Im heutigen Sprachgebrauch hat sich die Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ im Wesentlichen verengt auf die „politische Ortsgemeinde“, die Teil des Staates ist. Dies war nicht immer so. An das ursprünglich wesentlich breitere Begriffsverständnis, welches unter dem Begriff „Gemeinde“ jedwede beliebige Personenmehrheit verstanden hat, erinnern Begriffe wie „Fangemeinde“, „Trauergemeinde“, „Kirchengemeinde“ usw.
So definiert der Codex Theresianus, ein Gesetzesentwurf des gesamten Bürgerlichen Rechts, entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass drei Personen eine „Gemeinde“ bilden. „Gemeinde“ war nach diesem Begriffsverständnis insbesondere auch die organisierte Gemeinschaft von Hausbesitzern – heute würde man von „Gesellschaft“ oder „juristischer Person nach Privatrecht“ sprechen.
Die historische Vieldeutigkeit des Gemeindebegriffes und die spätere Verengung des Begriffsverständnisses im Verlauf des 19. Jahrhunderts erklären viele Probleme des heutigen Agrarrechts. In die öffentlichen Register der jüngeren Zeit wurden die Eigentümerbezeichnungen aus alten Urkunden übernommen. Dies zu Unrecht!
Eine „Gemeinde“ wurde so als Eigentümerin angesehen, obwohl (rückblickend) sich der Gemeindebegriff im allgemeinen Sprachgebrauch bereits auf die moderne Ortsgemeinde verengt hatte. Solche Verwechslungen sind passiert, wenn die Zeitgenossen zu wenig Verständnis für die großen Entwicklungslinien im Recht der alten Dorfgemeinschaften mitgebracht haben.
Die historische Gesellschaft Tirols war besonders anfällig für diese Fehlentwicklung. In Tirol kamen mehrere Umstände zusammen, die die moderne politische Ortsgemeinde als „Erbin“, als Rechtsnachfolgerin, der historischen Nachbarschaften erscheinen ließen.
Dies hat damit zu tun, dass die Tiroler Gemeinden bei Beginn der Grundbuchanlegung immer noch weitestgehend nur aus Mitgliedern der alten Nachbarschaften zusammen gesetzt waren.
Hinzu kam ein Wahlrecht zur Gemeindeführung, das vom so genannten „Grundsteuerschlüssel“ beherrscht war; der Besitz von Grund und Boden in der Gemeinde war für das Wahlrecht Ausschlag gebend.
Auch wurde die Grundbuchanlegung zu einem Zeitpunkt gestartet wurde, als in Tirol noch kein Flurverfassungsrecht (= damals: Teilungs- Regulierungs- Landesrecht) existierte. Ein Rechtsverständnis dafür, dass auch eine juristische Person des Organisationstyps „Agrargemeinschaft“ existieren könnte, hat deshalb weitgehend gefehlt. Statt eine Agrargemeinschaft als Trägerin des Eigentums zu erfassen, hat man auf „Gemeinden“ oder „Fraktionen“ zurück gegriffen.
Ein Bericht aus dem Jahr 1878 aus Niederösterreich fasst die Hintergründe und die Auswirkungen dieser Entwicklung für das damalige Kronland trefflich zusammen. Verfasser ist Dr. Josef Kopp, Reichstagsabgeordneter und Abgeordneter in Niederösterreichischen Landtag sowie Mitglied des damaligen Landesausschusses in Niederösterreich.
Im Auftrag des Niederösterreichischen Landtages hat Dr. Josef Kopp mehrjährigen Erhebungen in allen Gemeinden Niederösterreichs durchgeführt.
Sein Bericht vom 21. September 1878 liefert eine bemerkenswert tiefgründige Analyse der Sach- und Rechtslage.
Die faktischen Verhältnisse, weshalb Gemeinschaftsgut der Nachbarn in den neuen politischen Ortsgemeinden Niederösterreichs als ein Gut dieser neuen politischen Ortsgemeinden verstanden wurde, fasste Dr. Josef Kopp trefflich wie folgt zusammen:
„Ist diese moderne Gemeinde, dieser Mikrokosmus des Staates, diese juristische Person aber noch dasselbe wie die alte Dorfmark mit ihrer Wirthschaftsgenossenschaft?
Gewiß nicht, der territoriale Umfang und der Name ist derselbe geblieben, die Sache, der Begriff haben sich völlig geändert. Im Kataster aber und im Grundbuch steht noch der Name `Gemeinde´; wer ist nun das Rechtssubject bezüglich der dort eingetragenen Gemeindegründe?
Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg auf anwendbar war. Die `Gemeinde´ erschien in allen Urkunden als Eigenthümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne daß letztere gestorben wäre.
Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren. Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. …
Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“
„GEMEINDE“ IN DER PRIVATRECHTSKODIFIKATION
Ende 18. Jahrhundert: „Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“. So lautet eine Bestimmung zum Sachenrecht des Entwurfes zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahr 1796.
Diesen Gesetzesentwurf hatte Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, einer der bedeutensten Juristen seiner Zeit, erarbeitet. Der „Gesetzesentwurf Martini“, auch „Ur-Entwurf zum ABGB“ genannt, wurde versuchsweise in Westgalizien in Kraft gesetzt. Deshalb ist er auch als „Westgalizisches Gesetzbuch“ bekannt. Nach dem Tod Martinis im Jahr 1800 hat sein bedeutenster Schüler, Franz von Zeiller, die weitere Bearbeitung des Gesetzeswerkes geleitet. 1811 war schließlich unser heute noch geltendes Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch fertig gestellt. Der „Ur-Entwurf“ ist deshalb auch für das geltende Recht von großer Bedeutung.
Der „Ur-Entwurf“ macht deutlich, was der Begriff „Gemeinde“ in der historischen Juristensprache bedeutete: Eine „Gemeinde“ war eine juristische Person nach privatem Recht, ein Zusammenschluss von Privatpersonen – ein heute in Vergessenheit geratenes gesetzliches Organisationsmodell. Die Rechtswissenschaft sprach damals auch von einer „Korporation“, von einer „persona moralis“ oder eben einer „Gemeinde“. Dies entsprechend einer Jahrhunderte alten Rechtstradition.
In Sinne dieser Tradition formulierte der Codex Theresianus im Jahr 1765: „… also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können“ (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 133).
Passend berichtete das Tiroler Gubernium im Jahr 1784, was man in Tirol unter einer „Gemeinde“ verstünde: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249 – zitiert nach Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, Tiroler Heimat 2008, 162).
„Gemeinde“ ist nach diesem Verständnis eine private Personenvereinigung – heute würde man sagen eine Gesellschaft nach Privatrecht, gegründet von Privatpersonen.
Die Rechtsgelehrten des „gemeinen Rechtes“ hatten Grundsätze für diese „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ erarbeitet.
Als ihr Ursprung wurde die fortgesetzte Niederlassung von Menschen an bestimmten Orten angenommen. Eine „Gemeinde“ war vermögensfähig, sie hatte die Fähigkeit zum Besitzerwerb, die Fähigkeit zum Prozessieren sowie die volle Erbfähigkeit. Insbesondere konnten diese Gemeinden Verträge abschließen, sei es mit einzelnen Gemeindegliedern oder mit Externen (z. B. kirchlichen Einrichtungen) und natürlich auch mit anderen Gemeinden weltlicher oder geistlicher Art oder mit der Obrigkeit. Irgendeiner staatlichen Bestätigung bedurfte die Bildung einer solchen Gemeinde nicht.
Zu Recht wurde behauptet, dass viele derartige Verbände ebenso alt oder noch älter sind als die historischen Staaten.
Praktisch bedeutsam wurde die private Gemeindeorganisation meist im Zusammenhang mit gemeinschaftlichem Grundbesitz.
Dies lässt auch der Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus den 1790er Jahren deutlich erkennen:
Der Gesetzesabschnitt zum Sachenrecht regelt zuerst, dass Sachen entweder dem Staat als solchem gehören oder den Untertanen, den Privaten.
Die anschließenden zwei Paragraphen behandelten die Sachen des Staates. Sodann werden die Sachen der Privaten geregelt und die Eigentümer von Privatvermögen definiert. Der Gesetzestext spricht von den „Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft“, den Untertanen des Herrschers.
Diese privaten Untertanen waren entweder „Gemeinden“ oder „einzelne Personen“.
Zum „Gemeindeeigentum“ regelt der „Ur-Entwurf“ Folgendes: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber […] dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; […] sie heißen das Gemeindevermögen.“
Diese Regelung macht deutlich, dass mit dieser Gesetzesregelung die Rechtsverhältnisse an einer „Gesellschaft der Nachbarn“, am Nachbarschaftseigentum organisiert in einer juristischen Person nach Privatrecht, geregelt werden sollten. Das betreffende Nachbarschaftsvermögen diente entweder der Nutzung durch die jeweiligen Nachbarn (= Gemeindegut) oder es diente der (Finanzierung der) Gemeinschaft als solcher (Gemeindevermögen).
ORGANISATIONSMODELL FÜR GEMEINSCHAFTSEIGENTUM
Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ fiel den historischen Juristen vor allem als Organisationsmodell für gemeinschaftliches Eigentum in die Augen.
So hatte das Tiroler Gubernium im Jahr 1784 die „Gemeinde“ definiert als „gewisse Häuser, die gemeinschaftlich Nutzbarkeiten an Weiden, Waldungen und Gründen genießen“ [= Gemeindegut] und eine Kasse [= Gemeindevermögen] besitzen. Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ wird somit durch den Gemeinschaftsbesitz konstituiert. Die Mitberechtigung am Gemeinschaftsbesitz begründete die Gemeindemitgliedschaft. Die gemeinschaftliche Sache, die von den Gemeindegliedern genutzt wird, ist das zentrale Element, der „Materialisationspunkt“, um den herum sich die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ in den Dörfern entwickelt hat.
Der Begriff „Gemeinde“ war und ist darüber hinaus auch für andere Zusammenschlüsse von Personen gebräuchlich – beispielsweise für die kirchlichen Gemeinschaften, die „geistlichen Gemeinden“, die „Pfarrgemeinden“, aber auch für politische und soziale Verbindungen von Personen, seien es „nachhaltige Strukturen“ oder lose, spontane Verbindungen. Es gibt die Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden, die Schulgemeinden, die Jagdgemeinden, die (moderne) Fangemeinde, die „Trauergemeinde“ usw.
Im Großen ergibt sich folgende Einteilung:
Es gibt die Gruppe der geistlichen (= Religions-)Gemeinden, die Gruppe der politischen Gemeinden und die Gruppe der Gemeinden nach bürgerlichem Recht, und schließlich diverse lose „soziale Gemeinden“. Jede dieser völlig verschiedenen Erscheinungen kann gemeint sein, wenn von „Gemeinde“ die Rede ist. Meist ergibt sich schon aus dem Zusammenhang, welche Gemeindeerscheinung gemeint ist. Wenn z. B. der Pfarrer sich am Sonntag in der Predigt an die „Gemeinde“ wendet, wissen der Bürgermeister und die Gemeinderäte genau, dass nicht die politische Ortsgemeinde angesprochen ist, sondern die im Gotteshaus versammelte „Gemeinde der Kirchgänger“. Bleibt die Rechtsnatur der gemeinten „Gemeinde“ aus dem Sprachkontext unklar, ist die Bedeutung im Einzelfall durch Interpretation zu ermitteln.
Der Gemeinschaftsbesitz einer Mehrheit von Stammliegenschaftsbesitzern bildete den hauptsächlichen Anlass für die Anerkennung einer „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“. Hierfür hat sich die Bezeichnung „Wirtschaftsgemeinde“ eingebürgert. Der Gemeinschaftsbesitz wurde in Tirol „Gemain(d)“ oder „Gmoa(n)“ genannt. Unter „Gemain“ ist jener Grund und Boden zu verstehen, der von den Mitgliedern der Nachbarschaft, den „Feuerstattbesitzern“, gemeinsam bewirtschaftet wurde. In der Regel waren diese mitberechtigten Feuerstätten auch örtlich miteinander verbunden, weshalb die „Gemeinde“ in Tirol meist „Nachbarschaft“ genannt wurde.
DAS GEMEINSCHAFTSGUT
Das jeweilige Gemeinschaftsgut konnte nicht nur Alm, Wald oder Weide sein, sondern auch ein Brunnen oder eine Mühle – auch ein Backofen usw. Auch eine Pflicht konnte Veranlassung zur Gemeindebildung geben. Manche historische Nachbarschaft war verpflichtet, einen bestimmten Flussabschnitt zu regulieren [= „verarchen“]. Die Nachbarn bildeten insoweit eine „Verarchungsgemeinde“. Wenn diesem Zweck ein Stück Land gewidmet wurde, wo die Steine und das Bauholz gewonnen wurden, war die Liegenschaftsbezeichnung „Archenwald“ geläufig. Einen „Archenwald“ findet man heute noch in Kematen oder in Weer.
Kleinere Siedlungsverbände hatten oft eigene Heimweiden und eigene Almweiden. Dies konnte begleitet sein von einer Waldwirtschaft im Großverband. In St. Jakob im Defereggental haben sich bis heute solche Strukturen erhalten: Vier Nachbarschaften, in Osttirol „Rotten“ genannt, besitzen die lokalen Heimweiden um die jeweiligen Höfe; die Gemeinschaft aller Hofbesitzer der vier „Rotten“ besitzt in St. Jakob den Wald. Die zahlreichen Almen werden von ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gemeinschaften genutzt, zu einem beträchtlichen Teil auch von Hofbesitzern aus dem Südtiroler Ahrntal. Die typische Feuerstatt war somit in St. Jakob bei drei Wirtschaftsgemeinden beteiligt: an der aus den Nachbarn gebildeten „Weidegemeinde“, der großen „Waldgemeinde“ und einer „Almgemeinde“.
„Gemain“ als Hauptwort konnte sowohl die Bezeichnung einer Nachbarschaft sein, als auch die Bezeichnung der Nachbarschaftsliegenschaft. Die Nachbarschaftsmitglieder waren die „Gmoa“ (= Gemeinde) und ihr Gemeinschaftseigentum war die „Gmoa“ (= Gemeinde). Diese uralte Terminologie hat auch in das geltende Flurverfassungsrecht Eingang gefunden. Treffend bemerkt der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis Sammlung 9336/1982, dass der Begriff „Gemeinde“ nicht nur die heutige politische Ortsgemeinde bezeichnet, sondern auch zur Bezeichnung der Summe der Nutzungsberechtigten an den Gemeinschaftsliegenschaften verwendet wird und dass das Flurverfassungsrecht beiderlei Begriffsverständnis voraussetzt.
GMOA ODER GMOA?
Vor diesem Hintergrund ist der Gemeindebegriff im Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem ABGB von 1811, zu interpretieren. „Unter dem Begriff ‚Gemeinde’ versteht das ABGB keineswegs die Ortsgemeinde oder ein ähnliches territoriales Gebilde“, sondern es „gilt (…) als ‚Gemeinde’ eine Moralische Person, die als ‚Gemeinschaft’, ‚Körper’ aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482), ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht, durch ‚Stellvertreter’ handelt (§ 867), über ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. über ‚Gemeindegüter’ verfügen kann (§ 290) und von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189) geleitet wird.“ (Wilhelm Brauneder, Von der moralischen Person des ABGB zur Juristischen Person der Privatrechtswissenschaft, in: Wilhelm Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts, Frankfurt/Main 1994, 159ff, Zitat 165.) Demnach kennzeichnet der Begriff „Gemeinde“ im ABGB also jede organisierte Personenmehrheit, eine Auffassung die durch zahllose zeitgenössische Quellen belegt werden kann.
Schon die Register zum ABGB oder zur Politischen Gesetzessammlung zeigen die Vielfalt verschiedener „Gemeinden“. Zitiert sei hier bloß, stellvertretend für dieses Verständnis, der wichtigste Redaktor und erste Kommentator des ABGB, Franz von Zeiller. Er erläuterte zu § 27 ABGB: „Die unter öffentlicher Authorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die (!) der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besonderen Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte. Die Vorsicht fordert demnach, daß diejenigen, welche mit Gemeinheiten (!) Rechtsgeschäfte eingehen, sich zuvor genaue Kenntniß erwerben, ob und inwieweit dieselben oder ihre Vorsteher in der Verwaltung des Vermögens eingeschränkt oder begünstiget seyn.“ (Franz von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, Wien-Triest 1812, 132f).
REALGEMEINDE UND EINWOHNERGEMEINDE
Wenn Juristen von der historischen Wirtschaftsgemeinde sprechen, wird oft der Begriff „Realgemeinde“ verwendet. Dieser Begriff leitet sich ab von der „Realität“, einer veralteten Bezeichnung für Immobilie. Die „Realgemeinde“ (= Realitätengemeinde) ist die Summe der Grundbesitzer [besser: „Grundeigentümer“] in einer Gemeinde. Die „Realgemeinde Mieders“ ist demnach die Summe der Grundbesitzer in Mieders. Bezeichnend ist, dass im Burgenland die weit überwiegende Mehrzahl der Agrargemeinschaften die Bezeichnung „Urbarialgemeinde“ führt. Dies hat folgenden Hintergrund: Der Großteil des heutigen Burgenlands war über Jahrhunderte ein Teil des Ungarischen Königreiches. In Ungarn wurde schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein eigenes Gesetz für die agrarischen Gemeinschaften geschaffen. Was in Österreich eine Agrargemeinschaft ist, war in Ungarn die „Urbarialgemeinde“. „Urbar“ war ein zu ökonomischen, administrativen oder rechtlichen Zwecken angelegtes Verzeichnis von Liegenschaften, Abgaben und Diensten einer Grundherrschaft. Die „Urbarialgemeinde“ im Burgenland ist somit die Summe der Stammsitze, die in der Steuerliste der Grundherrschaft eingetragen waren. Die „Urbarialgemeinde“ vereinigte somit die Liegenschaftsbesitzer einer historischen Grundherrschaft. Im Ergebnis entspricht das vollkommen der Summe der historischen Stammsitze einer Nachbarschaft. Kraft Erbrechts oder Rechtsnachfolge unter Lebenden sind die heutigen Besitzer mit den über Jahrhunderte nachweisbaren Rechtsvorgängern verbunden. Wer die Geschichte des Gemeindebegriffes verstehen möchte, muss sich von Vorstellungen lösen, die nur die heutige Ortsgemeinde als Staatsorganisation im Blick haben und ein allgemeines gleiches Wahlrecht voraussetzen. Die historischen Nachbarschaften, die zu den Anfangszeiten der heutigen Besiedlung ein bestimmtes Territorium in Besitz genommen haben, setzten sich aus der Summe der Hofbesitzer der jeweiligen Nachbarschaft zusammen. Nur der jeweilige Besitzer eines Hofes hatte auch politische Rechte in dieser Nachbarschaft.
Die Verknüpfung von Haus- und Hofbesitz mit der Anerkennung als Nachbar war stark im historischen Rechtsempfinden verwurzelt. Als der Kaiser nach der Niederlage Napoleons die Umwälzungen unter Bayrisch-Französischer Besetzung beseitigt hat, wurden auch die alten Nachbarschaften (= Gemeinden) in Tirol per Gesetz wiedererrichtet. Dieses Gesetz stammt aus dem Jahr 1819 und wird das „Tiroler Gemeinderegulierungspatent“ genannt. Dieses Gesetz regelt auch die Mitgliedschaft zum politischen Gemeindeverband. Ausdrücklich bestimmt dieses Gesetz, dass ein Wohnsitz in der Gemeinde rechtlich ohne Bedeutung ist. („Der Umstand, ob die Gemeindeglieder in der Gemeinde wohnen oder nicht, begründet keinen Unterschied und die bloße Einwohnung bringt die Eigenschaft eines Gemeindegliedes nicht hervor“; § 1 Abs. 2 des Gemeinderegulierungspatents vom 14. August 1819). Politische Rechte, insbesondere Wahlrecht zur Gemeindevertretung hatten nach diesem Gesetz jene Personen, die innerhalb der Gemeindegrenzen so viel Liegenschaftsbesitz hatten, dass diese daraus eine direkte Steuer bezahlt haben – kurz: die Hofbesitzer. Gleichgestellt waren diesen nur die Inhaber von Gewerbebetrieben innerhalb der Gemeindegrenzen, sofern wiederrum aus dem Gewerbebetrieb eine direkte Steuer bezahlt wurde. Wo der jeweilige Besitzer von Grund und Boden oder des Gewerbebetriebes tatsächlich gewohnt hat, war egal. In der typischen Tiroler Landgemeinde hatten demnach nur die Hofbesitzer politische Rechte; nur diese bildeten die „Gemeinde“.
GRUNDBESITZ UND WAHLRECHT
Selbst als der historische Staat in den 1860er Jahren die heutigen Ortsgemeinden eingerichtet hat, knüpfte das Wahlrecht zur Gemeindevertretung in erster Linie an die Steuerleistung aus Grundbesitz. § 1 der Gemeinde-Wahlordnung für die gefürstete Grafschaft Tirol vom 9. Jänner 1866 lautete: „Wahlberechtigt sind: 1. diejenigen Gemeindeglieder, welche österreichische Staatsbürger sind und von ihrem Realbesitze, Gewerbe oder Einkommen seit wenigstens einem Jahr in der Gemeinde eine direkte Steuer entrichten“. Neben dem „Steuerzahlerwahlrecht“ gab es vor allem das „Intelligenzwahlrecht“ (Lehrer, Pfarrer, Studierte usw.) und das „Ehrenbürgerwahlrecht“. Die Wahlberechtigten waren zusätzlich in Wahlkörper gegliedert („Zensuswahlrecht“). In den ersten Jahrzehnten des modernen politischen Gemeindewesens in Tirol hatten somit typischerweise nur Grundbesitzer, d. h. die „Bauern“, ein Wahlrecht zur Gemeindevertretung und zusätzlich der Pfarrer und der Lehrer. Die typische politische Ortsgemeinde in Tirol war somit kraft Wahlrechts zur Zeit der Monarchie eine Gemeinde der „Grundsteuerzahler unter Einschluss des Pfarrers und des Lehrers“. Die „Gemeinde der Wahlberechtigten“ und die „Gemeinde der heutigen Agrargemeinschaftsmitglieder“ waren somit praktisch ident. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass für gewöhnlich heute auch das historische Wohnhaus des Pfarrers (das Widum) und das Schulhaus „Mitglied der Agrargemeinschaft“ sind.
Die historischen Nachbarschaften haben politische Aufgaben wahrgenommen, religiös-soziale und solche wirtschaftsgenossenschaftlicher Art. Die Historiker sprechen von einer „Markgemeinde“. Abhängig von der lokalen Rechtsentwicklung wurden die politischen Aufgaben früher oder später in staatlich implementierte Rechtsträger ausgelagert, die religiös-sozialen Aufgaben oft in Rechtsträger nach kirchlichem Recht. Die wirtschaftsgenossenschaftliche Seite der „Markgemeinde“ ist in vielen Gebieten deshalb untergegangen, weil das ursprünglich gemeinschaftlich genutzte Wirtschaftsgebiet unter den Hofbesitzern aufgeteilt wurde. Wegen Aufteilung des Gemeinschaftsbesitzes gibt es in vielen Gemeinden der Bezirke Kufstein und Kitzbühel heute gar keine Agrargemeinschaften mehr oder nur Gemeinschaftsalmen und Restgrundstücke in der Dorfflur (im Eigentum einer „Dorfgemeinschaft“). Dagegen ist von Schwaz das Inntal aufwärts das Gemeinschaftsgut, die „Gmoa“ oft ungeteilt geblieben.
GEMEINDE UND FEUERSTATT
Eine „Gemeinde“ war Rechtsträgerin nach privatem Recht, d. h. „Person“ im Sinn des Gesetzes. Aus heutiger Sicht auffällig ist die Tatsache, dass der „Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 1796“ bei der Aufzählung von privaten Untertanen des Kaisers die „Gemeinden“ noch vor den einzelnen Personen erwähnt („Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“). Diese „Gemeinden nach bürgerlichem Recht“ erscheinen im Ur-Entwurf zum ABGB als die „wichtigeren“ privaten Untertanen. Die Kommunikations- und Informationsverhältnisse vergangener Jahrhunderte machen den Grund dafür deutlich: Der Herrscher hat es vorgezogen, seine Untertanen in „Hundertschaften“ anzusprechen, weil damals nur die jeweilige Gemeinschaft der Nachbarn, eben die „Gemeinde“, für die politische Führung wirklich greifbar war: Steuern wurden „gemeindeweise“ erhoben; Kriegslasten wurden „gemeindeweise“ auferlegt usw. Nicht einmal die Größe solcher „Gemeinden“ wurde in der älteren Zeit nach der Anzahl der Einwohner erhoben. Maßgeblich war die Anzahl der Häuser und Höfe, die Anzahl der „Feuerstätten“. Was wir heute als „Volkszählung“ veranstalten, war in der älteren Zeit die „Feuerstättenzählung“ – im heutigen Tirol erstmals nachgewiesen um das Jahr 1310. Die zweite fand um das Jahr 1420 statt.
Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ war über Jahrhunderte die wichtigste Erscheinungsform der juristischen Person nach Privatrecht. Als solche war die „Gemeinde“ schon im historischen Griechenland als „polis“ und im römischen Rechtskreis unter der Bezeichnung „communitas“, „vicus“ oder „colonia“ anerkannt. Nach dem „gemeinen Recht des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ war die „Gemeinde“ ein Verband von Personen, die sich zur Förderung eines erlaubten, die Mitglieder selbst überdauernden Zweckes zusammengeschlossen hatten. Im Jahr 1784 hat das Tiroler Guberium, die oberste Verwaltungsstelle im Land, Folgendes klargestellt: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluss anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z. B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ Diese Definition enthält alles, was nach heutigem Rechtsverständnis eine Agrargemeinschaft ausmacht: Gemeinschaftliches Liegenschaftsvermögen, nutzungsberechtigte Stammsitze und eine planmäßige gemeinsame Wirtschaft.
WIRTSCHAFTSGEMEINDE UND ABGB
Fünf Jahre nachdem der „Ur-Entwurf“ zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch fertig gestellt war, nahm eine neue Hofkommission in Gesetzessachen im Dezember 1801 die Beratungen über die im Begutachtungsverfahren erstatteten Einwendungen auf. Der Ur-Entwurf hatte am Beginn des Sachenrechts folgende Regelung zum Eigentum der Wirtschaftsgemeinde enthalten: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Das oberösterreichische und das niederösterreichische Appellationsgericht sowie die Universität Prag hatten für die Beratungen der Hofkommission zur Überarbeitung des Gesetzesentwurfes den Einwand erhoben, dass an den „Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitglied der Gemeinde der Gebrauch zustehe“.
Was die zwei Appellationsgerichte und die Universität Prag zum Ur-Entwurf des ABGB anzumerken hatten, ist jedoch eine Selbstverständlichkeit. Man muss nur die Mehrfachbedeutung des Gemeindebegriffes zu lesen wissen. Wirtschaftsgemeinden existierten innerhalb einer Einwohnergemeinde grundsätzlich so viele, wie verschiedene Eigentümergruppen vorhanden sind. Dazu folgendes Beispiel: Wenn in Lermoos vier gemeinschaftliche Wald- und Almgebiete bestehen, von denen das erste nur von den Obergarter Feuerstätten genutzt wird, das zweite nur von den Untergartern, das dritte nur von den „Dorf-Lermoosern“ und das vierte, der „Schober-Häselgör-Wald“, von allen Feuerstattbesitzern, nämlich den Obergartern, den Untergartern und den „Dorf-Lermoosern“ gemeinschaftlich, dann existieren in Lermoos vier „Wirtschaftsgemeinden“. Jeder Lermooser Stammsitzeigentümer ist bei zweien davon beteiligt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass nicht jeder Einwohner von Lermoos an den Liegenschaften der vier Wirtschaftsgemeinden beteiligt war. Dies aus einem ganz einfachen Grund: Nur weil jemand in Lermoos seinen Wohnsitz nimmt, erwirbt er noch keine Mitberechtigung an einem dort befindlichen Vermögen. Ein Schmied, der sich im Jahr 1799 in Dorf Lermoos niedergelassen hatte, hat dadurch kein Weiderecht auf der Duftlalm der Lermooser erworben und genauso wenig ein Holzbezugsrecht im „Schober-Häselgör-Wald“. Und wenn dieser Schmied ein Jahr später nach Untergarten übersiedelt wäre, hätte er auch durch diesen Schritt kein Weiderecht und auch kein Holzbezugsrecht erworben – weder in Untergarten, noch in Obergarten. Wenn die beiden Appellationsgerichte und die Universität Prag deshalb daran erinnerten, dass „von Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitglied der Gemeinde der Gebrauch zustehe“, so legten diese den Begriff einer „Einwohnergemeinde“ zu Grunde, während der Gesetzestext eine Wirtschaftsgemeinde voraussetzt. Nicht jeder Einwohner ist nutzungsberechtigtes Mitglied der Wirtschaftsgemeinde, aber jeder Nutzungsberechtigte ist Mitglied der Wirtschaftsgemeinde.
Den Verfassern des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches war der Unterschied zwischen einer Einwohnergemeinde und der Wirtschaftsgemeinde offensichtlich bewusst. Ungeachtet der zitierten Anmerkungen der beiden Appellationsgerichte und der Universität zum Ur-Entwurf wurde folgender Gesetzestext formuliert: „Auf gleiche Weise machen Sachen, welche nach der Landesverfassung zum Gebrauch eines jeden Mitgliedes einer Gemeinde dienen, das Gemeindegut; diejenigen aber, deren Einkünfte zur Bestreitung der Gemeindeauslagen bestimmt sind, das Gemeindevermögen aus“ – die heute noch geltende Fassung des § 288 ABGB. Das federführende Mitglied der Hofkommission, Franz von Zeiller, verweist in seinem Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus den 1810er Jahren auf die jeweils lokalen Rechtsordnungen in den verschiedenen Kronländern. Im Gesetz selbst ist dagegen nicht geregelt worden, wer von den Gemeindeeinwohnern ein Nutzungsrecht und damit eine Mitgliedschaft hat. Vielmehr ist es der Sache nach bei dem geblieben, was schon der Ur-Entwurf vorgesehen hatte: Es wurden die Rechtsverhältnisse der privaten Wirtschaftsgemeinden definiert. „Gemeindegut“ ist danach jenes Vermögen, das ein Mitglied der Wirtschaftsgemeinde nutzen darf, weil nur die Nutzungsberechtigten Mitglieder dieser Wirtschaftsgemeinde sein können. Anders ausgedrückt: Man ist Mitglied der Wirtschaftsgemeinde, weil man mitberechtigt ist. Oder: Nur die jeweils Nutzungsberechtigten sind in der jeweiligen Wirtschaftsgemeinde zusammengeschlossen. Dies unabhängig davon, wer sonst in der betreffenden Katastralgemeinde aufhältig ist, wer dort wohnt und dort seinen Lebensmittelpunkt errichtet hat. Die Wirtschaftsgemeinde und die Einwohnergemeinde sind verschiedene Paar Schuhe!
VERWECHSLUNG LEICHT GEMACHT
Und damit ist zurück zukommen auf den eingangs zitierten Bericht des Dr. Josef Kopp, den dieser im Jahr 1878 den Niederösterreichischen Landtag erstattet hat. Josef Kopp war freilich nicht der erste, der dieses Phänomen bemerkt und analysiert hatte.
Carl Peyrer, der Altmeister des Österreichischen Agrarrechts, hatte in seiner Abhandlung „Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse“ bereits ein Jahr zuvor gesetzliche Maßnahmen gefordert. Den Grund für den Handlungsbedarf des Gesetzgebers sieht er in größter Unklarheit und Verwirrung, verbunden mit Sorglosigkeit, wenn es sich darum handelte, „die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher, einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“
Peyrer, der als k.k. Ministerialrat im Ackerbau-Ministerium aufgrund seiner umfangreichen beruflichen Tätigkeit tiefgehende Einblicke in die damaligen agrarischen Verhältnisse in den diversen Österreichischen Ländern besaß, nennt dafür verschiedene Beispiele:
Die „Tabellen zur Land- und Forstwirtschaft des Königreiches Böhmen“, würden den so wichtigen Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsvermögen gar nicht kennen; beide Kategorien würden gemeinsam unter der Bezeichnung „Gemeindegründe“ geführt.
Selbst das „Statistische Jahrbuch des Ackerbauministeriums“ 1874 (zweites Heft über Forststatistik) lasse den Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftswaldungen kaum erkennen; nach dem Inhalt dieses „Statistischen Jahrbuches 1874“ würden in Kärnten nur „Reichsforste“ oder „Privatwälder“ existieren – die Kategorie „Gemeindewälder“ sei dort nicht vorgesehen; alle „Nachbarschaftswaldungen“ seien danach in Kärnten den „Privatwaldungen“ gleichgestellt.
Im „Küstenlande und in Dalmatien“ seinen dagegen alle gemeinschaftlich benutzten Gründe als „Gemeinde-Eigentum“ ausgewiesen – selbst die gemeinschaftlichen Weiden wären als „Gemeindeweiden“ eingetragen. Dies in krassem Gegensatz zu den Verhältnisse in Krain, wo aufgrund von Erhebungen durch den Landesausschuss sowie von Seiten der Regierung in den Jahren 1869 und 1870 die Überzeugung gewonnen wurde, dass die gemeinschaftlich benutzten Hutweiden kein Gemeindevermögen, sondern ein Gemeinschaftsvermögen bilden würden.
In der Bukowina hätten laut Bericht von Peyrer Servituten-Ablösungs-Vorgänge stattgefunden, wo die Ablösungsflächen als Ergebnis von Grundlasten-Verhandlungen „nominell an die Gemeinden“ zugeschrieben wurden. Peyrer bemerkt dazu, dass die Berechtigten nicht die Absicht gehabt haben konnten, ihre privaten Nutzungsrechte zugunsten der [Orts-]Gemeinde aufzugeben, was schon daraus ersichtlich sei, dass die einzelnen Berechtigten in den Äquivalenzwaldungen ihre Holznutzungsrechte ausübten. Die Gemeindevorsteher, ebenfalls Servitutsberechtigte, hätten nicht den mindesten Versuch unternommen, das Ablösungs-Äquivalent der Servitutsberechtigten als ein Gemeinde-Eigentum zu behandeln, somit andere Gemeindeglieder als die ursprünglich abgelösten, zum Genusse zuzulassen. Als aber neue Ansiedler gleichen Genuss am „Gemeindevermögen“ verlangten, entstand Streit, „ob der Wald nach dem Wortlaut der Urkunden den Gemeinden oder nach der offenbaren Willensmeinung aller Servitutsberechtigten, den Gemeinschaften der letzteren gehöre“.
Peyrer kommt schließlich auch auf Salzburg und Tirol zu sprechen und vergleicht diese mit den Problemfällen in der Bukowina: Wie in der Bukowina seinen auch in anderen Ländern, z.B. in Salzburg und Tirol, bei Forstregulierungen und Servitutenverhandlungen, „um das Geschäft leichter abzuwickeln“, die Ablösungs-Äquivalente nicht den Servitutsberechtigten, sondern nominell „der Gemeinde“ zugewiesen worden, „ohne dass diese Rechtsverhältnisse weiter klargestellt wurden“. Die Äquivalente waren nach der Summe der privatrechtlichen Nutzungsrechte der einzelnen servitutsberechtigten Güter berechnet und hätten daher selbstverständlich weder einen Überschuss für die Gemeinde, noch für andere, bisher nicht servitutsberechtigte Gemeindeglieder abgegeben. (Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 47 f).
Bereits im Jahr 1849 hatte Julius Weiske, Professor der Rechte an der Leipziger Juristenfakultät, eine umfangreiche Abhandlung zum Thema „Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder“ vorgelegt. Darin forderte er Verständnis für die Unterscheidung des fälschlich für Gemeindeeigentum angesehenen „Gemeindegutes“ vom wahren Eigentum der jeweiligen Ortsgemeinden. Julius Weiske:
„So wären denn die Gemeinden darüber aufzuklären, wie diese Güter entstanden sind, wie die jetzt bevorzugt erscheinenden Mitglieder die rechtlichen Nachfolger derer sind, welche die heute sog. Gemeindegüter ungeteilt ließen, um sie gemeinschaftlich oder nach bestimmt festgesetzten Anteilen für sich zu benutzen. Dabei muss man in Erwägung ziehen, dass die, welche diese Einrichtung trafen, ebenso gut jene Grundstücke hätten teilen und zu ihren Äckern oder Privatgütern schlagen können. Wäre dies geschehen, so würde heute niemand behaupten: Da wir jetzt alle wirkliche Gemeindeglieder, gleichberechtigt und gleich verpflichtet sind, so darf auch kein Mitglied ein größeres Gut oder mehr Wald als ein anderes haben.“
VERWECHLUNGSGEFAHR ERKANNT
Selbstverständlich war die Unsicherheit der historischen Praktiker und ihre mangelnde Fähigkeit, das uralte Gemeinschaftsvermögen vom Eigentum der modernen Ortsgemeinde zu unterscheiden, auch Gegenstand der späteren agrarbehördlichen Verfahren.
So entschied der Oberste Agrarsenat anhand eines Falles aus Niederösterreich das folgende:
„Die Gemeinde Isper dieses Protokolls von 1829 war als solche nicht ident mit dem Markt Isper. Dies bedeutet weiters, dass der Gemeindewald nicht ein Wald des Marktes Isper, sondern ein Wald der Gemeinde Isper = der 26 Urhausbesitzer war. Wobei noch hinzuzufügen ist, dass das Wort Gemeinde im älteren Sprachgebrauch die Bedeutung Realgemeinde = Gmoa = Gesamtheit der Urhausbesitzer hat, da es im Jahr 1829 Ortsgemeinden im heutigen Sinn noch nicht gegeben hat. Wenn man weiters im Protokoll liest, dass der restliche Wald „weiterhin Gemeindewaldung bleibt“, so kann dies nur heißen, dass sich der Rechtszustand bezüglich des restlichen Waldes gegenüber dem Rechtszustand vor der Teilung nicht geändert hat. Aus dem Protokoll vom Jahr 1829 ist daher nur das eine zu gewinnen, dass unter dem Begriff „Gemeinde“ die 26 Urhausbesitzer verstanden wurden und dass somit schon damals alle Merkmale für das Vorhandensein einer Agrargemeinschaft sprachen.“ (Obersten Agrarsenates 245-OAS/58 vom 6. August 1958)
„Aus dem Protokoll vom Jahr 1829 ist daher nur das eine zu gewinnen, dass unter dem Begriff „Gemeinde“ die 26 Urhausbesitzer verstanden wurden und dass somit schon damals alle Merkmale für das Vorhandensein einer Agrargemeinschaft sprachen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Grundbuchanlegungsprotokoll vom 13.4.1885 zu werten, dessen Angabe „Die Marktgemeinde Isper besitzt …“ nicht den Tatsachen entspricht, weil tatsächlich die Gemeinde Isper, bestehend aus den 26 Urhausbesitzern, Eigentümerin ist.“ (Obersten Agrarsenates vom 6. August 1958, ebendort)
„Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde – auch Ortsgemeinde genannt – zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit Gemeinde, Gmoa, Marktgemeinde oder Commune bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung nicht bewusst wurde, das FLG hat in § 36 und § 37 an diesen geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet.“ (Obersten Agrarsenates vom 6. August 1958, ebendort)
Nicht von ungefähr kommt es deshalb, dass der langjährige Leiter der Tiroler Agrarbehörde Dr. Albert Mair schon im Jahr 1958 im Zuge seiner Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ folgendes feststellte: „Bei der Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass daher die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ Diesem Standpunkt hat sich Anfang der 1980er Jahre die Tiroler Landesregierung angeschlossen und im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 folgendes zu den historischen Verhältnissen in Tirol vorgebracht: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“
AUCH VFGH KENNT MEHRERE „GEMEINDEN“
Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof in ebendiesem Erkenntnis VfSlg 9336/1982 seinerseits klar gestellt, dass der Begriff „Gemeinde“ auch für das Phänomen des Gemeinschaftseigentums als Organisationsform der Nutzungsberechtigten Verwendung finde, und dass das Flurverfassungsrecht dies voraussetze. Neben der Bezeichnung für die politischen Ortsgemeinde und deren Eigentum, dem Gemeindegut, würde der Begriff „Gemeinde“ zur Bezeichnung einer Gesellschaft (Realgenossenschaft), zusammengesetzt aus den Nutzungsberechtigten, verwendet. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Phänomen der Servitutenablösung hätte der Gesetzgeber den Begriff der „Gemeinde als Gesellschaft der Nutzungsberechtigten“ vorausgesetzt und im Flurverfassungsrecht berücksichtigt. Beide Phänomene, das Gemeindegut einerseits und das aus Servitutenablösung entstandene Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten, seien streng zu unterscheiden (VfGH Slg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung).
AUCH DER VWGH KENNT VERSCHIEDENE „GEMEINDEN“
Am 30.06.2011 spracht der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. Gleiches gilt für die Fälle von Grundstücken gem § 15 Abs. 1 lit. b Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951. „Gemeinde“ bedeutet in dieser Gesetzesbestimmung eine Gemeinschaftsorganisation der Nutzungsberechtigten. (VwGH VwSlg 18171 A/2011 vom 30.6.2011 Zl 2010/07/0091, 6.3.2)
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SCHLUSSFOLGERUNG
Jede ernstzunehmende Analyse der wahren historischen Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften hat deshalb zu berücksichtigen, dass der Begriff „Gemeinde“ – insbesondere in älteren Urkunden und öffentlichen Registern nicht nur eine politische Ortsgemeinde bezeichnen kann, sondern vielfach auch „Gemeinden“ im Sinn von Gemeinschaften privater Miteigentümer.
Es gilt der Grundsatz: Je älter eine Rechtsquelle ist, desto wahrscheinlicher ist die Begriffsverwendung im Sinn einer Gemeinschaft von Privaten.
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MP