In Tirol vollzieht sich seit einigen Jahren eine bemerkenswerte Umgestaltung in den Eigentumsverhältnissen: Ursprünglich bäuerliches Gemeinschaftsgut, das in sogenannten „agrarischen Operationen“ rechtskräftig als Eigentum von Agrargemeinschaften festgestellt wurde, wird durch den Landesgesetzgeber in ein „atypisches Gemeindegut“ umgestaltet. Dieses „atypische Gut“ ist zwar dem Buchstaben nach weiterhin ein Eigentum der Agrargemeinschaft; der Sache nach wurde dieses Gut in ein Staatseigentum verwandelt. Alle Verfügungsbefugnisse über dieses Eigentum und die Erträgnisse daraus sollen dem Staat in Form der Ortsgemeinden zustehen.
Diese in der II. Republik beispiellose Vermögensverschiebung von den Privaten zum Staat wird mit dem behaupteten Erfordernis legitimiert, verletzte Rechte der Ortsgemeinden wieder herzustellen. Das Eigentum sei den Ortsgemeinden in den agrarischen Operationen „offenkundig verfassungswidrig“ entzogen worden. Offizielle Zahlen zum Umfang des enteigneten Grundbesitzes fehlen – gut informierte Kreise kolportieren 150.000 ha Grund und Boden, die entschädigungslos aus Gemeinschaftsbesitz in Staatsbesitz überführt wurden. Dies samt allen darauf befindlichen Baulichkeiten und Rechten. Hinzu kommen die in den Agrargemeinschaften verwalteten ersparten Barmittel von angeblich 50 Millionen Euro.
Zur Begründung wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2008 zur Agrargemeinschaft Mieders („Mieders-Verkenntnis 2008“) verwiesen. Über Beschwerde der Ortsgemeinde Mieders im Stubaital hatte der Verfassungsgerichtshof im Juni 2008 erkannt, dass das Anteilrecht der Gemeinde an der Agrargemeinschaft Mieders, bisher 10 %, erhöht werden müsse. Die Ortsgemeinde hätte seit jeher ein Recht auf den Substanzwert besessen. In dieses Recht sei bei der agrarischen Operation „offenkundig verfassungswidrig“ eingegriffen worden. Die Agrarbehörde hätte deshalb heute den „Regulierungsplan“ der Agrargemeinschaft anzupassen. Dem Recht der Ortsgemeinde auf den Substanzwert sei durch eine Erhöhung des Anteilrechts der Ortsgemeinde zum Durchbruch zu verhelfen.
Dabei wurde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) einfach vorausgesetzt, dass die Ortsgemeinde ursprünglich ein Recht auf das Eigentum hatte und dass dieses Eigentumsrecht im Zuge des agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens verletzt worden sei. Der Einwand, dass die Ortsgemeinde bei der Grundbuchanlegung zu Unrecht als Eigentümerin von Nachbarschaftsliegenschaften herhalten musste, wurde im Verfahren nie erhoben und vom Verfassungsgerichtshof auch gar nicht überprüft. Auch die Tatsache, dass die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden hatte, dass gerade nicht die Ortsgemeinde, sondern die Agrargemeinschaft Mieders Eigentümerin sei, wurde vom VfGH im „Mieders-Verkenntnis“ mit raffinierter Rabulistik ausgehebelt.
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LANDESGESETZ ALS ENTEIGNUNGSNORM
Mit zwei Gesetzesnovellen zum Flurverfassungslandesgesetz (TFLG) vom 17.Dezember 2009 LGBl 7/2010 und 14. Mai 2014 LGBl 70/2014 wurde das Recht der Agrargemeinschaften in Tirol durchgreifend umgestaltet. Den Tiroler Kommunen wurde ein direkter Zugriff auf das Vermögen von rund 250 Agrargemeinschaften verschafft. Betroffen sind ca. 150.000 ha an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften samt allenfalls darauf errichteten Baulichkeiten und Anlagen sowie rund 60 Millionen Euro an liquiden Mitteln.
Die enteigneten Gebäude, meist „Bauhöfe“, Lagerhallen, Almgebäude, Bergrestaurants, wurden in den Jahrzehnten seit der Regulierung meist unter Mithilfe aller Mitglieder neu errichtet oder durchgreifend renoviert, die enteigneten Barmittel wurden über Jahrzehnte angespart. Anstelle der gewählten organschaftlichen Vertreter der Mitglieder verfügen seit 1. Juli 2014 Staatskommissare, die vom Gemeinderat bestellt werden, sogenannte „Substanzverwalter“. Dies als gesetzlich neu installierte Organe der Agrargemeinschaft! Diese „Substanzverwalter“ sind der Ortsgemeinde weisungsgebunden und sie sind berechtigt, jederzeit Vermögen aus solchen Agrargemeinschaften zu entnehmen und im Sinn der Ortsgemeinde zu verwenden.
Ein solches „atypisches Gemeindegut“ begegnet (derzeit) in 142 von insgesamt 279 Tiroler Ortsgemeinden.
„MIEDERS-VERKENNTNIS“ ALS GRUNDLAGE
Bekanntlich hat die Agrarbehörde die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften zu prüfen und darüber zu entscheiden, wer zu welchem Anteil Eigentümer der Liegenschaften ist. Seit dem Jahr 1909 besteht in Tirol eine gesetzliche Grundlage für solche „agrarischen Operationen“. Wenn Jahrzehnte später die Behauptung aufgestellt wird, dass eine solche Entscheidung falsch gewesen sei und dass eine solche Entscheidung nun korrigiert werden müsse und korrigiert werden könne, so bedeutet dies einen völlig neuen Umgang mit der Institution der Rechtskraft als Fundament des Rechtsstaates.
Der historische Bescheid der Agrarbehörde, mit dem die Eigentumsfrage rechtskräftig zu Gunsten einer Gemeinschaft von Grundbesitzern entschieden wurde, wird ausgehebelt; das Rechtsinstitut der Rechtskraft, eines der wichtigsten Fundamente des Rechtsstaates, wurde mit Füßen getreten!
FALSCHE FAKTEN UND RABULISTIK
Das „Mieders-Verkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes 2008 läuft auf das Ergebnis hinaus, dass der historische Bescheid, mit dem die Eigentumsfrage im konkreten Einzelfall rechtskräftig geklärt wurde, ausgehebelt wird.
Argumentiert wurde mit dem Gedanken, dass die historischen Entscheidungen über das Eigentumsrecht in sich widersprüchlich seien: Es gebe eine Entscheidung für ein Eigentum der Agrargemeinschaft und gleichzeitig eine Entscheidung für ein „Gemeindegut“ – für den Verfassungsgerichtshof ein Widerspruch. Dies deshalb, weil der Verfassungsgerichtshof sich im „Mieders-Verkenntnis“ (VfSlg 18.446/2008) und auch bereits in älteren Erkenntnissen (insbesondere VfSlg 9336/1982) auf den falschen Standpunkt stellte, dass ein „Gemeindegut“ zwingend ein Eigentum der Ortsgemeinde sein müsse.
Der Verfassungsgerichtshof: Wenn die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren ein „Gemeindegut“ als Regulierungsgegenstand angenommen habe, dann müsse dieses Gut ein Eigentum der jeweiligen Ortsgemeinde gewesen sein. Die weitere Entscheidung der Agrarbehörde, dass dieses Gemeindegut ein Eigentum der jeweiligen Agrargemeinschaft sei, hätte deshalb einen (offenkundig) verfassungswidrigen Eingriff in ein Gemeindeeigentum bedeutet; der betreffende Bescheid der Agrarbehörde sei (offenkundig) verfassungswidrig gewesen.
Die Behauptung von verfassungswidrigen Regulierungsergebnissen führt den Verfassungsgerichtshof unmittelbar zu der weiteren Rechtsfolgerung, dass diese Bescheide „verfassungskonform“ interpretiert werden müssten. Die „Substanz des Eigentums“ müsse der Ortsgemeinde erhalten werden. Zu diesem Ergebnis gelangt der Verfassungsgerichtshof durch eine neue Auslegung der historischen Bescheide: Die Agrarbehörde – so die Argumentation des Verfassungsgerichtshofes – hätte nicht nur ein Eigentum der Agrargemeinschaft festgestellt, sondern auch ein „Gemeindegut im Sinn von Substanz der Ortsgemeinde„. Ein Gemeindegut setze nämlich zwingend voraus, dass die „Substanz“ der jeweiligen Gemeinde zustehe.
In Konsequenz hatte der Verfassungsgerichtshof somit agrargemeinschaftliche Gebilde „entdeckt“, wo die Substanz der Ortsgemeinde zusteht und das Eigentum der Agrargemeinschaft. Die eigentumslose Substanz und das substanzlose Eigentum (P. Pernthaler) war erfunden – das „atypische Gemeindegut“.
ATYPISCHE AGRARGEMEINSCHAFT MIEDERS
Der Verfassungsgerichtshof: Wenn die Agrarbehörde deshalb im seinerzeitigen Regulierungsverfahren entscheiden habe, dass das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft Mieders zustehe, so sei diese Entscheidung offenkundig verfassungswidrig gewesen. Diese angebliche Verfassungswidrigkeit erfordere eine verfassungskonforme Interpretation dieser Bescheide.
Im Blick auf die Feststellung von „Gemeindegut“, an dem ein Eigentum der Agrargemeinschaft bestehe, wurde der Standpunkt eingenommen, dass im Zuge des historischen Regulierungsverfahrens der Ortsgemeinde das „Substanzrecht“ verblieben sei. Es sei der Wille der Agrarbehörde gewesen, ein „Gemeindegut“ festzustellen; dessen Wesensgehalt sei es aber, dass die „Substanz“ der Ortsgemeinde zustehe!
Zumindest müssten die Bescheide in diesem Sinn „verfassungskonform“ interpretiert werden: Hier das „eigentumslose Substanzrecht„, dort das „substanzlose Eigentumsrecht„. So der Verfassungsgerichtshof im bereits genannten Mieders-Verkenntnis 2008, VfSlg 18.447/2008.
DAS WESEN DES „ATYPISCHEN“
Vergeblich haben die Tiroler Agrargemeinschaften in nachfolgenden Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht, dass den Bescheiden, die in den historischen Regulierungsverfahren ergangen sind, niemals ein solcher Sinn unterstellt werden dürfe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diesen Einwand in einer ganzen Serie von Erkenntnissen am 30.06.2001 vom Tisch gewischt (VwGH 2010/07/0091, VwGH 2010/07/0092 uam).
Der Verwaltungsgerichtshof stellte sich auf den Standpunkt, dass eine Anknüpfung beim Begriff „Gemeindegut“ im historischen Regulierungsverfahren zwangsläufig ein atypisches Gemeindegut hervorgebracht hätte. Zwangsläufig folge aus dieser historischen Anknüpfung, dass heute die Substanz der Ortsgemeinde gehöre. Diese Interpretation aller historischen Bescheide sei objektiv zu vollziehen. Dass die historische Agrarbehörde solche Gebilde tatsächlich niemals feststellen wollte, sei ohne Relevanz. Irrelevant sei auch, dass keiner der am historischen Agrarverfahren Beteiligten an solche Rechtsfolgen denken konnte. (VwGH 2010/07/0091, VwGH 2010/07/0092 uam)
Für dieses Fantasiegebilde wurde der Begriff „atypisches Gemeindegut“ erfunden – Rabulistik vom Feinsten!
GEMEINDEGUTSIRRSINN IN TIROL
Im engsten zeitlichen Zusammenspiel mit der Veröffentlichung des sog. „Mieders-Verkenntnisses“ im Frühsommer 2008 wurde in Tirol ein generalstabsmäßig angelegter Raubzug gegen das agrargemeinschaftlich organisierte landwirtschaftliche Eigentum in Gang gesetzt. Vollzugsbehörde ist die Agrarbehörde, wo eine neue Abteilung geschaffen und mit einem halben Dutzend Juristen besetzt wurde.
Das Tiroler Gemeinschaftseigentum, hier “Gemeindegut” genannt, wurde als Diebesbeute hingestellt, welche dem Staat zurück zu geben sei. Tausende Hektar Gemeinschaftswald und viele Millionen EURO an ersparten Gemeinschaftsmitteln wurden in zahllosen Agrarbehördenverfahren den bisherigen Eigentümern entzogen und den Tiroler Ortsgemeinde zugewendet.
Im Ergebnis wurden seit Bekanntwerden des „Mieders-Verkenntnisses“ 2008 im Land Tirol Eigentumsverhältnisse geschaffen, wie diese nur in den historischen Grundherrschaften bekannt waren: Die Politiker als die neuen Grundherren, die Tiroler Grundbesitzer und Bauern als bloß Nutzungsberechtigte. Ein Eigentum am Gemeinschaftsbesitz wird den Bauern und Grundbesitzern vom Land Tirol nicht (mehr) zugestanden.
Die politische Hauptverantwortung für diesen Skandal trägt der im Jahr 2008 in Tirol an die Macht gekommene der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. Dieser hat das ausschließlich auf falschen Tatsachen gründende Verkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes, das “Mieders-Verkenntnis 2008″, zur Profilierung der eigenen Person verwendete. Geradezu gebetsmühlenartig wiederholte er sein Credo, dass das Mieders-Verkenntnis “auf Punkt und Beistrich” umgesetzt werden müsse. Die Tatsache, dass dieses Erkenntnis ausschließlich auf erfundenen Tatsachen, „Fake-News“, vom „gestohlenen Gemeindegut“ gründete, wurde einfach ignoriert.
Die gesamte politische Landschaft und der Tiroler Boulevard wurden zeitweise geradezu in die Raserei gegen das historische Bauerneigentum versetzt. Beängstigende Assoziationen weckten Massenaussendungen der LISTE FRITZ zum Thema “STOPPEN WIR DEN DIEBSTAHL AM VOLK” und Ähnliches.
NUR IN TIROL WIRD ENTEIGNET
Seit dem Jahr 2008 wurden in Tirol tausende Tirolerinnen und Tiroler wurden in dem Wahn enteignet, dass deren Gemeinschaftseigentum den heutigen politischen Ortsgemeinden gestohlen worden sei.
Ganz anders sind die Verhältnisse im angrenzenden Land Vorarlberg, wo die politische Landesführung die wahren Tatsachen und Fake-News zu trennen wusste. Das Mieders-Verkenntnis 2008 des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes wurde einer mehrjährigen Prüfung unterzogen. Keine einzige Vorarlberger GrundbesitzerIn wurde enteignet. Das agrargemeinschaftliche Vermögen blieb unangetastet.
Auch alle anderen Österreichischen Bundesländer ignorieren das Mieders-Verkenntnis 2008 kräftig. Nur Tirol ist anders!
Abstract: Der Tiroler Agrarstreit gründet auf Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), die glatt gesetzwidrig sind: Die Mutter der „Verkenntnis“ (Josef Kühne) ist das VfGH-Erkenntnis VfSlg 9336/1982, mit welchem der VfGH den Zuständigkeitstatbestand „Gemeindegut“ als Gegenstand der agrarischen Operationen aus dem Flurverfassungsrecht beseitigen wollte.
Entgegen einem klaren Willen des Gesetzgebers wurde das „Gemeindegut“ zwingend als Gut im Eigentum einer Gemeinde beschrieben. So wurde eine Widersprüchlichkeit des Flurverfassungsrechts konstruiert, die dann ausgenutzt wurde. Die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Regulierung des „Gemeindeguts“ wurde als verfassungswidrig hinzustellen.
Im so genannten „Mieders-Verkenntnis“ von 2008 hat der Verfassungsgerichtshof auf die klar gesetzwidrigen Prämissen des Verkenntnisses von 1982 noch einen draufgesetzt. Der 1982 geschaffene Anschein, die agrargemeinschaftlichen Regulierungen von „Gemeindegut“ seien verfassungswidrig gewesen, wurde in geradezu abenteuerlicher Art und Weise weitergesponnen: Mit hahnebücherner Rabulistik wurde die Rechtskraft der historischen Regulierungen ausgehebelt und ein umfassendes „Substanzrecht“ der Ortsgemeinden am Agrargut behauptet.
Zu vertreten hat beide Erkenntnisse Verfassungsrichter Karl Spielbüchler (*1939 in Bad Ischl; † 2012 in Gosau), der bereits im Jahr 1976, mit erst 34 Jahren Verfassungsrichter wurde; dies über Betreiben von Dr. Bruno Kreisky, damals Bundeskanzler, der einen „roten Professor“ für den Verfassungsgerichtshof gesucht und in Karl Spielbüchler gefunden hatte. Die Kommunalisierung der Tiroler Gemeinschaftsgüter seit dem Jahr 2008 ist Karl Spielbüchlers „Verdienst“.
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MUTTER DER VERKENNTNIS – VfSlg 9336
Aktuell ausgelöst wurde der Tiroler Agrarstreit durch das so genannte Mieders-Erkenntnis vom Sommer 2008. Weil der Bundesgesetzgeber das durch die „Mutter der Verkenntnis“ VfSlg 9336/1982 „demolierte“ Flurverfassungsrecht nie saniert hatte, konnte der VfGH zum nächsten Schlag gegen das agrargemeinschaftliche Eigentum ausholen: Alle Bescheide, mit denen die Agrarbehörde in der Geschichte über ein „Gemeindegut“ entschieden hatte, sollten einer verfassungskonformen Neuinterpretation unterliegen – der Gerichtshof sprach von „verfassungskonformer Auslegung“. Als Ergebnis dieser Neuinterpretation wurde ein Eigentum der Agrarier (= Eigentum der Agrargemeinschaft) in eine „Substanz der Ortsgemeinde“ verwandelt.
Das „Rezept“ für diesen in der Österreichischen Rechtsgeschichte einmaligen Interpretationsvorgang ist hoch komplex. Diese Komplexität ist auch die Ursache dafür, dass die Unrechtsnatur dieser Judikatur-Linie für den Laien, aber genauso für Nicht-Spezialisten, mühsam nachzuvollziehen ist. Es ist erforderlich, die wesentlichen Argumentationsschritte der Judikatur-Linie herauszuarbeiten und deren Richtigkeit am Flurverfassungsrecht, wie dieses vor dem Eingriff des VfGH durch das Verkenntnis VfSlg 9336/1982 bestanden hat, zu überprüfen. Eine solche Überprüfung erweist jeden wesentlichen Interpretationsschritt des Verfassungsgerichts als falsch.
FALSCH GESTEMPELT
Im „Mieders-Erkenntnis“ von 2008 und in den einschlägigen älteren Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 9336/1982 und 5666/1968) blieben die geschichtliche Entwicklung des Flurverfassungsrechts und die Absicht des historischen Gesetzgebers unbeachtet. Die leicht erweisliche Tatsache, dass das Flurverfassungsrecht in Österreich seit seinen Anfängen im Jahr 1883 unter dem Begriff eines „Gemeinde- bzw. Fraktionsguts“ ein Gut mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen verstanden hat, wurde vom Gerichtshof einfach ausgeblendet. Insbesondere hat der Verfassungsgerichtshof sich nie damit auseinandergesetzt, warum der Reichsgesetzgeber schon im Jahr 1883 ausdrücklich wollte, dass nur die neuen Agrarbehörden darüber entscheiden, wessen Eigentum ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ sei. (s Hauptstück: „Richter über Gemeindegut„)
Der Gerichtshof stellte sich stattdessen auf den Standpunkt, dass das Gemeinderecht das „Gemeindegut“ zwingend als ein Eigentum der Ortsgemeinde definiere. Die Agrarbehörde hätte deshalb niemals über die Eigentumsverhältnisse entscheiden dürfen. Dass der Reichsgesetzgeber im Jahr 1883 gerade vom Gegenteil ausging, wurde nicht angesprochen. Dass der Reichgesetzgeber des Jahres 1883 – wie in umfangreichen Debattenbeiträgen der Abgeordneten des Abgeordnetenhauses nachzulesen – gerade davon ausging, dass das Gemeinderecht keinerlei Regelung zu den Eigentumsverhältnissen am „Gemeinde- und Fraktionsgut“ enthalte, wurde vom Verfassungsgericht geradezu konterkariert.
DER HISTORISCHE GESETZGEBER
Was der historische Gesetzgeber unter „Gemeindegut“ verstanden hat und warum das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung der (Auf-)Teilung oder Regulierung durch die Agrarbehörde unterworfen wurde, zeigen die historischen Gesetzesmaterialien sehr deutlich.
a) Debattenbeiträge im Abgeordnetenhaus
Zu verweisen ist zuerst auf die stenographischen Protokolle des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates vom 22. Februar 1883. An diesem Tag fanden die Debatten über das neue Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz (TRRG 1883) statt.
Regierungsvertreter v Rinaldini, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst dem so genannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, diese wagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuell, wo eine solche unangefochtene Übung nicht besteht, Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden?“
Dr. Johannes Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, Mitglied des Böhmischen Landesausschusses, Advokat und Notar, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9226: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen. Man hat sehr oft vollen Grund, sich über die Entscheidungen des Landesausschusses und der Gerichte namentlich darüber zu wundern, wem das strittige Vermögen zugewiesen wurde. Wen wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden, und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Was die Gemeindeordnungen und insbesondere die böhmische Gemeindeordnung betrifft, so kann ich in der Tat sagen, dass ich in derselben fast gar keine Anhaltspunkte für die Entscheidung dieser Frage finde. Wenn man sich auf die bisherige unangefochtene Übung beruft und nach dieser entscheidet, so ist das ganz gewiss eine ganz hinfällige Basis.“ (im Original nicht hervorgehoben)
Abgeordneter Dr. Josef Kopp, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9222f: „Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“ (im Original nicht hervorgehoben)
Abgeordneter Dr. Georg Granitsch, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9230f: „[…]. Denn was ist geschehen? Die so genannten Kleinhäusler, welche von den Nutzungsrechten ganz ausgeschlossen worden sind, […] erhoben den Anspruch, dass dieses [geteilte] Eigentum ausschließlich der Gemeinde zugewiesen werde. Wie soll nun anhand des bestehenden Gesetzes diese Streitfrage gelöst werden? Ganz richtig! Der Paragraf, wie ihn der Sprecher in jener (rechten) Seite des Hauses zitiert hat, ist auch in der Niederösterreichischen Gemeindeordnung enthalten. Aber der Niederösterreichische Landesausschuss war bisher nicht in der Lage anhand dieser Gesetzesbestimmung, die Streitigkeiten zu schlichten. Das ist auch begreiflich. Das Gesetz setzt hier bisher unangefochtene Übung voraus und setzt weiter voraus, dass diese nicht größer sein darf als der Hausbedarf, 2 Momente, welche an und für sich so streitig, so zweifelhaft sind, dass sie absolut keine Richtschnur für die Lösung der speziellen Streitfrage bilden können. Es soll eine Streitfrage gelöst werden damit, dass eine andere Streitfrage als Richtschnur zur Lösung der ersteren hereingezogen wird! Ich glaube auf diese Art ist es wohl begreiflich, dass die Streitigkeiten in den Gemeinden nicht zur Lösung gebracht werden können.“ (im Original nicht hervorgehoben)
b) Die Erläuternden Bemerkungen zum Ministerialentwurf
Aber nicht nur die Abgeordneten hatten sich Gedanken dazu gemacht, was denn eine „Gemeindegut“ sei; auch im Ministerium, das den Gesetzesentwurf erstellt hatte, bestand eine klare Auffassung zu den Rechtsverhältnissen am „Gemeindegut“. Das Ministerium hat seine Rechtsauffassung in den so genannten „Erläuternden Bemerkungen (EB) zum Gesetzesentwurf“ offengelegt. Dem seinerzeitigen „Herrenhaus“ (= heute „Bundesrat“) wurde eine Gesetzesentwurf vorgelegt – und zusätzlich diese „Erläuternden Bemerkungen“ (im Folgenden kurz „EB“) dazu.
EB zum Herrenhausbericht, 43 der Blg.sten.Prot HH IX. Ses, 33: „Die Bestimmung des § 1 Z 2 des Entwurfes haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben.“EB zum Herrenhausbericht, 43 der Blg.sten.Prot HH IX. Ses, 33: „In der alten Agrargemeinde stand bekanntlich die Teilnahme an der Nutzung des unverteilten Teiles der Gemeindemark (Allmende, gemeinde Mark) den Markgenossen, das ist den Besitzern der markberechtigten Hofstätten, zu; dieser „Gemeindenutzen“ wurden anderen Ortsbewohnern, welche keine berechtigten Hofstätten besaßen, nur im Wege der Gestattung und häufig gegen eine bestimmte jährliche Gebühr eingeräumt.“
EB zum Herrenhausbericht, 43 der Blg.sten.Prot HH IX. Ses, 33: „Die Markgenossen waren zugleich die Träger des Gesamtrechtes der Gemeinde, welches sich nicht nur in dem Eigentume und der berechtigten Benützung der gemeinen Mark, sondern auch in der Aufteilung und Handhabung der gemeinschaftlichen Wirtschaftsordnung (Flurzwang), und in der periodischen Weidegemeinschaft auf den unverteilten Feldern der Dorfmark äußerte.“
EB zum Herrenhausbericht, 43 der Blg.sten.Prot HH IX. Ses, 34: „Allmählich und namentlich durch den Einfluss des römischen Rechtes mit seiner scharfen Sonderung des Privatrechtes vom öffentlichen Rechte, ging die öffentlich-rechtliche Seite verloren, während zugleich durch die Vermehrung der Bevölkerung, den Zuzug städtischer Elemente und infolge der Entwicklung von Handel und Gewerbe neben den Elementen der alten privatwirtschaftlichen Gemeinde die weitere, moderne, die Gesamtheit der Ortseinwohner umfassende Gemeinde erblühte. Von diesem Umwandlungsprozesse konnte selbstverständlich das Verhältnis im Betreff der gemeinen Mark nicht unberührt bleiben, da ja der Anspruch auf die Teilnahme am Eigentume und an den Nutzungen derselben genetisch mit der Voraussetzung verbunden war, dass die Anteilsberechtigten die ausschließlichen Träger der öffentlich-rechtlichen Befugnisse in der Gemeinde und der gemeinschaftlichen Lasten seien, während hingegen tatsächlich die öffentlich-rechtlichen Befugnisse allmählich entfallen waren und die Rechtsnachfolger der markberechtigten Genossen zumeist allerdings den fortdauernden ausschließlichen Bezug des „Gemeinde-Nutzens“ beanspruchten und festhielten, die Fortdauer aber ihren Verpflichtungen bezüglich der Gemeindelasten gar nicht mehr oder nur teilweise anerkannten. Aus dem sich hieraus naturgemäß ergebenden Zwiespalte zwischen diesen, des ursprünglichen Charakters und ihrer früheren inneren Organisation entkleideten Überresten der alten Agrargemeinde einerseits und den anderen Elementen der modernen Gemeinde andererseits, sind die verschiedensten Resultate erwachsen, je nach der größeren oder geringeren Nachgiebigkeit dieser berechtigten Gemeinschaften gegen die Ansprüche anderer auf Mitbenützung des Gemeingutes, nach dem Maße und der Dauer ihres Einflusses in der Gemeindevertretung und nach der größeren oder geringeren Sorgfalt überhaupt, welche zugunsten der Gemeinschaft oder der erweiterten Gemeinde bei katastral- und grundbücherlichen Eintragungen und bei anderen Anlässen angewandt wurde.“
c) Ältere Quellen, die der Gesetzgeber verwertet hat
Dieses Phänomen „Gemeindegut“ und die Rechtsverhältnisse daran wurde bereits im Bericht des NÖ Landesausschusses vom 21.09.1878 trefflich beschrieben. Diese Analyse ist deshalb heute noch von besonderer Bedeutung, weil gerade der NÖ Landtag es war, der immer wieder beim Reichsgesetzgeber die reichs-gesetzliche (Grundsatz-)Regelung für ein „Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz (damals Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz) eingefordert hat. Der Verfasser des Berichtes, Dr. Josef Kopp, war Mitglied der NÖ Landesregierung und gleichzeitig Abgeordneter im Reichsrat, wo er entscheidend mitgewirkt hat, dass die so genannten „drei agrarischen Reichsgesetze“ des Jahres 1883 zustande gekommen sind.
Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses vom 21. September 1878 betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums, XXVII der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des niederösterreichischen Landtages, 5. Wahlperiode, Seite 8: „Ist diese moderne Gemeinde, dieser Mikrokosmus des Staates, diese juristische Person aber noch dasselbe wie die alte Dorfmark mit ihrer Wirthschaftsgenossenschaft? Gewiß nicht, der territoriale Umfang und der Name ist derselbe geblieben, die Sache, der Begriff haben sich völlig geändert. Im Kataster aber und im Grundbuch steht noch der Name „Gemeinde“; wer ist nun das Rechtssubject bezüglich der dort eingetragenen Gemeindegründe? Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg auf anwendbar war. Die „Gemeinde“ erschien in allen Urkunden als Eigenthümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne daß letztere gestorben wäre. Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren. Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. Man versuchte zuweilen diesen factischen Genuß aus dem Begriffe der Dienstbarkeit zu erklären, das ist aber nicht nur historisch grundfalsch, sondern auch den thatsächlichen Zuständen nicht entsprechend. Da man nun kein Schubfach fand, in welches man diese Rechtsverhältnisse stecken konnte, so ließ man sie einfach als weiter nicht definierbare Nutzungsrechte gelten. Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Asurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“
AUSLEGUNG CONTRA LEGEM
Als Schlussfolgerung aus dem Studium der historischen Materialien, insbesondere der Materialien zum Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 (TRRG 1833), ergibt sich zwingend das Folgende: a) Die wesentlichen und grundlegenden Prämissen des so genannten „Mieders-Erkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes widersprechen der historischen Wahrheit. b) Die wesentlichen und grundlegenden Prämissen des so genannten „Mieders-Erkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes sind FALSCH!
Das Gemeinderecht, das sind das Reichsgemeindegesetz von 1862 und die Ausführungsgesetze der Länder dazu aus der Zeit von 1863 bis 1866, enthielt keinerlei Regelung zu den Eigentumsverhältnissen am Gemeindegut. Bevor das Flurverfassungsrecht in Österreich (damals: konstitutionelle Monarchie) geschaffen wurde, konnte deshalb jedes von einer Ortsgemeinde behauptete Eigentum jederzeit von den Nutzungsberechtigten (oder anderen Personen) zum Gegenstand eines zivilgerichtlichen Eigentumsstreits gemacht werden. Eine Gemeinschaft von Nachbarn konnte die Ortsgemeinde mit der Eigentumsklage vor Gericht bringen. Das Gericht hatte dann zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wie die Ortsgemeinde das Eigentum erworben hatte oder ob in Wahrheit die Gemeinschaft der Nachbarn wahre Eigentümerin war. Dies beispielsweise aufgrund Jahrhunderte langer Nutzung wie ein Eigentümer (Ersitzung) oder aufgrund anderer Rechtsakte.
Solche Gerichtsverfahren um das Eigentum am Gemeindegut sind im historischen Kronland Böhmen in den 1870er Jahren auch massenhaft vorgekommen. Die neugeschaffenen politischen Ortsgemeinden heutiger Prägung in Böhmen haben alle diese Zivilgerichtsverfahren um das Eigentum gegen die jeweiligen Nachbarschaften verloren und die Ortsgemeinden mussten die Prozesskosten bezahlen. (Von diesen Prozessen berichtet Karl Cizek, Städt. Kanzlei-Direktor im ehemaligen Karolinenthal [Karl Cizek, Der Streit um die Gemeinde-Gründe. Eine Verwaltungsrechtliche Studie, Prag 1879]).
Die Nachbarschaftsmitglieder hatten in der Folge jedoch nur die Wahl, sich irgendwie über eine Gemeinschaftsnutzung zu einigen oder das Eigentum aufzuteilen. Weil für die Beurteilung dieses Gemeinschaftsgutes nur die Regelungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über das Miteigentum zu Verfügung standen, war das im wahrsten Sinn des Wortes „Sisyphus-Arbeit“: Nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch ist nämlich in allen diesen Fällen Einstimmigkeit aller Miteigentümer notwendig. Einigkeit herzustellen war selbst dann eine „Sisyphus-Arbeit“, wenn nur eine kleine Gruppe von 15 bis 25 Nachbarschaftsmitgliedern zu berücksichtigen war. Man kann sich vorstellen, dass im Fall einer Agrargemeinschaft mit 50 bis einhundert Mitgliedern das Einstimmigkeitserfordernis jede Regelung von vorne herein ad absurdum führte. Die größte Tiroler Agrargemeinschaft Kappl-See hat sogar ca. 550 Mitglieder! Die Agrargemeinschaft Nenzing in Vorarlberg zählt noch mehr Mitglieder. Mit den Regelungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs über das Miteigentum war deshalb keine sinnvolle Verwaltung zu Stande zu bringen. Und im Streitfall hätte das Zivilgericht zu entscheiden – in einem Verfahren, wo alle Nachbarn entweder auf Kläger- oder auf Beklagtenseite auftreten mussten. Die Alternative einer Verwaltung als Gemeindegut durch (mehrheitliche) Entscheidung des Gemeinderates war im Vergleich dazu bei weitem effizienter.
ZWECK UND ZIEL IM BODENREFORMRECHT
Der Reichsgesetzgeber des Jahres 1883 hat zur Regelung der Rechtsverhältnisse an gemeinschaftlich genutzten Liegenschaften einen revolutionären Weg beschritten: Anstelle des zivilgerichtlichen Eigentumsstreits wurde den Nachbarschaftsmitgliedern ein Verfahren zur reformatorischen Neugestaltung der Rechtsverhältnisse (= „Bodenreform“) angeboten. Mit diesem Ziel wurde eine Spezialbehörde geschaffen, die mit Juristen, Agrarfachleuten und Vermessungstechnikern ausgestattet wurde. Und diese Spezialbehörde wurde mit einem mehrfach privilegierten Recht ausgestattet – in verfahrensrechtlicher Hinsicht und das inhaltliche Recht betreffend. Dies alles bei voller Gebühren- und Steuerbefreiung für alle von der Behörde entschiedenen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse.
a) Staatsziel „verbesserte Bodenerträge“
Als Ergebnis solcher „Bodenreformmaßnahmen“ (= „agrarischen Operationen“) erhoffte man sich bessere Bodenerträge, nämlich durch Intensivbewirtschaftung nach einer Aufteilung des Gemeinschaftsgutes unter den Nachbarn. Wo die Aufteilung untunlich wäre, z. B. Almweide, wirtschaftlich nicht teilbare Waldstrecken, sollte die Reorganisation als Agrargemeinschaft treten. Das Gemeinschaftsgut sollte durch die Regulierung klare Regelungen für die Geschäftsführung, die Vertretung und die Bewirtschaftung erhalten – dies wieder mit dem Ziel von besseren Bodenerträgen, höherer Wirtschaftsleistung und im Ergebnis höherer Steuereinnahmen. Daher der Name „Bodenreformrecht“.
Anschaulich brachte dies das damalige Mitglied der Niederösterreichischen Landesregierung, gleichzeitig Abgeordneter im Österreichischen Reichsrat, Dr. Josef Kopp, in einem Debattenbeitrag am 22. Februar des Jahres 1883 im Reichsrat zum Ausdruck: „Es ist nicht möglich, dass die Zivilgerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das […] kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig […]. Das eigentlich Nützliche ist eben, dass alle Fragen, die hier einschlagen, juristische und wirtschaftliche, einheitlich gelöst werden durch Behörden, in welchen sowohl die eine wie die andere Richtung vertreten ist. Das kann nicht getrennt geschehen und darum nützt auch jener Vorschlag nichts, der die Commassionsbehörde entscheiden lässt über die Frage des Eigentums, über die Frage der Regulierung und Teilung aber die autonome Behörde. Wenn sie das auseinanderreißen, scheiden sie etwas, was sich dialektisch, theoretisch scheiden lässt, aber praktisch durchaus nicht, außer zum entschiedenen Nachteile der Sache.“
Die historischen Quellen zeigen, dass der Gesetzgeber der 1880er Jahre eine beträchtliche Wertschöpfung aus der Teilung und Regulierung voraussetzte. Im Bericht des „Comassionsausschusses“ aus dem Jahr 1882 ist dazu Folgendes nachzulesen: „Es wird von gut unterrichteter Seite behauptet, dass es noch mehr als eine Million Hektar sogenannter Gemeindegutweiden und Gemeindewaldungen gibt, bei denen die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse unklar und strittig sind und deren Verwaltung eine ungeregelte und wüste ist.“
Dem Missstand, wonach unzählige Hektar landwirtschaftlicher Grund und Boden völlig ineffizient als „Allmende“ genutzt wurden (in Wahrheit ungenutzt blieben) , sollte durch die neue Behörde und durch neue gesetzliche Regelungen für die Nutzung dieser Liegenschaften abgeholfen werden. Dies deshalb, weil Bestimmungen der Gemeindeordnungen über die Nutzung dieser Liegenschaften nicht geeignet seien, „in die bekanntlich äußerst verworrenen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse, Klarheit und Ordnung zu bringen, noch weniger aber geeignet, eine rationelle Verwaltung und die möglichst große Rentabilität herbeizuführen“.
b) Staatsziel „politisch vertretbare Auseinandersetzung“
Und da war noch ein anderes Staatsziel, das die neue „Commassionsbehörde“ im Auge behalten sollte: Durch Verhandlungen zwischen den Berechtigten und der Gemeinde sollte eine angemessene Vermögensauseinandersetzung erzielt werden! Die neuen „Commassionsbehörden“ sollten Kompromisse verhandeln, um die soziale Akzeptanz der Teilung und Regulierung zu erhöhen. Die Interessen der Gemeindeöffentlichkeit sollten in einem „Gemeindeanteil“ indirekt im Regulierungsergebnis Berücksichtigung finden.
Der historische Gesetzgeber war überzeugt, dass es die Nachbarschaft der Stammsitzeigentümer verschmerzen würde, wenn sie einen gewissen Teil des gemeinschaftlich genutzten Vermögens der politischen Ortsgemeinde zu überlassen hätte. Dies sozusagen als Gegenleistung dafür, dass der Staat die reformatorische Umgestaltung als Einzeleigentum oder als körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft herbeiführte – und zwar bei voller Steuer- und Gebührenbefreiung.
Dr. Johann Žák, im Zivilberuf Advokat und Notar, Mitglied der Böhmischen Landesregierung und gleichzeitig Abgeordneter im Reichsrat in Wien, dazu am 22. Februar des Jahres 1883: „Ja meine Herren, man wird vielleicht einwenden, dass das Gesetz, wenn es sich um ein wirkliches Gemeindegut handelt, wirklich wohltätige Wirkungen haben könnte, weil denn doch vorauszusetzen ist, dass im Laufe der Verhandlungen in den meisten Fällen zwischen den Berechtigten und der Gemeinde als solcher ein akzeptabler Vergleich werde geschlossen werden. Auch ich gebe mich dieser Hoffnung hin, weil ich glaube, dass diejenigen, welche jetzt im Besitze der Nutzungen sind, es höchstwahrscheinlich verschmerzen werden, wenn sie einen gewissen Teil desjenigen Vermögens zu Handen der Gemeinde herauszugeben haben, welches sie bisher ausschließlich benutzt und besessen haben.“
Der Reichsgesetzgeber hat dieses Ziel bei der gesetzlichen Regelung der Gemeinschaftsliegenschaften weitblickend umgesetzt: Die Privaten, die von der Bodenreformmaßnahme einer Teilung oder Regulierung profitierten, sollten keine Geldabgaben leisten, sondern ihre Schuldigkeit gegenüber dem Staat und der Gemeinschaft in Form eines Naturalanteils am ungeregelten Gemeinschaftsvermögen erbringen, nämlich in Grund und Boden. Der Staat hatte damit die Möglichkeit, von künftigen Wertsteigerungen an Grund und Boden zu profitieren.
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GEMEINDEANTEIL ALS STEUER
Zwar hat der Reichsgesetzgeber im Teilungs-Regulierungs- Reichsgesetz vom 7. Juni 1883, das nur ein Rahmen- bzw. Grundsatzgesetz sein wollte, keinen „Gemeindeanteil“ festgesetzt; der Landesgesetzgebung wurde jedoch freigestellt, einen solchen Gemeindeanteil einzufordern. Von den im ersten Jahrzehnt der modernen Flurverfassungs-Gesetzgebung (1883 bis 1893) umgesetzten Landes-Teilungs- und Regulierungsgesetzen für Kärnten, Niederösterreich und Salzburg, hat jedoch nur Niederösterreich diese „Reorganisationsabgabe“ eingefordert. Gesetzlich festgeschrieben wurde in Niederösterreich ein 20%iger Anteil an dem der „agrarischen Operation“ unterzogenen Grund und Boden.
Erst im Jahr 1932, als das Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz von 1883 durch das moderne „Bundesgesetz betreffend Grundsätze für die Flurverfassung“ abgelöst wurde, ist der Gemeindeanteil im Fall der Regulierung oder Teilung von Gemeinschaftsliegenschaften allgemein verpflichtend geworden. Die Regierungsvorlage hatte noch einen 10%igen Staatsanteil vorgesehen; im Nationalrat hatte man den „Staatsanteil“ auf 20 % erhöht; abweichende Vereinbarungen (Parteienübereinkommen) waren zulässig.
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WESSEN GUT IST EIN GEMEINDEGUT?
Was immer sich der historische Gesetzgeber unter einem „Gemeindegut“ vorgestellt hatte – jedenfalls war und ist ein „Gemeindegut“ niemals durch klare Eigentumsverhältnisse definiert gewesen. Das Gegenteil war der Fall: Unter einem „Gemeindegut“ haben die Agrarjuristen ein Gut verstanden, dessen Rechtsverhältnisse einer reformatorischen Gestaltung unterzogen werden sollten.
Wer an welchem Teil Eigentumsrechte besitzen sollte, war der Parteieneinigung und (im äußersten Fall) den kontradiktorischen (= streitentscheidenden) Entscheidungen der Agrarbehörde vorbehalten. Genau aus diesem Grund gibt es auch zahlreiche Regulierungsverfahren, wo sich die Beteiligten dahingehend geeinigt haben, dass die Ortsgemeinde Eigentümerin des Regulierungsgebietes sein soll (in Tirol: z. B. in Fiss, in Heiterwang, in Nesselwängle, in Pians, Reutte, Sölden, St. Anton, Weissenbach usw. in Tirol insgesamt in 93 [!] Fällen).
Die Eigentumsverhältnisse am „Gemeinde- bzw. Fraktionsgut“ sollten somit im Zuge der „agrarischen Operation“ geklärt und definitiv entschieden werden. Von zwingendem Gemeindeeigentum kann keine Rede sein.
Der Begriff “Gemeindegut” ist schillernd und bunt. Dies zeigt schon die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 definierte der VfGH unter Berufung auf systematische Zusammenhänge zwischen Gemeinderecht und Flurverfassungsrecht, dass ein “Gemeindegut” ein Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde sein müsse; im Mieders-Erkenntnis aus dem Jahr 2008 VfSlg 18.446/2008 wurde dieser Standpunkt bekräftigt.
Ungeachtet dessen wies der VfGH im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 10.12.2010 VfSlg 19.262/2010 darauf hin, dass der Begriff “Gemeindegut” im historischen Tiroler Flurverfassungsrecht ein Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnete – konkret das Gut einer Agrargemeinschaft, an der die politische Ortsgemeinde mit einem Anteilsrecht mitbeteiligt ist.
Damit ist offensichtlich, dass die Tiroler Agrarbehörde aus heutiger Sicht über Jahrzehnte den Begriff „Gemeindegut“ falsch angewandt hatte: Eigentum der Agrargemeinschaft wurde falsch als „Gemeindegut“ hingestellt. Falsch aus heutiger Sicht bzw aus der Sicht des VfGH-Erk des Jahres 1982 VfSlg 9336/1982.
Die seinerzeitigen Agrarbeamten in Tirol konnten nämlich offensichtlich nicht bedenken, dass der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1982 die Bedeutung des Begriffes „Gemeindegut“ auf den Kopf stellen würde. Unverschuldet haben diese Tiroler Agrarbeamten den Begriff „Gemeindegut“ dafür verwendet, um ein Eigentum der Agrargemeinschaft zu bezeichnen, wie der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ VfSlg 10.262/2010 festgestellt hat.
Was aus historischer Tiroler Sicht ein „agrargemeinschaftliches Gemeindegut“ war, ist rückblickend als „Schein-Gemeindegut“ zu verstehen, ein Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft, an der die politische Ortsgemeinde ein Anteilsrecht, aber gerade kein Alleineigentum, besitzt.
Auf diesen Umstand wäre Rücksicht zu nehmen, wenn heute ein historischer Agrarbehördenbescheid interpretiert wird! Diese Rücksichtnahme auf das historische Gesetzesverständnis wird vom Verwaltungsgerichtshof jedoch verweigert. Wenn die Agrarbehörde seinerzeit ein Gemeinschaftsgut unter Beteiligung der Ortsgemeinde (= historisches Begriffsverständnis vom „Gemeindegut“) feststellen wollte, wird dies heute als ein Alleineigentum der Ortsgemeinde (miss-)verstanden.
ZUR GESCHICHTE DES BEGRIFFES „GG“
Im Blick auf die Geschichte des Gemeindegutsbegriffes wird deutlich, dass die Entscheidung des VfGH im Jahr 1982, das „Gemeindegut“ als Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde zu dekretieren, weder vom Standpunkt des Gemeinderechts, noch vom Standpunkt des Flurverfassungsrechts vertretbar ist. Der VfGH hat – unzulässiger Weise – seinen Willen über denjenigen des Gesetzgebers gestellt. Ein Gemeindegut zwingend als ein Eigentum der politischen Ortsgemeinde hinzustellen, ist offenkundig gesetzesfremd.
Schon im „Codex Theresianus“, einem Gesetzesentwurf, der in den 1760er Jahren unter Kaiserin Maria Theresia für die Österreichischen Erbländer entstanden ist, findet sich eine rudimentäre Definition dessen, was sich die historischen Juristen unter „Gemeinde“ und deren Gut, heute „Gemeindegut“, vorgestellt haben. Danach sollten „wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen“. Zu dieser „Gemeinde“, die aus mindestens drei Personen bestehen müsse, führt dieser Gesetzesentwurf weiter folgendes aus: „Der Gebrauch der Sachen, welche in dem Eigentum einer Gemeinde sind, ist entweder der Gemeinde selbst mit Ausschließung einzelner Mitglieder vorbehalten, oder allen einzelnen Mitgliedern derselben gemein.“
Zu den Sachen, die allen Mitgliedern dieser „Gemeinde“ gemeinschaftlich sind [= Gemeindegut], führt der Gesetzesentwurf weiter aus: „Zur anderen Gattung gehören gemeine Weiden, Wälder, Brunn- und Röhrwasser, Mühlen, Brauhäuser, Steinbrüche, Leim- oder Sandgruben, Bäder, Schießstätten, Luftgänge und dergleichen Sachen, deren Nutzen, Gebrauch oder Bequemlichkeit einzelnen Mitgliedern der Gemeinde entweder nach der bei derselben rechtmäßig eingeführten Ordnung, oder nach unseren Verleihungen und Verordnungen zusteht.“
Als Regelung, wie diese gemeinschaftliche Nutzung des „Gemeindeguts“ erfolgen solle, war folgendes vorgesehen: „Doch hat sich bei dem Gebrauch derselben ein jeder also zu betragen, dass kein Anderer, dem solches gleichmäßig gebühret, hiervon ausgeschlossen, oder darinnen verhindert werde, sondern jeder menniglich sich in den geziemenden Schranken halte, und wo in dem Gebrauch eine Vorzüglichkeit gewisser Mitglieder vor anderen nach Ordnung der Gemeinde zustünde, dieselben hierinnen nicht beirre, noch sich in etwas eindringe oder dessen anmaße, wozu er nicht berechtigt ist.“
Ohne den Rechtsbegriff „Gemeindegut“ tatsächlich schon zu verwenden, beschreibt somit der Gesetzesentwurf für ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch aus dem Jahr 1766, der so genannte „Codex Theresianus„, die Wirtschaftsgemeinde und deren Eigentum, das entweder der Gemeinschaft als solcher gewidmet ist (= Gemeindevermögen) oder der Nutzung durch die Mitglieder (= Gemeindegut). Diese Begriffsverständnis hat sich im so genannten Ur-Entwurf für das Allgemeinde Bürgerliche Gesetzbuch fortgesetzt und wurde dieses Begriffsverständnis auch in das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 übernommen.
Seit dem Jahr 1883 gibt es in den „österreichischen Ländern“ eine eigene reichsgesetzliche Regelung für das landwirtschaftlich genutzte Gemeinschaftseigentum, weil die unklaren Rechtsverhältnisse an diesen Gütern nach einer Regelung verlangten. Es handelte sich um das Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, RGBl 1883/94, vom 7. Juni 1883 . Dieses Gesetz versteht unter einem „Gemeindegut“ eine Liegenschaft, deren Rechtsverhältnisse durch die Agrarbehörde im Wege einer Teilung oder einer Regulierung oder einer Mischung aus beiden Verfahrensarten, reformatorisch zu gestalten sind.
Carl Peyrer, damals Ministerialrat im Ackerbauministerium, und geistiger Vater des Österreichischen Bodenreformrechts, erläuterte dazu im Jahr 1877: „Der Genossenschaftsbesitz und der Gemeindebesitz wurden in durchaus unklarer Weise durcheinander geworfen, sodass heute in den österreichischen Ländern hunderte von Quadratmeilen mit völlig unklaren und ungeregelten Eigentumsverhältnissen vorkommen und der Verwüstung der Gemeindewaldungen kaum Einhalt getan werden kann.“ Carl Peyreran anderer Stelle: „Es darf heute nicht mehr als gleichgültig angesehen werden, dass es derzeit in den österreichischen Ländern Grundstücke gibt, deren Flächenmaß auf mehr als eine Million Hektar angeschlagen werden muss, in welchen entweder die Eigentumsrechte oder doch die Nutzungsrechte in einem solch unklaren, ungeordneten oder streitigen Zustande sich befinden, welcher mehr und mehr zu Störungen der Rechtsordnung führen muß“.
(Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 1877).
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AGRARRECHTLICHES GEMEINDEGUT
Im Februar des Jahres 1880 hatte die Reichsregierung die Regierungsvorlagen für die von verschiedenen Ländern vehement geforderten „drei agrarischen Reichgesetze“ im Herrenhaus des Österreichischen Reichsrates eingebracht.
Die Erläuternden Bemerkungen der Regierung (EB zur RV, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session) zum dritten dieser Gesetzesvorlagen, das war der „Gesetzentwurf betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse“, geben einen tiefen Einblick in das Verständnis des historischen Gesetzgebers.
Dieser historische Gesetzgeber hatte sich Anfang der 1860er Jahre ganz intensiv mit dem modernen Gemeinderecht auseinander gesetzt; dieser Gesetzgeber hatte das Reichsgemeindegesetz von 1862 geschaffen und mit einheitlichen Gesetzesanträgen für Landesgemeindegesetze an alle Landtage der damaligen Kronländer, in allen Kronländern eine grundsätzlich einheitliche Rechtsgrundlage für die heutigen Ortsgemeinden geschaffen.
Den Gemeinschaftsbesitz betreffend regelten diese Landesgemeindegesetze aus den Jahren 1863 bis 1866 einheitlich das folgende: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“ (§§ 11 bzw 12 der Landes-Gemeindegesetze aus den Jahren 1863 bis 1866)
Das bedeutet: Die Eigentums- und Besitzverhältnisse am Gemeinschaftsbesitz der Gemeindebewohner sollte nicht gerüttelt werden.
Zum Regierungs-Entwurf des Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetzes führen die Erläuternden Bemerkungen von Anfang der 1880er Jahres unter anderem folgendes aus: „Die Bestimmung des § 1 Z 2 des Entwurfes [zum „Gemeindegut“] haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben und bei welchen die manigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden .“ (EB zur RV, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33)
In weiterer Folge wird in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage folgendes erklärt: „In der alten Agrargemeinde stand bekanntlich die Teilnahme an der Nutzung des unverteilten Teiles der Gemeindemark (Allmende, gemeine Mark) den Markgenossen, das ist den Besitzern der markberechtigten Hofstätten, zu; dieser „Gemeindenutzen“ wurden anderen Ortsbewohnern, welche keine berechtigten Hofstätten besaßen, nur im Wege der Gestattung und häufig gegen eine bestimmte jährliche Gebühr eingeräumt. Die Markgenossen waren zugleich die Träger des Gesamtrechtes der Gemeinde, welches sich nicht nur in dem Eigentume und der berechtigten Benützung der gemeinen Mark, sondern auch in der Aufteilung und Handhabung der gemeinschaftlichen Wirtschaftsordnung (Flurzwang), und in der periodischen Weidegemeinschaft auf den unverteilten Feldern der Dorfmark äußerte. Andererseits hatten sie aber auch die Verpflichtung, für die Lasten der Gemeinde durch Beiträge aufzukommen, […] Zugleich übte die Markgenossenversammlung, teils selbst, teils durch ihre Beamten, die Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Polizei aus. Die alte Markgemeinde war also eine privatwirtschaftliche und zugleich öffentlich-rechtliche Gemeinschaft. Allmählich und namentlich durch den Einfluss des römischen Rechtes mit seiner scharfen Sonderung des Privatrechtes vom öffentlichen Rechte, ging die öffentlich-rechtliche Seite verloren, […]. Aus dem sich hieraus naturgemäß ergebenden Zwiespalte zwischen diesen, des ursprünglichen Charakters und ihrer früheren inneren Organisation entkleideten Überresten der alten Agrargemeinde einerseits und den anderen Elementen der modernen Gemeinde andererseits, sind die verschiedensten Resultate erwachsen, […].“
(EB zur RV, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33)
Der Reichsregierung war aufgrund von Erhebungen in allen Kronländern bewusst, dass ein Teilungs- und Regulierungsgesetz unterschiedlichen Verhältnissen in den verschiedenen Ländern gerecht zu werden hatte. Die Ausführungsgesetze der Länder sollten diesen Unterschieden gerecht werden und zugleich auch die Rückwirkung der neuen Bestimmungen auf jene Normen der Gemeindeordnung feststellen, „welche die Benützung und allfällige Aufteilung des in Rede stehenden Grundbesitzes betreffen“.
Schließlich stellt die Reichsregierung in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage von Anfang der 1880er Jahre klar, dass bei der „Auseinandersetzung der Verhältnisse im Betreff der in Rede stehenden gemeinschaftlichen Grundstücke“ es immer eine Hauptfrage bilden würde, ob denn die Grundstücke, tatsächlich agrargemeinschaftliche Grundstücke wären und bejahendenfalls, „wer daran eigentums- und nutzungsberechtigt sei“.
(EB zur RV, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 36)
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UNZULÄNGLICHES GEMEINDERECHT
Nach Beratung im Herrenhaus wurden die Gesetzesentwürfe an das Abgeordnetenhaus weitergereicht. Der dort eingesetzte „Commassionsausschuss“ legte am 31.10.1882 dem Abgeordnetenhaus seinen Bericht vor. Darin gehen die gewählten Abgeordneten zur Sache:
Die agrargemeinschaftlichen Grundstücke seinen solche, die – abgesehen von Dalmatien – sich „in allen österreichischen Ländern als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung `Gemeindegut´, bald unter der Bezeichnung `Gemeingut´ erhalten haben und bei welchen die manigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden.“
Die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse seinen „nicht bloß von Land zu Land, sondern von Fall zu Fall so verschieden und unklar und ihre Verwaltung so ungeregelt und wüst, dass es schon die höchste Zeit ist, diesen Mißständen ein Ziel zu setzen.“
An anderer Stelle: „Es wird von gut unterrichteter Seite behauptet, dass es noch mehr als eine Million Hektar sogenannter Gemeindehutweiden und Gemeindewaldungen gibt, bei denen die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse unklar und strittig sind und deren Verwaltung eine ungeregelte und wüste ist.“
In allen Gemeindeordnungen aus den Jahren 1883 bis 1866, so der Ausschussbericht weiter, finde sich wohl die Bestimmung, dass die privatrechtlichen Verhältnisse und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde ungeändert zu bleiben haben; allein mit diesem Satze werden die Streitfragen nicht gelöst, noch weniger wird das Verhältnis der Genossenschaft zur Gemeinde richtig gestellt. Die Bestimmungen der (Landes-)Gemeindeordnungen seien „nicht geeignet in die bekanntlich äußerst verworrenen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse, Klarheit und Ordnung zu bringen, […].“
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„GEMEINDEGUT AUSSCHEIDEN“?
Gerade zu der Frage, ob die agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften in Verwaltung der politischen Ortsgemeinden, das so genannte „Gemeindegut“, Gegenstand der Bodenreformmaßnahmen sein soll, darüber gab es eine heftige Debatte im Abgeordnetenhaus. Eine Minderheit von Abgeordneten verlangte die Änderung des Gesetzesentwurfes zum Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883. Ihrer Auffassung nach sollte das „Gemeindegut“ aus der Zuständigkeit der neuen Bodenreformbehörden ausgeschieden werden. Begründet wurde dies damit, dass es sich bei der Regelung des Gemeindeguts formal um „Gemeinderecht“ handle. Gemeinderecht sei jedoch nach der (neuen) Reichsverfassung Zuständigkeit der Landesgesetzgebung, weshalb der Reichsgesetzgeber sich einer reichsgesetzlichen Regelung zu enthalten habe. Auch wurde behauptet, dass das Gemeinderecht die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ bereits geregelt hätte.
Am 22. Februar 1883 fand im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates eine umfangreiche Debatte über das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz statt, deren Ablauf in den stenographischen Protokollen akribisch nachgewiesen ist. Die verschiedenen Debattenbeiträge lassen erkennen, dass alle jene Fragen, die seit dem Erkenntnis des VfGH vom 1. März 1982 Slg 9336/1982 wieder zu Streitfragen im Flurverfassungsrecht gemacht wurden, im Plenum diskutiert und gerade nicht im Sinn der verfassungsgerichtlichen Behauptungen aus dem Jahr 1982 entschieden wurde. Ein Antrag, wonach das Gut, welches bereits eine Regelung in den Gemeindeordnungen gefunden hätte, aus der Kompetenz der neuen „Commassionsbehörden“ auszuscheiden sei, wurde von der Abgeordnetenmehrheit ausdrücklich abgelehnt. Der Abgeordnete Dr. Ritter von Madeyski hatte zu § 1 der Gesetzesvorlage betreffend ein Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 folgenden Zusatzantrag gestellt: „Ausgenommen von obigen Bestimmungen sind jene, das Eigentum einer Gemeinde oder eines Teils derselben bildenden Grundstücke, bezüglich derer die Bestimmungen über die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte in den ausschließlichen Wirkungskreis der Landesgesetzgebung gehören.“ Dieser Zusatzantrag wurde im Abgeordnetenhaus am 22. Februar 1883 zur Abstimmung gebracht; der Zusatzantrag wurde abgelehnt. (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9235). .
DER ZUSATZANTRAG DES DR. RITTER VON MADEYSKI
Der Abgeordnete Dr. Ritter von Madeyski hatte zu § 1 der Gesetzesvorlage betreffend ein Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 folgenden Zusatzantrag gestellt:
„Ausgenommen von obigen Bestimmungen sind jene, das Eigentum einer Gemeinde oder eines Teils derselben bildenden Grundstücke, bezüglich derer die Bestimmungen über die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte in den ausschließlichen Wirkungskreis der Landesgesetzgebung gehören.“
Ziel dieses Zusatzantrages zu § 1 des Gesetzesentwurfes für ein Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz war es, die Kompetenzen der neuen „Commassions-Behörde“ (heute: Agrarbehörde) einzuschränken: Das in den öffentlichen Registern auf eine Gemeinde oder eine Gemeindefraktion einverleibte Eigentum sollte „außen vor bleiben“. Nach dem Inhalt des Zusatzantrages schwebte dem Abgeordneten Dr. Ritter von Madeyski (und den anderen Unterstützern dieses Zusatzantrages) vor, dass die Länder im Rahmen der Landesgesetzgebung (als zuständiger Gesetzgeber für das Gemeinderecht) eigene Teilungs- und Regulierungs- Landesgesetze speziell für das „Gemeindegut“ erlassen.
Dies hätte aber gleichzeitig bedeutet, dass eine endgültige und abschließende Entscheidung aller Streitigkeiten betreffend diese Liegenschaften durch eine Instanz weiterhin nicht gegeben gewesen wäre.
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ABLEHNUNG DES ZUSATZANTRAGES IM PLENUM
Nur die Abgeordneten aus Gallizien, zu deren Kreis auch der Abgeordnete Ritter von Madeyski gehörte, haben den Zusatzantrag in der mündlichen Debatte unterstützt; alle anderen Redner haben sich vehement für einen ungeschmälerten Zuständigkeitsbereich ausgesprochen. Besonders engagiert ist gegen diesen Zusatzantrag aufgetreten der Abgeordnete Dr. Josef Kopp.
Dr. Josef Kopp
Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221, Dr. Josef Kopp: „Es ist nicht möglich, dass die Gerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das […] kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig […]“;
aaO Seite 9234 ders,: „Aber eines kann das Land nicht, […] das Land kann niemals hindern, dass die Gerichte angerufen werden, und dass die Regulierungen, welche die autonomen Behörden und auch der Landesausschuss treffen, durchkreuzt und eludiert werden, durch ein richterliches Urteil, und das ist das Schlimmste, weil die Gerichte gar nicht in der Lage sind, diese Verhältnisse in ihrem eigentlichen Wesen zu begreifen, weil diese eigentümlichen Besitz- und Nutzungsverhältnisse ihren Ursprung haben in einem alten Volksrechte, in einem germanischen oder slavischen Volksrechte, welches durch das hineingeschneite römische Recht und die demselben nachgebildeten Gesetze mit Ignorierung der alten Volksanschauungen in Verwirrung gebracht worden sind.“
Dr. Josef Kopp, aaO, Seite 9222f, ders: „Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“
aaO, Seite 9223, ders: „Man will jenes Gut, welches der Gemeinde oder einer Fraktion der Gemeinde gehört, an welchem alle oder einzelne Mitglieder dieser Gemeinde oder Fraktion gewisse Nutzungsrechte haben, aus dem Gesetz ausscheiden? Wenn sie das tun wollen, scheiden sie lieber gleich das ganze Gesetz aus. Den da liegt ja eben die Quelle dieser unlösbaren Wirrnisse und Streitigkeiten, und welchen Nutzen soll es haben, wenn es heißt: Auf diese Gründe findet eine Anzahl von Paragraphen sinngemäß Anwendung? Es ist dieses immer ein vom juridischen Standpunkte bedenkliches Flickwerk, welches man nur in der Verzweiflung gebrauchen kann. Mit diesem `Sinngemäß´ werden sie den Streit nicht schlichten, sondern ihm neue Quellen eröffnen. Wollen sie also, dass das Gesetz Wirksamkeit habe, so müssen sie es gerade auf diese Grundstücke anwenden, welche als Gemeindegut bezeichnet werden, denn sonst ist es in der Tat zwecklos.“
.. Der Zusatzantrag des Abgeordneten Dr. Ritter von Madeyski, das „Gemeindegut“ aus der Kompetenz der Agrarbehörde auszuscheiden, wurde im Abgeordnetenhaus am 22. Februar 1883 zur Abstimmung gebracht; der Zusatzantrag wurde abgelehnt. (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9235).
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ZUM WILLEN DES GESETZGEBERS
Die Behauptung des Verfassungsgerichtshofes in diversen Erkenntnissen (VfSlg 19.446/2008, 9336/1982, 5666/1968), wonach die heutige politische Ortsgemeinde notwendig Eigentümerin eines „Gemeindegutes“ sei, ist eine Erfindung, die Willen des historischen Gesetzgebers des Flurverfassungsrechts ganz offensichtlich widerspricht.
Die Behauptung, dass das Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse an einem „Gemeindegut“ zwingend geregelt hätte und dass die Agrarbehörde im Rahmen einer agrarischen Operation nicht über die wahren Eigentumsverhältnisse daran entscheiden dürfe, war schlich gesetz- und systemwidrig!
Im Erkenntnis vom 1. März 1982 Slg 9336/1982 wurde die Regulierung von Gemeindegut als Agrargemeinschaft als verfassungswidrig hingestellt, weil ein „Gemeindegut“ angeblich immer ein Eigentum der Ortsgemeinde sei. Mit diesem falschen Richterspruch hat der Verfassungsgerichtshof tief in das Flurverfassungsrecht eingegriffen und ein historisch gefestigtes Gesetzessystem durcheinander gewirbelt.
„Gemeindegut“ ist im wahrsten Sinn des Wortes ein „unbestimmter Gesetzesbegriff“. Dies in mehrfacher Hinsicht: Aus der Sicht des Bodenreformrechts bringt der Begriff zum Ausdruck, dass es sich um Liegenschaften handelt, die in Verwaltung der Ortsgemeinde stehen, deren Rechtsverhältnisse jedoch reformatorisch zu gestalten wären (Teilung, Regulierung, eine Kombination daraus). Der historische Gesetzgeber war von unklaren Verhältnissen ausgegangen, die von Fall zu Fall und von Kronland zu Kronland differieren. Die jeweiligen Rechtsgenossen haben typischer Weise stark differierende Rechtsauffassungen darüber, je nach dem, ob diese im betreffenden Dorf der Klasse der Grundbesitzer und Erben zugehören oder den „Besitzlosen“.
UNKLARE GESETZESFORMULIERUNG
Das Flurverfassungsrecht gründet auf dem dritten der so genannten drei agrarischen Reichs-Grundgesetze vom Jahr 1883, dem Gesetz vom 7. Juni 1883 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte, kurz: Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz – TRRG 1883, RGBl 1883/94. Dieses Reichs-Grundsatzgesetz verwendet den Begriff „Gemeindegut“ nicht. Vielmehr wurde die Zuständigkeit der neuen Agrarbehörden (damals „Commassionsbehörden“) und damit die agrargemeinschaftlichen Grundstücke, die den agrarischen Operationen Teilung oder Regulierung unterworfen wurden, folgendermaßen umschrieben: TRRG 1883, § 1 Abs 1. „Die nach dem Gesetz vom 7. Juni 1883 RGBl Nr 82 in Zusammenlegungsangelegenheiten zuständigen Behörden sind zugleich im Verfahren bei Teilung von Grundstücken, sowie im Verfahren bei Regulierung gemeinschaftlicher Benützungs- und Verwaltungsrechte an ungeteilt verbleibenden Grundstücken zuständig, bezüglich deren entweder
a) … oder
b) welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Gemeinde, einer oder mehrerer Gemeindeabteilungen, Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften (Klassen der Bauern, Bestifteten, Singularisten udgl) kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitze verbundenen Mitgliedschaft, oder von den Mitberechtigten an den in einzelnen Ländern bestehenden Wechsel- oder Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise benützt werden.“
Aus zahlreichen Hinweisen in den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der historische Gesetzgeber im so genannten „Gemeindegut“ eine der verschiedenen Erscheinungsform von agrargemeinschaftlichen Liegenschaften gesehen hat, die von der komplizierten und heute kaum mehr verständlichen Formel des § 1 Abs 1 lit b TRRG 1883 erfasst werden sollten.
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DIE LANDES-AUSFÜHRUNGSGESETZE
Erst die Ausführungsgesetze für die einzelnen Kronländer enthielten den Begriff „Gemeindegut“ als Bezeichnung einer von mehreren Ausbildungen der Liegenschaften im Sinn des § 1 Abs 1 lit b TRRG 1883, für deren Teilung oder Regulierung ausschließlich die Agrarbehörde zuständig sein sollte. Keines der Landesausführungsgesetze, die im Zeitraum 1884 bis 1921 entstanden sind, erklärt allerdings den Begriff „Gemeindegut“.
Es handelt sich dabei um folgende Gesetze, die alle das „Gemeindegut“ der Zuständigkeit der Agrarbehörde unterwerfen: Gesetz für die Markgrafschaft Mähren vom 13.2.1884, LGBl 31/1884 (Mähr-TRLG); Gesetz für das Herzogtum Kärnten vom 5.6.1885, LGBl 23/1885 (K-TRLG); Gesetz für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns vom 3.6.1886, LGBl 39/1886 (NÖ-TRLG 1886); Gesetz für das Herzogtum Krain vom 26.10.1887, LGBl 2/1888 (Krain-TRLG), Gesetz für das Herzogtum Schlesien vom 28.12.1887, LGBl 13/1888 (Schles-TRLG); Gesetz für das Herzogtum Salzburg vom 11.10.1892, LGBl 32/1892 (Slbg-TRLG); Gesetz für das Herzogtum Steiermark vom 26. Mai 1909 LGBl 44/1909 (St-TRLG 1909); Gesetz für die gefürstete Grafschaft vom 19. Juni 1909 LGBl 61/1909 (T-TRLG 1909); Gesetz für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns vom 28. Juni 1909 LGBl 36/1909 (OÖ-TRLG 1909) und das Gesetz für das Land Vorarlberg vom 11. Juli 1921 LGBl 1921/115 (V-TRLG 1921). .
WAS IST EIN GEMEINDEGUT?
Die verlässlichste Quelle für ein Begriffsverständnis des Gesetzgebers sind deshalb die Gesetzesmaterialien zum TRRG 1883; aus den Gesetzesmaterialien sind folgende Zitate hervorzuheben:
EB zur Regierungsvorlage, 43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33: „Die Bestimmungen des § 1 Z 2 (Anm: in der Endfassung lit b) des Entwurfes haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben“.
Bericht des Commassationsausschusses, 582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12:
„Die in § 1 sub b bezeichneten Grundstücke aber sind solche, welche – abgesehen von Dalmatien, wo selbst durch die historischen Ereignisse und namentlich durch den Einfluss der türkischen und venezianischen Herrschaft sich ganz besondere Verhältnisse herausgebildet haben – in allen österreichischen Ländern sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung „Gemeindegut“, bald unter der Bezeichnung „Gemeingut“ erhalten haben und bei welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden.“
Dr. Josef Kopp
Abgeordneter Dr. Josef Kopp, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9223 f:
„Darum ist ein Reichsgesetz notwendig und darum muss sich dieses auf diese Gemeindegrundstücke erstrecken, bezüglich deren mir einige Unklarheit … zu herrschen scheint; denn der erste Herr Redner in der Generaldebatte – das habe ich deutlich gehört – hat von Gemeindegut gesprochen und in dem Antrage heißt es, wenn ich nicht irre, Gemeindevermögen oder Gemeindeeigentum. Über diese Worte, die man sehr auf die Waagschale legen muss, wenn man ein Gesetz macht, herrscht entschieden keine Klarheit. Wenn sie den Antrag annehmen und diese streitigen Gemeindegrundstücke ausschließen, bleibt dann noch etwas übrig für das Gesetz? Es ist zum mindestem zweifelhaft. Wenn nichts übrig bleibt, ersparen wir uns, das Gesetz zu beschließen, bleibt aber noch etwas übrig, dann haben sie den Streit in Permanenz, ob das Gesetz darauf Anwendung hat oder nicht; im besten Fall bekommen sie verschiedene Grundsätze und verschiedene Behörden zur Entscheidung wesentlich gleichartiger Rechtszustände und es wird die Verwirrung vergrößert, statt dass sie gelöst wird. Das eigentlich Nützliche ist eben, dass alle Fragen, die hier einschlagen, juridische und wirtschaftliche, einheitlich gelöst werden durch Behörden, in welchen sowohl die eine wie die andere Richtung vertreten ist, das kann nicht getrennt geschehen und darum nützt auch jener allerdings nicht formulierte Vorschlag nichts, der die Commassionsbehörde entscheiden lässt über die Frage des Eigentums, über die Frage der Regulierung und Teilung aber die autonome Behörde. Wenn sie das auseinanderreißen, scheiden sie etwas, was sich dialektisch, theoretisch scheiden lässt, aber praktisch durchaus nicht, außer zum entschiedenen Nachteile der Sache.“
Dr. Georg Granitsch
Abgeordneter Dr. Georg Granitsch, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9230f:
„Wie sind die faktischen Verhältnisse? Dieses so genannte Gemeindeigentum, das hier in Frage steht, muss als ein geteiltes Eigentum betrachtet werden; es sind noch Reste des geteilten Eigentums, über welche heute Normen beschlossen werden sollen. Die Gemeinde ist als solche im Grundbuche, bzw. Kataster als Eigentümerin eingetragen, sie zahlt in der Regel Steuer während gewisse Klassen der Gemeinde das Recht auf die Früchte haben, sodass die Nutzungsrechte der Gemeinde gar nicht zustehen. Nun hat sich eine Zeit lang hindurch bei Auffassung dieses Eigentums die Meinung geltend gemacht, dass dieses Eigentum nur insofern, als es den Grund und Boden betrifft, Eigentum der Gemeinde ist, vermöge der Vergewährung im Grundbuche, vielleicht nach den Normen des bürgerlichen Gesetzbuches, dass es aber nicht Eigentum der Gemeinde ist, was die jährlichen Früchte betrifft. Dieses Nutzungseigentum ist den so genannten Bestifteten, oder wie es in anderen Kronländern heißt, Singularristen, bisher zugekommen. Die Ganzlehner, Halblehner, Hauer oder wie die verschiednen Gattungen von Nutzungsberechtigten heißen, haben bisher mit Ausschluss der so genannten Häusler die Nutzungsrechte ausgeübt. Diese Häusler sind in der Regel partes adnexae der ursprünglichen Gemeinde. Als nun durch die Gemeindeverfassung die gesamte politische Gemeinde gebildet und alle Teile der früher bestandenen Gemeinde in eins zusammengefasst worden sind, machte sich eine andere Meinung dahin geltend, dass nun bezüglich des Nutzungseigentums, das nur gewissen Klassen der Gemeinde zugekommen ist, nunmehr die Veränderung vor sich gegangen sei, dass es der ganzen Gemeinde zukomme. Ich kann nicht behaupten, dass auch in Galizien auch diese Rechtsanschauung Platz gegriffen hat, obwohl die vielfachen Streitigkeiten, welche in Galizien in Bezug auf das Gemeindeeigentum herrschen, dieser Ansicht Vorschub leisten. Gewiss ist aber, dass in anderen Kronländern diese Rechtsauffassung Platz gegriffen hat und aus derselben im wesentlichen diese Streitigkeiten entstanden sind. (Seite 9230) Denn was ist geschehen? Die so genannten Kleinhäusler, welche von den Nutzungsrechten ganz ausgeschlossen worden sind, oder nur Nachnutzungsrechte oder Nutzungsrechte gegen bestimmte Leistungen hatten, während die eigentlich Berechtigten ein volles Nutzungsrecht oder Vornutzungsrecht hatten, erhoben den Anspruch, dass dieses geteilte Eigentum ausschließlich der Gemeinde zugewiesen werde. Wie soll nun anhand des bestehenden Gesetzes diese Streitfrage gelöst werden? Ganz richtig! Der Paragraf, wie ihn der Sprecher in jener (rechten) Seite des Hauses zitiert hat, ist auch in der Niederösterreichischen Gemeindeordnung enthalten. Aber der Niederösterreichische Landesausschuss war bisher nicht in der Lage anhand dieser Gesetzesbestimmung, die Streitigkeiten zu schlichten. Das ist auch begreiflich. Das Gesetz setzt hier bisher unangefochtene Übung voraus und setzt weiter voraus, dass diese nicht größer sein darf als der Hausbedarf, 2 Momente, welche an und für sich so streitig, so zweifelhaft sind, dass sie absolut keine Richtschnur für die Lösung der speziellen Streitfrage bilden können. Es soll eine Streitfrage gelöst werden damit, dass eine andere Streitfrage als Richtschnur zur Lösung der ersteren hereingezogen wird! Ich glaube auf diese Art ist es wohl begreiflich, dass die Streitigkeiten in den Gemeinden nicht zur Lösung gebracht werden können.“
Dr. Johannes Zak
Abgeordneter Dr. Johannes Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9225 (1883):
„Ich muss … konstatieren, dass die Streitigkeiten zwischen den Klassen in den Gemeinden, oder, wenn sie wollen, zwischen der Gemeinde als solcher einerseits und zwischen den gewissen Singularristen auf der anderen Seite, auf der Tagesordnung sind. Wer einmal Gelegenheit hatte, die Agenda des Landesausschusses im Kronlande Böhmen – und ich glaube es wird in anderen Kronländern auch nicht anders sein – einzusehen, wird finden, dass das größte Perzent derselben Streitigkeiten um die so genannten Gemeindegründe sind. […] Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden und schließlich: Um was handelt es sich denn in den meisten gerichtlich anhängig gemachten Prozessen? Derjenige Teil, der mit der Klage auftritt, behauptet gewöhnlich, er habe das Eigentum der so genannten Gemeindegründe ersessen. Zu diesem Behufe findet er fast immer die Gedenkmänner, durch welche bewiesen wird, dass die Altangesessenen das so genannte Gemeindegut von alters her wirklich besessen, genutzt, verwaltet und daraus die Nutzungen gezogen haben und die Gerichte müssen selbstverständlich der Klage stattgeben.“
Aus diesen Rechtsquellen ergibt sich nur zweierlei mit Verlässlichkeit: Der Gesetzgeber ist von mannigfaltigen Rechtsverhältnissen ausgegangen; und der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ strittig seien.
Genau darauf zielt auch eine bestimmte Kompetenz der neuen Behörden: Diese sollten die Rechtsverhältnisse klarstellen, noch besser „reformatorisch gestalten“. Vor allem sollten diese Behörden im Streitfall endgültig über die Eigentumsverhältnisse entscheiden!
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„GEMEINDEGUT“ = REFORMBEDÜRFTIGKEIT
Gerade die Frage, wie und weshalb die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“ einer rechtskräftigen Entscheidung durch die neuen Behörden unterworfen werden müssen, wurde am 22. Februar des Jahres 1883 im Wiener Reichsrat ausführlich diskutiert.
Anton Freiherr von Rinaldini
Beispielsweise äußerte sich der Regierungsvertreter Anton Freiherr von Rinaldini, damals Ministerialrat, später Sektionschef im Ackerbauministerium, im Zuge der Debatte folgendermaßen: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst dem so genannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut, einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, die vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuell, wo eine solche nicht besteht, Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß inhaltlich schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden“.
Dr. Johann Žák
Der Abgeordnete Dr. Johann Žák schloss sich diesen Ausführungen an: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.“
Dr. Josef Kopp
Der Abgeordnete Dr. Josef Kopp hat die Problematik auf den Punkt gebracht; dies mit folgender Wortmeldung: „Denn selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschuss bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz [= Zuständigkeit] der Gerichte in keiner Weise ausgeschlossen ist. So kommt es, dass derjenige, der mit dem Zustande unzufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach den hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen – kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“
Ressumee
Die Gesetzesmaterialien, nämlich: Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage, Ausschussbericht und Debatte der Abgeordneten, zeigen vor allem das Folgende:
a) Alles, was „Gemeinschaftsgut oder Gemeindegut“ genannt wurde, sollte der Kompetenz der neuen Behörden unterliegen;
b) die neuen Behörden sollten insbesondere entscheiden, wem davon was gehört!
Seit das Flurverfassungsrecht im Jahr 1909 in Tirol Einzug hielt (TRLG 1909 vom 19. Juni 1909 LGBl 61/1909), haben die Tiroler Agrarjuristen den Begriff „Gemeindegut“ im Sinn dieses traditionellen Verständnisses des Reichsgesetzgebers angewandt. Der historische Rechtsgesetzgeber hat im Jahr 1862 die Grundlagen des heutigen Gemeinderechts geschaffen; derselbe Gesetzgeber hat 1883 das Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz 1883, die „Mutter des Österreichischen Agrarrechts“, geschaffen.
Auf den Grundsatzentscheidungen des Reichsgesetzgebers hat der Tiroler Landesgesetzgeber und haben die Tiroler Agrarbehörden aufgebaut. Ein „Gemeindegut“ war danach ein Liegenschaftsvermögen, dessen Eigentumsverhältnisse anhand der Rechtsverhältnisse im jeweiligen Land von der Agrarbehörde rechtskräftig zu entscheiden waren.
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WARUM EIN TEILUNGS- REGULIERUNGSRECHT?
Die Aktivitäten des Reichsgesetzgebers zur Schaffung des Teilungs- und Regulierungs- Reichsgesetzes 1883 wurden ganz wesentlich motiviert durch Vorarbeiten, die in Niederösterreich geleistet wurden. Im Auftrag des Niederösterreichischen Landtages hatte der Landesausschuss in den Niederösterreichischen Gemeinden mehrjährige Erhebungen gepflogen. Daraus ist ein von Dr. Josef Kopp, Mitglied des NÖ Landesausschuss und Abgeordneter zum Reichstag, verfasster Bericht entstanden, der dem NÖ Landtag im Jahr 1878 vorgelegt wurde (Bericht des NÖ Landesausschusses betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigenthums (Nr XXVII der Beilagen der Sten Prot des Niederösterreichischen Landtages V. Wahlperiode 1878; Referent Dr. Josef Kopp).
Dieser Bericht ist deshalb von so großer allgemeiner Bedeutung, weil das begründete Drängen der Niederösterreicher den Reichsgesetzgeber zum Handeln veranlasste und weil die Expertise von Dr. Josef Kopp, der insbesondere auch dem Commassionsausschuss des Abgeordnetenhauses angehörte, umfangreich in das Gesetz eingeflossen ist. Der Bericht macht deutlich, warum die Agrarbehörde und gerade nicht das ordentliche Zivilgericht über die „reformatorische Neugestaltung“ des Gemeindeguts entscheiden sollte und warum die neuen Ortsgemeinden einen Anteil an diesen Liegenschaften bekommen sollten, obwohl diese Liegenschaften ein Gemeinschaftsgut der jeweiligen Nachbarn waren.
Die Bescheide der Agrarbehörde erscheinen im Licht des Tiroler Agrarstreits als „Papiere ohne Wert“. Jahrzehnte alte Erkenntnisse, mit denen rechtskräftig über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gut entschieden wurde, werden auf den Kopf gestellt. Der Einwand einer rechtskräftigen Entscheidung scheint keine Geltung zu haben. Dem ist jedoch in Wahrheit nicht so. Ausdrücklich bestimmen die einschlägigen Gesetze, dass Bescheide und protokollierte Vergleiche der Agrarbehörde exakt dieselbe Wirkung entfalten wie gerichtliche Urteile und vom Gericht protokollierte Vergleiche: Sie unterliegen der Rechtskraftwirkung und sie sind vollstreckbar. (§ 14 Agrarbehördengesetz)
MYSTERIUM AGRARBEHÖRDENBESCHEID?
Bereits im Jahr 1883 als die Agrargesetzgebung mit den so genannten „drei agrarischen Reichs-Grundsatzgesetze“ ihren Ausgang nahm, hat der Gesetzgeber die „Commassionsbehörden“ (= heute „Agrarbehörden“) als Alternative zu den Zivilgerichten geschaffen. Diese Behörden sollten eine ausschließliche Zuständigkeit besitzen für besondere Verfahren, die zur reformatorischen Umgestaltung historisch gewachsener Strukturen an land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften geschaffen wurden. Alle Erkenntnisse und Bescheide, die in diesen Verfahren gefällt wurden, haben die Wirkung von gerichtlichen Urteilen. Die neuen Verfahren zur reformatorischen Gestaltung und Entscheidung der Rechtsverhältnisse an den historisch gewachsenen, oft unwirtschaftlichen agrarischen Eigentumsstrukturen waren: Das „Commassionsverfahren“ (= heute „Zusammenlegungsverfahren“), das zum Ziel hatte, die durch historische Teilungen entstandene Zersplitterung im landwirtschaftlichen Eigentum zu beseitigen; das Verfahren zur Beseitigung der Enklaven im Waldland, welches bereinigte Forststrukturen schaffen sollte, und die Teilungs- und Regulierungsverfahren, welche schlecht bewirtschaftete Gemeinschaftsgüter in intensiv genutztes Einzeleigentum aufteilen (Teilungsverfahren) oder geordnete Verwaltungs- und Nutzungsstrukturen schaffen sollten (Regulierungsverfahren). Diese Verfahren werden gemeinschaftlich als „agrarische Operationen“ bezeichnet.
Alle Erkenntnisse der Commassionsbehörden und alle vor dieser Behörde geschlossenen Vergleiche wurden mit denselben Rechtswirkungen ausgestattet wie Zivilurteile (§ 12 TRRG 1883 ua).
Der Reichgesetzgeber hatte zu diesem Zeitpunkt bereits positive Erfahrungen mit den „Landescommissionen“, die zum Vollzug des Servituten- Regulierungs- und Ablösungspatentes aus dem Jahr 1853 eingerichtet wurden.
Auch deren Erkenntnisse und die vor diesen Kommissionen geschlossenen Vergleiche hatten ausdrücklich die Rechtswirkung zivilgerichtlicher Urteile. Auf Antrag einer Partei waren diese vom allgemeinen Zivilgericht zu vollstrecken (§ 38 Servituten-Regulierungs-Patent 1853).
Eine Beseitigung der Rechtskraftwirkung solcher Erkenntnisse, Bescheide und Vergleiche mit der Behauptung, die Behörde hätte falsch (wegen Eigentumsverletzung „verfassungswidrig“) entschieden, ist gesetzlich genau so wenig vorgesehen wie im Gerichtsverfahren generell. Gerade im Gerichtsverfahren gibt es bekanntlich gar oft einen Verlierer, der glaubt, das Gericht hätte durch ein „Falschurteil“ in sein Eigentum eingegriffen! Bis heute haben solche Behauptungen niemanden interessiert.
1883: DAS NEUE FLURVERFASSUNGSRECHT
Dem historischen Gesetzgeber war insbesondere daran gelegen, dass die Zivilgerichte jede Entscheidungskompetenz für die Gemeinschaftsliegenschaften verlieren. In verschiedenen Kronländern hatte man nämlich leidvolle Erfahrungen gemacht mit den Rechtsstreitigkeiten, die in den neuen Ortsgemeinden um die Gemeinschaftsliegenschaften, genannt „Gemeindegut“. Anstelle des unfruchtbaren Gerichtsstreits sollte eine reformatorische Neugestaltung im allseitigen Einvernehmen treten.
Josef Kühne, langjähriger Leiter der Vorarlberger Agrarbehörde, hat die Aufgabe der Agrarbehörde trefflich mit einem englischen Rechtssprichwort charakterisiert: „don’t litigate, don’t arbitrate, find a settlement“.
Schon der historische Reichsgesetzgeber, im Ministerium und in den Reihen der Abgeordneten, hatte eine solche Vorgehensweise der neuen Behörden vor Augen. Wie sehr die historischen Rechtsstreitigkeiten in gewissen Kronländern die gesetzlichen Regelungen beeinflusst haben, zeigen die Äußerungen der Reichsratsabgeordneten im Zuge der Debatte am 22. Februar 1883 im Österreichischen Reichsrat.
DER STREIT UM „GEMEINDEGUT“
Zweifelsohne waren die Rechtsverhältnisse an den Gemeinschaftsgütern in Gemeindeverwaltung, dh am „Gemeindegut“, im Einzelfall durchaus umstritten.
Vom Reichsratsabgeordneten Dr. Johann Žák, der als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Reichsrat, Abgeordneter im Böhmischen Landtag und Mitglied im Böhmischen Landesausschuss, mit der Materie besonders vertraut war, überliefern die stenographischen Protokolle der Sitzung am 22. Februar 1883 folgende Äußerungen: „… ich muss konstatieren, dass die Streitigkeiten zwischen den Klassen in den Gemeinden, oder, wenn Sie wollen, zwischen der Gemeinde als solcher einerseits und zwischen den gewissen Singularisten auf der anderen Seite, auf der Tagesordnung sind. […] Ich selbst habe einen Fall beim böhmischen Landesausschuss anhängig, der sich schon fünf bis sechs Jahre hinzieht und der böhmische Landesausschuss ist nicht in der Lage – ich kann ihm dies nicht verdenken – die Sache zu entscheiden, denn dieselbe ist so verworren und so schwierig, dass der Landesausschuss immer und immer wieder Erhebungen und Einvernehmungen von Gedenkmännern verfügt […] Und wenn der Landesausschuss endlich einmal die Entscheidung gefällt haben wird, dann geht derjenige Teil, der mit der Entscheidung nicht zufrieden ist an den Verwaltungsgerichtshof und wenn er auch hier sachfällig wird, dann betritt er den gerichtlichen Rechtsweg. Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden und schließlich: Um was handelt es sich denn in den meisten gerichtlich anhängig gemachten Prozessen? Derjenige Teil, der mit der Klage auftritt, behauptet gewöhnlich, er habe das Eigentum der so genannten Gemeindegründe ersessen. Zu diesem Behufe findet er fast immer die Gedenkmänner, durch welche bewiesen wird, dass die Altangesessenen das so genannte Gemeindegut von Alters her wirklich besessen, genutzt, verwaltet und daraus die Nutzungen gezogen haben und die Gerichte müssen selbstverständlich der Klage stattgeben. Das Gemeindegut wird sofort dem Einzelnen als ihr Privateigentum zuerkannt, die Gemeinde zahlt die Gerichtskosten und verliert ihr Vermögen. […] Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde […] derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe […] besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. […] Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden“.
(Stenographisches Protokoll. Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, IX. Session 268. Sitzung am 22. Februar 1883, Seite 9225)
Der Abgeordnete Dr. Josef Kopp, gleichzeitig Abgeordneter im Niederösterreichischen Landtag und Mitglied des Niederösterreichischen Landesausschuss, äußerte sich zur selben Sache wie folgt:
„Es ist nicht möglich, dass die Gerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das […] kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig […]“. „Aber eines kann das Land nicht, […] das Land kann niemals hindern, dass die Gerichte angerufen werden und dass die Regulierungen, welche die autonomen Behörden und auch der Landesausschuss treffen, durchkreuzt und eludiert werden, durch ein richterliches Urteil, und das ist das Schlimmste, weil die Gerichte gar nicht in der Lage sind, diese Verhältnisse in ihrem eigentlichen Wesen zu begreifen, weil diese eigentümlichen Besitz- und Nutzungsverhältnisse ihren Ursprung haben in einem alten Volksrechte, in einem germanischen oder slavischen Volksrechte, welches durch das hineingeschneite römische Recht und die demselben nachgebildeten Gesetze mit Ignorierung der alten Volksanschauungen in Verwirrung gebracht worden sind.“ (aaO Seite 9234) „Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“
(Stenographisches Protokoll. Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, IX. Session 268. Sitzung am 22. Februar 1883, Seite 9222f)
EIGENTUMSFRAGE BEIM GEMEINDEGUT
Der historische Gesetzgeber hat somit ganz bewusst die Agrarbehörden (damals „Commassionsbehörden“) zuständig gemacht und diese Behörden sollten anstelle der Gerichte und mit der Wirkung und Autorität der Gerichte, entscheiden! Dies insbesondere und gerade auch über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gut, das in den Organen der neuen politischen Ortsgemeinden als „(Schein-)Gemeindegut“ verwaltet wurde. Dies lässt sich anhand diverser Belegstellen leicht nachweisen.
Beispielsweise kann auf die Rede des Regierungsvertreters, Anton Freiherr von Rinaldini, am 22. Februar 1883, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221, verwiesen werden:
„Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz […] auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen […] diese vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung […] nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage“.
Dr. Johann Žák, der Ausschussvorsitzende, stimmte vollumfänglich zu: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.“ (Sten. Prot. ebendort, 9226).
WAS DER GESETZGEBER DACHTE
Dem historischen Gesetzgeber war insbesondere daran gelegen, dass die Zivilgerichte jede Entscheidungskompetenz für die Gemeinschaftsliegenschaften verlieren.
In verschiedenen Kronländern hatte man nämlich leidvolle Erfahrungen gemacht mit den Rechtsstreitigkeiten, die in den neuen Ortsgemeinden um die Gemeinschaftsliegenschaften, genannt „Gemeindegut“. Anstelle des unfruchtbaren Streits über das Eigentum sollte eine reformatorische Neugestaltung im allseitigen Einvernehmen treten.
Josef Kühne, langjähriger Leiter der Vorarlberger Agrarbehörde, hat die Aufgabe der Agrarbehörde trefflich mit einem englischen Rechtssprichwort charakterisiert: „don’t litigate, don’t arbitrate, find a settlement“. Schon der historische Reichsgesetzgeber, im Ministerium und in den Reihen der Abgeordneten, hatte eine solche Vorgehensweise der neuen Behörden vor Augen. Wie sehr die historischen Rechtsstreitigkeiten in gewissen Kronländern die gesetzlichen Regelungen beeinflusst haben, zeigen die Äußerungen der Reichsratsabgeordneten im Zuge der Debatte am 22. Februar 1883.
Von Dr. Johann Žák, der als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Reichsrat, Abgeordneter im Böhmischen Landtag und Mitglied im Böhmischen Landesausschuss, mit der Materie besonders vertraut war, überliefern die stenographischen Protokolle der Sitzung am 22. Februar 1883 folgende Äußerungen:
„… ich muss konstatieren, dass die Streitigkeiten zwischen den Klassen in den Gemeinden, oder, wenn Sie wollen, zwischen der Gemeinde als solcher einerseits und zwischen den gewissen Singularisten auf der anderen Seite, auf der Tagesordnung sind. […] Ich selbst habe einen Fall beim böhmischen Landesausschuss anhängig, der sich schon fünf bis sechs Jahre hinzieht und der böhmische Landesausschuss ist nicht in der Lage – ich kann ihm dies nicht verdenken – die Sache zu entscheiden, denn dieselbe ist so verworren und so schwierig, dass der Landesausschuss immer und immer wieder Erhebungen und Einvernehmungen von Gedenkmännern verfügt […] Und wenn der Landesausschuss endlich einmal die Entscheidung gefällt haben wird, dann geht derjenige Teil, der mit der Entscheidung nicht zufrieden ist an den Verwaltungsgerichtshof und wenn er auch hier sachfällig wird, dann betritt er den gerichtlichen Rechtsweg. Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden und schließlich: Um was handelt es sich denn in den meisten gerichtlich anhängig gemachten Prozessen? Derjenige Teil, der mit der Klage auftritt, behauptet gewöhnlich, er habe das Eigentum der so genannten Gemeindegründe ersessen. Zu diesem Behufe findet er fast immer die Gedenkmänner, durch welche bewiesen wird, dass die Altangesessenen das so genannte Gemeindegut von Alters her wirklich besessen, genutzt, verwaltet und daraus die Nutzungen gezogen haben und die Gerichte müssen selbstverständlich der Klage stattgeben. Das Gemeindegut wird sofort dem Einzelnen als ihr Privateigentum zuerkannt, die Gemeinde zahlt die Gerichtskosten und verliert ihr Vermögen. […] Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde […] derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe […] besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. […] Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden“. (Stenographisches Protokoll. Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, IX. Session 268. Sitzung am 22. Februar 1883, Seite 9225)
Der AbgeordneteDr. Josef Kopp, gleichzeitig Abgeordneter im Niederösterreichischen Landtag und Mitglied des Niederösterreichischen Landesausschuss, äußerte sich zur selben Sache wie folgt:
„Es ist nicht möglich, dass die Gerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das […] kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig […]“.
„Aber eines kann das Land nicht, […] das Land kann niemals hindern, dass die Gerichte angerufen werden, und dass die Regulierungen, welche die autonomen Behörden und auch der Landesausschuss treffen, durchkreuzt und eludiert werden, durch ein richterliches Urteil, und das ist das Schlimmste, weil die Gerichte gar nicht in der Lage sind, diese Verhältnisse in ihrem eigentlichen Wesen zu begreifen, weil diese eigentümlichen Besitz- und Nutzungsverhältnisse ihren Ursprung haben in einem alten Volksrechte, in einem germanischen oder slavischen Volksrechte, welches durch das hineingeschneite römische Recht und die demselben nachgebildeten Gesetze mit Ignorierung der alten Volksanschauungen in Verwirrung gebracht worden sind.“ (aaO Seite 9234)
„Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“ (aaO, Seite 9222f)
Der historische Gesetzgeber hat somit ganz bewusst die Agrarbehörden (damals „Commassionsbehörden“) zuständig gemacht und diese Behörden sollten anstelle der Gerichte und mit der Wirkung und Autorität der Gerichte über „Gemeindegut“ entscheiden!
AGRARBEHÖRDE UND EIGENTUMSFRAGE
Im Blick auf den Tiroler Agrarstreit steht eine besondere Frage der Agrarbehördenkompetenz im Mittelpunkt: Sind die Agrarbehörden zuständig für die Entscheidung darüber, wer Eigentümer einer agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft ist?
Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 vom März 1982 unterstellt, dass die Agrarbehörden Eigentum „übertragen“ würden. Das Flurverfassungsrecht würde deshalb eine Änderung der Eigentumsverhältnisse bewirken. Das Gemeindegut sei nämlich – so der VfGH – kraft Gemeindeordnung als Eigentum der Ortsgemeinde definiert. Andere Ergebnisse von Agrarbehördenverfahren seien ein verfassungswidriger Eigentumseingriff.
Obgleich diese Thesen offenkundig falsch sind, baut der VfGH ungeniert auf dieses Erkenntnis auf.
Das stenographische Protokoll zur Debatte der Abgeordneten vom 22. Februar 1883, als die Grundlagen des heutigen Agrarrechts geschaffen wurden, macht verständlich, dass erst die Agrarbehörden darüber entscheiden, wer der wahre Eigentümer eines „Gemeindeguts“ ist und wer gerade nicht. Die Agrarbehörden entscheiden wie ein Gericht und anstelle eines Gerichts. Es versteht sich von selbst, dass die Entscheidung eines Gerichts, in welcher die Eigentumsfrage geklärt und rechtskräftig entschieden wird, gerade nicht in das Eigentumsrecht einer Partei eingreifen kann. Diejenige Partei, die den Eigentumsstreit verliert, war nie Eigentümer! Und in diesem Sinn und mit dieser Wirkung ist die Agrarbehörde tätig geworden.
Die Protokolle über die Diskussion der Abgeordneten beseitigen jeden Zweifel: Regierungsvertreter Anton Freiherr von Rinaldini, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz […] auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen […] diese vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung […] nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage“.
Dr. Johann Žák, Ausschussvorsitzender, ebendort, Seite 9226: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.“
Abgeordneter Dr. Ritter von Madeyski, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9228 f: „ … Es ist weiter hingewiesen worden, sowohl von Seiten des Herrn Regierungsvertreters, als auch von Seiten der Herrn Vorredner, dass die Vorfrage bei der Teilung oder Regulierung, also die Frage über den Besitz und das Eigentum des zu teilenden oder zu regulierenden Grundstückes eine Frage sei, deren Lösung gegenwärtig mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden ist und dass aus diesem Anlasse schon ein Bedürfnis für das vorliegende Gesetz bestehe. …“
Abgeordneter Dr. Georg Granitsch, ebendort, Seite 9230f: „Denn was ist geschehen? Die so genannten Kleinhäusler, welche von den Nutzungsrechten ganz ausgeschlossen worden sind, […] erhoben den Anspruch, dass dieses Eigentum ausschließlich der Gemeinde zugewiesen werde. Wie soll nun anhand des bestehenden Gesetzes diese Streitfrage gelöst werden? [Zwischenruf: „Anhand der Gemeindeordnung …!“] Ganz richtig! Der Paragraf, wie ihn der Sprecher in jener (rechten) Seite des Hauses zitiert hat, ist auch in der Niederösterreichischen Gemeindeordnung enthalten. Aber der Niederösterreichische Landesausschuss war bisher nicht in der Lage anhand dieser Gesetzesbestimmung, die Streitigkeiten zu schlichten. Das ist auch begreiflich. Das Gesetz setzt hier bisher unangefochtene Übung voraus und setzt weiter voraus, dass diese nicht größer sein darf als der Hausbedarf, zwei Momente, welche an und für sich so streitig, so zweifelhaft sind, dass sie absolut keine Richtschnur für die Lösung der speziellen Streitfrage bilden können. Es soll eine Streitfrage gelöst werden damit, dass eine andere Streitfrage als Richtschnur zur Lösung der ersteren hereingezogen wird! Ich glaube auf diese Art ist es wohl begreiflich, dass die Streitigkeiten in den Gemeinden nicht zur Lösung gebracht werden können.“
Bereits der Bericht des „Commassionsausschusses“, AB 582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 13, macht deutlich, dass die neuen Behörden (damals: „Commassionsbehörden“, heute: Agrarbehörden) gerade auch über die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften entscheiden sollte. Insbesondere sollte das so genannte „Gemeindegut“ der Entscheidungskompetenz der Agrarbehörden unterliegen – eben jenes Gut, hinsichtlich dessen unklar war, ob es ein Gut im Gemeindeeigentum sei oder ein Gut im Eigentum der nutzungsberechtigten „Genossen“. Der Ausschussbericht führt dazu folgendes aus: Der Ausschuss „ging vielmehr von der Ansicht aus, dass es sich in dem vorliegenden Gesetze nicht so sehr um die Auseinandersetzung unter den Genossen selbst, als vielmehr um die Auseinandersetzung zwischen den Genossen einerseits und den Gemeinden als solchen andererseits handelt. Diese Anschauung entspricht vollkommen der Regierungsvorlage, deren § 3 die ausdrückliche Bestimmung enthielt, dass in Betreff der etwa bestrittenen Vorfrage, ob das Grundstück zu den in § 1 bezeichneten Kategorien gehöre und wer daran eigentums- und nutzungsberechtigt sei, die Commassionsbehörden zuständig sind“.
Nach einer mehrstündigen, durchaus emotionalen Debatte haben die Abgeordneten des Reichstages das Teilungs- Regulierungs-Reichsgesetz (TRRG 1883) beschlossen. Verschiedene Abgeordnete aus Gallizien unterstützten einen Ergänzungsantrag. Die Agrarbehörde sollte danach keine Zuständigkeit bekommen für Grundstücke, die „das Eigentum einer Gemeinde oder eines Teiles derselben bildenden“ (Sten. Prot. der Verhandlungen des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichstages, 22. Feb. 1883, IX. Session, 9230). In Konsequenz wären die Zivilgerichte weiterhin zuständig geblieben, einen Eigentumsstreit zwischen der Ortsgemeinde und den Nutzungsberechtigten darüber zu entscheiden, wer wahrer Eigentümer eines Grundstückes ist, das in den öffentlichen Büchern als Gemeindeeigentum aufscheint, aber von den Teilgenossen genutzt wird. Die Mehrheit der Abgeordneten hat diese Einschränkung des Zuständigkeitsbereiches der Agrarbehörde entschieden abgelehnt; der Zusatzantrag wurde von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt (Sten. Prot. Abgeordnetenhauses aaO, 9235).
Besonders pointiert hat der AbgeordneteDr. Josef Kopp, Mitglied des NÖ Landesausschuss, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9223 die Problematik auf den Punkt gebracht: „Man will jenes Gut, welches der Gemeinde oder einer Fraktion der Gemeinde gehört, an welchem alle oder einzelne Mitglieder dieser Gemeinde oder Fraktion gewisse Nutzungsrechte haben, aus dem Gesetz ausscheiden? Wenn sie das tun wollen, scheiden sie lieber gleich das ganze Gesetz aus. Den da liegt ja eben die Quelle dieser unlösbaren Wirrnisse und Streitigkeiten, und welchen Nutzen soll es haben, wenn es heißt: Auf diese Gründe findet eine Anzahl von Paragraphen sinngemäß Anwendung? Es ist dieses immer ein vom juridischen Standpunkte bedenkliches Flickwerk, welches man nur in der Verzweiflung gebrauchen kann. Mit diesem `Sinngemäß´ werden sie den Streit nicht schlichten, sondern ihm neue Quellen eröffnen. Wollen sie also, dass das Gesetz Wirksamkeit habe, so müssen sie es gerade auf diese Grundstücke anwenden, welche als Gemeindegut bezeichnet werden, denn sonst ist es in der Tat zwecklos.“
RICHTER STELLEN SICH ÜBER DAS GESETZ
Den Verfassungsgerichthof hat sich im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 über diese historische Quellenlage hinweggeschwindelt, indem diese Quellenlage gänzlich ausgeblendet wurde. Die Verfassungsrichter haben sich verfassungswidrig über das Gesetz gestellt. Als die Verfassungsrichter in Jahr 1982 entschieden haben, das „Gemeindegut“ dürfe nicht undifferenziert der Entscheidungsbefugnis der Agrarbehörde unterliegen, haben sich die Richter verfassungswidrig über den Gesetzgeber gestellt.
WARUM AGRARBEHÖRDEN?
Als neue Behörden wurden in erster Instanz „Lokalcommissäre“, in zweiter Instanz „Landescommissionen“ und in oberster Instanz eine „Ministerialcommission“ eingerichtet. Diese waren organisatorisch mit den politischen Landesbehörden (Statthalterei bzw. Landesregierung) und dem Ackerbauministerium verbunden. Die neuen Sonderbehörden sollten auf Grund ihrer besonderen Organisationsstruktur Kenntnis der lokalen und regionalen Besonderheiten mit rechtlicher und fachlicher Sachkunde, aber auch mit der Entscheidungsautorität einer Behörde verbinden. Auf Grund ihrer Unabhängigkeit und der richterlichen Mitglieder kam den Entscheidungen („Erkenntnissen“) dieser Behörden und den von ihnen genehmigten Vergleichen die Rechtswirkungen richterlicher Erkenntnisse bzw. Vergleiche zu, die unmittelbar vollstreckbar waren.
An diesen Grundsätzen hat sich der Sache nach bis in die jüngste Zeit nichts Wesentliches geändert. Die aus Agrartechnikern, Agrarjuristen und Richtern zusammengesetzten Kommissionen als Berufungs- und Revisionsinstanz existierten (in abgewandelter Form) bis 31. Dezember 2013. Erst seit 1. Jänner 2014 entscheidet über Beschwerden gegen die Bescheide der Agrarbehörde das jeweilige Landesverwaltungsgericht als Berufungsinstanz für die gesamte Landesvollziehung.
Es war somit gegen den eindeutigen Willen des Gesetzgebers und damit gegen das Gesetz, wenn der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 die Behauptung aufstellte, die Gemeindeordnungen hätten die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“ zwingend als ein Eigentum der jeweiligen Ortsgemeinde geregelt. Gar nichts hatten die Gemeindeordnungen geregelt; und über die Eigentumsverhältnisse hatte gerade und ausschließlich die Commassionsbehörde, heute: Agrarbehörde, zu entscheiden. War im Zuge des Regulierungsverfahrens rechtskräftig entschieden, dass eine Agrargemeinschaft und gerade nicht die Ortsgemeinde Eigentümerin sei, so war und ist die Agrargemeinschaft Eigentümerin im Rechtssinn.
DAS REGULIERUNGSVERFAHREN
Die so genannte „agrarische Operation“ am agrargemeinschaftlich genutzten Gut kann auf eine Aufteilung in Einzeleigentum zielen oder auf „Regulierung“. Das Regulierungsverfahren bezweckt die Regelung der „Benützungs- und Verwaltungsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken“. Die Entscheidungsbefugnis der Agrarbehörde erstreckt sich dabei insbesondere auch auf „Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken“. Dabei hat die Agrarbehörde diejenigen Normen, welche im Allgemeinen für diese Angelegenheiten gelten, insbesondere die Vorschriften des bürgerlichen Rechts und des Forstrechts anzuwenden. Wenn die Agrarbehörde das Eigentum eines Rechtsträgers ‚feststellt‘ und wenn diese Feststellung unangefochten bleibt, dann ist dieser Rechtsträger Eigentümer im Rechtssinn.
Durch den agrarbehördlichen Regulierungsakt wird einer bis zur Regulierung typischerweise unorganisierten Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten die Erscheinungsform als „körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft“ gegeben. Die Errichtung einer Agrargemeinschaft umfasst die Regelung aller wesentlichen Bereiche dieses speziellen Wirtschaftskörpers, ausgehend von den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften (dem „Regulierungsgebiet“), den anteilberechtigten Stammsitzliegenschaften (bzw. beteiligten Personen) und dem Umfang der Anteilsrechte sowie den Vorschriften über die Verwaltung der jeweiligen Nutzungsgemeinschaft. Entsprechend der äußerst komplexen Aufgabenstellung sind in einem solchen Verfahren verschiedene Abschnitte zu unterscheiden, welche von der Agrarbehörde jeweils mit gesondertem Bescheid bewältigt werden können (stufenweiser Verfahrensaufbau): Verfahrenseinleitung hinsichtlich bestimmter Liegenschaften, Feststellung des konkreten Umfanges „des Regulierungsgebietes“, Feststellung der nutzungsberechtigten Parteien, Feststellung ihrer Anteilsrechte an der einzurichtenden Agrargemeinschaft, Feststellung der Eigentumsverhältnisse an den einbezogenen Liegenschaften, körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft durch Satzungsverleihung.
Regelmäßig nehmen die historischen Behördenbescheide ausdrücklich darauf Bezug, welche Art von agrargemeinschaftlicher Liegenschaft vorliegt. Eine Erscheinungsform dieser „agrargemeinschaftlichen Liegenschaften“ war und ist das so genannte „Gemeindegut“. Die Tiroler Agrarbehörden sind immer dann von einem solchen „Gemeindegut“ oder „Fraktionsgut“ ausgegangen, wenn im Grundbuch – sei es zu Recht oder zu Unrecht – eine „Gemeinde“ oder eine „Fraktion“ eingetragen war. Und das war wegen einer offenkundig gesetzwidrigen Bevorzugung einer Idee des Gemeindeeigentums bei der Grundbuchanlegung in Tirol besonders häufig der Fall.
Tatsächlich ist das Tiroler agrargemeinschaftliche Eigentum jedoch weitestgehend einheitlich entstanden. Nach der authentischen Interpretation des historischen Landesgesetzgebers im Forstregulierungspatent hatte bis 1847 ein einheitliches Obereigentum des Landesfürsten über die Tiroler Gemeinschaftsliegenschaften bestanden. 1847 wurde das gesamte Waldeigentum in Tirol sowie das Eigentum an den Almweiden und dasjenige an den extensiv genutzten „Auen“ in den Tallagen neu geregelt. Tausende Grundparzellen wurden als Privateigentum „purifiziert“, sei es als Einzeleigentum, sei es als Gemeinschaftseigentum. In den meisten Gemeinden Nordtirols wurden die Waldservituten in den Staatswäldern mit freiem Waldeigentum abgelöst, woraus hunderte Gemeinschaftswälder entstanden sind. In Osttirol hat der Landesfürst generell auf sein Obereigentum verzichtet. Eigentümer wurden die bisher Holzbezugsberechtigten als Gemeinschaft, das heißt: die Agrargemeinschaft.
Alle diese Rechtsakte auf der Grundlage des Tiroler Forstregulierungspatents 1847 wurden jedoch erst mit einer Novelle zum Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1984 LGBl 1984/18 als ein eigenständiger, gesetzlich definierter Tatbestand für agrargemeinschaftliche Liegenschaften anerkannt. Das aus der Tiroler Forstregulierung 1847 hervorgegangene Gemeinschaftsgut wurde deshalb in den vor Inkrafttreten der TFLG-Novelle 1984 abgeschlossenen Agrarverfahren irgendeinem anderen Tatbestand der agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften zugeordnet. Am häufigsten hat die Agrarbehörde solche Liegenschaften als ein „Gemeindegut“ deklariert. Weil das Tiroler Flurverfassungsrecht bis Anfang der 1980er Jahre ein Eigentum der Agrargemeinschaft als ein „Gemeindegut“ bezeichnet hat, wurde kein Unterscheidungsbedarf gesehen. Tatsächlich hätten alle aus der Tiroler Forstregulierung 1847 hervorgegangenen Liegenschaften auch als solche deklariert werden müssen. Bis 1984 existierte dieser Begriff jedoch nicht im Tiroler Flurverfassungsgesetz. Viele Zuordnungen von agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zum „Gemeindegut“ durch die historischen Agrarjuristen sind deshalb aus heutiger Sicht schlicht falsch. Trotzdem stehen diese falschen Zuordnungen aufgrund der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011 unvermutet im Mittelpunkt des heutigen „Tiroler Agrarstreits“. Der Verwaltungsgerichtshof behauptet, dass in allen diesen Fällen unwiderlegbar ein ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde vorliege. Die Beweisführung, dass ein Gemeinschaftsgut der Stammsitzeigentümer vorlag, wird wegen angeblich „rechtskräftiger Gemeindegutsqualifizierung“ nicht zugelassen.
RECHTSKRAFT UND EIGENTUM
Streitigkeiten im Zusammenhang mit agrargemeinschaftlichen Grundstücken lagen bis zum Wirksamwerden der Bodenreformgesetzgebung in der Kompetenz der Zivilgerichte. Die vom historischen Gesetzgeber gewollte ausschließliche Zuständigkeit der neuen Behörde zur rechtskräftigen Klärung der „Eigentums- und Besitzverhältnisse“ an agrargemeinschaftlichen Grundstücken mündeten in ein Ergebnis – insofern stellt die Agrarbehörde die „Eigentums- und Besitzverhältnisse“ fest. Ob diese „Feststellung“ richtig ist oder nicht, ist im Rechtsmittelverfahren zu klären; nach dessen Abschluss gilt Rechtskraft.
Ein Verfahren, in dem die Eigentums- und Besitzverhältnisse geklärt wurden, kann deshalb (selbstverständlich) nicht mit der Begründung, dass die Agrarbehörde falsch entschieden hätte, neu begonnen werden. Die Eigentumsentscheidungen der Agrarbehörden waren regelmäßig von einem umfassenden Konsens aller Beteiligten getragen. Insoweit konnte eine nähere Begründung der Entscheidung durch die Agrarbehörde entfallen. Daraus könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, die Eigentumsentscheidung sei nicht gewollt, nicht im Sinn von Eigentum gem. § 354 ABGB (nur im Sinn von „nacktem Tabularbesitz“) oder nicht im Sinn einer der Rechtskraft unterliegenden Enderledigung zu verstehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. § 14 Agrarverfahrensgesetz trägt dem Umstand, dass die Entscheidungen in den Agrarverfahren in der Regel auf einem Verhandlungsergebnis, einem Kompromiss aller Beteiligten, beruhten, ausdrücklich Rechnung, in dem auch die Bestandskraft des im Behördenverfahren erzielten „Parteienübereinkommens“, des Vergleiches, besonders betont wird: „Die Bescheide (Erkenntnisse) der Agrarbehörden und die von ihnen genehmigten Vergleiche (Übereinkommen) haben insbesondere auch hinsichtlich der Vollstreckbarkeit die Rechtswirkung gerichtlicher Urteile und Vergleiche“. Weil die Agrarbehörden auf einen Konsens der Beteiligten hinzuarbeiten hatten, sind die Eigentumsentscheidungen durchaus unterschiedlich ausgefallen.
Die Beispiele von Eigentumsentscheidungen zu Gunsten der Ortsgemeinden zeichnen ein Bild differenzierter Vorgehensweise im Konsens mit allen Verfahrensbeteiligten. Zu verweisen ist auf die Regulierungsverfahren der Agrargemeinschaften Sölden, St. Anton, Pians, Weissenbach, Nesselwängle, Heiterwang und andere mehr, wo jeweils ein Eigentum der Ortsgemeinde festgestellt wurde.
Agrargemeinschaftsmitglieder („Teilgenossen“) besaßen – seit das Teilungs- und Regulierungs- Recht („Flurverfassungsrecht“) im Jahr 1883 geschaffen wurde – grundsätzlich den Status von Miteigentümern. Dies mit der Einschränkung, dass für dieses spezielle Gemeinschaftseigentum teilweise anderes Recht gegolten hat als für „gewöhnliche Miteigentümer“. Eine Agrargemeinschaft ist – anders als die Miteigentumsgemeinschaft nach ABGB – juristische Person (jP). Das Statut, nach dem diese jP existiert, wird von der Behörde im Bescheidwege installiert. Alle Organe entscheiden aufgrund eines einfachen Mehrheitsprinzips und gerade nicht nach Einstimmigkeitsprinzip wie in der Miteigentumsgemeinschaft nach ABGB. Anstelle des Zivilgerichts hatte in allen Angelegenheiten die „Commassionsbehörde“ (= heute: Agrarbehörde) zu entscheiden. Die Anwendung von Verjährung und Ersitzung wurde im Agrarrecht ausgeschlossen – und anderes mehr.
Mit den beiden landesgesetzlichen Novellen zum Tiroler Flurverfassungsgesetz 2009 und 2014 hat der Tiroler Landesgesetzgeber die Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder enteignet. Aus Miteigentümern wurden „Nutzungsberechtigte mit beschränktem Status“! Der Verfassungsgerichtshof gibt in offensichtlich falschen Erkenntnissen die große Linie für diese Enteignungen vor; dies mit Erkenntnis VfSlg 9336/1982 als Grundsatz-Verkenntnis, VfSlg 18.446/2008, dem Mieders-Verkenntnis und VfSlg 19.802/2013 – dem Pflach-Verkenntnis. Bezeichnender Weise kümmern sich weder der Landesgesetzgeber, noch der Verfassungsgerichtshof um das Bundes-Grundsatzgesetz betreffend die Flurverfassung. Es besteht der Eindruck, dass der Verfassungsgerichtshof funktionell als neuer Grundsatz-Gesetzgeber agieren will. Der Verfassungsgerichtshof maßt sich an, eine völlig neue Erscheinungsform der Agrargemeinschaft erschaffen zu müssen: die atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft, das ist eigentumslose Substanz der Ortsgemeinde und substanzloses Eigentum der Agrargemeinschaft.
Auf diese Art und Weise werden nicht nur tausende Tirolerinnen und Tiroler rechtswidrig um ihr Eigentum gebracht. Der Verfassungsgerichtshof schwingt sich zum Bundes-Grundsatzgesetzgeber auf und ändert grundlegend das Flurverfassungsrecht; dies alles außerhalb der Verfassung und vorbei an den gesetzgebenden Organen Nationalrat und Bundesrat. Und der Tiroler Landesgesetzgeber, angeführt von Landeshauptmann Günther Platter und der ganzen Landesregierung sorgt für die radikale Umsetzung des Gemeindegutsirrsinns in Tirol, obwohl alle anderen Landesgesetzgeber die Idee der atypischen Gemeindegutsagrargemeinschaft und das angebliche Substanzrecht der Ortsgemeinden schlicht ignorieren.
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VERFASSUNGSGERICHTSHOF ALS GESETZGEBER?
Nach den Vorgaben des „Mieders-Verkenntnisses“ 2008 sowie des „Pflach-Verkenntnisses“ 2013 soll ein „atypisches Gemeindegut“ existieren, wo die Substanz und der Nutzen daraus der politischen Ortsgemeinde zustehen soll. Die Agrargemeinschaftsmitglieder (= die „Privaten“), die bisher einen Status wie Miteigentümer hatten und das agrargemeinschaftliche Vermögen durch ihre gewählten organschaftlichen Vertreter verwaltet haben (Obmann und Ausschuss sowie Vollversammlung), werden zu Statisten degradiert. De facto ist ihr Status heute derjenigen von „Nutzern Gnaden halber“!
Natürlich existiert für diese Form der Agrargemeinschaft keine Vorgabe im Flurverfassungs-Grundsatzgesetz. Wenn der Verfassungsgerichtshof für diese Erscheinung den Begriff „atypisches Gemeindegut“ verwendet, wird fälschlich der Eindruck erzeugt, es handle sich um eine Erscheinung des Gemeinderechts.
SUBSTANZRECHT – ERFUNDEN ZUR ENTEIGNUNG
Die heutigen Eingriffe in das bäuerliche Gemeinschaftseigentum, werden mit Hilfe eines bisher unbekannten Anteilrechts exekutiert. Der Ortsgemeinde soll ein „Substanzrecht“ zustehen. Freilich hat seit den Anfängen des Flurverfassungsrechts im Jahr 1883 niemand jemals von einem „Substanzrecht“ gehört!
Ergänzend hat der Landesgesetzgeber das Organisationsrecht der Agrargemeinschaften geändert: Erfunden wurde ein neues Organ der Agrargemeinschaft, ein Staatskommissar mit der Bezeichnung „Substanzverwalter“. Dieser soll als neues Organ der Agrargemeinschaft die Geschäftsführung und Vertretung für die „Substanz“ übernehmen. Natürlich bei voller Weisungsgebundenheit gegenüber der Ortsgemeinde.
Insbesondere vertritt dieser Staatskommissar in allen Angelegenheiten betreffend das Eigentum (= „Substanz“). Und selbstverständlich kommen alle Nutzungen aus dem Eigentum ebenfalls dem Staat zu, wiederum konkret der Ortsgemeinde. Der Agrargemeinschaft verbleibt NICHTS.
Nur die Agrargemeinschaftsmitglieder behalten diffuse Nutzungsrechte, die gesetzlich (vorsichtshalber) im Tiroler Flurverfassungs- Landesgesetz nicht näher geregelt wurden. Im Rahmen der so genannten Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage für die TFLG-Novelle 2014 wird die Behauptung aufgestellt, dass die Nutzungsrechte der Mitglieder in zweierlei Hinsicht begrenzt wären:
a) es muss ein aktueller Bedarf nachgewiesen werden;
b) ein „historischer“ Hof- und Gutsbedarf bilde jedenfalls die Obergrenze.
Wie dieser „historische“ Hof- und Gutsbedarf bemessen wird, weiß nur die Agrarbehörde.
Angeblich wird auf Liegenschaftserträge abgestellt, die (zufällig) im Zeitpunkt der Regulierung erzielt wurden.
Alle Arbeitsergebnisse der Vergangenheit, alle unternehmerischen Initiativen, die Ertragssteigerungen usw werden ignoriert!
Der Namen dieses juristischen Novums, geschaffen zur Enteignung der Privaten, lautet „atypisches Gemeindegut“.
SUBSTANZ FÜR DIE GEMEINDE
Das neue Anteilrecht des Staates, konkret der politischen Ortsgemeinde, soll angeblich die gesamte „Substanz“ des agrargemeinschaftlichen Vermögens umfassen – samt allen Lasten und Vorteilen daraus und die Verfügungsbefugnis darüber.
Hinzu kommen alle in der Agrargemeinschaft seit der „Regulierung“ geschaffenen zusätzlichen Vermögenswerte, samt den zugekauften Liegenschaften und allen errichteten Baulichkeiten sowie allen angesparten Barmitteln. Der Agrargemeinschaft als solcher verbleibt NICHTS.
Die Mitglieder der Agrargemeinschaft, die Privaten, die nach bisherigem Recht vergleichbar Aktionären oder GmbH-Gesellschaftern aliquote Anteilrechte am gesamten Vermögen besaßen, wurden auf bloße Nutzungsrechte reduziert. Bisher waren diese Miteigentümer; nun soll aus Miteigentum ein Nutzungsrecht werden.
UND WAS BLEIBT DER AGRARGEMEINSCHAFT?
Damit nicht genug: Die Nutzungsrechte wurden auf einen jeweils nachzuweisenden „Hof- und Gutsbedarf“ an Weide und Holz beschränkt. Ein Holz- oder Weideertrag, der die Summe der Mitgliederansprüche übersteigt (= „Überling“), soll ebenfalls dem Staat, sprich der Ortsgemeinde, zustehen. So jedenfalls lautet der Succus des Pflach-Verkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.802/2013.
Damit ist auch schon eines klar: Der Agrargemeinschaft als solcher verbleibt gar nichts: Alles was nicht Mitgliederrecht ist, ist (angeblich) Substanzrecht der Ortsgemeinde..
DIE GESETZLICHE ENTWICKLUNG IN TIROL
Mit dem Gesetzesbeschluss vom 17. Dezember 2009, LGBl 7/2010 (TFLG-Novelle 2009) reagierte der Tiroler Landesgesetzgeber auf das „Mieders-Verkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes aus 2008. Das Eigentumsrecht und die Vorteile daraus wurden geteilt: hier die „Substanz“, dort die landwirtschaftliche Nutzung.
Das „Substanzrecht“ sollte der jeweiligen Ortsgemeinde zustehen, die landwirtschaftliche Nutzung den übrigen Agrargemeinschaftsmitgliedern, organisiert als Agrargemeinschaft. Dabei hatte der Landesgesetzgeber jedoch daran gedacht, dass alle agrarischen Nutzungen (sprich: alles, wo kein Substanzverbrauch stattfindet) der Agrargemeinschaft verbleiben. Zusätzlich wurde darauf spekuliert, dass die Gerichte die Erträgnisse aus der Jagdwirtschaft ebenfalls der Agrargemeinschaft und nicht der Ortsgemeinde zusprechen.
Im Gesetzesvollzug wurde den Privaten ein gewisser „Investitionsschutz“ zugestanden: Einnahmequellen, die durch die Wirtschaftsführung in der Vergangenheit neu erschlossen waren, wurden – wenn auch „zögerlich“ – den Agrargemeinschaftsmitgliedern zuerkannt. Augenscheinlich wurde dieser Gedanke umgesetzt mit einer Gesetzesvorschrift, die zwei „Rechnungskreise“ angeordnet hat: einen für die Privaten, einen für die Ortsgemeinde.
Der Tiroler Landesgesetzgeber ging bei der TFLG-Novelle 2009 noch davon aus, dass sämtliche land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen der Agrargemeinschaft verbleiben. Neben den „berechtigten Ansprüchen“ der Agrargemeinschaftsmitglieder auf Deckung des Hof- und Gutsbedarfes war ein land- und forstwirtschaftliches Wirtschaftspotenzial aus dem Eigentumsrecht anerkannt, welches der Agrargemeinschaft als Summe der Nutzungsberechtigten zugeordnet war.
Allfällige Ertragsüberschüsse, aber auch das Wirtschaftsrisiko daraus, waren Sache der Privaten. Insofern ist in den „Rechnungskreis I“ nicht nur all das eingeflossen, was historisches Mitgliederrecht war, sondern zusätzlich der Erfolg/Misserfolg der Wirtschaftsführung der Agrargemeinschaft während der vergangenen Jahrzehnte. Zu denken ist insbesondere an eine Ertragssteigerung der Waldwirtschaft durch Aufforstung von historischen Weideflächen nach Wald- Weidetrennung oder nach innerer Erschließung durch Forstwegebau usw; genauso an die Erträge aus einem Bergrestaurant, das die Agrargemeinschaft errichtet hatte oder an die Erträge aus einem Baurechtsvertrag, den die Agrargemeinschaft mit einem Unternehmen abgeschlossen hatte, das am Agrargrund angesiedelt wurde.
DAS PFLACH-VERKENNTNIS 2013
Mit zwei weiteren „Verkenntnissen“ vom 2. Oktober 2013 zu den Beschwerden der Ortsgemeinden Pflach und Unterperfuss („Pflach-Verkenntnis“ – VfSlg 19.802/2013) entschied der Verfassungsgerichtshof jedoch, dass das „Substanzrecht der Ortsgemeinde“ auch alle Rechte auf die land- und forstwirtschaftliche Nutzung umfasse. Dies insoweit, als nicht die (Natural-)Nutzungsrechte der Mitglieder entgegenstehen.
Der Gerichtshof übernahm in diesen Erkenntnissen anschaulich den neu von den Agrargemeinschaftsenteignern erfundenen Begriff des „Überlings“. Diesen „Überling-Begriff“ hat der Verfassungsgerichtshof vorbehaltlos gegen die Privaten angewandt. Das „Substanzrecht“ umfasse nach dem Pflach-Erkenntnis sämtliche Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse an der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft. Ausgespart sei nur die Summe der (historischen) Individualrechte der Mitglieder.
Ein Anspruch der Agrargemeinschaft als solcher kraft Eigentumsrecht (zumindest) über die land- und forstwirtschaftliche Nutzung zu verfügen, wurde nicht gesehen.
Damit waren alle seit 2008 aufgewandten Bemühungen betreffend die Abgrenzung eines Anteils der Privaten an irgendwelchen Einnahmensteigerungen obsolet. Alles, was historisch kein Mitgliederrecht ist, hatte der Gerichtshof als Teil des Substanzrechts deklariert und dem Staat zugesprochen. Der VfGH: Einnahmen und Ausgaben aus der „land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit der Agrargemeinschaft“ sind nur im Ausmaß der bestehenden Nutzungsrechte – also des Haus- und Gutsbedarfes – in Rechnungskreis I zu verbuchen.
AGRARKOLCHOSEN IM HERZEN EUROPAS
Wegen des „Pflach-Erkenntnisses“ des Verfassungsgerichtshofes wurden mit der Novelle zum Tiroler Flurverfassungsgesetz vom 14. Mai 2014 LGBl 70/2014 alle Gedanken an private Wirtschaftsführung und Investitionsschutz für Vergangenes bei Seite geschoben.
Ohne jede Ausnahme wurde der gesamte Ertrag aus den Gemeinschaftsliegenschaften dem Staat zugewiesen. Anstelle der gewählten organschaftlichen Vertreter verfügt seit 1. Juli 2014 ein Staatskommissar als neues Organ der Agrargemeinschaft.
Dieser Staatskommissar, der „Substanzverwalter“, disponiert über das agrargemeinschaftliche Vermögen als ein Eigentum der Ortsgemeinde. Er wird vom Gemeinderat als neues, monokratisches Leitungsorgan der Agrargemeinschaft bestellt und er ist der Ortsgemeinde gegenüber weisungsgebunden.
Der Tiroler Landesgesetzgeber ging sogar so weit, dass er auch alle in den vergangenen Jahrzehnten neu geschaffenen Vermögenswerte und alle Erträgnisse daraus, einschließlich der Ersparnisse, der Verfügungsbefugnis des neuen Staatskommissars unterworfen hat. Ausdrücklich definiert das Gesetz, dass alles, was in den Agrargemeinschaften seit der Regulierung neu geschaffen wurde, ein Eigentum der Ortsgemeinde sei.
Gesetzestechnisch ist von „Substanz“ die Rede; der Sache nach ist von einem Staatseigentum auszugehen: Die öffentliche Hand trifft alle Verfügungen und wendet sich den Ertrag zu.
Viele Millionen Euro an liquiden Mitteln, die Ersparnisse aus Jahrzehnten, sind so zum Stichtag 1. Juli 2014 von den Privaten in die Verfügungsbefugnis der öffentlichen Hand gekommen. Hinzu kommen andere „Arbeitsergebnisse“ aus Jahrzehnte langer Verwaltung, alle errichteten Weganlagen, alle errichteten Gebäude und sonstigen Einrichtungen, alle Vorteile aus einer nachhaltigen Waldwirtschaft.
Der Staat verfügt darüber durch seine Staatskommissare, die Substanzverwalter, die den Weisungen der Ortsgemeinden unterstehen. Letztere unterliegt der staatlichen Gemeindeaufsicht und den Landesgesetzen.
ENTSCHÄDIGUNGSLOSE ENTEIGNUNG IM 21. JHDT
Und das alles geschieht im 21. Jahrhundert. Nicht etwa in den Zeiten der Adelsherrschaft, als die Vertreibung und Enteignung „gewöhnlicher“ Bürgerinnen und Bürger immer wieder vorgekommen ist.
Die Tatsache, dass eine Entschädigung der Agrargemeinschaftsmitglieder weder gesetzlich vorgesehen, noch politisch angedacht ist, verwundert. Einer vom Lokal-Boulevard motivierte Lobby der Ortsgemeinden ist auch das noch zu wenig. Alle wertsteigernden Investitionen sollen den Ortsgemeinden verbleiben; zusätzlich sollen die Agrarier den in der Vergangenheit gezogenen Nutzen erstatten. Die Tiroler Landespolitik – angeführt von Landeshauptmann Günther Platter – ist weder Willens, noch in der Lage, seit Jahrtausenden anerkannte Rechtsgrundsätze, etwa denjenigen vom Recht des Besitzers an den Früchten , auf die Tiroler Besitzer von Grund und Boden anzuwenden.
Angeblich soll sich Unternehmerrisiko und Arbeitsleistung der Mitglieder mit vermehrten Geldausschüttungen und verstärkter Individualnutzung in der Vergangenheit kompensieren. Die Mitglieder der Agrargemeinschaft, die diese Ertragssteigerung durch Aufforstungsmaßnahmen, „Wald-Weide-Trennung“, Forstwegebau usw. erarbeitet haben, wären durch Zusatzerträge in der Vergangenheit bereits entschädigt.
Dass Investitionen sich erst in der Zukunft amortisieren oder dass Zusatzerträge nicht ausgeschüttet wurden, sondern als Bankguthaben in der Agrargemeinschaft verblieben sein könnten, ficht den Landesgesetzgeber nicht an. Für alle in der Agrargemeinschaft angesparten liquiden Mittel wurde eine (unwiderlegliche) Gesetzesvermutung aufgestellt, dass diese aus Substanzerlösen entstanden seien. Die eklatante Benachteiligung jener, die die Überschüsse in der Agrargemeinschaft angespart haben, wird hingenommen.
Einzig der Sonderfall, dass die Ortsgemeinde aus neu geschaffenen, agrarbehördlich genehmigten, „erwerbswirtschaftlichen Unternehmen“ auch in Zukunft nachhaltige „Substanzerlöse“ erzielt, berechtigt zur Entschädigungsforderung. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage für die Gesetzesnovelle ist an „wenige Härtefälle“ gedacht. Nachhaltige Forstwirtschaft und die daraus erwachsene Ertragssteigerung wird vom Tiroler Landesgesetzgeber ausdrücklich als nicht entschädigungswürdig beurteilt. In der Praxis denkt die Agrarbehörde freilich nicht daran, eine solche Entschädigung auch nur in einem einzigen Fall zuzuerkennen.
Landwirtschaftliches Gemeinschaftseigentum, heute per Gesetz als „Agrargemeinschaft“ definiert, existiert nicht nur in Tirol. Gemeinschaftsgüter waren neben dem „feudalen Grundbesitz“ ursprünglich die dominierende Organisationsform für die Masse des Liegenschaftsvermögens – nicht nur in den Kronländern des Kaisertums Österreich, sondern in ganz Europa.
In Vorarlberg steht heute noch mehr als die Hälfte der Landesfläche in derartigem Gemeinschaftsbesitz. Der flächenmäßig größte Gemeinschaftsbesitz in Österreich, die Agrargemeinschaft Nenzing, organisiert rund 8150 ha Grundfläche bei aktuell ca. 700 Mitberechtigten. Österreichweit gibt es tausende Agrargemeinschaften; im Burgenland tragen diese zum Großteil die Bezeichnung „Urbarialgemeinde“, die Gemeinschaft der Grundbesitzer, die in den historischen Steuer-Urbar erfasst waren.
Ungeachtet dieser Tatsachen, ignorieren alle anderen Bundesländer kräftig das Mieders-Verkenntnis des VfGH von 2008. Nur Tirol ist anders. Nur die Tiroler Besitzer von Grund und Boden müssen den gemeindegutsirrsinn erdulden. Tirol steht mit seinen heutigen Sozialisierungsbemühungen beim agrargemeinschaftlichen Eigentum österreichweit alleine da.
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REALGEMEINDEN UND URBARIALGEMEINDEN
Unter den Agrargemeinschaften in Österreich sticht die „Realgemeinde Leoben“ hervor, in der ein Liegenschaftsbesitz von rund 6700 ha organisiert ist. Mitglieder dieser Agrargemeinschaft sind die jeweiligen Eigentümer und Miteigentümer jener 152 bürgerlichen Häuser in Leoben, die im Jahre 1630 (!) die Stadt Leoben gebildet hatten. Bei den Anteilrechten werden vier Klassen unterschieden, wobei der ersten Klasse mit den größtem Anteilrecht rund 15 Häuser angehören, der zweiten Klasse knapp doppelt so viele. Die Nutzungsanteile der verschiedenen Klassen verhalten sich zueinander wie folgt: Klasse eins: 17, Klasse zwei: 14, Klasse drei: 11, Klasse vier: 9.
Besonders augenfällig sind die Verhältnisse im Burgenland, wo von ca. 220 Agrargemeinschaften mit einem Grundbesitz von mehr als 10 ha die weit überwiegende Anzahl als „Urbarialgemeinde“ konstituiert wurde; dies nach einer Rechtsgrundlage des Königreichs Ungarn von Anfang des 19. Jh. Die flächenmäßig größte burgenländische Agrargemeinschaft ist die Urbarialgemeinde Apetlon mit einem Grundbesitz von ca. 1300 ha. Ungeachtet angeblich verfassungsrechtlicher Erfordernisse zeigen sich in keinem anderen Österreichischen Bundesland nachhaltige Bemühungen, agrargemeinschaftliches Vermögen einer entschädigungslosen Verstaatlichung zu unterwerfen.
Nur in Vorarlberg gab es Ansätze für eine Umgestaltung der Agrargemeinschaften im Sinn des „Mieders-Erkenntnisses“ des Verfassungsgerichtshofes. Während die Tiroler Landesregierung jedoch schon im Jahr 2008 hektische Bemühungen entfaltete, die abstrakten Rechtssätze des „Mieders-Erkenntnisses“ „auf Punkt und Beistrich“ umzusetzen, hat man in Vorarlberg zuerst einmal die Rechtsverhältnisse der einzelnen Agrargemeinschaften analysiert. Während in Tirol noch im Jahr 2008 eine ganze Riege von zusätzlichen Vollzugsbeamten verpflichtet wurde, das „atypische Gemeindegut“ zu Gunsten der Ortsgemeinden fruchtbar zu machen, wurde in Vorarlberg eine Kommission eingesetzt, die jeden potenziellen Einzelfall genau untersucht hat.
DER VORARLBERGER WEG
Bei einer genauen Auseinandersetzung mit den konkreten Regulierungsverfahren und dem gleichzeitigen Blick auf den Sachverhalt, zu welchem der Verfassungsgerichtshof im „Mieders-Verkenntnis 2008“ entschieden hatte, ist eine entscheidende Schwäche dieses Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses in die Augen gefallen:
Nicht ein einziger Rechtssatz wird darin auf die historische Tatsache verwandt, dass alle Regulierungsverfahren betreffend so genanntes „Gemeindegut“ – in Vorarlberg nicht anders als in Tirol – aufgrund von Parteienübereinkommen zwischen der Ortsgemeinde einerseits und den Nutzungsberechtigten andererseits erfolgt waren.
Selbst dann, wenn eine Ortsgemeinde wahre Eigentümerin gewesen sein sollte, lagen alle Erfordernisse dafür vor, dass Eigentumsverfügungen nach damals geltendem Recht wirksam waren. Wenn eine Ortsgemeinde vertraglich verfügt und alle bescheidmäßigen Genehmigungserfordernisse nach jeweils geltendem Recht vorliegen, ist diese Verfügung nicht weniger wirksam, als die Verfügung eines Privaten.
Von Seiten der Vorarlberger Landesregierung hat man im Blick auf solche Untersuchungsergebnisse keinen amtswegig wahrzunehmenden Handlungsbedarf gesehen. Es blieb den Ortsgemeinden überlassen, bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz ein Verfahren auf „Rekommunalisierung“ von Gemeindegutsagrargemeinschaften einzuleiten.
Im Jahr 2011 wurde sodann anhand des Musterfalles der Gemeinde Weiler entschieden, dass in den historischen Regulierungsverfahren endgültige Verhältnisse geschaffen wurden (Agrarbezirksbehörde Bregenz, Bescheid vom 11. Oktober 2011; Landesagrarsenat Vorarlberg, Erkenntnis vom 27. Jänner 2012). Die Beschwerde der Ortsgemeinde Weiler gegen diese Entscheidungen an den Verfassungsgerichtshof hat dieser „mangels Erfolgsaussicht“ erst gar nicht in Behandlung genommen (VfGH Beschluss vom 20. Juni 2012 B 291/12-3). Als die Agrarbezirksbehörde Bregenz mit Bescheid vom 26. September 2012 auch im Fall der Gemeinde Rankweil gegen die „Rekommunalisierung“ entschied, kamen die Bemühungen der Ortsgemeinden Vorarlbergs um das „atypische Gemeindegut“ zum Erliegen.
KEIN GEMEINDEGUT IN KÄRNTEN
Unter den anderen Bundesländern sticht offensichtlich Kärnten hervor. Vom langjährigen Leiter der Agrarbehörde Villach, Dr. Wolfram Haller, wissen wir, dass in Kärnten – im krassen Gegensatz zu Tirol – gar nie „Gemeindegutswälder“ gebildet wurden. (Wolfram Haller, Die Entwicklung der Agrargemeinschaften in Osttirol, 1947, Österreichische Nationalbibliothek, Sign 753717 –C, Seite 17). Im Blick auf eine Jahrhunderte lange, besonders enge Verbundenheit in der Herrschafts- und Wirtschaftsverhältnissen von Kärnten und Tirol muss dies verwundern. Festzustellen ist freilich, dass rechtsvergleichende Untersuchungen aus den letzten 100 Jahren zu den agrargemeinschaftlichen Verhältnissen in den Österreichischen Bundesländern nicht existieren.
Kärnten zeichnet sich im Vergleich zu Tirol durch folgende Umstände aus: a) eine schnelle Umsetzung des Teilungs- und Regulierungsrechts; b) eine gründliche Unterscheidung zwischen öffentlichem Eigentum und Privateigentum im Zuge der Anlegung der modernen Grundbücher; c) die Anlegung der modernen Grundbücher war hatte mindestens 30 Jahre vor derjenigen in Tirol begonnen und auch zu einem zügigen Abschluss gebracht worden.
Schnelle Umsetzung des Teilungs- und Regulierungsrechts:
Im ehemaligen Herzogtum Kärnten war das Fehlen eines Teilungs- und Regulierungsgesetzes schon in den 1870er Jahren Thema im Landtag. Widerholt hat der Kärntner Landtag beim Reichsgesetzgeber gesetzliche Grundlagen eingefordert, die eine Regulierung agrargemeinschaftlicher Liegenschaften ermöglichen sollten. Als die entsprechenden Grundsatzgesetze vom Reichsgesetzgeber 1883 geschaffen wurden, war das Land Kärnten das erste Kronland, wo der Landtag ein Teilungs- Regulierungs- Landesgesetz geschaffen hat. Parallel zum Gesetzwerdungsprozess im Reichsparlament hatte der Landtag in Kärnten bereits am 20. Oktober 1882 den „Landesausschuss“ [entspricht heute der Landesregierung] damit beauftragt, alles vorzubereiten, damit unmittelbar nach Sanktion des Reichsgesetzes das in Aussicht gestellte Landesgesetz sofort in Beratung gezogen werden könne. Bereits am 10. September 1883 beauftragte der Landtag den Kärntner Landesausschuss, den Entwurf für ein Teilungs- Regulierungs-Landesgesetz in den Kärntner Landtag einzubringen; am 16. August 1884 wurde der Gesetzesentwurf eingebracht und noch am 24. Oktober 1884 vom Kärntner Landtag verabschiedet. Nach allerhöchster Sanktion erfolgte die Verlautbarung im Landesgesetzblatt am 5. Juli 1885.
Im Kärntner Sprachgebrauch dieser Zeit wurden die Gemeinschaftsliegenschaften vor allem als „Ortschafts-“ oder „Nachbarschafts-“Besitz bezeichnet. Von einem agrargemeinschaftlich genutzten „Gemeindebesitz“ („Gemeindegut“) ist nicht die Rede. Dies obwohl in den Erhebungen zur Vorbereitung des Teilungs- Regulierungs- Landesgesetzes 3013 (!) agrarische Gemeinschaften festgestellt wurden. Das Kärntner Landesgesetz von 1885 verlangte eine amtswegige Regulierungsverpflichtung, sofern die Berechtigten nicht binnen bestimmter Frist die Teilung des Gemeinschaftsgutes beantragen sollten oder wenn eine solche untunlich wäre. Wegen der faktischen Unmöglichkeit zahllose Regulierungen so kurzfristig vorzunehmen wurde Anfang der 1890er Jahre seitens des Kärntner Landtages ein Gesetz geschaffen, das die provisorische Regelung der Verwaltung und Benützung gemeinschaftlicher Grundstücke durch Erkenntnis der Landeskommission ermöglichte (LGBl Nr 18/1891). Die Regulierung und Teilung agrargemeinschaftlicher Grundstücke wurde somit in Kärnten schon in den 1880er und 1890er Jahren mit größtem Nachdruck vorangetrieben. Knapp zwölf Jahre nach Inkrafttreten des Landesgesetzes berichtete das k.k. Ackerbauministerium mit Stichtag 31.12.1897 von 388 eingeleiteten Operationen, von denen faktisch durchgeführt waren 256 Operationen und zwar 73 Teilungen, 77 Teilungen und Regulierungen und 106 Regulierungen. Beschäftigt waren mit diesen agrarischen Operationen insgesamt 15 Personen. Kein Wunder, dass bereits im Jahr 1916 aus berufenem Munde festgestellt wurde, dass in Kärnten im Jahr 1916 bereits der größte Teil der Agrargemeinschaften reguliert sei (Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1916, 159).
Unterscheidung: öffentliches und privates Eigentum:
In Kärnten war der Grundstückskataster bereits in den Jahren 1826 bis 1829 angelegt worden. In den Parzellenprotokollen des Grundstückkatasters aus dieser Zeit findet sich in der Eigentümerrubrik häufig der Begriff „Gemeinde XY“, wobei es damals noch längst keine politischen Ortsgemeinden im heutigen Sinn gegeben hat. Diese wurden aufgrund des Reichsgemeindegesetzes von 1862 durch entsprechende Ausführungsgesetze in den Ländern in der Zeit von 1863 bis 1866 geschaffen. Der bei Einrichtung der Grundstückskataster verwendete Begriff „Gemeinde“ wurde deshalb in Kärnten gerade nicht als Bezeichnung der modernen politischen Ortsgemeinde verstanden, sondern es wurde differenziert vorgegangen: Anlässlich der Neuanlage der Grundbücher, die in Kärnten bereits in den 1870er Jahren in Angriff genommen wurde, wurden sowohl die Bürgermeister als auch die „Obmänner“ („Dorfmeister“ usw) der örtlichen Nachbarschaften vorgeladen. Diese mussten bei allen nicht in Individualbesitz stehenden Parzellen erklären, ob es sich um agrargemeinschaftliches Gut oder öffentliches Gut handelte. Dementsprechend wurden dann Einlagezahlen für den jeweiligen Gemeinschaftsbesitz gebildet und der restliche Gutsbestand in die Verzeichnisse des öffentlichen Guts eingetragen.
TIROL STEHT ALLEINE FÜR ENTEIGNUNG
Soweit ersichtlich ist Tirol auch rund zehn Jahre nach dem Mieders-Verkenntnis 2008 das einzige österreichische Bundesland, in welchem dieses Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis umgesetzt wurde.
Tirol ist das einzige Bundesland, in welchem agrargemeinschaftliches Vermögen, obwohl vor Jahrzehnten in agrarischen Operationen als Eigentum von Agrargemeinschaften festgestellt, wegen behaupteter historischer Eingriffe in ein angebliches Gemeinde-Eigentum den Privaten entzogen wird.
Besonders bitter ist das für die Betroffenen, weil die Agrarbehörde und der Verwaltungsgerichtshof ein „atypisches Gemeindegut“ nicht danach identifizieren, ob ein historisches Unrecht geschehen ist. Ein Unrecht wird im Blick auf eine „Gemeindegut- bzw. Fraktionsgut-Qualifizierung“ unwiderlegbar fingiert. Die wahren historischen Eigentumsverhältnisse werden nicht geprüft.
Bleibt es freilich auch in den nächsten Jahren bei einer „Tiroler Spezialität“, könnte dies für eine Umkehrbarkeit des Prozesses sprechen.
150.000 ha Grundbesitz – das ist eine Größenordnung, die sich leicht der Vorstellungskraft entzieht. Bei den Betroffenen sieht das im Einzelnen ganz anders aus.
In Lans, Bezirk Innsbruck-Land, hat die Agrarbehörde im Jahr 1956 festgestellt, dass dort ein Wald und eine kleine Alm als Gemeinschaftsgut bestehen; dieses Gemeinschaftsgut wurde mit 436 ha festgestellt. Eigentümer waren 34 Lanser Grundbesitzer; dies zu unterschiedlichen Anteilen. Gebildet wurden 60 ¼ aliquote Anteilrechte, von denen vereinbarungsgemäß 5 ¾ Anteilrechte (ca. 10 % Anteil) der Ortsgemeinde Lans zufallen sollten. Die kleinsten Mitgliedschaftsrechte umfassen einen ¾-Anteil, die größten drei bzw. vier Anteile. Die „Standard-Beteiligung“ umfasst zwei Anteilrechte.
Einem Anteilrecht entsprechen 7,23 ha vom ungeteilten Gemeinschaftseigentum Wald und Alm. Die Hofstellen, mit denen jeweils zwei Anteilsrechte verbunden sind, umfassen durchschnittlich 4 ha Felder im Alleineigentum. Den zwei Anteilrechten entsprechen (anteilig) 14,5 ha vom ungeteilten Gemeinschaftseigentum an Alm und Wald, sodass auf eine Hofstelle durchschnittlich 4 ha Feld im Alleineigentum und 14,5 ha aus dem ungeteilten Gemeinschaftseigentum an Alm und Wald entfallen; 18,5 ha insgesamt. Drei Viertel der Grundfläche, die durchschnittlich auf eine Lanser Hofstelle entfielen, die gesamte Alm und den gesamten Wald, hat der Staat im Jahr 2014 an sich gezogen – die Erträgnisse daraus und die Verfügungsbefugnis darüber; die mit einem Hof durchschnittlich verbundene Eigentumsfläche wurde von 18,5 ha auf 4 ha verkleinert.
DREI VIERTEL DES HOFES ENTEIGNET
Seit Regulierung der Agrargemeinschaft Lans Mitte der 1950er Jahre wurden von den Mitgliedern 541.767 Forstpflanzen gesetzt, 37.040 unbezahlte Robotstunden geleistet und das Gemeinschaftsgebiet mit 20 km Forstwegen intern erschlossen.
Durch nachhaltige Forstwirtschaft wurde der Holzertrag von 1.177 fm Nutzholz im Jahr 1955 auf ca. 2800 fm Nutzholz laut Stand 2012 gesteigert. Diese Steigerung des Holzertrages resultiert nicht nur aus einer nachhaltigen Forstpflanzenpflege durch die Mitglieder, sondern auch aus massiven Einschränkungen bei der Waldweide und der Aufforstung diverser Weideparzellen.
Agrargemeinschaft Lans hat 12 km vertraglich geregelte Wanderwege, Laufrouten und Gesundheitslehrpfade eröffnet; im so genannten „Ull-Wald“ wurde eine Kneipp-Anlage für Wanderer und Spaziergänger errichtet.
Per 1. Juli 2014 wurde das gesamte Agrargemeinschaftsvermögen in staatskommissarische Verwaltung übernommen. Neben dem Grundbesitz handelt es sich um das Almgebäude und zwei Freizeitwohnsitze sowie ein Barvermögen von rund 140.000 Euro, welches über Jahrzehnte angespart wurde. Die neuen staatlichen Verfügungsrechte werden im Auftrag der Ortsgemeinde Lans vom Bürgermeister als „Substanzverwalter“ ausgeübt.
TIROL ENTEIGNET ENTSCHÄDIGUNGSLOS
Offenkundig ist die entschädigungslose Wegnahme eines solchen Eigentums verfassungs- und völkerrechtswidrig. Eine völkerrechtskonforme Enteignung erfordert neben dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem enteigneten Eigentümer und der Allgemeinheit. Nach der herrschenden Lehre (Nachweise bei Korinek, aaO, Rz 43 FN 186) und der Judikatur des EGMR zu Art. 1 1. ZPEMRK – der der VfGH nunmehr zu folgen scheint (vgl. VfSlg. 18.069/2007, S. 123; dazu Berka, Entschädigungsanspruch und Sonderopfer, in: FS Griss [2011] 51 [52]) – ist dabei regelmäßig eine angemessene Entschädigung geboten (vgl. Grabenwarter/Pabel, aaO, § 25 Rz 17 ff mwN).
In Tirol wird das anders gesehen. Die Tiroler Besitzer von Grund und Boden sollen ihr Gemeinschaftseigentum entschädigungslos dem Staat überlassen! Zumindest ist das die offizielle Linie der Tiroler Landespolitik.
Ob sich diese Gangart durchsetzt oder ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Tiroler Politik die völkerrechtlichen Grenzen aufzeigt, wird die Geschichte lehren!