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Von der Dorfgemeinde
zur Agrargemeinschaft

I. Die Untertanen des Kaisers waren entweder „Gemeinden“ oder einzelne Personen

Die heutige politische Ortsgemeinde ist ein Kind des Revolutionsjahres 1848. Es wurde eine allgemeine unterste Staatsebene neu geschaffen, die von den Bürgern in gewisser Selbstverwaltung, Autonomie und Demokratie geleitet werden sollte. Diese neue, unterste Ebene des Kaiserstaates wurde in den verschiedenen Verfassungsentwürfen geregelt, die seit dem Frühjahr 1848 geschaffen wurden. (mehr dazu) Die Rechtsentwicklung zeigt, dass diese neue politische Gemeinde, die den Bürgern gewisse neue Rechte sichern sollte, im Zentrum intensiver politischer Überlegungen stand. (mehr dazu) Erst das Reichsgemeindegesetz von 1862 und die Ausführungsgesetze der Länder dazu (von 1863 bis 1866) ordneten diese Einrichtung endgültig. (mehr dazu) Per gesetzlicher Anordnung aus dem Jahr 1945 gründen die heutigen Ortsgemeinden in Österreich auf den Einrichtungen, die aufgrund dieser Landesgemeindegesetze von 1863 bis 1866 konstituiert wurden. (mehr dazu)

Die Rechtsquellen aus der Zeit vor dem Revolutionsjahr 1848 meinen die verschiedensten „Gemeinde-Gebilde“ – Steuergemeinden, Schulgemeinden, Wehrgemeinden, Kirchengemeinden, Dorfgemeinden und andere – ein direkter Rechtszusammenhang (Rechtsnachfolgezusammenhang) zwischen diesen vielgesichtigen Gemeindegebilden und den heutigen Ortsgemeinden, ist gesetzlich nicht angeordnet. (mehr dazu) Speziell  die Eigentumsfrage betreffend ist das in den politischen Gemeindegesetzen 1849 und 1863 bis 1866 sogar explizit angeordnet. (mehr dazu) Die Angelegenheit war so wichtig, dass im Jahr 1850 ein eigener Erlass zur Verwaltung des Gemeindeeigentums veröffentlicht wurde, der klar stellt, dass das Gemeinschaftsvermögen der Gemeindebürger unangetastet bleiben muss (mehr dazu).

Hier interessiert besonders die Dorfgemeinde, der durch Gemeinsamkeiten der Ansiedler an einem bestimmten Ort geschaffene juristische Zusammenhang der Ansiedler, der sich durch gemeinsame Rechte (Alm, Wald, Weide, Wasser, Brunnen, Mühlen,  usw) und gemeinsame Pflichten (Wegerhaltung, Hochwasserschutz, Kriegslasten usw) manifestierte: „Gemeinde“, das waren Hauseigentümer mit Rechten und Pflichten (mehr dazu), Hauseigentümer, die im selben Waldstück Holzrechte ausübten (mehr dazu),  Hauseigentümer, die gemeinsame Weiderechte besaßen (mehr dazu) usw. Die Rechtsordnung des Kaiserstaates  definierte diese (Dorf-) Gemeinde als Privatperson, nicht anders als die Einzelindividuen. Bezeichnend ist die „Gemeindedefinition“ des „Gesetzbuches der Kaiserin Maria-Theresia“ („Codex Theresianus“), der die „Gemeinde“ als Zusammenschluss von mindestens drei natürlichen Personen definiert. (mehr dazu) Die (Dorf-)Gemeinde des Kaisertums ist demnach nichts anderes als das, was wir heute Gesellschaft nach bürgerlichem Recht nennen.

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1. Allgemeines

„Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“. So lautet § 6 des 2. Teiles des Entwurfes zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, den der Tiroler Freiherr Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, im Jahr 1796 seinem Kaiser vorlegte. Der Ur-Entwurf zum ABGB, auch genannt „Entwurf Martini“, macht die Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ zum Ende des 18. Jhdt deutlich.
Damals sollte das teilweise aus dem Mittelalter überlieferte, unter Heranziehung des Römischem Rechts neu strukturierte, mit kirchenrechtlichen („kanonischen“) Rechtsgedanken angereicherte „gemeine Recht des Reiches“ auf dem Staatsgebiet der Österreichischen Erblande durch eine moderne Zivilrechtskodifikation abgelöst werden. Das „gemeine Recht des Reiches“ war das Recht, das im sog. Heiligen Römischen Reiches dt. Nation gegolten hat, das immer dann herangezogen wurde, wenn sich aus den lokalen Rechtsvorschriften keine Regelung der betreffenden Sachmaterie ergeben hat.

Eine „Gemeinde“ ist nach diesem Gesetzesentwurf von Freiherr Karl Anton Martini zu Wasserburg ein „Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft“. Die „Gemeinde“ ist juristische Person nach privatem Recht, ein privater Zusammenschluss der Bürger – nicht Genossenschaft im heutigen Sinn, sondern eben „Gemeinde“ nach bürgerlichem Recht – eine heute in Vergessenheit geratene Gesellschaftsform. Die Rechtswissenschaft, welche sich der Bearbeitung des „gemeinen Rechtes“ widmete, sprach von einer Korporation, einer „persona moralis“.
Der neutrale Blick aus heutiger Sicht ist durch die Verengung des Verständnisses vom Begriff „Gemeinde“ verstellt. Karl Anton Martini hat den Text seines Gesetzesentwurfes natürlich auf der Grundlage des damaligen sprachlichen Verständnisses erarbeitet. Der Begriff „Gemeinde“ als Bezeichnung der untersten Ebene des Staates hat damals nicht existiert, weil der damalige Staat nicht bis auf diese (heute) unterste Ebene durchorganisiert war. Eine „Gemeinde“ war danach damals eine private Personenvereinigung – nicht mehr und nicht weniger – eine Personenvereinigung aus mindestens „drei Personen“. Drei Personen, die sich zur Verfolgung eines bestimmten Zweckes zusammen geschlossen hatten, bildeten nach dem damaligen Sprachgebrauch eine „Gemeinde“. Heute würde man sagen eine „Gesellschaft nach bürgerlichem Recht“.

Aus heutiger Sicht auffällig ist die Tatsache, dass Karl Anton Martini bei seiner Aufzählung der privaten Untertanen des Kaisers die Gemeinden noch vor den einzelnen Personen nennt. Die Gemeinden erscheinen bei Martini im Vergleich zu den einzelnen Personen als die „wichtigeren“ Untertanen. Dieser Eindruck ist unter den Kommunikations- und Informationsverhältnissen des 18. Jhdts durchaus nachvollziehbar: Der Herrscher hat es vorgezogen seine Untertanen sozusagen in „Hundertschaften“ anzusprechen, weil nur organisierte Verbände von Untertanen für die politische Führung wirklich „greifbar“ waren – und das im wahrsten Sinn des Wortes: Steuern wurden „gemeindeweise“ erhoben; Kriegslasten wurden „gemeindeweise“ auferlegt usw. Die Größe einer Gemeinde hatte man damals nicht nach der Anzahl der Einwohner erhoben, sondern nach der Anzahl der Häuser, „der Feuerstätten“ erhoben („Feuerstättenzählung“).

2. Die „Gemeinde“ ist juristische Person des Privatrechts

Die Korporation „Gemeinde“ war über Jahrhunderte die wichtigste Erscheinungsform der juristischen Person nach Privatrecht, gebildet aus einer Personenmehrheit. Als juristische Person war die Gemeinde schon im historischen Griechenland („polis“) und im römischen Rechtskreis unter der Bezeichnung „communitas“, „vicus“, „colonia“ anerkannt. Das Privatrecht im Heiligen Römischen Reich dt. Nation im Allgemeinen bzw. der Österreichischen Erblande im Speziellen hielt viel auf die römisch-rechtlichen Traditionen: Die Privatrechtsordnung, das „gemeine Recht des Reiches“, war ein schwer überblickbares Gemisch aus römischem Recht, kanonischem Recht und lokalen Rechtsvorschriften unterschiedlichster Herkunft, aus welchem die Wissenschaft im 18. und 19. Jhdt ein einheitliches Rechtsystem zu schaffen versuchte. Die „Gemeinde“ war demnach ein Verband von Personen, der sich zur Förderung eines erlaubten, die Mitglieder selbst überdauernden Zweckes zusammengeschlossen hatte.

Die ersten Versuche des historischen Gesetzgebers bei der Vorbereitung der Kodifikation des Zivilrechtes, die wichtigste juristische Person nach Privatrecht, die Gemeinde, zu definieren, blieben allerdings reichlich unklar. Der Codex Theresianus, ein im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia 1766 vorgelegter Entwurf für eine Kodifikation des gesamten bürgerlichen Rechts, definierte die Gemeinde wie folgt: „Alle anderen zu den Gemeinden gehörige Sachen sind in ihrem Eigentum, welche in dieser Absicht als sittliche Personen betrachtet und hierunter die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften wie auch alle und jede weltliche Versammlung mehrerer in größerer oder kleinerer Anzahl bestehender Personen, welche rechtmäßig errichtet und von Uns bestätigt sind, verstanden werden, also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können.“ Dass Kaiserin Maria Theresia ein Gesetzeswerk mit derart konfusen Regelungen verworfen hat, verwundert nicht. Losgelöst von den sachenrechtlichen Regelungen und bereinigt um die „Versammlung“, welche verfehlter Weise der „Gemeinde“ zu Seite gestellt wurde, ist dieser legistische Regelungsversuch etwa wie folgt zu verstehen: „Die Gemeinden der Städte, Märkte und anderen Ortschaften, welche privates Eigentum besitzen, werden als sittliche Personen betrachtet, wobei wenigstens drei Personen eine Gemeinde ausmachen können.“

3. Die „Gemeinde“ hatte persönliche Rechte

Die Rechtswissenschaft des „gemeinen Rechtes“ hatte freilich bereits Grundsätze über die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ erarbeitet. Für die Gemeinden, welche in der Regel aus der fortgesetzten Niederlassung von Menschen an demselben Ort, einem „Siedlungsverband“, hervorgingen, war anerkannt, dass sich ein gemeinsamer Zweck des Zusammenschlusses erst allmählich herausgebildet hatte. Den „Gemeinden“ war Vermögensfähigkeit zugestanden, die Fähigkeit zum Besitz, die Fähigkeit zum Prozessieren sowie die volle Erbfähigkeit. Insbesondere konnten die Gemeinden auch Verträge mit ihren Mitgliedern abschließen, mit Externen (zB kirchlichen Einrichtungen) und natürlich auch mit anderen Gemeinden weltlicher oder geistlicher Art oder mit der Obrigkeit.Irgendeiner staatlichen Bestätigung bedurfte die Bildung einer Gemeinde nicht. Zu Recht wird behauptet, dass viele derartige Personenverbände, weltliche oder kirchliche Gemeinden, ebenso alt oder älter als der damalige Staat gewesen sind. (Baron, Pandekten § 31; vgl auch Dernburg, Pandekten § 63 Z 1)

4. Die Gemeindedefinition des Tirolischen Guberniums von 1784

1784 lieferte das Gubernium für Tirol und Vorarlberg einen Befund zum Gemeindeverständnis nach damaligem Tiroler Landesrecht: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (Tiroler Landesarchiv (TLA), Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249, zitiert nach Wilfried Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol aus rechtsgeschichtlicher Perspektive, Tiroler Heimat 2008, 162)
Erkennbar spricht das Gubernium in diesem Gutachten von einer Variante der Gemeinde, welche jedenfalls keine geistliche Gemeinde, dh keine Kirchengemeinde ist. Beim beschriebenen Gemeindetypus geht es um Höfe (gemeint deren Eigentümer), welche sich zusammengeschlossen hatten, um gewisse „Nutzbarkeiten“ an Weiden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden zu „genießen“. Die gemeinschaftliche, Dritte ausschließende Nutzung bestimmter Liegenschaften (möglicher Weise in Verbindung mit Pflichten) und ein Gemeinschaftsvermögen („gemeinschaftlicher Beutel oder Cassa“) charakterisieren die Gemeindebildung durch lokale Siedlungsverbände. Es ist leicht ersichtlich, dass diese Definition deutlich klarer beschreibt, was „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ sein kann, als der Definitionsversuch des Codex Theresianus von 1766. Von diesem Gemeindetypus, charakterisiert durch den „gemeinschaftlichen Genuss bestimmter Nutzbarkeiten an Liegenschaften“, von dieser „Agrargemeinde nach bürgerlichem Recht“, soll im Folgenden hauptsächlich die Rede sein.

TEXT VERBERGEN

II. Die (Dorf-)Gemeinde und ihre Gemeinschaftsliegenschaft

1. Die Dorfgemeinde und andere Gemeinden

Als sich Freiherr Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, in den 90er Jahren des 18. Jhdts an die Arbeit machte, um für seinen Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch das Sachenrecht zu formulieren, definierte er in § 3, dass die Sachen im Staatsgebiet entweder dem Staat insgesamt gehören oder bestimmten Mitgliedern desselben, den Privaten.
Die anschließenden §§ 4 und 5 behandelten die Sachen des Staates.

In § 6 definierte Martini die Eigentümer von Privatvermögen, die „Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft“, die Untertanen des Kaisers: Diese privaten Untertanen waren bei Martini entweder (Dorf-)Gemeinden oder einzelne Personen.
Die nächstfolgenden §§ 7 und 8 widmete Martini dem Eigentum der Gemeinden und führte dazu Folgendes aus: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Dass der Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1796 an so prominenter Stelle des Sachenrechts dem Gemeindeeigentum eine umfangreiche Regelung widmete, ist kein Zufall. Die Historiker erachten die Gemeinde sozusagen durch den Gemeinschaftsbesitz eines Siedlungsverbandes an Grund und Boden definiert. (Beimrohr, Tiroler Heimat 2008, 163; Die Wortwurzel „gemain“ wird substantivisch zur Bezeichnung des Gemeindeverbandes angewendet, als Vereinigung all jener, welche an der Nutzung der Gemeinschaftsgüter des jeweiligen Siedlungsverbandes beteiligt sind (Wopfner, Allmendregal, 2) Auch in der Gemeindedefinition, die vom Tiroler Gubernium aus dem Jahr 1784 überliefert ist, wonach unter „Gemeinde“ eine Anzahl von Häusern zu verstehen war, „die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich … genießen …“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249), sind die Gemeinschaftsliegenschaften das „konstituierende Element“. Die „Nutzbarkeiten“ an den Gemeinschaftsliegenschaften sind der eigentliche „Materialisationspunkt“, um den herum sich die private Gemeinde in den Dörfern entwickelt hatte. Wir wollen diesen Gemeindetypus – eng geknüpft an die Definition des Tiroler Guberniums – als „Agrargemeinde“ bezeichnen. Der Begriff „Gemeinde“ war darüber hinaus auch für andere Zusammenschlüsse von Personen gebräuchlich – beispielsweise für die kirchliche Gemeinschaften, die „geistliche Gemeinden“, die „Pfarrgemeinden“, die Schulgemeinden, die Jagdgemeinden, die Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden usw. Im Großen ergibt sich folgende Einteilung: Es gibt die Gruppe der geistlichen Gemeinden, die Gruppe der politischen Gemeinden und die Gruppe der Gemeinden nach bürgerlichem Recht.

Die geistlichen Gemeinden gründen im Recht der Kirche; ihre Gewalt über die Gemeindeglieder ist von der Kirche delegiert – in der römisch-katholischen Kirche letztlich vom Papst als Oberhaupt. Solche geistlichen Gemeinden müssen nach dem Recht der Kirche, kodifiziert im Codex Juris Canonici, errichtet sein. Wenn Stammliegenschaftsbesitzer sich zusammenschließen, um eine Kapelle zu errichten oder einen Widum zu bauen, bilden diese (vorerst) eine Gemeinde nach bürgerlichem Recht, eine „Kapellengemeinde der Nachbarn“, eine „Widumgemeinde der Nachbarn“. Inwiefern daraus eine geistliche Gemeinde nach dem Recht der Kirche entsteht, zB eine Pfarrgemeinde, hängt alleine von den weiteren Rechtsakten der Kirche ab: Die zuständige kirchliche Autorität muss im ersten Rechtsschritt eine kirchliche Gemeinde durch kirchenrechtlichen Hoheitsakt einrichten; in einem zweiten Rechtsschritt, der ausschließlich nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, muss das Eigentum an der Kapelle, am Widum usw, auf die neue Kirchengemeinde übertragen werden.

Politische Gemeinden gründen im staatlichen Recht. Ihre Entstehung bedarf eines staatlichen Rechtsaktes. Genauso gründet die Existenz von Teilen der politischen Gemeinden, sogenannter politischer Fraktionen, im staatlichen Recht. Die politische Gemeinde muss einen Rechtsakt setzen, kraft dessen eine politische Fraktion entsteht. Ohne einen solchen hoheitlichen Rechtsakt kann weder eine politische Gemeinde noch eine politische Fraktion derselben entstehen. Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden sind politische Gemeinden; ebenso die heutige politische Ortsgemeinde. Politische Gemeinden erfüllen Staatsaufgaben und gründen unmittelbar im Staatsrecht und nicht auf privatem Willensentschluss der Gemeindebürger.

Gemeinden nach bürgerlichem Recht erfüllen private Zwecke. Sie entstehen durch Zusammenschluss von Privaten zu privatem Zweck, zB einen Wald, eine Alm, bestimmte Weideflächen zu bewirtschaften, eine Mühle zu betreiben, einen Brunnen zu bauen, einen Gemeinschaftsbackofen zu betreiben, einen Widum zu erbauen, eine Kapelle zu errichten, mit der Pfarre einen Vertrag abzuschließen (um einen Pfarrer in den Ort zu bringen). Historische Gemeinden nach bürgerlichem Recht wurden jedoch auch errichtet, um eine Wasserleitung zu bauen oder einen Fluss zu regulieren („zu verarchen“). Der Codex Theresianus nennt als Gemeindegut der historischen Gemeinde nach bürgerlichem Recht ausdrücklich „Brunn- und Röhrwasser“ (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 137).

„Verarchungsaufgaben“ als Zweck der Gemeinde finden sich schon in der Gemeindedefinition des Tiroler Guberniums von 1784. Im Norden Deutschlands finden sich interessante Parallelerscheinungen zu den Verarchungsgemeinden in den Alpen: die Deichgemeinden. Zum Schutz der Felder und Häuser hat man gemeinsam einen Deich errichtet. Die einzelnen Nachbarn hatten sich als Deichgemeinde zu dessen Erhaltung und Wartung verpflichtet. Alle diese Aufgaben waren in der Vergangenheit private Aufgaben der Stammliegenschaftsbesitzer. Zu deren gemeinschaftlicher Bewältigung wurden „Gemeinden“ gegründet.

2. Die Gemeinschaftsliegenschaft und die Agrargemeinde

Man kann mit Recht behaupten, dass Gemeinschaftsbesitz einer Mehrheit von Stammliegenschaftsbesitzern den hauptsächlichen Anlass für die Bildung von Gemeinden nach bürgerlichem Recht bildete. Man muss sich das so vorstellen, dass die historischen Stammliegenschaftsbesitzer nicht aus Jux und Tollerei mit ihren Nachbarn irgendwelche Gemeinschaften gebildet haben, sondern nur dann, wenn es Veranlassung dazu gab. Eine Veranlassung zur Gemeindebildung erwächst insbesondere aus gemeinschaftlichem Besitz. Dieser Gemeinschaftsbesitz, den die Historiker durchgehend mit dem Begriff „Allmende“ definierten, hieß in Tirol „Gemain(d)“. Unter Gemain ist jener Grund und Boden zu verstehen, der von einer Siedlungsgemeinschaft gemeinsam genutzt und bewirtschaftet wurde, eben von jenem Verband, der hier als „Agrargemeinde“ bezeichnet werden soll, den die Tiroler meist „Nachbarschaft“ nannten; viel seltener sprechen die historischen Quellen von „Gemeinde“. Keinesfalls ist die landwirtschaftliche Nutzung des Gemeinschaftsbesitzes Bedingung der Gemeindebildung, wie man an historischen Brunnengemeinden ersehen kann: Zu Verweisen ist etwa auf die Brunnengemeinschaften von Lermoos; Mader, Ortskunde von Lermoos, Das Außerfernerbuch, Schlern-Schriften Nr 111 (1955) 195, erwähnt einen Brunnenbrief aus dem Jahr 1560. Die Grundbuchsanlegung hat „Brunnen-Interessentschaften“ auch als Liegenschaftseigentümer erfasst (s zB hist B-Blatt der Liegenschaft in Ez 172 II KG Obsteig). Auch eine gemeinschaftliche Pflicht kann Veranlassung zur Gemeinschafts-, dh Gemeindebildung, geben, wenn diese Pflicht nur bedeutsam genug ist. Zu denken ist an die bereits im Gutachten des Guberniums von 1784 erwähnte Verpflichtung, einen bestimmten Flussabschnitt zu regulieren. Eine derartige Aufgabe wird bedeutsam genug erscheinen, um sich zu deren Bewältigung mit seinen Nachbarn zu einer Gemeinschaft, einer Gemeinde, zu verbinden. Die betreffende Gemeinde könnte als „Verarchungsgemeinde“ charakterisiert werden. Insoweit dieser für jeden lokalen Siedlungsverband bedeutsamen, großen Aufgabe, eine materielle Ausstattung dauernd gewidmet wurde, beispielsweise ein entsprechendes Landstück, wo die erforderlichen Steine und das Bauholz gewonnen wurden, könnte sich der Name „Archenwald“ eingebürgert haben. Alle Nutzbarkeiten aus den Liegenschaften Archenwald wären der Verarchungsgemeinde zuzuordnen.
Die FEPT Landgericht Sonnenburg, Tabelle Nr 55 Fortsetzung, erwähnt im Zusammenhang mit einer Anmeldung für „Gemeinde Kematen“, eine ungeteilte Gemeindewaldung von 118 Morgen betreffend, ausdrücklich folgendes: „Dieser Wald ist zur Verarchung des Melachbachs gewidmet“. Offensichtlich ist aus diesem Gemeinschaftswald die heutige Agrargemeinschaft Archberg- Winkelbergwald Kematen hervorgegangen. In Weer existiert eine Agrargemeinschaft, in welcher ebenfalls ein „Archenwald“ reguliert ist (Agrargemeinschaft Archen- und Ganglwald, Weer).

3. Die Summe der Nutzungsberechtigten als Agrargemeinde

 

Fortsetzung folgt.

 

 

„Ganzwald“ – Teilwald – Gemeindewald

Die Grundbuchanlegung brachte für viele Tiroler Waldbesitzer eine böse Überraschung: Der Waldbesitz sei „Teilwald“

Teilwaldrechte sind in erster Linie eine Tiroler Besonderheit; in anderen Bundesländern findet man sie nur vereinzelt. Innerhalb Tirols haben die Bezirke Landeck, Kitzbühel und Kufstein eine Sonderstellung – dort gibt es keine Teilwälder. Warum das so ist? Die Oberländer haben zwar über Jahrhunderte ihre Höfe unter den Kindern aufgeteilt, nicht jedoch die Gemeinschaftswälder. Im Zuge der Grundbuchanlegung wurden die ungeteilten Gemeinschaftswälder als „Gemeindegut“ erfasst – Eigentümer sei die jeweilige Gemeinde oder eine „Fraktion“. Nur die Holznutzung stünde den Nachbarn als „Gemeindegutsnutzung“ zu. Für die Bezirke Kitzbühel und Kufstein gilt das genaue Gegenteil: Wegen durchgreifender Waldteilungen unter den jeweiligen Nachbarn wurden die Waldteile als Einzeleigentum der Nachbarn angesehen. Die Grundbuchbeamten haben diese Rechtsanschauung akzeptiert. Bei der Tiroler Grundbuchanlegung wurden deshalb die geteilten Wälder in Kitzbühel und Kufstein richtig als Einzeleigentum erfasst. Nicht die Ortsgemeinde oder eine Fraktion wurde als Eigentümerin eingetragen, sondern der jeweilige Waldbesitzer. Ganz wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel. Aus heutiger Sicht würde mancher im Bick auf diese Waldverhältnisse einen „Raub am Gemeindegut“ vermuten – Tatort Kitzbühel!

GEMEINDEGUT HÜBEN, GANZWÄLDER DRÜBEN …

Im Unterland hat man es verstanden, die Wälder unter den jeweiligen Nachbarschaftsmitgliedern so gründlich aufzuteilen, dass diese bei der Tiroler Grundbuchanlegung als Einzeleigentum der Waldbesitzer anerkannt wurden. Die Grundbuchanlegung stellte Anfang des 20. Jahrhunderts im historischen Gerichtsbezirk Kitzbühel gerade 200 ha (!) „Gemeindewald“ in Summe fest. Diesen 200 ha Gemeindewald standen 13.500 ha (!) Privatwald im Einzeleigentum gegenüber. Im Grundsatz ähnlich begegnet uns der Gerichtsbezirk Kufstein: Die Grundbuchanlegung ermittelte ca 14.200 ha Privatwald im Einzeleigentum von ca 1.850 Eigentümern, denen nur 3.500 ha Gemeindewälder (= Gemeindegut) gegenüber standen.  Im historischen Gerichtsbezirk Landeck und in demjenigen des „Oberen Gerichts“ Ried zeigt sich ein konträres Bild: Die Grundbuchanlegung stellte dort knapp 33.500 ha (!) „Gemeindewald“ fest, denen in Summe gerade 1050 ha (!) Privatwald gegenüberstanden. Im ganzen historischen Gericht Ried hat die Grundbuchanlegung gar nur 220 ha Privatwald „gefunden“, hingegen 14.500 ha „Gemeindewälder“. In Landeck wurden knapp 19.000 ha „Gemeindewald“ festgestellt, im Gegensatz zu rund 830 ha Privatwald, die 750 Landeckern gehörten. Ein solch bescheidenes Waldvermögen im Einzeleigentum stammt offensichtlich aus nachträglicher Aufforstung von ehemaligen „Mähdern“.

… UND DIE TEILWÄLDER MITTENDRINN

Zwischen den aufgeteilten Privatwäldern der Kitzbühler ganz im Osten Tirols und den Gemeindewäldern mit Gemeindegutsnutzung der Landecker im äußersten Westen, liegt der klassische „Gerichtsbezirk der Teilwälder“ – das ist Silz. Die Grundbuchanlegung stellte dort knapp 8.500 ha „Teilwald“ fest, denen knapp 10.000 ha „Gemeindewald“ (mit Gemeindegutsnutzung) gegenüberstehen sowie rund 2.000 ha Privatwälder im Einzeleigentum. Das gesamte Phänomen der „Teilwälder“ war jedoch bis zum Einschreiten der Grundbuchanlegung in Tirol unbekannt. Diejenigen Waldbesitzer, die bei der Grundbuchanlegung als (bloß) „Teilwaldberechtigte“ eingestuft wurden, waren bis zu diesem Zeitpunkt allseits als Waldeigentümer angesehen worden. Trefflich hat dies der damalige Bauernbundobmann und spätere Landeshauptmann Josef Schraffl in seiner Rede vom 31.1.1910 im Tiroler Landtag  formuliert: „ … weil man bei der Anlegung des Grundbuchs dem Bauern jetzt plötzlich das Eigentum bestritten hat, das er nach seiner Überzeugung besessen hatte, darum ist die Teilwälderfrage entstanden.“

Blickt man zurück auf die ursprünglich von den Grundbuchanlegungsbeamten angenommenen Eigentumsverhältnisse, so entsteht der Eindruck, dass bei der Tiroler Grundbuchanlegung die üblichen Gesetzeskriterien für eine Ersitzung von Waldeigentum kräftig ignoriert wurden. Es ist schwer zu glauben, dass die Bauern am Mieminger Plateau, Gerichtsbezirk  Silz, – um ein Beispiel heraus zu greifen – ihre Wälder über Jahrhunderte anders nutzten, als die Bauern in Kitzbühel! Die einen als Servitutsberechtigte (= Teilwaldbesitzer) anzusehen und die anderen als Eigentümer, ist rückblickend durch nichts zu rechtfertigen. Juristischer Logik entbehrt es auch, wenn im Gerichtsbezirk Landeck überall ein Waldeigentum der heutigen Ortsgemeinden vermutet wurde. Offensichtlich wurden die Ortsgemeinden mit den historischen Nachbarschaften verwechselt, die sich traditionell ebenfalls „Gemeinde“ genannt haben.

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Professor Dr. Ämilian Schöpfer (* 29. April 1858 in Brixen; † 24. März 1936 in Innsbruck) kämpfte als Landesrat und ab 1907 auch als Mitglied des Landesausschusses gemeinsam mit dem Bauernbundobmann und späteren Landeshauptmann Josef Schraffl unermüdlich gegen die „Grundbuchanleger“. Im Jahr 1909 trat er vehement dafür ein, dass die Grundbuchanlegung in Tirol wegen der Falschbeurteilungen beim Waldeigentum eingestellt oder ausgesetzt wird.

 

KAMPF GEGEN DIE GRUNDBUCHANLEGUNG

Die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchanlegung werden heute unkritisch gesehen. War bei der Grundbuchanlegung eine „Gemeinde“ oder eine „Fraktion“ als Eigentümerin eingetragen, wird heute ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde unterstellt. Die Möglichkeit eines ursprünglich falschen Grundbuchstandes wird außer Betracht gelassen. Das war nicht immer so. Anfang der 1980er Jahre war man bei der Tiroler Landesregierung noch überaus kritisch. Einmal sei eine Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen worden; es hätte alleine im Gutdünken des Grundbuchbeamten gelegen, welchen Ausdruck er verwendete – so die Landesregierung vor gut 35 Jahren. Ganz so einfach ist die Sachlage freilich nicht. Die „Grundbuchanleger“ sind nach Plan vorgegangen! Wenn es den geringsten Zweifel an einem Nachbarschafts- oder einem Einzeleigentum gab, dann wurde Eigentum einer „Gemeinde“ oder einer „Fraktion“ angenommen. Dies offenkundig gesetzwidrig in Verfolgung bloßer „Fiskalinteressen“! Wenn die Grundbesitzer eines Dorfes über Jahrhunderte ihren Wald oder ihre Alm besessen und genutzt haben, wer kommt dann als Eigentümer in Frage, wenn das Obereigentum des Landesfürsten abgeschafft wird? Selbst der Landesausschuss hat die Idee vom Gemeindeeigentum verteidigt. Gegen den Willen der betreffenden Ortsgemeinden und gegen den Willen der Waldbesitzer wurden Gemeindekuratoren bestellt, die im Grundbuchverfahren ein Gemeindeeigentum geltend machen mussten. Dies änderte sich erst nach der Tiroler Landtagswahl des Jahres 1908, als die Christlichsozialen um Dr. Aemilian Schöpfer und Bauernbundobmann Josef Schraffl die  stärkste Partei im Tiroler Landtag wurden. Im sechsköpfigen Landesausschuss waren ab 1908 drei Abgeordnete der CS vertreten, nämlich Dr. Johann Schorn, Professor Dr. Aemilian Schöpfer und Bauernbundobmann Josef Schraffl. Der Zorn über die Grundbuchanlegung hatte da seinen Höhepunkt erreicht!

WALDTEILE ALS SERVITUTEN?

Die Waldbesitzer wurden bei der Anlegung des „neuen“ Steuerkatasters in Tirol in den 1850er Jahren als Eigentümer ausgewiesen und sie wurden als Eigentümer besteuert. In den neu eröffneten Grundbüchern sollten sie hingegen nur mehr als Servitutsberechtigte gelten? Besonders im Pustertal waren Unmut und Zorn gewaltig. Dr. Leopold Molinari, Rechtsanwalt in Lienz, berichtete im August 1908 an den Tiroler Landtag, dass alleine in den Katastralgemeinden Unter- und Oberassling, Kosten, Burg-Vergein, Asch, Anras und Ried „mehrere hundert Klagen“ gerichtsanhängig seien. Die Pustertaler wollten sich die Umwandlung in „Teilwald auf Gemeindeeigentum“ nicht gefallen lassen. Das Oberlandesgericht beharrte jedoch auf dem Gemeindeeigentum. Weil Dr. Aemilien Schöpfer und Josef Schraffl auch Reichtsratsabgeordnete waren, veranlassten sie eine Resolution des Budgetausschusses: Die Tiroler Grundbuchanlegung sollte eingestellt oder ausgesetzt werden. Auch der Tiroler Landesausschuss selbst hatte, nun dominiert durch Schöpfer und Schraffl,  die Einstellung oder Aussetzung der Grundbuchanlegung gefordert. Die „Verstärkte Grundbuchanlegungs- Landes-Kommission“ am Sitz des Oberlandesgerichts Innsbruck sprach sich am 26. Juli 1909 allerdings dagegen aus. Das zu Praes. 5908/19 A-9 des OLG Innsbruck erstattete Gutachten berichtet eingangs von einer „großen Lebhaftigkeit“, mit der Dr. Schöpfer gegen die Grundbuchbeamten argumentiert habe. Trotzdem ließen sich die Richter nicht überzeugen. Ein Beamtenstand von zehn Kommissären und rund 70 „Offizianten“ und Gehilfen wäre sonst beschäftigungslos geworden. Und es wurde rechtslogisch argumentiert: Erst die Grundbuchsanlegung bringe hervor, wo sich Waldteile auf Gemeindeeigentum finden. Die Erhebungsarbeit sei notwendige Grundlage für eine Reform bei der Lösung der Eigentumsfrage.

Franz Haider, Jahrgang 1965, seit 2010 Obmann der Agrargemeinschaft Unterpettnau, findet in Pettnau im Kleinen einen Spiegel der landesweiten Verhältnisse im Großen: Im Oberdorf sind die Waldteile ein Eigentum der Waldbesitzer, im Unterdorf ist das Eigentum der Agrargemeinschaft heute aufgehoben – das Sagen soll die Ortsgemeinde haben. Obmann Franz Haider: „Was mit den Agrargemeinschaften seit 2008 gemacht wird, ist offenkundig ein Unrecht!“
Franz Haider, Jahrgang 1965, seit 2010 Obmann der Agrargemeinschaft Unterpettnau, findet in Pettnau im Kleinen einen Spiegel der landesweiten Verhältnisse im Großen: Im Oberdorf sind die Waldteile ein Eigentum der Waldbesitzer, im Unterdorf ist das Eigentum der Agrargemeinschaft heute aufgehoben – das Sagen soll die Ortsgemeinde haben. Obmann Franz Haider: „Was mit den Agrargemeinschaften seit 2008 gemacht wird, ist offenkundig ein Unrecht!“

 

GESPALTENE DORFVERHÄLTNISSE

In Pettnau sollten die falschen Ergebnisse der Grundbuchanlegung berichtigt werden. Dies nach dem Plan, den der Tiroler Landtag mit Gesetzesbeschluss vom 31.01.1910 vorgegeben hatte: Jede betroffene Ortsgemeinde sollte selbst für die Richtigstellung des Grundbuchs sorgen. Mit Landtagsbeschluss vom  31.01.1910 wurde die Tiroler Gemeindeordnung 1866 in § 61 geändert (Gesetz vom 30.06.1910, LGBl 1910/65). Eine „vereinfachte Eigentumsanerkennung“ und die Abtretung des fälschlich zugewiesenen Waldeigentums am Vertragsweg sollten die Eigentumsverhältnisse klarstellen. Am 03.Dezember 1922 wurde in der Gemeindekanzlei von Pettnau folgender Gemeinderatsbeschluss protokolliert: „Die Teilwälder der Fraktion Unterpettnau den Besitzern als Eigentum ins Grundbuch eintragen zu lassen.“ Unterfertigt ist das Protokoll vom Bürgermeister, einem Stellvertreter und sechs weiteren Gemeinderäten. In der Folge ist in der Gemeinde Pettnau jedoch etwas schief gelaufen. Während alle Nachbarn im Oberdorf sich zu Recht eines Waldeigentums erfreuen, sind die Unterdörfler heute Teilwaldbesitzer auf Substanz der Ortsgemeinde!

Was ist die Besonderheit in Pettnau?
Haider: In Pettnau haben wir im Kleinen, was für Tirol im Großen gilt: Das Oberdorf besitzt die Wälder zu Eigentum und zwar jeder Hof einzeln. Das Unterdorf ist unter die Räder gekommen. Zwar wurde im Sommer 1960 entschieden, dass nicht eine politische „Fraktion Unterpettnau“ Eigentümerin des Waldes sei, sondern eine Agrargemeinschaft. Diese Entscheidung wurde aber nach mehr als 50 Jahren revidiert. Über das Eigentum verfügt jetzt der Substanzverwalter. Das Oberdorf ist mit Kitzbühel zu vergleichen, die Waldbesitzer sind Eigentümer. Das Unterdorf steht für die Verhältnisse im Tiroler Oberland; der Wald soll angeblich der Gemeinde gehören.

Was ist ungerecht an unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen?
Haider: Grundsätzlich nichts. Aber in Pettnau waren ursprünglich einheitliche Besitzverhältnisse. Mit Servituten-Ablösungsurkunde am 22.Juli 1848 haben die Hofbesitzer auf ihre Holzrechte im Staatsforst verzichtet. Im Gegenzug haben die Hofbesitzer im Oberdorf und die Hofbesitzer im Unterdorf eigene Wälder erhalten. Heute sind die Nachbarn im Oberdorf Einzeleigentümer und die Nachbarn im Unterdorf sollen Teilwald auf Substanz der Gemeinde haben?  Bei gleicher Ausgangslage soll ganz anderes entstanden sein? Am Beispiel Pettnau erkennt man: Was mit den Agrargemeinschaften seit 2008 gemacht wird, ist offenkundig ein Unrecht!

Warum private Wälder hier und „atypisches Gemeindegut“ dort?
Haider: Warum das alles so sein soll, muss die Agrarbehörde erklären. Warum wird der Bauernwald im Oberland enteignet, obwohl im Unterland von einem „Diebstahl am Gemeindegut“ keine Rede ist? Warum besitzen die Oberländer nicht einmal mehr Gemeinschaftswälder während im Unterland Alleineigentum besteht? Die Waldwirtschaft war immer ein Teil der Bauernwirtschaft. Wenn die Felder über Jahrhunderte zum Privateigentum wurden, dann kann für die Wälder nichts anderes gelten. Was für Kitzbühel gerecht ist, muss für das Oberland billig sein!

Hat man sich im Unterdorf zu wenig gekümmert?
Haider: Ab 1910 konnten die Gemeinden die falschen Grundbucheintragungen richtig stellen lassen. Der Gemeinderat von Pettnau hat vom 03.12.1922 den erforderlichen Beschluss gefasst. Die „Teilwälder der Fraktion Unterpettnau“ wurden als Eigentum der Waldbesitzer anerkannt. In der Folge ist die Sache irgendwie versandet. Im Jahr 1960 wurde dann ein agrargemeinschaftliches Eigentum festgestellt, das heute „Substanz“ der Ortsgemeinde sein soll. In Wahrheit hat Eigentum der Waldbesitzer vorgelegen, so wie es die Gemeinde 1922 anerkannt hat.

Die Realgemeinde

An der Tiroler „Allmend-Entlastung“ durch das Forstregulierungs­patent von 1847 scheiden sich die Geister: Hat der Landesfürst Gemeinde­eigentum geschaffen oder Eigentum der Realgemeinde

Anders als die Mathematik oder die „klassische Physik“ ist die Juristerei keine Wissenschaft, wo die Anwendung allgemein nachvollziehbarer Methoden wie Zählen, Messen und Wägen zu eindeutigen Ergebnissen führt. Die Physiker des 20. Jahrhunderts haben uns gelehrt, dass selbst die absolute Konstante „Zeit“ eine relative ist, die abhängig von den Rahmenbedingungen einmal langsamer verrinnt und einmal schneller. Die „ewigen Wahrheiten“ der Physik erscheinen damit heute als „relative“. Wen wundert es, dass auch die „juristische Wahrheit“ eine wechselnde ist, die sich vom Zeitgeist getrieben in Mehrheitsentscheidungen der Richterkollegien und der Gesetzgebungsorgane manifestiert. In diesem Sinn ist der juristische Verständniswechsel zum „Gemeindebegriff“, der in den letzten Jahren von der Tiroler Agrarbehörde vollzogen wurde, in den historischen Urkunden zu relativieren.

Weil die Tirolerinnen und Tiroler in den 1840er Jahren massiv „ihr Waldeigentum“ einforderten, bereinigte Kaiser Ferdinand I. in Eilverfahren die Rechtslage: Das Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 durchbrach den Rechtsgrundsatz, dass die „landbautreibenden Untertanen“ nur das Recht der Einforstung hätten und alle Waldungen ein Eigentum des Landesfürsten wären. Für das heutige Nordtirol wurden zwei Kommissionen eingesetzt, die Forsteigentumspurifikationskommission, die ersessenes Privateigentum anerkannte, und die Forstservituten­ablösungskommission, die Einforstungsrechte gegen freies Privateigentum an erheblich verkleinerten „Gemeinde- oder Fraktionswäldern“ abgelöst hat. Als „Restgröße“ sind die heutigen Bundesforste in Nordtirol entstanden. Im heutigen Osttirol hat der Landesfürst generell auf sein Recht an den Wäldern verzichtet und das Eigentum den „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ überlassen. Die Geister scheiden sich heute daran, was unter den „Gemeinden“ im Sinn der Urkunden aus den 1840er Jahren zu verstehen sei.

Die Tiroler Agrarbehörde hat sich in den letzten Jahren der historischen Rechtsauffassung der Grundbuchanlegungsbeamten von Ende des 19. Jahrhunderts angeschlossen. Diese haben als Ergebnis der Tiroler Forstregulierung ein Eigentum der heutigen Ortsgemeinden gesehen. Über viele Jahrzehnte vertraten Österreichische Agrarjuristen einheitlich eine gänzlich andere Rechtsauffassung. Es wurde differenziert zwischen der heutigen politischen Ortsgemeinde und der Realgemeinde, einer Nachbarschaft, die sich nur aus den historischen Nachbarn, den

„Ur-, Haus- oder Feuerstattbesitzern“ zusammensetzte. Auf den Punkt bringt dies eine Entscheidung des Obersten Agrarsenates aus dem Jahr 1958, die zu einer Liegenschaft der historischen „Commune Markt Isper“, NÖ, erging. Die Agrarbehörden haben ein Protokoll aus dem Jahr 1829 beurteilt, wonach ein „Gemeindewald“ teilweise unter 26 „Urhausbesitzern“ aufgeteilt wurde, während die vier „Kleinhäusler“ leer ausgingen. Die Feststellung des damaligen Protokolls, wonach „jedes Gemeindemitglied“ einen Teil des „Gemeindewaldes“ erhalten habe, wurde so verstanden, dass im Jahr 1829 der Begriff „Gemeinde“ nur die 26 Urhausbesitzer umfasste. Der restliche „Gemeindewald“ sei deshalb nicht ein Wald des heutigen Marktes Isper gewesen, sondern ein Wald der „Gemeinde Isper“ als Gemeinschaft der 26 Urhausbesitzer.

Der OAS am 6.10. 1958 245-OAS/58: Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit „Gemeinde“, „Gmoa“, oder „Commune“ bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, weil man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung, nicht bewusst wurde, das Flurverfassungsgesetz hat an diesen geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder, die Nutzungsberechtigten, mit „Agrargemeinschaft“ bezeichnet. Man geht vollkommen irr, wenn man die in den alten Urkunden vorkommenden Bezeichnungen „Gemeinde“ oder „Marktgemeinde“ mit der 1864 entstandenen „politischen Ortsgemeinde“ gleichstellt. Es mag angenommen werden, dass es für gewisse Zeit für die politische Gemeinde und die Realgemeinde eine Art Verwaltungsgemeinschaft gegeben hat. Dies ist verständlich, da der Mitgliederkreis dieser beiden rechtlich verschiedenen Körperschaften sich damals noch weitgehend gedeckt haben dürfte. Es ist belanglos, wann eine Verwaltungstrennung erfolgte. Auch wenn sie nicht erfolgt wäre, könnte die Agrarbehörde im Rahmen eines Regulierungsverfahrens für die Realgemeinde – heute Agrargemeinschaft – eigene Verwaltungssatzungen erlassen und eine selbständige Verwaltung einführen.

 

Eduard Wallnöfer (* 11.12.1913 in Schluderns; † 15.03.1989 in Innsbruck) war von 1949 bis 1963 Landesrat für Land- und Forstwirtschaft und von 1963 bis 1987 Landeshauptmann von Tirol. Als „Agrarlandesrat“ war Eduard Wallnöfer damals auch Vorsitzender des Landesagrarsenates Tirol
Eduard Wallnöfer (* 11.12.1913 in Schluderns; † 15.03.1989 in Innsbruck) war von 1949 bis 1963 Landesrat für Land- und Forstwirtschaft und von 1963 bis 1987 Landeshauptmann von Tirol. Als „Agrarlandesrat“ war Eduard Wallnöfer damals auch Vorsitzender des Landesagrarsenates Tirol

Es kann vorausgesetzt werden, dass Landeshauptmann Eduard Wallnöfer die Judikatur des Obersten Agrarsenates bekannt war, wonach zwischen den heutigen Ortsgemeinden und den historischen Realgemeinden, heute Agrargemeinschaften, zu differenzieren sei. Schon am 13.11.1950 hatte der Landesagrarsenat unter seinem Vorsitz über den „Gemeindewald“ in Tulfes zu entscheiden. Der Oberste Agrarsenat dazu im Erkenntnis vom 2.6.1951 66-OAS-1951: Den jeweiligen Besitzern der fraglichen Höfe steht weit mehr zu als ein bloßes Recht auf Holzbezug, sei es als Servitutsrecht, sei es als Nutzungsrecht am Gemeindegut, nämlich ein Anteilrecht am agrargemeinschaftlichen Gut, welches bei den Rücksitzliegenschaften zu binden ist. Die irrige Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin des Gutes ist nur darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Grundbuchanlegung die alte Agrargemeinde mit der politischen Gemeinde irrtümlicherweise gleichgesetzt wurde. Dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses, wonach der Agrarbehörde aufgetragen wurde, das Regelungsverfahren für den Gemeindewald Tulfes einzuleiten, war beizupflichten, da eine Ordnung der Verhältnisse unbedingt notwendig ist. Gleichzeitig war jedoch auszusprechen, dass im gegenständlichen Fall weder Servitutsrechte an einem Gemeindevermögen, noch Nutzungsrechte an einem Gemeindegut vorliegen, sondern der Gemeindewald Tulfes vielmehr ein agrargemeinschaftliches Vermögen darstellt, welches anteilsmäßig gewissen Liegenschaften zukommt. Das Eigentum stand somit der Agrargemeinschaft zu.

Generaldirektor iR. HR Dr. Albert Mair (*13. 09. 1921 in Telfes/Stubai) war von 1952 bis 1966 als Jurist der Agrarbehörde I. Instanz tätig, von 1958 bis 1966 als deren Leiter. 1967 übernahm er höchst erfolgreich die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol
Generaldirektor iR. HR Dr. Albert Mair (*13. 09. 1921 in Telfes/Stubai) war von 1952 bis 1966 als Jurist der Agrarbehörde I. Instanz tätig, von 1958 bis 1966 als deren Leiter. 1967 übernahm er höchst erfolgreich die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol

Dr. Albert Mair begründete im Tätigkeitsbericht der Tiroler Agrarbehörde vom Juli 1958 den dringenden Handlungsbedarf: Die tiefere Wurzel der einzigartigen, kritischen und komplizierten Situation in Tirol ist auf die falsche Auslegung der Waldzuweisung 1847 zurückzuführen. Die kaiserliche Waldzuweisung wollte den bäuerlichen, alten Wirtschafts- und Realgemeinden die Waldungen zu Besitz und Nutzung zuweisen und man hat in einer völlig falschen rechtlichen Beurteilung diese Wirtschaftsgemeinden mit den erst nach der Waldzuweisung von 1847 entstandenen politischen Gemeinden gleichgesetzt und diesen dann auch meist das Eigentum am agrargemeinschaftlichen Gut grundbücherlich einverleibt. Im Bescheid vom 12.12.1962 betreffend das „Gemeindegut“ in Fügen-Fügenberg erläuterte Dr. Albert Mair zum Hintergrund der Regulierung: Nach dem Erlass vom Jahr 1847 wurde bewilligt, dass die Holzbezugsrechte der Untertanen durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden des Jahres 1847 wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten, verstanden. Es bestand weder die Möglichkeit, noch die Absicht diesen die Nutzungsrechte zu nehmen und das Waldeigentum einer damals noch nicht bestehenden, mit der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten nicht identischen politischen Gemeinde geschenksweise zu überlassen.

AGRARBEHÖRDENLEITERTAGUNG 1958

Dr. Albert Mair hatte auf der (österreichischen) Agrar­behördenleitertagung des Jahres 1958 das Hauptreferat gehalten. Aus seinem Vortragsmanuskript „Probleme der Regulierung des Gemeindeguts“:

„Die Bereinigung des Jahres 1847 durch das Waldzuweisungspatent stellte nichts anderes dar als die rechtliche Sanktionierung des tatsächlich ohne Unterbrechung währenden Besitzstandes der Realgemeinden. Unter den in der kaiserlichen Entschließung vom 06.02.1847 erwähnten ‚Gemeinden‘ konnten – und das ist von besonderer und weittragender Wichtigkeit – nur die Realgemeinden und nicht die politischen Gemeinden gemeint gewesen sein. Hätten damals schon die erst in den 1860er Jahren entstandenen politischen Gemeinden existiert und wäre der Wald diesen übertragen worden, so wäre ohne Zweifel in das Waldzuweisungspatent eine Bestimmung aufgenommen worden, wonach auf die althergebrachten Nutzungsrechte Bedacht zu nehmen sei. Dies ist damals aber nicht geschehen und es ergibt sich daher schon aus dem Wortlaut der kaiserlichen Entschließung, dass unter ‚Gemeinden‘ eben seit alters her die Nutzungsberechtigten gemeint waren, die die Realgemeinde bildeten.“

„Die Einverleibung des Realgemeindebesitzes in die politischen Gemeinden erfolgte hauptsächlich mit dem Argument der angeblichen gesetzlichen Universalsukzession der politischen Gemeinde für die einstige Realgemeinde. Von dieser Universalsukzession ist aber in den Gemeindegesetzen mit keinem Wort die Rede.[…] Mit Nachdruck festzuhalten ist jedenfalls, dass die Gemeinden bei ihrer Entstehung überhaupt keinen eigenen Grundbesitz hatten und dass derselbe, wie er heute als Gemeindegut vorliegt, fast ausschließlich aus dem von der Realgemeinde übernommenen und daher seit alters her deutschrechtlichen Rechtsverhältnissen unterliegenden Grundvermögen stammt.“

„Die Grundbuchanlegung schuf nicht Ordnung und Klarheit. […]Das völlig römisch-rechtlich orientierte, auf dem ABGB aufgebaute Grundbuchsrecht konnte der althergebrachten Unterscheidung zwischen den Besitzverhältnissen am deutschrechtlichen All­mendgut und dem sehr jungen Gemeindevermögen keinerlei Verständnis entgegenbringen.“ „Dem römischen Recht war der Begriff des gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und auch in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt, völlig fremd. Dieser Nutzungsanspruch am Allmendgut war keine Servitut an fremdem Grund und Boden, sondern ein Nutzungsanspruch auf eigenem Grund. Das stark individualistisch betonte römische Recht kannte nur Privateigentum oder Miteigentum an Grund uns Boden, so dass das ABGB die Rechtsform einer Agrargemeinschaft oder einer agrargemeinschaftlichen Nutzung ebenfalls nicht kennt.“

„Die Grundbuchskommissäre wussten sich mit dem deutschrechtlichen Rechtsinstitut der Realgemeinde keinen Rat und gaben sich meist auch nicht die Mühe einer eingehenden Prüfung der tatsächlichen besitzrechtlichen Grundlagen. So kam es, dass im Grundbuch die unterschiedlichsten Eigentumseintragungen für das Gemeinschaftsgut erfolgten, wie z.B. politische Gemeinde, Katastralgemeinde, Fraktion, Nachbarschaft, Interessentschaft und dergleichen. […] Bei dieser Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchkommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“

Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“
Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“

Univ.-Prof. Dr. Gerald Kohl bestätigt heute die Richtigkeit der seinerzeitigen Überlegungen von HR. Dr. Albert Mair: „Gemeinde“, so Professor Dr. Kohl, „ist ein historisch schillernder Begriff.“ Welcher Personenkreis sich jeweils hinter einer „Gemeinde“ verbirgt, ist von den in Frage kommenden Nutzungen abhängig und daher recht unterschiedlich – zum Beispiel bei Almen die Viehbesitzer, bei Wäldern die Feuerstattbesitzer. Im Zuge der Forstregulierung 1847 trat an die Stelle des gemeinschaftlich genutzten Staatseigentums ein gemeinschaftlich genutztes Privateigentum. Für diese Gemeinschaften wurden mehrdeutige „Etiketten“ verwendet – „Gemeinde“, „Ortschaft“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“ etc. Diese Bezeichnungen wurden auch bei der Grundbuchanlegung verwendet , weil diese Gemeinschaften sich zum Teil durch Jahrhunderte als „Gemeinde“ verstanden hatten. Bis zum Ende der Monarchie waren in den Dörfern – neben dem Lehrer und dem Pfarrer – praktisch nur die Besitzer von Grund und Boden wahlberechtigt. Es gab gar keinen Grund, sich von einem Selbstverständnis als „Gemeinde“ zu distanzieren.

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drei Personen als Gemeinde

MP

 

 

Der Tiroler Teilwald

I. DIE AUFGETEILTEN WÄLDER

Ursprünglich haben sich die Rechts- und Nutzungsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern in Tirol über Jahrhunderte gleichförmig entwickelt. Das Waldeigentum wurde dem Landesfürsten zugeordnet; die Nutzungen standen den jeweiligen Nachbarschaften zu. Solche Wälder wurden „gemeine Wälder“ oder „Gemeindewälder“ genannt.

Daneben gab es Wälder, die für landesfürstliche Bergwerke und Salinen reserviert waren, und Wälder im Eigentum des Adels oder kirchlicher Institutionen. Spätestens unter Kaiser Max ab Anfang des 16. Jahrhunderts wurden „gemeine Wälder“ unter den „Feuerstattbesitzern“ aufgeteilt. Auch nach der Waldaufteilung verblieb das Eigentum beim Landesfürsten; die Holznutzung stand ausschließlich den jeweiligen „Feuerstattbesitzern“ zu; das Holz aus den „aufgeteilten Wäldern“ durfte typischer Weise auch verkauft werden. Das Recht am Waldteil umfasst sämtliches Holzrecht samt der Befugnis zum Holzverkauf.

Diese Rechtsverhältnisse haben sich erst geändert, als der Landesfürst sein Obereigentum über alle Wälder Tirols im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 aufgegeben hat. Die Tiroler Forstregulierung 1847 hat sozusagen für Wälder und Almen die im Jahr 1849 für das gesamte „Kaiserthum Österreich“ angeordnete Grundentlastung vorweggenommen: Volles und freies Eigentum trat anstelle der feudalstaatlichen Nutzungsverhältnisse an grundherrlichem Obereigentum. Im Jahr 1867 wurde im neuen Staatsgrundgesetz sogar ausdrücklich festgeschrieben, dass ein geteiltes Eigentum (Obereigentum und Nutzungseigentum) nie mehr begründet werden dürfe (Artikel 7 Staatsgrundgesetz).

Als Ergebnis der Tiroler Forstregulierung 1847 ging das Eigentum auf die jeweilige „Gemeinschaft der Holzbezugsberechtigten“ über (= holzbezugsberechtigte Gemeinde). Die Rechtsverhältnisse sind mit dem modernen Wohnungseigentum vergleichbar: unteilbares Gemeinschaftseigentum an der Liegenschaft verbunden mit den Waldteilen der Miteigentümer. Im Wohnungseigentum haben wir ein Gemeinschaftseigentum am Wohnhaus verbunden mit Einzelwohnungen.

Die „Teilwaldgemeinschaften“ wurden im Jahr 1935 im Tiroler Flurverfassungsrecht als eine Erscheinungsform der Agrargemeinschaft geregelt. War die Waldteilung in der erforderlichen Schärfe exekutiert (Vermessungsurkunden, Vermarkung), konnten sich die Waldteile auch als Einzeleigentum darstellen.

 

II. Grundstückkataster und Grundbuch

Die Anlegung des Franziszeischen Grundstückkatasters – in Tirol in den 1850er Jahren – und die Grundbuchanlegung – in Tirol: 1898 bis 1940 – haben teilweise verwirrende Verhältnisse geschaffen. Bei der Anlegung des Steuerkatasters sind parzellierte und nicht parzellierte Waldteile entstanden, je nach dem, ob die Waldteile vermessen und als eigene Parzellen erfasst wurden. Warum sich die Beamten im Einzelfall für „Einzelvermessungen“ entschieden haben und wann nicht, wurde bis heute nicht untersucht. Parzellierte Teilwälder wurden im Franziszeischen Steuerkataster als Eigentum der jeweiligen Waldbesitzer ausgewiesen, nicht parzellierte Teilwälder wurden häufig auf die Etiketten „Ortschaft“ oder „Gemeinde“ eingetragen.

Die Grundbuchanlegung hat die Rechtsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern eigenständig beurteilt. Als Grundsatz wurde „Gemeinde-“ oder „Fraktionseigentum“ angenommen, weil man von der These ausging, der Tiroler Landesfürst habe im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 die heutigen Ortsgemeinden mit dem Eigentum beschenkt. Die aus den historischen Teilungsakten hervorgegangenen „Waldteile“ der Tirolerinnen und Tiroler sollten als „Gemeindegutnutzungen“ überhaupt nicht im Grundbuch eingetragen werden. Ein Waldeigentum laut Steuerkataster wurde ausdrücklich als irrelevant erklärt.

Je nach dem, ob sich die Waldbesitzer gegen diese Beurteilung zur Wehr gesetzt haben, sind ganz unterschiedliche Rechtsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern („Teilwäldern“) dargestellt worden:

1) Waldparzellen, die von der Grundbuchanlegung als freies Einzeleigentum registriert wurden, was vor allem in den „Bayrischen Gerichten“ Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel vorkam.
2) Waldparzellen, wo das Einzeleigentum im Zuge der Grund-buchanlegung erstritten wurde (z. B. in Roppen und in Haiming).
3) Waldparzellen, die aufgrund des Beschlusses des Tiroler Landtages vom 31. Jänner 1910, LG vom 30. Juni 1910 LGBl 65/1910, von den Ortsgemeinden als Eigentum der Grundbesitzer anerkannt wurden.
4) Waldparzellen, die grundbücherlich als Eigentum einer „Gemeinde“ oder „Fraktion“ geführt sind, auf denen räumlich abgegrenzte, ausschließliche Servituten des Holz- und Streubezugs „mit Verkaufsrecht“ eingetragen wurden.
5) Waldparzellen, die grundbücherlich als Eigentum einer „Gemeinde“ oder „Fraktion“ geführt sind, wo ebenfalls räumlich abgegrenzte, ausschließliche Holz- und Streubezugsrechte bestehen, die als (angebliche) Gemeindegutsnutzungen jedoch nicht im Grundbuch einverleibt sind.

 

III. Waldnutzung und Waldeigentum

Aus heutiger Sicht sind diese Unterscheidungen in den 1850er -Jahren oder durch die Grundbuchanlegung zu relativieren: Wenn Grundbesitzer eine Waldparzelle über Jahrhunderte ausschließlich genutzt haben, entsteht in dem Moment, in dem der Landesfürst sein Obereigentum aufgibt, volles und freies Eigentum der Privaten – je nach durchgeführter Vermessung alleine oder gemeinsam mit den übrigen „Feuerstattbesitzern“.

Erzherzog Siegmund

Erzherzog Siegmund der Münzreiche (* 1427 in Innsbruck; † 1496 in Innsbruck) regierte als Tiroler Landesfürst von 1446 bis 1490.

Die ersten „Teilwälder“ entstanden am Beginn der Neuzeit, als in Tirol Erzherzog Siegmund der Münzreiche und Kaiser Max die Landesherrschaft ausübten. Die älteste, nachweisbare Urkunde, in der die Anordnung einer Waldteilung dokumentiert ist, stammt aus dem Jahr 1510, der Herrschaftszeit von Kaiser Max. Diese Urkunde dokumentiert die Bitte der Nachbarn von Kolsass, dass ein unter Erzherzog Siegmund ausgezeigter Wald am Kolsassberg zu gleichen, nach dem Los bestimmten Teilen unter den „Feuerstätten“ aufgeteilt werde. Die Nachbarn von Kolsass haben sich dabei auf ältere solche Aufteilungen in Mils, Fritzens und Baumkirchen berufen. Kaiser Max bewilligte die Bitte und wies Christian Pirchner, Richter zu Rettenberg, und Leonhardt Möltl, Bergrichter zu Schwaz, an, die nötigen Veranlassungen zu treffen. Der Wald der „Nachbarschaft zu Berg und Dorf des Oblay Kolsass“ sollte „mit dem Los nach den Feuerstätten und billigen Dingen“ ausgeteilt werden, damit „niemand wieder die Billigkeit beschwert“ werde. Gebildet wurden 22 Teile, zehn für die Nachbarn vom „Berg“, zwölf für die Nachbarn im „Dorf“.

Wann die noch älteren Waldaufteilungen in Mils, Fritzens und Baumkirchen durchgeführt wurden, auf die sich die Nachbarn von Kolsass im Jahr 1510 als Beispiel berufen haben, wurde noch nicht untersucht.

kaisermax

Kaiser Max (*1459 in Wiener Neustadt; † 1519 in Wels) regierte als Tiroler Landesfürst von 1490 bis zu seinem Tod im Jahr 1519.

Es gibt mehrere Phasen intensiver Waldaufteilungen: Die erste war Mitte des 16. Jh. abgeschlossen; die zweite fällt in die 2. Hälfte des 17. Jh. und eine dritte in den Zeitraum um 1730. Aufgeteilt haben landesfürstliche Beamte auf Bewilligung durch den Landesfürsten entsprechend den Bitten der betreffenden Nachbarschaften, die sich „Gemeinde“ nannten.

Seit der Teilung nutzt ein jeder „Feuerstattbesitzer“ sein Waldstück. Nur die Waldweide wurde typischer Weise weiterhin von der ganzen Nachbarschaft ausgeübt. Das Eigentum blieb im Allgemeinen beim Landesfürsten. Erst im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 verzichtete der Landesfürst auf das Obereigentum; dies zugunsten der „holzbezugsberechtigten Gemeinde als solcher“, unter Vorbehalt besserer Rechte einzelner oder dritter. Bei dieser „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ handelt es sich nicht um die Schulgemeinde, aber auch nicht um die Kirchengemeinde und um keine Trauergemeinde, sondern um die Gemeinschaft der „holzgenussberechtigten Feuerstattbesitzer“, die Summe der Teilwaldberechtigten. Für solche Miteigentumsgemeinschaften existierte bis zum Jahr 1935 kein rechtliches Organisationsmodell. Erst mit dem Flurverfassungsgesetz 1935 konnte die Agrarbehörde diese Gemeinschaften organisieren und die Grundbucheintragungen richtigstellen.

 

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MP

Allmend-Entlastung
in Tirol

Bildergebnis für Kaiser Ferdinand der Gütige
Ferdinand I. Karl Leopold Joseph Franz Marcellin, genannt: der Gütige (* 19. April 1793 in Wien; † 29. Juni 1875 in Prag) war von 1835 bis 1848 Kaiser von Österreich und König von Böhmen und als Ferdinand V. seit 1830 auch König von Ungarn und Kroatien. Nach einem fast ein Jahrzehnt dauerndem Auseinandersetzung um das landesfürstliche Obereigentum an den Tiroler Gemeinschaftsweiden, Gemeinschaftsalmen und Gemeinschaftswäldern (Allmendregal), bewilligte Kaiser Ferdinand in Jahr 1847 das Tiroler Forstregulierungspatent.

Massiver Widerstand der Tiroler gegen das Landesfürstliche Obereigentum an den Tiroler Wäldern und Almen hatte Kaiser Ferdinand I. bewogen, im Jahr 1847 reinen Tisch zu machen: Der Rechtsanspruch auf das landesfürstliche Obereigentum an den Allmend-Liegenschaften wurde aufgegeben.

Ende der 1830er  Jahre waren in Tirol heftige Rechtsstreitig­keiten ausgebrochen. Die Grundbesitzer prozessierten gegen den Landesfürsten. Gegenstand waren die Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern. Ein anonymer Bericht in der Österreichischen Vierteljahresschrift für Forstwesen aus dem Jahr 1851 berichtet von hunderten (!) anhängigen Rechtsstreitigkeiten. Die staatliche Forstverwaltung sei nur mehr mit der „Sammlung von Klagebehelfen und Instruierung von Klagen“ beschäftigt gewesen. Von verschiedenster Seite wurde in dieser Situation in Wien interveniert, wo das staatliche Berg- und Forstwesen seit Anfang der 1840er Jahre in den Händen von Freiherr Carl Friedrich Kübeck lag. Auf dessen Initiative ist es zurückzuführen, dass Kaiser Ferdinand I. das (Tiroler) Forstregulierungspatent vom 6. Februar 1847 erlassen hat. Mit diesem Gesetz wurden die Eigentumsverhältnisse an den Allmenden, den Gemeinschaftsalmen, Gemeinschaftswäldern und Gemeinschaftsauen sowie generell an den Tiroler Wäldern neu geregelt. Der Tiroler Landesfürst hat sein Obereigentum an den Allmenden und generell an den Wäldern aufgegeben. Diese Reformmaßnahme kann als ein Vorläufer der im September 1848 im Wiener Reichstag beschlossenen „Grundentlastung“ angesehen werden und diese mag dazu beigetragen haben, dass die Tiroler auch im Jahr 1848 loyal zum Herrscherhaus standen.

Art. 1 des Forstregulierungspatents 1847 unterteilte Tirol in zwei Regionen, zum einen das heutige Nordtirol samt einigen bestimmt bezeichneten Forsten Südtirols, zum andern das restliche Tirol einschließlich Osttirol. Immer wieder wird diese Unterscheidung übersehen. Staatliche Maßnahmen in Nordtirol waren die Anerkennung von ersessenem Eigentum, die Privatforsteigentumspurifikation gem.Art. 2 des Forstregulierungspatents 1847 und die Ablösung der Holznutzungsrechte gegen privates Gemeinschaftseigentum, Maßnahme gem. Art. 3 des Forstregulierungspatents 1847. Außerhalb Nordtirols hat der Tiroler Landesfürst generell auf sein historisch überholtes „Obereigentum“ an den Allmenden, das waren die Gemeinschaftsalmen, die Gemeinschaftswälder und die Gemeinschaftsauen, verzichtet (Art. 6 Forstregulierungspatent 1847).

Als zuständige Instanz zur Prüfung des Privateigentums an den Allmend-Liegenschaften für Nordtirol wurde eine -eigene Kommission eingesetzt, die „Privatforsteigentums-Purifikations-kommission“. Diese Kom-mission hatte die Aufgabe, alle behaupteten Ansprüche zu prüfen, bestehendes Privateigentum anzuerkennen und zu dokumentieren.- Alle Eigentumstitel sollten nach den Grundsätzen des Allgemeinen Bürgerlichen Rechts geprüft werden. Gedacht war in erster Linie an Ersitzungstatbestände. Bei zweifelhaften Ansprüchen sollte versucht werden, einen Vergleich zu erzielen, anderenfalls die Partei an das „kompetente ordentliche Gericht“ zu verweisen wäre. Die Kommission erstellte sogenannte „Privatforsteigentums-Purifikationstabellen“. Diese Tabellen wurden nach der damaligen Gerichtseinteilung gegliedert angelegt. Es gibt solche Tabellen für die damaligen Landgerichte Ischgl und Ried, genauso wie die noch heute bestehenden Land-gerichte Kufstein und Kitzbühel. Es ist jeweils die Person des Anmeldenden verzeichnet, teilweise der Rechtsgrund, auf den sich der Anmeldende berufen hat, weiters ob besondere Anmerkungen zu machen seien und ob das Eigentum anerkannt oder nicht anerkannt wurde. Beispielsweise zählt die Privatforsteigentums-Purifikationstabelle des Landgerichts Silz 59 Tabellen samt „Fortsetzungen“ dazu.

Die „Instruktion für die Forsteigentumspurifikationskommission“ vom 17.06.1847, eine Ausführungsverordnung zum Forstregu-lierungspatent vom 06.02.1847, definierte die Details. Insbesondere wurde klargestellt, dass ein von der Privatforsteigentums-Puri-fikationskommission anerkanntes Privat-eigentum „von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert“ sei. Wegen des Waldeigentums, das für das Land Tirol so besondere Bedeutung hätte, sollten in Tirol nie mehr streitige Differenzen zwischen dem Staat und den Privaten entstehen. Die vorgesehene Maßnahme sollte vielmehr derartigen Streitigkeiten für alle Zukunft vorbeugen. Ausdrücklich wurde am 17.06.1847 folgende Aufgabenstellung definiert: „Die Commißion hat also die Bestimmung, in jenen Forstgebieten Tirols, in welchem das lf. Forsthoheits-Recht als Regel aufrecht verbleibt, Namens der obersten Finanzverwaltung – welche dieses Hoheitsrecht zu wahren, und aus demselben jeden Privat-Forstbesitzer zur Nachweisung seines Besitztitels aufzufordern berechtiget ist – das Privatforsteigenthum im außergerichtlichen Wege zu liquidiren, wodurch dasselbe von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert, und in dieser, besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehung den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Aerar ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll.“

 

Ferdinand I. "der Gütige"
Während in anderen Kronländern die Revolution tobte, ordneten die Tiroler auf der Grundlage der Forstregulierungspatents vom 6.2.1847 die Rechtsverhältnisse am Weide-, Wald- und Almeigentum. Das großzügige Entgegenkommen der kaiserlichen Verwaltung bei der Anerkennung des Nachbarschaftseigentums in Tirol hat offensichtlich nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sich in Tirol keine Revolutionsbestrebungen breit machten. So konnte der kaiserliche Hof im Jahr 1848 sogar für drei Monate in Innsbruck Zuflucht vor der Revolution finden.

 

Ferdinand I. verfügte per Gesetz eine grundlegende Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Forsten; dies durch die allerhöchste Entschließung vom 6. Februar 1847, das so genannte Forstregulierungspatent. Einerseits wurde ersessenes Waldeigentum anerkannt; andererseits wurden die Holzbezugsrechte der Feuerstattbesitzer in Gemeinschaftseigentum an Waldstrecken abgelöst – dies gemeinschaftlich für die einzelnen Nachbarschaften. Wer tatsächlich holzbezugsberechtigt war, wurde zuvor streng geprüft. Es galt folgende Generalregel: Die Ablösungskommission hatte sich gegenwärtig zu halten, dass Holzbezugsrechte nur dem Bauernstande, den Besitzern von Grund und Boden, zustanden. Neubauten oder Zubauten waren nicht zu berücksichtigen, ebenso wenig der Holzbedarf der so genannten „Inwohner“. Auch die Gewerbetreibenden waren vom Holzbezugsrecht ausgeschlossen, es sei denn, dass diese über die Verjährungszeit „Feuerstattzins“ bezahlt hätten. Umgekehrt wurde bei den Grundbesitzern eine wichtige Einschränkung gemacht: „Es findet die Einbeziehung solcher Gutsbesitzer, welche bereits eine ihrem Bedarf entsprechende Waldfläche in Folge Auftheilung oder Verleihung [zu Eigentum] oder die überhaupt aus einem stichhältigen Grunde gegenwärtig keine Einforstungsrechte in den Staatsforsten besitzen, in die Zahl der Gemeindeglieder nicht statt, für deren Bedürfniß durch die Abtretung von Aerarialforsttheilen zu sorgen ist.“

agrar

Carl Friedrich von Kübeck, Freiherr von Kübau (*1780 in Iglau/Mähren; † 1855 in Hadersdorf/Wien), ab 1840 Präsident der Allgemeinen k. k. Hofkammer und ab 1841 auch Leiter des Präsidiums für das gesamte Münz- und Bergwesen. 

Die Tiroler haben es im Wesentlichen Freiherrn Carl Friedrich von Kübeck zu verdanken, 1847 Leiter des Präsidiums für das gesamte Münz- und Bergwesen, dass Kaiser Ferdinand es gestattete, die Tiroler Wälder teilweise als Privateigentum anzuerkennen. Freiherr von Kübeck hatte zuvor schon das staatliche Finanzwesen reformiert; er war der Vordenker eines österreichischen Eisenbahnnetzes und eines staatsweiten österreichischen Telegraphennetzes. Ein Bericht aus dem Jahr 1851 nennt folgende Zahlen: Im heutigen Nordtirol waren an Waldfläche ca. 550.000 Niederösterreichische Joch betroffen; hiervon wurden als Privateigentum „purifiziert“ ca. 40.000 Joch. Zur Ablösung des Bezugsrechts von beiläufig 217.000 Niederösterreichische Klafter Holz wurden in das Eigentum der Nachbarschaften abgetreten: 355.000 Joch. Es verblieben als Staatseigentum ca 155.000 Joch mit einem Durchschnittsertrag von beiläufig 75.000 NÖ Klafter Holz. Im großen Durchschnitt stellte sich für jede Familie ein Bedarf von 6 Klafter Holz zu 108 Kubikfuß Raum heraus und dieser wurde durchschnittlich mit einer Waldfläche von 9,9 Joch abgelöst, wovon im Durchschnitt 10 % unproduktiv waren. Zur vollständigen Bedarfsbedeckung der Bezugsberechtigten wurde kalkuliert, dass das Joch produktiver Waldfläche nahezu 0,67 Klafter Durchschnittsertrag liefern müsste, was den Forsttechnikern damals erreichbar schien, aber voraussetzen würde, dass eine ungleich bessere als die bestandene Waldwirtschaft betrieben wird.

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die Tiroler Forstregulierung 1847

das Gemeindeeigentum  der Forstregulierung 1847

MP