Die Vorboten des Revolutionsjahres 1848 zeigten sich in Tirol schon ab dem Jahr 1839. Dies in der Form, dass die Tiroler die Forderung erhoben haben, dass das Obereigentum des Adels an den Tiroler Wäldern aufgehoben wird. Die Tiroler forderten, dass sie selbst Eigentümer der Tiroler Wälder sein sollten. Die damaligen „Waldordnungen“ definierten den Wald in Nordtirol als Eigentum des Landesfürsten. Niemand konnte Waldeigentum behaupten, es sei denn, eine fürstliche Verleihungsurkunde bestätigte das Eigentum. Diese Rechtssituation nennt man das „Forstregal“ des Landesfürsten. Dieses geht auf Gesetze der Tiroler Grafen aus dem 14. Jahrhundert zurück. Die Tiroler waren nach dieser Rechtsauffassung nur Nutzungsberechtigte. Ende der 1830er Jahre waren die Tiroler nicht mehr länger bereit, dieses adelige Obereigentum zu akzeptieren. Überall im Land forderten die Privaten ihre Anerkennung als Eigentümer der Wälder. Ein Bericht aus dem Jahr 1851 spricht von hunderten Rechtsstreitigkeiten, die bis Anfang des Jahres 1847 gegen das landesfürstliche Ärar anhängig waren. Die landesfürstliche Forstverwaltung sei fast nur mehr mit dem Sammeln von Klageschriften beschäftigt gewesen.
Kaiser Ferdinand I. befiehlt die Servitutenablösung
1847 entschloss sich Kaiser Ferdinand I. zur Rechtsbereinigung. Mit „aller höchster Entschließung vom 06.02.1847“ (Tiroler Forstregulierungspatent) wurde außerhalb Nordtirols das Eigentumsrecht der Holzbezugsberechtigten anerkannt. In Nordtirol wurde eine Servitutenablösung angeordnet: Wenn die Holzbezugsberechtigten auf ihre Nutzungsrechte am Staatsforst verzichteten, haben sie als Gegenleistung privates Waldeigentum an bestimmten, genau definierten Waldflächen erhalten. Für den Landesfürsten hatte dies zwei Vorteile: Die verbleibenden landesfürstlichen Wälder wurden von „Beholzungsservituten“ frei gestellt; die Ablöseflächen, die Privateigentum wurden, unterlagen der Grundsteuer. Organisatorisch wurde die Ablösung der Forstservituten in Nordtirol für jede Nachbarschaft gemeinschaftlich durchgeführt. So ist das Gemeinschaftseigentum der Nachbarschaften, das „Gemeindegut“, entstanden.
Die Wiener Zentralstellen hatten für diese Vergleichsabschlüsse einen speziellen Verhandlungsmodus angeordnet. Jede Nachbarschaft hatte in einer eigens vom Landrichter einberufenen Versammlung ihre Vertreter zu wählen. Das Hofkanzleidekret vom 29. Juni 1847 ordnete dazu folgendes an: Für die Vornahme der erforderlichen Gesamtverhandlungen sollten 1. jene Gemeindeglieder, die bei der Bevollmächtigung nicht intervenieren, an die Mehrheitsentscheidung gebunden werden; 2. die Bevollmächtigten waren aus den betreffenden Gemeindegliedern zu wählen und zwar bei größeren Gemeinden in der Zahl von zwölf, bei kleineren in der Zahl von mindestens sechs, 3. wenn mit den gewählten Vertretern kein Vergleichsabschluss zu erreichen sei, könne die Kommission eine bindende Mehrheitsentscheidung der ganzen Nachbarschaft herbeiführen.
Die Vertretung der Nachbarschaften wird geregelt
Die servitutsberechtigten Nachbarschaftsmitglieder wurden somit Mehrheitsbeschlüssen unterworfen. Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Wiener Hofkanzlei große Vertretungsteams von mindestens sechs gewählten Vertretern und sogar Zwölf-Mann-Teams bei großen Gemeinden vorgeschrieben hat. Es kann angenommen werden, dass diese Verhandlungsteams der Eingeforsteten ausreichende „Durchschlagskraft“ besaßen. Eine „starke Vertretung“ der Servitutsberechtigten war vom historischen Gesetzgeber ausdrücklich gewollt.
Der Vergleichsabschluss seitens des landesfürstlichen Ärars erfolgte durch die Forstservituten-Ablösungskommission. Dies jedoch nur „bedingt“. Weil die Servitutenablösung durch Grundabtretung, dh: durch „Entäußerungen von Aerarial-Eigenthum“, erfolgte, konnten sämtliche Vergleichsabschlüsse nur „unter Vorbehalt der Genehmigung des Hofkammerpräsidiums“ abgeschlossen werden. Jeder errichtete Ablösungsvergleich trägt deshalb die Unterschrift eines Ministers. Zu sehr wollte man die Geduld der Untertanen aber nicht auf die Probe stellen: Die Finanzverwaltung in Wien stellte „thunlichste Beschleunigung“ in Aussicht. Weil jeder einzelne Servituten-Ablösungsvergleich im Wiener Ministerium genehmigt werden musste, war die Servituten-Ablösungskommission verpflichtet, jeden Vergleichsabschluss zu begründen und zu erläutern.
Nachbarschaft contra politische Gemeinde
Die Frage, wer für die Nachbarschaften auftreten und handeln sollte, war ein zentrales Problem der Tiroler Servitutenablösung 1847. Der „Verhandlungsmodus“ gem Hofkanzleidekret vom 29. Juni 1847 ordnete Wahlen bevollmächtigter Vertreter an. Das Hofkanzleidekret vom 29. Juni 1847 zeigt, dass der Gesetzgeber ganz bewusst nicht auf vorhandenen Organe der 1819 in Tirol „regulierten“ politischen Gemeinden zurückgriff. Statt diesen einfachen Weg zu beschreiten, organisierte man mit immensem Aufwand auf eigenständiger Rechtsgrundlage jede „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ gesondert. Eine besondere Wahl von „Vertretern“ in einer unüblich großen Anzahl wurde vorgesehen: sechs bis zwölf
abschlussberechtigte Vertreter mussten für jede Dorfgemeinschaft gewählt werden. Dies in der Blütezeit des vom Staatskanzler Metternich geprägten vormärzlich-antidemokratischen Systems. Notwendig war dieser Schritt deshalb, weil die holzbezugsberechtigten Hofbesitzer nicht organisiert waren. Die Holzbezugsrechte, auch „Gnadenholzbezüge“ genannt, standen genau bestimmten Hofbesitzern zu. Hätte man die Gruppe der Berechtigten nicht klar organisiert und deren Vertretung geregelt, hätte man mit jedem Einzelnen Hofbesitzer verhandeln müssen.
Nur die jeweilige „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ konnte Eigentum an der Ablösefläche erlangen. Ein Eigentum der politischen Gemeinden, dh des Staates, an den Ablöseflächen scheidet aus. Dies verdeutlicht folgende Überlegung: Der historische Gesetzgeber wollte die Interessenbereiche des Landesfürsten einerseits und die Interessenbereiche der Hofbesitzer, der Bürger und Bauern in Nordtirol, trennen. Der Landesfürst wollte Wälder schaffen, wo der Holznutzen auch dem Landesfürsten verbleibt. Um die privaten Hofbesitzer zu motivieren, ihre Holzwirtschaft auf neu definierte, kleinere Flächen zu beschränken, musste eine Gegenleistung geboten werden: ein freies Eigentumsrecht der Holzbezugsberechtigten. Hätte die Servituten-Ablösungskommission die Ablöseflächen in das Eigentum der politischen Gemeinden übertragen, wären die Ablöseflächen Staatseigentum geblieben. Die Holzbezugsberechtigten wären bei den Vergleichsabschlüssen in Irrtum geführt und verkürzt worden: Trotz Lastenfreistellung beträchtlicher Flächen für das landesfürstliche Ärar [heute Bundesforste in Nordtirol], wäre der Landesfürst die Gegenleistung, nämlich ein freies Privateigentum an den Ablösegrundstücken, schuldig geblieben. Die Holzbezugsberechtigten hätten nach dieser These nichts bekommen, sondern nur in bedeutendem Umfang auf Rechte verzichtet. Dies ohne jede Gegenleistung. Der ganzen Tiroler Forstregulierung von 1847 würde so ein offenkundig verfassungswidriger Inhalt unterstellt.