Die aktuelle Judikatur, die den Begriff „Gemeindegut“ zwingend als Eigentum einer Ortsgemeinde verstehen will, beruht ganz wesentlich auf zwei FALSCHEN Prämissen. Diese beiden FALSCHEN Prämissen bilden das Fundament des VfGH-Erkenntnisses VfSlg 9336/1982, welches Wurzel und Ausgangspunkt des heutigen Tiroler Agrarstreits bildet. Diese FALSCHEN Prämissen lauten:
a) es hätte eine generelle Rechtsnachfolge der modernen Ortsgemeinden in das Eigentum der älteren Gemeindestrukturen, der „Nachbarschafts-Gemeinden“, stattgefunden (VfSlg 9336/1982 Punkt I. Z 3 der Entscheidungsbegründung);
b) das Gemeinderecht selbst würde anordnen, dass ein „Gemeindegut“ ausschließlich Eigentum einer Ortsgemeinde sein könne. (VfSlg 9336/1982 Punkt III. 1. Abs 4 der Entscheidungsbegründung)
Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9336/1982 wurde weiters behauptet, dass das Flurverfassungsrecht das Gemeindegut, das zwingend ein Eigentum der Ortsgemeinde sein müsse, wie ein Eigentum der Agrargemeinschaft behandle. Gemeindeeigentum würde demnach undifferenziert als Eigentum einer Agrargemeinschaft behandelt (VfSlg 9336/1982 Punkt III. 2 der Entscheidungsbegründung) – was (natürlich) gleichheits- und damit verfassungswidrig ist.
Der Gerichtshof hatte dabei freilich die Kompetenz der Agrarbehörde ausgeblendet, über die Eigentumsverhältnisse am (behaupteten) Gemeindegut meritorisch zu entscheiden. So wurde das falsche Bild geschaffen, im Zuge der agrarischen Operation würde entschädigungslos Eigentum entzogen. (VfSlg 18.446/2008; VfSlg 9336/1982; jüngst: VfGH 02.10.2013, B 550/2012 ua)
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Gemeindegut im geltenden Gemeinderecht
Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 die Behauptung, dass ein „Gemeindegut“ ein Eigentum einer Ortsgemeinde sein müsse, in erster Linie aus der Bestimmung des § 74 prov. Gemeindegesetz 1849 abgeleitet.
Der VfGH hätte freilich weniger mit Blick auf das Gemeinderecht des 19. Jahrhunderts, als vielmehr mit Blick auf das aktuelle Gemeinderecht und dessen Entwicklung im 20. Jahrhundert entscheiden müssen. Die Landes-Gemeindegesetzgeber hatten nämlich auf das Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 (BGBl 256/1932) reagiert und den Anwendungsbereich der Gemeindeordnung für diejenigen Teile des Gemeindegutes eingeschränkt, welche eine Agrargemeinschaft iS der Flurverfassung bildeten. Der Vorrang des Flurverfassungsrechts sollte damit klar gestellt werden. (Ausführlich Kühne/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 318ff)
So beschloss der Tiroler Landesgesetzgeber am 26.04.1935 eine Neufassung der Gemeindeordnung und am 06.06.1935 das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz. Gegen die Neufassung der Gemeindeordnung hatte das Landwirtschaftsministerium Einwendungen erhoben, die durch das Bundeskanzleramt an den Tiroler Landeshauptmann herangetragen wurden. Zusammengefasst forderte das Bundeskanzleramt vom Tiroler Gemeindegesetzgeber, jene „Teile des Gemeindegutes, die gemäß Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 eine Agrargemeinschaft darstellen“, aus der Vermögensverwaltung der Ortsgemeinde auszuscheiden. Bei der Definition des Gemeindeeigentums in der Gemeindeordnung (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) seien Liegenschaften, die gemäß § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1932 als agrargemeinschaftliche Liegenschaften definiert wurden, ausdrücklich auszunehmen. (Bundeskanzleramt, Zl 156.486–6, ex 1935) Darüber hinaus verlangte das Bundeskanzleramt, es solle im Tiroler Gemeindegesetz klargestellt werden, dass dessen Bestimmungen über das Gemeindeeigentum auf die gemäß § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1932 als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung fänden, als sie mit dem FlVerfGG 1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stünden. (Bundeskanzleramt, Zl 156.486–6, ex 1935) Dem Flurverfassungsrecht sollte somit Vorrang gegenüber dem Gemeinderecht zukommen.
Aufgrund dieser Intervention wurde der am 26.04.1935 gefasste Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages entsprechend überarbeitet und das Tiroler Gemeinderecht in der Landtagssitzung vom 10.07.1935 neu formuliert. (Gesetzesmaterialien zur Neuregelung des Tiroler Gemeinderechts im Jahr 1935: Ständischer verfassungsgebender Tiroler Landtag. Verhandlungsschrift über die 35. (öffentliche) Sitzung des Tiroler Landtages am 10.07.1935, vormittags: Berichterstatter Dr. Platzgummer) Geändert wurden die §§ 79, 114 (3), 117, 120 (2), 140, 164 letzter Satz und Artikel III LGBl 36/1935. Immer ging es darum, dass das Gemeinderecht sich betreffend Gemeindegut und Fraktionsgut in agrargemeinschaftlicher Benützung nicht in Widerspruch setzt mit dem Flurverfassungsrecht. Die späteren Novellen zur TGO änderten an der Grundsatzentscheidung des Landesgesetzgebers aus dem Jahr 1935 nichts mehr. (Siehe § 82 TGO 1949, § 85 TGO 1966, § 74 TGO 2001)
Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich auch für das Gemeinderecht der anderen Bundesländer nachweisen. (Kühne/Oberhofer in Kohl ea, Agrargemeinschaften Westösterreich 318 ff) Jene Teile des Gemeindegutes, welche eine Agrargemeinschaft bildeten, wurden und werden vom Regelwerk der Gemeindeordnung nur insoweit erfasst, als das Flurverfassungsrecht dem nicht entgegen steht – in Tirol genauso wie in den anderen Bundesländern. Die Klärung der Eigentumsverhältnisse an Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung einschließlich solcher des „Gemeindegutes“ ist eine „agrarische Operation“; Eigentumsstreitigkeiten sind in Vollziehung des Flurverfassungsrechts zu entscheiden, das hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse auf das allgemeine bürgerliche Recht weiterverweist. (§ 34 Abs 5 FlVerfGG 1952)
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aus:
Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Gemeindeeigentum und Agrargemeinschaft, JBl 2014, 425ff.
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MP