erscheinung gemeinderechtlicher Art“ anzuerkennen. Dies erfolgte jedoch nicht durch eine generelle und grundlegende Veränderung des Charakters dieser historischen Gemeinschaften als Erscheinungen des Privatrechts, sondern dadurch, dass einigen von ihnen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine zusätzliche rechtliche Stellung eingeräumt werden konnte (nicht aber mußte), die als weitere Funktion im Rahmen des politischen Gemeinderechtes zu ihrer Rechtsnatur als privatautonom gegründete „moralische Person“ (§ 26f ABGB) hinzutrat.

Dazu hatte der Tiroler Landesausschuss dem Landtag folgendes berichtet: „Es möge nun der Versuch gemacht werden, diese alten Einrichtungen innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes mit den gegenwärtigen Rechtsverhältnissen in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe ist durchaus nichts Unmögliches, ja sie ist vielleicht nicht einmal so schwierig als sie auf den ersten Anblick aussehen mag. Unsere alten Gemeindeordnungen waren ja keine so starren Eisgebilde, als man sich heutzutage mitunter vorstellt. Der allgemeine Rahmen blieb allerdings durch manche Jahrhunderte hindurch unverändert der gleiche; aber innerhalb dieses Rahmens fanden manche Entwicklungen und Veränderungen statt, insbesondere betrafen diese Veränderungen die Art der Vertretung und die Competenz der einzelnen Gemeinde-Funktionäre. Es ist daher gar kein so unerhörter Eingriff in die alten Formen, wenn man heute festsetzt, der Dorfmeister, Regolano, oder wie er immer heißen mag, bleibt Vorsteher der Fraction, wird aber in Hinkunft nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 9. Jänner 1866 gewählt. Er hat an seiner Seite nach Bedarf einen Ausschuß, früher von … jetzt von … Männern, die in gleicher Weise gewählt werden. (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 3 f)

Die „alten Einrichtungen“ der historischen Nachbarschaften als private „Gemeinden“ (moralische Personen gem § 26f ABGB) konnten somit in den „Rahmen des Gemeindegesetzes“ gestellt und als Fraktionen „nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes“ anerkannt werden. Die politische Institutionalisierung wurde durch Reglementierung und Kontrolle erkauft; dies betraf insbesondere das Verhältnis von Gemeinde- und Fraktionsvorsteher, das Vertretungsrecht und das Fraktionsbudget: Wenn es heißt, „innerhalb des Rahmens der Gemeindegesetze“, so sind da gewisse allgemeine Gesichtspunkte, welche festgehalten werden müssen. So ist vor allem der Gemeindevorsteher nicht nur Vorsteher der Hauptgemeinde, sondern auch aller ihrer einzelnen Theile, er hat die Interessen derselben ebenso wie die der Hauptgemeinde gewissenhaft zu wahren, und erforderlichen Falles nach Außen zu vertreten. Der Gemeindevorsteher ist verantwortlicher Rechnungsleger nicht nur für die Hauptgemeinde, sondern auch für alle einzelnen Theile derselben. Damit will durchaus nicht gesagt sein, daß das Gesetz annehme, der Vorsteher sei immer auch selbst der Verfasser der Gemeinderechnung. Im Gegentheile, man weiß wohl, daß insbesondere in größeren Gemeinden Verfasser der Rechnung der Gemeindekassier sei. Aber der Vorsteher ist für diese Arbeit seines untergeordneten Beamten verantwortlich, er hat sie deshalb vorerst selbst genau zu prüfen, ehe er sie unter seinem Namen und unter seiner Verantwortung dem Ausschusse vorlegt. In ähnlicher Weise wird Niemand zweifeln, daß der Gemeindevorsteher nicht selbst die Rechnungen für die einzelnen Gemeinde-Fractionen verfaßt, sondern daß dies zunächst Aufgabe des Fractions-Vorstehers sei, der nach Umständen auch wieder einen Fractions-Kassier an der Seite haben kann, aber vor dem allgemeinen Gemeindeausschusse übernimmt gleichfalls in erster Linie der Vorsteher der Gesammtgemeinde die Verantwortung für die Richtigkeit der Rechnungslegung.
Das hat, oder soll vielmehr die Folge haben, daß vorerst der Gemeindevorsteher, und dann auch der Gemeindeausschuß den Theilrechnungen eine ebensolche Sorgfalt zuwende, als der Hauptrechnung. Darin liegt eben eine Controlle, die nach den vielfach gemachten Erfahrungen gewiß nicht überflüssig ist. Ebenso entspricht es, wie bereits bemerkt, dem Gemeindegesetze, speciell dem § 52, daß im Allgemeinen der Gemeindevorsteher nicht nur die Hauptgemeinde, sondern auch deren sämmtliche Theile nach Außen vertritt. Handelt es sich aber um besondere Fractions-Angelegenheiten, insbesondere um solche Fälle, wo der Gemeindevorsteher, der doch auch irgend einer innerhalb der Gemeinde befindlichen Fraction angehört, einigermaßen befangen erscheinen könnte, so mußte bisher immer nur fallweise durch Bestellung eines Amtsvertreters vorgesorgt werden, da wie erwähnt, der Fractionsvorsteher eigentlich keine bestimmte rechtliche Stellung hatte innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes. Diesem Mangel soll für die Zukunft abgeholfen werden, insbesondere dadurch, daß den sehr vagen und bisher durchschnittlich sehr wenig befolgten Bestimmungen des § 51 eine etwas concretere Gestalt gegeben werde.
(Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 4)

Politisch-administrative Bedeutung sollte jedoch nicht jeder vorhandenen Fraktion zukommen: Unter Festhaltung solcher allgemeiner Grundsätze möge man jedoch vertrauensvoll den ausführenden Organen, nämlich der k.k. Regierung im Einverständnisse mit dem Landesausschusse es überlassen, wie die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Gemeindelebens mit den Anforderungen des Gemeindegesetzes in Einklang gebracht werden können, und zwar durch Entscheidungen von Fall zu Fall, unter Berücksichtigung der an jedem Orte obwaltenden besonderen Verhältnisse. Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse. Im allgemeinen dürfte wohl die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal sein, doch kann es auch Fractionen geben ohne eigenem Vermögen, die doch alle übrigen Erfordernisse einer selbstständigen Stellung in sich tragen, während mitunter kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht darauf erheben können, als eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt zu werden. (Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 4 f)

Dem Tiroler Landesausschuss war demnach sehr deutlich bewusst, dass nur einem Teil der vorausgesetzten, also bereits vor Erlassung des Fraktionengesetzes vorhandenen Fraktionen – Ortschaften bzw Korporationen – auch ein politisch-administrativer Charakter beigelegt werden sollte. Dabei zeigt der Hinweis auf „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung“, dass die Kenntnis des alten zivilrechtlichen Gemeindebegriffs noch vorhanden war; nach historischen Rechtsvorstellungen reichte eine Anzahl von drei Beteiligten aus, um eine solche Gemeinde zu bilden. (Vgl Harras v Harrasowsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 133: „… also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“)

Die Entscheidung darüber, welcher dieser Gemeinden auch im „Rahmen des Gemeindegesetzes“ Bedeutung zukommen sollte, schien jedoch zu schwierig, um sie generell-abstrakten Regeln des Gesetzgebers zu unterwerfen. „Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse.“ Daher sollte diese Frage „vertrauensvoll den ausführenden Organen“, also der Exekutive – Regierung und Landesausschuss – überlassen werden. Die Anerkennung als „eigentliche Gemeinde-Fractionen“ mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung war nach dem Gesetzestext einer Entscheidung der k.k. Statthalterei im Einverständnis mit dem Landesausschusse vorbehalten. (§ 1 Abs 2 – 4 Fraktionengesetz 1893; der Gesetzesentwurf dazu hatte nähere Kriterien für diese Entscheidung vermissen lassen; Beilage B zum Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

Der Landesausschussbericht hatte dazu nur vage Entscheidungskriterien genannt; insbesondere schien „die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal“, das allerdings nicht zu weit gehen sollte – einerseits gedachte man möglicher „Fractionen (…) ohne eigenem Vermögen“, andererseits sollten „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht“ auf Anerkennung als politische Gemeindefraktionen erwerben. Im Fraktionengesetz wurde schließlich eine bestimmte Mindeststeuerleistung verlangt: § 1 (3): Die Gesammtzahl der Ausschußmitglieder und Ersatzmänner ist unter die zur selbständigen Wahl berufenen Fractionen nach Verhältnis des Gesammtbetrages der Steuer-Jahresschuldigkeit (§ 12 der Gemeindewahlordnung) zu der Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten der einzelnen Fractionen zu vertheilen. (4): Wenn die Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction nicht jene Ziffer erreicht, welche sich aus der Theilung der für die Gemeinde ermittelten Gesammtsumme der Steuer-Jahresschuldigkeiten durch die Zahl der Gemeinde-Ausschußmitglieder ergibt, so ist diese Fraction mit einer benachbarten Fraction zu vereinigen. (§ 1 Abs 3 und 4 Fraktionengesetz LGBl 1893/32)

Nur bei Vorliegen entsprechender Einzel-Steuerleistungen („Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction“) war also eine politisch-administrative „Gemeinde-Fraktion“ im Sinne des Fraktionengesetzes anzunehmen. Ein „kleinere[s] Corporatiönchen“, dessen Steuerleistung nicht die für ein Gemeindeausschussmandat erforderliche Verhältniszahl erreichte, sollte – nur für die politisch-administrativen Zwecke des Fraktionengesetzes – jeweils „mit einer benachbarten Fraction“ vereinigt werden. Diese Zusammenlegung änderte jedoch nichts an allfälligen Privateigentumsverhältnissen der beteiligten Eigentumsträger und an deren Charakter als „private“ Fraktionen: Es ist kein Zufall, dass auch jene Korporationen, die keine ausreichende Steuerleistung erbrachten und daher nicht als „eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt“ waren, vom Gesetz als Fraktionen bezeichnet wurden.

Daran ist logisch anzuknüpfen: Wenn mehrere vorausgesetzte („private“) Fraktionen erst gemeinsam – infolge ihrer Zusammenlegung – eine gemeinderechtliche Fraktion im Sinne des Fraktionengesetzes bildeten, so bewahrte auch die Fraktion mit ausreichender Steuerleistung einen Doppelcharakter als privatautonomer Rechtsträger und politisch-administrative Einrichtung. Die gemeinderechtliche Anerkennung brachte den privatrechtlichen Charakter solcher Fraktionen nicht zum Erlöschen. Gegen jede andere Auffassung spricht schon ein sehr einleuchtender Grund: Das Verhältnis der Fraktions-Steuerleistung zur Gesamtsteuerleistung unterlag naturgemäß Schwankungen. So wie sich beim „Dreiklassenwahlrecht“ das Stimmgewicht jedes einzelnen Wählers von Gemeindeausschusswahl zu Gemeindeausschusswahl verändern konnte, so war auch der politisch-administrative Status als „Gemeinde-Fraktion“ niemals abgesichert; die Voraussetzungen konnten von Wahl zu Wahl verloren gehen oder neu erworben werden. Ohne die Annahme eines doppelten Charakters der Fraktion wäre deren Stellung als Privatrechtsträger von der nicht zu beeinflussenden Steuerleistung anderer Wahlberechtigter abhängig gewesen! Damit bestätigt auch und gerade das Fraktionengesetz trotz seines primär gemeinderechtlichen Zweckes die Verwendung des Begriffes „Fraktion“ zur Erfassung privater Rechtsträger von Gemeinschaftsliegenschaften.

Das Fraktionengesetz 1893 legte also bestimmten vorgefundenen Fraktionen eine gemeinderechtliche Bedeutung bei. Damit wird auch deutlich, was man sich unter jenen gemeinderechtlichen Fraktionen vorzustellen hat, die 1938 als „Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ von § 1 der Verordnung über die Einführung der Deutschen Gemeindeordnung im Lande Österreich erfaßt und beseitigt wurden. Fraktionen mit Doppelcharakter verloren spätestens damit wieder ihre politisch-administrative Bedeutung, während die (ältere) privatrechtliche Stellung der mit dem Begriff „Fraktion“ benannten „moralischen Personen“ (Körperschaften) als Eigentumsträger erhalten blieb. (DRGBl I 1938, S. 1167f , § 1)

c) Zum gesetzgebungsgeschichtlichen Rahmen des Fraktionengesetzes LGBl 1893/32

Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 gehört zu jenen Normen, mit denen sukzessive einzelne Aspekte der ländlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung an das sich langsam verändernde, sich auf die politische Ortsgemeinde verengende Gemeindeverständnis angepasst und mit der modernen politischen Gemeindegesetzgebung in Einklang gebracht wurden. Dabei war vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen eine zunehmende Differenzierung des zunächst umfassenden Gemeindebegriffs erforderlich, teils eine Abwicklung verschiedener historischer Gemeinschaftsverhältnisse. In diesem Sinne führten die Landesgesetzgeber schon seit 1866, den ursprünglichen Intentionen des Jahres 1849 Rechnung tragend, Jagdgenossenschaften anstelle von „Gemeindejagden“ ein. (Vgl. zu diesem Themenkomplex mwN Kohl, Otto Bauer und das Jagdrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeindejagd, Zeitschrift für Jagdwissenschaft 40 (1994) 253 ff; Kohl, Jagd und Revolution. Das Jagdrecht in den Jahren 1848 und 1849 (=Rechtshistorische Reihe 114), Frankfurt/Main 1993, 59ff, 90ff; Kohl, Zur Rechtsnatur des österreichischen Jagdrechts, in: Juristische Blätter 1998, 755ff)

1874 löste der Gesetzgeber die religiösen Aspekte aus dem säkularen Gemeindewesen und stellte klar: „Alle einen kirchlichen Gegenstand betreffenden Rechte und Verbindlichkeiten, welche in den Gesetzen den Gemeinden zugesprochen oder auferlegt werden, gebühren und obliegen den Pfarrgemeinden.“ (§ 35 Abs 2 RGBl 1874/50) Mit dem Fraktionengesetz sollte der Vielfalt historischer Siedlungseinheiten („Ortschaften“, „Weiler“ etc) Rechnung getragen werden: So wie man die jagdberechtigten oder kirchlichen Gemeinschaften von den „Gemeinden“ unterschieden hatte, so wollte man auch die verschiedenen geschichtlich gewachsenen Siedlungen von der „politischen Ortsgemeinde“ unterscheiden, allerdings – und darin liegt eine Abweichung von den Jagd- oder Pfarrgemeinden – um sie anschließend mittels besonderer Bestimmungen mit den Ortsgemeinden in Einklang zu bringen.

Deutlich zeigt sich auch eine Parallele zwischen dem Fraktionengesetz und der Bodenreformgesetzgebung, insbesondere den Teilungs- und Regulierungsgesetzen: So wie sich das TRRG 1883 nach den dazu vorliegenden Erläuternden Bemerkungen mit Liegenschaften beschäftigte, die sich als „Überreste der alten Agrargemeinde“ innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten hätten (EB zur Regierungsvorlage, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33; der Bericht des Commassationsausschusses verwendet denselben Begriff: Ausschussbericht, 582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12: „Überreste der alten Agrargemeinde“), so zeigen die Materialien zum Tiroler Fraktionengesetzes von 1893 die Absicht einer Auseinandersetzung mit einem „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“. (Fraktionengesetz“, Gesetz vom 14. Oktober 1893 gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, LGBl 1983/32. Ausschussbericht dazu: Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93) Die enge Verwandtschaft dieser Problemkreise wird dann deutlich, wenn solche historischen Siedlungseinheiten (Nachbarschaftsstrukturen) keine mit den Tiroler Verhältnissen vergleichbare Rolle als örtliche Gemeinwesen spielen konnten. In Niederösterreich, wo die realen Siedlungseinheiten von verschiedenen grundherrschaftlichen Zugehörigkeiten überlagert und dadurch rechtlich weniger stark verbunden gewesen waren, hatten sie keine solche Bedeutung – und erlangten sie auch nach dem Ende der Grundherrschaften nicht mehr. Der niederösterreichische Landtag beschäftigte sich daher auch nicht mit der Frage, ob und inwieweit historischen Siedlungsverbänden ein Gewicht innerhalb der modernen politischen Ortsgemeinden beigelegt werden sollte. Stattdessen wollte er vor allem Eigentum und Nutzungsberechtigung an den Gemeinschaftsliegenschaften geklärt haben und forderte ein Reichsgrundsatzgesetz, um die fehlende Kompetenz des Landesgesetzgebers für den Bereich des Zivilrechtes auszugleichen. Umgekehrt waren in Tirol, dessen Landtag sich mit den Fraktionen beschäftigte, Streitigkeiten um Eigentum und Nutzung von Gemeinschaftsliegenschaften kein Thema; dies selbst im Jahr 1909, als man sich über Veranlassung der Reichsregierung mit der Teilung und Regulierung von Gemeinschaftsliegenschaften auseinandersetzen musste.

So erscheinen Fraktionen und Gemeinschaftsliegenschaften geradezu als zwei Lösungsvarianten des gleichen Problems historischer Gemeindeverhältnisse: Das TRRG 1883 setzte sich mit den Gemeinschaftsliegenschaften als „Überresten der alten Agrargemeinden“ auseinander, das Fraktionengesetz 1893 mit „Überbleibsel[n] der älteren Gemeindeordnungen“. Während das TRRG das Problem der alten Gemeindeverhältnisse durch deren „Privatisierung“ und Ausscheidung aus der neuen politischen Ortsgemeinde löste, diente das Tiroler Fraktionengesetz 1893 deren Integration in die neue Gemeindeverfassung. Nach TRRG gingen alte und neue Gemeinden also getrennte Wege, nach dem Tiroler Fraktionengesetz 1893 wurde manchen alten Nachbarschaften politische Beteiligung zugestanden, um Spaltungstendenzen innerhalb der Ortsgemeinden vorzubeugen, somit unter bestimmten Voraussetzungen Mitbestimmungsrechte an der modernen Gemeinde eingeräumt. (Vgl Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite

4. Die Erfindung von Fraktionen im Rahmen der Grundbuchsanlegung

Schließlich sind noch jene Fraktionen zu betrachten, die ihre Existenz einem „Interpretationsvorgang“ im Rahmen der Grundbuchsanlegung zu verdanken haben. Verschiedene Phänomene wurden nämlich bei der Grundbuchsanlegung als „Fraktionen“ erfasst, ohne dass dies auf eine der historischen Rechtsgrundlagen zurückzuführen gewesen wäre. Ein prägender Einfluss des oben dargestellten, kurz vor Beginn der Grundbuchsanlegung beschlossenen Fraktionengesetzes kann dabei jedoch nicht ausgeschlossen werden.

a) Fraktion als Gemeinde gem Art 2 FRP

Im Rahmen der Forstregulierung erfolgte neben der Forstservitutenablösung (siehe oben) in Nordtirol auch eine „Forsteigentumspurifikation“. Dies bedeutete, dass in den aufgrund des „Regalitätsrechts“ landesfürstlich bleibenden Wäldern „bei Beurtheilung der Eigenthumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden (…) die Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes“ gestattet wurde. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich nichts anderes als die Anerkennung moderner privatrechtlicher Eigentumsansprüche insbesondere aufgrund eines Eigentumserwerbs durch Ersitzung. Die Eigentumsanerkennung erfolgte jedoch nicht generell, sondern „nur dann und in so ferne“, als die Ansprüche entweder „schon (…) gerichtlich gestellt“ waren oder „binnen 3 Monaten vom Tage, an welchem die zur Purifikation dieser Eigenthumsansprüche auszusendene Kommission den Beginn ihrer Wirksamkeit bekannt gemacht haben wird, bei eben dieser Kommission angemeldet“ wurden (Art 2 FRP). Die dazu erlassene Instruktion vom 17. Juni 1847 definierte einerseits eine Reihe von Ersitzungstatbeständen (§ 14), andererseits einen Anerkennungstatbestand „gnadenhalber“ (§ 11). („Instruction für die Commission zur Purifizirung der Privat Eigenthums-Ansprüche auf Wälder in jenen Landestheilen oder Forstgebieten Tirols, in welchen das l.f. Forsthoheits-Recht vorbehalten bleibt“, 17. Juni 1847: AVA Wien, Hofkanzlei, IV G 11 Waldwesen Tirol, 21889/1847; auch in: TLA Innsbruck, Gub. 1847, Forst 9357, Fasz. 421)

Tatsächlich wurden von der „Forsteigentumspurifikationskommission“ (FEPK) zahlreiche Liegenschaften als Privateigentum anerkannt. Dies erfolgte als Ergebnis eines Verfahrens, bei dem die angemeldeten Eigentumsansprüche natürlicher oder moralischer Personen (Körperschaften) in sogenannten „Forsteigentumspurifikationstabellen“ (FEPT) detailliert erfasst wurden. In diesem Zusammenhang fällt insbesondere auf, dass in diesen FEPT zur Kennzeichnung moralischer Personen unter anderem Begriffe wie „Parzelle“ oder „Hof“ Verwendung fanden. (Ogris/Oberhofer, Die Privateigentumsverhältnisse an den Tiroler Forsten, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 175, am Beispiel der FEPT für Umhausen) Bei der Grundbuchsanlegung wurde diese Begriffswahl aber nicht nachvollzogen; stattdessen hat man – ohne erkennbares System – verschiedenste Eigentumsformen (zB schlichtes oder realrechtlich gebundenes Miteigentum) und Eigentumsträger, wie eben auch „Fraktionen“, einverleibt.

Diese Vorgangsweise sei zunächst anhand eines Vergleichs zwischen dem Grundbuch und den der Grundbuchsanlegung zugrundeliegenden Informationsquellen – FEPT und Steuerkataster – illustriert, und zwar für die KG Umhausen mit den verfachten Eigentumsträgern „Parzelle“, „Weiler“ und „Hof“. Mit der Zusatzbezeichnung „Parzelle“ waren dabei folgende Eigentumsträger von Gemeinschaftsliegenschaften verfacht worden: Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels; unter dem Begriff „Weiler“ Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grasstall, Ischelehn und Larsteck sowie unter dem Begriff „Hof“ Acherbach. Bei der Grundbuchsanlegung wurden alle im Verfachbuch enthaltenen Eigentumsträger mit der Zusatzbezeichnung „Parzelle“ in jeweils eine „Fraktion“ umbenannt (im Fall der „Parzelle Niederthai“ als Neubildung unter der Bezeichnung „Fraktion Niederthai Sonnseite“). Die „Weiler“ wurden teils zu „Fraktion“ umetikettiert, teils in realrechtlich gebundenes Miteigentum aufgelöst. Die singuläre Erscheinung „Hof Acherbach“ wurde in „Fraktion Hof Acherbach“ umbenannt. Insgesamt wurde in der KG Umhausen im Zuge der Grundbuchsanlegung für neun Eigentumsträger die Zusatzbezeichnung „Fraktion“ gewählt, obwohl im entsprechenden Eigentumstitel, der FEPT, das Privateigentum von „Parzellen“ anerkannt worden war.

*FEPT 23 ff des LG Petersberg/Silz, Forsteigentumsverhältnisse in der heutigen KG Umhausen: Neben den Parzellen Umhausen, Östen, Hopfgarten, Tumpen, Niederthei, Farst und Köfels sowie den verfachten „Weilern“ Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach, Grastall, Ischelehn und Larsteck, wurde auch „Hof Acherbach“ als Eigentümer verfacht. Darstellung bei Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten, aaO, 175; FEPT 26 des LG Petersberg/Silz: bei der „Waldung Brandle und Schlittegger Sonnseite“ findet sich der ausdrückliche Vermerk: „gehört den Weilern Sennhof, Höfl, Bichl.“; Eigentumsträger der Liegenschaften in EZ 703, 703, 705 (Fraktion Umhausen); 706 (Fraktion Köfels); 707–711 (Fraktion Niederthai Sonnseite); 712 (Fraktion Farst), 713 (Fraktion Östen); 715, 716 (Fraktion Tumpen), 987 (Fraktion Niederthai Neaderseite); Eigentumsträger der Liegenschaften 707–711 (Fraktion Niederthai Sonnseite): Die Liegenschaften in EZ 708–710 wären den Weilern Sennhof, Höfl, Bichl, Ennebach zuzuordnen gewesen; EZ 946 (Alpe Grasstall) und EZ 989 (Ischelehner Hof); Liegenschaft in EZ 717 (Fraktion Hof Acherbach)*

Es liegt auf der Hand, dass diese Eigentumsträger – ungeachtet ihrer Bezeichnung – nichts mit einer ehemaligen Teilorganisation der modernen politischen Ortsgemeinde zu tun haben. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Vorgang der Umbenennung im Zuge der Grundbuchanlegung, für den die Grundbuchsanlegungsprotokolle leider keinerlei Motive erkennen lassen. Im Mittelpunkt steht vielmehr der in das moderne Grundbuch übernommenen Eigentumstitel, einer auf Privateigentum verweisenden FEPT aus dem Jahr 1848.

Nicht weniger irritierend als der Vergleich zwischen Grundbuch und Verfachbuch ist jener zwischen Grundbuch und Steuerkataster, dessen Informationen einen Ausgangspunkt bei der Grundbuchsanlegung bildeten. Die „Ortschaft Acherbach“ des Steuerkatasters wurde umgeschrieben auf „Fraktion Hof Acherbach“, „Neudorf Ortschaft“ auf „Fraktion Umhausen“, „Farst Ortschaft“ auf „Fraktion Farst“, „Sennhof Ortschaft“ auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“, „Östen Ortschaft“ auf „Fraktion Östen“, „Tumpen Ortschaft“ auf „Fraktion Tumpen“, „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“ wurde umgeschrieben auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“, „Gemeinde Umhausen“ auf „politische Gemeinde Umhausen“.

Auch dazu enthalten die einzelnen Grundbuchsanlegungsprotokolle keinerlei Hinweis, was sich die Beamten bei diesen Änderungen gedacht haben. Eine Information darüber, warum alle im Steuerkataster als „Ortschaft“ verzeichneten Gemeinschaftsliegenschaften auf „Fraktion“ umgeschrieben wurden, ist nicht zu finden. Selbst in jenem Fall, in dem die „strukturell“ bedeutendste Veränderung erfolgte – von der ursprünglichen Eigentümerbezeichnung laut Steuerkataster, „Ennebach Überfeld und Lehen Ortschaften 44 Mitbesitzer mit 70 1/6 Kuhfuhren“, auf „Fraktion Niederthay Neaderseite“ (Betrifft EZ 987 II GB Umhausen) – ergibt sich aus dem GAP nicht der geringste Anhaltspunkt, warum die Umschreibung erfolgte. Lapidar lautet die Erklärung: „Erhebung der Eigentumsrechte: Fraktion Niederthai Neaderseite“ (GAP Nr 837 GB Umhausen).

Angesichts eines solchen Befundes verwundert es nicht, dass die Tiroler Landesregierung im Rahmen des in VfSlg 9336/1982 mündenden Gesetzesprüfungsverfahrens die Behauptung aufstellte: „Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ Diese einfache Erklärung, dass sich die Vorgangsweise der Grundbuchsanlegung als willkürlich einfach nicht nachvollziehen lasse, ist also verständlich, aber dennoch unbefriedigend. (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)

Anstelle einer noch nicht möglichen Erklärung kann hier aber zumindest eine Beobachtung präsentiert werden, die eher gegen reine Willkür bei der GBA spricht. Das Beispiel der KG Umhausen zeigt nämlich, dass Privateigentum, das in der FEPT des Landgerichts Silz mit bestimmten „Parzellen“ in Verbindung gebracht worden war, bei der Grundbuchsanlegung je nach Liegenschaftsqualität unterschiedlich behandelt wurde: In „Fraktionen“ umbenannt wurden in erster Linie die Eigentumsträger privater Gemeinschaftswälder, während die in der FEPT als Privateigentum anerkannten Gemeinschaftsalpen als Miteigentumsgemeinschaften registriert wurden. Bei den auf „Parzelle Umhausen“ verfachten Liegenschaften wurde, soweit es sich um Wald handelte, zugunsten „Fraktion Umhausen“ einverleibt, die ebenfalls auf „Parzelle Umhausen“ verfachte „Alpe Groß- und Kleinhorlach“ hingegen wurde – aufgegliedert in zwei Einlagezahlen – als schlichtes Miteigentum erfasst. (FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 25, 25 Fortsetzung und Tabelle Nr 26: „die Waldung Köfelrain, Forchachwaldung, Tauferbergwaldung“ und andere; Tabelle Nr 23: „die Alpe Groß- und Kleinhorlach“; Wald: EZ 703–705 II GB Umhausen; EZ 941 II GB Umhausen (Alpe Kleinhorlach) und EZ 953 II GB Umhausen (Alpe Großhorlach)

Im Fall der „Parzelle Östen“ wurde die Waldliegenschaft zugunsten „Fraktion Östen“ einverleibt, die ebenfalls für „Parzelle Östen“ verfachte „Alpe Fundus“ hingegen als schlichtes Miteigentum erfasst. (FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 25 und Tabelle Nr 25 Fortsetzung: „die Klammwaldung“ und die Waldungen „Acherkar, Grießsäulen und Farsterrinnen mit Farsterkopf“; Tabelle Nr 23: „die Alpe Vorder- und Hinterfundus“; Wald: EZ 713 II GB Umhausen; Alpe: EZ 965 II GB Umhausen (Alpe Fundus).

Im Fall der „Parzelle Niederthai“ wurden die Waldliegenschaften einmal auf „Fraktion Niederthay Sonnseite“, einmal auf „Fraktion Niederthai Neaderseite“ einverleibt, die ebenfalls für die „Parzelle Niederthai“ verfachte „Alpe Zwieselbach“ hingegen als schlichtes Miteigentum und die „Alpe Grasstall“ als realrechtlich gebundenes Miteigentum verbüchert. (FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 26, 26 Fortsetzung: „die Brandlewaldung, die Schlittegerwaldung, die Nederwaldung, die Greitwaldung“; FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 24: die Alpe Zwieselbach, die Alpe Grasstall, die Alpe Larstegg; Niederthai Sonnseite: EZ 707–711, jeweils II GB Umhausen; Niederthai Neaderseite: EZ 987 II GB Umhausen; EZ 987 II GB Umhausen (Alpe Zwieselbach: schlichtes Miteigentum); EZ 967 II GB Umhausen (Alpe Grasstall: realrechtlich gebundenes Miteigentum)

Möglicherweise hat man sich dabei am Franziszeischen Steuerkataster orientiert; soweit dort natürliche Personen als steuerpflichtig registriert waren, wurde im Allgemeinen – unter Umständen realrechtlich gebundenes – Miteigentum einverleibt. Allerdings lassen die Grundbuchsanlegungsprotokolle nicht erkennen, warum im Fall der „Umhausner Wälder“ „Fraktionen“ angeschrieben wurden, im Fall der „Umhausner Almen“ realrechtlich gebundenes oder schlichtes Miteigentum.

Nicht anders verhält es sich bei der als Eigentümerin mehrerer Liegenschaften verfachten „Parzelle Tumpen“: Aus dem gleichen Eigentumsträger „Parzelle Tumpen“ wurde bei der Grundbuchsanlegung, jeweils unter Bezugnahme auf die FEPT, eine „Fraktion Tumpen“, soweit es sich um eine Waldliegenschaft handelte, während die ebenfalls für „Parzelle Tumpen“ verfachte „Tumpener Alpe“ als schlichtes Miteigentum erfasst wurde.

(„Parzelle Tumpen“: FEPT Landgericht Silz, Tabelle Nr 24 Fortsetzung: „die Waldung Gstaig“; Tabelle Nr 23 Fortsetzung: „die Alpe Vorderleierstal, die Alpe Gersteig, die Alpe Tumpen“; Waldliegenschaft „Fraktion Tumpen“: EZ 715 und 716, jeweils II GB Umhausen; Schlichtes Miteigentum: EZ 936 II GB Umhausen)

Festzustellen ist auch, dass bei der Grundbuchsanlegung im Gegensatz zu der im Steuerkataster üblicherweise verwendeten Bezeichnung „Ortschaft“ bevorzugt der Begriff „Fraktion“ Verwendung fand. Teilweise wurden allerdings auch Rechtsverhältnisse auf „Fraktion“ angeschrieben, die nach der Darstellung im Steuerkataster als Miteigentum erschienen. Ob und inwieweit die Grundbuchsanlegung im Zusammenhang mit historischem Privateigentum, das nach Art 2 FRP 1847 „purifiziert“ worden war, ein bestimmtes System verfolgt hat, ist also (noch) nicht nachvollziehbar.

Erwiesen ist hingegen, dass die im Rahmen der Grundbuchsanlegung durch Umbenennung alter Eigentumsträger neu geschaffenen, mit den alten Titelurkunden in Widerspruch stehenden Fraktionen keine gemeinderechtlichen Fraktionen gewesen waren. Besonders deutlich macht dies das weitere rechtliche Schicksal von zwei der Umhausner Fraktionen:

Das im Zuge der Forsteigentumspurifikation anerkannte Privateigentum von „Hof Acherbach“(FEPT Nr 25 des Landgerichts Silz), im Steuerkataster als Eigentum von „Acherbach Ortschaft“ registriert, war bei der Grundbuchsanlegung 1909 als Eigentum der „Fraktion Hof Acherbach“ verbüchert worden. (GAP Post Nr 323 GB Umhausen; historisches B-Blatt der Liegenschaft in EZ 717 II GB Umhausen)Diese „Fraktion Hof Acherbach“ veranlasste von sich aus im Jahr 1920 eine Richtigstellung des Grundbuchs. Mit ausdrücklicher Genehmigung des Landesausschusses wurde die Löschung der Bezeichnung „Fraktion“ und die Einverleibung der Bezeichnung „Nachbarschaft“ bewilligt. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass die Rechtsgemeinschaft „eben nicht wie eine Fraktion ein politischer Unterteil der Gesamtgemeinschaft Umhausen“ sei.

Historisches B-Blatt der Liegenschaft in EZ 717 II GB Umhausen; Richtigstellungsurkunde vom 20. Juli 1920, Urkundensammlung des BG Silz 1920/Zl 845. Richtigstellungsurkunde vom 3.10.1920, Urkundensammlung des BG Silz eingelangt am 3. Dezember 1920 Zl 845)

Ähnliches geschah hinsichtlich der „Fraktion Farst“ mit einem Bescheid der Agrarbehörde vom 1. März 1949, der folgende Feststellung enthielt: „Die im Grundbuch gegenwärtig als Eigentümerin eingetragene Fraktion Farst ist keine Fraktion im Sinn der Tiroler Gemeindeordnung.“ In der Begründung führte der Bescheid aus: „Der Besitz wurde von den Beteiligten selbst verwaltet und hatte die Gemeinde Umhausen keinen Einfluss auf die Verwaltung. Lediglich während der Herrschaft des Deutschen Reiches nahm die Gemeinde den Jagdpacht ein, verwendete ihn aber um die Steuer für die Fraktion Farst abzudecken.“ (Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 1. März 1949 III b -44/4)

b) „Fraktion“ als Ausdruck einer spezifischen Rechtseigenschaft

Grundbuchsanlegungsprotokolle aus dem Bezirk Osttirol legen eine weitere eigenständige Wurzel des Fraktionsbegriffes offen. Die Kennzeichnung als „Fraktion“ konnte auch dazu dienen, eine bestimmte Eigenschaft des Gemeinschaftsgebietes auszudrücken. Eine Fraktions-Alpe lag nach diesem Verständnis dann vor, wenn die Auftriebsrechte in der Fraktion „radiziert“ waren, wenn sich also die Eigentumsverhältnisse in dem als Fraktion verstandenen Gebiet (zB einem Dorf) bzw der als Fraktion verstandenen Summe von Stammsitzliegenschaften in den Eigentumsverhältnissen der Alm widerspiegelten:

Die Auftriebsrechte sind dabei den landwirtschaftlichen Flächen im Dorf zwingend zugeordnet; das Auftriebsrecht folgt dem jeweiligen Flächenanteil. Dabei wird – der Rechtsnatur einer Sommerweide entsprechend – ein „Mindestanteil“ definiert: Um an einer „Fraktions-Alpe“ mitberechtigt zu sein, muss jemand in der „Fraktion“, also im Tal, zumindest jene Fläche besitzen, mit deren Ertrag eine Kuh überwintert werden kann. Zwei ausgewählte Grundbuchsanlegungsprotokolle aus der KG Windisch Matrei können die konkreten Überlegungen der Grundbuchsanlegungsbeamten bei Verwendung dieses „Fraktionsbegriffes“ verdeutlichen.

Beispiel 1: GAP PostNr 315 KG Windisch-Matrei Land vom 14. Juli 1906: Erhebung der Eigentumsrechte: Die Fraktion Prossegg-Kaltenhaus der Landgemeinde Windisch Matrei ist Eigentümerin auf Grund Ersitzung. Die … Landeck-Alpe ist eine Fraktions-Alpe d. h. die einzelnen auftriebsberechtigten Anwesen sind deshalb auftriebsberechtigt, weil sie entweder als ganze zur Fraktion Prosegg-Kaltenhaus gehören oder wenigstens weil Grundstücke zu ihnen gehören, welche in der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus einliegen. Die Auftriebsrechte beruhen auf der Zugehörigkeit der auftriebsberechtigten Realitäten zur Fraktion Prosegg-Kaltenhaus u. sohin auf dem § 63 der Gemeindeordnung. Diese Auftriebsrechte sind im Einverständnisse der Fraktionsmitglieder schon vor unvordenklicher Zeit nach bestimmter Stückzahl auf die einzelnen Anwesen verteilt worden u. sind die einzelnen Anwesen bzw. Grundstücke nach derzeit bestehender Übung mit folgender Stückzahl auftriebsberechtigt: a) der Nachbarschaft Prosegg: ….; b) der Nachbarschaft Kaltenhaus: …. Die hier nicht aufgeführten Anwesen der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus haben deshalb keine Auftriebsrechte in die Landeck-Alpe, weil zu denselben nicht soviel Grund gehört, um mit dem darauf erzeugten Futter eine Kuh überwintern zu können. Wenngleich nun die Auftriebsrechte der obigen Anwesen, weil auf dem § 63 der Gem. Ord. beruhend, nicht frei veräußerlich sind, u. nur als Zugehör von in der Fraktion Prosegg-Kaltenhaus einliegenden Grundstücken verkäuflich sind, so sind dennoch vor Jahrzehnten schon Auftriebsrechte außer die Fraktion hinaus verkauft worden, ohne daß damit auch ein in Prosegg-Kaltenhaus einliegendes Grundstück mitgegeben worden wäre. So gehört heute zum Pettauer-Hofe in A.12 das Auftriebsrecht von 5 Stück Rindern u. 12 ½ Schafen u. zum Landeck-Sägeranwesen in A. 218 das Auftriebsrecht von 18 Rindern u. 25 Schafen in die Landeck-Alpe. Für diese beiden letztern Auftriebsrechte kann der § 63 der Gem. Ord. natürlich nicht mehr den Titel bilden u. müssen dieselben auf Grund Ersitzung als privatrechtliche Servituten behandelt werden.“ Berechtigungen, Feld u. Hausservituten, Reallasten für öffentliche Zwecke: Auf Grund Ersitzung lastet auf den die Landeck-Alpe bildenden Gp 3834 u. 3831 z. G. des jew. Eigentümers des Pettauerhofes in A 12 das Auftriebsrecht mit 5 Stück Rindern und 12 ½ Schafen u. z. G. des jew. Eigentümers des Landeck-Sägerhofes in A 218 das Auftriebsrecht mit 18 Stück Rindern u. 25 Schafen während der Alpzeit. Windisch Matrei am 14. Juli 1906. Die Vertreter der Fraktion Prossegg-Kaltenhaus: Andrä Steiner, Paul Steiner. Die Vertrauensmänner: Paul Steiner, Alois Wibmer.

Auftriebsberechtigt sind im Fall dieser Fraktion „Anwesen bzw Grundstücke“, das Auftriebsrecht klebt an den Heimweideflächen. Die Weide-Fraktion setzt sich demnach aus anderen Liegenschaften zusammen als eine allfällige Holz-Fraktion, für die „Feuerrechte“ maßgeblich wären, die an „Feuerstätten“ kleben. Bemerkenswert ist die Vorstellung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen für verschiedene Auftriebsrechte: Nur wenn die berechtigte Liegenschaft „innerhalb der Fraktion“ gelegen ist, sollen sie sich auf § 63 der Gemeindeordnung gründen (obwohl gar nicht alle Liegenschaften berechtigt sind), andernfalls nicht. Mit dessen Anwendung steht jedoch der ausdrückliche Hinweis auf privatautonome Rechtssetzung „schon vor unvordenklicher Zeit“ in Widerspruch; er stellt klar, dass hier gar keine originäre Rechtssetzung der neuen Ortsgemeinde kraft Hoheitsakt auf eigenem Eigentum gemeint gewesen sein konnte.

Beispiel 2: GAP 482 KG Windisch-Matrei Land: „Die Schilder Alpgenossenschaft ist Eigentümerin aufgrund Ersitzung und besteht aus den Fraktionen: a) Mattersberg b) Moos der Gemeinde Windisch-Matrei. Wenngleich von der Fraktion Mattersberg das Brenneranwesen in A 151 und von der Fraktion Moos verschiedene Anwesen in die Schilderalpe nicht auftriebsberechtigt sind und wenn auch die in die Schilderalpe auftriebsberechtigten Anwesen der beiderseitigen Fraktionen nach der heute bestehenden Übung mit einer bestimmten Stückzahl auftriebsberechtigt sind, so besitzt die Schilderalpe trotzdem für die Fraktionen Mattersberg und Moos den Charakter einer Fraktionsalpe, dh es darf von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht fortverkauft werden, ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde. Die Grasrechte sind mit anderen Worten fest verbunden mit den ganzen Anwesen oder wenigstens mit den einzelnen Stücken der Fraktionen Mattersberg und Moos. Die bestimmte Stückzahl, mit der die einzelnen Anwesen auftriebsberechtigt sind, entspricht der Größe der betreffenden Anwesen und wurde vor ungefähr 20 Jahren im gegenseitigen Einverständnis unter den Fraktionisten geregelt. Nachdem es sich bei der Schilderalpe um eine Fraktionsalpe handelt, gründen sich die Auftriebsrechte der einzelnen Anwesen auf den § 63 Gemeindeordnung.“

Der „Charakter einer Fraktionsalpe“ besteht nach dieser Definition darin, dass „von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht fortverkauft werden [darf], ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde.“ Auch hier wird also mit dem Begriff „Fraktion“ die Verknüpfung von „Grasrecht“ und Liegenschaftsbesitz in der Fraktion ausgedrückt; der Hinweis auf § 63 TGO erscheint vor diesem Hintergrund kaum nachvollziehbar. Die definierte Verknüpfung müsste sinnvoller Weise, auch wenn dies so nicht formuliert wurde, sowohl im Fall des Verkaufes von Heimweideflächen als auch im Fall des Verkaufes von Grasrechten gelten.

Solche Eigentumsverhältnisse könnten dadurch entstanden sein, dass in weit zurückliegender Vergangenheit eine Gemeinschaftsalpe in Besitz genommen und das Weiderecht (später das Eigentum) gemeinschaftlich ersessen wurde. Stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Anteilsberechtigungen, so wird man versuchen, dies anhand des langfristig überwinterten Viehbestandes „festzustellen“. Hat eine derartige Gemeinschaft zur Vorbeugung von „Weidenot“ die Regel aufgestellt, dass ausschließlich das im Dorf überwinterte Vieh aufgetrieben werden dürfe, so ist es davon nicht mehr weit zu der bei der Grundbuchsanlegung festgeschriebenen „Eigentumsform“, wonach die Auftriebsrechte mit den Besitzverhältnissen an der Heimweide „harmonisiert“ sind. Um das eigene Eigentum nicht zu entwerten und auch für „Auswärtige“ handelbar zu halten, wird das Regelwerk so modifiziert werden, dass ein „Grasrecht“ auf der Alm gemeinsam mit „einer Kuhfuhre“ an Heimweidefläche handelbar gemacht wird („Kuhfuhre“ als historisches Flächenmaß umfasste soviel Weideland, wie zur Überwinterung einer Kuh nötig war). Das Grasrecht kann dann gemeinsam mit „einer Kuhfuhre“ auch an Auswärtige veräußert werden. Damit ist den Verkaufswilligen ebenso gedient wie dem generellen Ordnungsprinzip, wonach im Dorf nicht mehr Vieh gehalten werden soll, als auch auf die Sommerweide aufgetrieben werden kann.

c) Inkonsequenzen bei der Grundbuchsanlegung

Schon die bisherigen Feststellungen legen den Verdacht nahe, dass bei der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ nicht konsequent verfahren wurde. Dies indiziert auch der Vergleich verschiedener Katastralgemeinden, bei denen aufgrund ihrer geographischen Nähe relativ ähnliche Verhältnisse anzunehmen wären; diese Erwartung wird nämlich enttäuscht: In der KG Prägraten, historischer Gerichtsbezirk Windisch-Matrei, wurden sieben „Genossenschaften“ als Eigentümerinnen einverleibt, fünf „Fraktionen“, eine „Nachbarschaft“, jedoch keine einzige „Interessentschaft“. Nicht weit von Prägraten entfernt finden sich die Katastralgemeinden Sillian, Sillianberg und Arnbach, historischer Gerichtsbezirk Sillian; in diesen drei unmittelbar angrenzenden Katastralgemeinden wurde im Zuge der Grundbuchsanlegung nicht eine einzige „Genossenschaft“ ermittelt, nur eine „Fraktion“, zwei „Nachbarschaften“, jedoch vier „Interessentschaften“. („Fraktion Schlittenhaus-Oberberg“, EZ 22 II GB Sillianberg; „Nachbarschaft Schlittenhaus“, EZ 9 II GB Sillianberg; „Nachbarschaft Kopsgut“, EZ 13 II GB Sillianberg; „Sillianer Alpinteressentschaft“, EZ 66 II GB Sillian; „Alpinteressentschaft Sillianberg“, EZ 8 II GB Sillianberg; „Weideinteressentschaft Leite Ober- und Unterleita“, EZ 43 II GB Arnbach; „Schade Weideinteressentschaft“, EZ 88 II GB Sillian)

Wenige Kilometer weiter gab es in der KG Kartitsch, historischer Gerichtsbezirk Lienz, gleich neun „Nachbarschaften“, dafür jedoch keine einzige „Fraktion“, keine einzige „Interessentschaft“ und keine einzige „Genossenschaft“; in der KG Obertilliach hingegen keine einzige „Nachbarschaft“ und keine einzige „Genossenschaft“, dafür jedoch drei „Fraktionen“ und zwei „Interessentschaften“.

(Boden EZ 30 und 47, Leiten EZ 33, Oswald EZ 34, Schuster EZ 35, Sulzenbach EZ 36, Walcher EZ 37 und 127, Winkl EZ 38, Erschbaum und Sulzenbach EZ 48, Boden und Erschbaum EZ 91, jeweils II KG Kartitsch; Neben der besagten „Fraktion Leiten“ EZ 15 II GB Obertilliach, „Fraktion Dorf mit Rodarm“ EZ 72 und „Fraktion Bergen“ EZ 14, jeweils II GB Obertilliach; „Wald- und Weideinteressentschaft Bergen“ EZ 108 und „Wald- und Weideinteressentschaft Leiten“ EZ 110, je II GB Obertilliach)

Der genauere Vergleich der beiden letztgenannten Katastralgemeinden Kartitsch und Obertilliach bringt aber noch bemerkenswertere Widersprüche ans Licht. Kartitsch ist nämlich eine jener drei Katastralgemeinden Tirols, in denen die Eigentumsverbücherung bei der Grundbuchsanlegung zugunsten von „Nachbarschaften“ erfolgte, die ausdrücklich als „agrarische Gemeinschaften“ einer „Gemeinde“ definiert wurden. Dies erfolgte jeweils in Kombination mit einer taxativen Aufzählung jener Stammsitzliegenschaften, die an diesen „agrarischen Gemeinschaften“ beteiligt waren. Diese Verbücherungstechnik findet sich offenbar nur in den Osttiroler Katastralgemeinden Kartitsch, Innervillgraten und Außervillgraten; die Grundbuchsanlegung wurde hier in den Jahren 1904 und 1905, also vor dem Inkrafttreten des TRLG 1909, durchgeführt. Daraus könnte man nun die Schlussfolgerung ziehen, dass den zuständigen Beamten das Wesen der Gemeinschaftsliegenschaften als „agrarische Gemeinschaften“ durchaus bewusst war – im Gegenschluss würde dies bedeuten, dass bei der „üblichen“ Verwendung des Begriffes „Fraktion“ gerade nicht eine agrarische Gemeinschaft, sondern tatsächlich eine gemeinderechtliche Einrichtung gemeint gewesen sei. Derartige Überlegungen scheinen jedoch nicht angebracht, wie eine genauere Betrachtung dieser Verhältnisse in ihrem Zusammenhang zeigt.

(Beispiel: EZ 33 GB Kartitsch: „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 34 GB Kartitsch: „Nachbarschaft Oswald, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 35 GB Kartitsch: „Nachbarschaft Schuster, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 36: „Nachbarschaft Sulzenbach, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 37: „Nachbarschaft Sulzenbach, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; EZ 38: „Nachbarschaft Winkl, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der folgenden Grundbuchskörper als …“; uam; Auf dieses Phänomen verweist bereits der Bericht der Agrarbezirksbehörde Lienz, Zl 519/41/Vi, Überprüfung agrargemeinschaftlicher Grundstücke im Landkreis Lienz, an die „Obere Umlegungsbehörde beim Reichsstatthalter“ vom 31. Dezember 1941 (Berichterstatter Dr. Wolfram Haller), Pkt IV., Seite 6)

Die in der KG Kartitsch als Liegenschafteigentümerin begegnende, hier ortsfremde „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ sucht man in der KG Obertilliach vergebens. Stattdessen stößt man auf eine „Fraktion Leiten der Gemeinde Obertilliach“ und weitere, offensichtlich gleichartige Erscheinungen, nämlich „Fraktion Bergen der Gemeinde Obertilliach“ und „Fraktion Dorf mit Rodarm der Gemeinde Obertilliach“. (EZ 33 II GB Kartitsch; EZ 15 II GB Obertilliach; EZ 14 II GB Obertilliach; EZ 72 II GB Obertilliach)

Allen drei genannten Gemeinschaftsliegenschaften in der KG Obertilliach ist gemeinsam, dass an ihnen, wie das B-Blatt des historischen Grundbuchs zeigt, „aufgrund der Niederschrift vom 7. April 1939 und des Gesetzes für das Land Österreich, LGBl 408/38 Art II § 1 das Eigentum für Gemeinde Obertilliach“ einverleibt worden war. (Zu dieser Praxis im damaligen Bezirk Lienz des Reichsgaues Kärnten: Oberhofer, Von der Gemeinde zur Agrargemeinschaft, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 92 ff)

In dieser Form fand also die Beseitigung gemeinderechtlicher Fraktionen durch das Inkrafttreten der deutschen Gemeindeordnung Ausdruck. Der „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ ist vergleichbares in der KG Kartitsch hingegen nicht widerfahren. Nun könnte man meinen, dass die in Kartitsch im Zuge der Grundbuchsanlegung einverleibte „Nachbarschaft Leiten …“ eine andere Rechtspersönlichkeit sei als die in der KG Obertilliach einverleibte „Fraktion Leiten“. Dieser Annahme widerspricht jedoch das weitere Schicksal der vormaligen Fraktionsliegenschaft Leiten in der KG Obertilliach: Aufgrund eines agrarbehördlichen Bescheides vom 31. Dezember 1942 wurde nämlich schon am 2. April 1943 das Eigentumsrecht für „Agrargemeinschaft Nachbarschaft Leiten“ einverleibt.

Dies erfolgte aufgrund des Einzelteilungsplanes und Regulierungsplans vom 7. August 1939 Zl 2550/39 und des ersten Anhanges hiezu Zl 931/42 Vi sowie aufgrund des Regulierungsplans von 31. Dezember 1942 Zl 911/42 Vi: Der agrarbehördliche Bescheid vom 31. Dezember 1942, mit dem diese Klarstellung der Eigentumsverhältnisse der Obertilliacher Liegenschaft erfolgte, enthüllt dazu weitere Details: Im Rahmen des Regulierungsverfahrens wurde das „Baugrundstück 307/2 Schulhaus“ als Eigentum der Gemeinde Obertilliach abgeschrieben und dafür eine neue Grundbuchseinlage eröffnet. Der übrige Gemeinschaftsbesitz ist aufgrund der laut Verhandlungsniederschrift vom 2. Oktober 1942 abgegebenen gemeindeaufsichtsbehördlich genehmigten Anerkennungserklärung des Bürgermeisters der Gemeinde Obertilliach Eigentum der Agrargemeinschaft Nachbarschaft Leiten. Gemäß den weiteren Bescheidfeststellungen setzt sich diese Nachbarschaft aus besagten 11 Liegenschaften zusammen, welche in der Nachbar-Katastralgemeinde Kartitsch bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung als Träger der „Nachbarschaft Leiten“ ausgewiesen wurden. Der Regulierungsplan und die Grundbuchseintragung dazu weisen als Mitglieder dieser Agrargemeinschaft die Eigentümer genau jener 11 Liegenschaften aus, die bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung in der KG Kartitsch die „Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach“ gebildet hatten.

Der agrarbehördliche Bescheid vom Dezember 1942 wurde von Dr. Wolfram Haller, Jurist der Agrarbehörde Villach, verantwortet. Erhatte aufgrund von massiven Beschwerden, die im Bezirk Osttirol gegen die Vereinnahmung von altem agrargemeinschaftlichem Vermögen durch die politischen Ortsgemeinden laut geworden waren, eingehende Untersuchungen zu den Rechtsverhältnissen durchgeführt. (Dazu existiert ein Vorhabensbericht von Dr. Haller datiert mit 31. Dezember 1941 Zl 519/41/Vi betreffend „Überprüfung agrargemeinschaftlicher Grundstücke im Landkreis Lienz“, gerichtet an die „Obere Umlegungsbehörde beim Reichsstadthalter“; darüber hinaus existiert von Dr. Wolfram Haller eine Abhandlung zum Thema: Haller, Die Entwicklung der Agrargemeinschaften Osttirols, 1947 (Österreichische Nationalbibliothek 753.717-C). Sie erweisen Haller als kompetenten Kenner der Materie, dem die Grundsatzfrage agrarbehördlicher Tätigkeit nach den Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetzen, nämlich die behördliche Klärung und Entscheidung der Eigentumsfrage, vollkommen bewusst war. In diesem Sinne unterschied der von Haller verfasste Bescheid vom Dezember 1942 das öffentliche Eigentum der politischen Ortsgemeinde Obertilliach genau von privatem Gemeinschaftsvermögen. (Konsequenter Weise ging der Bescheid vom 31. Dezember 1942 Zl 911/42/Vi distinktiv vor und stellte hinsichtlich des Baugrundstückes 307/2 KG Obertilliach „Schulhaus“, welches von der Liegenschaft in EZ 15 II GB Obertilliach abgeschrieben wurde, das Eigentumsrecht der politischen Ortsgemeinde fest)

Was bedeutet dies für die Beurteilung der Entscheidung der Grundbuchsanlegungsbeamten in den Katastralgemeinden Obertilliach und Kartitsch hinsichtlich der Liegenschaften in EZ 33 II KG Kartitsch und EZ 15 II KG Obertilliach? Folgt daraus zwangsläufig, dass die Anschreibung einer „Fraktion“ ob der Liegenschaft in EZ 15 II KG Obertilliach falsch war? Nimmt man an, dass die Grundbuchsanlegungsbeamten unter dem Begriff „Fraktion Leiten“ einen öffentlichrechtlichen Eigentumsträger verstanden hatten, so erscheint die undifferenzierte Beurteilung der Gesamtliegenschaft als „Fraktionsvermögen“ rückblickend tatsächlich als unrichtig. (Ausgenommen wäre dabei die Bp 307/2 KG Obertilliach („Schulhaus“), die offensichtlich öffentlichen Zwecken gewidmet war. Hier ist ein Eigentumserwerb durch die Ortsgemeinde auf der Grundlage von Dereliktion und Okkupation anzunehmen: Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 200 ff) Kann aber der seinerzeitigen Beamtenschaft (der Jahre 1904/1905) dieses Verständnis unterstellt werden?

Ein Überblick über die vier benachbarten Ortsgemeinden Kartitsch, Anras, Obertilliach und Untertilliach wirkt jedenfalls irritierend. In jeder dieser vier Ortsgemeinden wurde bei der Grundbuchsanlegung eine andere Technik zur Anschreibung der Gemeinschaftsliegenschaften verwendet: Die Eigentumseinverleibung erfolgte auf Gemeindegebiet von Anras, gebildet aus den drei Katastralgemeinden Anras, Asch mit Winkl und Ried, jeweils unter der Bezeichnung „Ortschaft“, in der KG Obertilliach jeweils unter der Bezeichnung „Fraktion“, in der KG Untertilliach jeweils unter der Bezeichnung „Fraktion, bestehend aus …“ (verbunden mit einer taxativen Aufzählung von Stammsitzliegenschaften), auf dem Gebiet der Ortsgemeinde Kartitsch schließlich unter Verwendung der bereits angesprochenen Formulierung „Nachbarschaft (…), agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch“.

Dieser Befund ist kein Osttiroler Spezifikum, wie ein Beispiel aus dem Außerfern illustrieren kann: Hier betraf der Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Oberletzen ein Regulierungsgebiet, das sich aus Liegenschaften in den Katastralgemeinden Oberletzen, Lechaschau und Musau zusammensetzte. Der ursprüngliche Eigentumsträger war in den historischen B-Blättern jedoch ganz verschieden bezeichnet worden. Als Eigentümerin verbüchert wurde in der KG Oberletzen die „Katastralgemeinde Oberletzen“ aufgrund eines Forstservitutenablösungsvergleichs vom 19.10.1848, in der KG Lechaschau eine „Gemeinde Oberletzen“ aufgrund eines Kaufvertrages vom 22. November 1858 und in der KG Musau eine „Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle“ ebenfalls aufgrund eines Forstservitutenablösungsvergleichs, nämlich vom 14.9.1848. (Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Oberletzen vom 7. Juli 1970, Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung III b 1-383/2; EZ 15 II GB Oberletzen, EZ 195 II GB Lechaschau, Miteigentumsanteil zu 13/61 an EZ 76 und EZ 121 je II GB Musau; FSAV Lech, Höfen, Weisenbach und Wängle 19.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 924 (E); FSAV Musau 14.9.1848 verfacht 13.11.1852 fol 930 (E – „volles und unbeschränktes Eigentum die Gemeinde Musau mit Ausschluss der Fraktion Unterletzen“; E – Fraktion Unterletzen, E – Fraktion Oberletzen)

Die KG Oberletzen gehörte zur Zeit der Grundbuchsanlegung zum Gemeindegebiet der politischen Ortsgemeinde Wängle. Hätte es sich bei Oberletzen um eine politische Gemeindefraktion gehandelt, so wäre zu erwarten, dass man dies gerade auf Gemeindegebiet der politischen Gemeinde Wängle, also in der KG Oberletzen, erkannt hätte. Insofern erscheint es besonders erstaunlich, dass als Eigentümerin gerade hier die „Katastralgemeinde Oberletzen“ verbüchert wurde, während man eine „Fraktion Oberletzen“ nur in Musau annahm. Die auf den ersten Blick irritierende Verbücherung einer „Katastralgemeinde Oberletzen“ kommt jedoch bei näherer Betrachtung dem Sachverhalt nicht nur besonders nahe, sondern erspart auch die andernorts notwendig erschienene Definition: Die „Katastralgemeinde Oberletzen“ umfasst nämlich alle ihr zugemessenen Grundstücke bzw deren Eigentümer, wobei sich die Anteile aus den auf diese Grundstücke entfallenden Steuerbeträgen in Relation zu deren Gesamtsumme ergeben. Gleichzeitig ist eine Radizierung dieser Anteile im Sinne realrechtlicher Verbindung entbehrlich: Wer Liegenschaften verkauft, die zu dieser Katastralgemeinde gehören, verliert damit auch einen entsprechenden Anteil am Liegenschaftseigentum der Katastralgemeinde.

Solche komplexen Überlegungen sind allerdings im Fall der drei unterschiedlichen Anschreibetechniken für die Gemeinschaftsliegenschaften der Stammliegenschaftsbesitzer von Oberletzen nicht zu unterstellen. Die Eigentümerbezeichnung für die Liegenschaft in EZ 195 II KG Lechaschau wurde schlicht aus dem Kaufvertrag vom 22. November 1858 übernommen, der von einer „Gemeinde Oberletzen“ abgeschlossen wurde – als Käuferin trat eine „Gemeinde Oberletzen“ in Erscheinung – verfacht 1858 fol 3417); in den beiden Ablösungsvergleichen vom 19.10.1848 und vom 14.9.1848 wurde jeweils den Stammliegenschaftsbesitzern einer „Fraktion Oberletzen“ gesondertes Waldeigentum zuerkannt (FSAV Lech, Höfen, Weisenbach und Wängle 19.10.1848 verfacht 13.11.1852 fol 924 (E).

Vielleicht wollten die historischen Akteure auf dem Gebiet der eigenen Ortsgemeinde Wängle, dh in der KG Oberletzen, klarstellen, dass „Oberletzen“ nicht den Status einer politischen Ortsfraktion nach Fraktionengesetz 1893 besaß, weshalb man den Begriff „Katastralgemeinde Oberletzen“ zur Erfassung der Eigentümerin verwendete, wohingegen man sich in der KG Musau schlicht an der Titelurkunde vom 14.9.1848 orientierte, in welcher tatsächlich durch die Forstservitutenablösungskommission einer „Fraktion Oberletzen“ eigenes Waldeigentum zuerkannt wurde.

Abschließend sei noch ein vergleichbares Beispiel aus dem Tiroler Oberland erwähnt: In der KG Zamserberg begegnen als Eigentümer sowohl die „Katastralgemeinde Zams“ als auch die „Katastralgemeinde Zamserberg“. Offensichtlich dieselben Eigentumsträger erscheinen in der benachbarten KG Zams jedoch als „Gemeinde-Fraktion Zams“ bzw. als „Gemeinde-Fraktion Zamserberg“. Eine Kombination dieser Bezeichnungen, die zugleich zeigt, dass man ihnen in diesem Fall synonyme Bedeutung beilegte, findet sich wieder in einem historischen Eigentumsblatt der KG Zamserberg: Hier wurde die Liegenschaftseigentümerin angeschrieben unter dem Namen „Gemeinde-Fraktion (Kat. Gem.) Zamserberg“.

(EZ 49 II GB Zamserberg; EZ 44, 45, 46, 47, 48, 50, 101 jeweils II GB Zamserberg; EZ 109 II GB Zams, EZ 227 II GB Zams, EZ 408 II GB Zams sowie EZ 412 II GB Zams; EZ 412 II GB Zams; EZ 121 II GB Zamserberg)

VI. Ursachen der Begriffsverwirrung

Die Überprüfung der im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung geschaffenen Rechtstatsachen bestätigt jenen Befund, den die Tiroler Landesregierung 1982 ihrer Stellungnahme zugrundelegte: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)

Worin lagen nun aber die Ursachen dieses aus rechtsstaatlicher Sicht nicht unbedenklichen Ergebnisses? Waren es wirklich nur die in Tirol zum Einsatz gekommenen „Grundbuchsbeamten“, wie die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung suggeriert?

Tatsächlich handelt es sich um kein Tiroler Spezifikum. Die Verbücherung von Gemeinschaftsliegenschaften stieß vielmehr in allen Bundesländern auf erhebliche Probleme, wie sich deutlich aus einer umfassenden literarischen Diskussion über diese Frage ergibt: Sie setzte Mitte der 1870-er-Jahre, also bald nach dem Grundbuchsgesetz, ein, erreichte ihren Höhepunkt ab der Mitte der 1880-er-Jahre und belegt die Komplexität der Rechtslage und die Unsicherheit aller Beteiligten. (Vgl: Paris, Die Gemeinschaften (Gemeinden – Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1875, 49 f; Stampfl, Ein Beitrag zur Frage über die Gemeinschaften (Gemeinden-Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1875, 97 f; Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 591 ff; Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff, 147 ff, 155 ff; Lackenbacher, Über die Rechtsverhältnisse an den für abgelöste Servituten an eine Gesamtheit von Berechtigten abgetretenen Grundstücken, JBl 1886, Nr 29; Dr. S, Über die Realgenossenschaften in Österreich, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, Nr 46 – Nr 51; Pitreich, Miteigentum als Realrecht, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1887, 393 ff, 403 ff, 409 f; Snetiwy, Über den Tabularverkehr bei sogenannten „Nachbarschafts-„ oder „Ortschaftsrealitäten“, Allgemeine österreichische Gerichtszeitung, 1892, 321 f; Amschl, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7; Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1894, 129 ff; Wallner, Wald-, Weide- und Alpengenossenschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1912, 269 ff. Eine hervorragende Zusammenfassung dieser literarischen Diskussion findet sich bei Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, 1916, 126ff; 134ff, 144ff, 153f, 159f)

Auch die einschlägige, weit über 100 Jahre zurückreichende Literatur liefert als Erklärung des Phänomens der falschen Grundbucheintragungen die, wenngleich unverschuldete, Inkompetenz der historischen Akteure: „Dass die neuen Grundbücher Mängel aufweisen, ist bekannt. Es soll dies den Anlegungsorganen nicht zum Vorwurfe gemacht werden. Erstlich handelte es sich um ein Werk, für das Vorbilder fehlten: die Vorschriften über die Anlegung und die hierüber erflossenen Weisungen stellten sich in mancher Richtung als unzulänglich, an anderer wieder als Förderungsmittel der Schwerfälligkeit dar; dann aber ruhte das Anlegungsgeschäft selbst meist in den Händen der Grundbuchsführer oder ganz junger richterlicher Beamten, die sich erst mühsam in ihre Aufgabe hinein leben mußten, anstatt dieselbe von vorneherein mit jener überlegenen Sicherheit in Angriff zu nehmen, die allein die Grundlage jedes Erfolges bildet. Bedenklicher erscheint, dass die Operate trotz der Prüfung durch die Präsidien und Oberlandesgerichte an schweren Mängeln leiden.“ (Amschl, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine Österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7, Seite 49)

Diese Analyse des Bezirksrichters Alfred Amschl betraf zwar, weil 1893 publiziert, nicht Tirol, enthielt aber doch auch Faktoren, die in Tirol wirkten. So kann man die vom Justizministerium 1897 ergangenen Direktiven für die Grundbuchsanlegung in Tirol wirklich nur als „unzulänglich“ bezeichnen: Insbesondere betrifft dies den „allgemeine[n] Grundsatz“, wonach „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen war, wobei „darauf gesehen werden [sollte], dass die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen und nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“. (Verordnung des Justizministeriums vom 19.10.1897, Z. 23089, womit anlässlich der Anlegung von Grundbüchern in Tirol eine Anleitung für die Eigenthumsanschreibung hinsichtlich mehrerer Gattungen von Liegenschaften, die in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen, ertheilt wird: JMVOBl 1897/37)

Zugleich verstießen die Grundbuchsanlegungsorgane tatsächlich wiederholt gegen die vom Justizministerium ergangenen Direktiven. (Verordnung des Justizministeriums vom 19.10.1897, Z. 23089, womit anlässlich der Anlegung von Grundbüchern in Tirol eine Anleitung für die Eigenthumsanschreibung hinsichtlich mehrerer Gattungen von Liegenschaften, die in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen, ertheilt wird: JMVOBl 1897/37)

Diese hatten beispielsweise verlangt, darauf zu achten, dass „nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“ – dennoch kam es, wie die oben gezeigten Beispiele beweisen, vielfach zu einer synonymen Verwendung der Bezeichnungen Fraktion, Katastralgemeinde und Nachbarschaft.

So wurde beispielsweise das Gemeinschaftseigentum der Stammliegenschaftsbesitzer von Oberletzen in drei verschiedenen Erscheinungsformen erfasst, nämlich in der KG Oberletzen als „Katastralgemeinde Oberletzen“ (EZ 15 II GB Oberletzen), in der KG Musau als „Fraktion Oberletzen der Gemeinde Wängle“ (EZ 76 II GB Musau) und in der KG Lechaschau als „Gemeinde Oberletzen“ (EZ 195 II GB Lechaschau)

Auch dem „allgemeinen Grundsatz“, wonach „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen war, wurde oftmals nicht Rechnung getragen; manche der verbücherten Eigentümer konnten weder als natürliche noch als juristische Person angesehen werden, wie beispielsweise die „Schießstätten“, welche als Eigentümerinnen der Schießstände erfasst wurden. Beispiele: EZ 203 GB Tannheim: Eigentümerin „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, Eigentumsrecht aufgrund Verleihungsurkunde vom 19. September 1699 und Ersitzung – 1929 berichtigt auf „Schützengilde Tannheim; EZ 782 GB Längenfeld: „k.k. Gemeinde Schießstand Längenfeld“, Eigentumsrecht aufgrund Überlassungsvertrag vom 30. Juli 1889 – 1930 berichtigt auf „Schützengilde Längenfeld“; EZ 202 GB Innervillgraten: „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 111 GB Kartitsch: „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 28. Jänner 1905 – 1926 berichtigt auf Schützengilde Kartitsch.

Doch schon dabei liegt die Verantwortung nicht allein bei den ausführenden Grundbuchsanlegungsbeamten: Eine derartige Verbücherung war vielmehr durchaus nachvollziehbar, nachdem dieselben Direktiven gerade die Verbücherung von Kirchen oder Schulen als Rechtsträger ihrer selbst angeordnet hatten, also in sich widersprüchlich waren.

Allerdings fehlte auch dort, wo die Direktiven lediglich Grundsätze aufstellten, von denen bei der Grundbuchsanlegung aus begründeten Ursachen abgegangen werden durfte und sollte, die – gerade dann besonders erforderliche – gründliche juristische Auseinandersetzung: Obwohl nach den Direktiven von 1897 Schulen „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen“ waren, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ wäre, stellten die Grundbuchsanlegungsbeamten offenbar keine einschlägigen Recherchen an. So zeigen etwa die Grundbuchsanlegungsprotokolle in der KG Längenfeld, wo (wie erwähnt) „Schulgemeinden“ anstelle der vorschriftsmäßigen „Schulen“ einverleibt wurden, nicht die geringste Auffälligkeit: Die „Schulgemeinde“ wurde als Eigentümerin so behandelt, als wäre sie eine gewöhnliche „natürliche oder juristische Person“. Das Grundbuchsanlegungsprotokoll enthält in der Rubrik „Name und andere zur Bezeichnung des Besitzers dienende Merkmale“ lediglich die folgenden Ausführungen: „Nach dem Grundsteuerkataster: Unterried Schule, Unterried HausNr 50“, „Nach der Erhebung: Schulgemeinde Unterried“. Unter der gestempelten Überschrift „Erhebung der Eigentumsrechte“ findet sich nur der handschriftliche Vermerk: „Schulgemeinde Unterried, Titel Ersitzung“ – darauf folgen die Unterschriften, eine weitere Begründung findet man nicht. (So GAP Nr 369 GB Längenfeld; weitere Beispiele: Liegenschaft in EZ 8 Grundbuch See: Eigentümerin „Schulgemeinde See“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; Liegenschaft in EZ 67 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Bruggen“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; Liegenschaft in EZ 299 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Dorf“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 17. März 1897; EZ 432 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Unterried“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 967 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Huben“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 968 Grundbuch Längenfeld: „Schulgemeinde Oberlängenfeld“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 28. August 1908)

Überhaupt wird meist enttäuscht, wer in den Grundbuchsanlegungsprotokollen eine gründliche Untersuchung der jeweiligen Rechtsverhältnisse oder gar Spuren rechtsdogmatischer Analyse zu finden hofft. Eher gewinnt man den Eindruck einer gewissen Unbeschwertheit oder Sorglosigkeit.

Es gibt beispielsweise keinerlei Indizien dafür, dass die Grundbuchsanlegungsbeamten bei den als Eigentümerinnen anerkannten „Genossenschaften“ deren Konstituierung nach dem Genossenschaftsgesetz (RGBl 1873/70) oder einer anderen Norm geprüft haben könnten; gleiches gilt für die Konstituierung der angeschriebenen „Fraktionen“ nach politischem Gemeinderecht.

Bei den „Gerichtsgemeinden“ wurden zwar Angaben dazu gemacht, dass sich der betreffende Eigentumsträger aus bestimmten „Gemeinden“ zusammensetze – etwa der „Rustikalgerichtsfond Sillian“ aus „sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“ oder das „Gerichtsviertel untere Schranne“ aus den Gemeinden Ebbs, Buchberg, Niederndorf, Erl, Niederndorferberg, Rettenschöß und Walchsee. (Zum Beispiel EZ 178 GB Grins: Eigentümerin „Zweidrittelgericht Landeck“, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 110 GB Mieders: Eigentümerin „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft“ bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg, Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung; EZ 1 GB Panzendorf: Eigentümer „Rustikalgerichtsfond Sillian“, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 20. November 1833; EZ 16 GB Ebbs: Eigentümerin „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“, Eigentumsrecht aufgrund Kaufes vom 26. Oktober 1826, 1956 berichtigt auf „Verwaltungsgemeinschaft Altersheim Ebbs“)

Doch wie sich politische Ortsgemeinden, konstituiert aufgrund der Tiroler Gemeindeordnung 1866, schon 1826 bzw. 1833 anlässlich eines jeweils gemeinsamen Liegenschaftserwerbs zu einer Gemeinschaft verbunden haben könnten, blieb unklar und wurde nicht einmal in Ansätzen problematisiert (EZ 1 GB Panzendorf: Eigentümer „Rustikalgerichtsfond Sillian“, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen, Eigentumsrecht aufgrund Kaufvertrages vom 20. November 1833). Umso mehr galt dies im Hinblick auf weiter zurückliegende Eigentumstitel: Selbst wenn aufgrund eines „Verleihbriefs vom 21. Juni 1622“ eine „politische Gemeinde“ (EZ 33 GB Ebbs: „politische Gemeinde Ebbs“, Eigentumsrecht aufgrund Verleihbriefs vom 21. Juni 1622) oder aufgrund einer „Urkunde vom 14. November 1415“ eine „Altgemeinde“ (EZ 487 GB Sölden: „Altgemeinde Vent“, Eigentumsrecht zur Hälfte aufgrund Urkunde vom 14. November 1415) verbüchert wurde – die Grundbuchsanlegungsbeamten hielten es nicht für notwendig, zu diesen juristisch fragwürdigen Erscheinungen auch nur eine kurze Bemerkung in den Anlegungsprotokollen anzubringen.

Ob die Beamten eine Vorstellung von der Rechtsnatur jenes Eigentumsträgers hatten, den sie in der KG Kaunertal unter der Bezeichnung „Röm. Kath. Kirchspiel Feichten“ einverleibten, bleibt mangels aussagekräftiger Grundbuchsanlegungsprotokolle ebenfalls offen; es wird aber zu bezweifeln sein. (EZ 74 II GB Kaunertal „aufgrund Kaufvertrages vom 12. Juni 1877 fol 192 und vom 4. Oktober 1881 fol 248)

Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass sich die Grundbuchsanlegung weniger an dogmatischen Grundsatzüberlegungen als an den jeweils anzutreffenden lokalen Verhältnissen orientierte; allerdings könnten auch die Vorlieben der jeweiligen Grundbuchsanlegungsbeamten eine Rolle gespielt haben. Es fällt jedenfalls auf, dass jeweils für einzelne Katastral- oder Ortsgemeinden ein bestimmtes „Handlungsschema“ umgesetzt wurde.

Verständlich wäre es auch, wenn die Beamten bei Konsens aller Beteiligten einfach deren Vorstellungen umsetzten, also deren Terminologie übernahmen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit die jeweilige Idee mit dem geltenden Recht perfekt in Einklang gebracht werden konnte. Dies wäre den Grundbuchsanlegungsbeamten im Grunde nicht zu verübeln, denn die komplexen Rechtsverhältnisse der Gemeinschaftsliegenschaften konnten gar nicht richtig erfasst werden.

Selbst dort, wo die Bezeichnung „Nachbarschaft X, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Y, bestehend aus …“ gewählt wurde (was nur in den drei Osttiroler Katastralgemeinden Kartitsch, Außervillgraten und Innervillgraten geschehen war), erfolgte dies doch auf höchst anfechtbarer Rechtsgrundlage – eine „Nachbarschaft“ war und ist weder eine „natürliche“ noch eine „juristische“ Person. (Beispielsweise in der KG Kartisch: EZ 33 KG Kartitsch: Nachbarschaft Leiten, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Obertilliach, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern …; EZ 34 KG Kartitsch: Nachbarschaft Oswald, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern …; EZ 35 KG Kartitsch: Nachbarschaft Schuster, agrarische Gemeinschaft der Gemeinde Kartitsch, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern …)

Alle zweifellos vorhandenen Unzulänglichkeiten der ausführenden Grundbuchsanlegungsbeamten werden nämlich in den Schatten gestellt von den unzureichenden dogmatischen und legistischen Vorgaben. Der in den Direktiven von 1897 enthaltene Auftrag des Justizministeriums, es müsste „die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen“ werden, erweist sich als von der Realität geradezu abgehoben.Damit verschloss das Justizministerium nämlich die Augen vor den aus dem heimischen Recht stammenden Eigentumsgemeinschaften, die weder durch Gesetz „reguliert“ noch mit einer Satzung versehen waren.

Bereits zur Zeit der Grundbuchsanlegung entsprach den agrarischen Gemeinschaften nämlich kein allgemein anerkanntes Organisationsmodell mehr (Vgl Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 267): Die Rechtsfigur der „Gemeinde“ als „moralische Person“ schien Ende des 19. Jahrhunderts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bereits völlig in die Bedeutungslosigkeit versunken zu sein. (Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 156) Dies war die Folge eines massiven „Verdrängungs-“ bzw. „Überlagerungsprozesses“, der „von einer die Rechtsverhältnisse der lokalen Siedlungsverbände völlig beherrschenden juristischen Neuschöpfung, der heutigen politischen Ortsgemeinde, ausging.“ Angesichts der daraus resultierenden dogmatischen Desorientierung erstaunt es nicht, dass die historischen Akteure das Eigentumsrecht einmal den Stammliegenschaftsbesitzern als Miteigentümern zuordneten, ein anderes Mal realrechtlich gebundenes Eigentum annahmen, dann wieder Genossenschaften, Nachbarschaften oder Interessentschaften als Eigentümer vermuteten. In dieser Situation wurden die Grundbuchsanlegungsbeamten allein gelassen; der Auftrag des Justizministeriums, es müsste „die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen“ werden, half da nicht weiter.

Weiter erschwert wurde das Verständnis der historisch gewachsenen Gemeinschaften durch die Dogmatik der Pandektistik, die beschränkte dingliche Rechte „an eigener Sache“ strikt ablehnte. Die Vorstellung eines „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war damit nicht vereinbar. (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 23)

Gegen eine „Flucht ins Miteigentum“ sprachen neben diesen dogmatischen aber wohl auch praktische Gründe der Grundbuchsanlegung und Grundbuchsführung; zahlreiche Miteigentumsverhältnisse hätten die Grundbücher vermutlich ebenso belastet wie jene Felddienstbarkeiten, die in Tirol nicht in die Grundbücher aufgenommen werden mussten. Schon aus Gründen der Arbeitsökonomie lag es also nahe, die Eigentümer unter Sammelbezeichnungen zu erfassen. Dazu standen mit den Begriffen „Gemeinde“ oder „Fraktion“ zumindest theoretisch anerkannte Organisationsmodelle zur Verfügung.

Diese unübersichtliche, geradezu chaotische Rechtslage wurde seitens der Justiz hingenommen, doch durchaus beklagt: „Die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsgüter ist sehr verschiedenartig…. Die gerichtlichen Entscheidungen bei Grundbuchsgesuchen und bei Prozessen sind fortwährend schwankend, und da die Motivierung, namentlich auch der oberstgerichtlichen Urteile, keine feste und klare Rechtsansicht verraten, so erscheint der Ausgang jeder derartigen Rechtsache als ein unberechenbarer Zufall.“ Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1894, 129) In noch deutlicheren Worten prangerte Hoegel schon 1885 die Verbücherungsprobleme bei „gemeinschaftlichen Weiden und Waldungen“ an: Es gäbe dabei eine „Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität“ heranwachse. (Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 591 ff, 592)

VII. Konsequenzen aus der Begriffsverwirrung

Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass bei der Grundbuchsanlegung die Gemeinschaftsliegenschaften vielfach falsch beurteilt, die Eigentumsverhältnisse in den Grundbüchern daher unrichtig dargestellt und zahlreiche Liegenschaften zu Unrecht einer Gemeinde oder Fraktion zugeschrieben wurden. Damit scheint bestätigt, was die Tiroler Landesregierung 1982 festgestellt hatte: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag alleine im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfSlg 9336/1982, Pkt I Z 4 der Begründung)

Doch welche Konsequenzen ergeben sich nun aus der festgestellten Begriffsverwirrung? Hatten die Grundbücher „hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen“ enthalten, so versteht sich daraus auch die Aufgabe der Agrarbehörden im Zusammenhang mit der Klärung der Eigentumsverhältnisse: Die unrichtigen Eintragungen auf „Gemeinde“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“, „Interessentschaft“, „Genossenschaft“, „Katastralgemeinde“, realrechtlich gebundenes Miteigentum oder schlichtes Miteigentum waren zu korrigieren. (Vgl Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, Vortragsmanuskript aus dem Jahre 1958, aaO, 24)

Soweit die „Gemeinde“, die „Fraktion“ oder eine andere Eigentümerin zu Unrecht im Grundbuch einverleibt war, weil das Eigentumsrecht der agrarischen Gemeinschaft zustand, konnte die Entscheidung der Agrarbehörde über das Eigentum der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft nicht zu Gunsten desjenigen ausfallen, der sich mit der unrichtigen Eigentümerbezeichnung im Grundbuch identifizierte. (Gemäß § 38 Abs 1 TFLG hat die Agrarbehörde festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Grundstücke sind und wem sie gehören, insbesondere, ob das Eigentum daran mehreren Parteien als Miteigentümern oder einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft zusteht; vgl dazu Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 275)

Die Regulierungsakten zeigen deutlich, dass die Agrarbehörden sorgfältig differenzierten: Typischer Weise wurden in einem eigenen Verfahrensabschnitt all jene Grundstücke aus dem Verfahren ausgeschieden, die anderen agrarischen Gemeinschaften, der Ortsgemeinde oder Einzelpersonen als Eigentum zuzuordnen waren. Diese Trennung des agrargemeinschaftlichen Vermögens vom übrigen Vermögen anderer Beteiligter, vornehmlich der politischen Ortsgemeinde, war genau deshalb erforderlich, weil vielfach weder die Gemeindebürger selbst, noch die Grundbuchsanlegungsbeamten das gemeinschaftliche Privatvermögen der „alten Agrargemeinden“ vom Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde unterschieden hatten bzw zu unterscheiden im Stande waren.

Daher wäre es verfehlt, heute beim Wortlaut der historischen Eigentümerbezeichnungen anzusetzen, um die wahren Eigentumsverhältnisse an einer bestimmten Liegenschaft zu ermitteln. Man würde damit auf einer unverlässlichen Grundlage aufbauen und an Umstände anknüpfen, die von subjektiven Präferenzen der historischen Akteure – insbesondere der „Willkür“ rechtsdogmatisch überforderter Grundbuchsbeamter – geprägt waren. Dies wäre ein Widerspruch zu den in jahrzehntelanger Arbeit gewonnenen Erfahrungen der Tiroler Agrarbehörden, die erkannt hatten, dass die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchsanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften höchst unzuverlässig waren. („Bei … den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten“ (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, aaO, 24)

Juristischer Sorgfalt entspräche es vielmehr, in jedem Einzelfall die historischen Eigentumsverhältnisse anhand aller zur Verfügung stehenden Umstände abzuklären. Dabei hätte die im Rahmen der Grundbuchsanlegung erfolgte Darstellung der Rechtsverhältnisse in den hier interessierenden Fällen lediglich den Charakter einer Vermutung, weil das Vertrauensprinzip nur Dritten gegenüber gilt, nicht aber auch zwischen den Parteien. Auch die formelle Rechtskraft der Verbücherung entfaltet zwischen den Parteien keine Wirkung; der „nicht titulierte Tabularbesitzer“ hätte dem wahren Berechtigten jederzeit zu weichen.

Der Eigentumserwerb durch die heutige Ortsgemeinde setzt – wie der Erwerb jedes Sachenrechts – einen gültigen Titel voraus. „Dingliche Rechte an Liegenschaften entstehen zwar grundsätzlich durch die Eintragung im Grundbuch, aber nur dann, wenn ihnen ein gültiger Titel zu Grunde liegt. Das Grundbuchsanlegungsverfahren kann einen solchen Titel nicht ersetzen. Das Grundbuchsanlegungsgesetz betrifft nur die inneren Einrichtungen der neu anzulegenden Grundbücher; eine im Richtigstellungsverfahren unterlassene Anfechtung hat nur die formelle Rechtskraft einer bei Anlegung des Grundbuches erfolgten Eintragung zur Folge, kann aber den materiell Berechtigten nicht hindern, sein Recht im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.“ (VwGH 13.Dezember 2001 98/07/0082 unter Berufung auf OGH 1. Dezember 1965, 2 Ob 407/65; E 14. Dezember 1995, 93/07/0178)

Nicht die grundbücherliche Anschreibung ist somit maßgeblich, sondern die wahren Rechtsverhältnisse. Insofern kann aus unrichtigen Grundbuchseintragungen niemand Eigentum für sich ableiten. Anderes gilt für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten unter Vertrauen auf das Grundbuch; dieser Fall hat jedoch für die hier interessierenden Gemeinschaftsliegenschaften keine praktische Relevanz.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die im Grundbuch vorgefundene Bezeichnung eines Eigentumsträgers als „Gemeinde“ gerade keinen zwingenden Rückschluss auf die wahren Eigentumsverhältnisse erlaubt. Einerseits war es – ganz im Sinne des weiten Gemeindebegriffs im ABGB – im allgemeinen Sprachgebrauch zumindest bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich, auch Gemeinschaften von Nutzungsberechtigten als „Gemeinde“ zu bezeichnen; in diesem Sinne setzten die Flurverfassungsgesetze derartige „Gemeinden“ (als Gemeinschaften der Nutzungsberechtigten) voraus. (Vgl VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung; es handelt sich um „Gemeinden nbR“ gem §§ 26f ABGB. Beispielsweise stellte man 1917 im Ministerium des Innern aus Anlaß eines konkreten Falles historische Nachforschungen über die „Gemeindeverhältnisse (…) in Tirol an und kam zum Ergebnis, „für die früheren Zeiten [könne] nur auf Grund spezieller Untersuchung jedes einzelnen Falles ein Urteil über das Verhältnis zweier Gemeinden gefällt werden. Steuergemeinde, Wirtschafts- und politische Gemeinde fallen in jener Zeit nicht immer zusammen, sondern stehen zu einander in verschiedenartig abgestuftem Verhältnisse“: AVA Wien, MdI, 14181/1917; zur Unschärfe und Bedeutungsvielfalt des Gemeindebegriffes: Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 121 ff )

Andererseits kam es im Zuge der Grundbuchsanlegung immer wieder zu Verwechslungen, wenn das Eigentum auf historische Titel gestützt wurde, in denen der Gemeindebegriff im Sinne einer privatrechtlichen Gemeinde (d.h. einer „moralischen Person“) verwendet worden war. Dieses Phänomen schilderte der Niederösterreichische Landesausschuss in einem Bericht aus dem Jahr 1878 sehr plastisch; demnach wäre „die Gemeinde“ in allen Urkunden aufgeschienen und die moderne Gemeinde hätte ihre „Mutter“, die Nachbarschaft, „beerbt“, ohne dass letztere gestorben wäre. (Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode, Seite 8)

Die Verhältnisse der Tiroler Grundbuchsanlegung scheinen damit treffend charakterisiert. Auch dem Obersten Agrarsenat war dieses Phänomen bekannt, wie eine Entscheidung von 1958 („Commune Markt Ysper“) zeigt (Oberster Agrarsenat, 245-OAS/58 vom 6.10.1958): Mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung sei man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten nicht bewusst geworden. Die mangelnde Fähigkeit der Rechtspraxis (einschließlich der Grundbuchsanlegung) zur Unterscheidung dieser komplexen Rechtsverhältnisse hatte die Schaffung des TRRG 1883 und seiner Ausführungsgesetze sowie die Tätigkeit der Agrarbehörden zur Regulierung der Gemeinschaftsliegenschaften motiviert. Gerade zur Bewältigung dieser Unterscheidungsprobleme hätte das Flurverfassungsrecht an den „geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und (…) die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (die Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet“. (Oberster Agrarsenat, 245-OAS/58 vom 6.10.1958 (Agrargemeinschaft Commune Markt Ysper, Seite 14 der Originalentscheidung) Demnach wurden die Agrarbehörden also insbesondere dazu geschaffen, im Zuge von Regulierungs- oder Teilungsverfahren die aus den öffentlichen Büchern nicht nachvollziehbaren Eigentums- und Nutzungsverhältnisse zu klären und rechtskräftig zu entscheiden.

VIII. Ergebnisse

 Die Untersuchung der Tiroler Grundbuchsanlegung zeigt, dass Gemeinschaftsgüter in sehr vielen verschiedenen Varianten erfasst wurden. Die Grundbuchsanlegungsbeamten verfügten nicht über ausreichende rechtsdogmatische Kenntnisse und Fähigkeiten, waren aber auch von der Rechtswissenschaft und Gesetzgebung allein gelassen. Zwar erscheint ihr Vorgehen aus heutiger Sicht überwiegend als Willkür, doch zeigen sich gelegentlich auch regelmäßige, wenngleich rechtsdogmatisch problematische Handlungsmuster. Die „Etikettierung“ eines Eigentumsträgers durch die Grundbuchsanlegungsbeamten kann also durchaus von systematischen Überlegungen bestimmt gewesen sein, etwa bei der Verwendung des Begriffs „Fraktion“ als Fachterminus zur Erfassung von Gemeinschaftsliegenschaften, deren Anteilsrechte mit Liegenschaftseigentum „in der Fraktion“ rechtlich verknüpft wäre. Doch typischer Weise war die Verwendung des „Fraktionsbegriffes“ zur Erfassung bestimmter Erscheinungsformen agrarischer Gemeinschaften auch aus historischer Sicht nicht gerechtfertigt.

 Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 war zwar von der erklärten Absicht des Gesetzgebers getragen, den „Überbleibseln der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“, ein rechtlich anerkanntes Organisationsmodell zur Durchsetzung von Beteiligungsrechten im politischen Gemeindeleben zur Verfügung zu stellen; das förmliche Anerkennungsverfahren, wie es das Fraktionengesetz 1893 voraussetzte, scheinen freilich die wenigsten der unter diesem Namen im Grundbuch erfassten Eigentumsträgerinnen durchlaufen zu haben.

 In der Regel bedeutet „Fraktion“ als Bezeichnung eines Eigentumsträgers deshalb nichts anderes als einen (der Erfassung von Gemeinschaftsliegenschaften dienenden) alternativen Begriff zu „Interessentschaft“, „Nachbarschaft“, „Katastralgemeinde“ oder „Genossenschaft“. Es handelte sich dabei also nicht um eine „gemeinderechtliche Einrichtung“ im Sinne der Deutschen Gemeindeordnung 1935 und damit nicht um eine Rechtsvorgängerin der heutigen politischen Ortsgemeinde, sondern um eine „moralische Person“ im Sinne des ABGB, um eine privatrechtliche „Gemeinde“.Deren historisches Gemeinschaftsvermögen ist unabhängig von den heutigen politischen Strukturen entstanden. (Dies zeigen besonders deutlich die überörtlichen Realgemeinden, deren (ursprüngliche) Mitberechtigte verschiedenen Ortsgemeinden zuzuordnen sind. Privatautonom gebildete Rechtsträger wie „Nachbarschaften“ zeigen, dass auch jene „Gemeinden“, die durch den Ausschluss der privaten Nachbarschaften definiert wurden, private Rechtsträger sind.)

 Die Art der Etikettierung einer Liegenschaft im Zuge der Grundbuchsanlegung erlaubt deshalb keine Schlussfolgerung auf die seinerzeit bestandenen Eigentumsverhältnisse.

 Das insgesamt negative Urteil über die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsliegenschaften, zu dem die Tiroler Landesregierung 1982 kam, erweist sich daher als völlig berechtigt!

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aus:

Gerald Kohl
Die Tiroler Grundbuchsanlegung und das „Fraktionseigentum“
in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg),
Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, Seite 177 ff

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MP

LANDESREGIERUNG: ANTRETEN GEGEN AGRAR

Schon die im Jahr 2008 nach der Landtagswahl gebildete Tiroler Landesregierung verfolgte das Ziel, das Mieders-Erkenntnis 2008 des Verfassungsgerichtshofes „auf Punkt und Beistrich“ umzusetzen. Die Tatsache, dass in Tirol das Gemeinschaftsgut unrichtig auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ im Grundbuch gestanden hatte, wurde ignoriert. Trotzdem war die Periode 2008 bis 2013 immerhin getragen von einem gewissen Respekt gegenüber dem, was die Agrarier in Jahrzehnten geleistet und aufgebaut hatten. Als im Herbst 2013 der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis zur Agrargemeinschaft Pflach fällte, fiel auch in dieser Hinsicht jede Zurückhaltung: Mit der TFLG-Novelle 2014 wurde bei rund 250 Tiroler Agrargemeinschaften jedwedes vorhandene agrargemeinschaftliche Vermögen zu Gunsten der jeweiligen Ortsgemeinde enteignet und die gesamte Verwaltung einem Staatskommissar („Substanzverwalter“) übertragen.
Die Tiroler Landesregierung 2013: Antreten gegen AGRAR. Schon die im Jahr 2008 nach der Landtagswahl gebildete Tiroler Landesregierung verfolgte das Ziel, das Mieders-Erkenntnis 2008 des Verfassungsgerichtshofes „auf Punkt und Beistrich“ umzusetzen. Die Tatsache, dass in Tirol das Gemeinschaftsgut unrichtig auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ im Grundbuch gestanden hatte, wurde ignoriert. Trotzdem war die Periode 2008 bis 2013 immerhin getragen von einem gewissen Respekt gegenüber dem, was die Agrarier in Jahrzehnten geleistet und aufgebaut hatten. Als im Herbst 2013 der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis zur Agrargemeinschaft Pflach fällte, fiel auch in dieser Hinsicht jede Zurückhaltung: Mit der TFLG-Novelle 2014 wurde bei rund 250 Tiroler Agrargemeinschaften jedwedes vorhandene agrargemeinschaftliche Vermögen zu Gunsten der jeweiligen Ortsgemeinde enteignet und die gesamte Verwaltung einem Staatskommissar („Substanzverwalter“) übertragen. Bildrechte: Stephan  Elsler. www.stehpanelsler.com .

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NOTWENDIGKEIT ZUR ENTEIGNUNG?

Angeblich sei der Tiroler Landesgesetzgeber gezwungen gewesen, die so genannten „atypischen Gemeindegutsagrargemeinschaften“ zu enteignen.  Angeblich hätte vor dem Hintergrund der Verfassungsgerichtshoferkenntnisse VfSlg 18.446/2008 (Mieders-Erk) und VfSlg 19.802/2013 (Pflach-Erk) keine andere Option bestanden.

Tatsache ist freilich, dass die beiden Erkenntnisse des hohen Gerichtshofes VfSlg 18.446/2008 (Mieders-Erk) und VfSlg 19.802/2013 (Pflach-Erk) in allen anderen Bundesländern Österreichs kräftig ignoriert werden – in den vergangenen Jahren, heute und offensichtlich auch in Zukunft! Keine österreichische Landesregierung hat das Mieders-Erk 2008 und das Pflach-Erk 2013 bisher umgesetzt – außer die Tiroler Landesregierung  unter der Führung von Landeshauptmann Günter Platter.

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EINSAME EIGENTUMSENTEIGNER

Nur die Tiroler Landesregierung unter der Führung von Landeshauptmann Günter Platter geht nach dem Motto vor: „Umsetzung – auf Punkt und Beistrich“. Nur die Tiroler Landesregierung hat eine eigene Enteignungs-Abteilung aufgebaut und mit gut einem halben Dutzend Juristen besetzt; dies mit einem einzigen Zweck: Den Tiroler Grundbesitzern soll das Gemeinschaftsvermögen weggenommen werden, um dieses zu „kommunalisieren“! Nur die Tiroler Landesregierung hat Gesetze durch den Landtag gebracht, mit denen das Gemeinschaftsvermögen der Tiroler Grundbesitzer per Gesetz enteignet wird.

Dies alles mit der Konsequenz, dass nicht nur das ursprünglich in den Agrargemeinschaften regulierte Liegenschaftsvermögen enteignet wird, sondern ebenso alle geschaffenen Vermögenswerte! Dies entschädigungslos!   Alle  agrargemeinschaftlichen Anteilrechte an solchen  Agrargemeinschaften wurden vollkommen entwertet. Dies ohne Unterschied, ob diese ererbt oder in gutem Glauben um teures Geld gekauft wurden.

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HERZ UND HIRN EINSCHALTEN

Warum ist es möglich, dass andere Bundeslänger die Verfassungsgerichtshof-Erk  VfSlg 18.446/2008 und 19.802/2013 so kräftig ignorieren? Dies ist deshalb möglich, weil diese Erkenntnisse zu Agrargemeinschaft Mieders (2008) und Agrargemeinschaft Pflach (2013) auf fiktiven Sachverhalten gründen – Sachverhalten, die erfunden wurden! Erfunden zur „Provokation“ eben dieser „neuen“ Erkenntnisse – erfunden zur Enteignung der Tiroler Agrargemeinschaften und ihrer Mitglieder! 

Im Blick auf die wahren Sachverhalte sind die Verfassungsgerichtshof-Erk  Slg 18.446/2008 und 19.802/2013 schlicht  f a l s c h .  Falsch, weil diese die unrichtigen Grundbucheintragungen ignorieren; falsch, weil diese die rechtskräftigen Entscheidungen der Agrarbehörden ignorieren; falsch, weil diese einer Fata Morgana huldigen: dem atypischen Gemeindegut!

Die anderen Bundesländer ignorieren die beiden VfGH-Erkenntnisse VfSlg 18.446/2008 und VfSlg 19.802/2013 deshalb mit gutem Grund: Der Sachverhalt, der die Fata Morgana „atypisches Gemeindegut“ hervorgebracht hat, nämlich ein „gestohlenes Gemeindegut“, ist eine Fiktion, der kein realer Sachverhalt entspricht – nicht in Tirol und in keinem anderen Österreichischen Bundesland. 

Und: Das Mieders-Erk hat unabhängig von der Fiktion „gestohlenes Gemeindegut“ eine entscheidende Schwäche, die es den anderen Bundesländern ganz leicht macht, auf eine Umsetzung zu verzichten: Alle Regulierungen von agrargemeinschaftlichen Liegenschaften, die ursprünglich in Gemeindeverwaltung standen (= „Gemeindegut“), gründen auf vertraglichem Konsens. Diese Regulierungen gründen auf Verträgen (= so genannten „Parteienübereinkommen“), die die jeweilige Ortsgemeinde mit den Vertretern der nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer im Regulierungsverfahren abgeschlossen hat!

Für Verträge, einschließlich derjenigen Verträge, die vor der Agrarbehörde  abgeschlossen wurden, die „Parteienübereinkommen“, gilt ein Rechtsgrundsatz, der nach allgemeinem Rechtsverständnis einen unverrückbaren, tragenden Eckpfeiler für jede rechtsstaatliche Ordnung bildet. Dieser Eckpfeiler lautet: Verträge sind einzuhalten – oder wie die Juristen zu sagen pflegen – pacta sunt servanda!

Weil in anderen Bundesländern Herz und Hirn eingeschaltet wurde, wollte man die historischen Fakten nicht ignorieren. Statt dessen hat man die  VfGH-Erkenntnisse VfSlg 18.446/2008 und VfSlg 19.802/2013 kräftig ignoriert. Mit Herz und Hirn kann man die falschen VfGH-Erkenntnisse zu Mieders (2008) und Pflach (2013) leicht vom Tisch wischen. Und das ist in allen anderen Bundesländern geschehen. Nur Tirol huldigt der Fata Morgana „atypisches Gemeindegut“; von einer Untersuchung der wahren Eigentumsverhältnisse („Historikerkommission“) will man nichts wissen; vor der Not der Grundbesitzer, deren Jahrhunderte alte Rechte enteignet werden, verschließt die Landesregierung Hirn und Herz!

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VERTRÄGE SIND ECKPFEILER DES RECHTS

Um die „Parteienübereinkommen“ auszuhebeln, die in den Regulierungsverfahren abgeschlossen wurden, dafür liefert das Mieders-Erk 2008 keinerlei Grundlage. Deshalb ignoriert das VfGH-Erkenntnis zur Agrargemeinschaft Mieders 2008 das im Regulierungsverfahren abgeschlossene Parteienübereinkommen vom 13.07.1962. Im Sachverhalt, den die Agrarbehörde im „Mieders-Bescheid vom 09.11.2006“ festgestellt hatte, wird das Parteienübereinkommen zwischen der Ortsgemeinde und den Agrarmitgliedern ignoriert; und das VfGH-Erkenntnis ignoriert dieses Parteienübereinkommen kräftig.

Ein Parteienübereinkommen als Regulierungsgrundlage muss eine „offenkundige Verfassungswidrigkeit“ denknotwendig ausschließen. Ein Verfahrensergebnis, das geschäftsfähige Parteien nach freiem Willen vor der Behörde im Vergleichswege vereinbaren, ist zu beachten. Mehr noch: Den Parteiwillen zu missachten, bedeutet „Diktatur im Recht“, vergleichbar mit der Übergehung von demokratischen Wahlergebnissen auf politischer Ebene durch eine Regierung.

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VERTRÄGE SIND EINZUHALTEN – pacta sunt servanda

Entsprechend leicht wäre es für die Tiroler Agrarbehörde, das Mieders-Erk 2008 immer dann für unanwendbar zu erklären, wenn die Agrarbehördenentscheidung auf einem Parteienübereinkommen gründet. Wenn eine Gemeinde entsprechend dem Gesetz über ein Eigentum verfügt hat – entgeltlich oder unentgeltlich – dann gilt diese Verfügung, weil Verträge einzuhalten sind. Pacta  sunt servanda! Auf diesem Rechtssatz gründen sämtliche Rechtssysteme – nicht mehr und nicht weniger!

Genau diesen Weg ist die Vorarlberger Agrarbehörde gegangen: Das auf Parteienübereinkommen gegründete Regulierungsverfahren hätte die „Gemeindegutseigenschaft beendet“ – so unisono die Bezirksagrarbehörde und der Vorarlberger Landesagrarsenat. Und aus diesem Grund hat der „Gemeindeguts-Irrsinn“ Vorarlberg verschont! 

Die anderen Bundeslänger haben das Problem gar nicht erst aufgeworfen. Offensichtlich hat sich außerhalb von Vorarlberg und Tirol nicht einmal mehr eine Ortsgemeinde gefunden, die ein Recht auf Änderung des Regulierungsplanes im Sinn des Mieders-Erk 2008 einfordern wollte. Für einen Tiroler Grundbesitzer stellt sich freilich die Frage: Warum müssen ausgerechnet im „reichen Tirol“ die Grundbesitzer enteignet werden, wenn es selbst im Burgenland und in Kärnten auch anders geht? Wie kann es sein, dass ausgerechnet in Tirol im Blick auf die Agrargemeinschaften Herz und Hirn der Politiker versagen?

 

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VERKEHRTE WELT IN DER TIROLER AGRARBEHÖRDE

Seit dem Jahr 1909, als das Teilungs- Regulierungsrecht in Tirol Einzug hielt (LGuVoBl 61/1909 – TRLG 1909), hatte die Agrarbehörde ihren Erkenntnissen die Tatsache zu Grunde gelegt, dass in Tirol die agrargemeinschaftlichen Gemeinschaftsliegenschaften in aller Regel bei der Grundbuchanlegung im die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert falsch auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ eingetragen wurden.

Seit Sommer 2008 wird die gegenteilige Devise ausgegeben. Weil sich die 2008 neu gebildete Landesregierung mit der Sanierung eines angeblichen AGRAR-Skandals profilieren wollte, wurden bereits rechtskräftig als FALSCH identifizierte Grundbucheintragungen aus der Zeit der Grundbuchanlegung als RICHTIG hingestellt. In Konsequenz wurde der historischen Agrarbehörde unterstellt, diese hätte die Ortsgemeinde um ihr Gemeindegut geprellt. Ein „RAUB AM GEMEINDEGUT“ ist seither in Tirol in aller Munde.

Und die Agrarbehörde, einst als Hüterin des Gemeinschaftsgutes eingerichtet, mutierte in Tirol zur Enteignungsmaschinerie, die Bescheide am Fließband produziert. Bescheidproduktion am Fließband – einzig zu dem Zweck, den Agrargemeinschaftsmitgliedern ihr Vermögen zu entreißen und dieses den Ortsgemeinden zuzuwenden.

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ENTWICKLUNGSSTUFEN EINER ENTEIGNUNG

Grundsätzlich sind zwei Phasen zu unterscheiden: Nach dem Mieders-Erk VfSlg 18.446/2008 herrschte zunächst große Rechtsunsicherheit. Die Gemeindeguts-Agrargemeinschaften wehrten sich – die Agrarbehörde mühte sich – und die Tiroler Landesregierung verkündete bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, dass die im Mieders-Erk VfSlg 18.446/2008 vorgegebene Linie, wonach alle Substanzwerte den Ortsgemeinden zugewendet werden müssten, „auf Punkt und Beistrich“ umzusetzen sei.

Wahre Eigentumsverhältnisse ohne Relevanz

Der Einwand der Agrargemeinschaften, dass die Ortsgemeinden nie ein wahres Eigentum besessen hätten, sondern als „nackte Tabularbesitzer“ im Grundbuch gestanden hatten, wurde von den Tiroler Agrarbehörden mit haarsträubenden Argumenten juristisch „niedergewalzt“.

Der Tiroler Landesfürst hätte 1847 im Zuge der Tiroler Forstregulierung die heutigen politischen Ortsgemeinden beschenkt, so die Grundthese. Das die heutigen Ortsgemeinden im Jahr 1945 auf der Grundlage des Reichgemeindegesetzes 1862 errichtet wurden und dass zu den älteren Gemeindegebilden kein Rechtsnachfolgezusammenhang besteht, wurde gar nicht diskutiert. Genauso wurde ignoriert, dass die Forstregulierung in Nordtirol praktisch ausschließlich auf Servitutenablösungsvergleichen gründete, welche denknotwendig zu Agrargemeinschaftseigentum führen.

Der Verwaltungsgerichtshof legte in einem guten Dutzend an Grundsatzentscheidungen vom 30.06.2011 noch eines drauf, indem er verkündete, dass der Einwand, wonach die Ortsgemeinde nie eine wahre Eigentümerin gewesen sei,  irrelevant wäre. Es sei für die „Qualifizierung als Gemeindegut“ bedeutungslos, wer der tatsächliche Eigentümer des regulierten Gemeinschaftsgutes war. Maßgeblich sei alleine die Beurteilung einer Liegenschaft als ehemaliges Gemeindegut!

Verwaltungsgerichtshof dekretiert die Irrelevanz der wahren Eigentumsverhältnisse

VwGH 2010/07/0091 VwSlg 18171 A/2011 vom 30.6.2011, AGM Obergarten, Pkt 8 der Begründung. „Angesichts dessen erübrigte sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfenen rechtshistorischen Fragestellungen. Die Rechtskraft des Regulierungsbescheides vom 18. Oktober 1966 und der dort getroffenen Feststellung, es liege Gemeindegut vor, wirkt für die Zukunft und bindet auch den Verwaltungsgerichtshof. Darauf, ob diese Feststellung zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten, und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“

Bedenkt man, dass das Mieders-Erk 2008 des Verfassungsgerichtshofes ausschließlich auf der Idee gründet, dass die Ortsgemeinden rechtswidrig um ihr Eigentum gebracht wurden, ist dieser Ausgang des Streits um „atypisches Gemeindegut“ nichts anderes als „juristisch pervertierte Rabulistik„! Den Agrargemeinschaftsmitgliedern wird die Substanz ihres Gemeinschaftsvermögens entzogen, obwohl kein Höchstgericht jemals geprüft hat, ob die heutige politische Ortsgemeinde vor der Regulierung tatsächlich ein wahres Recht auf das Eigentum hatte!

Die Agrargemeinschaftsmitglieder sind damit in einer Situation vergleichbar einem Beklagten, der vom Zivilgericht zur Herausgabe einer Sache verurteilt wird, obwohl im Gerichtsverfahren ein Kaufvertrag vorgelegt wurde, mit dem der Beklagte die Sache von einem Händler erworben hat.

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2013 „PFLACH-VERK“: DER HOLZNUTZEN WIRD ENTEIGNET!

Ab Herbst 2013, konkret ab Bekanntwerden des Pflach-Erk VfSlg  19.802/2013, entfällt das Ausmaß der Enteignung betreffend jede Hemmung:  Alle Verfügungsbefugnisse über dieses Eigentum und die Erträgnisse daraus sollen dem Staat zustehen!

Mit der TFLG-Novelle 2014 wurde dieses Programm umgesetzt. Seit 1.7.2014 verfügt der Staat verfügt in der Person von Staatskommissaren, die der Gemeinderat bestellt, so genannten “Substanzverwaltern”. Diese Substanzverwalter sind gegenüber dem Gemeinderat weisungsgebunden. Die von den Agrargemeinschaftsmitgliedern gewählten Organmitglieder, der Obmann und der Ausschuss, wurden „kalt gestellt“. Per 01. Juli 2014 waren die Gemeinschaftskasse, alle Konten der Agrargemeinschaft und die Sparbücher, alle Schlüssel und Verwaltungsunterlagen an den Staatskommissar auszuliefern. Eine in der Praxis relevante Restzuständigkeit der gewählten Agrargemeinschaftsorgane besteht nicht.

Die Verfügungsgewalt liegt seither alleine beim Staat und den Nutzen aus den Verfügungen kassiert ebenfalls der Staat. Anders als ein Sachwalter, der im Interesse eines Geschäftsunfähigen handeln muss und den Nutzen des Geschäftsunfähigen befördert, handelt der Substanzverwalter nicht zum Nutzen der bisherigen Anteilsberechtigten, der Agrargemeinschaftsmitglieder. Zweck und Ziel der Tätigkeit eines Substanzverwalters ist es, den Nutzen und die Erträgnisse aus dem Eigentum, die Mieten, Pachten und Verkaufserlöse dem Staat, konkret der Ortsgemeinde, zuzuwenden.

Nach formellem Recht ist der Substanzverwalter zwar ein Organ der Agrargemeinschaft; dieses Organ handelt jedoch nicht im Interesse der Agrargemeinschaft. Der Substanzverwalter funktioniert als Organ der der Agrargemeinschaft nicht anderes als ein Kuckucksei: Als implantiertes Staatsorgan soll er den Nutzen aus dem ursprünglichen Gemeinschaftsgut dem Staat zuwenden!

Obwohl neben dem Substanzverwalter die Organisation der nutzungsberechtigten Agrargemeinschaftsmitglieder bestehen blieb, wurden keinerlei Einnahmen für eine Gemeinschaftsorganisation der Mitglieder gewidmet. Zur Förderung eines Gemeinschaftszweckes der Mitglieder gibt es keine Mittel mehr.  Unter einem werden die Nutzungsrechte der Mitglieder massiv zurück gedrängt. Den Mitgliedern soll nur mehr ein “historischer Hof- und Gutsbedarf” zustehen, den die Agrarbehörde für jede Agrargemeinschaft gesondert kalkuliert.

Angeknüpft wird für die Bemessung dieses „historischen Hof- und Gutsbedarfes“ bei den Zufallsverhältnissen im Zeitpunkt der Regulierung: So werden die Mitglieder beispielweise an einem, wegen kriegsbedingter Übernutzung stark verringertem Einschlag in den 1950er Jahren festgemacht; alle Vorteile aus Pflegemaßnahmen für die Waldkultur der letzten 60 Jahren werden dem Staat zugewendet. Rechtskräftig regulierte aliquote Anteilsrechte werden so ad absurdum geführt.

Schließlich wird bei der Agrarbehörde eine neue Serie von Verfahren vorbereitet – „Neuregulierung“ genannt. Hier geht es darum, die rechtskräftig festgestellten aliquoten Anteilsrechte weiter zu beschneiden: Alle jene Mitglieder, welche nicht wenigstens 5.000 m² Feld „zur Feuerstatt“ besitzen oder kein Wirtschaftsgebäude oder keine Feuerstatt, werden in ihren rechtskräftig festgestellten Anteilsrechten beschnitten oder gar entschädigungslos „ausreguliert“. Aus dem Schaden der Mitglieder soll wiederum der Staat in Form der jeweiligen Ortsgemeinde profitieren!

Und das alles wird von der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde umgesetzt: Die Landesregierung und ihre Behörden gegen die „Agrarier“ – besser die „Besitzer von Grund und Boden“.

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WAHRHEIT ODER FIKTION?

Tatsache ist, dass der “Raub am Gemeindegut” lediglich ein fiktiver ist. Tatsächlich haben die Agrarbehörden den Ortsgemeinden nicht rechtswidrig ein Gut entzogen. Ein rechtswidriger Eingriff in das Eigentum der Ortsgemeinden hat nicht stattgefunden. Vielmehr hatten der gesetzliche Richter – und das war und ist die Agrarbehörde – über die wahren Eigentumsverhältnisse entschieden und diese Entscheidungen waren in Rechtskraft erwachsen.
Es war unter anderem die Aufgabe der Agrarbehörden zu klären und zu entscheiden, ob die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geschaffenen Grundbucheintragungen richtig waren. Bemerkenswert ist, dass alle Entscheidungen, die auf ein Eigentum der Ortsgemeinde lauteten, wie zB in Sölden, in St. Anton, in Fiss, in Weissenbach oder in Reutte unreflektiert als richtig vorausgesetzt werden. In angeblich 93 Fällen wurde auf ein Eigentum der Ortsgemeinde entschieden; alle diese Entscheidungen werden unbeanstandet als richtig vorausgesetzt.

Alle Entscheidungen hingegen, lautend auf ein Eigentum einer Agrargemeinschaft, seien dagegen falsch. Diese Entscheidungen hätten zum „Substanzrecht der Ortsgemeinde“ geführt.

Warum verweigert der Verwaltungsgerichtshof die Prüfung der wahren Eigentumsverhältnisse?

Richtiger Weise hätte man den Standpunkt einnehmen müssen, dass die Agrarbehörde ohnehin in all diesen Fällen bereits rechtskräftig entschieden hatte.  Die Entscheidung lautete auf „Eigentum der Agrargemeinschaft“! Und die Tatsache, dass über ein „Gemeindegut“ entschieden wurde, soll und  kann daran nichts ändern, weil im historischen Flurverfassungsrecht der Begriff „Gemeindegut“ (auch) verwendet wurde, um eine Eigentum einer Agrargemeinschaft zu bezeichnen! So hat dies der Verfassungsgerichtshof schon im Dezember 2010 klar gestellt (Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010). Diese Auslegung hat der Verwaltungsgerichtshof in den Grundsatz-Erkenntnissen vom 30.06.2016 jedoch verworfen.

Zumindest  hätte man die Frage der wahren Eigentümerschaft anhand der Regeln über den Eigentumserwerb zu prüfen gehabt. Wenn über Jahrhunderte die jeweiligen Nachbarschaften bestimmte Liegenschaften als ihr Eigentum in gutem Glauben genutzt und verwaltet haben, so waren diese Nachbarschaften jedenfalls “Nutzungseigentümer” nach historischem Verständnis. Als der Tiroler Landesfürst im Verlauf des 19. Jahrhunderts sein (behauptetes) Obereigentum über die Gemeinschaftsliegenschaften aufgeben musste, sind die jeweiligen Nutzungseigentümer zu “Volleigentümern” geworden. Nur diejenigen, die eine Liegenschaft immer genutzt hatten, konnten bei Abschaffung des landesfürstlichen Obereigentums Volleigentümer werden und das waren die jeweiligen Nachbarschaften zusammengesetzt aus den betreffenden Hofbesitzern.

Für die These, dass eine Staatsorganisation wie die heutige politische Ortsgemeinde dem Tiroler Landesfürsten als neue Obereigentümerin nachfolgen sollte, besteht keinerlei Anhaltspunkt. Nur der Umstand, dass diese Nachbarschaften in verschiedenen Rechtsakten seit jeher als „Gemeinde“ bezeichnet wurden, sorgt für Verwirrung. Frei erfunden ist die These, dass der Tiroler Landesfürst die heutigen politischen Ortsgemeinden in Tirol beschenken wollte, als er das Obereigentum über die Tiroler Wälder und Almen abgeschafft hat.

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ERFUNDENE SCHENKUNGSTHEORIE

Warum ist die Idee von einer historischen Beschenkung der heutigen politischen Ortsgemeinden so verbreitet? Die angebliche Rechtsposition der heutigen Ortsgemeinden als Eigentümerinnen der Nachbarschaftsgründe wird aus einer Namensgleichheit abgeleitet. Über Jahrhunderte wurden die Nachbarschaften als “Gemeinde” bezeichnet.

Beispielsweise spricht das Tiroler Forstregulierungspatent von 1847 von “berechtigten Gemeinden” sowie von “zum Holzbezug berechtigten Gemeinden”, weil der Begriff „Gemeinde“ im historischen Sprachgebrauch für beliebige Personenverbände verwendet wurde. Bezeichnender Weise spricht der Codex Theresianus, ein Gesetzesentwurf aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts davon, dass bereits eine Versammlung von drei Personen eine „Gemeinde“ bilde.

Dies berechtigt freilich keine Behörde zu der Annahme, dass der Tiroler Landesfürst im Zuge der Tiroler Forstregulierung den heutigen Ortsgemeinden das Eigentum an den „Bauern-Almen“ und „Bauern-Wäldern“ verschafft habe.  Dies umso weniger, als der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen-Erk) einer Rechtsnachfolge der Ortsgemeinde in das Obereigentum des Landesfürsten (in Tirol „Quasi-Erbschaft der politischen Ortsgemeinde“ genannt) eine klare Absage erteilt hat. (VfSlg 19.262/2010, Pkt II A 2.4.2. Abs 2 der Begründung).  Ausdrücklich zitierte der Gerichtshof zustimmend die Abhandlung Öhlingers, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [228 ff], der diese Idee ausführlich widerlegt!

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WIE DIE KOLCHOSEN NACH TIROL KOMMEN

Bezeichnend für den Tiroler Agrarstreit ist, dass weder der Verfassungsgerichtshof, noch der Verwaltungsgerichtshof sich bis heute jemals mit der Frage auseinander gesetzt hat, wie denn die heutigen politischen Ortsgemeinden in Tirol überhaupt Eigentümerinnen von land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken geworden sein könnten.

In allen einschlägigen Erkenntnissen wird das historische Eigentum der Ortsgemeinden nur fingiert.  Und die Tiroler Landesregierung ignoriert dieses Manko in der Rechtsprechung und fingiert ihrerseits, dass ein gütiger Kaiser Ferdinand im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 die heutigen Ortsgemeinden beschenkt hätte. Die eindeutige Stellungnahme des Verfassungsgerichts gegen diese These wird ignoriert! (VfSlg 19.262/2010, Pkt II A 2.4.2. Abs 2 der Begründung)

Geradezu erstaunlich ist das Ausmaß der Umgestaltung des Rechts der Agrargemeinschaften in Tirol, die mit zwei Gesetzesnovellen zum Tiroler Flurverfassungslandesgesetz (TFLG) vom 17.12.2009 LGBl 7/2010 und 14.05.2014 LGBl 70/2014 vollzogen wurde. Den Tiroler Kommunen wurde ein direkter Zugriff auf das Vermögen von rund 250 Agrargemeinschaften verschafft; und diese Agrargemeinschaften wurden im Ergebnis einer Gemeindeverwaltung unterworfen.  Alle Arbeitsergebnisse aus Jahrzehnten, alle Ersparnisse und Rücklagen, die errichteten Gebäude, die Ertragssteigerung in der Forstwirtschaft, werden entschädigungslos dem Staat zugewendet!

So sind im 21. Jahrhundert im Herzen Europas „Gemeinde-Kolchosen“ entstanden. Betroffen sind ca 150.000 ha an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften in Tirol samt allenfalls darauf errichteten Baulichkeiten und Anlagen sowie viele Millionen Euro an liquiden Mitteln, Ersparnisse von mehreren Jahrzehnten. Solche neuen „Gemeinde-Kolchosen“ begegnen (derzeit) in rund 140 von insgesamt 279 Tiroler Ortsgemeinden.

 

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MP

 

Flurverfassung statt Gemeindeordnung

Dr. Josef Schumacher (*14. November 1894 in Wien, † 11. Juni 1971 in Innsbruck) war Landeshauptmann von Tirol vom 21. März 1935 bis zum 13. März 1938. Er wurde in Wien als Sohn des Juristen (Senatspräsident), Politikers und Schriftstellers Franz Schumacher (* 13. März 1861 in Innsbruck, † 23. Jul 1937 in Kleinvolderberg), geboren, besuchte er das Gymnasium in Wien und Trient. Sein Hochschulstudium in Innsbruck musste er kriegsbedingt unterbrechen; aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er als hochdekorierter Kaiserjäger-Oberleutnant zurück. Nach seiner Promotion zum Dr. jur. wurde Schumacher 1920 Landesbeamter in Tirol, ab November 1921 wurde ihm die Leitung der Bezirkshauptmannschaft Landeck übertragen. Am 21. März 1935 wurde Dr. Josef Schumacher zum Landeshauptmann von Tirol ernannt. Schumacher hat sich in dieser Funktion, die er bis zum deutschen Einmarsch innehatte, durch sein fachliches Wissen, sein objektives Urteilsvermögen und auch durch sein gewinnendes Wesen das Vertrauen und die Zuneigung breiter Bevölkerungskreise erworben. Die Nationalsozialisten setzten Schumacher als Landeshauptmann ab und schickten ihn ab 2. März 1939 als Beamter in Pension. Drei Mal wurde er wegen seiner Gesinnung im Dritten Reich in „Schutzhaft“ genommen. Knapp vor Kriegsende musste Schumacher zum Volkssturm einrücken, wobei er von italienischen Partisanen gefangen genommen wurde. 1947 trat er wieder in den Landesdienst; mit 1. Jänner 1948 zum Hofrat ernannt, avancierte er mit 1. Jänner 1958 zum Landesamtsdirektor. Dr. Josef Schumacher trat im März 1959 in den Ruhestand und starb am 11. Juni 1971. Er stellte sich auch in den Dienst der Tiroler Schützen, deren langjähriger Landeskommandant er nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen ist. Er war mit Josefine Gostner (1900–1996) verheiratet, mit der er sieben Kinder hatte. (aus: Richard Schober, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert) Während der Amtszeit Josef Schumachers als Landeshauptmann, im Sommer 1935 wurde auf der Grundlage des (Bundes-)Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes (Bundesgesetz vom 2.8.1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl 1932/256) das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz erlassen. Praktisch Zeitgleich befasste sich der Tiroler Landtag mit einer durchgreifenden Novelle zum (Landes-) Gemeindegesetz. Wegen der konkurrierenden Regelungen des Gemeinderechts und des Flurverfassungsrechts betreffend das „Gemeindegut“, erhob die Bundesregierung Einspruch gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf für die neue Tiroler Gemeindeordnung. Wegen des Vorranges des Flurverfassungsrechts musste der Gesetzesentwurf für die neue Gemeindeordnung nochmals grundlegend saniert werden.
Dr. Josef Schumacher (*14. November 1894 in Wien, † 11. Juni 1971 in Innsbruck) war Landeshauptmann von Tirol vom 21. März 1935 bis zum 13. März 1938. Er wurde in Wien als Sohn des Juristen (Senatspräsident), Politikers und Schriftstellers Franz Schumacher (* 13. März 1861 in Innsbruck, † 23. Jul 1937 in Kleinvolderberg), geboren, besuchte er das Gymnasium in Wien und Trient. Sein Hochschulstudium in Innsbruck musste er kriegsbedingt unterbrechen; aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er als hochdekorierter Kaiserjäger-Oberleutnant zurück. Nach seiner Promotion zum Dr. jur. wurde Schumacher 1920 Landesbeamter in Tirol, ab November 1921 wurde ihm die Leitung der Bezirkshauptmannschaft Landeck übertragen. Am 21. März 1935 wurde Dr. Josef Schumacher zum Landeshauptmann von Tirol ernannt. Schumacher hat sich in dieser Funktion, die er bis zum deutschen Einmarsch innehatte, durch sein fachliches Wissen, sein objektives Urteilsvermögen und auch durch sein gewinnendes Wesen das Vertrauen und die Zuneigung breiter Bevölkerungskreise erworben. Die Nationalsozialisten setzten Schumacher als Landeshauptmann ab und schickten ihn ab 2. März 1939 als Beamter in Pension. Drei Mal wurde er wegen seiner Gesinnung im Dritten Reich in „Schutzhaft“ genommen. Knapp vor Kriegsende musste Schumacher zum Volkssturm einrücken, wobei er von italienischen Partisanen gefangen genommen wurde. 1947 trat er wieder in den Landesdienst; mit 1. Jänner 1948 zum Hofrat ernannt, avancierte er mit 1. Jänner 1958 zum Landesamtsdirektor. Dr. Josef Schumacher trat im März 1959 in den Ruhestand und starb am 11. Juni 1971. Er stellte sich auch in den Dienst der Tiroler Schützen, deren langjähriger Landeskommandant er nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen ist. Er war mit Josefine Gostner (1900–1996) verheiratet, mit der er sieben Kinder hatte. (aus: Richard Schober, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert)
Während der Amtszeit Josef Schumachers als Landeshauptmann, im Sommer 1935 wurde auf der Grundlage des (Bundes-)Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes (Bundesgesetz vom 2.8.1932 betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl 1932/256) das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz erlassen. Praktisch Zeitgleich befasste sich der Tiroler Landtag mit einer durchgreifenden Novelle zum (Landes-) Gemeindegesetz. Wegen der konkurrierenden Regelungen des Gemeinderechts und des Flurverfassungsrechts betreffend das „Gemeindegut“, erhob die Bundesregierung Einspruch gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf für die neue Tiroler Gemeindeordnung. Wegen des Vorranges des Flurverfassungsrechts musste der Gesetzesentwurf für die neue Gemeindeordnung nochmals grundlegend saniert werden.

 

 

Flurverfassung statt Gemeindeordnung

 Abstract:

Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 1982 das Flurverfassungsrecht durcheinander gewirbelt. Dies mit der Behauptung, dass der Gesetzesbegriff „Gemeindegut“ zwingend ein Eigentum einer Ortsgemeinde definiere.

Dieses Gesetzesverständnis entnahm der Verfassungsgerichtshof der Provisorischen Gemeindeordnung von 1849. Dass diese Behauptung bereits für die Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 nicht mehr zutreffend ist und dass seit Inkrafttreten des Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetzes 1883 das Gemeinderecht nicht mehr als einschlägige Norm gelten kann, wurde ignoriert.

Ignoriert wurde, dass seit Inkrafttreten des (Bundes-) Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes (BG vom 02.08.1932 BGBl 1932/256) alle Gemeindeordnungen entsprechend den durch das Flurverfassungsrecht gestellten Vorgaben das Gemeindegut betreffend, umgestaltet wurden.

 Der Tiroler Landesgesetzgeber hat in der Sitzung des Tiroler Landtages am 10. Juli 1935, vormittags, als zuständiger Gesetzgeber für das Tiroler Gemeinderecht, den klaren gesetzgeberischen Willen umgesetzt, dass das Gemeindegut/Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, weil dieses Eigentum einer Agrargemeinschaft ist, gerade nicht länger im Tiroler Gemeinderecht geregelt sein soll, sondern im (Tiroler) Landes-Flurverfassungsrecht.

 Der historische Reichsgesetzgeber des Jahres 1883 hatte bereits vor Augen, dass Gesetzesregelungen der Flurverfassung als lex posterior im Verhältnis zum Gemeinderecht gelten. Die jeweiligen Landesausführungsgesetze zum TRRG 1883 sollten deshalb dem Gemeinderecht derogieren, wenn Teile des Gemeindegutes eine Agrargemeinschaft im Sinn des Teilungs- Regulierungs- Rechts bilden.

Damit erweist sich das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 1982, mit welchem der Verfassungsgerichtshof die Behauptung aufgestellt hat, dass die Gemeindeordnungen das „Gemeindegut“ als ein Eigentum der Ortsgemeinde definieren würden, schlich als FALSCH. (VfSlg 9336/1982)

Insoweit sich ein Gemeindegut als eine Agrargemeinschaft erweist („Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“) ist vielmehr ausschließlich in Anwendung des Flurverfassungsrechts über die Eigentumsverhältnisse daran zu entscheiden. Wer mit rechtskräftigem Agrarbehördenbescheid als Eigentümer eines Gemeindegutes festgestellt wurde, ist Eigentümer im Rechtssinn!

 

I. GEMEINDERECHT AN FLURVERFASSUNG ANGEPASST
I.1. LANDESGESETZGEBER BESCHLIESST ÄNDERUNG
I.2. ÜBERLEGUNGEN DES HISTORISCHEN GESETZGEBERS
II. GEMEINDEGUT IM TIROLER FLURVERFASSUNGSRECHT
II.1. GEMEINDEGUT EIGENTUM DER AGRARGEMEINSCHAFT
III. GEMEINDEGUT IM TIROLER GEMEINDERECHT
III.1. INTERVENTION DES BUNDESKANZLERAMTES
III.2. ANPASSUNG DES GEMEINDERECHTS
IV. WIEDERHERSTELLUNG DER GEMEINDEN 1945
IV.1
. WAS BESAGT DIE TGO 1866?
IV.2. WAS BESAGEN SPÄTERE GEMEINDEORDNUNGEN?
V. ZUSAMMENFASSUNG

 

I. GEMEINDERECHT AN FLURVERFASSUNG ANGEPASST

Während der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 die Idee eines Gemeindeguts als notwendiges Eigentum der Ortsgemeinde auf sein Panier geheftet hat, verfolgte der historische Gesetzgeber tatsächlich ganz andere Gedanken.  Es ist kaum zu glauben! Der historische Gesetzgeber hat in Wahrheit genau das Gegenteil als Gesetzeszweck verfolgt: Das Gemeinderecht wurde im Blick auf das neue Flurverfassungsrecht ganz bewusst so umgestaltet,  dass die Entscheidungen der Agrarbehörde als gesetzlicher Richter über das Gemeindegut vom Gemeinderecht in keinster Weise tangiert werden!

Der Tiroler Landesgesetzgeber war im Jahr 1935 damit befasst, das Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz von 1909 zu ersetzen; erzwungen war das durch das neue Flurverfassungs-Grundsatzgesetz des Bundes aus dem Jahr 1932. Zuerst sollte aber noch die Gemeindeordnung novelliert werden, was durch die neue Verfassung des Ständestaates von 1934 vorgegeben war.

Ohne irgendeinen Bezug zum Verfassungsbruch des Jahres 1934 galt es im Tirol des Jahres 1935 das (Bundes-) Flurverfassungs-Grundsatzgesetz des Jahres 1932 umzusetzen, welches am Beginn der IV. Gesetzgebungsperiode (2.12.1930 bis 2.5.1934) in den Nationalrat eingebracht und am 2.8.1932 im Nationalrat beschlossen worden war. Im Vergleich der beiden Gesetzesvorhaben, hier die neue Tiroler Gemeindeordnung, da ein Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz, war im Bundeskanzleramt und im Landwirtschaftsministerium aufgefallen, dass das Tiroler Gemeinderecht mit dem neuen Flurverfassungsrecht harmonisiert werden müsse.

Der Tiroler Landtag hatte 26. April 1935 einen Gesetzesbeschluss betreffend eine neue Tiroler Gemeinde-Ordnung gefasst. Dagegen hatte das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Note vom 29. Mai 1935, Zl 23675/4 Einwendungen erhoben, weil dieses Gesetz in seinen das Gemeindegut betreffenden Vorschriften Bestimmungen enthielt, die mit dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (Bundesgesetz vom 2. August 1932 BGBl 256/1932) nicht in Einklang stehen. Dies veranlasste eine Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935), „Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz“ B 256/1932, an die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck. Darin führte das Bundeskanzleramt folgendes aus und forderte die Änderungen der bereits beschlossenen neuen Tiroler Gemeindeordnung ein.

„1. Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.

2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.

3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“

(Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, An die Landeshauptmannschaft für Tirol in Innsbruck, Abschrift der Abschrift vom 1. August 1935)

 

I.1. LANDESGESETZGEBER BESCHLIESST ÄNDERUNG

Der Tiroler Gemeindegesetzgeber hatte den ausdrücklichen Willen, diese Vorgaben aus dem Bundeskanzleramt im Tiroler Gemeinderecht umzusetzen. Dies beweist das Protokoll des Tiroler Landtags, Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung am 10. Juli 1935, vormittags.

Berichterstatter Dr. Adolf Platzgummer: „Das Bundeskanzleramt hat gegen die von uns beschlossene Vorlage Einspruch erhoben, und zwar wegen einiger angeblicher, zum Teil auch wirklicher Verfassungswidrigkeiten. Wir sind selbstverständlich nicht angestanden, diese Änderungen vorzunehmen. Bei dieser Gelegenheit hat das Bundeskanzleramt auch betont, dass es nach seiner Auffassung gut wäre, wenn das Flurverfassungs-Landesgesetz in der Gemeindeordnung eingebaut und außerdem noch einige andere kleinere Änderungen vorgenommen würden. Was das Flurverfassungsgesetz betrifft, so ist das Grundsatzgesetz schon im Jahr 1932 erschienen, die Ausführungsgesetze lassen aber auf sich warten. Wir haben unser Ausführungsgesetz am 6. Juni hier beschlossen, es ist derzeit in Wien und es läuft noch die Einspruchsfrist. Das Flurverfassungsgrundsatzgesetz enthält noch die Bestimmung, dass das Ausführungsgesetz erst mit diesem in Kraft zu treten habe, daher ist die Situation derzeit so, dass beide Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind. Deshalb war es uns bei der Verabschiedung der Gemeindeordnung nicht möglich, das Flurverfassungs-Landesgesetz zu berücksichtigen, weil es noch nicht existiert. Wir haben aber die Bestimmungen in die Gemeindeordnung so aufgenommen, als ob diese beiden Gesetze bereits in Kraft wären, und damit dem Verlangen des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft Rechnung getragen. Die übrigen Änderungen sind, insoweit sie sich als Empfehlungen der Bundesregierung darstellen, bis auf 3 ganz unwesentliche Punkte berücksichtigt worden. …“

 

I.2. ÜBERLEGUNGEN DES HISTORISCHEN GESETZGEBERS

Freilich war bereits dem historischen Gesetzgeber des Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetzes des Jahres 1883 aufgefallen, dass in Bezug auf das „Gemeindegut“ das Gemeinderecht einerseits und das Teilungs- Regulierungs-Recht andererseits, konkurrierende Regelungen enthalten könnten.

Der Abgeordnete Dr. Ritter von Madeyski hatte zu § 1 der Gesetzesvorlage betreffend ein Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 ausdrücklich den Zusatzantrag, das Eigentum einer Gemeinde oder eines Teils derselben bildende Grundstücke von der Kompetenz der neuen „Commassions-Behörde“ (heute: Agrarbehörde) auszunehmen. Ziel dieses Zusatzantrages zu § 1 des Gesetzesentwurfes für ein Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz war es, die Kompetenzen der neuen Behörde einzuschränken: Das in den öffentlichen Registern auf eine Gemeinde oder eine Gemeindefraktion einverleibte Eigentum sollte „außen vor bleiben“. Dies hätte aber gleichzeitig bedeutet, dass eine endgültige und abschließende Entscheidung aller Streitigkeiten betreffend diese Liegenschaften durch eine Instanz weiterhin nicht gegeben gewesen wäre. Nur die Abgeordneten aus Gallizien, zu deren Kreis auch der Abgeordnete Ritter von Madeyski gehörte, haben den Zusatzantrag in der mündlichen Debatte unterstützt; alle anderen Redner haben sich vehement für einen ungeschmälerten Zuständigkeitsbereich der „Commassionsbehörden“ ausgesprochen. Besonders engagiert ist gegen diesen Zusatzantrag aufgetreten der Abgeordnete Dr. Josef Kopp.

Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9223, Dr. Josef Kopp: „Man will jenes Gut, welches der Gemeinde oder einer Fraktion der Gemeinde gehört, an welchem alle oder einzelne Mitglieder dieser Gemeinde oder Fraktion gewisse Nutzungsrechte haben, aus dem Gesetz ausscheiden? Wenn sie das tun wollen, scheiden sie lieber gleich das ganze Gesetz aus. Den da liegt ja eben die Quelle dieser unlösbaren Wirrnisse und Streitigkeiten, und welchen Nutzen soll es haben, wenn es heißt: Auf diese Gründe findet eine Anzahl von Paragraphen sinngemäß Anwendung? Es ist dieses immer ein vom juridischen Standpunkte bedenkliches Flickwerk, welches man nur in der Verzweiflung gebrauchen kann. Mit diesem `Sinngemäß´ werden sie den Streit nicht schlichten, sondern ihm neue Quellen eröffnen. Wollen sie also, dass das Gesetz Wirksamkeit habe, so müssen sie es gerade auf diese Grundstücke anwenden, welche als Gemeindegut bezeichnet werden, denn sonst ist es in der Tat zwecklos.“

Wie ein Gegensatz zwischen dem Gemeinderecht und dem neuen Teilungs- Regulierungs- Recht zu lösen sei, erläuterte der Regierungsvertreter Ministerialrat Ritter von Rinaldini (sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, 1883, Seite 9221: „Seine Excellenz der Abgeordnete Ritter von Grocholski hat ganz richtig bemerkt, dass unter die Grundstücke, welche im § 1 des vorliegenden Entwurfes aufgezählt sind, auch diejenigen fallen, welche in den Gemeindeordnungen als das Gemeindegut bezeichnet sind. Er hat daraus die Folgerung gezogen, dass sich zwischen den vorliegenden Gesetzentwurfe und den Bestimmungen der Gemeindeordnungen, bzw. also der Landesgesetzgebung eine Kollision ergibt. Ich glaube diese Auffassung ist nicht ganz richtig. Das gegenwärtige Gesetz ist sozusagen nur ein Skelett, dem erst die Landesgesetzgebung den Lebensatem einzuhauchen hat; es kann dem gemäß von einer bereits bestehenden Kollision zwischen diesem Gesetze und den Gemeindeordnungen gar keine Rede sein. Eine solche Kollision könnte erst dann entstehen, wenn die Landesgesetzgebung in Ausführung des vorliegenden Gesetzes andere Bestimmungen treffen würde, als in der Gemeindeordnung dermalen enthalten sind. Dann ist aber keine Kollision mehr da, sondern lex posterior derogat priori, dann hat eben die Landesgesetzgebung gefunden, dass Änderungen in der Gemeindeordnung in dieser Hinsicht vorzunehmen sind.“

Auch wenn die weitere Rechtsentwicklung eine ungleich kompliziertere Rechtslage geschaffen hat, als diese dem Regierungsvertreter Ministerialrat Ritter von Rinaldini im Jahr 1883 vorschwebte, wird durch diese Äußerung in der seinerzeitigen gesetzgebenden Körperschaft klar, dass das Gemeinderecht gerade nicht die agrarische Operation am „Gemeindegut“ behindern oder präjudizieren sollte. Eben dieser Gesetzgeber hatte gerade 20 Jahre zuvor das moderne Gemeinderecht geschaffen und war es gerade die Absicht dieses Gesetzgebers gerade die agrarische Operation am Gemeindegut und insbesondere auch die Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse daran, den Zivilgerichten zu entziehen und den neuen Agrarbehörden zu überantworten!

 

II. GEMEINDEGUT IM TIROLER FLURVERFASSUNGSRECHT

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis zu Agrargemeinschaft Unterlangkampfen, VfSlg 19.262/2010, zu einem Agrarbehördenverfahren auf „Feststellung von atypischem Gemeindegut“ klar gestellt, dass „[…] der Bescheid […]durchaus auch dahin ausgelegt werden [könnte], dass die bescheiderlassende Behörde auf den in §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaftabstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.])“ (VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3 Abs 1 der Begründung vom 10.12.2010) Nach dem Gesetzesverständnis des VfGH-Erk Slg. 19.262/2010 bedeutete sohin „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“) im Tiroler Flurverfassungsgesetz 1935 Eigentum einer Agrargemeinschaft.

 

II.1. GEMEINDEGUT EIGENTUM DER AGRARGEMEINSCHAFT

Die Tiroler Landesregierung erklärte im Gesetzesprüfungsverfahren VfGH Slg 9336/1982 den Begriff „Gemeindegut“ („Fraktionsgut“), wie dieser vom Tiroler Landesgesetzgeber im Tiroler Flurverfassungsgesetz  bis Anfang der 80er Jahre verwendet wurde, ebenfalls als wahres Eigentum einer Agrargemeinschaft:  „Für die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende haben sich eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbstständige Gemeinden) herausgebildet […]. Sie gelten heute als Agrargemeinschaften. In vielen Gemeinden war jedoch die Gemeinde als solche, nämlich die alte so genannte “Realgemeinde“ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen. Dafür wurde dann der Begriff Gemeindegut verwendet.“ […]

„Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ „Die historischen Zufälligkeiten einer rein tatsächlichen Vorgehensweise dürfen nicht einseitig gesehen werden, weil dann das Gegenteil dessen erreicht werden würde, wozu der Gleichheitssatz verpflichtet, nämlich gleichgelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln. So gesehen scheinen die in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen dem Gleichheitssatz nicht zu widersprechen. Sie bedeuten insbesondere nicht eine gleichheitswidrige Einbeziehung des Gemeindeguts in eine auf bestehende agrarische Gemeinschaften abgestellte Regelung. Mit diesem Vorwurf wird übersehen, dass die Gemeinde hinsichtlich des Gemeindegutes eben nicht als (politische) Gemeinde auftritt, sondern mangels einer eigenen rechtlichen Verfassung der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft ex lege bildet. […]“

(Amt der Tiroler Landesregierung, Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren, VfSlg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Entscheidungsbegründung)

Die Tiroler Landesregierung hat somit im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 einen spezifischen „Gemeindegutsbegriff“ des Tiroler Landesgesetzgebers erklärt: In Tirol und nach Tiroler Landesgesetz (zuständiger Ausführungsgesetzgeber gem Art 12 B-VG) wurde der Begriff „Gemeindegut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht verwendet, um Agrargemeinschaften in Gemeindeverwaltung zu charakterisieren, entstanden aufgrund des Chaos der Tiroler Grundbuchanlegung: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“„Die historischen Zufälligkeiten einer rein tatsächlichen Vorgehensweise dürfen nicht einseitig gesehen werden, weil dann das Gegenteil dessen erreicht werden würde, wozu der Gleichheitssatz verpflichtet, nämlich gleichgelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln.“

Auch der Landesagrarsenat Tirol, der als weitere Landesbehörde zuständig für den Vollzug des Tiroler (!) Flurverfassungsrechts ist, erläuterte eine Begriffsverwendung für „Gemeindegut“ im TFLG im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft: „Da die Nutzung des Gemeindegutes rechtshistorisch gesehen aus der gemeinschaftlichen Allmendnutzung hervorgegangen ist, ist […] das Eigentum der Rechtsnachfolgerin der auf Gewohnheitsrecht beruhenden Realgemeinde, nämlich der körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft, einzuräumen.“

(LAS Tirol vom 5.8.1969 LAS-104/17 (Gemeindegut Trins, Regulierung) unter dem Vorsitz des späteren Verfassungsrichters Dr. Andreas Saxer)

 

III. GEMEINDEGUT IM TIROLER GEMEINDERECHT
III.1. INTERVENTION DES BUNDESKANZLERAMTES

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat am 26. April 1935 eine Neufassung der Gemeindeordnung beschlossen und am 06. Juni 1935 das Tiroler Flurverfassungs- Landesgesetz. Gegen die Neufassung der Gemeindeordnung hatte das Landwirtschaftsministerium Einwendungen erhoben, welche durch das Bundeskanzleramt an den Landeshauptmann in Tirol herangetragen wurden. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, dass jene „Teile des Gemeindegutes, die gem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde ausgeschieden werden:

Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien diese Liegenschaften, wie gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert, ausdrücklich auszunehmen.

(Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, Note an den Landeshauptmann in Tirol, „Abschrift der Abschrift“ (1. August 1935)

Es sei darüber hinaus im Tiroler Gemeindegesetz klar zu stellen, dass die Bestimmungen des Tiroler Gemeindegesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung finden, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen. Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935).

 

III.2. ANPASSUNG DES GEMEINDERECHTS

In Konsequenz dieser Interventionen des Bundeskanzleramtes, wurde der am 26. April 1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Sitzung des Tiroler Landtages vom 10. Juli 1935 neu gefasst.

Geändert wurden die §§ 79 Tiroler Gemeindeordnung 1935:

„Die Verteilung des Gemeindevermögens und Gemeindeguts oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. Insoweit es sich beim Gemeindegut um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, ist die Teilung im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“

geändert wurde § 114 (3) Tiroler Gemeindeordnung 1935:

„Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindeguts beschließt der Gemeindetag. Bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken iSd Flurverfassungslandesgesetzes entscheiden im Streitfalle die Agrarbehörden.“

geändert wurde § 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935:

„Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“

geändert wurde § 120 (2) Tiroler Gemeindeordnung 1935:

„(1) Die Nutzungsrechte haften an der Liegenschaft und können im Allgemeinen nur mit dieser rechtsgültig übertragen werden. (2) Für die ausnahmsweise Übertragung von Nutzungsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“,

geändert wurde § 140 TGO 1935:

„Das zum Gemeindegut gesagte, gilt auch für Fraktionsgut.“

geändert wurde § 164 letzter Satz TGO 1935:

„Insoweit es sich um agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt, wird die Veräußerung, Belastung und Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Guts im Flurverfassungslandesgesetz geregelt.“

geändert wurde § Artikel III (Tiroler) LGBl 1935/36:

„Artikel III. LGBl 1935/36. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes gelten für das Gemeindegut, insoweit es aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken besteht, folgende Bestimmungen: 1. Über Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindegutes entscheidet in I. Instanz der Gemeindetag. 2. Die Verteilung des Gemeinde-(Fraktions)Gutes oder eines Teiles davon unter die Gemeindemitglieder ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen bewilligt die Landesregierung, wenn besonders triftige Gründe vorliegen. 3. Wenn und insoweit die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes nicht schon erschöpfend durch die Übung geregelt ist, kann der Gemeindetag die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes durch die Gemeindeglieder (§ 15) mit Beachtung der beschränkenden Vorschriften des § 119 regeln. Hiebei hat als Grundsatz zu dienen, dass jede Beeinträchtigung bestehender Rechte vermieden werden muss. Jede solche Regelung bedarf der Genehmigung durch die Landesregierung. 4. Ausnahmsweise kann die Landesregierung auf Antrag des Gemeindetags die gänzliche oder teilweise Übertragung von Nutzungsrechten auf eine andere Liegenschaft innerhalb der Gemeinde bewilligen. Die Bewilligung kann von der Erfüllung bestimmter, in Wahrung der Interessen der Gemeinde gebotener Bedingungen abhängig gemacht werden. 5. Beschlüsse des Gemeindetages über die Veräußerung, Verteilung oder Belastung von Gemeinde-(Fraktions)Gut sowie über die Regelung der Teilnahme an der Nutzung des Gemeindeguts bedürfen der Genehmigung der Landesregierung.“

 

IV. WIEDERHERSTELLUNG DER GEMEINDEN 1945

Die heutigen Ortsgemeinden wurden nach Wiedererrichtung der Republik Österreich im Jahr 1945 wieder hergestellt (Vorläufiges Gemeindegesetz (VGemG) vom 10. Juli 1945), Staatsgesetzblatt 1945/66). Gem Art 1. VGemG galt: Das Gesetz vom 5. März 1862, RGBl Nr 18 (Reichsgemeindegesetz), alle Gemeindeordnungen und Gemeindewahlordnungen sowie die sonstigen auf dem Gebiete der Gemeindeverfassung erlassenen Vorschriften (Gemeindestatute, Stadtrechte) werden in dem Umfange, in dem sie vor Einführung der dt Gemeindeordnung in den österreichischen Ländern in Kraft gestanden sind, nach Maßgabe der folgenden Artikel wieder in Wirksamkeit gesetzt. Art 2. (1) Von der Inkraftsetzung nach Art 1 sind diejenigen Bestimmungen ausgenommen, die mit den seit der Wiedererrichtung der Republik erlassenen verfassungsrechtlichen oder sonstigen Vorschriften in Widerspruch stehen. […].

Damit wurden jene Regelungen der Tiroler Gemeindeordnung 1935, mit welchen das Tiroler Gemeinderecht im Jahr 1935 der Bundesverfassung 1920 und dem gem Art 12 B-VG vom Bund in Kraft gesetzten Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 angepasst wurde, mit Stichtag 15.Juli 1945 (Stichtag des Inkrafttretens des VGemG 1945) wieder geltendes Recht in Tirol.

Der Tiroler Gemeindegesetzgeber des Jahres 1949 (TGO 1949 LG vom 31. März 1949, LGBl 1949/24) hat die hier maßgeblichen Regelungen der der TGO 1935 zusammengefasst und die Herausnahme derjenigen Teile des „Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft im Sinn der Flurverfassung bilden“ aus dem Gemeinderecht wie folgt gesetzestechnisch umgesetzt: „§ 82 TGO 1949. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ Dieser Gesetzesinhalt wurde bis zur heute geltenden Gemeindeordnung fortgeführt: TGO 1966 LGBl 1966/4:„§ 85 TGO 1966. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“ TGO 2001 LGBl 2001/36: „§ 74 TGO 2001. Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

Dies ist auch selbstverständlich, ist es dem Tiroler Gemeindegesetzgeber durch verwehrt, in die Gesetzgebungskompetenz gem Art 12 B-VG einzugreifen.

 

IV.1. WAS BESAGT DIE TGO 1866?

Die Behauptung, wonach in Tirol das Ausführungsgesetz zur Reichsgemeindeordnung, die TGO 1866, das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung zum „Eigentum der Ortsgemeinde gestempelt“ hätte – so die These des Verfassungsgerichts in VfSlg 92326/1982 – ist eine gesetzesfremde Erfindung. Diese findet zwar im Wortlaut des § 74 prov. GemG 1849 (§ 74 provGemG) eine Stütze, nicht jedoch in den tatsächlich relevanten Bestimmungen der Ausführungsgesetze zur Reichsgemeindeordnung 1862. Nur die Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 sind jedoch gemäß der ausdrücklichen Regelung im Vorläufigen Gemeindegesetz vom vom 10. Juli 1945), Staatsgesetzblatt 1945/66, von Relevanz.

Vgl nur TGO 1866. §§ 60 – 82. Fünftes Hauptstück. Vom Gemeindehaushalt und von den Gemeindeumlagen.

§ 60. Das gesamte bewegliche und unbewegliche Eigentum und sämtliche Gerechtsame der Gemeinde und ihrer Anstalten und Fonde sind mittels eines genauen Inventars in Übersicht zu halten.

Jedem Gemeindemitgliede ist die Einsicht in dasselbe zu gestatten.

§ 61 TGO 1866. Das Stammvermögen und das Stammgut der Gemeinden und ihrer Anstalten und Fonde ist ungeschmälert zu erhalten.

Ein vorzügliches Augenmerk hat die Gemeinde auf die Erhaltung und nachhaltige Pflege ihrer Waldungen zu richten, und sie hat die forstpolizeilichen Vorschriften genau zu befolgen und befolgen zu machen.

Zur Verteilung des Stammvermögens und des Stammgutes oder eines Teiles desselben unter die Gemeindeglieder ist ein Landesgesetz erforderlich.

§ 62 TGO 1866. Das gesamte erträgnisfähige Vermögen der Gemeinden und ihrer Anstalten ist derart zu verwalten, dass die tunlich größte nachhaltige Rente daraus erzielt werde. Zurückbezahlte Kapitalien sind sobald wie möglich wieder sicher und fruchtbringend anzulegen.

Die Jahresüberschüsse sind zur Deckung der Erfordernisse im nächsten Jahre zu verwenden, und insofern sie hiezu nicht benötigt werden, fruchtbringend anzulegen, und zum Stammvermögen zu schlagen.

Eine Verteilung der Jahresüberschüsse unter die Gemeindemitglieder kann nur bei besonders berücksichtigenden Umständen und jedenfalls nur unter der Bedingung stattfinden, dass sämtliche Gemeindeerfordernisse ohne Gemeindeumlagen bestritten wurden, und dass dieselben voraussichtlich auch in Hinkunft ohne Gemeindeumlagen bestritten werden können. (§ 87)

§63 TGO 1866. „In Bezug auf das Recht und das Maß der Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes ist sich nach der bisher gültigen Übung zu benehmen, mit der Beschränkung jedoch, daß, sofern nicht spezielle Rechtstitel Ausnahmen begründen, kein zum Bezuge berechtigtes Gemeindemitglied aus dem Gemeindegute einen größeren Nutzen ziehe, als zur Deckung seines Haus- und Gutsbedarfes notwendig ist.

Wenn und insoweit eine solche gültige Übung nicht besteht, hat der Ausschuß mit Beachtung der erwähnten beschränkenden Vorschrift die, die Teilnahme an den Nutzungen des Gemeindegutes regelnden Bestimmungen zu treffen.

Hiebei kann diese Teilnahme von der Entrichtung einer jährlichen Abgabe, und anstatt oder neben derselben von der Entrichtung eines Einkaufsgeldes abhängig gemacht werden.

Diejenigen Nutzungen aus dem Gemeindegute, welche nach Deckung aller rechtmäßig gebührenden Ansprüche erübrigen, sind in die Gemeindekasse abzuführen.“

§ 64. Das Verwaltungsjahr der Gemeinde fällt mit jenem des Staates zusammen.

§ …“

Offensichtlich ist, dass nirgends in den einschlägigen Regelungen die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut definiert werden. Weil die Gemeindeordnung 1866 auf bestehende Eigentumsverhältnisse ausdrücklich ohne Einfluss bleiben sollte (§ 12 TGO 1866. „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“), ist die Behauptung, dass ein Gut, welches offensichtlich bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes vorhanden war (weil man sich nach einer bestehenden Ordnung zu benehmen hätte), notwendig Eigentum der Ortsgemeinde sei, nicht begründbar.

Mit der späteren, klarstellenden Fortentwicklung des Gemeinderechts hatte sich der VfGH im Erk Slg 9336/1982 überhaupt nicht auseinander gesetzt (Ausführlich dazu: Die Anpassung des Gemeinderechts an das Flurverfassungsrecht)

IV.2. WAS BESAGEN SPÄTERE GEMEINDEORDNUNGEN?

Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse am Gemeindegut ist aus kompetenzrechtlicher Sicht „Bodenreform“ im Sinn des Art 12 B-VG – kein Gemeinderecht und kein Zivilrecht. Mit Inkrafttreten des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1932 und der Landesausführungsgesetze dazu, musste das Gemeinderecht der Länder entsprechende Klarstellungen treffen, um einem verfassungswidrigen Eingriff der Landesgesetzgeber in die „Art 12 B -VG Kompetenz“ des Bundesgesetzgebers vorzubeugen.

Vollzogen wurde dies in Tirol mit dem Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 10.Juli 1935, mit welchem den Einwendungen des Landwirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramtes gegen die im April 1935 beschlossenen Änderungen des Gemeinderechts Rechnung getragen wurden.

Die in der Endfassung der Tiroler Gemeindeordnung 1935 umgesetzten Änderungen zur Klarstellung des Verhältnisses der Gemeindeordnung und der Flurverfassung sind eindeutig. Der Tiroler Landesgesetzgeber hatte die Absicht, mit diesen Änderungen in der Tiroler Gemeindeordnung 1935 die zentrale Vorgabe des Bundeskanzleramtes umzusetzen, wonach das „Gemeindegut, insoweit es eine Agrargemeinschaft im Sinn der Flurverfassung bildete“, aus dem Gemeindeeigentum (Gemeindevermögen oder Gemeindegut) auszuscheiden sei.

„Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.“ (Bundeskanzleramt, Zl 156.486-6 (ex 1935). Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932, Note an den Landeshauptmann in Tirol, „Abschrift der Abschrift“ (1. August 1935)

An dieser historischen Rechtslage nach Tiroler Gemeinderecht 1935 hat sich in der Folge bis zum heutigen Tag nichts mehr geändert.

§ 82 TGO 1949 lautete wie folgt: „§ 82 TGO 1949. Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“

Dieser Gesetzesinhalt wurde bis zur heute geltenden Gemeindeordnung fortgeführt: § 85 TGO 1966: „Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“

Schließlich § 74 TGO 2001 LGBl 2001/36: „Verhältnis zu den Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform. Im Übrigen werden durch dieses Gesetz die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform nicht berührt.“

 

V. ZUSAMMENFASSUNG

Wie Josef Kühne nachgewiesen hat (Kühne/Oberhofer, Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2012) 237ff [hier: 318ff]), ergibt sich aus der Entwicklung des Gemeinderechts unübersehbar, dass die Gemeindeordnungen die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut gerade nicht regeln wollten und auch nicht geregelt haben.

Jene Teile des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bilden, sollten aus dem Gemeinderecht ausgeschieden und dem Flurverfassungsrecht unterworfen werden.

Wenn deshalb VfGH den Standpunkt eingenommen hat, dass das Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut zwingend als ein Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde geregelt hätte – so der VfGH im Grundsatz-Erkenntnis VfSlg 9336/1982 – erweist sich damit als gesetzesfremde Erfindung.

Der gesamten Judikatur des VfGH zum atypischen Gemeindegut (Mieders-Erkenntnis 2008) ist damit die Grundlage entzogen.

MP

Die Realgemeinde

Hofrat Dr. Albert Mair (*13. September 1921 in Telfes/Stubai, † 28. Mai 2016 in Mieders) ist gemeinsam mit Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer immer noch Symbolfigur der Tiroler Agrarbehörde. Dies ungeachtet der Tatsache, dass das moderne Agrarrecht in Tirol auf einem Reichsgesetz des Kaisers Franz-Josef aus dem Jahr 1883 gründet und in Tirol im Jahre 1909 Einzug gehalten hatte. Als Leiter der Agrarbehörde und als persönlicher Referent von Landeshauptmann Eduard Wallnöfer für Land- und Forstwirtschaft, als langjähriger Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol und als Obmann der Akademikersektion des Tiroler Bauernbundes hat Hofrat Dr. Albert Mair auch für den Bauernstand Entscheidendes geleistet. Albert Mair wurde am 13. September 1921 als Sohn einer kinderreichen Kleinbauernfamilie aus Telfes im Stubaital geboren. Als Werkstudent absolvierte er das humanistische Gymnasium und das Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck. Er war einer der ersten Zöglinge im Bauernbund-Schülerheim in Innsbruck, nach dem Krieg von 1947 bis 1951 auch dessen Leiter. Zeitlebens würde er nicht müde, bei jeder passenden Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass ihm dieser Bildungsweg nur durch das Schülerhilfswerk des Tiroler Bauernbundes möglich war.  Nach der Gerichtspraxis trat Albert Mair in den Landesdienst ein. Albert Mair war von Ende des Jahres 1952 bis Dezember 1966 der Agrarbehörde I. Instanz zugeteilt, zuerst als Referent, ab Dezember 1958 bis Dezember 1966 als deren Leiter. Daneben war er Landeshauptmann Eduard Wallnöfer als persönlicher Referent für Land- und Forstwirtschaft zugeteilt. Hofrat Dr. Albert Mair hat eine effiziente Behörde aufgebaut, die in den Zeiten größter Arbeitsbelastung mit mehr als 15 Juristen besetzt war. Albert Mair scheute nicht davor zurück, mit der wissenschaftlichen Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ (1958) Grundlagenarbeit im Agrarrecht zu leisten. Gemeinsam mit Dr. Josef Kühne, Leiter der Agrarbehörde in Bregenz, hat Albert Mair im Jahr 1958 die Agrarbehördenleitertagung ins Leben gerufen, die seither im zweijährigen Turnus stattfindet. Ein von Albert Mair verantworteter „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde (Abteilung III 1) für den Zeitraum 1949 bis 1958“ vom Juli 1959 sowie zahlreiche, von Mair selbst verfasste Agrarbehördenbescheide, geben Zeugnis seiner profunden Leistungen in dieser Zeit. 1967 übernahm er auf persönlichen Wunsch des damaligen Landeshauptmannes Eduard Wallnöfer die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol. Sein unermüdlicher persönlicher Einsatz und seine umsichtige Geschäftspolitik führten zu einer steilen Aufwärtsentwicklung des Instituts. Der Umbau der Hauptanstalt und der Ausbau des Zweigstellennetzes wurden unter seiner Leitung durchgeführt.  Das Land Tirol würdigte seine Verdienste mit der Verleihung des Ehrenzeichens, der Tiroler Bauernbund und die Landwirtschaftskammer Tirol verliehen ihm das Goldene Ehrenzeichen.
Hofrat Dr. Albert Mair (*13. September 1921 in Telfes/Stubai, † 28. Mai 2016 in Mieders) ist gemeinsam mit Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer immer noch Symbolfigur der Tiroler Agrarbehörde. Dies ungeachtet der Tatsache, dass das moderne Agrarrecht in Tirol auf einem Reichsgesetz des Kaisers Franz-Josef aus dem Jahr 1883 gründet und in Tirol im Jahre 1909 Einzug gehalten hatte. Als Leiter der Agrarbehörde und als persönlicher Referent von Landeshauptmann Eduard Wallnöfer für Land- und Forstwirtschaft, als langjähriger Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol und als Obmann der Akademikersektion des Tiroler Bauernbundes hat Hofrat Dr. Albert Mair auch für den Bauernstand Entscheidendes geleistet. Albert Mair wurde am 13. September 1921 als Sohn einer kinderreichen Kleinbauernfamilie aus Telfes im Stubaital geboren. Als Werkstudent absolvierte er das humanistische Gymnasium und das Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck. Er war einer der ersten Zöglinge im Bauernbund-Schülerheim in Innsbruck, nach dem Krieg von 1947 bis 1951 auch dessen Leiter. Zeitlebens würde er nicht müde, bei jeder passenden Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass ihm dieser Bildungsweg nur durch das Schülerhilfswerk des Tiroler Bauernbundes möglich war. Nach der Gerichtspraxis trat Albert Mair in den Landesdienst ein. Albert Mair war von Ende des Jahres 1952 bis Dezember 1966 der Agrarbehörde I. Instanz zugeteilt, zuerst als Referent, ab Dezember 1958 bis Dezember 1966 als deren Leiter. Daneben war er Landeshauptmann Eduard Wallnöfer als persönlicher Referent für Land- und Forstwirtschaft zugeteilt. Hofrat Dr. Albert Mair hat eine effiziente Behörde aufgebaut, die in den Zeiten größter Arbeitsbelastung mit mehr als 15 Juristen besetzt war. Albert Mair scheute nicht davor zurück, mit der wissenschaftlichen Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ (1958) Grundlagenarbeit im Agrarrecht zu leisten. Gemeinsam mit Dr. Josef Kühne, Leiter der Agrarbehörde in Bregenz, hat Albert Mair im Jahr 1958 die Agrarbehördenleitertagung ins Leben gerufen, die seither im zweijährigen Turnus stattfindet. Ein von Albert Mair verantworteter „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde (Abteilung III 1) für den Zeitraum 1949 bis 1958“ vom Juli 1959 sowie zahlreiche, von Mair selbst verfasste Agrarbehördenbescheide, geben Zeugnis seiner profunden Leistungen in dieser Zeit. 1967 übernahm er auf persönlichen Wunsch des damaligen Landeshauptmannes Eduard Wallnöfer die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol. Sein unermüdlicher persönlicher Einsatz und seine umsichtige Geschäftspolitik führten zu einer steilen Aufwärtsentwicklung des Instituts. Der Umbau der Hauptanstalt und der Ausbau des Zweigstellennetzes wurden unter seiner Leitung durchgeführt. Das Land Tirol würdigte seine Verdienste mit der Verleihung des Ehrenzeichens, der Tiroler Bauernbund und die Landwirtschaftskammer Tirol verliehen ihm das Goldene Ehrenzeichen.

 

DIE REALGEMEINDE

An der Tiroler „Allmend-Entlastung“ durch das Forstregulierungs­patent von 1847 scheiden sich die Geister: Hat der Landesfürst Gemeinde­eigentum geschaffen oder Eigentum der Realgemeinde

Anders als die Mathematik oder die „klassische Physik“ ist die Juristerei keine Wissenschaft, wo die Anwendung allgemein nachvollziehbarer Methoden wie Zählen, Messen und Wägen zu eindeutigen Ergebnissen führt. Die Physiker des 20. Jahrhunderts haben uns gelehrt, dass selbst die absolute Konstante „Zeit“ eine relative ist, die abhängig von den Rahmenbedingungen einmal langsamer verrinnt und einmal schneller. Die „ewigen Wahrheiten“ der Physik erscheinen damit heute als „relative“. Wen wundert es, dass auch die „juristische Wahrheit“ eine wechselnde ist, die sich vom Zeitgeist getrieben in Mehrheitsentscheidungen der Richterkollegien und der Gesetzgebungsorgane manifestiert. In diesem Sinn ist der juristische Verständniswechsel zum „Gemeindebegriff“, der in den letzten Jahren von der Tiroler Agrarbehörde vollzogen wurde, in den historischen Urkunden zu relativieren.

Weil die Tirolerinnen und Tiroler in den 1840er Jahren massiv „ihr Waldeigentum“ einforderten, bereinigte Kaiser Ferdinand I. in Eilverfahren die Rechtslage: Das Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 durchbrach den Rechtsgrundsatz, dass die „landbautreibenden Untertanen“ nur das Recht der Einforstung hätten und alle Waldungen ein Eigentum des Landesfürsten wären. Für das heutige Nordtirol wurden zwei Kommissionen eingesetzt, die Forsteigentumspurifikationskommission, die ersessenes Privateigentum anerkannte, und die Forstservituten­ablösungskommission, die Einforstungsrechte gegen freies Privateigentum an erheblich verkleinerten „Gemeinde- oder Fraktionswäldern“ abgelöst hat. Als „Restgröße“ sind die heutigen Bundesforste in Nordtirol entstanden. Im heutigen Osttirol hat der Landesfürst generell auf sein Recht an den Wäldern verzichtet und das Eigentum den „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ überlassen. Die Geister scheiden sich heute daran, was unter den „Gemeinden“ im Sinn der Urkunden aus den 1840er Jahren zu verstehen sei.

Die Tiroler Agrarbehörde hat sich in den letzten Jahren der historischen Rechtsauffassung der Grundbuchanlegungsbeamten von Ende des 19. Jahrhunderts angeschlossen. Diese haben als Ergebnis der Tiroler Forstregulierung ein Eigentum der heutigen Ortsgemeinden gesehen. Über viele Jahrzehnte vertraten Österreichische Agrarjuristen einheitlich eine gänzlich andere Rechtsauffassung. Es wurde differenziert zwischen der heutigen politischen Ortsgemeinde und der Realgemeinde, einer Nachbarschaft, die sich nur aus den historischen Nachbarn, den „Ur-, Haus- oder Feuerstattbesitzern“ zusammensetzte. Auf den Punkt bringt dies eine Entscheidung des Obersten Agrarsenates aus dem Jahr 1958, die zu einer Liegenschaft der historischen „Commune Markt Isper“, NÖ, erging. Die Agrarbehörden haben ein Protokoll aus dem Jahr 1829 beurteilt, wonach ein „Gemeindewald“ teilweise unter 26 „Urhausbesitzern“ aufgeteilt wurde, während die vier „Kleinhäusler“ leer ausgingen.

 

GEMEINDE DER UR-HAUSBESITZER VON YSPER

Die Feststellung des Protokolls von 1829, wonach „jedes Gemeindemitglied“ einen Teil des „Gemeindewaldes“ erhalten habe, wurde so verstanden, dass im Jahr 1829 der Begriff „Gemeinde“ nur die 26 Urhausbesitzer umfasste. Der restliche „Gemeindewald“ sei deshalb nicht ein Wald des heutigen Marktes Isper gewesen, sondern ein Wald der „Gemeinde Isper“ als Gemeinschaft der 26 Urhausbesitzer.

Der OAS am 6.10. 1958 245-OAS/58: Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit „Gemeinde“, „Gmoa“, oder „Commune“ bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, weil man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung, nicht bewusst wurde, das Flurverfassungsgesetz hat an diesen geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder, die Nutzungsberechtigten, mit „Agrargemeinschaft“ bezeichnet. Man geht vollkommen irr, wenn man die in den alten Urkunden vorkommenden Bezeichnungen „Gemeinde“ oder „Marktgemeinde“ mit der 1864 entstandenen „politischen Ortsgemeinde“ gleichstellt. Es mag angenommen werden, dass es für gewisse Zeit für die politische Gemeinde und die Realgemeinde eine Art Verwaltungsgemeinschaft gegeben hat. Dies ist verständlich, da der Mitgliederkreis dieser beiden rechtlich verschiedenen Körperschaften sich damals noch weitgehend gedeckt haben dürfte. Es ist belanglos, wann eine Verwaltungstrennung erfolgte. Auch wenn sie nicht erfolgt wäre, könnte die Agrarbehörde im Rahmen eines Regulierungsverfahrens für die Realgemeinde – heute Agrargemeinschaft – eigene Verwaltungssatzungen erlassen und eine selbständige Verwaltung einführen.

 

JUDIKATUR ZUR REALGEMEINDE

Es kann vorausgesetzt werden, dass Landeshauptmann Eduard Wallnöfer die Judikatur des Obersten Agrarsenates bekannt war, wonach zwischen den heutigen Ortsgemeinden und den historischen Realgemeinden, heute Agrargemeinschaften, zu differenzieren sei. Schon am 13.11.1950 hatte der Landesagrarsenat unter seinem Vorsitz über den „Gemeindewald“ in Tulfes zu entscheiden. Der Oberste Agrarsenat dazu im Erkenntnis vom 2.6.1951 66-OAS-1951: Den jeweiligen Besitzern der fraglichen Höfe steht weit mehr zu als ein bloßes Recht auf Holzbezug, sei es als Servitutsrecht, sei es als Nutzungsrecht am Gemeindegut, nämlich ein Anteilrecht am agrargemeinschaftlichen Gut, welches bei den Rücksitzliegenschaften zu binden ist. Die irrige Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin des Gutes ist nur darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Grundbuchanlegung die alte Agrargemeinde mit der politischen Gemeinde irrtümlicherweise gleichgesetzt wurde. Dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses, wonach der Agrarbehörde aufgetragen wurde, das Regelungsverfahren für den Gemeindewald Tulfes einzuleiten, war beizupflichten, da eine Ordnung der Verhältnisse unbedingt notwendig ist. Gleichzeitig war jedoch auszusprechen, dass im gegenständlichen Fall weder Servitutsrechte an einem Gemeindevermögen, noch Nutzungsrechte an einem Gemeindegut vorliegen, sondern der Gemeindewald Tulfes vielmehr ein agrargemeinschaftliches Vermögen darstellt, welches anteilsmäßig gewissen Liegenschaften zukommt. Das Eigentum stand somit der Agrargemeinschaft zu.

 

DIE TIROLER AGRARBEHÖRDE UND DIE REALGEMEINDE

Dr. Albert Mair begründete im Tätigkeitsbericht der Tiroler Agrarbehörde vom Juli 1958 den dringenden Handlungsbedarf: Die tiefere Wurzel der einzigartigen, kritischen und komplizierten Situation in Tirol ist auf die falsche Auslegung der Waldzuweisung 1847 zurückzuführen. Die kaiserliche Waldzuweisung wollte den bäuerlichen, alten Wirtschafts- und Realgemeinden die Waldungen zu Besitz und Nutzung zuweisen und man hat in einer völlig falschen rechtlichen Beurteilung diese Wirtschaftsgemeinden mit den erst nach der Waldzuweisung von 1847 entstandenen politischen Gemeinden gleichgesetzt und diesen dann auch meist das Eigentum am agrargemeinschaftlichen Gut grundbücherlich einverleibt.

Im Bescheid vom 12.12.1962 betreffend das „Gemeindegut“ in Fügen-Fügenberg erläuterte Dr. Albert Mair zum Hintergrund der Regulierung: Im Forstregulierungspatent vom Jahr 1847 wurde bewilligt, dass die Holzbezugsrechte der Untertanen durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden des Jahres 1847 wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten, verstanden. Es bestand weder die Möglichkeit, noch die Absicht diesen die Nutzungsrechte zu nehmen und das Waldeigentum einer damals noch nicht bestehenden, mit der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten nicht identischen politischen Gemeinde geschenksweise zu überlassen.

 

AGRARBEHÖRDENLEITERTAGUNG 1958

Dr. Albert Mair hatte auf der (österreichischen) Agrar­behördenleitertagung des Jahres 1958 das Hauptreferat gehalten. Aus seinem Vortragsmanuskript „Probleme der Regulierung des Gemeindeguts“ kann das Verständnis, das die Tiroler Agrarbehörde von den historischen Realgemeinden (= heute Agrargemeinschaften) entwickelte, gut nachvollzogen werden:

„Die Bereinigung des Jahres 1847 durch das Forstregulierungspatent stellte nichts anderes dar als die rechtliche Sanktionierung des tatsächlich ohne Unterbrechung währenden Besitzstandes der Realgemeinden. Unter den in der kaiserlichen Entschließung vom 06.02.1847 erwähnten ‚Gemeinden‘ konnten – und das ist von besonderer und weittragender Wichtigkeit – nur die Realgemeinden und nicht die politischen Gemeinden gemeint gewesen sein. Hätten damals schon die erst in den 1860er Jahren entstandenen politischen Gemeinden existiert und wäre der Wald diesen übertragen worden, so wäre ohne Zweifel in das Waldzuweisungspatent eine Bestimmung aufgenommen worden, wonach auf die althergebrachten Nutzungsrechte Bedacht zu nehmen sei. Dies ist damals aber nicht geschehen und es ergibt sich daher schon aus dem Wortlaut der kaiserlichen Entschließung, dass unter ‚Gemeinden‘ eben seit alters her die Nutzungsberechtigten gemeint waren, die die Realgemeinde bildeten.“

„Die Einverleibung des Realgemeindebesitzes in die politischen Gemeinden erfolgte hauptsächlich mit dem Argument der angeblichen gesetzlichen Universalsukzession der politischen Gemeinde für die einstige Realgemeinde. Von dieser Universalsukzession ist aber in den Gemeindegesetzen mit keinem Wort die Rede.[…] Mit Nachdruck festzuhalten ist jedenfalls, dass die Gemeinden bei ihrer Entstehung überhaupt keinen eigenen Grundbesitz hatten und dass derselbe, wie er heute als Gemeindegut vorliegt, fast ausschließlich aus dem von der Realgemeinde übernommenen und daher seit alters her deutschrechtlichen Rechtsverhältnissen unterliegenden Grundvermögen stammt.“

„Die Grundbuchanlegung schuf nicht Ordnung und Klarheit. […] Das völlig römisch-rechtlich orientierte, auf dem ABGB aufgebaute Grundbuchsrecht konnte der althergebrachten Unterscheidung zwischen den Besitzverhältnissen am deutschrechtlichen All­mendgut und dem sehr jungen Gemeindevermögen keinerlei Verständnis entgegenbringen.“ „Dem römischen Recht war der Begriff des gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und auch in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt, völlig fremd. Dieser Nutzungsanspruch am Allmendgut war keine Servitut an fremdem Grund und Boden, sondern ein Nutzungsanspruch auf eigenem Grund. Das stark individualistisch betonte römische Recht kannte nur Privateigentum oder Miteigentum an Grund uns Boden, so dass das ABGB die Rechtsform einer Agrargemeinschaft oder einer agrargemeinschaftlichen Nutzung ebenfalls nicht kennt.“

„Die Grundbuchskommissäre wussten sich mit dem deutschrechtlichen Rechtsinstitut der Realgemeinde keinen Rat und gaben sich meist auch nicht die Mühe einer eingehenden Prüfung der tatsächlichen besitzrechtlichen Grundlagen. So kam es, dass im Grundbuch die unterschiedlichsten Eigentumseintragungen für das Gemeinschaftsgut erfolgten, wie z.B. politische Gemeinde, Katastralgemeinde, Fraktion, Nachbarschaft, Interessentschaft und dergleichen. […] Bei dieser Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchkommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“

 

WISSENSCHAFTLER BESTÄTIGEN DIE RICHTIGKEIT 

Univ.-Prof. Dr. Gerald Kohl bestätigt heute die Richtigkeit der seinerzeitigen Überlegungen von HR. Dr. Albert Mair: „Gemeinde“, so Professor Dr. Kohl, „ist ein historisch schillernder Begriff.“ Welcher Personenkreis sich jeweils hinter einer „Gemeinde“ verbirgt, ist von den in Frage kommenden Nutzungen abhängig und daher recht unterschiedlich – zum Beispiel bei Almen die Viehbesitzer, bei Wäldern die Feuerstattbesitzer.

Im Zuge der Forstregulierung 1847 trat an die Stelle des gemeinschaftlich genutzten Staatseigentums ein gemeinschaftlich genutztes Privateigentum; dies hauptsächlich als Ergebnis einer umfassenden Servitutenablösung, die in Nordtirol in den Jahren 1847 bis 1849 vollzogen wurde.

Für diese Gemeinschaften, zusammengesetzt aus den Hausbesitzern einer Nachbarschaft (= „Realgemeinden“)  wurden mehrdeutige „Etiketten“ verwendet – „Gemeinde“, „Ortschaft“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“ etc. Diese Bezeichnungen wurden auch bei der Grundbuchanlegung verwendet , weil diese Gemeinschaften sich zum Teil durch Jahrhunderte als „Gemeinde“ verstanden hatten.

Bis zum Ende der Monarchie waren in den Dörfern – neben dem Lehrer und dem Pfarrer – praktisch nur die Besitzer von Grund und Boden wahlberechtigt. Die moderne Ortsgemeinde war aufgrund dieses praktisch auf Grundbesitzer eingeschränkten aktiven und passiven Wahlrechts kaum zu unterscheiden von der historischen Wirtschaftsgemeinde eben dieser Grundbesitzer.

Solange nur die Besitzer von Grund und Boden das Wahlrecht ausüben und alle Positionen in den Gemeindeorganen besetzen, aber auch alles Lasten tragen und die Rechte ausüben, kann von keinem der Beteiligten vorausgesetzt werden, einen Unterschied zwischen der politischen Ortsgemeinde und der historischen Wirtschaftsgemeinde, der Realgemeinde, nachzuvollziehen. Es gab damals für die Stammsitzeigentümer schlicht keinen Grund, sich von einem Selbstverständnis als „Gemeinde“ zu distanzieren.

Damit ist auch erklärt, warum die Stammsitzeigentümer im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung meist keinen Protest erhoben, wenn der Gemeinschaftsbesitz ihrer Realgemeinde unter der Bezeichnung „Gemeinde“ im Grundbuch erfasst wurde. In der Regel waren es sogar die Stammsitzeigentümer, die eine solche grundbücherliche Erfassung ihres Realgemeindebesitzes selbst beantragt haben. Damit erklärt sich, warum der agrargemeinschaftliche Besitz so häufig  objektiv falsch auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ im Grundbuch eingetragen wurde.

 

 

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MP

 

Die Gemeinde nbR

o. Univ.-Prof. Dr. DDr. hc Werner Ogris (* 9. Juli 1935 in Wien; † 13. Jänner 2015 ebendort) war an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Leiter der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs, als er von den Irrungen des Verfassungsgerichtshofes im Mieders-Erkenntnis 2008 erfahren hatte. Gerne hat er sich bereit erklärt, nicht nur eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz und die `Forsteigentumspurifikation´ von 1847“ (gemeinsam mit Oberhofer) zu verfassen, sondern er nahm auch die Mühe auf sich, am 08.09.2009 nach Langkampfen/Tirol zu kommen und dort ein Pressegespräch zu führen.  Als Leiter der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sah Werner Ogris es als seine Aufgabe, die Tiroler Öffentlichkeit zu den wahren Eigentumsverhältnissen an den Tiroler Gemeinschaftswäldern und Gemeinschaftsalmen aufzuklären.
o. Univ.-Prof. Dr. DDr. hc Werner Ogris (* 9. Juli 1935 in Wien; † 13. Jänner 2015 ebendort) war an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Leiter der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs, als er von den Irrungen des Verfassungsgerichtshofes im Mieders-Erkenntnis 2008 erfahren hatte. Gerne hat er sich bereit erklärt, nicht nur eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz und die `Forsteigentumspurifikation´ von 1847“ zu verfassen (gemeinsam mit Oberhofer), sondern er nahm auch die Mühe auf sich, am 08.09.2009 nach Langkampfen/Tirol zu kommen und dort ein Pressegespräch zu führen. Als Leiter der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sah Werner Ogris es als seine Aufgabe, die Tiroler Öffentlichkeit zu den wahren Eigentumsverhältnissen an den Tiroler Gemeinschaftswäldern und Gemeinschaftsalmen aufzuklären.

 

Aus: Ogris/Oberhofer, Das Privateigentum an den Tiroler Forsten zum Ende des Vormärz, in Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 154 ff.

 

GEMEINDE ALS MORALISCHE PERSON

 In Tirol bestand eine lange Tradition, nach der die Obrigkeit lokalen Gruppen der heimischen Landbevölkerung „Besitz“ an bestimmten Alp-, Weide- oder Waldgrundstücken in förmlichen Verleihurkunden uä bestätigte. Eines der ältesten Beispiele bildet offensichtlich die „Melch- und Galtalpe und zwei Kasern im Sennerthale“, welche der „Gemeinde Kematen“ aufgrund Verleihbriefes des Stiftes Wilten vom Freitag in der Pfingstwoche des Jahres 1352 (!) in das Eigentum übertragen wurde (FEPT 55 Fortsetzung, Landgericht Sonnenburg vom 10.2.1849, fol 34; heute in EZ 37 GB Grinzens).

Die daraus schon in ferner Vergangenheit abzuleitende Rechtsposition ist durchaus mit dem modernen Grundeigentum vergleichbar. Durch eine breite und ausführliche Beschreibung der Befugnisse, welche die „Nachbarn“ hinsichtlich des Erworbenen erlangten, wurde hier inhaltlich all das umschrieben, was heute mit dem Begriff des Eigentums als Selbstverständlichkeit umfasst ist. (Vgl etwa Verleihungsurkunde vom 1. Juli 1670, Urkunde Nr. 8 im Gemeindearchiv von Langkampfen, wonach „Paris Graf zu Lodron, Kastell Roman, Herr zu Castellan, Kastell Novo, Gmünd, Sommeregg und Piberstein, der röm. kaiserlichen Majestät, auch zu Ungarn und Böheim königlicher Majestät wirklicher Kämmerer und obrister Jägermeister der ober- und vorderösterreichischen Landen“ von „Obristjägermeisteramtswegen“ der „Gemein und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen“ sowie „allen ihren Erben und Nachkommen“ eine Au zur Zurichtung eines Wiesmahds verlieh. Das „zu ewigem Erbrecht“ übertragene Recht inkludierte die Befugnis, die Liegenschaft zu „reiten, räumen und zu einem Wiesmahd zurichten, solches innehaben, gebrauchen, nutzen und nießen (…), es sei mit Verkommen, Verkaufen, Versetzen, Verwechseln, Vertauschen, oder in ander gebührender Weg“ damit zu verfahren und zu handeln, „wie Recht ist, unverhindert meiniglichens.“)

Jene Gruppen, die in diesen Urkunden als Adressaten der Verleihungen Erwähnung fanden, wurden regelmäßig als Nachbarschaften oder Gemeinden oder mit einer Kombination dieser Worte („Gmeind und Nachperschafft“) bezeichnet. Bei diesen Gebilden war ausschließlich an einen geschlossenen Personenkreis gedacht! Unmissverständlich definierten die historischen Rechtstitel „die Nachbarn, ihre Erben und Nachkommen“ als jeweiligen Vertragspartner. Juristisch ist die Nachbarschaft als Gemeinde nach bürgerlichem Recht (§ 27 ABGB – Gemeinde nbR) zu verstehen, als eine „moralische Person“, verwandt der personamoralis collegialis des Gemeinen Rechts.

 

DIE „GEMEINDE nbR“ (Gemeinde nach bürgerlichem Recht)

Dass die Dogmatik der Gemeinde nbR heute noch Probleme bereitet, ist nicht verwunderlich. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, als die großen Kodifikationen des bürgerlichen Rechts beraten bzw. geschaffen wurden (1776 Codex Theresianus (nicht sanktioniert); 1772/1776 Entwurf von Johann Bernhard Horten; 1794 Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten (ALR); 1796 Urentwurf des AGBG von Karl Anton von Martini; 1804 Code civil (Code Napoleon); 1811 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch), hatte die Privatrechtswissenschaft die heutige juristische Person erst in Teilbereichen ihres Wesens erfasst. Als dann seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die monographischen Darstellungen Savignys und Gierkes, für Österreich vor allem auch Ungers erschienen, war die Rechtsfigur der Gemeinde nbR bereits einem massiven Verdrängungs-, besser Überlagerungsprozess ausgesetzt, der von einer die Rechtsverhältnisse der lokalen Siedlungsverbände völlig beherrschenden juristischen Neuschöpfung, der heutigen politischen Ortsgemeinde, ausging.

Bezeichnend ist, dass sich zB in der Ende des 19. Jhdts veröffentlichen 7. Auflage des Stubenrauch-Kommentars zum ABGB in den Anmerkungen zu § 21 letzter HS idF 1811 angesichts der Tatsache der gesetzlich angeordneten Handlungsunfähigkeit der „Gemeinden“ nur folgender Hinweis findet: „…und der Gemeinden (oder richtiger der moralischen [juristischen] Personen)“ – um im übrigen betreffend die Natur der juristischen Personen auf die Kommentierung zu den §§ 26f ABGB zu verweisen. Im Kontext der Ausführungen dazu wird der Begriff „Gemeinde“ dann ausschließlich im Sinne von „politischer Ortsgemeinde“ abgehandelt, obwohl offensichtlich ist, dass der Status der bürgerlichrechtlichen Handlungsfähigkeit, wie dies der Rechtslage während des gesamten 19. Jahrhunderts entsprach, ausschließlich für die Gemeinde nbR., „moralische Person“ in der Terminologie der Schöpfer unseres bürgerlichen Gesetzbuches, gegolten haben kann.

Die Gemeinde nbR scheint sohin am Ende des 19. Jahrhunderts für die Rechtswissenschaft bereits völlig in die Bedeutungslosigkeit versunken zu sein. Ungeachtet dessen existierten derartige Rechtsgebilde und existieren sie auch noch heute (zumindest) in Folge Fortbestandes ihres Vermögens, teilweise sogar als wirtschaftlich aktive „moralische Personen“, wie die Beispiele „Zweidrittelgericht Landeck“oder „Gedingstatt Zams“ eindrucksvoll belegen. (ZB: Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden als Eigentumsträgerin der Liegenschaft in EZ 205 Grundbuch 80110 Sölden (140 ha); Eigentumsträgerin der Liegenschaft in EZ 178 GB 84004 Grins (236 ha) und sieben weiterer Liegenschaften)

DOGMATIK DER GEMEINDE nbR

Hier ist nicht der Platz, die Dogmatik der Gemeinde nbR zu entwickeln; nur so viel in Kürze: Im Codex Theresianus (1766) fand sich im Sachenrecht (!) folgende „Gemeindedefinition“: „Alle anderen zu den Gemeinden gehörige Sachen sind in ihrem Eigentum, welche in dieser Absicht als sittliche Personen betrachtet und hierunter die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften wie auch alle und jede weltliche Versammlung mehrerer in größerer oder kleinerer Anzahl bestehender Personen, welche rechtmäßig errichtet und von Uns bestätigt sind, verstanden werden, also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“ Nach dieser Definition konnten also schon drei Personen eine Gemeinde (oder Versammlung) ausmachen – weitere Einzelheiten blieben ungeregelt. (Philipp Harras von Harrasowsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, Wien 1883ff, II, 26, § III n 133; dazu HelmutSchnizer, Die juristische Person in der Kodifikationsgeschichte des ABGB, in: FS Walter Wilburg, Graz 1965, 143 ff)

 

TIROLER GEMEINDE nbR

Wesentlich instruktiver erscheint die „Definition“ der Gemeinde nach „Tiroler Landesrecht“, die uns vom Tirolischen Gubernium aus dem Jahr 1784 überliefert ist: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249 – zitiert nach Wilfried Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, in: Tiroler Heimat 2008, 162)

Diese „Definition“ der Gemeinde nbR enthält konkrete Tatbestandselemente, welche die „Gemeinde“ als einen bestimmten Typus der „moralischen Person“ charakterisieren: Die Gemeinde setzt sich demnach aus „Häusern“ zusammen (beisammen liegend oder zerstreut), welche bestimmte Rechte an Liegenschaften gemeinschaftlich ausüben, und zwar unter Ausschluss von anderen (Gemeinden). Bestimmte Träger von Liegenschaften haben sich somit als Träger bestimmter Rechte zusammengeschlossen, also eine Gemeinde nbR gebildet. Dieses Gemeinschaftsgebilde ist nach modernem Verständnis eine juristische Person, dh Träger von Rechten und Pflichten; es besitzt eine Verwaltungsstruktur, die sich vor allem in der gemeinsamen Finanzgebarung zeigt, dem „gemeinschaftlichen Beutel“ bzw der Gemeinschaftskassa. Durch Interpretation zu erschließen sind aus dieser Gemeindedefinition auch der Erwerb und der Verlust der Gemeindemitgliedschaft: Die jeweils am „Mitgliedshaus“ berechtigte natürliche Person ist Gemeindeglied; der Verlust der Berechtigung am Haus muss nach historischem Tiroler Landesrecht den Verlust der Gemeindemitgliedschaft nach sich gezogen haben.

GEMEINDE BEI MARTINI UND ZEILLER

Der Entwurf Martini zum ABGB verzichtete dagegen auf jede Definition der Gemeinde nbR. Nach dem Beispiel des Codex Theresianus wird im Sachenrecht die (als bekannt vorausgesetzte) Gemeinde als Trägerin von Privatrechten definiert: Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen.“ (§ 6 des 2. Teiles des Ur-Entwurfs zum ABGB – Julius Ofner, Der Ur-Entwurf und die Beratungsprotokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (1889), I, XXX)

In das ABGB fand zwar keine Definition der Gemeinde nbR Eingang, sehr wohl aber eine generelle Bestimmung über die „moralische Person“. Der historische Gesetzgeber definierte die Gemeinde nbR als Erscheinungsform der „moralischen Person“: Die Marginalrubrik zu §§ 26, 27 ABGB lautet: Aus dem Verhältnisse einer moralischen Person. Der Gesetzestext dazu lautet: § 26. Die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft unter sich werden durch den Vertrag oder Zweck, und die besonderen für dieselben bestehenden Vorschriften bestimmt. Im Verhältnisse gegen andere genießen erlaubte Gesellschaften in der Regel gleiche Rechte mit den einzelnen Personen. Unerlaubte Gesellschaften haben als solche keine Rechte (…). § 27. Inwiefern Gemeinden in Rücksicht ihrer Rechte unter einer besonderen Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehen, ist in den politischen Gesetzen enthalten.

 Was das ABGB unter einer solchen Gemeinde als einer moralischen Person in concreto verstanden hat, kann beim wichtigsten Redaktor und Kommentator des Gesetzbuches, Franz von Zeiller, nachgelesen werden. Er erläuterte zu § 27 ABGB: „Die unter öffentlicher Authorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besondern Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte. Die Vorsicht fordert demnach, daßdiejenigen, welche mit Gemeinheiten Rechtsgeschäfte eingehen, sich zuvor genaue Kenntniß erwerben, ob und inwieweit dieselben oder ihre Vorsteher in der Verwaltung des Vermögens eingeschränkt oder begünstiget seyn.Zeiller setzte offensichtlich eine Vielzahl verschiedener Gemeinden voraus; er differenzierte zwischen Städten, Märkten und Dörfern, innerhalb derer „Gemeinden“ existieren; dementsprechend bezeichnete er „Gemeinden“ synonym auch als „Gemeinheiten“. (Franz von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, Wien-Triest 1812, 132f)

 

GEMEINDE IM ALR 1794

Einschränkender, aber zugleich präziser war die Definition der „Dorfgemeine“ nach § 18 II. 7 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten (ALR) aus dem Jahr 1794: „Die Besitzer der in einem Dorfe oder in dessen Feldmark gelegenen bäuerlichen Grundstücke machen zusammen die Dorfgemeine aus.“ Diese Definition einer „Dorfgemeine“ schließt selbstverständlich nicht aus, dass innerhalb des Dorfes noch (weitere) Gemeinden (Brunnengemeinden, Mühlengemeinden, Waldgemeinden usw) existieren können.

 

ZUSAMMENFASSUNG

Aus diesem knappen Überblick ergibt sich eine für die gegenständliche Untersuchung maßgebliche Eigenschaft der Gemeinde nbR: Die Schöpfer des ABGB haben zur Definition der „Gemeinde nbR“ keine Anleihe beim bekannten Beispiel der im ALR definierten „Dorfgemeine“ genommen; Zeillers Kommentar übernahm vielmehr fast wörtlich die Beschreibung aus dem Codex Theresianus, wonach Gemeinden in den Städten, Märkten und Ortschaften existieren. (Harrasowsky, Codex Theresianus II, 26, § III n 133: „…welche … als sittliche Personen betrachtet und hierunter die Gemeinden der Städten, Märkten und anderen Ortschaften … verstanden werden …“)

Die Gemeinde nbR ist deshalb – im Gegensatz zur „Dorfgemeinde“ des ALR – nicht notwendig ein gesamter Siedlungsverband, sondern auch ein beliebiger Teil desselben (CTH: „…also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“ Instruktiv ist das Beispiel der diversen historischen „Brunnengemeinden“, für welche als Beispiel nur auf die Liegenschaft in EZ 172 II KG Obsteig verwiesen sei, deren Eigentümerin von der Grundbuchanlegung unter der Bezeichnung „Brunnen-Interessentschaft bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaften in EZ …“ erfasst wurde)

Die Gemeinde nbR kann aber auch eine eine größere Einheit, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Gemeindegliedern sein, von denen verschiedene Gruppen in anderem Zusammenhang als eigenständige Gemeinden zusammen geschlossen sein können. Historische Gemeinschaftsliegenschaften, welche Stammliegenschaftsbesitzern aus verschiedenen Siedlungsverbänden als Eigentum zuzuordnen waren, bilden ein beredtes Beispiel dafür: So setzt sich die Gemeinde „Zweidrittelgericht Landeck“ aus Stammliegenschaftsbesitzern diverser heutiger politischer Gemeinden zusammen; gleiches gilt für die Gedingstatt Zams. (EZ 178 Grundbuch Grins und sieben weiteren Liegenschaften; EZ 218 GB Zams)

 

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MP

Gemeinden und andere Private

 

Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, (* 15. August 1726 in Revò/Trient; † 7. August 1800 in Wien) wurde 1754 in Wien zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er wird 1788 Vizepräsident der Obersten Justizstelle und 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen, womit er die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden trat.
Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, (* 15. August 1726 in Revò/Nonsberg; † 7. August 1800 in Wien) wurde 1754 in Wien zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er wird 1788 Vizepräsident der Obersten Justizstelle und 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen, womit er die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden trat. Karl Martini ist die Weiterentwicklung der Österreichischen Zivilrechtskodifikation vom Codex Theresianus zum genialen Wurf des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811 im Wesentlichen zu danken. Von im stammt der so genannte „Ur-Entwurf zum ABGB“, auch unter der Bezeichnung „Westgalizisches Gesetzbuch“ bekannt. Nie mehr hat Tirol einen Juristen seiner Genialität hervorgebracht – nicht in den alten und nicht in den neuen Grenzen. Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, geb 1726 in Nonsberg, der nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Innsbruck den Weg nach Wien zum Jusstudium gefunden hatte, wurde 1754 zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er war im Nebenberuf Erzieher der Kinder von Maria Theresia am Kaiserhof und trat am Höhepunkt einer bewegten Beamtenkarriere (1764 Hofrat oberste Justizstelle, 1765 Nobilitierung, 1771 Mitglied der Kompilationshofkommission, 1782 Staatsrat, 1785 Geheimer Rat, 1788 Vizepräsident der obersten Justizstelle) 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen an die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden. Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, geb 1726 in Nonsberg, der nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Innsbruck den Weg nach Wien zum Jusstudium gefunden hatte, wurde 1754 zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er war im Nebenberuf Erzieher der Kinder von Maria Theresia am Kaiserhof und trat am Höhepunkt einer bewegten Beamtenkarriere (1764 Hofrat oberste Justizstelle, 1765 Nobilitierung, 1771 Mitglied der Kompilationshofkommission, 1782 Staatsrat, 1785 Geheimer Rat, 1788 Vizepräsident der obersten Justizstelle) 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen an die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden. Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, geb 1726 in Nonsberg, der nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Innsbruck den Weg nach Wien zum Jusstudium gefunden hatte, wurde 1754 zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er war im Nebenberuf Erzieher der Kinder von Maria Theresia am Kaiserhof und trat am Höhepunkt einer bewegten Beamtenkarriere (1764 Hofrat oberste Justizstelle, 1765 Nobilitierung, 1771 Mitglied der Kompilationshofkommission, 1782 Staatsrat, 1785 Geheimer Rat, 1788 Vizepräsident der obersten Justizstelle) 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen an die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden. Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, geb 1726 in Nonsberg, der nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Innsbruck den Weg nach Wien zum Jusstudium gefunden hatte, wurde 1754 zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er war im Nebenberuf Erzieher der Kinder von Maria Theresia am Kaiserhof und trat am Höhepunkt einer bewegten Beamtenkarriere (1764 Hofrat oberste Justizstelle, 1765 Nobilitierung, 1771 Mitglied der Kompilationshofkommission, 1782 Staatsrat, 1785 Geheimer Rat, 1788 Vizepräsident der obersten Justizstelle) 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen an die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden

 

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GEMEINDEBEGRIFF IM WESTGALIZISCHEN GESETZBUCH

Das Westgalizische Gesetzbuch, zugleich „Ur-Entwurf zum ABGB“, aus der Feder des Tirolers  Karl Anton Martini, macht die Bedeutung der „Gemeinde“ als historische Privatgesellschaft deutlich: „Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“. So lautet § 6 des 2. Teiles des Entwurfes zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, den der Tiroler Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, 1796 seinem Kaiser vorlegte.

Anton Karl Martini Freiherr zu Wasserburg, geb 1726 in Nonsberg, der nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Innsbruck den Weg nach Wien zum Jusstudium gefunden hatte, wurde 1754 zum Universitätsprofessor auf den Lehrstuhl für „Institutionen und Naturrecht“ ernannt; er war im Nebenberuf Erzieher der Kinder von Maria Theresia am Kaiserhof und er trat am Höhepunkt einer bewegten Beamtenkarriere (1764 Hofrat oberste Justizstelle, 1765 Nobilitierung, 1771 Mitglied der Kompilationshofkommission, 1782 Staatsrat, 1785 Geheimer Rat, 1788 Vizepräsident der Obersten Justizstelle) 1790 als Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen an die Spitze der Legistik in den Österreichischen Erblanden.

Damals sollte das teilweise aus dem Mittelalter überlieferte, unter Heranziehung des Römischem Rechts neu strukturierte, mit kanonischen (kirchenrechtlichen) Rechtsgedanken angereicherte „gemeine Recht des Reiches“ für das ganze Gebiet der Österreichischen Erblande durch eine moderne Zivilrechtskodifikation abgelöst werden. Eine Gemeinde ist nach diesem Gesetzesentwurf „Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft“, dh: die „Gemeinde“ war Ergebnis privater Initiative von mehreren Privatpersonen, die sich zusammengeschlossen haben; sie war juristische Person nach privatem Recht – eine Privatgesellschaft der Rechtsgenossen. Nicht Genossenschaft im heutigen Sinn, sondern eben Gemeinde nach bürgerlichem Recht – eine heute in Vergessenheit geratene Organisationsform nach Privatrecht.

Die Rechtswissenschaft, die das damalige „gemeine Recht des Reiches“ analysierte, sprach von einer „Korporation“, einer „persona moralis“. Die Korporation ist eine Personengesellschaft, privatautonome Gründung ihrer Mitglieder, in der Terminologie des AGBG „moralische Person“ genannt.

Eine „Gemeinde“ war als private Personengesellschaft rechtlich einer einzelnen Personen als Träger von privaten Rechten und Pflichten weitgehend gleichgestellt. Aus heutiger Sicht auffällig ist die Tatsache, dass Karl Anton Martini, der als Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen im letzten Jahrzehnt des 18. Jhdts die Gesetzgebung in den Österreichischen Erblanden wesentlich bestimmte, bei seiner Aufzählung der privaten Untertanen des Kaisers die „Gemeinden“ noch vor den einzelnen Personen nennt: Die Gemeinde erscheint bei Martini im Vergleich zur einzelnen Person als die „wichtigere“ Untertane.

Dieser Eindruck ist unter den Kommunikations- und Informationsverhältnissen des 18. Jhdts durchaus nachvollziehbar: Der Herrscher hat es damals vorgezogen seine Untertanen sozusagen in „Hundertschaften“ anzusprechen. Dies, weil nur organisierte Verbände von Untertanen für die politische Führung wirklich „greifbar“ waren – und das im wahrsten Sinn des Wortes: Steuern wurden „gemeindeweise“ erhoben; Kriegslasten wurden „gemeindeweise“ auferlegt usw.
Selbst die Größe einer Gemeinde hatte man damals nicht nach der Anzahl der Einwohner definiert, sondern nach der Anzahl der Häuser, „der Feuerstätten“. Anstatt einer „Volkszählung“ veranstaltete man in den vergangenen Jahrhunderten eine „Feuerstättenzählung“.

 

DIE „GEMEINDE“ WAR PRIVATE

Die „Gemeinde“ war über Jahrhunderte das wichtigste Organisationsmodell der juristischen Person nach Privatrecht, gebildet aus einer Personenmehrheit. Als juristische Person war die Gemeinde schon im historischen Griechenland („polis“) und im römischen Rechtskreis (unter der Bezeichnung „communitas“, „vicus“, „colonia“) anerkannt. Das Privatrecht im Heiligen Römischen Reich dt. Nation im Allgemeinen bzw. der Österreichischen Erblande im Speziellen hielt viel auf die römisch-rechtlichen Traditionen: Die Privatrechtsordnung, das „gemeine Recht des Reiches“, war ein schwer überblickbares Gemisch aus römischem Recht, kanonischem Recht und lokalen Rechtsvorschriften unterschiedlichster Herkunft, aus welchem die Wissenschaft im 18. und 19. Jhdt ein einheitliches Rechtsystem zu schaffen versuchte.
Die „Gemeinde“ war demnach ein Verband von Personen, der sich zur Förderung eines erlaubten, die einzelnen Mitglieder selbst überdauernden Zweckes zusammengeschlossen hatte – heute definiert man so eine „Gesellschaft“.

Die ersten Versuche des historischen Gesetzgebers dieses Organisationsmodell juristisch zu definieren, blieben allerdings reichlich unklar. Der Codex Theresianus, ein im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia 1766 vorgelegter Entwurf für ein Gesetzbuch des gesamten bürgerlichen Rechts, definierte die „Gemeinde“ wie folgt: „Alle anderen zu den Gemeinden gehörige Sachen sind in ihrem Eigentum, welche in dieser Absicht als sittliche Personen betrachtet und hierunter die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften wie auch alle und jede weltliche Versammlung mehrerer in größerer oder kleinerer Anzahl bestehender Personen, welche rechtmäßig errichtet und von Uns bestätigt sind, verstanden werden, also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“

ORGANISATIONSMODELL „GEMEINDE“

Dass Kaiserin Maria Theresia ein Gesetzeswerk mit derart konfusen Regelungen verworfen hat, verwundert nicht. Losgelöst von den sachenrechtlichen Regelungen und bereinigt um die „Versammlung“ als „spontane Erscheinung“, welche verfehlter Weise der „Gemeinde“ als eine andauernde Einrichtung zu Seite gestellt wurde, ist dieser legistische Regelungsversuch etwa wie folgt zu verstehen: „Die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften, welche privates Eigentum besitzen, werden als sittliche Personen betrachtet, wobei wenigstens drei Personen eine Gemeinde ausmachen können.“

Die Rechtswissenschaft des „gemeinen Rechtes“ hatte bereits Grundsätze über die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ erarbeitet. „Gemeinden“ sollten aus der fortgesetzten Niederlassung von Menschen an demselben Ort, einem „Siedlungsverband“, hervorgehen; der gemeinsame Zweck, das zentrale Wesenselement jeder Gesellschaftsbildung – könne sich auch erst über eine längere Zeitspanne herausgebilden (Baron, Pandekten § 31).

Beispiel: Es entspricht der Natur des Menschen sich einer Aufgabe zuerst als einzelner zu stellen. Auch mag es gewisse Zeit dauern, bis mehrere Hofeigentümer eines Siedlungsverbandes eine gemeinsame Zuständigkeit zu erkennen vermögen: Wenn sich ein Siedlungsverband auf drei Höhenstufen etabliert hatte und im ersten Jahr nur „Unterdorf“ sich für zuständig erachtet, den Fluss zu regulieren, wird es des Hochwassers im zweiten Jahr bedürfen, damit auch „Mitteldorf“ sich bei den Arbeiten zur „Verarchung“ einbringt. Werden diese Arbeiten strukturiert und die Lasten aufgeteilt, entsteht die „Verarchungsgemeinde“, an welcher die Hofeigentümer von Unterdorf und Mitteldorf beteiligt sind – möglicherweise aufgrund der abgestuften Bedrohungssituation jeder Hofbesitzer in Unterdorf mit zwei Anteilen; jeder Hofbesitzer in Mitteldorf mit 1 Anteil.

Den „Gemeinden“ war Vermögensfähigkeit zugestanden, die Fähigkeit zum Besitz, die Fähigkeit zum Prozessieren sowie die volle Erbfähigkeit. Insbesondere konnten die Gemeinden auch Verträge mit ihren Mitgliedern abschließen, mit Externen (zB kirchlichen Einrichtungen) und natürlich auch mit anderen Gemeinden weltlicher oder geistlicher Art oder mit der Obrigkeit. Irgendeiner staatlichen Bestätigung bedurfte die Bildung einer Gemeinde ursprünglich nicht. Zu Recht wird behauptet, dass viele derartige Personenverbände, weltliche oder kirchliche Gemeinden, ebenso alt oder älter als der damalige Staat gewesen sind. (Baron, Pandekten § 31; vgl auch Dernburg, Pandekten § 63 Z 1).

 

Zusammenfassung:

Von den Quellen des „Gemeinen Rechts des Reiches“, über den Codex Theresianus , über den Ur-Entwurf zum ABGB aus der Feder des Tirolers Karl Anton Martini (= Westgalizisches Gesetzbuch) zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch – ABGB, dem heute noch in Geltung stehenden Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1811, zieht sich ein einheitliches Verständnis des Rechtsbegriffes „Gemeinde“. 

„Gemeinde“ war demnach eine Privatgesellschaft, die sich aus verschiedenen „Gemeindegliedern“ zusammensetzte, beispielsweise aus den Nachbarn eines bestimmten Ortes.

 

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MP

 

Fraktionengesetz statt Regulierungsrecht

 

Anton Graf und Herr zu Brandis (* 24. Februar 1832 in Laibach; † 14. Mai 1907 in Lana – Adrian Karl Leopold Graf und Herr zu Brandis, so der vollständige Name), war Tiroler Landeshauptmann vom 30. September 1889 bis zum 25. April 1904. Er stammt aus dem Adelsgeschlecht der Grafen von Brandis mit Stammsitz auf Schloss Brandis in Lana/Überetsch. Sein Vater Clemens Graf von Brandis war Gouverneur von Tirol und Vorarlberg (1841 bis 1848). Seine Mutter stammte aus dem belgisch-österreichischen Adelsgeschlecht der Enffans d’Avernas, ursprünglich beheimatet im Herzogtum Branant, Belgien. Sein Erzieher war der bekannte Tiroler Historiker Albert Jäger. Anton Graf von Brandis verfasste selbst historische Arbeiten, insbesondere über seine Heimatgemeinde Lana. 1865 entsandte ihn der Landgemeindebezirk Meran in den Tiroler Landtag, von 1871 bis 1902 vertrat er im Landtag den Landgemeindebezirk Brixen und von 1902 bis August 1904 den adeligen Großgrundbesitz. Nach dem Tod von Landeshauptmann Dr. Franz Rapp ernannte der Kaiser Anton Graf von Brandis zum neuen Landeshauptmann von Tirol. Er bekleidete das Amt für 15 Jahre. Anton Graf von Brandis erwarb sich besondere Verdienste um das Tiroler Schulgesetzes von 1892, wofür ihm der Kaiser die Würde eines geheimen Rates verlieh. Er war ein hervorragender Verwaltungsfachmann mit besonderen Neigungen für die Neuordnung der Grundsteuer sowie alle Probleme der Gemeindeverfassung und Gemeindeverwaltung. Über den letzteren Themenkreis schrieb Brandis eine gründliche Abhandlung zur Gemeindeverfassung von Lana. Auf ihn geht das Tiroler Fraktionengesetz von 1893 zurück; sein tiefblickender Ausschussbericht dazu an den Tiroler Landtag lässt erkennen, dass dieses Gesetz dem Kern nach auf die alten Wirtschaftsgemeinschaften abzielt, denen eine neue Rechtsstruktur im Rahmen der Gemeindeverwaltung eingeräumt werden sollte.
Anton Graf und Herr zu Brandis (* 24. Februar 1832 in Laibach; † 14. Mai 1907 in Lana – Adrian Karl Leopold Graf und Herr zu Brandis, so der vollständige Name), war Tiroler Landeshauptmann vom 30. September 1889 bis zum 25. April 1904. Er stammt aus dem Adelsgeschlecht der Grafen von Brandis mit Stammsitz auf Schloss Brandis in Lana/Überetsch. Sein Vater Clemens Graf von Brandis war Gouverneur von Tirol und Vorarlberg (1841 bis 1848). Seine Mutter stammte aus dem belgisch-österreichischen Adelsgeschlecht der Enffans d’Avernas, ursprünglich beheimatet im Herzogtum Branant, Belgien. Sein Erzieher war der bekannte Tiroler Historiker Albert Jäger. Anton Graf von Brandis verfasste selbst historische Arbeiten, insbesondere über seine Heimatgemeinde Lana.
1865 entsandte ihn der Landgemeindebezirk Meran in den Tiroler Landtag, von 1871 bis 1902 vertrat er im Landtag den Landgemeindebezirk Brixen und von 1902 bis August 1904 den adeligen Großgrundbesitz. Nach dem Tod von Landeshauptmann Dr. Franz Rapp ernannte der Kaiser Anton Graf von Brandis zum neuen Landeshauptmann von Tirol. Er bekleidete das Amt für 15 Jahre.
Anton Graf von Brandis erwarb sich besondere Verdienste um das Tiroler Schulgesetzes von 1892, wofür ihm der Kaiser die Würde eines geheimen Rates verlieh. Er war ein hervorragender Verwaltungsfachmann mit besonderen Neigungen für die Neuordnung der Grundsteuer sowie alle Probleme der Gemeindeverfassung und Gemeindeverwaltung. Über den letzteren Themenkreis schrieb Brandis eine gründliche Abhandlung zur Gemeindeverfassung von Lana. Auf ihn geht das Tiroler Fraktionengesetz von 1893 zurück; sein tiefblickender Ausschussbericht dazu an den Tiroler Landtag lässt erkennen, dass dieses Gesetz dem Kern nach auf die alten Wirtschaftsgemeinschaften abzielt, denen eine neue Rechtsstruktur im Rahmen der Gemeindeverwaltung eingeräumt werden sollte.

 

FRAKTIONENGESETZ STATT REGULIERUNGSRECHT

Abstract

Die Tatsache, dass das historische Eigentum der Realgemeinden, das Gemeinschaftseigentum der Nachbarn, im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung so zahlreich auf Eigentumsträger mit der Bezeichnung „Gemeinde“ oder „Fraktion“ einverleibt wurde, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist die Tatsache, dass selbst die führenden Kreise der Tiroler Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert die moderne Ortsgemeinde als Staatsgebilde und die historische Markgemeinde, die Wirtschaftsgenossenschaft der Nachbarn (= Realgemeinde), nicht zu unterscheiden vermochten.

 Bezeichnend ist, dass jener Regelungsgegenstand, der in anderen Bundesländern die Einführung eines Teilungs- Regulierungs- Landesgesetzes motiviert hatte (Kärnten: 1885, Niederösterreich: 1886, Krain: 1887, Schlesien: 1887, Salzburg: 1892) in Tirol – als Unikum im Kreis der Kronländer – zur Schaffung eines „Fraktionengesetzes“ führte (LGuVoBl 1893/32).

Es war die erklärte Absicht des historischen Gesetzgebers, mit diesem Gesetz die bestehenden Nachbarschaften, besonders solche, die mit Gemeinschaftsbesitz ausgestattet waren, als Unterorganisationen der politischen Ortsgemeinden einzurichten und diese mit spezifischen politischen Mitwirkungsrechten auf Gemeindeebene auszustatten. Die einzelnen Nachbarschaften, die durch die neue Gemeindeorganisation zu politischen Ortsgemeinden zusammengefasst worden waren, wollten in Fortführung ihrer Eigenständigkeit als historische Markgemeinden mehr Einfluss auf die Entscheidung ihrer eigenen Angelegenheiten. (BlgNr 18 sten.Prot. Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

 Bezeichnend ist, dass die Resolution des Tiroler Landtages vom 31. März 1832, welche den „einzelnen Gemeindeteilen (Fractionen) in der Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung den ihnen gebührenden Einfluss“ wahren wollte, auch die Vorsorge gegen Streitigkeiten bei der Nutzung der Gemeinschaftsgüter im Auge hatte. Der Tiroler Landtag des Jahres 1892 erfasste diesen Sachverhalt als Streitigkeiten über die „Nutzung des Gemeindevermögens“, dem eine bessere Regelung in den §§ 10 und 63 der Tiroler Gemeindeordnung 1866 begegnet werden sollte.

Dies ganz anders, als etwa im Land Kärnten, wo in den Jahren 1876, 1877 und 1878 der idente Sachverhalt wiederholte Resolutionen des Landtages hervorgebracht hatte, wonach ein Regulierungsgesetz geschaffen werden möge,  um die gemeinschaftlichen Benützungsrechte „mehrerer Insassen einer Ortschaft oder verschiedener Ortschaften“ einer Ablösung oder Regulierung zuzuführen. (Blg Nr II stenProt Kärnter LT 1884).

 Offensichtlich denselben Sachverhalt betreffend sprach man in Kärnten von „Ortschaften“, in Tirol hingegen von „Fraktionen“; offensichtlich denselben Sachverhalt betreffend wollte man in Kärnten Ende der 1870er Jahre ein Teilungs- Regulierungs- Recht forcieren, das damals noch der reichsgesetzlichen Grundlage entbehrte, wohingegen in Tirol des Jahres 1892 eine Verbesserung der Gemeindeordnung im Blick auf die Nutzung des Gemeindegutes angestrengt wurde. Der umfangreiche Bericht des Tiroler Landesausschuss vom 30. März 1893 (BlgNr 18 sten.Prot. Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93) zeigt denn auch, dass die mit dem Tiroler Gemeindegesetz 1866 geschaffenen politischen Ortsgemeinden als Fortsetzung der historischen Markgemeinden verstanden wurden, in welche die Corporationen der verschiedenen Nachbarschaften unproblematisch als „Fraktionen“ eingegliedert werden könnten.

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Übersicht:

1. Das Fraktionengesetz LGBl 1893/32 und sein Umfeld
2. Begriff und Rechtsnatur der Fraktionen (LGBl 1893/32)
3. Rechtshistorischer Rahmen des Fraktionengesetzes
4. ZUSAMMENFASSUNG

weiterführend:
„Fraktion“ ist eine Nachbarschaft
„Fraktionen“ im Grundbuch

 

 

1. Das Fraktionengesetz LGBl 1893/32 und sein Umfeld

Erheblich wichtiger als die gemeinderechtlichen Fraktionen nach dem ProvGemG 1849 waren jene Fraktionen, mit denen sich der Tiroler Landtag gegen Ende des 19. Jahrhunderts auseinandersetzen mußte. Eine Wurzel des Problems lag in einer Ergänzung, die der Tiroler Landtag selbst jener Gesetzesvorlage hinzugefügt hatte, die von der Wiener Zentralregierung für die Gemeindegesetze der Länder entworfen worden war. Der dadurch modifizierte § 65 der Tiroler Gemeindeordnung 1866 enthielt die Bestimmung, wonach dann, wenn eine Gemeinde aus mehreren „Fraktionen“ bestünde, die Erträgnisse „getrennter Vermögenheiten und die abgesonderten Bedürfnisse“ in den Voranschlägen und Jahresrechnungen der Gemeinde besonders ersichtlich zu machen seien. (§ 65 Abs 5 TGO 1866) Damit wurde der Begriff der „Fraktion“ allerdings vorausgesetzt; er korrelierte nämlich mit keiner anderen Regelung der TGO 1866 und bildete in deren Gesamtsystem einen Fremdkörper. Es war daher kein Wunder, dass diese Fraktionen, wie man später feststellte, „behördlich so viel als möglich ignoriert“ wurden. (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3)

Dessen ungeachtet fanden 1892 „Fractionen“ als „Gemeindetheile“ bzw als „Theile dieser Gemeinde“ (dh der politischen Ortsgemeinde) sehr punktuell in ein Gesetz Eingang, das die Verwaltung des Gemeindeeigentums regelte. (LGBl 1892/17, § 2, § 14, § 34) Auch dabei kam es aber zu keiner vertieften Auseinandersetzung mit dem Fraktionsbegriff. Dies kann kaum erstaunen; im Landtag wußte man nur zu gut, dass dieses Problem erst seiner Lösung harrte: Wenige Monate zuvor, in seiner Sitzung vom 31. März 1892, hatte der Landtag nämlich eine Resolution beschlossen, worin der Landesausschuss aufgefordert wurde, Erhebungen und Überlegungen im Hinblick auf verschiedene Änderungen des Gemeindewesens anzustellen. Insbesondere betraf dies, neben zwei hier nicht näher darzustellenden Problemkreisen (einer Abänderung der Regeln zur Gemeindegutsnutzung sowie einer Verlängerung der Wahlperiode der Gemeindevertretungen bei Einführung periodischer Ergänzungswahlen), die Fraktionen (StenProt Tiroler LT, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 89ff); dazu formulierte die Resolution:

„Um den einzelnen Gemeindetheilen (Fractionen) in der Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung den ihnen gebührenden Einfluß zu wahren, wird als zweckmäßig anerkannt, daß in größern Gemeinden, welche aus mehrern selbständigen Theilen bestehen, bei den Gemeindewahlen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde entfallenden Vertreter, nach Gemeindetheilen (Fractionen) im Verhältnisse der Bevölkerungsziffer aufgetheilt werden. (…) Der Landesausschuß wird beauftragt die nöthigen Erhebungen zu pflegen, welche Bestimmungen der Gemeindewahlordnung bezw. der Gemeindeordnung abgeändert werden müssen, um (…) die Rechtsverhältnisse der Gemeindefractionen überhaupt in zweckentsprechender Weise zu regeln.“ (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

Hintergrund der Beschäftigung mit den Fraktionen war der Befund, dass zahlreiche Gemeinden „nicht lebensfähig“ erschienen. Die „volle Wahrung der Gemeindeautonomie“ verhinderte eine zwangsweise Vereinigung dieser Gemeinden; auch war es „seit 9. Jänner 1866 noch nicht gelungen (…), Gemeinden zur vollkommen freiwilligen Vereinigung zu veranlassen“. In dieser Hinsicht sollte mit der Ausgestaltung der Fraktionen ein Anreiz geboten werden, um den größeren „Sammelgemeinden“ das „Beisammensein zu erleichtern, und andererseits den jetzt selbständigen lebensunfähigen Gemeindegebilden ihre Verschmelzung mit anderen zu erleichtern“. (StenProt Tiroler Landtag, 10. Sitzung der 3. Session der VII. Landtagsperiode, 31. März 1892, 90. Schon in dem Bericht des Gemeindeausschusses, der dem Resolutionsbeschluss voranging, zeigte sich allerdings eine dogmatische Unsicherheit; einerseits erschien es notwendig, den nicht lebensfähigen Gemeinden „ihre wohlberechtigten autonomen Interessen zu wahren“, andererseits sollten sie sich nicht als „Privatverbände oder Privatvereine“ verstehen.)

In Ausführung der „Aufträge“ des Landtages legte der Landesausschuss mit 30. März 1893 einen Bericht sowie drei Gesetzentwürfe vor, darunter einen solchen „über die Vertretung der Gemeindefractionen“. Als Berichterstatter fungierte das langjährige Ausschussmitglied Anton Graf von Brandis, zu dieser Zeit bereits Landeshauptmann von Tirol. Sein Bericht lässt erkennen, was man sich unter dem Begriff „Fraktion“ vorgestellt hatte, auch wenn man sich offenkundig schwer tat, diesen Gegenstand exakt zu definieren:

„Die großen Gemeinden, mit Ausnahme einiger weniger geschlossener Orte, bestehen durchweg aus mehreren getrennten Dörfern, Weilern, kurz gesagt Fractionen. Bei den kleinen Gemeinden dürfte sich wohl in den allermeisten Fällen geschichtlich nachweisen lassen, daß sie ursprünglich Theile eines größeren Gemeindewesens bildeten, mit anderen Worten, daß sie aus ehemaligen Fractionen selbstständige Gemeinden wurden.“ „Eine weitere Veranlassung der gegenwärtigen Vorlage ist das Bedürfnis, den Fractionen endlich einmal den ihnen gebührenden Platz in unserer Gemeinde-Gesetzgebung zu verschaffen. Unser Gemeindegesetz kennt eigentlich nur Ortsgemeinden mit ihrer Vertretung. Daß diese Ortsgemeinden auch aus Theilen, Fractionen, bestehen können, wird insoferne anerkannt, als diese Fractionen auch eigenes Vermögen besitzen können[,] welches sie, und zwar unter Oberaufsicht der gemeinsamen Gemeindevertretung, selbstständig verwalten sollen; wie aber diese Verwaltung geschehen soll? durch wen? wer die Fraction vertreten soll? das ist der rechtsgiltigen Übung anheimgestellt. Diese rechtsgiltige Übung nun ist ein sehr vielgestaltiges Etwas, und läßt mitunter auch bezüglich ihrer Rechtsgiltigkeit begründete Zweifel aufkommen. Es sind dies größtentheils Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte, die man aber behördlich so viel als möglich ignorirte, weil sie nicht in den Rahmen der neuen Gesetzgebung hineinpaßten, und die so möglichst uncontrollirt fortwucherten in einer Weise, die weder zum Besten des neuen Gemeindegebildes war, noch auch dem Geiste der alten Einrichtungen entsprach.“ (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93)

Die Zielsetzung, „Gemeindetheilen“ als „Fraktionen“ den „ihnen gebührenden Platz“ in der Tiroler Gemeindegesetzgebung zu verschaffen, wurde jedoch dadurch erschwert, dass sich der Landesausschuss weder zu einer exakten Definition des Gegenstandes durchringen konnte noch in der Frage nach dessen Rechtsnatur eindeutig Stellung bezog. Diese Probleme spiegelten sich in weiterer Folge auch in dem schließlich beschlossenen Fraktionengesetz vom 14. Oktober 1893, LGBl 1983/32; dessen zentrale Bestimmung lautete wie folgt.

§ 1 (1) Bei Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen, kann über Ansuchen oder in Folge von Beschwerden einer oder mehrerer Fractionen die Anzahl der auf die Gesammtgemeinde nach § 14 der Gemeindeordnung entfallenden Ausschußmitglieder und Ersatzmänner unter eben diesen Gemeindefractionen aufgetheilt werden.

(2) Ob und in welcher Art diese Auftheilung und wie die Vornahme der Wahl zu geschehen habe, bestimmt die k.k. Statthalterei im Einverständnisse mit dem Landesausschusse, wobei folgende Grundsätze zu beobachten sind: [Es folgen Abs 3 und 4; abgedruckt unten b.]

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2. Begriff und Rechtsnatur der Fraktionen (LGBl 1893/32)

Schon der Bericht des Landesausschusses hatte den Ausdruck „Fractionen“ zunächst nur als eingeklammertes Synonym verwendet und den „Gemeindetheilen“ nachgestellt; als Beispiele genannt wurden „Dörfer“ und „Weiler“. Dabei überwog der Charakter einer Beschreibung; eine möglichst genaue Definition wurde offenkundig gar nicht angestrebt. In Zusammenhang damit standen auch historische Überlegungen zur Entstehung kleiner Gemeinden aus ehemaligen Fraktionen größerer. Mit „Gemeindetheilen (Fractionen)“sollten somit aus der älteren Gemeindeverfassung stammende Gebilde erfasst werden, „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen“, deren Bestand darauf zurückzuführen war, dass man „nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wußte“. Unsicherheiten hinsichtlich des Fraktionsbegriffs und hinsichtlich der Art, wie der undefinierte Gegenstand den ihm „gebührenden Platz“ in der modernen Gesetzgebung erhalten sollte, zeigte bereits der Landesausschussbericht durch zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: Einerseits nahm er auf einen örtlichen Siedlungszusammenhang („Dörfer“, „Weiler“) Bezug, andererseits auf die Existenz „eigenen Vermögens“; letzteres durch Hinweis auf die im Rahmen der „älteren Gemeindeordnungen“ bestehende „rechtsgiltige Übung“ betreffend Vermögensverwaltung und Vertretung der Fraktionen. Dies liefert einen Anhaltspunkt für einen eigenständigen Rechtsträger. Das Fraktionengesetz kombinierte diese beiden möglichen Anknüpfungspunkte und betraf daher „Gemeinden, welche aus mehreren selbständigen Theilen (Fractionen) bestehen, insbesondere, wenn diese einzelnen Gemeindetheile ein abgesondertes Vermögen besitzen“.

Die hier offenbar werdenden Schwierigkeiten bei der juristischen Erfassung eines historischen Phänomens sind durchaus nachvollziehbar, stand man dabei doch vor einem recht spezifischen Problem. Im Gegensatz zu Tirol, wo mangels grundherrschaftlicher Strukturen die lokalen Gemeinschaften als „Markgemeinden“ einen „doppelten Beruf“ als örtliche Gemeinwesen und als ländliche Wirtschaftsgenossenschaften bewahrten, hatten nachbarschaftliche Organisationsformen im anderen Ländern keine Bedeutung mehr: Der Niederösterreichische Landesausschuss stellte dazu 1878 fest, dass die „alte Organisation der Nachbarschaft“ zertrümmert sei und im modernen Staate den öffentlichen Charakter verloren hätte. Es verwundert daher nicht, wenn der Verwaltungsgerichtshof eineinhalb Jahrzehnte später, 1894, erklärte, dass „der Ausdruck „Gemeinde“ [auch] als gleichbedeutend mit „Ortschaft“ aufzufassen“ sein könne. (Budwinski (Red), Erkenntnisse des k.k. Verwaltungsgerichtshofes 1894, Nr. 8032)

Im Gegensatz zu Niederösterreich bestand daher für Tirol die Notwendigkeit oder zumindest das Bedürfnis, die – vielfach aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Vermögenswerte – erhalten gebliebenen örtlichen Gemeinwesen in die moderne Gemeindeverfassung zu integrieren und durch politische Beteiligungsrechte auf Gemeindeebene als „Erscheinung gemeinderechtlicher Art“ anzuerkennen. Dies erfolgte jedoch nicht durch eine generelle und grundlegende Veränderung des Charakters dieser historischen Gemeinschaften als Erscheinungen des Privatrechts, sondern dadurch, dass einigen von ihnen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine zusätzliche rechtliche Stellung eingeräumt werden konnte (nicht aber mußte), die als weitere Funktion im Rahmen des politischen Gemeinderechtes zu ihrer Rechtsnatur als privatautonom gegründete „moralische Person“ (§ 26f ABGB) hinzutrat.

Dazu hatte der Tiroler Landesausschuss dem Landtag folgendes berichtet: Es möge nun der Versuch gemacht werden, diese alten Einrichtungen innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes mit den gegenwärtigen Rechtsverhältnissen in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe ist durchaus nichts Unmögliches, ja sie ist vielleicht nicht einmal so schwierig als sie auf den ersten Anblick aussehen mag.

Unsere alten Gemeindeordnungen waren ja keine so starren Eisgebilde, als man sich heutzutage mitunter vorstellt. Der allgemeine Rahmen blieb allerdings durch manche Jahrhunderte hindurch unverändert der gleiche; aber innerhalb dieses Rahmens fanden manche Entwicklungen und Veränderungen statt, insbesondere betrafen diese Veränderungen die Art der Vertretung und die Competenz der einzelnen Gemeinde-Funktionäre. Es ist daher gar kein so unerhörter Eingriff in die alten Formen, wenn man heute festsetzt, der Dorfmeister, Regolano, oder wie er immer heißen mag, bleibt Vorsteher der Fraction, wird aber in Hinkunft nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 9. Jänner 1866 gewählt. Er hat an seiner Seite nach Bedarf einen Ausschuß, früher von … jetzt von … Männern, die in gleicher Weise gewählt werden.

Die „alten Einrichtungen“ der historischen Nachbarschaften als private „Gemeinden“ (moralische Personen gem § 26f ABGB) konnten somit in den „Rahmen des Gemeindegesetzes“ gestellt und als Fraktionen „nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes“ anerkannt werden. Die politische Institutionalisierung wurde durch Reglementierung und Kontrolle erkauft; dies betraf insbesondere das Verhältnis von Gemeinde- und Fraktionsvorsteher, das Vertretungsrecht und das Fraktionsbudget (Fraktionsvorsteher: § 2 Fraktionengesetz 1893; Gemeindevorsteher als Vertreter der Fraktion: § 3 Abs 1 Fraktionengesetz 1893; Kontrolle durch Gemeindeausschuss: § 3 Abs 3 Fraktionengesetz 1893 iVm LGBl 1892/17):

Wenn es heißt, „innerhalb des Rahmens der Gemeindegesetze“, so sind da gewisse allgemeine Gesichtspunkte, welche festgehalten werden müssen. So ist vor allem der Gemeindevorsteher nicht nur Vorsteher der Hauptgemeinde, sondern auch aller ihrer einzelnen Theile, er hat die Interessen derselben ebenso wie die der Hauptgemeinde gewissenhaft zu wahren, und erforderlichen Falles nach Außen zu vertreten. Der Gemeindevorsteher ist verantwortlicher Rechnungsleger nicht nur für die Hauptgemeinde, sondern auch für alle einzelnen Theile derselben. Damit will durchaus nicht gesagt sein, daß das Gesetz annehme, der Vorsteher sei immer auch selbst der Verfasser der Gemeinderechnung. Im Gegentheile, man weiß wohl, daß insbesondere in größeren Gemeinden Verfasser der Rechnung der Gemeindekassier sei. Aber der Vorsteher ist für diese Arbeit seines untergeordneten Beamten verantwortlich, er hat sie deshalb vorerst selbst genau zu prüfen, ehe er sie unter seinem Namen und unter seiner Verantwortung dem Ausschusse vorlegt. In ähnlicher Weise wird Niemand zweifeln, daß der Gemeindevorsteher nicht selbst die Rechnungen für die einzelnen Gemeinde-Fractionen verfaßt, sondern daß dies zunächst Aufgabe des Fractions-Vorstehers sei, der nach Umständen auch wieder einen Fractions-Kassier an der Seite haben kann, aber vor dem allgemeinen Gemeindeausschusse übernimmt gleichfalls in erster Linie der Vorsteher der Gesammtgemeinde die Verantwortung für die Richtigkeit der Rechnungslegung.

Das hat, oder soll vielmehr die Folge haben, daß vorerst der Gemeindevorsteher, und dann auch der Gemeindeausschuß den Theilrechnungen eine ebensolche Sorgfalt zuwende, als der Hauptrechnung. Darin liegt eben eine Controlle, die nach den vielfach gemachten Erfahrungen gewiß nicht überflüssig ist.

Ebenso entspricht es, wie bereits bemerkt, dem Gemeindegesetze, speciell dem § 52, daß im Allgemeinen der Gemeindevorsteher nicht nur die Hauptgemeinde, sondern auch deren sämmtliche Theile nach Außen vertritt. Handelt es sich aber um besondere Fractions-Angelegenheiten, insbesondere um solche Fälle, wo der Gemeindevorsteher, der doch auch irgend einer innerhalb der Gemeinde befindlichen Fraction angehört, einigermaßen befangen erscheinen könnte, so mußte bisher immer nur fallweise durch Bestellung eines Amtsvertreters vorgesorgt werden, da wie erwähnt, der Fractionsvorsteher eigentlich keine bestimmte rechtliche Stellung hatte innerhalb des Rahmens des Gemeindegesetzes. Diesem Mangel soll für die Zukunft abgeholfen werden, insbesondere dadurch, daß den sehr vagen und bisher durchschnittlich sehr wenig befolgten Bestimmungen des § 51 eine etwas concretere Gestalt gegeben werde.

Politisch-administrative Bedeutung sollte jedoch nicht jeder vorhandenen Fraktion zukommen:  Unter Festhaltung solcher allgemeiner Grundsätze möge man jedoch vertrauensvoll den ausführenden Organen, nämlich der k.k. Regierung im Einverständnisse mit dem Landesausschusse es überlassen, wie die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Gemeindelebens mit den Anforderungen des Gemeindegesetzes in Einklang gebracht werden können, und zwar durch Entscheidungen von Fall zu Fall, unter Berücksichtigung der an jedem Orte obwaltenden besonderen Verhältnisse.

Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse. Im allgemeinen dürfte wohl die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal sein, doch kann es auch Fractionen geben ohne eigenem Vermögen, die doch alle übrigen Erfordernisse einer selbstständigen Stellung in sich tragen, während mitunter kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht darauf erheben können, als eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt zu werden.

Dem Tiroler Landesausschuss war demnach sehr deutlich bewusst, dass nur einem Teil der vorausgesetzten, also bereits vor Erlassung des Fraktionengesetzes vorhandenen Fraktionen – Ortschaften bzw Korporationen – auch ein politisch-administrativer Charakter beigelegt werden sollte. Dabei zeigt der Hinweis auf „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung“, dass die Kenntnis des alten zivilrechtlichen Gemeindebegriffs noch vorhanden war; nach historischen Rechtsvorstellungen reichte eine Anzahl von drei Beteiligten aus, um eine solche Gemeinde zu bilden.

Allerdings war auch der Landesausschussbericht nicht frei von Widersprüchen, insbesondere unterstellte er eine Identität von moderner Ortsgemeinde und Summe der historischen Gemeinschaftsorganisationen auf Gemeindegebiet, indem er die Vorstellung vertrat, der Gemeindevorsteher würde „doch auch irgend einer innerhalb der Gemeinde befindlichen Fraction“ angehören: Bericht des Tiroler Landesausschuss betreffend einige Änderungen des Gemeindegesetzes vom 30. März 1893, Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93, 4.

Die Entscheidung darüber, welcher dieser Gemeinden auch im „Rahmen des Gemeindegesetzes“ Bedeutung zukommen sollte, schien jedoch zu schwierig, um sie generell-abstrakten Regeln des Gesetzgebers zu unterwerfen. „Denn es ist vor allem sehr schwer gesetzlich zu definiren, was eigentlich eine Gemeinde-Fraction sei, der man die Berechtigung einer selbstständigen Existenz zuerkennen müsse.“ Daher sollte diese Frage „vertrauensvoll den ausführenden Organen“, also der Exekutive – Regierung und Landesausschuss – überlassen werden. Die Anerkennung als „eigentliche Gemeinde-Fractionen“ mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung war nach dem Gesetzestext einer Entscheidung der k.k. Statthalterei im Einverständnis mit dem Landesausschusse vorbehalten. (§ 1 Abs 2 – 4 Fraktionengesetz 1893) Der Landesausschussbericht hatte dazu nur vage Entscheidungskriterien genannt; insbesondere schien „die selbstständige Vermögensverwaltung ein wesentliches Merkmal“, das allerdings nicht zu weit gehen sollte – einerseits gedachte man möglicher „Fractionen (…) ohne eigenem Vermögen“, andererseits sollten „kleinere Corporatiönchen mit eigener Vermögensverwaltung kein Anrecht“ auf Anerkennung als politische Gemeindefraktionen erwerben. Im Fraktionengesetz wurde schließlich eine bestimmte Mindeststeuerleistung verlangt:

§ 1 (3): Die Gesammtzahl der Ausschußmitglieder und Ersatzmänner ist unter die zur selbständigen Wahl berufenen Fractionen nach Verhältnis des Gesammtbetrages der Steuer-Jahresschuldigkeit (§ 12 der Gemeindewahlordnung) zu der Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten der einzelnen Fractionen zu vertheilen.

(4) Wenn die Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction nicht jene Ziffer erreicht, welche sich aus der Theilung der für die Gemeinde ermittelten Gesammtsumme der Steuer-Jahresschuldigkeiten durch die Zahl der Gemeinde-Ausschußmitglieder ergibt, so ist diese Fraction mit einer benachbarten Fraction zu vereinigen. (§ 1 Abs 3 und 4 Fraktionengesetz LGBl 1893/32)

Nur bei Vorliegen entsprechender Einzel-Steuerleistungen („Summe der Steuer-Jahresschuldigkeiten einer Fraction“) war also eine politisch-administrative „Gemeinde-Fraktion“ im Sinne des Fraktionengesetzes anzunehmen. Ein „kleinere[s] Corporatiönchen“, dessen Steuerleistung nicht die für ein Gemeindeausschussmandat erforderliche Verhältniszahl erreichte, sollte – nur für die politisch-administrativen Zwecke des Fraktionengesetzes – jeweils „mit einer benachbarten Fraction“ vereinigt werden. Diese Zusammenlegung änderte jedoch nichts an allfälligen Privateigentumsverhältnissen der beteiligten Eigentumsträger und an deren Charakter als „private“ Fraktionen: Es ist kein Zufall, dass auch jene Korporationen, die keine ausreichende Steuerleistung erbrachten und daher nicht als „eigentliche Gemeinde-Fractionen anerkannt“ waren, vom Gesetz als Fraktionen bezeichnet wurden. Daran ist logisch anzuknüpfen: Wenn mehrere vorausgesetzte („private“) Fraktionen erst gemeinsam – infolge ihrer Zusammenlegung – eine gemeinderechtliche Fraktion im Sinne des Fraktionengesetzes bildeten, so bewahrte auch die Fraktion mit ausreichender Steuerleistung einen Doppelcharakter als privatautonomer Rechtsträger und politisch-administrative Einrichtung. Die gemeinderechtliche Anerkennung brachte den privatrechtlichen Charakter solcher Fraktionen nicht zum Erlöschen. Gegen jede andere Auffassung spricht schon ein sehr einleuchtender Grund: Das Verhältnis der Fraktions-Steuerleistung zur Gesamtsteuerleistung unterlag naturgemäß Schwankungen. So wie sich beim „Dreiklassenwahlrecht“ das Stimmgewicht jedes einzelnen Wählers von Gemeindeausschusswahl zu Gemeindeausschusswahl verändern konnte, so war auch der politisch-administrative Status als „Gemeinde-Fraktion“ niemals abgesichert; die Voraussetzungen konnten von Wahl zu Wahl verloren gehen oder neu erworben werden. Ohne die Annahme eines doppelten Charakters der Fraktion wäre deren Stellung als Privatrechtsträger von der nicht zu beeinflussenden Steuerleistung anderer Wahlberechtigter abhängig gewesen! Damit bestätigt auch und gerade das Fraktionengesetz trotz seines primär gemeinderechtlichen Zweckes die Verwendung des Begriffes „Fraktion“ zur Erfassung privater Rechtsträger von Gemeinschaftsliegenschaften.

Das Fraktionengesetz 1893 legte also bestimmten vorgefundenen Fraktionen eine gemeinderechtliche Bedeutung bei. Damit wird auch deutlich, was man sich unter jenen gemeinderechtlichen Fraktionen vorzustellen hat, die 1938 als „Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ von § 1 der Verordnung über die Einführung der Deutschen Gemeindeordnung im Lande Österreich erfaßt und beseitigt wurden. Fraktionen mit Doppelcharakter verloren spätestens damit wieder ihre politisch-administrative Bedeutung, während die (ältere) privatrechtliche Stellung der mit dem Begriff „Fraktion“ benannten „moralischen Personen“ (Körperschaften) als Eigentumsträger erhalten blieb. (DRGBl I 1938, S. 1167f, § 1)

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3. Rechtshistorischer Rahmen des Fraktionengesetzes

Das Tiroler Fraktionengesetz 1893 gehört zu jenen Normen, mit denen sukzessive einzelne Aspekte der ländlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung an das sich langsam verändernde, sich auf die politische Ortsgemeinde verengende Gemeindeverständnis angepasst und mit der modernen politischen Gemeindegesetzgebung in Einklang gebracht wurden. Dabei war vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen eine zunehmende Differenzierung des zunächst umfassenden Gemeindebegriffs erforderlich, teils eine Abwicklung verschiedener historischer Gemeinschaftsverhältnisse. In diesem Sinne führten die Landesgesetzgeber schon seit 1866, den ursprünglichen Intentionen des Jahres 1849 Rechnung tragend, Jagdgenossenschaften anstelle von „Gemeindejagden“ ein.

(Vgl. zu diesem Themenkomplex mwN Kohl, Otto Bauer und das Jagdrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeindejagd, Zeitschrift für Jagdwissenschaft 40 (1994) 253 ff; Kohl, Jagd und Revolution. Das Jagdrecht in den Jahren 1848 und 1849 (=Rechtshistorische Reihe 114), Frankfurt/Main 1993, 59ff, 90ff; Kohl, Zur Rechtsnatur des österreichischen Jagdrechts, in: Juristische Blätter 1998, 755ff)

1874 löste der Gesetzgeber die religiösen Aspekte aus dem säkularen Gemeindewesen und stellte klar: „Alle einen kirchlichen Gegenstand betreffenden Rechte und Verbindlichkeiten, welche in den Gesetzen den Gemeinden zugesprochen oder auferlegt werden, gebühren und obliegen den Pfarrgemeinden.“ (§ 35 Abs 2 RGBl 1874/50) Mit dem Fraktionengesetz sollte der Vielfalt historischer Siedlungseinheiten („Ortschaften“, „Weiler“ etc) Rechnung getragen werden: So wie man die jagdberechtigten oder kirchlichen Gemeinschaften von den „Gemeinden“ unterschieden hatte, so wollte man auch die verschiedenen geschichtlich gewachsenen Siedlungen von der „politischen Ortsgemeinde“ unterscheiden, allerdings – und darin liegt eine Abweichung von den Jagd- oder Pfarrgemeinden – um sie anschließend mittels besonderer Bestimmungen mit den Ortsgemeinden in Einklang zu bringen.

Deutlich zeigt sich auch eine Parallele zwischen dem Fraktionengesetz und der Bodenreformgesetzgebung, insbesondere den Teilungs- und Regulierungsgesetzen: So wie sich das TRRG 1883 (RGBl 1883/94) nach den dazu vorliegenden Erläuternden Bemerkungen mit Liegenschaften beschäftigte, die sich als „Überreste der alten Agrargemeinde“ innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten hätten (EB zur Regierungsvorlage, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33), so zeigen die Materialien zum Tiroler Fraktionengesetzes von 1893 (Beilage Nr 18 zu den stenographischen Berichten des Tiroler Landtages, VII. Periode, IV. Session 1892/93) die Absicht einer Auseinandersetzung mit einem „Überbleibsel der älteren Gemeindeordnungen, die man bestehen ließ, weil man eben nichts Passendes an deren Stelle zu setzen wusste“.

Die enge Verwandtschaft dieser Problemkreise wird dann deutlich, wenn solche historischen Siedlungseinheiten (Nachbarschaftsstrukturen) keine mit den Tiroler Verhältnissen vergleichbare Rolle als örtliche Gemeinwesen spielen konnten. In Niederösterreich, wo die realen Siedlungseinheiten von verschiedenen grundherrschaftlichen Zugehörigkeiten überlagert und dadurch rechtlich weniger stark verbunden gewesen waren, hatten sie keine solche Bedeutung – und erlangten sie auch nach dem Ende der Grundherrschaften nicht mehr.

Der niederösterreichische Landtag beschäftigte sich daher auch nicht mit der Frage, ob und inwieweit historischen Siedlungsverbänden ein Gewicht innerhalb der modernen politischen Ortsgemeinden beigelegt werden sollte. Stattdessen wollte er vor allem Eigentum und Nutzungsberechtigung an den Gemeinschaftsliegenschaften geklärt haben und forderte ein Reichsgrundsatzgesetz, um die fehlende Kompetenz des Landesgesetzgebers für den Bereich des Zivilrechtes auszugleichen. Umgekehrt waren in Tirol, dessen Landtag sich mit den Fraktionen beschäftigte, Streitigkeiten um Eigentum und Nutzung von Gemeinschaftsliegenschaften kein Thema; dies selbst im Jahr 1909, als man sich über Veranlassung der Reichsregierung mit der Teilung und Regulierung von Gemeinschaftsliegenschaften auseinandersetzen musste. (Oberhofer/Pernthaler, Das Gemeindegut als Regelungsgegenstand der historischen Bodenreformgesetzgebung, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol, 218f)

 

4. ZUSAMMENFASSUNG

So erscheinen Fraktionen und Gemeinschaftsliegenschaften geradezu als zwei Lösungsvarianten des gleichen Problems historischer Gemeindeverhältnisse: Das TRRG 1883 setzte sich mit den Gemeinschaftsliegenschaften als „Überresten der alten Agrargemeinden“ auseinander, das Fraktionengesetz 1893 mit „Überbleibsel[n] der älteren Gemeindeordnungen“.

Während das TRRG das Problem der alten Gemeindeverhältnisse durch deren „Privatisierung“ und Ausscheidung aus der neuen politischen Ortsgemeinde löste, diente das Tiroler Fraktionengesetz 1893 deren Integration in die neue Gemeindeverfassung.

 Nach TRRG gingen alte und neue Gemeinden also getrennte Wege, nach dem Tiroler Fraktionengesetz 1893 wurde manchen alten Nachbarschaften politische Beteiligung zugestanden, um Spaltungstendenzen innerhalb der Ortsgemeinden vorzubeugen (BlgNr 18 stenProt Tiroler LT, VII. Periode, IV. Session 1892/93, Seite 3), somit unter bestimmten Voraussetzungen Mitbestimmungsrechte an der modernen Gemeinde eingeräumt.

 

 

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MP

Agrarbehörde entscheidet über das Eigentumsrecht am Gemeindegut

Franz Joseph I., Franz Joseph Karl von Österreich (* 18. August 1830 auf Schloss Schönbrunn, nahe Wien; † 21. November 1916 ebenda), aus dem Haus Habsburg-Lothringen war von 1848 bis zu seinem Tod im Jahr 1916 Kaiser von Österreich. Mit einer Regierungszeit von nahezu 68 Jahren übertraf er jeden anderen Regenten seiner Dynastie. Gleichzeitig war er König von Böhmen und Apostolischer König von Ungarn. Die militärischen Niederlagen im Sardinischen Krieg (1859) und im Deutschen Krieg (1866) zwangen ihn zur Verständigung mit den Ungarn und zur Umwandlung des einheitlichen Kaisertums Österreich in zwei konstitutionelle Monarchien: Der Ausgleich von 1867 schuf die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn als Realunion zweier Staaten.  Der Reichsrat war von 1861 an das Parlament des Kaisertums Österreich und von 1867 bis 1918 das Parlament der cisleithanischen Reichshälfte der nunmehrigen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Er bestand aus zwei Kammern, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Einberufung, Vertagung und Schließung betrafen immer beide Häuser des Parlaments. Beschlüsse wurden zum Gesetz, wenn ihnen beide Häuser zugestimmt hatten, sie der Kaiser zum Zeichen seines Einverständnisses unterzeichnet hatte und die Gegenzeichnung der verantwortlichen k.k. Minister erfolgt war. (Für Finanzgesetze und Rekrutenaushebung galt, wenn die beiden Häuser uneinig blieben, die kleinere Ziffer als bewilligt.) Die Gesetze wurden im Namen des Kaisers im Reichsgesetzblatt kundgemacht. Neben dem Reichsrat hatten die Landtage der Kronländer Cisleithaniens nur geringe Gesetzgebungskompetenzen. Sitz des Reichsrats war seit 4. Dezember 1883 das Parlamentsgebäude an der Ringstraße in Wien, das heute Tagungsort des österreichischen Parlaments ist. Vorher hatte das Abgeordnetenhaus nur einen provisorischen Sitz in einem hölzernen Gebäude – ironisch Schmerling-Theater genannt – in der Währinger Straße im 9. Wiener Gemeindebezirk. Nach umfangreichen Vorarbeiten und einer Vorbereitungszeit von mehreren Jahren beschloss der Reichsrat im Jahr 1883 die heute so genannten drei agrarischen Reichsgesetze,  Gesetz betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke, RGBl 1883/92; Gesetz betreffend die Bereinigung des Waldlandes von schädlichen Enklaven, RGBl 1883/93; Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, RGBl 1883/94, sämtlich vom 7. Juni 1883
Franz Joseph I., Franz Joseph Karl von Österreich (* 18. August 1830 auf Schloss Schönbrunn, nahe Wien; † 21. November 1916 ebenda), aus dem Haus Habsburg-Lothringen war von 1848 bis zu seinem Tod im Jahr 1916 Kaiser von Österreich. Mit einer Regierungszeit von nahezu 68 Jahren übertraf er jeden anderen Regenten seiner Dynastie. Gleichzeitig war er König von Böhmen und Apostolischer König von Ungarn. Die militärischen Niederlagen im Sardinischen Krieg (1859) und im Deutschen Krieg (1866) zwangen ihn zur Verständigung mit den Ungarn und zur Umwandlung des einheitlichen Kaisertums Österreich in zwei konstitutionelle Monarchien: Der Ausgleich von 1867 schuf die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn als Realunion zweier Staaten.
Der Reichsrat war von 1861 an das Parlament des Kaisertums Österreich und von 1867 bis 1918 das Parlament der cisleithanischen Reichshälfte der nunmehrigen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Er bestand aus zwei Kammern, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Einberufung, Vertagung und Schließung betrafen immer beide Häuser des Parlaments. Beschlüsse wurden zum Gesetz, wenn ihnen beide Häuser zugestimmt hatten, sie der Kaiser zum Zeichen seines Einverständnisses unterzeichnet hatte und die Gegenzeichnung der verantwortlichen k.k. Minister erfolgt war. (Für Finanzgesetze und Rekrutenaushebung galt, wenn die beiden Häuser uneinig blieben, die kleinere Ziffer als bewilligt.) Die Gesetze wurden im Namen des Kaisers im Reichsgesetzblatt kundgemacht. Neben dem Reichsrat hatten die Landtage der Kronländer Cisleithaniens nur geringe Gesetzgebungskompetenzen.
Sitz des Reichsrats war seit 4. Dezember 1883 das Parlamentsgebäude an der Ringstraße in Wien, das heute Tagungsort des österreichischen Parlaments ist. Vorher hatte das Abgeordnetenhaus nur einen provisorischen Sitz in einem hölzernen Gebäude – ironisch Schmerling-Theater genannt – in der Währinger Straße im 9. Wiener Gemeindebezirk. Nach umfangreichen Vorarbeiten und einer Vorbereitungszeit von mehreren Jahren beschloss der Reichsrat im Jahr 1883 die heute so genannten drei agrarischen Reichsgesetze, Gesetz betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke, RGBl 1883/92; Gesetz betreffend die Bereinigung des Waldlandes von schädlichen Enklaven, RGBl 1883/93; Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, RGBl 1883/94, sämtlich vom 7. Juni 1883

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Wenn die Agrarbehörde entschieden hat, dass eine Agrargemeinschaft Eigentümerin eines „Gemeindeguts“ war und dass bestimmte Liegenschaftseigentümer an dieser Agrargemeinschaft nach bestimmten aliquoten Anteilsrechten beteiligt sind, dann war diese Agrargemeinschaft Eigentümerin im Rechtssinn und die Eigentümer der Mitgliedsliegenschaften waren Eigentümer von aliquoten Anteilsrechten.

In diesem Sinn wurden die Entscheidungen der Agrarbehörde über Jahrzehnte verstanden. Agrargemeinschaften haben über den Verkauf oder die Teilung ihrer Liegenschaften entschieden und Verkaufs- oder Teilungsgeschäfte durchgeführt. Dies unbeanstandet über Jahrzehnte!

Bei näherem Hinsehen erweisen diese Umstände das „atypische Gemeindegut“ als eine bloße Erfindung  – eine Erfindung, um eine entschädigungslose Enteignung der Tiroler Grundbesitzer zu veranstalten!

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Übersicht:
Wirkung wie Gerichtsurteile
Gesetzlicher Richter für Gemeindegut
Der Wille des Gesetzgebers
1883: Die Abgeordneten entscheiden
Gemeindegut und die Bundesverfassung
Nur die Agrarbehörde entscheidet
Das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932
Urteil über das Eigentum
Eingriff des Verfassungsgerichts
Unzulängliche Gesetzessanierung in Tirol
Zusammenfassung

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WIRKUNG WIE GERICHTSURTEILE

Schon im Jahr 1883 hat der historische Gesetzgeber die „Commassionsbehörden“ (= heute: Agrarbehörden) zum gesetzlichen Richter in allen Angelegenheiten der Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen, berufen (Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz TRRG 1883, Gesetz vom 7. Juni 1883 RGBl 1883/94).

Diese Sonderbehörden waren von Anfang an als gemischt-richterliche Kollegialbehörden der „eingreifenden Verwaltungsjustiz“ organisiert, welche die hoheitliche Planungs- und Ordnungsbefugnisse der „politischen Verwaltungsbehörden“ mit der zivilrechtlichen Kognitionsbefugnis der ordentlichen (Zivil‑)Gerichtsbarkeit verbinden sollten.
Die Agrarbehörde sollte planend gestalten (zB Wald-Weide-Trennung, Grundzusammenlegung und Neuverteilung, Aufteilung vom Gemeinschaftseigentum, wenn dieses als Einzeleigentum besser bewirtschaftet werden kann, Regulierung als Agrargemeinschaft, wenn die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Vorteil ist).
Und die Agrarbehörde sollte im Streitfall entscheiden über Besitz und Eigentum wie ein Gericht, weil die Doppelgleisigkeit (hier Behörde, dort Gericht) für die agrarischen Gemeinschaften ausgeschaltet sein sollte. Deshalb hat die Agrarbehörde „zivilrechtliche Kognitionsbefugnis“; die Agrarbehörde erkennt über Eigentum und andere Rechte an Stelle des Zivilgerichts und mit der Rechtsqualität eines Zivilgerichts.
Gemäß § 12 TRRG erwachsen die Bescheide in Rechtskraft und entfalten idente Wirkung wie gerichtliche Entscheidungen.

Das TRRG ist in Tirol im Jahr 1909 in Kraft getreten; dies gemeinsam mit dem Landes-Ausführungsgesetz, Gesetz vom 19. Juni 1909, gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, LGuVoBl 61/1909 (TRLG 1909). Die AusführungsVO dazu stammt aus dem Jahr 1910 (Verordnung der Ministerien des Ackerbaus, des Inneren, der Justiz und der Finanzen vom 12. März 1910 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte – agrarische Operationen in Tirol, LGVoBl 1910/28).
Somit bestehen die Agrarbehörden seit dem Jahr 1909 in Tirol als „gesetzlicher Richter“ in allen Angelegenheiten der Bodenreform.

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GESETZLICHER RICHTER FÜR GEMEINDEGUT

Die Einbeziehung des Gemeindegutes in die Regelungen über die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Grundstücke war die erklärte Absicht des historischen Gesetzgebers.

a) So heißt es in den „Erläuternden Bemerkungen zu den auf Grund Allerhöchster Entschließung vom 12. Februar 1880 eingebrachten Gesetzesentwürfen hinsichtlich des Gesetzesentwurfes betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Theilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse“ (43 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, IX. Session): „Die Bestimmungen des § 1 Z 2 (in der Endfassung lit b) des Entwurfes haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben“.

b) Auch im „Bericht des Commassationsausschusses über die von dem hohen Herrenhause am 7. und 17. November 1881 in dritter Lesung gefaßten Beschlüsse auf Erlassung von Gesetzen: a) betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke; b) betreffend die Bereinigung des Waldlandes von fremden Enclaven und die Arrondirung der Waldgrenzen; c) betreffend die Theilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulirung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte“ wird bezüglich des letztgenannten Gesetzesentwurfes klargestellt, dass die neuen Behörden zuständig sind, um über die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut zu entscheiden (528 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12). „Die im § 1 sub b bezeichneten Grundstücke aber sind solche, welche – abgesehen von Dalmatien, woselbst durch die historischen Ereignisse und namentlich durch den Einfluß der türkischen und venetianischen Herrschaft sich ganz besondere Verhältnisse herausgebildet haben – in allen österreichischen Ländern sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung ‚Gemeindegut‘, bald unter der Bezeichnung ‚Gemeingut‘ erhalten haben, und bei welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden“.

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DER WILLE DES GESETZGEBERS

In gleicher Weise lassen sich die Debattenbeiträge der verschiedenen Abgeordneten im Jahr 1883, 268. Sitzung der IX. Session des Abgeordnetenhauses, als Beleg dafür anführen, dass die neuen Behörden über die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut entscheiden sollten. Zu verweisen ist insbesondere auf die Beiträge der Abgeordneten v Grocholski und Kopp sowie des Regierungsvertreters v Rinaldini, Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, IX. Session, 268. Sitzung, 9214 ff.

Bezeichnenderweise ging es in der Debatte vorwiegend um die Frage der Einbeziehung des so genannten „Gemeindegutes“ in die Entscheidungskompetenz der neuen Bodenreformbehörden. Dieses Thema nahm die meiste Zeit der Sitzung in Anspruch. Manche Abgeordneten sahen in dem betreffenden Gesetz einen massiven Eingriff in die Autonomie der Gemeinden und die Gesetzgebungskompetenzen der Länder, wobei sie darauf hinwiesen, dass die Gemeindeordnungen der Länder bereits Regelungen über das Gemeindegut enthielten.

So sagte beispielsweise der Abgeordnete v Grocholski: „Der § 1 bestimmt, welche Grundstücke den Gegenstand des Gesetzes zu bilden haben. Unter diesen Gründen sind aber unstreitig jene Gründe gemeint, welche heutzutage Eigenthum der Gemeinde sind und welche den Namen ‚Gemeindegut‘ haben – ich weiß nicht, ob ich richtig verdolmetsche, im Polnischen heißt es ‚dobro gminne‘ – also ‚Gemeindegut‘. Das sind jene Gründe, welche das Eigenthum entweder der ganzen Gemeinde oder eines Theiles der Gemeinde bilden, nachdem ja die politische Gemeinde aus Ansässigkeiten bestehen kann, welche besonderes Eigenthum haben und wo die einzelnen Mitglieder dieser Gemeinde, beziehungsweise dieses Theiles der Gemeinde das Benützungsrecht auf diese Gründe haben. Diese Gründe fallen unbestreitbar nach dem Wortlaute des § 1 unter dieses Gesetz. Nun, meine Herren, die Verwaltung dieser Gründe, die Benützung, die Theilung dieser Gründe ist aber, wenn ich nicht irre, bereits in allen durch Landesgesetze gegebenen Gemeindeordnungen normirt, besonders in Galizien. Ich kann die Paragraphe citiren, durch die sie normiert ist“. (Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, IX. Session, 9219)

Trotz dieser und ähnlicher Einwände wurde das Gesetz beschlossen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Bestimmungen der Gemeindeordnungen betreffend das Gemeindegut für völlig unzulänglich gehalten wurden, die Rechtsverhältnisse an solchen Liegenschaften abschließend zu regeln.
Der Regierungsvertreter Ministerialrat v Rinaldini führte dazu aus: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst den sogenannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, die sehr vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Uebung hinweisen und eventuell, wo eine solche unangefochtene Uebung nicht besteht, Gemeinderathsbeschlüsse als normirend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Comeptenz frägt, wenn man sicheren Aufschluß haben will, wer eigentlich competent sei, in dieser Frage zu entscheiden? Diese Unzulänglichkeit der bestehenden Normen der Gemeindeordnung und auch insbesondere, was das Gemeinschaftsvermögen betrifft, die vollständige Unzulänglichkeit der Normen des 16. Hauptstückes des bügerlichen Gesetzbuches über die Gemeinschaft des Eigenthums haben geradezu dazu gedrängt, eine solche Vorlage zu entwerfen“.
(Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, IX. Session, S 9221; vgl auch den Debattenbeitrag des Abgeordneten Granitsch, 9230 ff)

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1883: DIE ABGEORDNETEN ENTSCHEIDEN

Besonders illustrativ sind die Wortmeldungen des Abgeordneten Dr. Josef Kopp zum Thema. „Man will jenes Gut, welches der Gemeinde oder einer Fraktion der Gemeinde gehört, an welchem alle oder einzelne Mitglieder dieser Gemeinde oder Fraktion gewisse Nutzungsrechte haben, aus dem Gesetz ausscheiden? Wenn sie das tun wollen, scheiden sie lieber gleich das ganze Gesetz aus. Den da liegt ja eben die Quelle dieser unlösbaren Wirrnisse und Streitigkeiten, und welchen Nutzen soll es haben, wenn es heißt: Auf diese Gründe findet eine Anzahl von Paragraphen sinngemäß Anwendung? Es ist dieses immer ein vom juridischen Standpunkte bedenkliches Flickwerk, welches man nur in der Verzweiflung gebrauchen kann. Mit diesem `Sinngemäß´ werden sie den Streit nicht schlichten, sondern ihm neue Quellen eröffnen. Wollen sie also, dass das Gesetz Wirksamkeit habe, so müssen sie es gerade auf diese Grundstücke anwenden, welche als Gemeindegut bezeichnet werden, denn sonst ist es in der Tat zwecklos.“ (aaO, Seite 9223)

Nach ausführlicher Debatte hatte der Abgeordnete Dr. Ritter von Madeyski eine Abstimmung des Abgeordnetenhauses darüber verlangt, dass der Gesetzestext um einen Passus erweitert werde. Danach sollte das „Gemeindegut“ aus der Kompetenz der neuen „Agrarbehörden“ ausgeschieden werden. Die neuen Behörden der Bodenreform sollten keine Zuständigkeit besitzen, weil die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut abschließend in den Gemeindeordnungen der Länder geregelt seien. Über diesen Zusatzantrag wurde im Abgeordnetenhaus des Reichsrates am 22. Februar 1883 zur Abstimmung gebracht; der Zusatzantrag wurde abgelehnt.

Ausdrücklich hat der zuständige Gesetzgeber somit entschieden, dass die neuen Agrarbehörden auch über die Rechtsverhältnisse auch am Gemeindegut zu entscheiden haben.  Ausdrücklich hat der zuständige Gesetzgeber somit entschieden, dass die Gemeindeordnungen der Länder keine zureichende und insbesondere keine abschließende Regelung für die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ darstellen. (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9235).
Im Jahr 1982 hat sich der Verfassungsgerichtshof offenkundig verfassungswidrig über diese Entscheidung des Gesetzgebers hinweggesetzt (VfSlg 9336/1982). In einem juristischen Handstreich („Justizputsch“) wurde das gesamte historische Gemeindegut als ein wahres Eigentum der Ortsgemeinden und die Erkenntnisse der Agrarbehörden darüber als offenkundig verfassungswidrig erfunden. Das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 wird deshalb als die „Mutter der Verkenntnis“ (Josef Kühne) bezeichnet.

Zwischenergebnis: Das „Gemeindegut“ war nach dem eindeutigen Willen des historischen Reichsgesetzgebers des Jahres 1883 Gegenstand der „agrarischen Operationen“ (Teilung und Regulierung) in Vollzug der Bodenreformbehörden. Nur diese Behörden konnten rechtskräftig entscheiden, wessen wahres Eigentum ein „Gemeindegut“ tatsächlich war.

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GEMEINDEGUT UND DIE BUNDESVERFASSUNG

Nach Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG ist die „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“ Bundessache hinsichtlich der Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache in der Ausführungsgesetzgebung und die Vollziehung ist ausschließliche Zuständigkeit der Agrarbehörden.

Was unter diesen Kompetenzbegriffen „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“ im Einzelnen zu verstehen ist, muss nach der Auslegungsregel der „Versteinerungstheorie“ danach ermittelt werden, wie die Rechtsordnung diese Begriffe am 1.10.1925 – dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Kompetenztatbestandes – verstanden hat. Maßgebend ist daher die rechtliche Begriffsbildung in der einfachgesetzlichen Rechtslage zu diesem Zeitpunkt.

Hinsichtlich des Begriffs der „agrarischen Operationen“ ist nach Lehre und Rechtsprechung auf die drei „Reichsrahmengesetze“ von 1883, RGBl Nr 92 bis 94, abzustellen: Als agrarische Operationen werden vom Verfassungsgerichtshof stets „nur die in den drei sogenannten ‚Reichsrahmengesetzen‘ vom 7. Juni 1883, RGBl 92 bis 94, geregelten Aktionen der Zusammenlegung, der Bereinigung des Waldlandes von fremden Enklaven und der Teilung und Regulierung von Agrargemeinschaften verstanden“. (VfSlg 1390/1931)

Wie oben anhand der Gesetzesmaterialien zum TRRG 1883 gezeigt, war unter dem Kompetenzbegriff „agrarische Operationen“ im Sinne des Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG nach der Versteinerungstheorie auch die Teilung und Regulierung von Gemeindegut zu verstehen ist. Ausdrücklich haben die Abgeordneten einen Zusatzantrag abgelehnt, wonach das Gemeindegut der Entscheidungskompetenz der Agrarbehörden entzogen werden sollte.

Bestätigt wird dieses Ergebnis dadurch, dass sämtliche Landes-Ausführungsgesetze zum Reichsrahmengesetz von 1884 bis zum Jahre 1921 das Gemeindegut ausdrücklich der Teilung und Regulierung unterworfen haben.

Das älteste Ausführungsgesetz zum TRRG 1883, nämlich das für die Markgrafschaft Mähren, stellt erläuternd zur Definition des § 1 TRRG 1883 klar, dass zu den Grundstücken gem § 1 TRRG 1883 insbesondere auch solche agrargemeinschaftlich genutzten Grundstücke zu zählen seien, die als Gemeindegut einer gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung unterliegen (§ 2 Abs 2 Gesetz für die Markgrafschaft Mähren vom 13.2.1884, LGBl 31/1884 – Mähr-TRLG). Wörtlich wird die Zuständigkeit der „Commassionsbehörden“ in diesem Gesetz wie folgt definiert: Mähr-TRLG 1884 § 1. „Die nach dem Gesetz vom 7. Juni 1883 (RGBl Nr 92 – bzw nach dem Landesgesetz vom 13. Februar 1884 LGBl Nr 30) in Zusammenlegungs-Angelegenheiten zuständigen Behörden sind zugleich im Verfahren bei Teilung von Grundstücken sowie im Verfahren bei Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte an ungeteilt verbleibenden Grundstücken zuständig, bezüglich derer entweder a) zwischen gewesenen Obrigkeiten und Gemeinden oder ehemaligen Untertanen, sowie zwischen zwei oder mehreren Gemeinden gemeinschaftliche Besitz- und Benützungsrechte bestehen, oder b) welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Gemeinde, einer oder mehrerer Gemeinde-Abteilungen, Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischen Gemeinschaften (Klassen der Bauern, Bestifteten, Singularisten udgl) kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitze verbundenen Mitgliedschaft oder von den Mitberechtigten an Wechsel- oder Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise benützt werden. […] § 2. Wo in diesem Gesetz von Behörden oder von gemeinschaftlichen Grundstücken ohne anderweitige Bezeichnung die Rede ist, sind die im § 1 angegebenen Behörden, bzw die da selbst bezeichneten Grundstücke zu verstehen. Zu diesen Grundstücken sind insbesondere auch jene zu zählen, welche als Gemeindegut einer gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 15. März 1864 unterliegen, sowie jene, welche aufgrund einer in Ausführung des kaiserlichen Patentes vom 5. Juni 1853 RGBl Nr 130) erfolgten Abtretung sich im Besitze einer Ortschaft, Gemeinde oder Gesamtheit von Berechtigten befinden.“

Praktisch idente Regelungen enthielten die Teilungs- und Regulierungsgesetze (TRLG) für das Herzogtum Kärnten aus dem Jahr 1885 (Gesetz vom 5.7.1885, LGBl 23/1885 (K-TRLG), § 2 Abs 1), für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns aus dem Jahr 1886 (Gesetz vom 3.6.1886, LGBl 39/1886 – NÖ-TRLG 1886, § 2 Abs 3), für das Herzogtum Krain aus dem im Jahr 1887 (Gesetz vom 26.10.1887, LGBl 2/1888 – Krain-TRLG, § 2 Abs 2), für das Herzogtum Schlesien aus dem Jahr 1887 (Gesetz vom 28.12.1887, LGBl 13/1888 – Schles-TRLG, § 2 Abs 3) und das TRLG für das Herzogtum Salzburg aus dem Jahr 1892 (Gesetz vom 11.10.1892, LGBl 32/1892 – Slbg-TRLG, §2 Abs 2). Und nichts anderes galt für die „Nachzügler“, nämlich die Gesetze für Steiermark (Gesetz vom 26. Mai 1909LGBl 44/1909 – St-TRLG 1909, § 5 Abs 3), Tirol (Gesetz vom 19. Juni 1909 LGBl 61/1909 – T-TRLG 1909, § 5 Abs 3) und Oberösterreich (Gesetz vom 28. Juni 1909 LGBl 36/1909 – OÖ-TRLG 1909, § 5 Abs 3) sowie für das Gesetz Vorarlbergs aus dem Jahr 1921 (Gesetz vom 11. Juli 1921 LGBl 1921/115 – V-TRLG 1921, § 5 Abs 2).

Die Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetze aus dem Zeitraum 1884 bis 1909 waren von den Wiener Zentralstellen in die jeweiligen Landtage eingebracht worden; die maßgeblichen Gesetzesstellen aus den Jahren 1884 bis 1909 zum „Gemeindegut“ als Gegenstand der agrarischen Operation waren weitgehend deckungsgleich formuliert worden. (§ 2 Abs 3 Mähr-TRLG 1884: „nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 15. März 1864“; § 2 Abs 1 K-TRLG 1885: „nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 15. März 1864“; § 2 Abs 4 NÖ-TRLG 1886: „nach Maßgabe des § 64 der Gemeindeordnung vom 31. März 1864“; § 2 Abs 4 Krain-TRLG 1887: „nach Maßgabe der geltenden Gemeindeordnung“; § 2 Abs 4 Schles-TRLG 1888: „nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 15. November 1863“; § 2 Abs 3 Slbg-TRLG 1892: „nach Maßgabe des § 64 der Gemeinde-Ordnung vom 2. Mai 1864“, § 5 Abs 4 St-TRLG 1909: „nach Maßgabe des § 60 der Gemeindeordnung vom 2. Mai 1864“; § 5 Abs 4 T-TRLG 1909: „nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 9. Jänner 1866“; § 5 Abs 5 OÖ-TRLG 1909: „nach Maßgabe des § 61 der Gemeindeordnung vom 28. April 1864“; § 5 Abs 3 V-TRLG 1921: „nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 21. September 1904“).

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NUR DIE AGRARBEHÖRDE ENTSCHEIDET

Nach dem im Versteinerungszeitpunkt (1925) herrschenden Gesetzesverständnis unterlag das „Gemeindegut“ der agrarischen Operation; dies auf der Grundlage der Teilungs- und Regulierungsgesetze; ausschließlich zuständig war und ist die Agrarbehörde.

Die Regelungen betreffend die Teilung und Regulierung von Gemeindegut sind daher in der Grundsatzgesetzgebung Bundessache und in der Ausführungsgesetzgebung Landessache in ausschließlichem Vollzug der Agrarbehörde.

Das B-VG hat für die noch vor seinem Inkrafttreten in die republikanische Rechtsordnung übernommene Bodenreformgesetzgebung (vgl die Neuordnung der Organisation der Agrarbehörden durch das Gesetz StGBl 1920/195)eine eigene Bundeskompetenz (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) und eine besondere Verfassungsgrundlage geschaffen (Art 12 Abs 2 B-VG).
Auf die am 1.10.1925 in Kraft getretene Kompetenz des Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG hat sich nicht nur die Regierungsvorlage des FlV-GG 1931 berufen (78 der Beilagen Nationalrat IV. GP., 9), sondern auch die Landesausführungsgesetze, zB Tiroler FlV-LG LGBl 2009/7 (Bericht und Antrag des Ausschusses für Rechts-, Gemeinde- und Raumordnungsangelegenheiten zur Regierungsvorlage der TFLG-Novelle, Zl 574/09 der Beilagen zu den Sten Prot des LT XV. GP).

Zwischenergebnis: Der Gesetzgeber des Bodenreformrechtes – und ausschließlich dieser – ist nach der Bundesverfassung der zuständige Gesetzgeber für die Teilung und Regulierung von Gemeindegut. Der Landesgesetzgeber, der beispielsweise für das Gemeinderecht zuständig gemacht wurde (Art 15 B-VG), ist für Gesetzesbestimmungen betreffend die Teilung und Regulierung von Gemeindegut unzuständig!

Die Agrarbehörde ist somit auch auf dem Boden der Bundesverfassung der gesetzliche Richter zur Durchführung der agrarischen Operation an „Gemeindegut“. Die Agrarbehörde ist somit auch auf dem Boden der Bundesverfassung der gesetzliche Richter zur rechtskräftigen Entscheidung darüber, wessen wahres Eigentum ein Gemeindegut ist.

Der Standpunkt, den der VfGH im Jahr 1982 (VfSlg 9336/1982) eingenommen hat, nämlich dass die Erkenntnisse der Agrarbehörden über die wahren Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut offenkundig verfassungswidrig gewesen wären, wenn diese Erkenntnisse für ein Eigentum der Agrargemeinschaft lauteten, ist offenkundig falsch. Er gründet auf Fiktion und Erfindung – Erfindung mit dem Ziel der Enteignung der Besitzer von Grund und Boden.

 

FLURVERFASSUNGS-GRUNDSATZGESETZ 1932

Das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz BGBl 1932/256 löste im Jahr 1932 das TRRG aus dem Jahr 1883 ab. Ausdrücklich ist das Gemeindegut auch nach diesem neuen Gesetz Gegenstand der agrarischen Operation in Vollzug der Agrarbehörde (§ 15 Abs 2 lit d FlurVerfGG 1932).

Die Agrarbehörde wurde somit als gesetzlicher Richter für die agrarische Operation am Gemeindegut bestätigt. Gem § 34 Abs 4 FlurVerfGG 1932 erstreckte sich die Zuständigkeit der Behörde ausdrücklich auf die Entscheidung von Streitigkeiten über das Eigentum an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken, somit auch am Gemeindegut. Idente Regelungen waren im FlurVerfGG 1952 enthalten § 15 Abs 2 lit d und § 34 Abs 4 leg.cit.

Ausdrücklich definierte auch das Tiroler Flurverfassungslandesgesetz aus dem Jahr 1935 das „Gemeindegut“ als Gegenstand der agrarischen Operation; ausdrücklich war den Agrarbehörden zur Pflicht gemacht, im Zuge der agrarischen Operation (Teilung und Regulierung) über das Eigentum am „Gemeindegut“ zu entscheiden.

§ 38 Abs 1 TFLG 1935 lautete: „Die Behörde hat festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere …“; § 38 Abs 1 TFLG 1952 lautete: „Die Agrarbehörde hat festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere …“; § 37 Abs 1 TFLG 1969 lautete: „Die Agrarbehörde hat festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere …“; § 38 Abs 1 TFLG 1978 lautete:  „Die Agrarbehörde hat festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere …“; § 38 Abs 1 TFLG 1996 lautet:  „Die Agrarbehörde hat festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere …“ Der Wortlaut des Gesetzes und der gesetzliche Auftrag an die Agrarbehörde ist somit eindeutig: Zu fällen ist eine Feststellungsentscheidung“.

Die Agrarbehörde war auch nach dem Recht der Republik Österreich ab dem Jahr 1932 der gesetzliche Richter zur Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“. Das Agrarverfahrensgesetz (AgrVG. 1950) bestätigte in seinem § 14, dass die Entscheidungen der Agrarbehörde urteilsgleiche Wirkung entfalten. (§ 14AgrVG. 1950) Die Bescheide der Agrarbehörde und die von ihr genehmigten Vergleiche (Übereinkommen) haben insbesondere auch hinsichtlich der Vollstreckbarkeit die Rechtswirkung gerichtlicher Urteile und Vergleiche.

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URTEIL ÜBER DAS EIGENTUM

Unter anderem hatte die Agrarbehörde nach dieser Gesetzeslage distinktiv zu entscheiden, wer der wahre Eigentümer eines als Gemeindegut genutzten Grundstücks war.

Der LAS Tirol vom 5.8.1969 LAS-104/17 – Gemeindegut Trins / Regulierung – unter dem Vorsitz des späteren Richters am Verfassungsgerichtshof, Dr. Andreas Saxer, hat dazu treffend folgendes entschieden:
Das zweite Hauptstück des FLG enthält unter der Überschrift `Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken´, einleitende Bestimmungen, die im Zuge aller nach diesem Hauptstück durchzuführenden Bodenreformmaßnahmen anzuwenden sind. In § 75 FLG, der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bei der Regulierung beschreibt, ist zwar die Feststellung des Eigentumsrechts zugunsten einer Agrargemeinschaft nicht angeführt; es ergibt sich aber aus den erwähnten einleitenden Normen des 2. Hauptstückes (§ 36 Abs. 2 lit. d und § 38 Abs. 1 und 7 FLG) die Aufgabe, im Zuge des Verfahrens festzustellen, welche Grundparzellen Gemeindegut und damit agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind, und wem sie gehören, insbesondere ob das Eigentum den Nutzungsberechtigten als Miteigentümern oder einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft zusteht.“

Das war immer im Flurverfassungs-Grundsatzgesetz so geregelt (zur entsprechenden Kompetenz der Agrarbehörden: s § 34 Abs 4 FlVerfGG 1951 und § 35 Abs 1 FlVerfGG 1951; zur Ermittlungspflicht betreffend die Eigentumsverhältnisse am „Operationsgebiet: s § 31 FlVerfGG 1951; vgl § 10 Abs 3 FlVerfGG 1951); das war in den Landesausführungsgesetzen zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz immer so geregelt. Die Agrarbehörden hatten über die Eigentumsverhältnisse am Operationsgebiet zu entscheiden: vgl §§ 38 Abs 1 NÖ FLG 1934; 38 Abs 1 Tiroler FLG 1935, 37 Vlbg FLG 1951 usw (ausführlich dazu: Pernthaler/Oberhofer, Die Agrargemeinschaften und die „agrarische Operation“, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) 429ff [444ff]).

Konsequenter Weise hat die Agrarbehörde in diversen Verfahren entschieden, dass eine Gemeinde Eigentümerin des Gemeindeguts war und ist. Zu verweisen ist auf die Beispiele der Agrargemeinschaften Sölden (Liegenschaft in EZ 195 GB 80110 GB Sölden) St. Anton (Liegenschaft in EZ 106 GB 84010 GB St. Anton am Arlberg), Pians (EZ 95, 96 GB 84009 Pians), Fiss (EZ 53 GB 84103 Fiss), Weissenbach (Liegenschaft in EZ 149 GB 86041 GB Weissenbach), Nesselwängle (Liegenschaft in EZ 94 GB 86026 GB Nesselwängle), Heiterwang (EZ 121 GB 86015 Grundbuch Heiterwang) uam. Daran ist nichts verfassungswidrig. Wenn eine solche Entscheidung rechtskräftig wird, dann ist die politische Ortsgemeinde Eigentümerin im Rechtssinn.
Dazu: Pernthaler/Oberhofer, Die Agrargemeinschaften und die „agrarische Operation“, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 449f; s auch: Gemeindegut: wessen Eigentum?)

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EINGRIFF DES VERFASSUNGSGERICHTS

Diese Rechtslage erfuhr im Jahr 1982 insofern einen Einschnitt, als der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 eine angebliche undifferenzierte Behandlung von Gemeindegut im Flurverfassungsrecht beanstandete. Der Verfassungsgerichtshof hat ein Eigentum der Ortsgemeinde kraft Gesetzes erfunden und daraus abgeleitet, dass die Agrarbehörde keine gegenteilige Entscheidung zu treffen hätte.
Mit diesem Argument wurde der Tatbestand des § 15 Abs 2 lit d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 und § 33 Abs 2 lit c des Tir. Flurverfassungslandesgesetzes 1978 wegen angeblicher Gleichheitswidrigkeit als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Bundesregierung hatte in ihrer Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren für den Fall der Aufhebung von Gesetzesbestimmungen „für das Außerkraftsetzen der aufgehobenen Rechtsvorschriften“ um eine Frist von einem Jahr ersucht, da in diesem Fall Vorsorge für eine gesetzliche Neuregelung auf Bundes- und Landesebene getroffen werden müsse, was naturgemäß einen gewissen Zeitraum beanspruchen würde. (Bundeskanzleramt 23. Juni 1981, GZ 655 888/3-V/3/1977)

Als es tatsächlich zur Aufhebung kam, hat der Bundesgesetzgeber jedoch nichts mehr unternommen. Im Jahr 1982 regierte Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky mit einer SPÖ-Alleinregierung. Das wahre Eigentum der Grundbesitzer als Realgemeinde lag der damaligen Regierung (verständlich) nicht am Herzen. Auch später hat sich keine Regierung mehr aufgerafft, neue, differenzierte Regelungen zur agrarischen Operation am „Gemeindegut“ zu schaffen.
Tatsächlich hätte dringender Sanierungsbedarf bestanden.

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HALBE GESETZESSANIERUNG IN TIROL

Anders als der Bundes-Grundsatzgesetzgeber hat der Tiroler Landesgesetzgeber nach dem Gesetzeseingriff des VfGH zum 28. Februar 1983 die Kompetenz der Agrarbehörde als gesetzlicher Richter über das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung neu geregelt: Nach dem Spruch des Erkenntnisses VfSlg 9336/1982 trat die Aufhebung des § 33 Abs 2 lit c TFLG 1978 per 28. Februar 1983 in Kraft. Bereits mit LG vom 16. Dezember 1983 LGBl 1984/18 wurde § 33 TFLG 1978, der die Zuständigkeit der Agrarbehörde regelt, neu gefasst. Die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur (differenzierten) Entscheidung als gesetzlicher Richter über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut wieder eindeutig geregelt (§ 33 Abs 2 lit c TFLG 1978. Für Tirol und auf dem Boden des Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG war damit die Kompetenz der Agrarbehörde als gesetzlicher Richter für Gemeindegut außer Zweifel.

Ausdrücklich wurde in den Übergangsbestimmungen (LGBl 18/1984 vom 16. Dezember 1983) darauf hingewiesen, dass alle laufenden Verfahren in Anwendung des neuen Gesetzes zu Ende zu führen seien; bereits erlassene Bescheide, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Rechtskraft erwachsen seien, sollten unberührt bleiben. Noch viel mehr galt und gilt dies für Bescheide in rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren.

Ergebnis: Wenn die Agrarbehörde entschieden hat, dass eine Agrargemeinschaft Eigentümerin eines „Gemeindeguts“ war und ist und dass bestimmte Liegenschaftseigentümer an dieser Agrargemeinschaft nach bestimmten aliquoten Anteilsrechten beteiligt sind, dann war diese Agrargemeinschaft Eigentümerin im Rechtssinn und die Eigentümer der Mitgliedsliegenschaften waren im Rechtssinn Eigentümer von aliquoten Anteilsrechten.

In diesem Sinn wurden die Entscheidungen der Agrarbehörde über Jahrzehnte verstanden. Agrargemeinschaften haben über den Verkauf oder die Teilung solcher Liegenschaften entschieden und Verkaufs- oder Teilungsgeschäfte durchgeführt. Dies unbeanstandet über Jahrzehnte!

Bei näherem Hinsehen erweisen diese Umstände das „atypische Gemeindegut“ eine bloße Erfindung  – eine Erfindung, zur entschädigungslosen Enteignung der Tiroler Grundbesitzer zu veranstalten!

 

ZUSAMMENFASSUNG

Das „Gemeindegut“ war nach dem eindeutigen Willen des historischen Reichsgesetzgebers des Jahres 1883 Gegenstand der „agrarischen Operationen“ (Teilung und Regulierung) in Vollzug der Bodenreformbehörden. Nur diese Behörden konnten rechtskräftig entscheiden, wessen wahres Eigentum ein „Gemeindegut“ tatsächlich war.

Der Gesetzgeber des Bodenreformrechtes – und ausschließlich dieser – ist nach der Bundesverfassung der zuständige Gesetzgeber für die Teilung und Regulierung von Gemeindegut. Der Landesgesetzgeber, der beispielsweise für das Gemeinderecht zuständig gemacht wurde (Art 15 B-VG), ist für Gesetzesbestimmungen betreffend die Teilung und Regulierung von Gemeindegut unzuständig!

Die Agrarbehörde ist somit auch auf dem Boden der Bundesverfassung der gesetzliche Richter zur Durchführung der agrarischen Operation an „Gemeindegut“. Die Agrarbehörde ist somit auch auf dem Boden der Bundesverfassung der gesetzliche Richter zur rechtskräftigen Entscheidung darüber, wessen wahres Eigentum ein Gemeindegut ist.

Der Standpunkt, den der VfGH im Jahr 1982 (VfSlg 9336/1982) eingenommen hat, nämlich dass die Erkenntnisse der Agrarbehörden über die wahren Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut offenkundig verfassungswidrig gewesen wären, wenn diese Erkenntnisse für ein Eigentum der Agrargemeinschaft lauteten, ist offenkundig falsch. Er gründet auf Fiktion und Erfindung – Erfindung mit dem Ziel der Enteignung der Besitzer von Grund und Boden.

Wenn die Agrarbehörde entschieden hat, dass eine Agrargemeinschaft Eigentümerin eines „Gemeindeguts“ war und ist und dass bestimmte Liegenschaftseigentümer an dieser Agrargemeinschaft nach bestimmten aliquoten Anteilsrechten beteiligt sind, dann war diese Agrargemeinschaft Eigentümerin im Rechtssinn und die Eigentümer der Mitgliedsliegenschaften waren im Rechtssinn Eigentümer von aliquoten Anteilsrechten.

In diesem Sinn wurden die Entscheidungen der Agrarbehörde über Jahrzehnte verstanden. Agrargemeinschaften haben über den Verkauf oder die Teilung solcher Liegenschaften entschieden und Verkaufs- oder Teilungsgeschäfte durchgeführt. Dies unbeanstandet über Jahrzehnte!

Bei näherem Hinsehen erweisen diese Umstände das „atypische Gemeindegut“ als eine bloße Erfindung  – eine Erfindung, um eine entschädigungslose Enteignung der Tiroler Grundbesitzer zu veranstalten!

 

Rechtsunsicherheit veranlasste die Gesetzgebung

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MP

Das Agrarrecht kommt nach Tirol

Dr. Franz Josef Theodor Freiherr von Kathrein (* 25. März 1842 in Salurn, Südtirol; † 2. Oktober 1916 in Innsbruck) war Landeshauptmann von Tirol vom 27. 08. 1904 bis 2.10.1916. Während der Zeit, in der er als Landeshauptmann an der Spitze des Landes stand, hielt das Agrarecht Einzug im Land Tirol. Es wurden die drei agrarischen Landesgesetze geschaffen: Gesetz vom 11. Mai 1909, wirksam für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend den Schutz der Alpen und die Förderung der Alpwirtschaft, LGuVoBl Tirol 60/1909 (Alpenschutzgesetz); Gesetz vom 19. Juni 1909, gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, LGuVoBl 61/1909 (TRLG 1909); Gesetz vom 19. Juni 1909, wirksam für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke, LGuVoBl Tirol 62/1909 (Zusammenlegungsgesetz). Im Jahr 1910 wurde die Ausführungsverordnung zu dieser komplexen Materie veröffentlicht: Verordnung der Ministerien des Ackerbaus, des Inneren, der Justiz und der Finanzen vom 12. März 1010 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte (agrarische Operationen in Tirol), LGVoBl 1910/28. Der drängenste Bedarf nach einem Einschreiten der neuen Agrarbehörden bestand bei den Almagrargemeinschaften.
Dr. Franz Josef Theodor Freiherr von Kathrein (* 25. März 1842 in Salurn, Südtirol; † 2. Oktober 1916 in Innsbruck) war Landeshauptmann von Tirol vom 27. 08. 1904 bis 2.10.1916. Während der Zeit, in der er als Landeshauptmann an der Spitze des Landes stand, hielt das Agrarecht Einzug im Land Tirol. Es wurden die drei agrarischen Landesgesetze geschaffen: Gesetz vom 11. Mai 1909, wirksam für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend den Schutz der Alpen und die Förderung der Alpwirtschaft, LGuVoBl Tirol 60/1909 (Alpenschutzgesetz); Gesetz vom 19. Juni 1909, gültig für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, LGuVoBl 61/1909 (TRLG 1909); Gesetz vom 19. Juni 1909, wirksam für die gefürstete Grafschaft Tirol, betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke, LGuVoBl Tirol 62/1909 (Zusammenlegungsgesetz). Im Jahr 1910 wurde die Ausführungsverordnung zu dieser komplexen Materie veröffentlicht: Verordnung der Ministerien des Ackerbaus, des Inneren, der Justiz und der Finanzen vom 12. März 1010 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte (agrarische Operationen in Tirol), LGVoBl 1910/28. Der drängenste Bedarf nach einem Einschreiten der neuen Agrarbehörden bestand bei den Almagrargemeinschaften.

 

Das Agrarrecht kommt nach Tirol

1. Allgemeines
2. Der Streit um die „Gemeindegründe“
3. Das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883
4. Tirol ist mit Gesetzesumsetzung säumig
5. 1909: Das Bodenreformrecht kommt nach Tirol
6. „Gemeindegut“ ist nicht „Gemeindegut“

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1. Allgemeines

Das Staatsrecht hat bei Errichtung der politischen Ortsgemeinden die Begriffe des bürgerlichen Rechts zum Vermögensrecht der alten „Nachbarschafts-Gemeinden“ übernommen (vgl § 288 ABGB und die korrespondierenden Gesetzesstellen im Westgalizischen Gesetzbuch und bereits im Codex Theresianus; s Hauptstück: „Gemeinde“, das waren …). Es geht hier vor allem um den Dualismus der Begriffe „Gemeindegut“ und Gemeindevermögen“.

Das neue Recht der politischen Ortsgemeinde, das in § 73 prov. GemG 1849 und später in den Landesgemeindegesetzen das Begriffspaar „Gemeindegut“ und „Gemeindevermögen“ auch zur Charakterisierung des Vermögensrechts der neuen politischen Ortsgemeinde verwendet hat, hat durch diese Verwendung von Begriffen, die lange Zeit der Nachbarschafts-Gemeinde vorbehalten waren, massiv dazu beigetragen, tiefgreifende Unterscheidungsschwierigkeiten auszulösen: Unterscheidungsschwierigkeiten bei den Rechtsunterworfenen und Agitationspotenzial bei politischen Akteuren, die bewusst die Begriffe Gemeindegut und Gemeindevermögen dazu verwendet haben, um das Gut und Vermögen der alten Nachbarschafts-Gemeinde dem Zugriff der neuen politischen Ortsgemeinde zu unterwerfen.
Letztlich wurde aufgrund mehrerer Ursachen eine Entwicklung verstärkt, welche dazu führte, dass die Nachbarschafts-Gemeinde, die „Agrargemeinde nach bürgerlichem Recht“ als eigenständiger Rechtsträger bei ihren Mitgliedern teilweise in Vergessenheit geriet und die neue politische Ortsgemeinde die Verwaltung und Sachherrschaft an sich ziehen konnte. Während die neue politische Ortsgemeinde mit der ganzen Kraft der Staatsautorität agieren konnte, existierte für die alte Nachbarschafts-Gemeinde nicht einmal ein allgemein anerkanntes Organisationsrecht. (s LEFTBAR AGRARISCHE OPERATION. Rechtsunsicherheit als Anlass)

Die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften wurde so aufgrund stillschweigender Beauftragung in den Händen der politischen Gemeinde gelegt; diese war von den Stammliegenschaftsbesitzern dominiert und der Gemeindevorstand der politischen Ortsgemeinde typischer Weise der erste und angesehenste unter den Grundbesitzern. Die nötige Unterscheidung zwischen dem öffentlichen Zwecken gewidmetem Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde und demjenigen Eigentum, welches dem wirtschaftlichen Fortkommen der Stammliegenschaften gewidmet war, wurde in den Tiroler Gemeinden typischer Weise nicht gezogen.
Weil die Besitzer von Grund und Boden, die Eigentümer der Stammsitze, sich mit der „Gemeinde“ identifizierten, war die Unterscheidung ihrer Gemeinschaft und der neuen politischen Ortsgemeinde kaum verständlich. Offensichtlich haben sich die Tiroler Stammliegenschaftsbesitzer – rechtsirrig – als „die Gemeinde“ verstanden, wie dies nach historischem Recht durchaus begründet war.

Ein Agrarbehördenprotokoll (Verhandlungsschrift vom 17. März 1953. Aufgenommen durch den Vertreter des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde Ob.Reg.Rat Dr. Oswald Vogl, am Dienstag, den März 1953 im Gemeindeamt von Unterperfuss, Regulierung von Agrargemeinschaft Unterperfuss, Aktenbestand AgrB-R406 der Tiroler Agrarbehörde) lässt das Problem deutlich erkennen:

„Bei Überprüfung des Besitzstandes anhand des Lageplanes und der vorliegenden Grundbuchsauszüge erklären die Parteien übereinstimmend, dass auch die Bp 9/2 Wohnhaus mit einer Fläche von 384 m², Gp 154 Garten mit einer Fläche von 79 m² und Gp 350/2 Garten mit einer Fläche von 54 m², Eigentum der Agrargemeinschaft Unterperfuss sind. Das Haus Nr. 1 habe mit seinen landwirtschaftlichen Grundstücken in der Zeit 1870 bis 1880 glaublich Gervasius Kirchmair gehört, der wegen Geisteskrankheit die Wirtschaft nicht mehr weiterführen konnte. Die neun Bauern, die Besitzvorgänger der heutigen Stammliegenschaften waren, haben die Landwirtschaft des Hauses samt Gebäuden und Grundstücken gegen Leistung des vollen Unterhaltes an Kirchmair in den 1870 iger Jahren übernommen und haben seither diesen Besitz gemeinschaftlich genutzt. Die neun Besitzer haben sich damals als Gemeinde bezeichnet, weil außer ihnen kein Besitzer in der Gemeinde war und daher niemand daran dachte, zwischen Gemeinde und den neun Besitzern zusammen einen Unterschied zu finden. Tatsächlich haben die neun Besitzer nach der Übernahme den Unterhalt für Kirchmair gemeinschaftlich voll bestritten und auch das Anwesen allein ausgenützt. Sie haben auch das Haus Nr. 1 weiterhin als ihren Besitz betrachtet und benützt, nachdem beim Bau der Arlbergbahn im Haus Nr. 1 eine Kantine und schließlich ein Gastwirtschaftsbetrieb dort eröffnet wurde. Auch dann noch haben sich die neun Bauern als Gemeinde – mit heutigem Ausdruck als Gemeinschaft – betrachtet, welcher der Gastbetrieb gehört, auch wenn die Konzession auf die Gemeinde Unterperfuss lautet, als welche sie sich betrachteten und fühlten.“

Man verstand somit nicht, dass an dem der Gemeindeöffentlichkeit gewidmeten Vermögen (zB Schule und Armenhaus) andere Rechtsverhältnisse bestehen, als an demjenigen Vermögen, welches dem wirtschaftlichen Fortkommen der Stammsitzliegenschaften gewidmet war. Niemals darf unterstellt werden, dass ein Gemeinschaftsvermögen, welches dem besseren Fortkommen der Stammsitzliegenschaften gewidmet war (zB ein gemeinschaftliches Sägewerk), an den Staat verschenkt werden soll. Unabhängig davon, ob später hinzugekommenen Gemeindebürgern in bestimmtem Umfang Mitbenützung erlaubt wurde oder nicht – an derartigen Vermögenschaften gibt niemand seine Rechte zu Gunsten „der Allgemeinheit“, zu Gunsten der Gemeindeöffentlichkeit, auf. Die politische Ortsgemeinde konnte deshalb auch kein Eigentum erwerben.

2. Der Streit um die „Gemeindegründe“

In anderen Kronländern führte eine andere Ausgangslage zu völlig anderen Verhältnissen. So berichtet Karl Cizek in einer Streitschrift aus dem Jahr 1879 von Praktiken im Kronland Böhmen, wonach die Mitglieder der alten Gemeinde die Errichtung der neuen politischen Ortsgemeinde zum Anlass genommen hätten, die neue politische Ortsgemeinde auf Anerkennung des Eigentumsrechtes an den „Gemeindegründen“ zu Gunsten der Mitglieder der „alten Agrargemeinde“ beim Zivilgericht zu verklagen. Die Glieder der Altgemeinde, in Böhmen „Rustikalisten“ genannt, hätten das Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung für sich in Anspruch genommen und seien vor Gericht als wahre Eigentümer anerkannt worden. Die neuen politischen Gemeinden hätten sämtliche Rechtsstreitigkeiten verloren. Die „Rustikalisten“ hätten in der Folge die als ihr Privatrecht erstrittenen „Gemeindegründe“ unter sich aufgeteilt. Beschwerden gegen diese Praxis und gegen derartige Urteile bei den politischen Behörden seien erfolglos geblieben. (Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsrechtliche Studie (Prag 1879), passim)

Diese Episode böhmischer Gemeindewirtschaft fand sogar in den Debatten der Abgeordneten bei der Beschlussfassung über die drei Agrargesetze des Jahres 1883 ihren Niederschlag: So schilderte der Abgeordnete Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, folgende Begebenheiten: „Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde – ich muss sagen als wirklich zu beklagender Kurator – derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe, welche 900 Metz sehr gute Gründe betragen, besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. Nun ist es wohl voraussichtlich, welchen Erfolg ich eben als Kurator in dem Prozess haben werde. Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden und so, meine Herren, geht es in sehr vielen, ja in den meisten Fällen.“ (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9234)

Auch in Niederösterreich stellten sich bald nach Einrichtung der neuen politischen Ortsgemeinden Streitigkeiten ein, welche den Abgeordneten Kopp, Mitglied des Commassionsausschusses, am 22. Februar 1883 im Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, als über die neuen Agrargesetze debattiert wurde, zu folgender Äußerung veranlassen: „Ich kann den Herren versichern, dass im Lande Niederösterreich vielleicht augenblicklich kein Gesetz so notwendig ist und so sehr gewünscht und tagtäglich von den Gemeinden erbeten wird, als das vorliegende. Die Verwirrung und der Streit haben bereits eine ganz unerträgliche Höhe erreicht; … kurz es ist eine geordnete Gemeindewirtschaft bei den bisherigen Zuständen gar nicht möglich. … Denn selbst wenn man … sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir … dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“ Gemeint war das Reichsrahmengesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte (TRRG 1883), RGBl 1883/94 vom 7.6.1883, die Grundlage aller Flurverfassungs-Landesgesetze der heutigen Bundesländer.

Genauso wenig wie heute in Tirol hatte man in Niederösterreich und in Böhmen 1883 jene Sätze beherzigt, welche Julius Weiske schon im Jahr 1849 den politischen Akteuren ins Stammbuch schreiben wollte: „So wären denn die Gemeinden darüber aufzuklären, wie diese Güter entstanden sind, wie die jetzt bevorzugt erscheinenden Mitglieder die rechtlichen Nachfolger derer sind, welche, als sie die ganze Flur in Besitz nahmen, die jetzt sog. Gemeindegüter ungeteilt ließen, um sie gemeinschaftlich oder nach bestimmt festgesetzten Anteilen für sich zu benutzen. Dabei muss man in Erwägung ziehen, dass die, welche jene Einrichtung trafen, ebenso gut, wenn es ihr Interesse erfordert hätte, jene ungeteilt gebliebenen Grundstücke sich hätten zuteilen und zu ihren Äckern oder Privatgütern schlagen können. Wäre dies geschehen, so würde niemand behaupten: Da wir jetzt alle wirkliche Gemeindeglieder, gleichberechtigt und gleich verpflichtet, sind, so darf auch kein Mitglied ein größeres Gut, mehr Wald usw. als ein anderes haben; oder: da Einzelne mehr Grund und Boden als Privatgüter in der Gemeinde besitzen als andere, so müssen jene diesen gewisse Teile abtreten. Obige Beschaffenheit der sog. Gemeindegüter hat sich freilich nur in gewissen Gemeinden erhalten, während andere dieser Güter im Laufe der Jahrhunderte mannigfaltigen Schicksalen unterlagen.“ (Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder nach den Bestimmungen der neuen Gemeindegesetze, insbesondere in Württemberg, Hessen und Baden, nebst beurteilender Darstellung des neuen österreichischen Gemeindegesetzes, Leipzig 1849, 10)

3. Das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883

Das Reichsrahmengesetz betreffend die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Grundstücke (TRRG 1883), RGBl 1883/94 vom 7.6.1883, wollte einem dringenden Bedürfnis in diversen Kronländern entgegen kommen, die Rechtsverhältnisse an Vermögenschaften, zu klären, welche aus der „alten Agrargemeinde“ stammten. So heißt es in den Erläuternden Bemerkungen zum Gesetzesentwurf betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse ausdrücklich, dass die Bestimmungen des § 1 Z 2 (in der Endfassung lit b) des Entwurfes diejenigen Grundstücke zum Gegenstande haben, welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben. Entsprechend dem Rechtsverständnis des historischen Gesetzgebers hätten sich demnach die „Überreste der alten Agrargemeinde“ unter den Bezeichnungen „Gemeindegut“ oder „Gemeingut“ bei mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnissen innerhalb der modernen (politischen Orts-)Gemeinde erhalten – wobei vorauszusetzen ist, dass der historische Reichsgesetzgeber sich bei dieser Äußerung auf den ganzen Bogen der historischen Kronländer der cisleithanischen Reichshälfte bezog. (43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33)

a) „Commassionsbehörden“ entscheiden über „Gemeindegründe“

Der Bericht des Commassionsausschuss setzte als selbstverständlich voraus, dass die für eine Aufteilungsentscheidung zuständige neue Behörde auch „in Betreff der etwa bestrittenen Vorfrage, ob das Grundstück zu den in § 1 bezeichneten Kategorien gehöre, und wer daran eigentums- und nutzungsberechtigt sei,“ zu entscheiden habe. (582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session)

Warum diese ausschließliche Kompetenz der neuen „Commassionsbehörden“ zur Entscheidung und Regelung aller diesbezüglichen Rechtsverhältnisse für nötig erachtet wurde, zeigt ein Debattenbeitrag des Berichterstatters des Commassionsausschusses Zak: „Wenn wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder der Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir hier in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden, und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen.“ (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9234) Der historische Gesetzgeber hat sohin die (politisch) gemeinderechtlichen Regelungen für unzulänglich erachtet, um die Rechtsverhältnisse am Vermögen der „alten Agrargemeinden“ rechtskräftig zu entscheiden. Als Beispiel sei nur der Beitrag des Regierungsvertreters v Rinaldini (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221) angeführt: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst dem so genannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, diese wagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuell, wo eine solche unangefochtene Übung nicht besteht, Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden?“

Das Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates beschloss das TRRG 1883 nach einer durchaus emotionalen Debatte am 22. Februar 1883 in der vom Commassionsausschuss vorgelegten Fassung. Jene Abgeordnetengruppe, welche das Gemeindeeigentum aus der Entscheidungskompetenz der neuen Commassionsbehörden auszunehmen versucht hatte, konnte sich mit ihrem Anliegen nicht durchsetzen. Diese wollten mit folgendem Zusatzantrag erreichen, dass das Gesetz für agrarische Liegenschaften, die nach der Gemeindeordnung verwaltet werden, unanwendbar wird: „Ausgenommen von den obigen Bestimmungen sind jene das Eigentum einer Gemeinde oder eines Teils derselben bildenden Grundstücke, bezüglich deren die Bestimmungen über die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte in den ausschließlichen Wirkungskreis der Landesgesetzgebung gehören“ (sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9220) Der Antrag ist im Abgeordnetenhaus gescheitert (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, 268. Sitzung der IX Session am 22. Februar 1883, Seiten 9235)

Im Abgeordnetenhaus beschloss man sogar noch eine Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches der Agrarbehörden: Ausdrücklich auch nicht agrarisch genutzte Vermögenschaften in die Kompetenz der neuen Behörden einbezogen. Es handelt sich dabei um die Regelung des § 2 lit g TRRG 1883, wonach die Landesgesetzgebung zu regeln hätte, ob sich diese Verfahren betreffend Teilung und Regulierung „nur auf Grundstücke oder auch auf andere unbewegliche oder auch auf bewegliche Vermögenschaften“ zu beziehen hätten.

b) Das Eigentum der Agrargemeinde

Gemäß den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage hatte die Bestimmung des § 1 lit b TRRG 1883 jene Grundstücke zum Gegenstande, „welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben“. (43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33) Gemäß § 2 lit g TRRG 1883 sollten für einen umfassenden Ausgleich und zur Erzielung einer insgesamt angemessenen Lösung nicht nur agrarisch genutzte Liegenschaften, sondern auch „andere unbewegliche oder auch bewegliche Vermögenschaften“ in die Regulierungsverfahren einbezogen werden, weil „dieses andere unbewegliche und das bewegliche Vermögen sehr häufig nichts weiter ist, als ein Ersparnis jener Klassenberechtigter, Nutzungsberechtigter, welche damit unter Umständen das Gemeindehaus, die Schule usw. erbaut haben“. (So ausdrücklich der Abgeordnete Kopp, Mitglied des Commassionsausschusses, in seinem Debattenbeitrag, sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9223)

Der Commassationsausschussbericht erläuterte speziell zu § 1 TRRG 1883, dass es bei dieser Tätigkeit der Behörde „nicht sosehr um die Auseinandersetzung unter den Genossen selbst, als vielmehr um die Auseinandersetzung zwischen den Genossen einerseits, und den Gemeinden als solchen andererseits“ gehe. (582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 13) Kurz: Mit dem TRRG 1883 sollte in Form eines Reichsrahmengesetzes die Grundlage dafür geschaffen werden, dass die Landesgesetzgebung eine Behörde einrichten konnte, welche in umfassender Weise alle Rechtsverhältnisse am historischen Vermögen der „alten Agrargemeinden“ klären und rechtskräftig entscheiden, insbesondere über das Eigentum an diesen Vermögenschaften und deren Verwaltung absprechen sollte. Dies geschah als Konsequenz daraus, dass man innerhalb der neuen politischen Gemeinden offensichtlich nicht in der Lage gewesen war, die Bestimmungen der § 26 Prov. GemG 1849 bzw § 11 der Regierungsvorlage zu den Ausführungsgesetzen zum Reichsgemeindegesetz 1862 zu vollziehen.

4. Tirol ist mit Gesetzesumsetzung säumig

Das TRRG 1883 überließ es ausdrücklich den jeweiligen Landtagen, für das betreffende Kronland ein Ausführungsgesetz zu schaffen. Während Mähren, Kärnten, Niederösterreich, Krain und Schlesien noch im Zeitraum 1884 – 1887 entsprechende Ausführungsgesetze erließen, sah man in Tirol hierfür keinen entsprechenden Anlass. 2099 eingeleitete (und teils abgeschlossene) agrarische Operationen bis zum 31.12.1906 in den Ländern, die ein Ausführungsgesetz beschlossen hatten, motivierten jedoch den Agrarausschuss auch in den säumigen Ländern Tirol, Steiermark und Oberösterreich eine entsprechende Gesetzesvorlage in den Landtage einzubringen.

Jene Konflikte innerhalb der neuen politischen Ortsgemeinde, welche in den Debattenbeiträgen im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates am 22. Februar 1883 beispielsweise für die Niederösterreichischen Gemeinden geschildert werden, waren in Tirol offensichtlich unbekannt – genauso wie gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den „Altberechtigten“ und der neuen politischen Gemeinde, wie sie in Böhmen gang und gäbe waren. Der Hintergrund für diese Konflikte ist leicht nachvollziehbar: Die Grundentlastung hatte die auf Großgrundbesitz angesiedelte Bauernschaft zu Eigentümern von Grund und Boden gemacht, wodurch diese den neuen Status als Steuerzahler und damit wahlberechtigte Gemeindeglieder erlangten. Diesen neuen Gliedern der politischen Ortsgemeinde standen Mitglieder der alten Gemeinden gegenüber, welche bis zu diesem Zeitpunkt unter Ausschluss der auf Herrschaftsgütern angesiedelten Bauernschaft als „alte Agrargemeinde“ organisiert waren. Bis zu den Reformen der Jahre 1848 ff waren die Dominicalgüter, das heißt der adelige Großgrundbesitz samt der dort angesiedelten abhängigen Bauernschaft, nicht Teil der „alten Gemeinde“. Die Entstehung einer zahlenmäßig starken neuen Mitgliedergruppe hatte in den betroffenen Gebieten das verständliche Bedürfnis der Altberechtigten geweckt, den Gemeinschaftsbesitz für sich abzugrenzen. Schließlich hatte die auf den Herrschaftsgütern (Dominicalgütern) angesiedelte Bauernschaft daran nie teilgenommen. Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe, 46 ff, wollte den Konflikt dh durch Gesetzesänderung lösen, indem den „Domicalisten“ (dh der ehemals abhängigen Bauernschaft auf Herrschaftsgütern) aufgrund Übereinkunft der Einkauf in das „Gemeindevermögen“ (gemeint Klassenvermögen der Altberechtigten) gestattet würde (aaO, 53). Schiff bewältigte knapp 20 Jahre später diesen Konflikt in der Form, dass er – entgegen einer eindeutigen Gesetzeslage – das Klassenvermögen der neuen politischen Gemeinde zuordnete (Österreichs Agrarpolitik, 202). Schiffs späteres Engangment für die kommunistisch-marxistische Bewegung ist hier bereits vorgezeichnet

Die Tiroler Verhältnisse unterschieden sich von denjenigen der anderen Kronländer. Vereinfacht ausgedrückt muss man sich sämtliche Tiroler Landgemeinden als „Adelsgut“ des Landesfürsten vorstellen, der aus der Sicht des Jahres 1883 bereits seit Jahrhunderten im fernen Wien ansässig war. Die Tiroler Landesfürsten hatten über Jahrhunderte in Tirol ihre wesentlichen Einnahmen aus den Bergwerken und der Saline bezogen; zur Sicherung dieses Reichtums hatte man einflussreiche Hochadelsgeschlechter als mögliche Konkurrenten um die Landesherrschaft frühzeitig verdrängt. Der Bauernschaft wurde unter dem Gedanken eines „Gleichgewichtes der Macht“ – neben dem Adel, der hohen Geistlichkeit und den Bürgern die Landstandschaft zugestanden. In Ermangelung großer Adelsgüter mit einer dort lebenden, außerhalb der Gemeinde stehenden Bevölkerung mit landwirtschaftlichem Hintergrund sind Konflikte wie in Niederösterreich oder Böhmen erst gar nicht entstanden.
Die nicht landwirtschaftlich orientierten Gemeindeglieder hatten sich mit ihrer Nichtbeteiligung an den Gemeinschaftsliegenschaften der Bauernschaft abgefunden; anderenfalls hätte man beispielsweise 1956 in Lermoos nicht feststellen können, dass die „alte Wagnerwerkstätte“, welche 1799 errichtet worden war, nie mit einem Holzbezugsrecht aus dem „Gemeindewald“ ausgestattet gewesen war. ((Zur erfolglosen Beschwerde der Mächler von Ehrwald, Lermoos und Biberwier gegen ihren Ausschluss aus der holzbezugsberechtigten Gemeinde anno 1847: Kohl, Die Forstservitutenablösung im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847, 137f)

In Ermangelung neuer Mitglieder in der Gemeinde, welche der angestammten Bauernschaft die Benützung der Gemeinschaftsliegenschaften streitig gemacht hätten, wurden die Gemeinschaftsliegenschaften – unberührt von den Vorgängen im Osten des heutigen österreichischen Bundesgebiets – „innerhalb der Gemeinde“ verwaltet wie in den Jahrhunderten zuvor. Die Rechtsgrundlage dafür, eine stillschweigende Beauftragung nach bürgerlichem Recht mit dem Vermögensverwaltungsrecht der Gemeindeordnungen als lex contractus, wurde oben ausführlich dargestellt. Wegen weitestgehender Identität der handelnden Personen und der Nutzungsberechtigten, war diese unter den damaligen Verhältnissen völlig unproblematisch.
Zusätzlich mag auch ein weiterer Unterschied zwischen Tirol und den meisten anderen Ländern der Habsburgermonarchie eine Rolle spielen, nämlich der Umstand, dass in Tirol das moderne Grundbuch erst mit bedeutender Verzögerung eingeführt wurde: Kohl, Territoriale Rechtsvielfalt und gesamtstaatliche Rechtsvereinheitlichung in der Habsburgermonarchie: Die Einführung des Grundbuchs in Tirol, in: Christoph Haidacher / Richard Schober (Red), Bericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck, Innsbruck 2006, 248ff

5. 1909: Das Bodenreformrecht kommt nach Tirol

Am 19. Juni 1909 wurde – 23(!) Jahre nach Erlassung des Reichsrahmengesetzes TRRG 1883 – das Tiroler Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte verabschiedet – LGBl 1909/61 (TRLG 1909). Bezeichnend ist, dass nicht etwa eine Initiative des Tiroler Landtages Anlass dafür war. Vielmehr hatte der landwirtschaftliche Ausschuss des Abgeordnetenhaus des Reichsrates am 15. Jänner 1908 die Regierung aufgefordert, die Gesetzesvorlagen über agrarische Operationen in jenen Ländern, in welchen dieselben noch nicht eingeführt waren, den betreffenden Landtagen zu unterbreiten. Irgendwelche Konflikte wegen des gemeinschaftlichen Privatbesitzes der Stammliegenschaftsbesitzer waren in den Tiroler Gemeinden nach wie vor nicht zu Tage getreten. Die Stammliegenschaftsbesitzer, welche die politischen Landgemeinden vollständig dominierten, hatten in vielen Fällen zwischenzeitlich ihren gemeinschaftlichen Privatbesitz in „bester Eintracht“ gemeinsam mit dem öffentlichen Eigentum der politischen Ortsgemeinde den Grundbuchanlegungskommissionen zur Registrierung gemeldet. Ein besonderes Erfordernis, gemeinschaftlichen Privatbesitz von öffentlichem Eigentum zu unterscheiden, wurde in der Regel nicht erkannt.

Bemerkenswert ist, dass weder im Bericht des Agrarausschusses vom 20.10.1908 zu den drei agrarischen Gesetzesvorlagen an den Tiroler Landtag (404 der Beilagen zu den sten. Berichten des Tiroler Landtages X. Periode, I. Session 1908), noch in den Debattenbeiträgen der Abgeordneten zum Tiroler Landtag am 27. und 29. Oktober 1908 mit einem Wort davon die Rede ist, dass die neu einzurichtenden Agrarkommissariate auch die Aufgabe haben würden, historisches Eigentum der alten Agrargemeinden vom Eigentum der politischen Ortsgemeinden abzugrenzen. (Sten. Berichte des Tiroler Landtages, 20. Sitzung der 1. Session der X. Periode, am 27. und 29. Okt. 1908) Die Regulierung des Gemeinschaftseigentums war im Jahr 1908 nur insofern ein aktuelles Thema, als der Zustand der Almweiden beklagt und die Regelung der Verwaltung derselben als besondere vordringlich bezeichnet wurde. Der Ausschussbericht präsentierte darüber hinaus statistische Daten zu den Gemeinschaftsliegenschaften, welche allerdings ausdrücklich als ungenau deklariert wurden, weil die Verhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften als unsicher erkannt waren. Der Ausschussbericht dazu: „Durch das Teilungsregulierungslandesgesetz wird zweifelsohne eine große Anzahl von Agrargemeinschaften aufgedeckt werden, welche bisher selbst von die hiebei Beanteiligten nicht als solche Rechtsgebilde erkannt worden sind.“ (404 der Beilagen zu den sten. Berichten des Tiroler Landtages X. Periode, I. Session 1908, 4) Im Übrigen erwähnte der Ausschussbericht nur am Rande, dass auch das einer gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 9. Jänner 1866, LGBl Nr 1/1866 unterliegende Gemeindegut einer Regelung bedürftig sei, wofür das neue Gesetz die Grundlage biete. (404 der Beilagen zu den sten. Berichten des Tiroler Landtages X. Periode, I. Session 1908, 4)

§ 3 Abs 2 TRLG 1909 anerkennt ausdrücklich, dass Gemeinschaftsliegenschaften bis zur Regulierung der Verwaltung in körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaften auch durch die politische Gemeinde verwaltet werden können. Der Landesgesetzgeber genehmigte diese Praxis nicht nur ausdrücklich, er schien vielmehr vorauszusetzen, dass die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften zumindest teilweise nach der TGO 1866 zu erfolgen habe bzw in der TGO 1866 geregelt sei: „Die Regulierung der Verwaltungsrechte bezüglich gemeinschaftlicher Grundstücke findet … nur insofern statt, als die Verwaltung … nicht schon durch die Gemeindeordnung … geregelt ist, oder insofern … noch besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung … notwendig erkannt werden.“

Wo die Gemeinschaftsliegenschaften innerhalb der politischen Ortsgemeinde verwaltet wurden, sollte dies auch so bleiben, es sei denn, besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung würden für notwendig erkannt (§ 3 Abs 2 letzter HS TRLG 1909). Solange die Stammliegenschaftsbesitzer die politische Gemeinde dominierten, war eben nicht ersichtlich, warum deren gemeinschaftliches Privateigentum in eine anderweitige Organisationsstruktur überführt werden sollte. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Regierungsvorlage aus dem Jahr 1908 und der beschlossene Gesetzestext vom 19.07.1909 ausdrücklich auf die Möglichkeit von rechtsirrigen Eigentumseinverleibungen zu Gunsten der (politischen) Gemeinden einging und anordnete, dass diesfalls bei Regulierung der Verwaltung in einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft die politische Ortsgemeinde nicht mit einem (walzenden) Anteilsrecht zu bedenken sei. (§ 70 Abs 3 letzter TRLG 1909)

6. „Gemeindegut“ ist nicht „Gemeindegut“

Als ein wesentliches Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Wurzeln des heutigen Agrarrechts ist festzuhalten, dass der Reichsrahmengesetzgeber des Jahres 1883 die Begriffe „Gemeindegut“ und „Gemeingut“ gleichbedeutend für Liegenschaftsvermögen verwendete, welches sich als Überrest der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten hatte (43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33). Das Agrarrecht (= Recht der Bodenreform) definierte damit einen vom politischen Gemeinderecht abweichenden Begriff des „Gemeindegutes“. Insbesondere wurde darunter auch jenes Vermögen verstanden, welches sich auf die „alten Agrargemeinden“ zurückführte, somit – aus der Sicht des politischen Gemeinderechts – „Klassenvermögen“ (§ 26 Prov. GemG, § 12 TGO 1866) darstellte.
Konsequenter Weise hat die Vbg. Landesregierung in ihrer Äußerung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 einleitend auf dieses völlig unterschiedliche Bild des „Gemeindegutes“ in den Bodenreformgesetzen einerseits und den politischen Gemeindeordnungen andererseits hingewiesen: Betrachte man die maßgebliche Bestimmung des § 1 Abs. 1 lit. b des Reichsrahmengesetzes vom 7.6.1883 (TRRG 1883), so folge daraus, dass die Bodenreformgesetzgebung offenbar davon ausging, dass die zur Verwaltung des Gemeindegutes berufene Gemeinde nichts anderes sei als die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten, dass das Gemeindegut somit gemeinschaftliches Eigentum der Nutzungsberechtigten und die Nutzungsrechte Ausfluss der Mitgliedschaft an dieser Agrargemeinschaft wären. Dieses Bild von der Rechtsnatur des Gemeindegutes würde sich auch aus der Rechtsprechung des Obersten Agrarsenates (Beispielsweise 139-OAS/65) ergeben, wenn dieser meine, dass die Gemeindegutnutzungen Rechte an eigener Sache wären. (Äußerung der Vbg. Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982, wiedergegeben im Erkenntnis Zu 35, 36 Pkt I Z 4 Abs. 3 und 4)
In dieselbe Richtung ging die Äußerung der Sbg. Landesregierung in diesem Verfahren, wonach in Sbg. im Zuge der Servitutenablösung Waldgrundstücke nicht an einzelne, sondern (formell) nur an ganze „Gemeinden“ abgetreten wurden. Es handle sich aber nicht um Gemeinde-, sondern um Gemeinschaftswälder, sodass später das Eigentum den aus den Nutzungsberechtigten gebildeten Agrargemeinschaften zugesprochen worden sei. Dies sei rechtmäßig erfolgt, weil die Grundflächen als Ablösung für alte Nutzungsrechte aus dem Staatswald übertragen wurden. (Äußerung der Sbg. Landesregierung, wiedergegeben im Erkenntnisteil Zu 35, 36 Punkt I Z 4 Abs. 11 VfSlg 9336/1982) Sowohl die Vbg. Landesregierung als auch die Sbg. Landesregierung bezogen sich mit diesen Äußerungen klar auf das Eigentum der alten Agrargemeinde, welches streng von demjenigen der politischen Ortsgemeinde zu unterscheiden ist.

Im Begründungsteil des Erk Slg 9336/1982 Punkt III Z 1 Abs. 2 des Erk Slg 9336/1982 setzte sich der VfGH mit diesen Einwänden der Landesregierungen von Vorarlberg und Salzburg auseinander und stellte dazu klar, dass das von ihm zu beurteilende Gemeindegut gemäß den politischen Gemeindegesetzen in den zu prüfenden Gesetzesbestimmungen neben den (Gemeinschafts-)Grundstücken genannt würde, die in Ausführung der Servitutenregulierungsgesetze einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten in das Eigentum abgetreten worden seien. Die von der Sbg. Landesregierung beschriebene Erscheinung „der Gemeinde“ als Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer hätte im Flurverfassungsrecht ihren Niederschlag gefunden, wäre jedoch für das Gesetzesprüfungsverfahren im Zusammenhang mit dem Gemeindegut im Eigentum der politischen Ortsgemeinde nicht relevant. (VfGH Punkt III Z 1 Abs. 2 Erwägungsteil, VfSlg 9336)

Dem ist nichts hinzuzufügen. Somit kann auch das Erk 9336/1982 als Belegstelle gegen die von einigen Autoren unterstellte generelle Vermögensüberführung von der historischen Agrargemeinde auf die politische Ortsgemeinde aufgerufen werden. (vgl Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 187 ff) Das Phänomen der Gemeinde, welche als Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer in Erscheinung tritt und in den Flurverfassungsgesetzen seinen Niederschlag gefunden habe, wird ausdrücklich anerkannt. Wäre das Vermögen der alten Agrargemeinde auf die politische Ortsgemeinde überführt worden, könnte es ab dem Jahr 1866 in Tirol keine „Überreste der alten Agrargemeinden“ mehr geben. Die „alten Agrargemeinden“ wären infolge „Kommunalisierung ihres Vermögens“ untergegangen. Dass sich der VfGH im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 mit diesem Phänomen nicht weiter auseinandersetzte, darf nicht verwundern, weil der Verfahrensgegenstand eben ein anderer war, nämlich das Gemeindegut im Sinn der politischen Gemeindegesetze. Wenn der VfGH freilich eine aus Nutzungsberechtigten zusammengesetzte Gemeinde (= Agrargemeinde) anerkennt, wäre es auch möglich gewesen, dieser Gemeinde ein „Gemeindegut“ (= agrarrechtliches Gemeindegut) zuzuordnen und dem Begriff für das Recht der Bodenreform einen eigenständigen Begriffsinhalt zu erhalten. Eine völlig unterschiedliche Bedeutung ein und desselben Begriffes „Gemeindegut“ im politischen Gemeinderecht einerseits und im Agrarrecht andererseits hat der Gerichtshof jedoch nicht akzeptiert. (Ausführlich dazu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 223ff)

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Die Agrarbehörde – Gesetzlicher Richter über Gemeindegut

Karl Peyrer, nach Erhebung in den Adelstand: Karl Peyrer von Heimstätt (* Putzleinsdorf, OÖ, 11. 1. 1819; † Wien, 11. 4. 1883), war Jurist und wissenschaftlicher Autor, zuletzt Ministerialrat im Ackerbauministerium und Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten. Karl Peyrer ist der Vater des Österreichischen Agrarrechts. Nach Absolvierung der juridisch-politischen Studien in Wien (1838–1842) und nach dem Rechtspraktikum beim Stadt- und Landrecht in Linz, begann er 1843 bei verschiedenen oberösterreichischen Patrimonialgerichten die richterliche Laufbahn, die er nach Auflösung der Patrimonialgerichtsbarkeit 1850 im Staatsdienst fortsetzte. 1857 wechselte er zur Lokalkommission für Grundlastenablöse (Kirchdorf a.d. Krems und Spital a. Pyhrn); 1861 wurde er in das Innenministerium in das Grundentlastungsdepartment berufen. 1868 kam er als Ministerialsekretär an das neuerrichtete Ackerbauministerium, 1870: Beförderung zum Sektionsrat; 1875: Beförderung zum Ministerialrat. Von 1876 bis 1882 war Karl Peyrer Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten; 1882 trat er krankheitshalber in den Ruhestand. Im Jahr 1883, jenem Jahr, in dem der Österreichische Reichsrat die drei agrarischen Reichsgesetze verabschiedete, wurde Karl von Peyrer in den Adelstand erhoben. Karl Peyrer von Heimstätt hat gleich mehrere juristische Grundlagenarbeiten verfasst: 1869: Die Arrondierung des Grundbesitzes und die Anlegung gemeinschaftlicher Feldwege; 1873: Die Zusammenlegung der Grundstücke, die Regelung der Gemeingründe und die Ablösung der Forstservituten in Österr. und Deutschland; 1874: Fischereibetrieb und Fischereirecht in Österreich; 1880: Das österr. Wasserrecht, 3. Aufl. 1898; 1884: Denkschrift betreffend die Erbfolge in landwirtschaftlichen Gütern und das Erbgüterrecht nebst einem hierauf bezüglichen Gesetzentwurf und andere mehr.
Karl Peyrer, nach Erhebung in den Adelstand: Karl Peyrer von Heimstätt (* Putzleinsdorf, OÖ, 11. 1. 1819; † Wien, 11. 4. 1883), war Jurist und wissenschaftlicher Autor, zuletzt Ministerialrat im Ackerbauministerium und Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten. Karl Peyrer ist der Vater des Österreichischen Agrarrechts. Nach Absolvierung der juridisch-politischen Studien in Wien (1838–1842) und nach dem Rechtspraktikum beim Stadt- und Landrecht in Linz, begann er 1843 bei verschiedenen oberösterreichischen Patrimonialgerichten die richterliche Laufbahn, die er nach Auflösung der Patrimonialgerichtsbarkeit 1850 im Staatsdienst fortsetzte. 1857 wechselte er zur Lokalkommission für Grundlastenablöse (Kirchdorf a.d. Krems und Spital a. Pyhrn); 1861 wurde er in das Innenministerium in das Grundentlastungsdepartment berufen. 1868 kam er als Ministerialsekretär an das neuerrichtete Ackerbauministerium, 1870: Beförderung zum Sektionsrat; 1875: Beförderung zum Ministerialrat. Von 1876 bis 1882 war Karl Peyrer Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten; 1882 trat er krankheitshalber in den Ruhestand. Im Jahr 1883, jenem Jahr, in dem der Österreichische Reichsrat die drei agrarischen Reichsgesetze verabschiedete, wurde Karl von Peyrer in den Adelstand erhoben. Karl Peyrer von Heimstätt hat gleich mehrere juristische Grundlagenarbeiten verfasst: 1869: Die Arrondierung des Grundbesitzes und die Anlegung gemeinschaftlicher Feldwege; 1873: Die Zusammenlegung der Grundstücke, die Regelung der Gemeingründe und die Ablösung der Forstservituten in Österr. und Deutschland; 1874: Fischereibetrieb und Fischereirecht in Österreich; 1880: Das österr. Wasserrecht, 3. Aufl. 1898; 1884: Denkschrift betreffend die Erbfolge in landwirtschaftlichen Gütern und das Erbgüterrecht nebst einem hierauf bezüglichen Gesetzentwurf und andere mehr.

 

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Bekanntlich wird das Mieders-Verkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von 2008, VfSlg 18.446/2008, in allen Österreichischen Bundesländer kräftig ignoriert. Nur Tirol ist anders. Das Mieders-Verkenntnis, das Österreichweit kräftig ignoriert wird, ist in Tirol „Eisern Gesetz“ – dank LH Günther Platter! In Tirol wird dieses Verkenntnisses mit Vehemenz und Härte umgesetzt –  entsprechend der Vorgabe des LH Günther Platter „auf Punkt und Beistrich“. Subjektiv glaubt LH Platter in die Zukunft zu weisen; tatsächlich weist er in die dunkle Vergangenheit (Zurück in´s Mittelalter).

Den Grund dafür, dass Tirol hier einen anderen Weg gegangen ist als alle anderen Bundesländer, wird man primär in den Vorgaben der Landespolitik zu suchen haben. Wenn es in Vorarlberg möglich war, den „Gemeindegutirrsinn“ zu stoppen, so wäre es natürlich auch für Tirol  möglich gewesen, einen solchen Weg zu beschreiten. Aber in Tirol wollten die Landespolitiker – allen voran Landeshauptmann Günter Platter – die vollständige Enteignung aller Agrarier. Und diese Vorgabe hat die Agrarbehörde nach Kräften erfüllt.

Geradezu massenhaft wurden rechtskräftige, historische Bescheide der Agrarbehörde von Amtswegen oder auf Antrag von Ortsgemeinden als angeblich „offenkundig verfassungswidrig“ behördlich ignoriert und durch neue Bescheide ersetzt, mit denen die Substanz des agrargemeinschaftlichen Vermögens (das ist das Eigentumsrecht!) den  Ortsgemeinden zugesprochen wurde.

Die rechtskräftigen Anteilsrechte der Agrargemeinschaftsmitglieder wurden stillschweigend enteignet;  anstelle der bisherigen Mitglieder „regiert“ alleine die Ortsgemeinde. Der Ortsgemeinde soll das Eigentumsrecht zustehen; die bisher aliquot Anteilsberechtigten Mitgliede besitzen nur mehr ein, auf einen nachzuweisenden Bedarf eingeschränktes Nutzungsrecht. Wen wundert es, dass allerorten in Tirol der Eindruck entsteht, dass Bescheide der Agrarbehörde wertlose Papierfetzen wären, die jeder politischen Willkür zu weichen hätten.

Dem ist freilich nicht so. Nur die richterliche Willkür im Mieders-Verkenntnis lässt diesen Eindruck entstehen. Nur richterliche Willkür im Mieders-Verkenntnis 2008 konnte eine angebliche Pflicht der Agrarbehörde erfinden, rechtskräftige Bescheide zu ignoriere und den Ortsgemeinden das Eigentum („Substanzrecht“) zuzuschanzen.

Tatsächlich sind rechtskräftige Bescheide der Agrarbehörde nicht weniger verbindlich und unabänderlich wie andere, staatliche Rechtsakte, die in Rechtskraft erwachsen. Die Art und Weise, wie im Mieders-Verkenntnis 2008 damit umgegangen wird, ist übelste Rabulistik und dem Rechtsstaat zutiefst abträglich!

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Gesetzlicher Richter über Gemeindegut

 

ÜBERSICHT:
MYSTERIUM AGRARBEHÖRDENBESCHEID?
ANFÄNGE DER AGRARISCHEN OPERATION
GRUNDLAGENARBEIT DURCH KARL PEYRER
„FELDSTUDIE“ IN NIEDERÖSTERREICH
DER STREIT UM „GEMEINDEGUT“
EIGENTUMSFRAGE UND GEMEINDEGUT
ZUSAMMENFASSUNG

 

Abstract:
Die Bescheide der Agrarbehörde erscheinen im Licht des Tiroler Agrarstreits als „Papiere ohne Wert“. Jahrzehnte alte Erkenntnisse, mit denen rechtskräftig über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gut entschieden wurde, werden auf den Kopf gestellt. Der Einwand einer rechtskräftigen Entscheidung scheint keine Geltung zu haben. Dem ist jedoch in Wahrheit nicht so. Ausdrücklich bestimmen die einschlägigen Gesetze, dass Bescheide und protokollierte Vergleiche der Agrarbehörde exakt dieselbe Wirkung entfalten wie gerichtliche Urteile und vom Gericht protokollierte Vergleiche: Sie unterliegen der Rechtskraftwirkung und sie sind vollstreckbar. (§ 14 Agrarbehördengesetz)

MYSTERIUM AGRARBEHÖRDENBESCHEID?

Bereits im Jahr 1883 als die Agrargesetzgebung mit den so genannten „drei agrarischen Reichs-Grundsatzgesetze“ ihren Ausgang nahm, hat der Gesetzgeber die „Commassionsbehörden“ (= heute „Agrarbehörden“) als Alternative zu den Zivilgerichten geschaffen. Diese Behörden sollten eine ausschließliche Zuständigkeit besitzen für besondere Verfahren, die zur reformatorischen Umgestaltung historisch gewachsener Strukturen an land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften geschaffen wurden. Alle Erkenntnisse und Bescheide, die in diesen Verfahren gefällt wurden, haben die Wirkung von gerichtlichen Urteilen. Die neuen Verfahren zur reformatorischen Gestaltung und Entscheidung der Rechtsverhältnisse an den historisch gewachsenen, oft unwirtschaftlichen agrarischen Eigentumsstrukturen waren: Das „Commassionsverfahren“ (= heute „Zusammenlegungsverfahren“), das zum Ziel hatte, die durch historische Teilungen entstandene Zersplitterung im landwirtschaftlichen Eigentum zu beseitigen; das Verfahren zur Beseitigung der Enklaven im Waldland, welches bereinigte Forststrukturen schaffen sollte, und die Teilungs- und Regulierungsverfahren, welche schlecht bewirtschaftete Gemeinschaftsgüter in intensiv genutztes Einzeleigentum aufteilen (Teilungsverfahren) oder geordnete Verwaltungs- und Nutzungsstrukturen schaffen sollten (Regulierungsverfahren). Diese Verfahren werden gemeinschaftlich als „agrarische Operationen“ bezeichnet.

Alle Erkenntnisse der Commassionsbehörden und alle vor dieser Behörde geschlossenen Vergleiche wurden mit denselben Rechtswirkungen ausgestattet wie Zivilurteile (§ 12 TRRG 1883 ua). Der Reichgesetzgeber hatte zu diesem Zeitpunkt bereits positive Erfahrungen mit den „Landescommissionen“, die zum Vollzug des Servituten- Regulierungs- und Ablösungspatentes aus dem Jahr 1853 eingerichtet wurden. Auch deren Erkenntnisse und die vor diesen Kommissionen geschlossenen Vergleiche hatten ausdrücklich die Rechtswirkung zivilgerichtlicher Urteile. Auf Antrag einer Partei waren diese vom allgemeinen Zivilgericht zu vollstrecken (§ 38 Servituten-Regulierungs-Patent 1853). Eine Beseitigung der Rechtskraftwirkung solcher Erkenntnisse, Bescheide und Vergleiche mit der Behauptung, die Behörde hätte falsch (wegen Eigentumsverletzung „verfassungswidrig“) entschieden, ist gesetzlich genau so wenig vorgesehen wie im Gerichtsverfahren generell. Gerade im Gerichtsverfahren gibt es bekanntlich gar oft einen Verlierer, der glaubt, das Gericht hätte durch ein „Falschurteil“ in sein Eigentum eingegriffen! Bis heute haben solche Behauptungen niemanden interessiert.

ANFÄNGE DER AGRARISCHEN OPERATION

Karl Peyrer hatte mit seiner Grundlagenarbeit aus dem Jahr 1877 „Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse. Nebst einem Gesetzesentwurf über die Zusammenlegung der Grundstücke, die Ablösung und Regulierung der gemeinschaftlichen Nutzungsrechte und die Ablösung von nach dem Patente vom 5. Juli 1853 regulierten Nutzungsrechten samt Durchführungsverordnung, Formularien und Motivenberichten (Wien 1877) 43ff mit ausführlicher Erörterung der Ursachen hierfür“, die Basis dafür geschaffen, dass der Österreichische Gesetzgeber sind einen Phänomen widmete, das Jahrhunderte alt und als reale Erscheinung existent, trotzdem nur ganz konfuse rechtliche Ausgestaltung erfahren hatte: die „Gemeindegründe“.

Leopold Pfaff, Universitätsprofessor in Wien, brachte im Jahr 1884 die Rechtslage zu diesen Liegenschaften auf den Punkt: „Die Unklarheit, ob Gemeindeeigentum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigentums oder Gesellschaftsverhältnis zu Grunde liegend, welche rechtliche Stellung den Verwaltern dieses Vermögens zukomme usw. ist kaum zu lichten, die anzuwenden Rechtssätze bilden daher ein Hauptobjekt des Streits, und nur allzu oft sprechen in der Brust des Juristen, der den Fall unbefangen prüft, zwei Seelen – für und gegen den Kläger! Für wahr ein arger Mangel der bestehenden Gesetzgebung!“ (Pfaff, JBl 1884, 186).

GRUNDLAGENARBEIT DURCH KARL PEYRER

Karl Peyrer, der als Ministerialrat im k.k. Ackerbauministerium seine wissenschaftlichen Ambitionen auf die Ergebnisse seiner Inspektionsreisen in die verschiedensten Regionen in den zahlreichen Österreichischen Ländern stützen konnte, hatte die Rechtsproblematik um diese Liegenschaften klar erkannt: Es bestand eine extreme Rechtsunsicherheit betreffend Eigentum und Nutzungsrecht, mit ausufernden wirtschaftlichen Folgen. Peyrer: „So vollzieht sich in allen österreichischen Ländern, von der Wissenschaft und im Leben kaum beachtet, einer der merkwürdigsten sozialen Prozesse, durch welchen fast das gesamte Grundeigentum eine Umgestaltung erleidet. Von zwei Seiten angegriffen, verschwindet nach und nach das alte, früher allein herrschende, noch vor einem Jahrhundert weitaus überwiegende Gemeingut, das Gesamteigentum, um auf der einen Seite durch vollständige Aufteilung unter die einzelnen Gemeindeglieder dem Privateigentum, auf der anderen Seite dem Gemeindevermögen Platz zu machen.“ (Karl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 51)

Einen wesentlichen Grund für diesen Erosionsprozess erblickte Peyrer in einer „kaum glaublichen Sorglosigkeit und einer völligen Unklarheit und Verwirrung in den Bezeichnungen wie in den Begriffen, wenn es sich darum handelt, die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“(Peyrer, aaO, 46)

Sorglosigkeit und mangelndes dogmatisches Differenzierungsvermögen waren angesichts der sozio-ökonomischen Bedingungen allerdings leicht nachzuvollziehen, wie Albert Mair 1958 betonte: „Der Verschmelzungsprozess ging teilweise umso leichter vonstatten, als sich gerade in den extremen Bergbauerngebieten Ende des vorigen Jahrhunderts ein Unterschied zwischen der Realgemeinde und der politischen Gemeinde überhaupt nicht bemerkbar machte und sich der Kreis der Gemeindebewohner mit dem Kreis der Nutzungsberechtigten im Wesentlichen deckte. Den Bauern war daher ein Unterschied zwischen politischer und Wirtschaftsgemeinde unbekannt.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hg): Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 22 f )

„FELDSTUDIE“ IN NIEDERÖSTERREICH

Die Unkenntnis betreffend die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegründen“ reichte auch in Juristenkreise, wie Pfaff 1884 konstatierte: „Mancher Österreichischer Civilist dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den Niederösterreichischen Landtagsacten zu erfahren, ‚dass die Besitz und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar sind‘, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften‘) noch immer existieren, seit geraumer Zeit aber mit der Gemeinde identifiziert werden, dass die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde, bei der Benutzung des ‚Gemeindevermögens‘ aber wohl geltend zu machen wissen: ‚Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.’“ (Leopold Pfaff, JBl 1884, 185)

Pfaff nahm hier Bezug auf einen Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses an den Landtag, worin 1878 das Ergebnis mehrjähriger Ermittlungen festgehalten wurde: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg darauf anwendbar war. […] Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren.
Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. Man versuchte zuweilen diesen factischen Genuß aus dem Begriffe der Dienstbarkeit zu erklären, das ist aber nicht nur historisch grundfalsch, sondern auch den thatsächlichen Zuständen nicht entsprechend. Da man nun kein Schubfach fand, in welches man diese Rechtsverhältnisse stecken konnte, so ließ man sie einfach als weiter nicht definierbare Nutzungsrechte gelten. Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“ (Bericht des NÖ Landesausschusses betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigenthums (Nr XXVII der Beilagen der Sten Prot des Niederösterreichischen Landtages V. Wahlperiode 1878; Referent Dr. Josef Kopp)

DER STREIT UM „GEMEINDEGUT“

Karl Peyrer hatte 1877 festgestellt, dass in Zeiten, in denen die politische Gemeinde vom Staat und seinen Organen begünstigt würde, oft schon der bloße Name genüge, um das Vermögen der Nutzungsgenossenschaft ganz der politischen Gemeinde zuzuweisen. In diesem Zusammenhang zitierte er Francis Bacon: Der Mensch glaube, mit seinem Verstande den Worten zu gebieten, obwohl öfters die Worte seinen Verstand unterwerfen. Damit ist das Problem zeitlos auf den Punkt gebracht: Wenn und solange der Erkenntnis emotionale Barrieren entgegenstehen, wird die von Leopold Pfaff beklagte „Unklarheit, ob Gemeindeeigenthum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigenthums oder Gesellschaftsverhältnis“, die Rechtswissenschaft noch länger begleiten und eine Lösung des Problems erschweren!

Schon 1849 hatte Julius Weiske festgestellt, man wäre „häufig den geschichtlich wohlbegründet gedachten Rechten einer besonderen Klasse der Mitglieder oder einer sog. Altgemeinde in der politischen Gemeinde nicht günstig gestimmt, und dies großenteils deshalb, weil die Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung fehlte, und man von der einmal vorgefassten Meinung sowohl unter den Behörden und Gelehrten, als auch von Seiten der Gemeindeglieder ausging: Was den Namen Gemeindegut oder einen gleich viel sagenden führe, müsse auch der ganzen politischen Gemeinde zugehören und von ihr entweder zum Vorteil der Gemeindekasse oder nach gleicher Verteilung unter allen Mitgliedern benutzt werden. Man bezeichnete die Berechtigten geradezu als die Gemeindearistokratie, glaubte, dass sie unrechtes Gut an sich gerissen oder das was allen gebühre, sich ausschließlich vorbehalten haben.“ Dieser Befund, der geradezu als Beschreibung der heutigen Situation in Westösterreich erscheint, lenkt den Blick zunächst auf das historische Nachbarschaftseigentum der „Altgemeinde“, sodann auf die politische Ortsgemeinde. (Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder nach den Bestimmungen der neuen Gemeindegesetze, insbesondere in Württemberg, Hessen und Baden, nebst beurteilender Darstellung des neuen österreichischen Gemeindegesetzes, Leipzig 1849, 14)

1883: DAS NEUE FLURVERFASSUNGSRECHT

Dem historischen Gesetzgeber war insbesondere daran gelegen, dass die Zivilgerichte jede Entscheidungskompetenz für die Gemeinschaftsliegenschaften verlieren. In verschiedenen Kronländern hatte man nämlich leidvolle Erfahrungen gemacht mit den Rechtsstreitigkeiten, die in den neuen Ortsgemeinden um die Gemeinschaftsliegenschaften, genannt „Gemeindegut“. Anstelle des unfruchtbaren Gerichtsstreits sollte eine reformatorische Neugestaltung im allseitigen Einvernehmen treten. Josef Kühne, langjähriger Leiter der Vorarlberger Agrarbehörde, hat die Aufgabe der Agrarbehörde trefflich mit einem englischen Rechtssprichwort charakterisiert: „don’t litigate, don’t arbitrate, find a settlement“. Schon der historische Reichsgesetzgeber, im Ministerium und in den Reihen der Abgeordneten, hatte eine solche Vorgehensweise der neuen Behörden vor Augen. Wie sehr die historischen Rechtsstreitigkeiten in gewissen Kronländern die gesetzlichen Regelungen beeinflusst haben, zeigen die Äußerungen der Reichsratsabgeordneten im Zuge der Debatte am 22. Februar 1883 im Österreichischen Reichsrat.

Von Dr. Johann Žák, der als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Reichsrat, Abgeordneter im Böhmischen Landtag und Mitglied im Böhmischen Landesausschuss, mit der Materie besonders vertraut war, überliefern die stenographischen Protokolle der Sitzung am 22. Februar 1883 folgende Äußerungen: „… ich muss konstatieren, dass die Streitigkeiten zwischen den Klassen in den Gemeinden, oder, wenn Sie wollen, zwischen der Gemeinde als solcher einerseits und zwischen den gewissen Singularisten auf der anderen Seite, auf der Tagesordnung sind. […] Ich selbst habe einen Fall beim böhmischen Landesausschuss anhängig, der sich schon fünf bis sechs Jahre hinzieht und der böhmische Landesausschuss ist nicht in der Lage – ich kann ihm dies nicht verdenken – die Sache zu entscheiden, denn dieselbe ist so verworren und so schwierig, dass der Landesausschuss immer und immer wieder Erhebungen und Einvernehmungen von Gedenkmännern verfügt […] Und wenn der Landesausschuss endlich einmal die Entscheidung gefällt haben wird, dann geht derjenige Teil, der mit der Entscheidung nicht zufrieden ist an den Verwaltungsgerichtshof und wenn er auch hier sachfällig wird, dann betritt er den gerichtlichen Rechtsweg. Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden und schließlich: Um was handelt es sich denn in den meisten gerichtlich anhängig gemachten Prozessen?
Derjenige Teil, der mit der Klage auftritt, behauptet gewöhnlich, er habe das Eigentum der so genannten Gemeindegründe ersessen. Zu diesem Behufe findet er fast immer die Gedenkmänner, durch welche bewiesen wird, dass die Altangesessenen das so genannte Gemeindegut von Alters her wirklich besessen, genutzt, verwaltet und daraus die Nutzungen gezogen haben und die Gerichte müssen selbstverständlich der Klage stattgeben. Das Gemeindegut wird sofort dem Einzelnen als ihr Privateigentum zuerkannt, die Gemeinde zahlt die Gerichtskosten und verliert ihr Vermögen. […] Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde […] derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe […] besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. […] Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden“. (Stenographisches Protokoll. Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, IX. Session 268. Sitzung am 22. Februar 1883, Seite 9225)

Der Abgeordnete Dr. Josef Kopp, gleichzeitig Abgeordneter im Niederösterreichischen Landtag und Mitglied des Niederösterreichischen Landesausschuss, äußerte sich zur selben Sache wie folgt: „Es ist nicht möglich, dass die Gerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das […] kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig […]“. „Aber eines kann das Land nicht, […] das Land kann niemals hindern, dass die Gerichte angerufen werden und dass die Regulierungen, welche die autonomen Behörden und auch der Landesausschuss treffen, durchkreuzt und eludiert werden, durch ein richterliches Urteil, und das ist das Schlimmste, weil die Gerichte gar nicht in der Lage sind, diese Verhältnisse in ihrem eigentlichen Wesen zu begreifen, weil diese eigentümlichen Besitz- und Nutzungsverhältnisse ihren Ursprung haben in einem alten Volksrechte, in einem germanischen oder slavischen Volksrechte, welches durch das hineingeschneite römische Recht und die demselben nachgebildeten Gesetze mit Ignorierung der alten Volksanschauungen in Verwirrung gebracht worden sind.“ (aaO Seite 9234) „Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“ (aaO, Seite 9222f)

EIGENTUMSFRAGE UND GEMEINDEGUT

Der historische Gesetzgeber hat somit ganz bewusst die Agrarbehörden (damals „Commassionsbehörden“) zuständig gemacht und diese Behörden sollten anstelle der Gerichte und mit der Wirkung und Autorität der Gerichte, entscheiden! Dies insbesondere und gerade auch über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gut, das in den Organen der neuen politischen Ortsgemeinden als „(Schein-)Gemeindegut“ verwaltet wurde.

Dies lässt sich anhand diverser Belegstellen leicht nachweisen. Beispielsweise kann auf die Rede des Regierungsvertreters, Anton Freiherr von Rinaldini, am 22. Februar 1883, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221, verwiesen werden: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz […] auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen […] diese vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung […] nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage“. Dr. Johann Žák, der Ausschussvorsitzende, stimmte vollumfänglich zu: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.“ (Sten. Prot. ebendort, 9226)

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ZUSAMMENFASSUNG

Der Agrarbehörde – und gerade nicht den Gerichten – wurde die Aufgabe zugewiesen, darüber zu entscheiden, wessen Eigentum ein agrargemeinschaftlich genutztes Grundstück ist.

Die Agrarbehörde entscheidet im Fall von agrargemeinschaftlichen Grundstücken anstelle des Gerichts und mit der Wirkung eines Gerichtsurteils.

Zusätzlich entscheidet die Agrarbehörde anstelle des Gerichts und mit Wirkung eines Gerichtsurteils, wer in welchem Umfang an einem solchen Grundstück anteilberechtigt ist.

Diese Kompetenz der Agrarbehörde, anstelle des Gerichts und mit Wirkung eines Gerichtsurteils über agrargemeinschaftliche Grundstücke zu entscheiden, war zentrales Anliegen der agrarischen Gesetzgebung – seit ihren Anfängen im Jahr 1883.

Diese Kompetenz der Agrarbehörde galt insbesondere und gerade für alle Liegenschaften, die das  „Gemeindegut“ bildeten.

Wenn im Mieders-Verkenntnis der Eindruck erweckt wird, die Agrarbehörden wäre nicht zuständig gewesen, über Gemeindegut zu entscheiden oder die Agrarbehörden hätten  über Gemeindegut falsch entschieden, so ist diese Behauptung offenkundig gesetzwidrig. Dies in vielfacher Hinsicht! (Im Einzelnen siehe dazu: rightbar: Rabulistik gegen Agrar / Willkür im Mieders-Erkenntnis)

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MP

Grundeigentümerregister

Kaiser Franz registriert die Grundeigentümer

 

Hoch das Verfachbuch

 

Vater des Tiroler Grundbuches

 

Gemeindeliebhaber

 

Kampf gegen die Grundbuchanlegung

 

Gemeinderecht als Schlüssel

 

Die Tiroler Agrarbehörde schreitet ein

 

„Fraktion“ ist eine Nachbarschaft!

 

„… dass wenigstens drei Personen
eine Gemeinde ausmachen“

 

Gemeinde, das sind Hausbesitzer
mit Rechten und Pflichten

 

Der Grundbuchforscher

 

Gemeinschaftsliegenschaften und das
Grundbuch

 

Gschichtn vom Grundbuch

 

Kreative Eigentümerfindung

 

Tatort Jerzens

 

Tiroler Allerlei

Kaiser Ferdinand befiehlt

Die Tiroler Agrarbehörde schreitet ein

Hofrat Dr. Albert Mair (*13. September 1921 in Telfes/Stubai, heute wohnhaft in Mieders) ist gemeinsam mit Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer immer noch Symbolfigur der Tiroler Agrarbehörde. Dies ungeachtet der Tatsache, dass das moderne Agrarrecht in Tirol auf einem Reichsgesetz von Kaiser Franz-Josef aus dem Jahr 1883 gründet und in Tirol schon im Jahre 1909 Einzug gehalten hatte. Nach der Gerichtspraxis trat Albert Mair in den Landesdienst ein. Albert Mair war von Ende des Jahres 1952 bis Dezember 1966 der Agrarbehörde I. Instanz zugeteilt, zuerst als Referent, ab Dezember 1958 bis Dezember 1966 als deren Leiter. Daneben war er Landeshauptmann Eduard Wallnöfer als persönlicher Referent für Land- und Forstwirtschaft zugeteilt. Hofrat Dr. Albert Mair hat eine effiziente Behörde aufgebaut, die in den Zeiten größter Arbeitsbelastung mit mehr als 15 Juristen besetzt war. Zusätzlich leistete er mit der wissenschaftlichen Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ (1958) Grundlagenarbeit im Agrarrecht. Gemeinsam mit Josef Kühne, Leiter der Agrarbehörde in Bregenz, hat Albert Mair im Jahr 1958 die Agrarbehördenleitertagungen ins Leben gerufen, die seither im zweijährigen Turnus stattfinden. Ein von Albert Mair verantworteter „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde (Abteilung III 1) für den Zeitraum 1949 bis 1958“ vom Juli 1959 sowie zahlreiche, von Mair selbst verfasste Agrarbehördenbescheide, geben Zeugnis seiner profunden Arbeit. 1967 übernahm er auf Wunsch des damaligen Landeshauptmannes Eduard Wallnöfer die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol.
Hofrat Dr. Albert Mair (*13. September 1921 in Telfes/Stubai, + 28. Mai 2016  in Mieders) ist gemeinsam mit Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer immer noch Symbolfigur der Tiroler Agrarbehörde. Dies ungeachtet der Tatsache, dass das moderne Agrarrecht in Tirol auf einem Reichsgesetz von Kaiser Franz-Josef aus dem Jahr 1883 gründet und in Tirol schon im Jahre 1909 Einzug gehalten hatte. Nach der Gerichtspraxis trat Albert Mair in den Landesdienst ein. Albert Mair war von Ende des Jahres 1952 bis Dezember 1966 der Agrarbehörde I. Instanz zugeteilt, zuerst als Referent, ab Dezember 1958 bis Dezember 1966 als deren Leiter. Daneben war er Landeshauptmann Eduard Wallnöfer als persönlicher Referent für Land- und Forstwirtschaft zugeteilt. Hofrat Dr. Albert Mair hat eine effiziente Behörde aufgebaut, die in den Zeiten größter Arbeitsbelastung mit mehr als 15 Juristen besetzt war. Zusätzlich leistete er mit der wissenschaftlichen Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ (1958) Grundlagenarbeit im Agrarrecht. Gemeinsam mit Josef Kühne, Leiter der Agrarbehörde in Bregenz, hat Albert Mair im Jahr 1958 die Agrarbehördenleitertagungen ins Leben gerufen, die seither im zweijährigen Turnus stattfinden. Ein von Albert Mair verantworteter „Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde (Abteilung III 1) für den Zeitraum 1949 bis 1958“ vom Juli 1959 sowie zahlreiche, von Mair selbst verfasste Agrarbehördenbescheide, geben Zeugnis seiner profunden Arbeit. 1967 übernahm er auf Wunsch des damaligen Landeshauptmannes Eduard Wallnöfer die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol. Mehr als 17 Jahre stand Dr. Albert Mair an der Spitze dieser Bank, die zu seinem neuen Lebensinhalt wurde.

 

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I. ALLGEMEINES

In den späten Regierungsjahren von Kaiser Franz Joseph hat der Tiroler Landtag für die heimische Wirtschaft große Reformen umgesetzt: Mit gewaltigen Straßen-, Eisenbahn- und Wasserschutzbauprogrammen wurde Tirol verkehrstechnisch erschlossen; ein modernes Grundbuchsystem, das Tiroler Höfe- und Anerbenrecht und die Landeshypothekenbank wurden geschaffen. Drei Landesgesetze des Jahres 1909 brachten das Bodenreformrecht nach Tirol: Ein Alpenschutzgesetz, ein Teilungs- und Regulierungsgesetz sowie ein Zusammenlegungsgesetz, sollten die reformatorische Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse an landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden erleichtern.

BODENREFORMRECHT IN TIROL

Bereits im Jahr 1883 hatte Kaiser Franz Joseph für alle Länder der Österreichischen Reichshälfte die „drei agrarischen Reichsgesetze“ in Kraft gesetzt. Die Tiroler Umsetzung erfolgte mit 25jähriger Verzögerung. Regelungsgegenstand waren die veralteten Eigentumsstrukturen in der Landwirtschaft, genauso wie das durch die Organe neuen Ortsgemeinden verwaltete Gemeinschaftsgut. Die modernen Gemeindegesetze enthielten Regeln für die Verwaltung von „Gemeindegut“, die perfekt für das historische Gemeinschaftseigentum passten. Als die modernen Gemeindegesetze der Jahre 1863 bis 1866 in Kraft traten wurden zahlreiche Gemeinschaftsliegenschaften als (Schein-)Gemeindegut in eine Gemeindeverwaltung übernommen. Je länger die Umsetzung der agrarischen Reichsgesetze von 1883 in den einzelnen Ländern auf sich warten ließ, desto häufiger etablierte sich eine Gemeindeverwaltung für dieses Gemeinschaftseigentum.
Diese Situation erfuhr in Tirol insofern eine Verschärfung, als führende Tiroler Politiker wie der Langzeit-Landeshauptmann Anton Graf Brandis (Landeshauptmann von 1889 bis 1904), ein ausgewiesener Spezialist für das historische Gemeinderecht, in den Gesetzen für die moderne Ortsgemeinde eine Rechtsgrundlage für die Fortsetzung der historische Markgemeinde, die „Realgemeinde“, gesehen hatten. Im Blick auf das Gemeindewahlrecht der damaligen Zeit, das in der Praxis nur die Bauern nach dem Grundsteuerschlüssel zur Wahl der Gemeindevertretung berufen hat, konnte man damals diesem Trugschluss leicht erliegen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte Anton Graf Brandis im Jahr 1893 für Tirol die Schaffung eines eigenen „Fraktionengesetzes“ durchgesetzt, der Sache nach eine Rechtsgrundlage für Agrargemeinschaften. Den als „Fraktion“ organisierten Agrargemeinschaftsmitgliedern wurden Mitbestimmungsrechte in der modernen Gemeindeverwaltung eingeräumt wurden. Im Ergebnis wurde die Tendenz, für Agrargemeinschaften eine Gemeindeverwaltung zu etablieren, ganz enorm verstärkt.

Im Zuge der Grundbuchanlegung wurden agrargemeinschaftliche Liegenschaften in Tirol deshalb besonders häufig als ein Gemeindeeigentum registriert. Der damalige Richter am Oberlandesgericht Innsbruck, Stephan Ritter von Falser, lieferte dafür in seiner Abhandlung „Wald und Weide im tirolischen Grundbuch“ (1896) das juristische Fundament. Seiner Auffassung nach hätte Kaiser Ferdinand im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1848 die Wälder und Almen den politischen Gemeinden geschenkt. Beim Oberlandesgericht Innsbruck, im Landesausschuss und in den Grundbuchanlegungskommissionen wurde diese Rechtsauffassung übernommen. Die ungewöhnliche Häufung an materiell unrichtigen Grundbucheintragungen auf „Gemeinde“, die in Tirol bei der Grundbuchanlegung geschaffen wurden, hatte somit mehrere Ursachen.

Im Tätigkeitsbericht der Agrarbehörde für den Zeitraum 1949 bis 1958 fasst Albert Mair die schwierige Aufgabenstellung für die Agrarbehörde in Tirol trefflich zusammen: Die einzigartige, kritische und komplizierte Situation der tirolischen bäuerlichen Nutzungsrechte an „Gemeinde- und Fraktionswäldern“ sei darauf zurück zu führen, dass die Tiroler Forstregulierung aus dem Jahre 1847 im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung völlig falsch verstanden wurde. Gemeinschaftseigentum sei rechtsirrig als Gemeinde- bzw Fraktionseigentum erfasst worden, weil eine kaiserliche Schenkung an die moderne Ortsgemeinde unterstellt wurde. Aufgrund der damals geschaffenen Grundbucheintragungen erachteten zahlreiche Gemeinderepräsentanten rechtsirrig die Ortsgemeinde als wahre Eigentümerin von Almen und Wäldern.

PROBLEM ERKANNT

Albert Mair stellt diese Situation und die Folgen daraus in seiner Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindeguts“ (1958) trefflich dar: Die Bereinigung des Jahres 1847 durch das Forstregulierungspatent sei der Sache nach die rechtliche Sanktionierung des Besitzstandes der „Realgemeinden“ gewesen; die im Forstregulierungspatent vom 06.02.1847 erwähnten `Gemeinden´ waren die heutigen Agrargemeinschaften und gerade nicht die modernen politischen Ortsgemeinden, die erst aufgrund des Reichsgemeindegesetzes 1862 geschaffen wurden. Albert Mair: „Die Einverleibung des Realgemeindebesitzes in die politischen Gemeinden erfolgte hauptsächlich mit dem Argument der angeblichen gesetzlichen Universalsukzession der politischen Gemeinde für die einstige Realgemeinde. Von dieser Universalsukzession ist aber in den Gemeindegesetzen mit keinem Wort die Rede.“ Das Gegenteil ist der Fall: Die (Landes-)Gemeindegesetze der Jahre 1863 bis 1886 ordneten ausdrücklich an, dass die Privateigentumsverhältnisse durch die Errichtung der neuen Ortsgemeinde unberührt zu bleiben hätten. Albert Mair: Die Grundbuchanlegung schuf nicht Ordnung und Klarheit; das römisch-rechtlich orientierte, auf dem ABGB aufgebaute Grundbuchsrecht konnte der althergebrachten Unterscheidung zwischen den Besitzverhältnissen am deutschrechtlichen Allmendgut und dem sehr jungen Gemeindevermögen keinerlei Verständnis entgegenbringen. Dem römischen Recht war der Begriff des gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde darstellt, völlig fremd; ebenso die gemeinsame Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet. Dieser Nutzungsanspruch am Allmendgut war keine Servitut an fremdem Grund und Boden, sondern ein Nutzungsanspruch auf eigenem Grund. Das stark individualistisch betonte römische Recht kannte nur Privateigentum oder Miteigentum an Grund und Boden, so dass das ABGB die Rechtsform einer Agrargemeinschaft oder einer agrargemeinschaftlichen Nutzung ebenfalls nicht kennt. Die Grundbuchskommissäre wussten sich mit dem deutschrechtlichen Rechtsinstitut der Realgemeinde keinen Rat und gaben sich meist auch nicht die Mühe einer eingehenden Prüfung der tatsächlichen Rechtsgrundlagen. So kam es, dass im Grundbuch die unterschiedlichsten Eigentumseintragungen für das Gemeinschaftsgut erfolgten, wie z.B. politische Gemeinde, Katastralgemeinde, Fraktion, Nachbarschaft, Interessentschaft und dgl. Bei dieser Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchkommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.

ENTSCHEIDUNG ÜBER EIGENTUMSVERHÄLTNISSE

Vor diesem Hintergrund war Tiroler Agrarbehörde besonders häufig mit agrargemeinschaftlichen Liegenschaften konfrontiert, die als „Schein-Gemeindegut“ einer Ortsgemeinde im Grundbuch ausgewiesen waren. Dies wesentlich häufiger als die Agrarbehörden anderer Bundesländer. Im Bescheid vom 12.12.1962 III B1-1768/9 (Einleitung des Regulierungsverfahrens für Agrargemeinschaft Fügen-Fügenberg) wurde Albert Mair gerade in dieser Hinsicht überaus deutlich:

„In diesem Zusammenhang scheint im Interesse der Information der am Regulierungsverfahren Beteiligten eine kurze Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Gemeindegutes von Nöten, womit der Nachweis erbracht wird, dass den Gemeinden, die bislang die Stellung einer treuhändischen Verwaltung des [Schein-]Gemeindegutes zur Sicherung der Nutzungsansprüche der Beteiligten hatten, nicht entzogen wird, was sie bisher unbeschränkt in ihrem Eigentum besessen hätten. Nach Erlass XXXVI `Regulierung der Tiroler Forstangelegenheiten´, kundgemacht in der Provinzialgesetzessammlung für Tirol und Vorarlberg vom Jahr 1847, Seite 253, wurde bewilligt, dass die künftig den Untertanen vorbehaltenen, in den landesfürstlichen Staatswaldungen zustehenden Holzbezugsrechte durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden, denen sie angehören, abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden, die im Jahre 1847 noch nicht körperschaftlich eingerichtet waren, wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten verstanden. Man wollte durch die Abtretung der landesfürstlichen Wälder an diese Gesamtheit den Bestand großer Waldkomplexe sichern, Aufsplitterung auf die einzelnen Berechtigten vermeiden, die Lawine der Gerichtsprozesse zwischen Eingeforsteten und dem Landesfürsten mindern und dem Fürsten die Grundsteuer für die übertragenden Waldkomplexe sichern. […] Aus diesem Grund bestand weder die Möglichkeit noch die Absicht […] das Waldeigentum einer damals rechtlich noch gar nicht bestehenden, mit der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten nicht identischen politischen Gemeinde geschenksweise zu überlassen.“

Weil das Agrarrecht vom Agrarjuristen eine Entscheidung darüber verlangt, wer der wahre Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft ist, entstand im Blick auf die Ausgangslage in Tirol besonders häufig der Eindruck, dass einer Gemeinde im Zuge der Regulierung oder Teilung ein Eigentum genommen worden sei. Tatsächlich lag in solchen Fällen ein bloßes „Schein-Gemeindegut“ vor, das bis zur Abwicklung der agrarischen Operation in Gemeindeverwaltung stand.

DAS REGULIERUNGSVERFAHREN

Die so genannte „agrarische Operation“, auch „Bodenreform“ genannt, ist ein Rechtsgebiet, das die verbessernde Gestaltung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse am land- und forstwirtschaftlichem Boden bezweckt. Die bekannteste Verfahrensart ist das Zusammenlegungsverfahren, in welchem das in der Dorfflur versprengt gelegene Eigentum verschiedener Hofbesitzer zusammengelegt und neu aufgeteilt wird. Für den unverteilten Boden gibt es das Teilungsverfahren, in dem Gemeinschaftseigentum aufgeteilt wird und das „Regulierungsverfahren“, das auf die effiziente Organisation verbleibenden Gemeinschaftseigentums abzielt, indem die Agrargemeinschaft organisiert wird. Die Entscheidungsbefugnis der Agrarbehörde erstreckt sich dabei insbesondere auch auf „Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken“. Es ist rechtskräftig zu klären, wer Eigentümer des agrargemeinschaftlichen Grundstücks ist. Bei der Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse entscheidet die Agrarbehörde wie ein Gericht über Ersitzung und andere Erwerbsvorgänge. Wenn die Agrarbehörde einen Eigentümer feststellt und wenn diese Feststellung rechtskräftig wird, dann ist der Betreffende Eigentümer im Rechtssinn.

Durch den agrarbehördlichen Regulierungsakt wird einer bis zur Regulierung typischerweise unorganisierten Gemeinschaft von „Teilgenossen“ die Erscheinungsform als „körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft“ gegeben. Die Errichtung einer Agrargemeinschaft umfasst die Regelung aller wesentlichen Bereiche dieses speziellen Wirtschaftskörpers, ausgehend von den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften (dem „Regulierungsgebiet“), den anteilberechtigten Stammsitzliegenschaften (bzw. den Teilgenossen) und dem Umfang der Anteilsrechte sowie den Vorschriften über die Verwaltung der jeweiligen Gemeinschaft. Entsprechend der äußerst komplexen Aufgabenstellung sind in einem solchen Verfahren verschiedene Abschnitte zu unterscheiden, welche von der Agrarbehörde jeweils mit gesondertem Bescheid bewältigt werden können (stufenweiser Verfahrensaufbau): Verfahrenseinleitung hinsichtlich bestimmter Liegenschaften, Feststellung des konkreten Umfanges „des Regulierungsgebietes“, Feststellung der Teilgenossen (= Parteien), Feststellung ihrer Anteilsrechte an der einzurichtenden Agrargemeinschaft, Feststellung der Eigentumsverhältnisse an den einbezogenen Liegenschaften, körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft durch Satzungsverleihung. Anders als die kaufmännischen Rechtsträger des Unternehmerrechts, Aktiengesellschaft, GesmbH usw, erfolgt die Errichtung der juristischen Person „Agrargemeinschaft“ nicht durch einen Notariatsakt, sondern durch Bescheid der Agrarbehörde.

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Zusammenfassung:

Ein wesentlicher Teil der Tätigkeit der Agrarbehörde war es darüber zu entscheiden, wer der wahre Eigentümer einer agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft war und ist.

Insoweit Liegenschaften im Grundbuch irrig einer Gemeinde als Eigentum zugeschrieben waren, handelte es sich um ein bloßes Schein-Gemeindegut; die Behandlung einer solchen Liegenschaft als Gemeindegut gründete auf einem Irrtum bei der Grundbuchanlegung. Das Schein-Gemeindegut war in Wahrheit Eigentum einer Agrargemeinschaft.

Die Agrarbehörde hat nach Möglichkeit im Konsens mit allen Beteiligten entschieden. Deshalb gingen den meisten Agrarbehördenbescheiden „Parteien-Übereinkommen“ voraus; in der Folge hat die Behörde den erzielten Konsens in Bescheidform umgesetzt und das Grundbuch im Sinn des Konsenses richtig gestellt.

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II. Was hat die Agrarbehörde „qualifiziert“?

Als der Staat seine unterste Ebene, die Gemeinde, gesetzlich geregelt hat, übernahmen die politischen Gemeindegesetze die Bezeichnungen der uralten Nachbarschaften und die gewohnte Terminologie zum Vermögensrecht derselben. Dies geschah in der Praxis ohne vorherige Klärung, dass das alte Nachbarschaftsvermögen und das Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinden nicht ein und dasselbe seien. Dadurch wurden nicht nur Unterscheidungsschwierigkeiten ausgelöst; es wurde eine Entwicklung verstärkt, welche dazu führte, dass die Wirtschaftsgemeinde nach bürgerlichem Recht als eigenständiger Rechtsträger bei ihren Mitgliedern teilweise in Vergessenheit geriet und deren Vermögen der neuen politischen Ortsgemeinde zugerechnet wurde. Walter Schiff, ein Wiener Agrarökonom, dazu im Jahr 1898: Nun war aber in den Grundbüchern bald ‚die Gemeinde’ zu Eigentum eingetragen, bald ‚die Bauernschaft’, die ‚Nachbarschaft’, die ‚Bauern’, die ‚Rustikalisten’ oder ‚die jeweiligen Besitzer der Bauernhöfe’. Vor dem Jahr 1849 waren dies alles Synonyma für die `Realgemeinde´ gewesen. „Die Verschiedenheit der unter dem gleichen Namen ‚Gemeinde’ begriffenen Personen vor und nach dem Jahr 1849 blieb unbeachtet und die Eintragung unverändert.“

 

NACHBARSCHAFTS- UND GEMEINDEVERMÖGEN

Dr. Josef Kopp, Mitglied der NÖ Landesregierung, hatte im Auftrag des NÖ Landtages in den 1870er Jahren mehrjährigen Erhebungen in den Gemeinden Niederösterreichs durchgeführt. In seinem Bericht an den NÖ Landtag aus dem Jahr 1878 fand er einprägsame Worte: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Charakter, ohne dass man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten. Die `Gemeinde´ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass letztere gestorben wäre.“ Karl Peyrer als Ministerialrat im Ackerbauministerium mit den Verhältnissen in der Praxis bestens vertraut, hat im Jahr 1877 aus diesem Zuständen den Schluss gezogen, dass die bloße Bezeichnung einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ genügt hätte, um ein Genossenschaftsvermögen ganz der politischen Gemeinde zuzuordnen. Die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften wurde somit regelmäßig in den Organen der politischen Gemeinde vollzogen, die schon aufgrund des Wahlrechts von den Stammliegenschaftsbesitzern dominiert war (praktisch waren nur Grundbesitzer wahlberechtigt). Die nötige Unterscheidung zwischen dem öffentlichen Zwecken gewidmetem Eigentum und demjenigen Eigentum, welches dem wirtschaftlichen Fortkommen der Stammliegenschaften gewidmet war, wurde typischer Weise nicht gezogen. Die Besitzer von Grund und Boden, die Eigentümer der Stammsitze, identifizierten sich „Gemeinde“. Man verstand nicht, dass an dem der Gemeindeöffentlichkeit gewidmeten Vermögen (zB Schule und Armenhaus) andere Rechtsverhältnisse bestehen, als an demjenigen Vermögen, welches dem wirtschaftlichen Fortkommen der Stammsitzliegenschaften gewidmet war.

In Böhmen motivierten andere soziale Verhältnisse sehr früh das Aufkommen des Streits um die Gemeindegründe. Durch die Grundentlastung waren große Bevölkerungsgruppen zu Grundeigentümern geworden, die nach altem Recht in persönlicher Abhängigkeit Grund und Boden der Feudalherren bearbeitet hatten. Diese erlangten als neue Grundeigentümer ein Wahlrecht zur politischen Gemeindevertretung und forderten Mitbeteiligung an den „Gemeindeliegenschaften“. Karl Cizek berichtet in einer Streitschrift aus dem Jahr 1879 von Praktiken im Kronland Böhmen, wonach die Mitglieder der alten Gemeinde die Errichtung der neuen politischen Ortsgemeinde zum Anlass genommen hätten, die neue politische Ortsgemeinde auf Anerkennung des Eigentumsrechtes an den „Gemeindegründen“ zu Gunsten der Mitglieder der „alten Agrargemeinde“ beim Zivilgericht zu verklagen. Dies wegen dieser neuen Gemeindeglieder. Die Glieder der Altgemeinde, in Böhmen „Rustikalisten“ genannt, haben das Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung für sich in Anspruch genommen und wurden vor Gericht als wahre Eigentümer anerkannt.  Die neuen politischen Gemeinden haben sämtliche Rechtsstreitigkeiten verloren. Die „Rustikalisten“ haben in der Folge die als ihr Privatrecht erstrittenen „Gemeindegründe“ unter sich aufgeteilt. Beschwerden gegen diese Praxis und gegen derartige Urteile bei den politischen Behörden blieben erfolglos.

 

DER STREIT UM DIE GEMEINDEGRÜNDE

Diese Episode „böhmischer Gemeindewirtschaft“ fand sogar in den Debatten der Abgeordneten des Jahres 1883 ihren Niederschlag: So schilderte der Abgeordnete Dr. Johannes Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, folgende Begebenheiten: „Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde – ich muss sagen als wirklich zu beklagender Kurator – derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. Nun ist es wohl voraussichtlich, welchen Erfolg ich eben als Kurator in dem Prozess haben werde. Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden und so, meine Herren, geht es in sehr vielen, ja in den meisten Fällen.“

Auch in Niederösterreich stellten sich bald nach Einrichtung der neuen politischen Ortsgemeinden Streitigkeiten ein, welche den Abgeordneten Dr. Josef Kopp, ebenfalls Mitglied des Commassionsausschusses, am 22. Februar 1883 im Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, zu folgender Äußerung veranlassen: „Die Verwirrung und der Streit haben bereits eine ganz unerträgliche Höhe erreicht; […] kurz es ist eine geordnete Gemeindewirtschaft bei den bisherigen Zuständen gar nicht möglich. […] Denn selbst wenn man […] sich im Landesausschuss bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden“. Als Gegenmittel forderte Josef Kopp namens der Niederösterreichischen Bevölkerung die Verabschiedung eines Gesetzes. Gemeint war das Reichsrahmengesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte (TRRG 1883), RGBl 1883/94 vom 7.6.1883, die Grundlage aller Flurverfassungs-Landesgesetze der heutigen Bundesländer.

Das Reichsrahmengesetz betreffend die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Grundstücke (TRRG 1883), RGBl 1883/94 vom 7.6.1883, wollte einem dringenden Bedürfnis in diversen Kronländern entgegen kommen, die Rechtsverhältnisse an Vermögenschaften, zu klären, welche aus der „alten Agrargemeinde“ stammten. So heißt es in den Erläuternden Bemerkungen zum „Gesetzesentwurf betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse“ ausdrücklich, dass die Bestimmungen des § 1 Z 2 des Entwurfes diejenigen Grundstücke zum Gegenstande haben, welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben. Entsprechend dem Rechtsverständnis des historischen Gesetzgebers hätten sich demnach die „Überreste der alten Agrargemeinde“ unter den Bezeichnungen „Gemeindegut“ oder „Gemeingut“ bei mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnissen innerhalb der modernen (politischen Orts-)Gemeinde erhalten und gelte es nun, diese Rechtsverhältnisse einer Regelung zuzuführen.

DAS TEILUNGS- REGULIERUNGS- REICHSGESETZ

Gegenstand dieses Gesetzes von 1883 sollte nicht nur behauptetes Nachbarschaftsgut sein, sondern gerade und insbesondere behauptetes Gemeindeeigentum, das „Gemeindegut“, was eine Minderheit von Abgeordneten nicht akzeptieren wollte. Die Mehrheit der Abgeordneten hat jedoch geradezu vehement gefordert, dass die neuen Agrarbehörden gerade und insbesondere die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ klären und entscheiden müssten. Dazu der Berichterstatter des Commassionsausschusses Johannes Zak: „Wenn wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder der Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir hier in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden, und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen.“ Noch deutlicher wurde der Abgeordnete Dr. Josef Kopp: „Man will jenes Gut, welches der Gemeinde oder einer Fraktion der Gemeinde gehört, an welchem alle oder einzelne Mitglieder dieser Gemeinde oder Fraktion gewisse Nutzungsrechte haben, aus dem Gesetz ausscheiden? Wenn sie das tun wollen, scheiden sie lieber gleich das ganze Gesetz aus. Den da liegt ja eben die Quelle dieser unlösbaren Wirrnisse und Streitigkeiten […] Wollen sie also, dass das Gesetz Wirksamkeit habe, so müssen sie es gerade auf diese Grundstücke anwenden, welche als Gemeindegut bezeichnet werden, denn sonst ist es in der Tat zwecklos.“ Der historische Gesetzgeber hat sohin die (politisch) gemeinderechtlichen Regelungen für unzulänglich erachtet, um die Rechtsverhältnisse am Vermögen der „alten Agrargemeinden“ rechtskräftig zu entscheiden. Das Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates beschloss das TRRG 1883 nach einer durchaus emotionalen Debatte am 22. Februar 1883 in der vom Commassionsausschuss vorgelegten Fassung. Ausdrücklich hatte der Ausschuss in seinem Bericht an das Abgeordnetenhaus klar gestellt, dass es bei dieser Tätigkeit der Agrarbehörde „nicht sosehr um die Auseinandersetzung unter den Genossen selbst, als vielmehr um die Auseinandersetzung zwischen den Genossen einerseits, und den Gemeinden als solchen andererseits“ gehe. Kurz: Mit dem TRRG 1883 sollte in Form eines Reichsrahmengesetzes die Grundlage dafür geschaffen werden, dass die Landesgesetzgebung eine Behörde einrichten konnte, welche in umfassender Weise alle Rechtsverhältnisse am historischen Vermögen der „alten Wirtschaftsgemeinden“ klären und rechtskräftig entscheiden, insbesondere über das Eigentum an diesen Vermögenschaften und deren Verwaltung absprechen sollte.

Das TRRG 1883 überließ es ausdrücklich den jeweiligen Landtagen für das betreffende Kronland ein Ausführungsgesetz zu schaffen. Während Mähren, Kärnten, Niederösterreich, Krain und Schlesien noch im Zeitraum 1884 – 1887 entsprechende Ausführungsgesetze erließen, sah man in Tirol hierfür bis zum Jahr 1909 keinen entsprechenden Anlass. Jene Konflikte innerhalb der neuen politischen Ortsgemeinde, welche in den Debattenbeiträgen im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates am 22. Februar 1883 beispielsweise für die Niederösterreichischen Gemeinden geschildert werden, waren in Tirol politisch bedeutungslos, genauso wie gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den „Altberechtigten“ und der neuen politischen Gemeinde, wie sie in Böhmen in den 1860er und 1870er Jahren gang und gäbe waren. Der Hintergrund für diese Konflikte ist leicht nachvollziehbar: Die Grundentlastung hatte die auf Großgrundbesitz angesiedelte Bauernschaft zu Eigentümern von Grund und Boden gemacht, wodurch diese den neuen Status als Steuerzahler und damit als wahlberechtigte Gemeindeglieder erlangten. Diesen neuen Gliedern der politischen Ortsgemeinde standen Mitglieder der alten Gemeinden gegenüber, welche bis zu diesem Zeitpunkt unter Ausschluss der auf Herrschaftsgütern angesiedelten Bauernschaft als „alte Agrargemeinde“ organisiert waren. Bis zu den Reformen der Jahre 1848ff waren die Dominicalgüter, das heißt der adelige Großgrundbesitz samt der dort angesiedelten abhängigen Bauernschaft, nicht Teil der „alten Gemeinde“. Die Entstehung einer zahlenmäßig starken neuen Mitgliedergruppe hatte in den betroffenen Gebieten das verständliche Bedürfnis der Altberechtigten geweckt, den Gemeinschaftsbesitz für sich abzugrenzen. Schließlich hatte die auf den Herrschaftsgütern (Dominicalgütern) angesiedelte Bauernschaft daran nie teilgenommen.

 

TIROL WAR ANDERS

 Die Tiroler Verhältnisse unterschieden sich von denjenigen in Böhmen oder Niederösterreich. Vereinfacht ausgedrückt muss man sich sämtliche Tiroler Landgemeinden als „Adelsgut“ des Landesfürsten vorstellen, der aus der Sicht des Jahres 1883 bereits seit Jahrhunderten im fernen Wien ansässig war. Die Tiroler Landesfürsten hatten über Jahrhunderte in Tirol ihre wesentlichen Einnahmen aus den Bergwerken und der Saline bezogen; zur Sicherung dieses Reichtums hatte man einflussreiche Hochadelsgeschlechter als mögliche Konkurrenten um die Landesherrschaft frühzeitig verdrängt. Der Bauernschaft wurde unter dem Gedanken eines „Gleichgewichtes der Macht“ – neben dem Adel, der hohen Geistlichkeit und den Bürgern die Landstandschaft zugestanden. In Ermangelung großer Adelsgüter mit einer dort lebenden, außerhalb der Gemeinde stehenden Bevölkerung mit landwirtschaftlichem Hintergrund sind Konflikte wie in Niederösterreich oder Böhmen in Tirol erst gar nicht entstanden. Die nicht landwirtschaftlich orientierten Gemeindeglieder hatten sich mit ihrer Nichtbeteiligung an den Gemeinschaftsliegenschaften der Bauernschaft abgefunden; anderenfalls hätte man beispielsweise 1956 in Lermoos nicht feststellen können, dass die „alte Wagnerwerkstätte“, welche 1799(!) errichtet worden war, nie mit einem Holzbezugsrecht aus dem „Gemeindewald“ ausgestattet gewesen war. In Ermangelung neuer Mitglieder in der Gemeinde, welche der angestammten Bauernschaft die Benützung der Gemeinschaftsliegenschaften streitig gemacht hätten, wurden die Gemeinschaftsliegenschaften – unberührt von den Vorgängen im Osten des heutigen österreichischen Bundesgebiets – „innerhalb der Gemeinde“ verwaltet wie in den Jahrhunderten zuvor. Ausnahme wie in Igls, wo sich in den 1880er Jahren eine „Waldinteressentschaft“ konstituierte, deren Statuten eine oberbehördliche Sanktion erfahren hatten, bestätigen die Regel.

Am 19. Juni 1909 wurde – 23(!) Jahre nach Erlassung des Reichsrahmengesetzes TRRG 1883 – das Tiroler „Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsrechte“ (Teilungs- Regulierungs- Landesgesetz, TRLG) verabschiedet. Bezeichnend ist, dass nicht etwa eine Initiative des Tiroler Landtages Anlass dafür war. Vielmehr hatte der landwirtschaftliche Ausschuss des Abgeordnetenhaus in Wien im Jahr 1908 die Regierung aufgefordert, die Gesetzesvorlagen über agrarische Operationen in jenen Ländern, in welchen dieselben noch nicht eingeführt waren, den Landtagen zu unterbreiten. Wesentliche Konflikte wegen des gemeinschaftlichen Privatbesitzes der Stammliegenschaftsbesitzer waren in den Tiroler Gemeinden nach wie vor nicht zu Tage getreten. Die Stammliegenschaftsbesitzer, welche die politischen Landgemeinden vollständig dominierten, hatten in der Regel ihren gemeinschaftlichen Privatbesitz in bester Eintracht gemeinsam mit dem öffentlichen Eigentum der politischen Gemeinde den Grundbuchanlegungskommissionen zur Registrierung gemeldet. Ein besonderes Erfordernis, gemeinschaftlichen Privatbesitz von öffentlichem Eigentum zu unterscheiden, wurde in der Regel nicht erkannt.

Bemerkenswert ist, dass weder im Bericht des Agrarausschusses, noch in den Debattenbeiträgen der Abgeordneten im Tiroler Landtag vom 29. Oktober 1908 näher darauf eingegangen wird, dass die neu einzurichtenden „Agrarkommissariate“ auch die Aufgabe haben würden, historisches Eigentum der alten Agrargemeinden vom Eigentum der politischen Ortsgemeinden abzugrenzen. Nur am Rande erwähnt der Ausschussbericht, dass auch das einer gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe des § 63 der Gemeindeordnung vom 9. Jänner 1866 unterliegende Gemeindegut einer Regelung bedürftig sei. Die Regulierung von Gemeinschaftseigentum war im Jahr 1908 in Tirol vor allem im Blick auf die Almliegenschaften ein Thema: Deren Zustand wurde beklagt und eine Regelung der Verwaltung derselben als besonders vordringlich bezeichnet.Der Ausschussbericht präsentierte auch statistische Daten zu den Gemeinschaftsliegenschaften, welche allerdings ausdrücklich als ungenau deklariert wurden, weil die Rechtsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften als unsicher erkannt waren. Der Ausschussbericht dazu: „Durch das Teilungsregulierungslandesgesetz wird zweifelsohne eine große Anzahl von Agrargemeinschaften aufgedeckt werden, welche bisher selbst von den hiebei Beanteiligten nicht als solche Rechtsgebilde erkannt worden sind.“

 

SONDERBEHÖRDEN FÜR BODENREFORM

 Die Durchführung der drei „agrarischen Reichsrahmengesetze 1883“ wurde von Anfang an besonderen Behörden übertragen. Die bisherige Kompetenz der Zivilgerichte hatte endlose Prozesse zur Folge. Und die Zivilgerichte hatten nicht das gesetzliche Instrumentarium, die über Jahrhunderte gewachsenen Besitzstrukturen einer sinnvollen „reformatorischen Neugestaltung“ zu unterziehen. Als neue Behörden wurden ursprünglich in I. Instanz „Lokalkommissäre“, in zweiter Instanz „Landeskommissionen“ und in oberster Instanz eine „Ministerialkommission“ für agrarische Operationen eingerichtet, die organisatorisch mit den politischen Landesbehörden (Statthalterei bzw Landesregierung) und dem Ackerbauministerium verbunden waren.

Die neuen Sonderbehörden sollten auf Grund ihrer besonderen Organisationsstruktur Kenntnis der lokalen und regionalen Besonderheiten mit rechtlicher und fachlicher Sachkunde, aber auch Entscheidungsautorität einer „politischen Behörde“ verbinden. Den Entscheidungen („Erkenntnissen“) dieser Behörden und den von ihnen genehmigten Vergleichen kam die Rechtswirkungen richterlicher Erkenntnisse bzw Vergleiche zu, die unmittelbar vollstreckbar waren. Von allem Anfang an sollte sich die Entscheidungsbefugnis dieser neuen Behörden auch auf die zivilrechtlichen Feststellungen und Entscheidungen in Eigentumsfragen der agrargemeinschaftlichen Grundstücke beziehen, die die außerhalb der Verfahren der Bodenreform in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit fielen.

Schon vor dem Inkrafttreten der Bundesverfassung wurde die Organisation der Agrarbehörden im Jahr 1920 neu geordnet. An die Stelle der „beeideten Lokalkommissäre“ traten „Agrarbezirksbehörden“, in den Ländern wurden „Agrarlandesbehörden“ und in Wien die „Agraroberbehörde“ beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft eingerichtet. Durch ein Bundesgesetz aus dem Jahr 1925 wurde diese Organisation nochmals angepasst: In erster Instanz wurde eine monokratisch organisierte Agrarbezirksbehörde als Sonder-Landesbehörde eingerichtet, soweit die Landesgesetzgebung nicht von der Einrichtung eigener Agrarbezirksbehörden absieht und ihre Aufgaben dem Amt der Landesregierung zuweist.

 

DIE RECHTSENTWICKLUNG IN DER REPUBLIK

Während der deutschen Besetzung traten an die Stelle der österreichischen Vorschriften die Bestimmungen einer Verordnung vom 16.2.1940. 1945 (Rechts-Überleitungsgesetzes) wurden die ehemaligen österreichischen Vorschriften neuerlich in Geltung gesetzt. In der Fassung der Novelle BGBl 1947/179 wurden sie als „Agrarbehördengesetz 1950“, BGBl 1951/1 wiederverlautbart und standen als solche bis zum 1.1.2014 in Geltung. Die Einrichtungsvorschriften der republikanischen Verwaltungsorganisation hielten an der oben dargestellten kommissionellen Behördenstruktur mit quasi-richterlichen Unabhängigkeit der Senate fest, wie sie seit 1883 die Agrarbehörden auf Landesebene und bei der Zentralbehörde kennzeichnete. Das war schon deshalb erforderlich, weil sich weder am sachlichen Wirkungsbereich der „Bodenreform“ noch an der Kombination von zivilrechtlicher und verwaltungsbehördlicher Entscheidungsbefugnis – unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges – der Agrarbehörden irgendetwas änderte.

Unbestreitbar erfasste diese umfassende Entscheidungsbefugnis der Agrarbehörden seit den oben angeführten Reichsrahmengesetzen von 1883 unverändert bis heute als Kernkompetenz die Eigentumsfeststellung an agrargemeinschaftlichen Grundstücken sowohl bei Agrargemeinschaften im privaten Eigentum als auch beim Gemeindegut im behaupteten oder tatsächlichen Eigentum der Gemeinde. Die Republik übernahm nicht nur weitgehend die besondere Organisation der Agrarbehörden aus der Zeit der Monarchie, sondern auch den materiellen Rechtsbestand und die besondere Type der Kompetenzverteilung („Rahmengesetze“) der Reformgesetze von 1883.

Anders als in der Monarchie wurde in der Bundesverfassung eine eigene Kompetenztype der „Grundsatzgesetzgebung“ geschaffen, die mit der Landesvollziehung verbunden wurde. Um die bisherige besondere Organisation in gerichtsartigen Senaten, die Oberinstanz des Obersten Agrarsenates als Bundesbehörde und die weitgehende Organisationshoheit des Bundesgesetzgebers mit der Landesvollziehung zu vereinbaren, musste eine eigene Sonderverfassungsnorm für die Organisation der Vollziehung des Bodenreformrechtes in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Wie oben angeführt, hängt die besondere Organisationsform der Agrarbehörden, vor allem ihre Gliederung in Senate und den Obersten Agrarsenat untrennbar mit der umfassenden Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden – an Stelle der ordentlichen Gerichtsbarkeit – in zivilrechtlichen Fragen der Bodenreform zusammen.

In einem grundlegenden Kompetenz-Feststellungserkenntnis gemäß Art 138 Abs 2 B-VG aus dem Jahr 1931 hat der VfGH diesen komplexen Kompetenztatbestand rechtssystematisch wie folgt formuliert: „Alle Aktionen auf dem Gebiet der Landeskultur, die die gegebenen Bodenbesitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse den geänderten sozialen oder wirtschaftlichen Anschauungen oder Bedürfnissen entsprechend einer planmäßigen Neuordnung oder Regulierung unterziehen wollen, sofern sie nicht unter Art 10 B‑VG fallen.“ Diese Reichsrahmengesetze ermächtigen aber – wie oben dargelegt wurde – die Agrarbehörden zweifellos dazu, zivilrechtliche Fragen der Eigentums- und Rechtsverhältnisse im Rahmen der ihnen übertragenen Wirkungsbereiche der Bodenreform festzustellen und planmäßig neu zu ordnen.Diese zivilrechtliche Kognitionsbefugnis der Agrarbehörden bildet daher noch heute einen Kernbereich der – zwischen Bund und Ländern geteilten – Kompetenz „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen“ gemäß Art 12 Abs 1 Z 3 und Abs 2 B-VG. Sowohl die landesgesetzlichen Ausführungsvorschriften zum Flurverfassungsrecht als auch die Vollziehung dieser Vorschriften durch die Landes-Agrarbehörden sind an diese bundesverfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenz der Agrarbehörden gebunden.

 

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MP