Die Ablösung von Wald- und Feldservituten führt zur Entstehung von Agrargemeinschaften. In diesen Fällen wird einer Mehrheit von abzulösenden Berechtigten nicht eine Geldleistung zuerkannt, sondern eine Ablöseleistung, die in Grund und Boden besteht. Das Gemeinschaftsgrundstück, das daraus hervorgeht, ist eine Agrargemeinschaft zusammengesetzt aus denjenigen Berechtigten, die gemeinschaftlich abgefunden wurden.
Das Flurverfassungsgrundsatzgesetz erfasst die historischen Eigentumsträger, die aus einer Servitutenablösung hervorgegangen sind, auch unter dem Begriff „Gemeinde“ oder „Ortschaft“, wobei es sich um keine Erscheinungen des politischen Gemeinderechts handelt, sondern um historische Gemeinschaften der Nachbarn zur Organisation von Gemeinschaftswirtschaft.
Schon in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1982 VfSlg 9336/1982, zur Rechtsnatur des Gemeindeguts hat der Verfassungsgerichtshof in Auseinandersetzung mit einer Stellungnahme der Slbg Landesregierung die Wesensmerkmale solcher Erscheinungen hervorgehoben: sie seinen Agrargemeinschaft und somit juristische Person; sie setzen sich aus den jeweils Nutzungsberechtigten zusammen und das Flurverfassungsrecht erfasse diese Erscheinungen mit dem Begriff „Gemeinde“.
VfGH Slg 9336/1982 vom 01.03.1982,Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung: Es „ist daher die … Erscheinung, dass `die Gemeinde´ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, […] von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, […]“ – weshalb das Gemeindegut von den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften, die aus Servitutenablösung herstammen, streng zu trennen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Grundsatzentscheidung im Tiroler Agrarstreit vom 30.06.2011 VwSlg 18171 A/2011 (Obergarten-Erkenntnis) mit dieser Rechtsauffassung des VfGH auseinandergesetzt und diese bestätigt:
Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies sei der Fall bei der Bestimmung des § 15 Abs. 2 lit. c FGG, den Grundstücken, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind) und bei den Grundstücke nach § 15 Abs. 1 lit. b FGG.
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EIGENTUM STATT SERVITUTEN
Die Ablösung von Wald- und Feldservituten führt zur Entstehung von Agrargemeinschaften. In diesen Fällen wird einer Mehrheit von abzulösenden Berechtigten nicht eine Geldleistung zuerkannt, sondern eine Ablöseleistung, die in Grund und Boden besteht.
Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht (1923), 388; ders, System I/1 (1925), 183: „Es gibt landwirtschaftliche Grundstücke, deren Nutzung den Besitzern gewisser behauster Grundstücke gemeinschaftlich für die Zwecke ihrer Einzelwirtschaften zusteht. Solche Agrargemeinschaften sind zum Teil erst in neuerer Zeit bei der Servitutenablösung dadurch entstanden, dass man einer Gesamtheit von Berechtigten Abfindungsgrundstücke zur gemeinschaftlichen Nutzung abgetreten hat.“ Klang in Klang, ABGB II², 608: „Gewöhnlich sollen Wald- und Weidegrund allen Berechtigten gemeinsam abgetreten werden. Dadurch entstehen Agrargemeinschaften.“)
Konsequenter Weise definiert das Bundesgrundsatzgesetz zum Flurverfassungsrecht ganz allgemein Grundstücke, die in Ausführung der Gesetze über die Ablösung und Regulierung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamen Besitz abgetreten worden sind, als agrargemeinschaftliche Grundstücke. (Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 § 15 Abs 2 lit c)
Das Tiroler Flurverfassungsrecht verengte diese Definition auf Grundstücke, die im Zuge von Verfahren nach dem Servitutenregulierungspatent 1853 einer Berechtigtenmehrheit in das Eigentum übertragen wurden (TFLG 1996 § 33 Abs 2 lit b).
Dabei wurde zweierlei übersehen. Zum einen, dass im Zusammenhang mit einer Servitutenablösung der Begriff „Gemeinde“ die Mehrheit von Berechtigten als historische juristische Person umschreibt; zum anderen, dass die historische Grafschaft Tirol bereits in den Jahren 1847 folgende Gegenstand einer generalstabsmäßig vorbereiteten und umgesetzten Servitutenablösung war.
Mit dem sog. Forstregulierungspatent 1847 wurden im gesamten heutigen Nordtirol, wo die Wälder per Gesetz als Grundsatz zur Gänze als Staatseigentum definiert waren, eine Ablösung der Forstservituten in den als Staatseigentum definierten Wäldern angeordnet, eine agrarische Operation, welche nach zeitgenössischen Angaben insgesamt ca 557.000 Joch Waldfläche einbezogen hatte. Davon wurden nach Prüfung durch eine eigens eingesetzte Kommission als Privateigentum anerkannt ca 40.000 Joch und darüber hinaus zur Ablösung jährlicher Bezugsrechte von insgesamt ca 217.000 n.ö. Klafter Holz eine Waldfläche von 358.140 Joch den Servitutsberechtigten als Ablösefläche in das Eigentum abgetreten. Als Staatseigentum verblieb eine – weitestgehend holzbezugsfrei gestellte – Waldfläche von 159.425 Joch. (näheres dazu bei R.S., Die Forstservituten-Ablösung in Tirol, Österr. Vierteljahresschrift für Forstwesen 1851, 392ff)
Erst im Jahr 1984 hat man sich in Tirol auf die besondere Bedeutung dieser Maßnahme besonnen und man hat diese Maßnahme als einen eigenen Tatbestand für die Entstehung von Agrargemeinschaften im Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz erfasst (§ 33 Abs 2 lit a TFLG idF LGBl 1984/18).
Verfehlter Weise hat man jedoch dabei dem Umstand keine Rechnung getragen, dass in gesamten Zeitraum vor dieser Gesetzesnovelle solche Liegenschaften regelmäßig als „Gemeindegut“ qualifiziert wurden, obwohl diese offensichtlich kein wahres Eigentum der politischen Ortsgemeinde waren.
EIGENTUM AUS SERVITUTENABLÖSUNG
Der Tatbestand der Servitutenablösung als Entstehungsgrund für agrargemeinschaftliche Grundstücke hat einen deutlichen Niederschlag in den Flurverfassungsgesetzen gefunden.
Vgl Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht (1923), 388; ders, System I/1 (1925), 183; Klang in Klang, ABGB II², 608; Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 592; Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Österreichische Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff; 155 ff uam; vgl auch VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung, wo klargestellt wird, dass aus Servitutenablösung entstandenen Gesellschaften der Nutzungsberechtigten im Bodenreformrecht behandelt würden; dies (auch) unter der Bezeichnung „Gemeinde“.
Das Wesen des Servitutenablösungsaktes ist als ein Rechtsakt, wo eine Leistung Bedingung und Voraussetzung der Gegenleistung ist, juristisch klar fassbar: Die Eigentümer der servitutsberechtigten Liegenschaften verzichten Zug um Zug gegen Einräumung von Eigentum an einem Ablösegrundstück auf ihr Servitutsrecht. Umgekehrt verzichtet der Eigentümer des servitutsbelasteten Grundstückes auf einen Teil seines Eigentums, das er an die Servitutsberechtigten zur Gemeinschaftsnutzung überlässt, die dafür sein verbleibendes Eigentum von den Nutzungsrechten freistellen.
Der Verzicht auf die Nutzungsrechte ist veranlasst und bedingt durch die angebotene Gegenleistung, das Eigentum am Abfindungsgrundstück. Mehrere ursprünglich an einer größeren Liegenschaft Servitutsberechtigte rücken als Eigentümer des Abfindungsgrundstückes sozusagen zusammen; durch bessere Bewirtschaftung der nun eigentümlichen Liegenschaft kann die Nutzung auf eine verkleinerte Fläche beschränkt werden.
Der Gedanke der Ertragssteigerung durch Privatisierung ist ein wesentlicher Aspekt der Servitutenablösung. Hinzu kommt, dass durch die Schaffung klarer Verhältnisse – hier nutzungsfrei gestelltes Eigentum des Landesfürsten zur planmäßigen Bewirtschaftung durch die fürstliche Forstverwaltung, dort Gemeinschaftseigentum der Stammliegenschaftsbesitzer – der Anlass für unzählige Eigentumsstreitigkeiten entfallen war. Es versteht sich von selbst, dass die Ablöseliegenschaft Eigentum der ursprünglich bloß Servitutsberechtigten wird. Servitutenablösung ist ein Eigentumstitel.
DIE AGRARGEMEINSCHAFT
Unproblematisch ist die Situation, wenn aus Servitutenablösung Einzeleigentum entsteht. Der ehemals Servitutsberechtigte nutzt ab dem Übergang des Eigentums (Titulus und Modus) die eigene Sache. An die Stelle des beschränkten Rechts an einer größeren Liegenschaft ist das umfassende Recht an einer kleineren Liegenschaft getreten.
Schon das erste Reichsgesetz zur Servitutenablösung, das Servitutenregulierungspatent 1853 (RGBl 130/1853), ging jedoch vom Grundsatz aus, dass mehrere Servitutsberechtigte an einer Liegenschaft (bzw einem Liegenschaftskomplex) gemeinschaftlich abgefunden werden sollten. Hinter diesem Rechtsprinzip stehen Nachhaltigkeitsüberlegungen im Hinblick auf die Vermögenserhaltung und handfeste forstwirtschaftliche Überlegungen. Zusätzlich war die „in Grund und Boden ausgemittelte Ablösung“ sowie die Nutzung daran als „Zugehör des bezugsberechtigten Gutes“ definiert.
Dazu entstand in der Folge eine umfangreiche Diskussion in der Zivilrechtsliteratur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, deren Gegenstand die Rechtsnatur dieses gemeinschaftlichen Eigentums und die Rechtsnatur der Nutzungsrechte des Einzelnen war[1]. InÖsterreich wurde diese Diskussion durch die Grundbuchsanlegung angespornt, welche es erforderlich machte, die Rechtsverhältnisse an solchen Liegenschaften dem Typenzwang des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches zu unterwerfen.
Beispiele: Paris, Die Gemeinschaften (Gemeinden – Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1875, 49 f; Stampfl, Ein Beitrag zur Frage über die Gemeinschaften (Gemeinden-Nachbarschaften) und die Anlegung der neuen Grundbücher, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1875, 97 f; Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 391 ff; Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff, 147 ff, 155 ff; Lackenbacher, Über die Rechtsverhältnisse an den für abgelöste Servituten an eine Gesamtheit von Berechtigten abgetretenen Grundstücken, JBl 1886, Nr 29; Dr. S, Über die Realgenossenschaften in Österreich, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, Nr 46 – Nr 51; Pitreich, Miteigentum als Realrecht, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1887, 393 ff, 403 ff, 409 f; Snetiwy, Über den Tabularverkehr bei sogenannten „Nachbarschafts-„ oder „Ortschaftsrealitäten“, Allgemeine österreichische Gerichtszeitung, 1892, 321 f; Amschl, Über die grundbücherliche Behandlung von Wald- und Alpengenossenschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1893, Nr 7; Pfersche, Die rechtliche Behandlung der bestehenden Agrargemeinschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1894, 129 ff; Stefan v. Falser, Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche (Innsbruck, 1896); Wallner, Wald-, Weide- und Alpengenossenschaften, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, 1912, 269 ff. Eine hervorragende Zusammenfassung dieser literarischen Diskussion findet sich bei Hugelmann, Die Theorie der „Agrargemeinschaften“ im österreichischen bürgerlichen Recht, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, 1916, 126 ff; 134 ff, 144 ff, 153 f, 159 f
Die jüngere Zivilrechtsliteratur stellte zur Rechtsnatur des aus gemeinschaftlicher Servitutenablösung entstandenen Sachverhaltes fest, dass solcherart „Agrargemeinschaften“ entstanden seien – eine Aussage, die aufgrund des TRRG 1883 und der historischen Ausführungsgesetze dazu sowie aufgrund des modernen Flurverfassungsrechts naheliegend ist.
Vgl Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht (1923), 388; ders, System I/1 (1925), 183: „Es gibt landwirtschaftliche Grundstücke, deren Nutzung den Besitzern gewisser behauster Grundstücke gemeinschaftlich für die Zwecke ihrer Einzelwirtschaften zusteht. Solche Agrargemeinschaften sind zum Teil erst in neuerer Zeit bei der Servitutenablösung dadurch entstanden, dass man einer Gesamtheit von Berechtigten Abfindungsgrundstücke zur gemeinschaftlichen Nutzung abgetreten hat.“ Klang in Klang, ABGB II², 608: „Gewöhnlich sollen Wald- und Weidegrund allen Berechtigten gemeinsam abgetreten werden. Dadurchentstehen Agrargemeinschaften.“ In diesem Sinn schon Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 592, oder Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Österreichische Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff; 155 ff uam. Treffend hebt der VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 des Erwägungsteiles, hervor, dass solche aus Servitutenablösung entstandenen Gesellschaften der Nutzungsberechtigten unter der Bezeichnung „die Gemeinde“ im Bodenreformrecht Berücksichtigung gefunden hätten.
Einen einheitlichen Namen für das Phänomen zu finden, ist das eine; die Zuordnung dieser Rechtsfigur im Rahmen des geschlossenen Kreises der Sachenrechte („Typenzwang im Sachenrecht“) ist das andere. Nicht gerade erleichtert wird die rechtliche Analyse dadurch, dass das Servitutenregulierungspatent 1853 nur eine der möglichen Rechtsgrundlagen darstellte, anhand derer „Ablösungsoperationen“ ausgeführt wurden.
Dem „Servitutenpatent 1853“ gingen in einzelnen Kronländern ältere Gesetze „nach Landesrecht“ voraus. So berichtet Schiff von Servitutenablösungsmaßnahmen im Erzbistum Salzburg schon ab dem 16. Jhdt, in den Jahren 1845 bis 1851 wirkte in der Steiermark eine „Forstregulierungskommission“, welche die Forstservituten zum Teil durch Abtretung von Grund und Boden ablöste. In Tirol wurde mit a.h. Entschließung vom 6.2.1847 eine „Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern“ eingesetzt, die im heutigen Nordtirol zahlreiche Ablösungsakte auf privatrechtlicher Grundlage erwirkte; am 6.7.1848 folgte eine vergleichbare Regelung für Salzburg. Schließlich konnte eine Ablösevereinbarung, dh die Aufhebung der Servituten im Abtausch gegen Eigentum an einem Teil der belasteten Liegenschaft, auch ohne spezielle Rechtsgrundlage allein auf privatautonomer Basis vollzogen werden. Für den Vorarlberger Raum scheint diese auf Einzelakte im allgemeinen Privatrecht gegründete Variante der Servitutenablösung in der ersten Hälfte des 19. Jhdts größere Bedeutung zu haben.
„Servitutenoperationen“, aus denen Agrargemeinschaften hervorgegangen sind, können deshalb ohne weiteres auch aus der Zeit vor dem Servitutenregulierungspatent 1853 datieren und auf gänzlich anderer Rechtsgrundlage gründen. Dies ist zu berücksichtigen, wenn man in einem konkreten Fall die Rechtsgrundlagen zur Entstehung einer agrarischen Liegenschaft zu prüfen hat.
GEMEINDE NACH BÜRGERLICHEM RECHT
Einhelligkeit besteht in Literatur und Judikatur darüber, dass die Rechtsverhältnisse in der nicht regulierten Agrargemeinschaft nicht als bloßes Miteigentum erfasst werden könnten. Darüberhinaus gehen die Meinungen auseinander. Hugelmann beanstandete schon im Jahr 1917 zu Recht, dass diese verschiedenen juristischen Deutungsversuche darauf verzichten, die größeren Zusammenhänge des Dt. Privatrechts fruchtbar zu machen. Das (historische) Dt. Privatrecht hat nämlich die private Gemeinschaft der Nachbarn seit jeher als rechtsfähige Gemeinschaft, nämlich als „Gemeinde“, anerkannt (Otto Gierke, Dt. Privatrecht Bd I, Allgemeiner Teil und Personenrecht (1895), 576 ff § 71: „Die alte Markgemeinde“ mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Der Tiroler Rechtsraum bildete diesbezüglich keine Ausnahme. Das Tirolische Gubernium hat mit einem „Gutachten“ aus der 2. Hälfte des 18. Jhdts sogar eine „klassische“ Definition der „nachbarschaftlichen Gemeinde“ überliefert.
Es ist auch keinesfalls davon auszugehen ist, dass das ABGB eine derart bedeutsame Anzahl von „Rechtserscheinungen“ gänzlich ungeregelt ließ. Mit den Regelungen betreffend die „moralische Person“ (§§ 26 f ABGB) haben diese „Rechtsverhältnisse“ vielmehr auch im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 1811 Anerkennung gefunden (Vgl schon: OGH vom 24. Juni 1936 3 Ob 347/35 (Dilisuna Alpinteressentschaft); OGH 11.4.1951 1 Ob 196/51; ORK 2.4.1955, EvBl 1956/65).
In der Tat gibt die Kommentierung Zeillers zu § 27 ABGB wertvolle Aufschlüsse darüber, was sich der historische Gesetzgeber unter der in §§ 26f ABGB definierten moralischen Person „Gemeinde“ vorgestellt hat. „Die unter öffentlicher Autorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die[jenigen] der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besondern Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte.“
Zeiller setzte also offensichtlich diverse verschiedene „Gemeinden“ voraus. Mit der moralischen Person in der Ausprägungsform der „Gemeinde gem § 27 ABGB“ anerkennt unser Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch – in Fortentwicklung der ausufernden Bestimmungen des Codex Theresianus zum Eigentum der „Gemeinden“ – Rechtsverhältnisse wie die unregulierten Agrargemeinschaften. Die „Gemeinde“ ist dabei nichts anderes als ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen – eine Gesellschaft.
Diese moralische Person, „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“, anerkannt in der Stammfassung des AGBG von 1811, darf nicht mit der modernen politischen Ortsgemeinde verwechselt werden. Vielmehr ist sie weitgehend mit derjenigen Erscheinung zu identifizieren, die Otto Gierke als „Realgenossenschaft“ beschrieb oder mit dem Rechtsgebilde, welches das „Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten“ aus dem Jahr 1794 (ALR 1794) mit dem Rechtsbegriff „Dorfgemeinde“ zu erfassen versuchte. (§ 18 II. 7 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten (ALR) aus dem Jahr 1794 definiert die „Dorfgemeinde“ wie folgt: „Die Besitzer der in einem Dorfe oder in dessen Feldmark gelegenen bäuerlichen Grundstücke machen zusammen die Dorfgemeinde aus“.)
Richtiger Weise ist jedenfalls auch die aus Servitutenablösung entstandene, unregulierte Agrargemeinschaft als moralische Person gem §§ 26f ABGB, das heißt „Gemeinde“, aufzufassen. Dies jedenfalls so lange, als diese Rechtsverhältnisse noch nicht als Körperschaft nach öffentlichem Recht durch das Flurverfassungsrecht erfasst wurden. Spätestens der gemeinschaftliche Erwerbsakt in Form des Servitutenablösungsvergleiches begründet die Rechtspersönlichkeit der moralischen Person. Solange das so erworbene (Gemeinschafts-)Vermögen existiert, bleibt auch die moralische Person bestehen.
Wohl in diesem Sinn ist es zu verstehen, wenn der OGH in der E vom 11.4.1951 1 Ob 196/51 die nicht regulierte Agrargemeinschaft ausdrücklich als juristische Person anerkannt hat.
OGH vom 11.4.1951 1 Ob 196/51 = SZ 24/98 = JBl 1952, 346; dies unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Ansicht von Klang in Klang, Anm zu § 361 ABGB; in diesem Sinn auch: OGH EvBl 1956/65, OGH vom 24. Juni 1936 3 Ob 347/35 (Dilisuna Alpinteressentschaft); Gschnitzer, Österreichischen Sachenrecht, 2. Aufl, bearbeitet von Faistenberger ua, 74; weitere Nachweise bei Aicher in: Rummel AGBG³ I Rz 11 zu § 26 ABGB.
Dieser moralischen Person „Gemeinde nbR“ gem § 26 f ABGB ist das Eigentumsrecht an der Ablöseliegenschaft als Ergebnis der Servitutenoperation zuzuordnen; die Mitglieder nutzen das Eigentum der moralischen Person kraft ihres (privaten) Mitgliedschaftsrechts an derselben. Diese Rechtsverhältnisse waren bis zum Eingreifen des Flurverfassungsrechtes vorauszusetzen.
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Aus: Öhlinger/Oberhofer/Kohl, Das Eigentum der Agrargemeinschaft, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hrsg), Die Agrargemeinschaften in Tirol Bd II. – Agrargemeinden und Agrarfraktionen (2012).
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
1. Aus Servitutenregulierung entstandenes Eigentum von „Gemeinden, zusammengesetzt aus Nutzungsberechtigten“ ist vom Gemeindegut streng zu trennen.
2. Der Rechtsbegriff „Gemeinde“ findet keinesfalls nur im politischen Gemeinderecht Verwendung, sondern insbesondere auch im Servituten-Ablösungsrecht. „Gemeinde“ (oder Ortschaft) ist danach der rechtspersönliche Zusammenschluss der Nutzungsberechtigten, dem das Ablösegrundstück in das Eigentum übertragen wurde.
3. Insoweit im Flurverfassungsrecht im Zusammenhang mit der Servitutenablösung davon die Rede ist, dass das Eigentum auf eine „Gemeinde (Ortschaft)“ übertragen wurde, handelt es sich um „Gemeinden“, die keine politischen Ortsgemeinden sind, sondern rechtpersönliche Gebilde, die sich aus den Eigentümern der jeweils berechtigten Stammsitze zusammen setzen.
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