Geboren 1920, begann Hans Richard Klecatsky nach dem Reichsarbeitsdienst in Tannheim (Tirol) und Saalfelden (Salzburg) im Wintersemester 1938/39 sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, das er kriegsbedingt bereits im September 1940 erfolgreich mit einem Magister abschließen konnte.
Zum 1. Oktober 1940 bis 8. Mai 1945 wurde er zur Wehrmacht eingezogen (Luftwaffe).
Nach dem Krieg nahm er seine akademischen Studien wieder auf und wurde 1947 zum Dr. jur. promoviert.
In der Folge trat er in den Justizdienst ein.
Die weiteren Schritte waren:
1951: Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes
1959: jüngster Hofrat und Richter am Verwaltungsgerichtshof
1964: auch Ersatzmitglied als Richter am Verfassungsgerichtshof
1960: Lehrauftrag an der Wiener Hochschule für Welthandel
1964: Habilitation an der Universität Innsbruck
21. Januar 1965: o. Universitätsprofessor für Öffentliches Recht
1966 – 1970: Bundesministers für Justiz (parteilos).
1965: bis zu seiner Emeritierung 1991: Vorstand des Instituts für öffentliches Recht und Politikwissenschaft an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Seit 1995 – 2015: Laufende Lehr- und Forschungstätigkeiten, vor allem auf dem Gebiet der Menschenrechte, des Volksgruppenrechtes und des Europarechts.
Ferner war Hans Klecatsky Gründungs- und Ehrenobmann des „Europäischen Ombudsmann-Instituts“ sowie Gründungs- und Ehrenmitglied der Österreichischen Juristen-Kommission.[5]
Ehrungen: Verdienstkreuz 1. Klasse des Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1958), Bayerischer Verdienstorden (1967), Großes Goldenes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich (1969), Großes Verdienstkreuz mit Stern des Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1972), Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages „Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit“ (1980), Golden Honorary Medal of the International Progress Organization I.P.O. (1983), Festschrift anlässlich des 70. Geburtstages „Recht als Aufgabe und Verantwortung“ (1990), Verdienstkreuz der Stadt Innsbruck (2005), Festschrift anlässlich des 90. Geburtstages „Ein Leben für Recht und Gerechtigkeit“ (2010). ©
Minister für Justiz aD. em. o. Univ.-Prof. Dr. Hans Richard Klecatsky war von dem Unrecht, das den Tiroler Agrargemeinschaftsmitgliedern widerfährt, tief betroffen. Wer ihn um eine Meinung zur Enteignung tausender Tirolerinnenb und Tiroler gebeten hat, bekam eine prägnante, einfache Antwort:
„Natürlich sind die Bauern die wahren Eigentümer der Gemeinschaftswälder. Die Bauern waren schon lange Eigentümer, da hat die moderne, heutige Ortsgemeinde noch gar nicht existiert!“ (Hans Richard Klecatsky)
Die Festschrift, die die Österreichischen Wissenschaftler Hans Richard Klecatsky anlässlich seines 90. Geburtstages widmeten, trägt bezeichnender Weise den Titel: „Ein Leben für Recht und Gerechtigkeit“.
Weil die Gerechtigkeit Hans Richard Klecatsky zeitlebens das größte Anliegen war, hat er sich im Sommer 2011 spontan bereit erklärt, ein Geleitwort zum zweiten Band der „Schriften zum Tiroler Agrarrecht, initiiert von plattform AGRAR, „Die Agrargemeinschaften in Westösterreich“, zu diktieren.
Dieses Geleitwort erweist eine im hohen Alter ungebrochene Schärfe juristischer Brillanz und die umfassende Kompetenz des bewährten akademischen Lehrers, der es meisterhaft versteht, komplexe juristische Argumentationsführung auf eine verständliche Sprache herunter zu brechen.
Mit freundlicher Genehmigung des juristisch en Fachverlages Lexis Nexis wird dieses großartige Plädoyer von Hans Richard Klecatsky gegen die Enteignung der Tiroler Grundbesitzer ungekürzt hier veröffentlicht.
Zum Geleit
Vorwort zum Forschungsband: Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) von Hans R. Klecatsky
Das Flurverfassungsrecht erweist sich auch im neuen Jahrtausend als Übungsfeld für politische Agitation. Der „Kampf um Wald und Weide“ ist in Tirol heute so populär wie nie zuvor. Otto Bauer hätte mit seinem gleichnamigen „Manifest für Besitzlose“ offenbar die Tiroler Seele von heute bestens getroffen; das Erscheinungsjahr 1928 (!) war wohl verfrüht.
Dass die Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsgütern im Wesentlichen nur die Eigentumsverhältnisse am verteilten Land, also am historischen Einzeleigentum, widerspiegeln – davor verschließt sich das Auge des Agitators. Dabei sind die Zusammenhänge einfach und leicht nachvollziehbar: Das Einzeleigentum der Mitglieder einer Dorfgemeinschaft entstand aus Teilungen der Allmende. Wer aus solchen Teilungen Einzeleigentum erwerben konnte, musste am ungeteilten Ganzen mitberechtigt gewesen sein. Die Gemeinschaft der Teilenden, die Gemeinschaft der „Urhausbesitzer“, ist Eigentümerin des ungeteilten Ganzen.
Das Einzeleigentum am „verteilten Land“ ist das Ergebnis der Mitberechtigung an der ehemaligen Allmende; die Gemeinschaft der „Urhausbesitzer“, heute als Agrargemeinschaft definiert, ist Eigentümerin des unverteilten Landes, heute agrargemeinschaftlicher Besitz.
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Julius Weiske machte auf diese zwingenden Zusammenhänge schon vor eineinhalb Jahrhunderten aufmerksam (Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder, Leipzig 1849, 10) und forderte eine Aufklärung aller Beteiligten darüber, wie die Gemeinschaftsgüter entstanden sind. Erforderte eine solche Aufklärung insbesondere darüber, dass die jetzt bevorzugt Erscheinenden die rechtlichen Nachfolger derer seien, die als „Urhausbesitzer“ bei Inbesitznahme der ganzen Flur die jetzt sog. Gemeindegüter ungeteilt ließen, um sie gemeinschaftlich oder nach bestimmt festgesetzten Anteilen für sich zu benutzen. Rückblickend müsse deshalb berücksichtigt werden, dass diejenigen, welche die Gemeinschaftsgüter ungeteilt ließen, „ebenso gut, wenn es ihr Interesse erfordert hätte, jene ungeteilt gebliebenen Grundstücke sich hätten zuteilen und zu ihren Äckern oder Privatgütern schlagen können.“ Mit anderen Worten: Wer berechtigt war zu teilen, war Eigentümer. Die Rechtsnachfolger jener, die einst geteilt haben, müssen konsequenter Weise auch heute noch Eigentümer sein.
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs Slg 9336/1982 fußte auf der Arbeitshypothese, dass das unverteilte Gemeinschaftsgut der historischen Wirtschaftsgenossenschaften mit der Errichtung der modernen Ortsgemeinde und deren Demokratisierung zum „Gemeindegut“ im Sinn von wahrem Eigentum der heutigen Ortsgemeinden geworden sei. Eine Rechtsgrundlage für einen Eigentumserwerb der heutigen Ortsgemeinden konnte das Erkenntnis freilich nicht nennen.
Dies ist nicht erstaunlich – es existiert keine Rechtsgrundlage für die Enteignung der historischen Wirtschaftsgenossenschaften! Der Gerichtshof glaubte diese in den Bestimmungen über die Benützung des Gemeindegutes zu erkennen. Auf derart unklarer Basis kann freilich nicht die Verstaatlichung aller Allmendliegenschaften zu Gunsten der neuen Ortsgemeinden unterstellt werden. Unter dem Begriff einer „Quasi-Erbschaft“ der Ortsgemeinde geistert diese Idee seit Jahrzehnten durch die agrarrechtliche Literatur. Im Erkenntnis B 639/10 vom 10.12.2010 hat der Verfassungsgerichtshof solchen Thesen selbst den Garaus gemacht.
Eine Kommunalisierung der Gemeinschaftsliegenschaften im Zuge der Demokratisierung der Gemeindestrukturen, wie sie unter dem Einfluss der Französischen Revolution in manchen Gegenden Süddeutschlands tatsächlich vollzogen wurde (vgl Otto Gierke, Deutsches Privatrecht I [1895] 594 f), scheidet für die österreichischen Länder aus. Das moderne Recht der Ortsgemeinde hatte die Systementscheidung getroffen, dass die Privatrechtsverhältnisse im Allgemeinen und diejenigen an den Gemeinschaftsliegenschaften im Speziellen durch die neue Gemeindeverfassung unberührt zu bleiben hätten (so schon überzeugend: Pernthaler, Eigentum am Gemeindegut, ZfV 2010, 376).
Ausdrücklich wurde dies in § 26 prov. GemG 1849 bzw §§ 11 oder 12 der Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 positivrechtlich verankert. Die heutigen Ortsgemeinden, eingerichtet aufgrund der Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862, können selbstverständlich Privateigentum besitzen; für den Erwerb von Privateigentum ist jedoch ein Eigentumstitel erforderlich.
Weil das politische Gemeinderecht keinen Eigentumstitel für die Rechtsnachfolge im Verhältnis zu den alten Wirtschaftsgenossenschaften vermittelte, bleibt nur die Feststellung, dass die historischen Nutzungseigentümer im Zuge der Grundentlastungsmaßnahmen bei Auflösung der feudal-staatlichen Eigentumsstrukturen zu Volleigentümern wurden. Hier besteht kein Unterschied zwischen der Entwicklung beim Einzeleigentum an Wäldern und Wiesen einerseits sowie bei den ungeteilten Gemeinschaftsgütern andererseits. Ein Einrücken der heutigen Ortsgemeinden in die Rechtsposition der ehemaligen Lehensherren, der historischen Obereigentümer, ist auszuschließen. In Tirol – genauso wie anderswo – erwies sich das geteilte Eigentum nicht als dauerhaft (Ehrenzweig nennt es ausdrücklich eine „Übergangserscheinung“). Mit Überwindung des Feudalstaates wurden die Gemeinschaften der Nutzungseigentümer auch in Tirol und Vorarlberg zu Eigentümern im Sinn des § 354 ABGB.
Dass der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 9336/1982 Otto Bauers Schrift„Kampf um Wald und Weide“ (1928) als Belegstelle zitierte, ist verwunderlich. Nicht weniger verwunderlich ist freilich, dass der Gerichtshof im Jahr 1982 dem Teilungs- und Regulierungsrecht gem Flurverfassung ein Recht zur Eigentumsablösung entnehmen konnte, obwohl sich das Teilungs- und Regulierungsrecht den gemeinschaftlichen Besitz- und Benützungsverhältnissen widmet, deren Rechtsverhältnisse zu klären seien.
In VfSlg 9336/1982 konnte auch keine greifbare Rechtsgrundlage für eine Eigentumsablösung zu Gunsten einer Agrargemeinschaft herausgearbeitet werden. Auch das ist gar nicht verwunderlich – existierte eine solche doch überhaupt nicht!
Der Gerichtshof glaubte die Eigentumsablösung den Regeln des Flurverfassungsrechts „in ihrem Zusammenhang“ entnehmen zu müssen. Eigentum einer Ortsgemeinde würde angeblich einer Agrargemeinschaft „zugeordnet“ und in der Folge unter Umständen der Aufteilung unterworfen.
Auf derart unklarer Grundlage kann freilich keine Eigentumsablösung zu Gunsten einer Agrargemeinschaft unterstellt werden. Das Gegenteil ist der Fall! Der Gesetzgeber hat seit jeher verlangt, dass die Agrarbehörde die (wahren) Eigentumsverhältnisse festzustellen – und sie nicht zu verändern – habe (§ 33 Abs 1 Vorarlberger FLG 1979 bzw § 37 Abs 1 Tiroler FLG 1978). Bemerkenswerter Weise setzte sich der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 9336/1982 in keiner Weise inhaltlich mit dieser Verpflichtung der Agrarbehörde auseinander.
Weil dem Verfassungsgerichtshof nicht unterstellt werden kann, er hätte diese Bestimmungen nicht gekannt, muss dieser davon ausgegangen sein, das Flurverfassungsrecht ordne die Aufteilung von festgestelltem Gemeindeeigentum auf Nutzungsberechtigte an oder dessen Übertragung auf eine Agrargemeinschaften der Nutzungsberechtigten.
Ein solches Auslegungsergebnis hätte jedoch durch verfassungskonforme Interpretation leicht vermieden werden können. Anstatt die These von der Eigentumsablösung in Frage zu stellen, wurde im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 bemängelt, dass das Flurverfassungsrecht das (angeblich) abgelöste Eigentum einer Ortsgemeinde nicht in entsprechende Anteilrechte ummünze. Weil dem Flurverfassungsrecht gerade keinerlei Zwangsablöseverfahren „Eigentum gegen Anteilsrecht“ unterstellt werden darf, ist die grundlegende These von VfSlg 9336/1982, wonach im Regulierungsverfahren Eigentum der Ortsgemeinden verloren ginge, zu verwerfen. Nur derjenige scheitert im Verfahren zur Klärung der Eigentumsrechte, der niemals Eigentümer war!
Damit nicht genug. Selbst der Kernsatz des Erk VfSlg 9336/1982, dass die Gemeindeordnungen der Länder – involviert waren die Landesrechte von Tirol und Vorarlberg – Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde definiere, steht in offenem Widerspruch zur historischen Wahrheit. Das `Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung´ unterliegt dem Kompetenztatbestand „Bodenreform“ gem Art 12 Bundesverfassungsgesetz. Als Reaktion auf das Inkrafttreten des BG betreffend Grundsätze für die Flurverfassung (FlVerfGG 1931, BGBl 256/1931) hatten beide Länder ihre Gemeindeordnungen den Vorgaben des Art 12 B-VG entsprechend angepasst. Auch im Gemeinderecht wurde beim „Gemeindegut“ die höchst bedeutsame Unterscheidung geschaffen: Für Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung sollten die Regelungen über die Flurverfassung gelten; die Gemeindeordnungen galten deshalb nur mehr für das Gemeindegut im Allgemeinen. Ausdrücklich normierte § 117 TGO 1935 (LGBl 36/1935), dass „für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht“, die „Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend“ seien. Der Kernsatz von VfSlg 9336/1982, die Gemeindeordnungen der Länder würden „Gemeindegut“ – undifferenziert (!) – als Eigentum der Ortsgemeinden definieren, ist somit falsch. Insoweit das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung stand, unterlag dieses der Flurverfassung und die Agrarbehörde hatte in jedem Einzelfall festzustellen und zu entscheiden, wer wahrer Eigentümer derartiger Liegenschaften war und ist.
Die Aufhebung des Tatbestandes „Gemeindegut“ als Anwendungsfall des Flurverfassungsrechts durch das Erk VfSlg 9336/1982 war deshalb Unrecht. Der Gedankenduktus des Erk erweist sich als eine Kette von Missverständnissen. (Dazu Kühne/Oberhofer, Gemeindegut und Anteilsrecht, in diesem Band 237ff.)
Das Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 beurteilte einen Sachverhalt, wonach die historische Agrarbehörde die Absicht gehabt hätte, Eigentum der Ortsgemeinde Mieders als Agrargemeinschaft zu organisieren. Weil die historische Behörde diesem Umstand bei der Feststellung der Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft keine Rechnung getragen hätte, forderte der Gerichtshof eine Anpassung der Anteilsrechte, damit dem (ehemaligen) Eigentum der Ortsgemeinde Genüge geleistet würde. Weil die historischen Nutzungsgemeinschaften der Nachbarn („Gemeinschaft Mieders“) bei der Auflösung der feudalen Eigentumsordnung zu (Voll-)Eigentümern gem § 354 ABGB geworden waren, ist das Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 „auf Sand gebaut“. Der Gemeinschaftswald von Mieders ist nicht weniger Gemeinschaftseigentum der „Urhausbesitzer“ als vergleichbare Gemeinschaftswälder in Salzburg (vgl dazu die Ausführungen in VfSlg 9336/1982, wonach aus Servitutenablösung im historischen Herzogtum Salzburg kein „Gemeindegut“ der heutigen Ortsgemeinde entstanden sein konnte). Inhaltlich vergleichbare Servitutenablösungsmaßnehmen hatten nicht nur in Salzburg, sondern gerade auch in Tirol stattgefunden (Tiroler Forstregulierung 1847). Auch aus der Forstservitutenablösung im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 ist kein Gemeindegut im heutigen Sinn entstanden.
VfSlg 18.446/2008 bewirkte jedoch einen Paradigmenwechsel der Tiroler Politik. Mit der Novelle zum Tiroler Flurverfassungsgesetz 2010 hat der Landesgesetzgeber einen neuen Typus eines eigentumsähnlichen „Substanz-Rechtsanspruches“ der Gemeinde geschaffen, „der alle wesentlichen Eigentumsfunktionen vom privatrechtlichen Eigentum der Agrargemeinschaft absaugt“. Das Eigentum der Agrargemeinschaft soll als inhaltlich begrenztes Nutzungsrecht zurück bleiben (Pernthaler, Verfassungsrechtliche Probleme der TFLG-Novelle 2010, in diesem Band 495ff). Die Agrargemeinschaft wird zum „Hausmeister“ der Ortsgemeinde „degradiert“. Dies alles gerade so, als habe die Grundentlastung und die Abschaffung des „geteilten Eigentums“ gem Art 7 Staatsgrundgesetz 1867 das „Kronland Tirol“ nie berührt.
Anfang der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts sah man die Sachlage in Tirol freilich noch ganz anders: „Der Ursprung [des Gemeindegutes] ist das deutschrechtliche genossenschaftliche Institut der gemeinsamen Nutzung (Allmende), die den jeweiligen Eigentümern berechtigter Höfe bzw den Gemeindeangehörigen als Allmendnutzungsberechtigten zustand. […] Für diese gemeinschaftliche Nutzung haben sich eigene Gemeinschaften (Nachbarschaften, frühere ursprünglich selbständige Gemeinden) herausgebildet, […]. Sie gelten heute als Agrargemeinschaften. In vielen Gemeinden war jedoch die Gemeinde als solche, nämlich die alte so genannte `Realgemeinde´ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen. Dafür wurde dann der Begriff `Gemeindegut´ verwendet.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982)
„Gemeindegut“ bezeichnete sohin nach dem Sprachgebrauch der Tiroler Agrarjuristen ein Gut im Eigentum einer agrarischen Gemeinschaft, bei welcher die gesamte `Realgemeinde´ als Nutzungsgemeinschaft Zuordnungspunkt dieser Nutzungen war. Unabhängig von der Größe einer Gemeinschaftsliegenschaft gilt: Immer ist die Gemeinschaft als solche Zuordnungspunkt dieser Nutzungen und diese Gemeinschaft wurde in alter Zeit „Gemeinde“ genannt. Berücksichtigt man den historischen Sprachgebrauch, dann fehlt jede Veranlassung für die Unterstellung, die historischen Agrarbehörden wollten ohne irgendeine gesetzliche Grundlage Gemeindeeigentum in Agrargemeinschaften einbringen und mit der „Feststellung von Gemeindegut“ die Substanz aus dem Eigentum zu Gunsten der Ortsgemeinden „konservieren“. Art 7 StGG 1867 gewährleistet gerade zum Schutz des landwirtschaftlich genutzten Eigentums die Einheit von Nutzungsrecht und Substanz. Die historischen Regulierungsakte der Agrarbehörde hätten deshalb nie im Sinn einer Aufspaltung des Eigentumsrechts – hier landwirtschaftliche Nutzung, dort Substanz – interpretiert werden dürfen.
Die Aussagekraft der Tiroler Grundbuchanlegung betreffend, muss darauf verwiesen werden, dass die Tiroler Landesregierung die Verhältnisse Anfang der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts ausgesprochen kritisch beurteilt hatte: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982) Die Tiroler Landesregierung ging bei den Gemeinschaftsgütern von einer willkürlichen, nicht nachvollziehbaren Anschreibetechnik der Grundbuchanlegungsbeamten aus. Gerald Kohl bestätigt in seiner Abhandlung „Die Tiroler Grundbuchanlegung und das Fraktionseigentum“ (in diesem Band 177ff) die Richtigkeit der Analyse des Jahres 1982. Dabei wird offensichtlich, dass die historischen Akteure nicht (mehr) in der Lage waren, das Gemeinschaftsgüter der Nachbarn vom Gemeindegut der politischen Ortsgemeinde zu unterscheiden.
Wie anhand der Judikatur des Obersten Agrarsenates ersichtlich, war die Tiroler Grundbuchsanlegung in dieser Hinsicht nicht besser oder schlechter als jene in anderen Ländern. „Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde – auch Ortsgemeinde genannt – zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit Gemeinde, Gmoa, Marktgemeinde oder Commune bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung nicht bewusst wurde,“ das Flurverfassungsrecht hat an diesen „geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft“ und das Flurverfassungsrecht hat „die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet.“ (245-OAS/58 vom 6.10.1958 im Fall der „Commune Markt Ysper“, Seite 14 der Originalentscheidung)
Wer somit näher hinsieht, vermag leicht zu erkennen, was die historische Agrarbehörde unternommen hat. Entsprechend einem klaren gesetzlichen Auftrag des Gemeinderechts einerseits und des Flurverfassungsrechts andererseits (beides auf der Grundlage von Art 12 der Bundesverfassung) wurden die in Gemeinschaftsnutzung stehenden Gemeinschaftsgüter identifiziert, Nutzung und Verwaltung strukturiert und in diesem Zuge gemäß gesetzlichen Vorgaben festgestellt, wem diese Liegenschaften gehören. Soweit sich das historische Grundbuch als falsch erwies, wurde der unrichtige Grundbuchstand berichtigt.
Es wäre falsch, nun ohne jedes Verständnis für die juristischen Zusammenhänge und rechtshistorischen Entwicklungen einen Schritt zurück zu setzen, also materiell falsche oder mehrdeutige Grundbuchseintragungen zum Anknüpfungspunkt rechtlicher Beurteilung zu wählen und die jahrzehntelange mühevolle Arbeit der Agrarbehörden zu diskreditieren und zu annullieren. Eine solche Vorgangsweise wäre nicht bloß grob unsachlich, sondern ein fundamentaler Rück-Schritt für den Rechtsstaat.
Schlicht unnachvollziehbar ist es, dass der Verwaltungsgerichtshof in einer ersten Serie von Entscheidungen vom 30.6.2011 den Standpunkt eingenommen hat, jede Entscheidung der historischen Agrarbehörde zum Tatbestand „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ indiziere unwiderlegbar ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde. Die von der TFLG-Novelle 2010 geforderte Prüfung der historischen Eigentumsverhältnisse wurde nicht vorgenommen, sondern unterstellt, dass jede Entscheidung zum Tatbestand „Gemeindegut“ zwingend ehemaliges Eigentum der heutigen Ortsgemeinde voraussetze.
Zwangsläufig hat dies die groteske Konsequenz, dass die historische Agrarbehörde mit einer Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet zu Gunsten der Agrargemeinschaft, gleichzeitig die „Substanz“ zu Gunsten der Ortsgemeinde enteignet hätte! Wo bleiben die Bemühungen um verfassungskonforme Interpretation, welche im Erk VfSlg 18.446/2008 über Gebühr strapaziert wurden, als es darum ging, zu Lasten der Stammliegenschaftsbesitzer angebliches historisches Gemeindeeigentum zu schützen? Gilt neuerdings das Gebot zur verfassungskonformen Auslegung historischer Rechtsakte als ein Instrument, mit Hilfe dessen der Staat seine Bürger enteignet?
Damit scheint zwangsläufig der Weg vorgezeichnet, dass die Stammliegenschaftsbesitzer den Schutz der Menschenrechtskonvention für ihr Anteilrecht einfordern! Der Österreichischen Rechtskultur wird mit derartigen Verkenntnissen jedenfalls ein schlechter Dienst erwiesen.
Hans R. Klecatsky, Em. o. Universitätsprofessor, Bundesminister für Justiz aD
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