Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler bezieht klar Stellung gegen die derzeitige politische Einschätzung im Tiroler Landtag betreffend „Gemeindegut“. Er sieht eine rückwärts gerichtete Entwicklung des Agrarrechts „zurück hinter den Artikel 7 des Staatsgrundgesetzes von 1867“.
Der Verfassungsgesetzgeber wollte damals das geteilte landwirtschaftliche Eigentum abschaffen. Nun soll ein geteiltes Eigentum im Großteil der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften stecken?
Pernthaler: „Im Jahr 1982 hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den offenkundig falschen Rechtsstandpunkt gestellt: Gemeindegut müsse im Flurverfassungsrecht und im Gemeinderecht Eigentum einer Ortsgemeinde sein. Abgeleitet wurde dieser Rechtssatz aus dem provisorischen Gemeindegesetz von 1849. Deshalb wurden die Bestimmungen des Flurverfassungsrechts als verfassungswidrig aufgehoben.“
Die Grundlagen dieses Erkenntnisses seien aber falsch – so Pernthaler weiter. Das Gesetz könne die Eigentumsverhältnisse für den konkreten Fall nicht definieren! „Vielmehr war und ist es Auftrag der Agrarbehörde, im Einzelfall zu klären, in wessen Eigentum Liegenschaften stehen.“
Und wenn die Agrarbehörde rechtskräftig emntschieden habe, dass ein Eigentum einer Agrargemeisnchaft vorliege, dann sei das nicht weniger rechtskräftig und bindend als wenn eine Entscheidung zu Gunsten einer Ortsgemeinde gefällt wurde!
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Interview mit em o. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler
GUT:Sehr geehrter Herr Professor, was veranlasst Sie, für den Rechtsstandpunkt der Tiroler Agrargemeinschaften einzutreten?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Der Grund ist ein ganz einfacher: Ich habe mich mein ganzes Berufsleben für das Recht eingesetzt und erkannt, dass den Agrargemeinschaften und ihren Mitgliedern Unrecht widerfährt.
GUT:Können Sie das näher erklären?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Im Jahr 1982 hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den offenkundig falschen Rechtsstandpunkt gestellt: „Gemeindegut“ müsse im Flurverfassungsrecht und im Gemeinderecht Eigentum einer Ortsgemeinde sein. Abgeleitet wurde dieser Rechtssatz aus dem „provisorischen Gemeindegesetz“ von 1849. Deshalb wurden die Bestimmungen des Flurverfassungsrechts als verfassungswidrig aufgehoben. Die Grundlagen dieses Erkenntnisses sind aber falsch. Das Gesetz kann die Eigentumsverhältnisse für den konkreten Fall nicht definieren. Vielmehr war und ist es Auftrag der Agrarbehörde, im Einzelfall zu klären, in wessen Eigentum Liegenschaften stehen.
GUT:Gab es 1982 Anhaltspunkte, dass Gemeindegut Eigentum der Ortsgemeinde wäre?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Nein. Nach den Gesetzen des 19. Jahrhunderts war die Ortsgemeinde im Streitfall zuständig für die Nutzungsverhältnisse am Gemeindegut. Auf Grundlage der Bundesverfassung 1920 wurde der Gesetzesvollzug der Agrarbehörde übertragen. Anhand der neuen Landesflurverfassungsgesetze entschieden in der Folge die Agrarbehörden über die Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut. Ihre Bescheide haben die Wirkung von Gerichtsurteilen.
GUT:Ist Ihnen bei Ihren Forschungen so etwas wie ein „atypisches Gemeindegut“ untergekommen?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Nein, niemals. „Atypisches Gemeindegut“ wurde im Fall „Mieders“ vom Verfassungsgerichtshof erfunden. Beim Gemeindegut handelt es sich um Gemeinschaftsliegenschaften, die in Anwendung der Gemeindeordnung verwaltet werden. Wenn sich die Beteiligten darauf einigen, dass die Ortsgemeinde Eigentümerin sein soll, so ist dies möglich. Genauso können sich die Beteiligten einigen, dass nur gewisse Teile des Gemeinschaftsgebietes in das Eigentum der Ortsgemeinde gelangen und der Rest als Agrargemeinschaft umgegründet wird. Gibt es kein Parteienübereinkommen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass alle Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft bilden, der das Eigentumsrecht am gemeinschaftlich genutzten Gebiet zusteht. Nutzung ist nämlich der stärkste Ausdruck des Eigentumsrechts. Wer eine Jahrhunderte lange Nutzung seiner Rechtsvorgänger beweisen kann, ist heute Eigentümer. „Obereigentum“ kann nicht als „Substanzrecht“ des Staates oder der Ortsgemeinden heute wieder auferstehen.
GUT:Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung auf Grund des „Mieders-Erkenntnisses“ ein?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Der Verfassungsgerichtshof hat bereits 2010 im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ Grundsätze aufgestellt, wie seitens der Agrarbehörde vorzugehen sei, um über das Eigentum der Ortsgemeinde zu entscheiden. Es kommt auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt vor dem Einschreiten der Agrarbehörde an. Es muss geprüft werden, wer wahrer Eigentümer der betreffenden Liegenschaften war. Mögliche Fehler bei der Grundbuchanlegung müssen in Betracht gezogen werden.
GUT:Wie lassen sich die heutigen Bescheide der Tiroler Agrarbehörden damit vereinbaren?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Gar nicht! Die Agrarbehörden orientieren sich nicht daran, wer zivilrechtlicher Eigentümer war und einen Eigentumstitel besessen hat. Die Verfassung und der Eigentumsschutz kommen dadurch unter die Räder. Tausende Tirolerinnen und Tiroler werden offenbar entschädigungslos enteignet!
GUT:Warum schreitet dann der Verfassungsgerichtshof nicht ein?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Der Verwaltungsgerichtshof hat es abgelehnt, die historischen Eigentumsverhältnisse zu prüfen. Möglicherweise wollte man die juristischen Mühen scheuen. Angesichts des zerbrochenen Porzellans scheint nun der Verfassungsgerichtshof nicht weiter einschreiten zu wollen, sodass die Tiroler Behörden ungehindert entgegen den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ entscheiden können.
GUT:Können Sie die heutige Entscheidungspraxis der Agrarbehörde charakterisieren?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Wenn die Agrarbehörde urspünglich von „Gemeindegut“ ausging, dann soll der Ortsgemeinde heute ein „Substanzrecht“ zustehen. Dass der Verfassungsgerichtshof festgestellt hatte, dass im Tiroler Flurverfassungsrecht der Begriff „Gemeindegut“ für Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde, wird ignoriert. Die Ergebnisse der seinerzeitigen Regulierungsverfahren werden heute mit juristischen Finten auf den Kopf gestellt.
GUT:Das sind harte Worte gegen die Tiroler Behörden!
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: In meinem Alter kann ich mir klare Worte leisten. In Vorarlberg hat man zuerst die Rechtslage sondiert und genau geprüft, was in den historischen Regulierungsverfahren geschehen ist. In mehreren Bescheiden seit Herbst 2011 sind die Vorarlberger Agrarbehörden zu der Erkenntnis gelangt, dass den Vorarlberger Ortsgemeinden gerade kein „Substanzrecht“ zusteht. Nichts anderes kann für Tirol gelten.
GUT:Was würden Sie sich nach den Landtagswahlen von den Beamten wünschen?
Univ.-Prof. Dr. Pernthaler: Ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die Behörden politische Vorgaben umsetzen. Ich will deshalb einen bescheidenen Wunsch an die Tiroler Politiker aussprechen. Ich wünsche mir, dass sie das Buch des „Vaters des Österreichischen Agrarrechts“ Carl Peyrer, „Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse“, lesen, um zu wissen, warum das Teilungs- und Regulierungsrecht überhaupt geschaffen wurde.
…
Interview aus Gemeindegut. Unabhängiges Magazin für Tirolerinnen und Tiroler, Heft 1 / März 2013. MP
Die Tiroler Forstregulierung ist ein Abbild im Kleinen, was im Großen generelle politische Entwicklung war: Die feudalen Herrschaftsstrukturen, die wesentlich auf dem Eigentumsrecht gründeten, wurden aufgelöst. Die einfachen Landeseinwohner erkämpften sich das Eigentumsrecht an ihrem Besitz. Was in der Stadt seit Jahrhunderten Selbstverständlichkeit war, setzte sich auch in den Dorfgesellschaften durch.
Die Tiroler glaubten an ihre Sonderstellung im Kaisertum Österreich, die sie durch die Verteidigung des Hauses Habsburg mit ihrem Leben erkämpft hatten (mehr dazu) und sie forderten seit Ende der 1830er Jahre in hunderten Rechtsstreitigkeiten gegen das kaiserliche Aerar das Eigentum an den Gemeinschaftswäldern. (mehr dazu) Kaiser Ferdinand und sein Beraterstab hatten letztlich ein Einsehen und im Februar 1847 wurde für die gesamte gefürste Grafschaft Tirol, nicht jedoch im Land Vorarlberg, die Bereinigung des Obereigentums an den Gemeinschaftswäldern angeordnet. Den tatsächlichen Jahrhunderte alten Besitzverhältnissen wurde Rechnung getragen.
Art. 1 des Forstregulierungspatents 1847 unterteilte Tirol in zwei Regionen, einmal die Kreise Oberinntal und Unterinntal samt wenigen bestimmt bezeichneten Forsten Südtirols, somit im Wesentlichen das ganze heutige Nordtirol auf der einen Seite, und das restliche Tirol einschließlich Osttirol auf der anderen Seite. Immer wieder wird diese Unterscheidung übersehen. Staatlichen Maßnahmen in Nordtirol waren die Anerkennung von ersessenem Eigentum, die Privatforsteigentumspurifikation gem. Art. 2 des Forstregulierungspatents 1847, und die Ablösung der Forstservituten gegen privates Gemeinschaftseigentum, die Forstservitutenablösung gem. Art. 3 des Forstregulierungspatents 1847. Auf der Grundlage von Art. 4 des Forstregulierungspatents 1847 wurde unter dem 17. Juni 1847 eine Ausführungsverordnung erlassen, die geregelt hat, wie und unter welchen Voraussetzungen in Nordtirol ersessenes Waldeigentum anzuerkennen war. Diese Ausführungsverordnung ist unter der Bezeichnung „Instruktion für die Forsteigentumspurifikationskommission“ vom 17. Juni 1847 bekannt. Die Bestimmungen dieser Ausführungsverordnung lauten (auszugsweise) wie folgt:
„Instruction für die Commission zur Purifizirung der Privat Eigenthums-Ansprüche auf Wälder in jenen Landestheilen oder Forstgebieten Tirols, in welchen das l. f. Forsthoheits-Recht vorbehalten bleibt.
§ 1. Se. kk. Majestät haben mit allerhöchster Entschliessung vom 6. Februar d. J. zur Regulirung der Forstverhältniße in Tirol auch Folgendes zu bestimmen geruht:
1. Das jeden Privatbesitz, außer in Folge landesfürstlicher Verleihung, ausschließende landesfürstliche Hoheitsrecht über die Wälder Tirols wird auf die Waldungen des Ober- und des Unter-Innthales, dann des Wippthales, welche sich gegenwärtig unter Verwaltung der Staatsbehörden befinden, dann in den übrigen Landestheilen: a. auf den Forstcomplex Paneveggio und Cadino im Fleimser-Thale, b. auf die Forste Kar und Latemar im Botzner-Kreise, welche sämtlich gleichfalls unter Verwaltung der Staatsbehörden stehen, beschränkt. c. die zu den montanistischen Werken am Schneeberge und in Pfundern, dann zur aerarialischen Schmelzhütte in Klausen gehörigen und erforderlichen Forste haben ebenfalls landesfürstlich zu verbleiben. Über die Primörer-Forste wird die im administrativen Wege schwebende, abgesonderte Verhandlung zur Entscheidung führen.
2. Auch in Ansehung dieser Forste, in Absicht auf welche das landesfürstliche Hoheitsrecht aufrecht verbleibt, gestatten Seine Majestät bei Beurtheilung der Eigenthums-Ansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältniße, für das Vergangene die Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes, jedoch nur dann, und in so ferne, als diese Ansprüche entweder schon derzeit gerichtlich gestellt sind, oder binnen drei Monaten vom Tage, an welchem eine zur Purifikation dieser Eigenthums-Ansprüche auszusendende Commission den Beginn ihrer Wirksamkeit bekannt gemacht haben wird, bei eben dieser Commißion angemeldet werden. Diese Commißion wird, nach einer weiteren Bestimmung der allerhöchsten Resolution vom 6. Februar d. J. über vorläufige Aufforderung der Betheiligten zur Anmeldung ihrer Ansprüche und Produzirung ihrer Besitztitel bei den nach Grundsätzen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes unzweifelhaften Privat-Eigenthums-Rechten dieselben im Namen der Staatsverwaltung als solche anerkennen, bei den zweifelhaften hingegen mit den betreffenden Parteien eine gütliche Ausgleichung versuchen und nach Umständen bewirken. Wo Letzteres nicht möglich sein sollte, wird den Parteien unbenommen bleiben, mit ihren vermeintlichen Ansprüchen wider das Aerar den Rechtsweg fortzusetzen oder zu betreten, und die Commißion selbst wird sie auf solchen verweisen. Auf demselben wird jedoch, nach der a. h. Entschließung vom 6. Februar d. J. die Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes nur hinsichtlich jener Ansprüche gestattet sein, welche binnen obgedachten Termines von drei Monaten bei der Forsteigenthums-Purifikations-Commission angemeldet wurden, oder die schon bei Kundmachung der allerhöchsten Resoluzion vom 6. Februar d. J. vor einer Gerichtsstelle anhängig waren.
Aus dem Gesagten ergibt sich Zweck und Bestimmung der Commission. Sie ist die Behörde, welche im Auftrag und im Namen der obersten Finanzverwaltung alle Ansprecher von Privatforsteigenthum – Individuen wie Gemeinden – in den Gebieten, wo das landesfürstliche Forsthoheitsrecht, gemäß der a. h. Entschließung vom 6. Februar d. J. aufrecht verblieb, auffordern wird, die Eigenthums-Ansprüche auf Forste, Alpen oder Auen bei ihr, der Commißion, anzumelden und nachzuweisen, und welche diese Ansprüche, über vorläufige Untersuchung der Rechtstitel, nach Grundsätzen des bürgerlichen Rechtes im Allgemeinen, und nach den besonderen Andeutungen gegenwärtiger Instruction, im Namen der obersten Finanzverwaltung entweder anerkennt, oder wo die vollständige Anerkennung, der Zweifelhaftigkeit des Rechtes wegen, nicht möglich ist, über eine Ausgleichung mit den Parteien im gütlichen Wege unterhandelt, oder endlich die Ansprüche ab- und zur Austragung vor den Richter verweist, der, den Bestimmungen der allerhöchsten Resoluzion vom 6. Februar d. J. gemäß, fortan nicht mehr das mit der Salinendirection vereinigte Berggericht, sondern der ordentliche Gerichtsstand des kaiserlichen Fiskus sein wird. Die Commißion ist ferner die Behörde, von welcher binnen des Praeclusivtermines von drei Monaten alle solche Ansprüche – es sei denn, daß sie bei Kundmachung der allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar d. J. bereits vor Gericht anhängig waren – angebracht werden müssen, um entweder die Anerkennung von Seite der obersten Finanzverwaltung zu erlangen, oder falls diese aussergerichtliche Anerkennung nicht Stattfinden, oder zu Stande kommen könnte, der allerhöchsten Bestimmung gemäß sofort im Rechts-Wege nach den Grundsätzen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes auszutragen.
Die Commißion hat also die Bestimmung, in jenen Forstgebieten Tirols, in welchem das lf. Forsthoheits-Recht als Regel aufrecht verbleibt, Namens der obersten Finanzverwaltung – welche dieses Hoheitsrecht zu wahren, und aus demselben jeden Privat-Forstbesitzer zur Nachweisung seines Besitztitels aufzufordern berechtiget ist – das Privatforsteigenthum im außergerichtlichen Wege zu liquidiren, wodurch dasselbe von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert, und in dieser, besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehung den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Aerar ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll. Als gleichzeitige Folge der Lösung dieser Aufgabe der Kommißion ergibt sich die Erreichung des Zweckes: daß auch das dem Staate, als Ausfluss des lf. Hoheitsrechtes zustehende Forsteigenthum von Besitz-Ansprüchen der Privaten, und zwar auf immerwährende Zeiten reingestellt wird, weil – nachdem die ah: Entschließung vom 6. Februar d. J. das landesf. Hoheitsrecht in den aerarischen Forstgebieten nach Ablauf der Amtshandlung dieser Purifikationskommission unbedingt, d. i. mit Ausschluß der Giltigkeit jedes anderen Privatbesitztitels als den einer landesfürstlichen Eigenthums-Verleihung, aufrecht erhält – Privatoccupationen landesfürstlicher Forste mit einer, für das Eigenthum des Aerars nachtheiligen Folge nicht mehr Statt finden können.
§. 2. […]
§. 14. Als Privateigenthum sind, wie sich im Allgemeinen schon von selbst versteht, nur solche Forste anzuerkennen, welche entweder nach den Besitz-Urkunden, oder nach sonstigen Titeln als wirkliches Eigenthum, und nicht bloß zur Nutznießung von Privaten beseßen worden sind. Unter solchen Umständen sind insbesondere folgende als Privat-Eigenthum anzuerkennen:
a. […] Es folgen ausführliche Regelungen, wann die Forsteigentums-Purifikations-Kommission ersessenes Waldeigentum anzuerkennen hat.“
DIE „FEPT“ DER LANDGERICHTE
Die „Privatforsteigentums-Purifikationskommission“ hat mittels öffentlicher Verlautbarung alle Berechtigten zur „Produzierung ihrer Besitztitel“ aufgefordert. Die eingegangenen Anmeldungen wurden geprüft und entweder anerkannt oder abgewiesen. Dies gegliedert für jedes historische Landgericht. So sind für alle, damaligen Landgerichtsbezirke so genannte „Forsteigentums-Purifikations-Tabellen“ („FEPT“) entstanden, die in der Folge als Eigentumstitel im Tiroler Verfachbuch eingetragen wurden. Somit gibt es FEPTs des Landgerichts Ischgl genauso wie der Landgerichte Kufstein und Kitzbühel. Es ist jeweils die Person des Anmeldenden verzeichnet, teilweise der Rechtsgrund, auf den sich der Anmeldende berufen hat, ob besondere Anmerkungen zu machen seien und ob das Eigentum anerkannt oder nicht anerkannt werde. Beispielsweise zählt die FEPT des Landgerichts Silz 59 Tabellen samt „Fortsetzungen“ dazu.
Als zweite Maßnahme sah das Forstregulierungspatent 1847 vor, dass die Forstservituten gegen privates Gemeinschaftseigentum abgelöst werden (Art. 3 Forstregulierungspatent). Auf der Grundlage von Art. 4 des Forstregulierungspatents 1847 wurde am 1. Mai 1847 eine Ausführungsverordnung erlassen, mit der eine spezielle Kommission zur Ablösung der Forstservituten eingesetzt wurde; zusätzlich wurde die Vorgehensweise dieser Kommission genau geregelt. Darüber hinaus hat die Regierung in Wien Vorkehrungen getroffen, damit diese Kommission nicht mit jedem Hofbesitzer einzeln verhandeln musste. Die Hofbesitzer wurden organisiert und die Wahl von Bevollmächtigten geregelt. Die Kommission konnte dadurch nachbarschafts- bzw. gemeindeweise Ablösevergleiche errichten. Die gesetzliche Grundlage dafür befand sich in Art. 3 Abs. 2 Forstregulierungspatent 1847. Die Ausführungsverordnung betreffend Wahl von Bevollmächtigten stammt vom 29. Juni 1847.
Die beiden Verordnungen lauten (auszugsweise) wie folgt:
„Instruktion für die Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols.
Gemäß dritten Absatzes der mit Hofkammerpraesidial-Dekret vom 1. vM. Z. 112 und mit Hofkanzleidekret vom 11. d. M. Z. 12117 den Tiroler Landesbehörden eröffneten allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar dJ. geruhten Se. kk: Majestät allergnädigst anzubefehlen, daß in den künftig vorbehaltenen Staatswäldern Tirols die Holzbezugsrechte und Gnadenholzbezüge der Unterthanen, in so fern ihnen solche nach den alten Waldordnungen zukommen, durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forsttheile in das volle Eigenthum, und zwar nicht der einzelnen Unterthanen, sondern der betreffenden Gemeinden, so weit es nur immer zulässig ist, abgelöst werden sollen.
Nach Absatz 4. dieser allerhöchsten Entschließung ist zum Behufe der Ablösung dieser Holzbezugs- und sonstigen Rechte in künftig vorbehaltenen Staatswäldern eine Commißion auszusenden, welche die dießfälligen Ausgleichungen mit den einzelnen Gemeinden zu bewerkstelligen haben wird.
Das Hofkammer-Praesidium findet im Einvernehmen mit dem Herrn obersten Kanzler dem kk. wirklichen Regierungs- und Forstrathe Freiherrn Binder v. Kriegelstein, die Leitung dieser Commißion zu übertragen, welche ferner aus folgenden Personen bestehen wird: A. Im Salinenforst-Bezirke: 1. Aus dem wirklichen Bergrathe der kk: Berg- und Salinen-Direction zu Hall, Gottlieb Zöttl; 2. […]
Was die Grundsätze anbelangt, welche bei den Ablösungsverhandlungen zur Richtschnur zu nehmen sind, so haben Se. Majestät zu befehlen geruht, dass in möglichst ausgedehntem Maße dahin gewirkt werde, die Ablösung der Beholzungsservitut durch Abtretung eines verhältnißmäßigen Theiles der belasteten Staatsforste im Inn- und Wippthale zu Stande zu bringen.
Sofort ist sich in erster Linie die unumgängliche Nothwendigkeit der Erhaltung des phisikalischen Bestandes der betreffenden Gebirge gegenwärtig zu halten, und da angenommen werden muß, daß selber durch den Vorbehalt des aerarischen Eigenthumsrechtes auf die Forsttheile mittelst deren Conservirung jener geschützt ist, besser als durch das gemessenste Forstpolizeigesetz erhalten werden kann: so sind solche Forsttheile, deren besondere Pflege nothwendig wird, um das Absitzen der Berge, das Austreten der Wässer u. dgl. gemeinschädliche Ereignisse hindanzuhalten, so weit es die Lokalverhältniße nur immer zuläßig machen, nicht den Gemeinden abzutreten, sondern dem Aerar vorzubehalten. In zweiter Linie kömmt die bisherige Deckung des aerarischen Holzbedarfes, wozu insbesondere auch die Bringbarkeit desselben zu den dermal bestehenden aerarischen Werken gehört, zu berücksichtigen.
Die Deckung des Haus- und Guts-Beholzungs-Bedürfnißes der Unterthanen ist vollständig, jedoch nur in so fern, als es rechtlich und wirklich besteht, im Auge zu behalten, jeder Bezug der Unterthanen aber überhaupt nur mit jenen Modalitäten, unter welchen ihnen die einzelnen Genußrechte nach den verschiedenen Forstgebiethen bisher zugestanden haben. Es muß daher, wenn die Ablösungsverhandlung in einer Gemeinde begonnen wird, das erste Geschäft der Commißion sein, diese Modalitäten genau zu constatiren, und findet die Einbeziehung solcher Gutsbesitzer, welche bereits eine ihrem Bedarf entsprechende Waldfläche in Folge Auftheilung oder Verleihung, oder die überhaupt aus einem stichhältigen Grunde gegenwärtig keine Bezüge in Staatsforsten besitzen, in die Zahl der Gemeindeglieder, für deren Bedürfniß durch die Abtretung von Aerarialforsttheilen zu sorgen ist, nicht Statt.
Die Genußrechte der Unterthanen sind übrigens (außer den geringfügigeren, z: B: des Pechklaubens, u. s. w.) vornehmlich nachstehende: 1. Die Beholzungsservitut. Sie besteht in dem Befugniße, aus den gemeinen Waldungen das zum Haus- und Gutsbedarf erforderliche Brenn- und Bauholz (auf Auszeigung des gemeinen Waldmeisters) unentgeldlich zu beziehen. Die Ablösungskommißion hat sich gegenwärtig zu halten, daß dieses Befugniß nur dem Bauernstande, d: i: den Besitzern von Grund und Boden zusteht; dem Gewerbstande kann es im Allgemeinen nach Analogie mit Titel II. Buch IV der Tiroler-Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbstandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen. Das Hofkammerpraesidium findet sich jedoch bestimt, bei den radizirten Gewerben eine Ausnahme zu gestatten und zu bewilligen, daß bei denselben auf einen über die Verjährungszeit hinausreichenden Besitzstand, auf den Inhalt des ursprünglichen Steuerkatasters, auf allenfalls bestehende, an ein landesfürstliches Urbarium zu entrichtende Feuerstattzinse, oder auf sonst den eben angeführten ähnliche, besonders beachtenswerthe Verhältniße in der Art Rücksicht genommen werden dürfe, daß ihr auf das Genaueste zu erhebender, bisheriger Bedarf, nicht aber auch die Möglichkeit einer Steigerung desselben, in den Gesamtbestand der in einer Gemeinde abzulösenden Beholzungsbefugnisse einbezogen werde. Bei Vorlage der Ablösungsoperate zur Genehmigung des Hofkammerpraesidiums ist die Einbeziehung solcher Gewerbsholzbedarfe in die Ablösung besonders anzugeben und zu begründen. Überhaupt ist bei der, jeder Ablösungsverhandlung vorausgehenden, näheren Constatirung der Beholzungsbefugniß der einzelnen Gemeinden auf landesfürstliche, oder auf Verleihungen einer competenten Behörde, auf das Steuerkataster, auf allfällige Theillibelle, alte Kontrakte oder Vergleiche zwischen einzelnen Gemeinden, dann auf einen über die Verjährungszeit hinausreichenden Besitzstand Rücksicht zu nehmen. Hinsichtlich der Neubauten und der Vergrößerung bestehender Bauten kann das Recht der Einforstung nicht zugestanden werden; auf die Herhaltung der mit Feuerstattzinsen belegten Häuser ist jedoch gebührende Rücksicht zu nehmen. […] 2. Das Weidebefugniß, […] 3. Der Streubezug, […] 4. Grasmähen oder Grasausraufen […]
Da jedoch voraussichtlich jene Waldtheile, welche den Gemeinden zur Deckung ihres Beholzungsbedürfnisses in das volle Eigenthum überlassen werden müssen, nicht hinreichen dürften, um auch ihre anderen Genußrechte, nahmentlich jenes der Weide und des Streubezuges zu decken, deren Befriedigung daher noch theilweise in den von dem Beholzugsbefugnisse der Insaßen künftig ganz frei werdenden Staatsforsten zu gestatten, nicht vermeidlich sein dürfte, so wird ein Hauptaugenmerk der Ablösungskommißion dahin gerichtet sein müssen, die Wahl und Zuweisung der als Entschädigung abzutretenden Forste so zu combiniren, daß daraus die möglichst vollständige Befreiung der verbleibenden Staatsforste von sämtlichen, oder, in soferne dieß unthunlich seyn wird, doch von jenen Genüssen der Unterthanen erzielt werde, welche der Erhaltung der aerarischen Forstbestände vorzugsweise gefährlich seyn würden. In so weit dies aber durchaus nicht thunlich wäre, dh: in so weit den Unterthanen dennoch die Weide oder der Streubezug u. dgl: theilweise auch künftig in Staatsforsten gestattet werden müßten, wird die Commißion die allfällig angemessenen beschränkenden Bedingungen und Vorsichten, unter welchen die Ausübung solcher Genußrechte in jenen für die Zukunft am Wenigsten gefährlich erscheint, abgesehen von den einschlägigen Bestimmungen der jetzigen oder künftigen Waldordnung, bei den Vergleichsabschlüssen mit den Gemeinden contraktuel festzusetzen haben. […] Wien am 1. May. 1847.“
„Instruktion“ betreffend die Wahl der Bevollmächtigten in den Gemeinden
„Von der k. k. vereinigten Hofkanzlei.
Mit dem Berichte vom 22. vorigen Mts Zhl 12460 hat das Gubernium über Anregung des Vorstandes der Forstservituten Ablösungs Kommission Freiherrn von Binder den Antrag gestellt, daß die Herbeiführung der dießfälligen Abfindungen mit den Gemeinden durch von sämmtlichen Gemeindegliedern gehörig zu wählende Bevollmächtigte geschehen, die Zahl der letzteren aber bei größeren Gemeinden auf sechs, bei kleineren auf drei Personen festgesetzt werden sollte.
Ueber diesen Bericht wird dem Gubernium im Einverständnisse mit dem k. k. Hofkammer Präsidium unter Rückschluß der Beilage erwiedert, daß man bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Ablösungs Geschäftes und mit Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen, dann um künftigen allfälligen Anständen so viel wie immer thunlich vorzubeugen, endlich mit Rückblick auf den Absatz der der A.h. Entschließung von 6. Februar l. Jhs. die Vornahme der Gesammt-Verhandlungen zum Behufe der Forstservituten Ablösung mit von den Gemeinden, auf die von dem Gubernium beantragte Weise zu wählenden Bevollmächtigten nur unter folgenden Bedingungen zu genehmigen findet.
1. daß jene Gemeindeglieder, welche bei dem Akte der Bevollmächtigung nicht intervenieren, in Absicht auf die Wahl der bevollmächtigten Personen, und auf den Zweck der Bevollmächtigung als dem Willen der Mehrzahl der Vollmachtgeber beigetreten erachtet werden.
2. daß die Bevollmächtigten aus den betreffenden Gemeinden selbst, und zwar bei größeren Gemeinden in der Zahl von 12 (zwölf) bei kleineren aber in der Zahl von mindestens 6 (sechs) und höchstens 9 (neun) Individuen genommen werden und die Feststellung des Begriffes von großen und kleinen Gemeinden zu diesem Behufe nach den dortlandes bestehenden Verhältnissen von dem Gubernium erfolge, endlich
3. daß wenn mit den dergestalt gewählten Bevollmächtigten eine Ausgleichung nicht zu Stande käme, der Forstservituten Ablösungs Kommission die individuelle Berufung der Servitutsberechtigten oder mit Gnadenbezügen betheilten Gemeindegliedern vorbehalten bleibe, und dann über die Annahme der von der Kommission vorgeschlagenen Abfindung die Stimmen der Mehrheit der a Servitutsberechtigt oder b eher mit Gnadenbezügen betheilt anerkannten Gemeindeglieder für die ganze Gemeinde bindend erscheinen, die formellen Vergleichs Abschlüsse aber in diesem Falle, wo dieselben nicht mit den Bevollmächtigten, sondern unmittelbar mit der Mehrzahl der Gemeindeglieder zu Stande kamen, von ebendieser Mehrzahl gefertiget werden sollen. Hierauf ist das Entsprechende zu verfügen. Wien, am 29. Juni 1847“
Die Tiroler Grundbuchanlegung hat jedenfalls in zweierlei Hinsicht versagt: Zum einen wurden tausende Waldparzellen, die im Grundstückskataster aus den 1850er Jahren als Einzeleigentum ausgewiesen waren, auf Gemeindeeigentum umgeschrieben; zum anderen wurde das Gemeinschaftseigentum an Wäldern und Almen in hunderten Fällen als ein Eigentum einer „Gemeinde“ oder einer „Fraktion“ ausgewiesen, anstatt als Nachbarschaftseigentum bzw als Agrargemeinschaft.
Während die Einverleibung des Einzeleigentums an tausenden Waldparzellen in das „Gemeinde- bzw Fraktionseigentum“ beinahe einen Volksauftand auslöste (insbesondere im Pustertal!), ging die Einverleibung des Gemeinschaftseigentums in aller Regel unspektakulär über die Bühne. Die Tiroler Nutzungsberechtigten haben sich in Summe als „Gemeinde“ verstanden; die Eigentümerbezeichnung „Gemeinde“ für das private Gemeinschaftseigentum wurde meist von den Nutzungsberechtigten selbst bzw ihren Vertretern so beantragt.
Josef Schraffl, Bürgermeister von Sillian, ab 1898 Abgeordneter zum Tiroler Landtag, ab 1901 auch Reichsratsabgeordneter in Wien, war Ende der 1890er Jahre von den Gaimberger Grundbesitzern um Hilfe gebeten worden. Deren Waldparzellen, die laut Grundparzellenkataster alle als Privateigentum ausgewiesen waren, sollten als Gemeindeeigentum erfasst werden. In seiner Rede im Tiroler Landtag vom 31.01.1910 schildert Josef Schraffl die damalige Bestürzung der Waldeigentümer in dramatischen Worten.
Josef Schraffl im Jahr 1910: „… Gewiss, ich war selbst dabei in dem Momente, wo die Teilwälderfrage in das Volk hineingetragen wurde. In Lienz war es bei der Eröffnung des Grundbuchs über die Gemeinde Gaimberg. Damals hat der Vertreter des Landesausschusses namens der Gemeinde Gaimberg gegen den Willen der ganzen Gemeinde erklärt, dass sämtliche Teilwälder dieser Gemeinde Eigentum derselben wären. … Ein Bauer rief dann erregt, ja hat dann derjenige, der den Wald bisher geschont und gespart hat, für die Gemeinde geschont und gespart und derjenige, der ihn versoffen hat, hat gut getan, weil ihm wenigstens kein Holz mehr genommen werden kann! …“
Die offenkundig rechtswidrige Vereinnahmung der privaten Waldparzellen als „Gemeinde- bzw Fraktionseigentum“ (= „Teilwälder“) beschäftigte für mehr als ein Jahrzehnt den Tiroler Landtag. Auch die Gründung der Organisation der Tiroler Bauernschaft stand in engem Zusammenhang mit der ausgelösten großen Unruhe und Unzufriedenheit im Tiroler Bauernstand. In der Resolution des „Sterzinger Bauerntages 1904“ heißt es dazu: „Der erste allgemeine Tiroler Bauerntag erklärt, dass die Behandlung, welche das Eigentum an den Teilwäldern bei der Anlegung des Grundbuches bisher gefunden hat, der fast überall herrschenden Rechtsanschauung des Volkes widerspricht und dass die Eintragung der Gemeinden als Waldeigentümer als eine Schädigung des Rechts der Besitzer empfunden wird. Der Bauerntag fordert, dass der im Volk herrschenden Rechtsanschauung entsprochen wird und dass dort, wo diese für das Eigentum der Besitzer spricht, die Besitzer als Eigentümer der Wälder im Grundbuch eingetragen werden.“
Josef Schraffl und seinen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass im Wege einer am 31.01.1910 beschlossenen Änderung der Tiroler Gemeindeordnung in vielen Tiroler Gemeinden das Privateigentum an den Waldparzellen wieder hergestellt wurde. Dies auf Basis von Verträgen zwischen der jeweiligen Ortsgemeinde und den Grundeigentümern.
In den Ortsgemeinden jedoch, wo man von der damals eröffneten Chance keinen Gebrauch machte und erst durch die Regulierung einen „Teilwald-Agrargemeinschaft“ das Privateigentum durchsetzte, schlägt die damalige Vollzugspraxis wieder durch: Heute wird ein Gemeindeeigentum behauptet, das mit Hilfe des „Substanzrechts der Ortsgemeinde“ und eines Substanzverwalters exekutiert wird.
WALDEIGENTUM UND GRUNDBUCH
Seit dem Jahr 1900 haben Josef Schraffl, Prälat Professor Dr. Aemilian Schöpfer und ihre Mitstreiter für die Anerkennung des Privateigentums an den Waldteilen gekämpft. Nach einer zehnjährigen Auseinandersetzung fanden Josef Schraffl und seine Mitstreiter den Lösungsweg in einer Änderung der Tiroler Gemeindeordnung. Am 31. Jänner 1910 wurde über einen entsprechenden Gesetzesantrag im Landtag debattiert. Die stenographischen Landtagsberichte halten folgende Rede des Bauernbundobmanns Josef Schraffl, Mitglied des Landesausschusses und später Landeshauptmann von Tirol, fest:
„Der Herr Baron Sternbach hat darauf hingewiesen, dass man früher von einem Teilwalde bzw. einer Nutzwaldung wenig gehört hat und dass die Beunruhigung erst ins Volk hineingetragen worden sei. Gewiss, ich war selbst dabei in dem Momente, wo die Teilwälderfrage in das Volk hineingetragen wurde. In Lienz war es bei der Eröffnung des Grundbuchs über die Gemeinde Gaimberg. Damals hat der Vertreter des Landesausschusses namens der Gemeinde Gaimberg gegen den Willen der ganzen Gemeinde erklärt, dass sämtliche Wälder in dieser Gemeinde Eigentum derselben sind. Ich habe über Auftrag des Vorstehers der Gemeinde den Vertreter des Landesausschusses gefragt: ‚Wie meinen Sie das?‘ Da wurde mir gesagt, die einzelnen Nutznießungsberechtigten haben keine anderen Rechte auf die Teilwälder, als das Recht, das ihnen aufgrund der Gemeindeordnung zusteht. Ich fragte weiters: ‚Kann also in Zukunft in den Wäldern nicht mehr das Holz dort bezogen werden, von wo der Bauer dasselbe bisher bezogen hat?‘ Der Landesausschussvertreter erklärte: ‚Nein, in Zukunft kann die Gemeinde das Holz anweisen unten oder oben, wo es ihr beliebt.‘ Ein Bauer rief dann erregt, ja hat dann derjenige, der den Wald bisher geschont und gespart hat, für die Gemeinde geschont und gespart und derjenige, der ihn versoffen hat, hat gut getan, weil ihm wenigstens kein Holz mehr genommen werden kann!
Meine Herren, die Wälder sind dadurch, dass man Jahrzehnte hindurch den Bauer als Eigentümer behandelt hat, dass man ihn besteuert und ihm Taxen und Gebühren vorgeschrieben hat, im Bewusstsein der Bevölkerung zum Eigentum der Bauern geworden und weil man bei der Anlegung des Grundbuchs den Bauern jetzt plötzlich ein Eigentum bestritten hat, das er rechtlich erworben und zu besitzen glaubte, darum ist die Teilwälderfrage entstanden.
Ich habe die Hoffnung, dass heute in dieser wichtigen Frage, die so viele Leute beunruhigt hat, endlich die letzte Entscheidung fällt. Ich mache das Hohe Haus darauf aufmerksam, dass der Standpunkt des geehrten Kollegen Baron Sternbach von Tausenden und Tausenden von Bauern nicht verstanden wird. Ich selbst war es, meine Herren, der eine Massenpetition dem Herrn Ministerpräsidenten überreicht hat, in der ungefähr 6000 Bauern, die sich auf etwa 200 Gemeinden verteilten, die Regierung um Hilfe gebeten haben. Drei Ministerien haben sich bereits dafür ausgesprochen. Glauben Sie, dass das alles Beteiligte sind? Glauben Sie, dass der Justizminister Hochenburger mein Parteigenosse ist? Dafür ist auch das Ministerium des Inneren. Dass auch das Ackerbauministerium dafür ist, werden Sie begreiflich finden. Ich bitte daher das Hohe Haus, diesem Antrage zuzustimmen. Dadurch wird endlich wieder Ruhe, und nur dadurch wird die ganze unleidliche Verhetzung aus der Welt geschafft. Wenn es sich um Steuern handelt, ist es immer der Bauer, den sie treffen. Wenn es sich aber um Rechte handelt, dann hat der Bauer kein Recht. Solche Zustände müssen das Volk in seiner Rechtsüberzeugung irre machen. Darum glaube ich, dass diese Frage aus der Welt geschafft und wieder Rechtssicherheit und Beruhigung der Besitzenden eintreten muss. Was geschehen ist, war zum Nachteil des Landes und darum bitte ich das Hohe Haus, den Antrag anzunehmen.“
Der Tiroler Landtag hat dem Gesetzesantrag die Zustimmung erteilt, womit der Streit um das Eigentum an den aufgeteilten Wäldern im Sinne von Josef Schraffl und Prälat Dr. Aemilian Schöpfer einem guten Ende zugeführt werden konnte.
FORDERUNGEN DER BAUERN
7000 Teilnehmer waren am Sonntag, 5. Juni 1904, zum „Großen Sterzinger Bauerntag“ gekommen. Bereits am Vortag, Samstag,
4. Juni 1904, hatte Josef Schraffl die Delegiertenversammlung eröffnet, die das Forderungsprogramm des Bauerntages beschlossen hat. Ein wesentliches Anliegen des Sterzinger Bauerntages war es, das empfundene Unrecht der Tiroler Grundbuchsanlegung zu korrigieren. Die in Tirol tätigen Grundbuchanlegungskommissäre hatten tausende Waldparzellen als Gemeindeeigentum erklärt, obwohl diese Waldparzellen nach allgemeiner Rechtsanschauung Alleineigentum der jeweiligen Waldbesitzer waren. Die übergeordneten Grundbuch-Anlegungs-Kommissionen entschieden jedoch gegen die Auffassung der Landbevölkerung. Der Bauerntag forderte, dass der im Volk herrschenden Rechtsanschauung entsprochen werde und dass dort, wo die herrschende Auffassung ein Eigentum der Waldbesitzer voraussetze, das Alleineigentum der Waldbesitzer im Grundbuch einzutragen sei.
Bereits in den 1850er Jahren, sohin rund 40 Jahre vor Inangriffnahme der Grundbuchanlegung in Tirol, waren sämtliche Grundparzellen Tirols systematisch erfasst worden. Dabei wurde ausnahmslos jede Grundparzelle einem oder mehreren bestimmt bezeichneten Eigentümern zugeordnet. Der Vorgang ist bekannt als Erstellung des „Franziszeischen Grundstückskatasters“, auch „stabiler Kataster“ genannt. Das Neue am „Franziszeischen Grundstückskataster“ war, dass im gesamten Kaisertum Österreich ausnahmslos jedes Grundstück erfasst wurde. Der „Franziszeische Steuerkataster“ gliedert sich nach Katastralgemeinden und besteht im Wesentlichen aus einer „Urmappe“, aus einem Grundparzellenprotokoll samt Zuordnung zum jeweiligen Eigentümer und aus einem Eigentümerverzeichnis samt Zuordnung des jeweiligen Grundeigentums. Dieser Kataster ist der Vorgänger der heutigen Grundstücksdatenbank sowie der „Digitalen Katastralmappe“ des Grundbuches.
Zurückgehend auf die These des damaligen Richters am Oberlandesgericht Innsbruck, Stephan Ritter von Falser, wonach das Waldeigentum in Tirol grundsätzlich den Ortsgemeinden zustehe, wurde in unzähligen Fällen das Waldeigentum der Tiroler, das vierzig Jahre zuvor im Steuerkataster erfasst worden war, bei der Grundbuchanlegung in Gemeindeeigentum umgeschrieben. Stephan Ritter von Falser hatte in seiner Abhandlung zum Thema „Wald und Weide im Tirolischen Grundbuche“ (Innsbruck 1896) die Rechtsauffassung vertreten, dass der Tiroler Landesfürst im Zuge der Tiroler Forstregulierung von 1847 das Eigentum an den Tiroler Wäldern den politischen Gemeinden geschenkt hätte; ersessenes Waldeigentum wurde von ihm nur anerkannt, wenn ein Wald an vier Seiten vollständig umzäunt war. Die Durchführungsverordnung zur Tiroler Grundbuchanlegung vom 10. April 1898 gründete auf Falsers Rechtsauffassung und das Oberlandesgericht Innsbruck hat diese Rechtsauffassung bei der Grundbuchanlegung vollzogen.
Die massenhafte Umschreibung von Waldstücken von Privateigentum in Gemeindeeigentum führte zu einem Aufschrei der betroffenen Waldbesitzer. Die Grundbuchanlegungsbeamten haben darauf mehrheitlich jedoch keine Rücksicht genommen – umso mehr jedoch Josef Schraffl und seine Mitstreiter im Tiroler Landtag. Bereits am 2. Mai 1900 wurde mit einem Landtagsbeschluss der Versuch unternommen, gegen diese Praxis einzuschreiten. Folgendes hat der Tiroler Landtag am 2. Mai 1900 beschlossen: „Nach der Überzeugung des Landtages muss in allen Fällen, wo sich aus den gepflogenen Erhebungen ergibt, dass Besitzer von Waldteilen, sei es aufgrund einer rechtsgültigen Teilungsurkunde, sei es gemäß unvordenklicher, gleichmäßiger ungestörter Übung, die Holz- und Streunutzung aus den betreffenden Waldteilen unbeschränkt und ausschließlich bezogen haben, dieses von den Nutzungsbefugnissen des § 63 Gemeindeordnung wesentlich verschiedene Recht im Grundbuche, falls es sich nicht als formelles Eigentumsrecht der Teilwaldbesitzer qualifiziert, in anderer geeigneter Weise als dingliches Recht eingetragen werden.“
LANDTAGSBESCHLUSS VOM MAI 1900
Vor diesem Beschluss des Tiroler Landtages vom Mai 1900 hatte sich ein eigens eingesetzter Ausschuss des Landtages mit den Rechtsverhältnissen an den aufgeteilten Wäldern befasst. Ausführlich wird im Ausschussbericht vom 29. April 1900 der Auffassung des Oberlandesgerichts Innsbruck entgegengetreten, wonach die Tirolerinnen und Tiroler an ihren Wäldern nur Gemeindegutsnutzungen besäßen:
„Man hat bisher bei der Grundbuchanlegung den Weg eingeschlagen, das Recht der Teilwaldbesitzer einfach zu ignorieren. Die Gemeinden wurden aufgrund der Waldzuweisungsurkunden als Eigentümer der Waldungen eingetragen, den Teilwaldbesitzern wurde nicht nur das Eigentumsrecht abgesprochen, sondern es wurde auch die Eintragung ihres Rechts als Servitutsrecht verweigert. Dies geschah selbst dann, wenn die Gemeinden das Recht der Teilwaldbesitzer anerkannten und die Eintragung dieses Rechtes, sei es als Eigentum, sei es als Dienstbarkeit, verlangten. Der Ausschuss ist nun einstimmig der Ansicht, dass sich ein solcher Vorgang mit der Billigkeit, mit der gebotenen Rücksicht auf das Herkommen, auf die Gewohnheiten und Rechtsanschauungen der Bevölkerung durchaus nicht verträgt. Wenn Generationen von Hofbesitzern den Waldteil ausschließlich nutzten und durchaus als freies Eigentum besaßen, wenn der Wald bei allen Besitzübergängen, bei Käufen und Verhandlungen als Eigentum übertragen wurde, wenn der Wald im Kataster als Eigentum des Hofbesitzers erscheint und auch von ihm versteuert wird, und wenn nun auf einmal der pedantische Jurist kommt und der jahrhundertealten Rechtsübung zuwider den Wald dem Besitzer einfach wegnimmt, so wird ein solcher Vorgang von den Betroffenen als ein Raub, als eine empörende Konfiskation ihres wohlerworbenen Besitzes empfunden. Dazu ist das Recht nicht da, um solches Unrecht zu schaffen; hier heißt es wirklich ‚summum ius summa iniuria‘; hier gilt das Goethe’sche Wort: ‚Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage!‘ Als doppelt unleidlich erscheint eine solche Behandlung der Teilwälder, weil sich die ungerechte Beraubung gerade an den besten und wirtschaftlichsten Elementen des Bauernstandes vollzieht. Der Wald ist die Sparkasse des Bauern. Allen Besitzern, die samt ihren Vorfahren den Wald geschont, die Sparkasse gefüllt haben, entreißt man mit einem Federstrich das wertvolle Ergebnis jahrzehntelanger weiser Ökonomie, während die verschwenderischen Waldverderber, die ihre Teilstücke längst abgeholzt haben, mit Ruhe zusehen können, wie der wertlos gewordene Waldboden zugunsten der Gemeinde konfisziert wird. Solche Dinge dürfen nicht weiter geschehen! Solch schreiendem Widerspruch zwischen juristischem Formalismus und lebender Rechtsbildung dürfen wir nicht tatlos zusehen; wir müssen Mittel und Wege finden, das Recht mit dem Rechtsbewusstsein des Volkes in Einklang zu bringen.“
Über zehn Jahre hatten Josef Schraffl und seine Mitstreiter im Landtag gegen die Vorgehensweise der Grundbuchanlegung und die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Innsbruck angekämpft. Die stenografischen Landtagsberichte geben darüber beredtes Zeugnis.
31.01.1910: STERNSTUNDE IM LANDTAG
Erst die Wahlen zum Tiroler Landtag im Jahr 1908 brachten Bewegung in die starren Fronten. Unter der Führung von Josef Schraffl und Dr. Aemilian Schöpfer war die Christlichsoziale Partei in Konsequenz der Wahlen im Jahr 1908 zur bestimmenden Kraft im Tiroler Landtag geworden. Innerhalb dieser Bewegung dominierten die Abgeordneten der Landgemeinden, aufgestellt vom 1904 gegründeten und von Josef Schraffl geführten Bauernbund. Schraffl und Dr. Schöpfer waren fest entschlossen, die Auseinandersetzung um das Eigentum an den Waldteilen zu einem gerechten Ende zu bringen. Nachdem ein im Sommer 1909 unternommener Versuch gescheitert war, die Grundbuchanlegung so lange zu stoppen, bis die Teilwälder-Frage geklärt sei, wurde Landesrat Dr. Josef Jordan ins Pustertal entsandt, um die erforderlichen Fakten für alternative Lösungen zu erheben.
Auf der Grundlage der Erhebungen von Dr. Josef Jordan wurde am 28. Jänner 1910 im Agrarausschuss, Berichterstatter Professor Dr. Aemilian Schöpfer, folgender Beschluss gefasst: Der Hohe Landtag wolle beschließen: I. Der beiliegende Gesetzesentwurf wird genehmigt. II. Der Landesausschuss wird beauftragt, hiefür die allerhöchste Sanktion zu erwirken. III. Der Landesausschuss wird beauftragt, zur ehesten Lösung der Teilwälderfrage seine Mitwirkung dahin zu bieten, dass zwischen den Gemeinden und Waldbesitzern geschlossene Vergleiche, durch die einerseits das Eigentum der Besitzer an den Wäldern anerkannt bzw. im Wege der Teilung aufgrund der Novelle zum § 61 der Gemeinde-Ordnung ihnen übertragen, andererseits die Aufrechterhaltung der bisher bestandenen gemeinschaftlichen Nutzungsrechte gesichert wird, die Genehmigung des Landesausschusses erhalten. Der Landesausschuss wird ferner beauftragt, beim k. k. Oberlandesgerichte, bzw. bei der Grundbuch-Landesanlegungskommission sich dahin zu verwenden, dass bereits im Grundbuchanlegungs- und nicht erst im Richtigstellungsverfahren die Eintragung des Waldeigentums aufgrund solcher Vergleiche erfolge.“ (Beilage 140 zu den Berichten des Tiroler Landtages, X. Periode, II. Session 1910)
Der vom Agrarausschuss beantragte Gesetzesentwurf lautete wie folgt: „Artikel I. § 61 der Gemeindeordnung ist in seiner bisherigen Fassung aufgehoben und hat in Zukunft zu lauten wie folgt: Das Stammvermögen und das Stammgut der Gemeinde und ihrer Anstalten und Fonde ist ungeschmälert zu erhalten. Ein vorzügliches Augenmerk hat die Gemeinde auf die Erhaltung und nachhaltige Pflege ihrer Waldungen zu richten und sie hat die forstpolizeilichen Vorschriften genau zu befolgen und befolgen zu machen. Zur Verteilung des Stammvermögens und des Stammgutes oder eines Teiles derselben unter die Gemeindeglieder ist in der Regel ein Landtagsbeschluss erforderlich. Wenn es sich um die Verteilung eines bereits nach bestimmten Nutzungsflächen zugeteilten Stammgutes der Gemeinde unter Aufrechterhaltung der bestehenden gemeinschaftlichen Nutzungsrechte handelt, oder wenn die Verteilung des Gemeindegutes aufgrund des Gesetzes vom 19. Juni 1909, LGBl Nr. 61, vorgenommen wird, ist nur die Genehmigung des Landesausschusses erforderlich. II. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Kundmachung in Kraft.“ Am 31.01.1910 beschloss der Tiroler Landtag diese Novelle zur Tiroler Gemeindeordnung 1866. Das Gesetz wurde am 30.06.1910 im (Tiroler) Gesetz- und Verordnungsblatt LGBl 65/1910, publiziert.
ERSUCHEN DER GEMEINDEVORSTEHUNG VON ROPPEN AN DEN LANDESAUSSCHUSS VOM 09.05.1907
Der Gemeindeausschuss von Roppen fasste in seiner Sitzung vom 14. April 1907 neuerlich einstimmig folgenden Beschluss: „Die Gemeinde Roppen erkennt das volle und unbeschränkte Eigentumsrecht der dermaligen Besitzer an ihren Teilwäldern an und beruft sich dabei auf den gleichlautenden Gemeindeausschussbeschluss vom 8. Dezember 1901 und dessen Begründung, welcher am 26. Dezember 1901 Nr. 654 dem Hohen Landesausschuss zur Genehmigung vorgelegt worden ist, sowie auf die protokollarischen Darlegungen und Eingaben gelegentlich der Grundbuchanlage. Dieser Beschluss stützt sich auf folgende Rechtsgründe: In der Gemeinde Roppen gibt es nach dem Eigentumsrechte drei Arten von Wäldern, Gemeindewälder, Interessentschaftswälder und Teilwälder, ortsüblich ‚Waldteile‘ genannt (als der dem Besitzer als Eigentum gehörige Teil des Waldes). Während Gemeinde- und Interessentschaftswälder Eigentum der Gemeinde bzw. einer Gruppe von Besitzern, zum Beispiel einzelner Fraktionen sind, haben die Waldteilbesitzer seit unerdenklichen Zeiten, unbestritten seitens der Gemeinde und kompetenten Behörden, ihre Waldteile als freies und unbeschränktes Privateigentum, ‚als freie eigene Wälder‘, wie in Kaufurkunden steht, behandelt und auch über jeden Nutzen aus denselben nach Willkür verfügt. Sie haben nicht nur Sand und Streu, hauptsächlich so genannte Bodenstreue, sondern auch Sand und Steine aller Art, auch Steinbrüche zum Bauen, Kalkbrennen oder zur Erzeugung chemischer Produkte, Quellwasser und dergleichen für sich verwendet und unbeschränkt verkauft und den erzielten Erlös ausdrücklich für sich in Empfang genommen. Während das Weiderecht der Gemeinde für den allgemeinen Viehtrieb sich nur auf die öffentlichen Plätze, öden Gründe, und auf die Gemeindewaldungen erstreckt, steht dies in den Waldteilen nur den bezüglichen Besitzern zu, die auch in Gruppen, insbesondere als Gehörigen einer Fraktion durch Übereinkunft die Weide in den ihnen gehörigen Waldteilen gemeinsam ausgeübt haben (gelegentlicher Viehtrieb einer Nachbarfraktion in den Bereich einer anderen wurde beanstandet und untersagt). Sie haben diese Waldteile bald mit, bald abgesondert von ihren Gütern veräußert, hypothekarisch belastet und selbständig in zahlreichen Fällen Rodungen vorgenommen. Von den ca. 2000 Waldteilen haben im Laufe der Jahrzehnte zum mindesten 10 % im Wege gerichtlicher Versteigerungen und unter ausdrücklicher Einräumung des Eigentumsrechtes seitens der Behörden den Besitzer gewechselt. Es sei weiters noch bemerkt, dass auch zur Zeit der Mappierung ungeachtet der noch frisch in jedermann Erinnerung stehenden Waldzuweisung und Waldpurifikationsurkunde des Jahres 1848 die Waldteile allerseits als Privateigentum der einzelnen Besitzer angesehen wurden, indem sie in die Mappen fortlaufend nummeriert eingetragen erscheinen. Diese Tatsache und Umstände können jederzeit durch Belege und einwandfreie Zeugen erwiesen werden und deuten von der Rechtslage, welche in der Gemeinde bezüglich der Waldteile besteht. Insbesondere muss noch hervorgehoben werden, dass Rodungen sowie Erwerb von Immobilien, hier Waldteile, im Wege gerichtlicher Versteigerung wohl unanfechtbares Eigentum an der Sache einbringen, dort wo Grundbücher nicht bestehen (obergerichtliche Entscheidung), sodass der Beschluss der Gemeinde wohl nur als eine reine Formalität angesehen werden kann, welche den längst bestehenden faktischen Bestand der Privateigentumsrechte an den bezüglichen Realitäten in allgemeiner und schriftlicher Weise festlegt. Die Besitzer, denen die Eintragung eines Servitutsrechtes in das Grundbuch nicht genügen kann, sind von ihrem Eigentumsrecht an den Waldteilen, welcher nach dem Urteile der Juristen klar liegt, nicht abzubringen. Um eine Reihe kostspieliger, Gemeinde und Gemeindeangehöriger schwer belastender Prozesse zu vermeiden und die durch die Waldteilfrage schon lange genug erregten Gemüter zu beruhigen, weiß der Gefertigte keinen besseren Weg, als dem Hohen Landesausschuss um die Genehmigung dieses Ausschussbeschlusses zu bitten, da sonst die Grundbuchsanlegung in der Gemeinde und im Bezirke nicht vorwärts kommen kann. Gemeindevorstehung Roppen. Roppen, am 9. Mai 1907. Unterschriften. (Akten des Tiroler Landesausschusses zum Waldstreit in Roppen, Tiroler Landesarchiv, Landesausschussakten 1908, Zl 100–105, Faszikel-Nr. 712).
Fundstellen zum Streit um die geteilten Wälder
Wer sich genauer über die geschichtliche Entwicklung der Rechtsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern und die Verhandlungen über die grundbücherliche Behandlung derselben informieren will, der sei auf die stenografischen Landtagsberichte wie folgt verwiesen: 19.04.1900, Seite 52 und Beilage 43; 02.05.1900, Seite 149 und Beilage 105; 10.09.1900, Seite 993 und Beilage 287; 18.06.1901, Seite 162 und Beilage 43; 17.08.1901, Seite 254 und Beilage 43; 21.09.1905, Seite 432 und Beilage 192; 28.04.1908, Seite 56 und Beilage 192; 02.10.1908, Seite 185 und Beilage 143; 15.10.1908, Seite 277 und Beilage 173; 07.11.1908, Seite 721 und Beilage 653; 31.01.1910, Seite 158 und Beilage 140.
Weiters gibt es umfangreiche Aktenbestände des Landesausschusses, die im Tiroler Landesarchiv verwahrt werden, z. B. Nr. 29071 ex 1908; Nr. 327 ex 1909, Nr. 24022 ex 1909; Nr. 1361/11 ex 1910; Nr. 1361/14 ex 1910.
Anerkennung des Eigentums durch Vertrag
Hofrat Dr. Josef Jordan, der im Auftrag des Tiroler Landesausschusses im Jahr 1909 die Grundlagen für den Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages vom 31. Jänner 1910 in den einzelnen Gemeinden erhoben hatte, listet in seinem Gutachten aus dem Jahr 1929 zu den Tiroler Teilwäldern jene Ortsgemeinden auf, in denen entsprechende Eigentums-Anerkennungsverträge errichtet wurden. Jordan spricht von „Urkunden-Gemeinden“ („U.G.“).
Folgende U.G. hat Jordan im Jahr 1929 für den heute österreichischen Landesteil erhoben: 1. Gerichtsbezirk Lienz: U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von Lienz und Bannberg, welche keine Urkunde vorgelegt haben, dann von Lengberg, Nikolsdorf und Nörsach, in welchen Gemeinden die Teilwaldbesitzer als Eigentümer eingetragen worden sind; 2. Ger.Bez. Sillian: U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von Ober- und Untertilliach, für welche das zu Lengberg Gesagte gilt, und Sexten, welche Gemeinde die Abtretungsbewilligung erhalten, aber keine Urkunde vorgelegt hat. 3. Ger.Bez. Matrei i. O.: U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von St. Jakob und St. Veit, welche keine Teilwälder haben; 4. Ger.Bez. Telfs: U.G. sind: keine. 5. Ger.Bez. Silz: U.G. keine. 6. Ger.Bez. Imst: U.G. keine. 7. Ger.Bez. Hall: U.G. sind: Vögelsberg (in Tulfes wurde die Urkunde erst 1935 errichtet, weshalb Jordan in seinem Gutachten von 1929 darüber keine Erwähnung machen konnte); 8. Ger.Bez. Schwaz: U.G. sind: Eben, Schwaz, Weer, Weerberg, Wiesing; 9. Ger.Bez. Rattenberg. U.G. sind keine. 10. Ger.Bez. Kufstein: U.G. sind: Langkampfen. 11. Ger.Bez. Mieders: U.G. sind: Neustift.
Josef Jordan im Jahr 1929 zusammenfassend: „Wie aus obiger Zusammenstellung ersichtlich, haben von den Gemeinden des heutigen Tirols jene der Bezirke Sillian, Lienz und Matrei i. O. fast alle, von Oberinntal keine, von Unterinntal nur einzelne von der Teilwälderaktion Gebrauch gemacht“.
„Bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 2010, 24)
„Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung)
Es fehlte ein Organisationsmodell
Für das Gemeinschaftsgut der Nachbarschaften fehlte es an einem gesetzlich anerkannten Organisationsmodell. Und es fehlte am juristischen Verständnis.
WALDVIERTELN IN LÄNGENFELD?
Die Verantwortung für die chaotische Beurteilung der Gemeinschaftswälder im Zuge der Grundbuchanlegung lag primär bei überforderten Gerichtsbeamten. Mitverantwortung trugen historische Akteure, die vollkommen falsche Eigentümerbezeichnungen forderten. So hat die Gemeinde Längenfeld im August 1911 bei der Grundbuchanlegungskommission beantragt, die Wälder in der Gemeinde Längenfeld als Eigentum der „Waldvierteln“ (!) im Grundbuch einzuverleiben.
„Waldvierteln“ existierten damals so wenig wie heute. Der Grundbuchbeamte entschied sich für „Gemeinde Längenfeld“ als Eigentümerin. Die Längenfelder wollten sich die Enteignung ihrer „Waldvierteln“ jedoch nicht gefallen lassen. Sie forderten noch im September 1911 das Einschreiten der Tiroler Landesregierung, die dem Grundbuchkommissar auf die Finger klopfen sollte. Die Landesregierung stellte am 4. Oktober 1911 fest, dass es sich offenbar um Wälder handle, „die wenigstens zum Teil nicht ausgesprochenen Fraktionen, sondern Nachbarschaften“ gehören würden. Die Landesregierung hat daraufhin abgewogen: Entweder der Gemeinde Längenfeld zu empfehlen, Regulierungsanträge an die Agrarbehörde (!) zu stellen oder einen „Landes-Commissär“ als Vermittler zu entsenden. Die Landesregierung entschied sich für Letzteres. Entsandt wurde Dr. Josef Jordan, der am
4. November 1911 im Gasthof Hirschen in Oberlängenfeld folgenden Kompromiss vermittelte: Die Gemeinde soll als Eigentümerin im Grundbuch bleiben; zusätzlich sollten Holznutzungsrechte als Servituten einverleibt werden – nicht für „Waldvierteln“, sondern für „Fraktionen“. Die Agrarbehörde, die 1911 bereits angerufen werden hätte können, wurde erst 60 Jahre später mit dem Fall befasst. Ende der 1950er Jahre wurden agrarische Operationen eingeleitet und in der Folge entschieden, dass wahre Eigentümerinnen der Längenfelder Wälder weder „Waldvierteln“ oder „Fraktionen“ seien und auch nicht die Ortsgemeinde, sondern die neun „Wald-Agrargemeinschaften“ von Längenfeld.
EIN GEMEINDEGASTHAUS IN UNTERPERFUSS
Oft wurde in Tirol die heutige Ortsgemeinde als „Fortsetzung“ der historischen Nachbarschaft verstanden, weil man die Nachbarschaft Jahrhunderte lang auch „Gemeinde“ genannt hatte. Ein Protokoll der Agrarbehörde aus den 1950er Jahren macht dies anschaulich: „Bei Überprüfung des Besitzstandes erklären die Parteien, dass die Bauparzelle 9/2 ‚Wohnhaus samt Garten‘, Eigentum der Agrargemeinschaft Unterperfuß sei. Das Haus habe Gervasius K. gehört. Die neun Bauern von Unterperfuß hätten die Landwirtschaft gegen Leistung des vollen Unterhaltes an K. in den 1870er Jahren übernommen. Die neun Bauern haben sich damals als ‚Gemeinde‘ bezeichnet, weil außer ihnen kein Besitzer in der Gemeinde war und daher niemand daran dachte, zwischen ‚Gemeinde‘ und den neun Besitzern zusammen einen Unterschied zu finden. Sie haben das Haus als ihren Besitz betrachtet und benützt und beim Bau der Arlbergbahn im Haus einen Gastwirtschaftsbetrieb eröffnet. Auch dann noch haben sich die neun Bauern als ‚Gemeinde‘ betrachtet, welcher der Gastbetrieb gehört. Die Gasthauskonzession lautete auf ‚Gemeinde Unterperfuß‘, weil sie sich als ‚Gemeinde‘ betrachteten und fühlten.“ Bei der Grundbuchanlegung in Unterperfuß im Jahr 1902 wurde das Eigentum von den neun Grundbesitzern unter der Etikette „Gemeinde Unterperfuß“ in Anspruch genommen.
Das Grundbuchanlegungsprotokoll vermerkt: „Vulgarname Gemeindewirtshaus, Eigentümerin Gemeinde Unterperfuß“. Im Regulierungsverfahren hatte die Agrarbehörde über das Eigentum am Haus zu entschieden. Die Agrarbehörde entschied, dass Eigentümerin die Agrargemeinschaft Unterperfuß sei. Die historische Grundbucheintragung war offenkundig falsch.
DIE WALDGEMEINSCHAFT KAPPL-SEE
In den Katastralgemeinden See und Kappl wurden bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1930 zwei Liegenschaften als Eigentum einer „Waldgemeinschaft Kappl-See“ (EZ 105 KG See) bzw. einer „Waldgemeinschaft Kappl-See (bestehend aus den politischen Gemeinden Kappl und See)“ (EZ 343 KG Kappl) einverleibt – in Summe rund 2.700 ha Wald und Almgebiet in beiden Katastralgemeinden gemeinsam. Fragt man sich, wie ein Verband aus zwei politischen Ortsgemeinden derartige Landwirtschaftsflächen erworben haben könnte, stößt man auf den Eigentumstitel, einen Vergleich der „Gemeinden Kappl und See“ mit dem kaiserlichen Ärar vom 22. Oktober 1847. Elf Bevollmächtigte von Kappl und neun von See, zwanzig Bevollmächtigte insgesamt haben gem. Pkt. Zwölftens dieses Vergleichs „für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf alle Nutzungen und Bezüge aus reservierten Staatswäldern […] feierlichst Verzicht“ geleistet. Die Gegenleistung für den Verzicht war in Vergleichspunkten Erstens bis Viertens geregelt, die mit folgender Parteienerklärung eingeleitet sind: „überlässt das k. k. Aerar den beiden Gemeinden Kappl und See, respektive sämtlichen zu ihnen gehörigen Ortschaften, Weiler und Höfen in das volle Eigentum die nachfolgenden […] Staatswälder: …“ [es folgt die Aufzählung und Grenzbeschreibung der überlassenen Waldparzellen].
Die Forstservituten-Ablösungs-Kommission sollte bei der Ablöse der Holzbezugsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer „gemeindeweise“ vorgehen und jede Nachbarschaft gesondert abfinden. In See und Kappl (einschließlich Langesthei) wurde „gemeindeübergreifend“ vorgegangen. In einem Bericht vom November 1847 an das k. k. Steueramt für das Oberinntal rechtfertigt das Mitglied der Servituten-Ablösungskommission Gubernial-Sekretär Jakob Gasser: „Eine große Schwierigkeit für die kommissionelle Verhandlung lag auch in den örtlichen Verhältnissen der Paznauner Gemeinden Kappl, See und Langesthei, weil die diese Gemeinden bildenden Höfe und einzelnen Weiler so zerstreut und doch wieder unter einander vereinigt sind, dass eine Zuteilung der Waldungen nach Gemeindebezirken nicht möglich gewesen wäre, und daher auch mit den einzelnen Gemeinden nicht verhandelt werden konnte. Es blieb daher der Kommission kein anderer Ausweg, als mit diesen drei Gemeinden als wie mit einer vereinten Gemeinde zu verhandeln, und die zur Deckung des rechtlichen Bezuges erforderlichen Waldungen in das gemeinschaftliche Eigentum zu übergeben, womit auch die Gemeinde-Bevollmächtigten sich vollkommen einverstanden erklärten.“ Am 5. März 1963 entschied die Agrarbehörde, dass diese „Waldgemeinschaft“ in Wahrheit eine Agrargemeinschaft sei; über 520 anteilsberechtigte Stammsitze wurden festgestellt. Im groben Durchschnitt wurden somit die Holznutzungsrechte der Hofbesitzer aus Kappl, See und Langesthei im Jahr 1847 mit rund fünf ha Eigentum an Wald- und Almfläche je Stammsitzliegenschaft abgefunden.
FRAKTIONEN IN EHRWALD
Der Servituten-Ablösungsvergleich, den die „Erwaldar“ im Zuge der „Tiroler Forstregulierung“ abgeschlossen haben, erklärt, was die kaiserliche Kommission unter dem Begriff „Fraktion“ verstanden hat. Gemäß Vergleich vom 16. Oktober 1848, verfacht am 10. Dezember 1852, fol 1008 Landgericht Reutte, wurde gesondertes Waldeigentum der „Fraktion Oberehrwald oder der drei oberen Höfe“ geschaffen (Pkt. Zehntens des Vergleichsprotokolls) und gesondertes Waldeigentum der „Fraktion Unterehrwald oder der zwei unteren Höfe“ (Pkt. Elftens).
Die Siedlungsgeschichte von Ehrwald belegt als älteste Ansiedlung den „Hof auf der Holzleiten“, später „Trueferhof“ genannt, ursprünglich vier Einzelgehöfte. Als zweite Ansiedlung entstand der „Hof im Holz“, ursprünglich drei Einzelgehöfte, als dritte Ansiedlung der „Holzerhof“, ein Häuserring, der die später errichtete Martinskapelle umgab. Diese „drei Höfe“ bildeten den Kern des „Oberdorfes“. Das „Unterdorf“ entstand aus dem „Zwischenbacherhof“ und dem „Tiefethof“, ebenfalls Häusergruppen. Dass bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1908 aufgrund dieses Servituten-Ablösungsvergleichs vom 16. Oktober 1848 „Fraktionen“ als Eigentümer des „Gemeinschaftswaldes“ erfasst wurden, war somit formal korrekt („Urkundenprinzip“). Eine solche Eintragung war freilich missverständlich, weil „Fraktionen“, zusammengesetzt aus „Höfen“ in Wahrheit nur agrarische Gemeinschaften sein konnten. Die heutige Ortsgemeinde geht auf die Gemeindeordnung von 1866 zurück; die Bewohner von Ehrwald, die „Erwaldar“, und ihre Höfe sind schon in der Steuerliste des Gerichts Imst aus dem Jahr 1275 nachgewiesen. Diesen standen die ersessenen Holznutzungsrechte im Staatswald zu, die mit Servituten-Ablösungsvergleich vom 16. Oktober 1848 in Form von Gemeinschaftseigentum abgelöst wurden. Korrekterweise hätte im Zuge der Grundbuchanlegung festgestellt werden müssen, dass die „Fraktionen“ von Ehrwald laut Inhalt des Servituten-Ablösungsvergleichs vom 16. Oktober 1848 aus „Höfen“ bestanden haben. Natürlich hätte der Grundbuchsbeamte dann auch noch erheben müssen, aus welchen konkreten Stammsitzen die betreffende Fraktion besteht. Diese aufwendige Erfassungstechnik findet man beispielsweise bei den Steinacher Fraktionen Tienzens, Puig und Mühlen, die 1/8 Anteil Miteigentum an der Agrargemeinschaft Navis (EZ 154 Grundbuch Navis) besessen haben.
FRAKTION ALTGEMEINDE VENT
Eine obskurste Eigentümeretikette hat die Grundbuchanlegung 1912 in Sölden hervorgebracht: „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“. Neun Liegenschaften wurden dieser zugeschrieben. Der Eigentumstitel lautete unter anderem „Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli verfacht 12. September 1848 fol Nr. 648“. Diese Urkunde vom 14. Juni 1848 enthält unter anderem folgende Anerkennung von Privateigentum: Die „Heimweide und Alpe Ramol“ sowie das „Zunther und Krüppelholz in Niedertal“ aufgrund Urkunde vom 14. November 1415 sowie vom 8. Juli 1563, angemeldet von „Gemeinde Vent durch den Vorsteher Peter Klotz und Ausschussmann Method Scheiber“. Bei der Alpe Ramol wurde aufgrund des Beschlusses des Gemeinderats von Sölden vom 2. März 1924 die Eigentümerbezeichnung von „Fraktion Altgemeinde Vent der Gemeinde Sölden mit Ausschluss der Rofner-Höfe“ auf die fünf Hofbesitzer von Vent als Miteigentümer berichtigt (Vertrag vom 31. August 1927). Vier weitere Liegenschaften waren in den 1970er Jahren Gegenstand eines agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens. Die Gemeinde Sölden wollte erfolglos als Rechtsnachfolgerin von „Fraktion Altgemeinde Vent“ anerkannt werden. Mit Bescheid vom 15. November 1979 entschied die Agrarbehörde unter Hinweis auf die Urkunde vom 14. November 1415, dass „Fraktion Altgemeinde Vent“ in Wahrheit eine „Nachbarschaft Vent“ sei, nunmehr Agrargemeinschaft. Das Eigentum stehe dieser Agrargemeinschaft zu. Für die verbliebenen vier Liegenschaften hat die Agrarbehörde mit Bescheid vom 8. März 2012 das Regulierungsverfahren eingeleitet. Die Gemeinde Sölden fürchtet wieder um „ihr“ Eigentum und hat diesen Bescheid erfolglos bis zum Verfassungsgerichtshof bekämpft. Im fortzusetzenden Verfahren wird die Agrarbehörde insbesondere zu entscheiden haben, wer Eigentümer dieser verbliebenen vier Liegenschaften ist.
FRAKTION HOF ACHERBACH
Die Liegenschaft in EZ 717 II KG Umhausen wurde im Zuge der Grundbuchanlegung auf die Etikette „Fraktion Hof Acherbach“ einverleibt. Im Grundsteuerkataster aus den 1850er Jahren war noch eine „Ortschaft Acherbach“ als Eigentümerin aufgeschienen. Das Grundbuchanlegungsprotokoll Nr. 323 KG Umhausen vom August 1909 begründet die Umbenennung nicht. Unter der Stampiglie „Erhebung der Eigentumsrechte“ wurde lapidar hinzugefügt: „Fraktion Hof Acherbach“ – FEPT Nr. 25 vom 14. Juli 1848 (Forsteigentums-Purifikations-Tabelle). Liest man die FEPT an der angegebenen Stelle nach, so findet man als Eigentumsträger „Hof Acherbach“, welchem die „äußerste Waldstrecke im Acherkar“ als Privateigentum zuerkannt wurde – dies neben dem Wald der „Parzelle Farst“.
Mit Urkunde vom 20. Juni 1920, genehmigt vom Landeshauptmann für Tirol, erklären vier Stammliegenschaftsbesitzer aus Umhausen, dass ihre Rechtsgemeinschaft keine „Fraktion“ im Sinn einer politischen Unterteilung der Gesamtgemeinschaft Umhausen sei, sondern eine „Nachbarschaft“. Die Eigentümer von „Hof Acherbach“ wären folgende: 1. Siegmund Maurer in Tumpen Nr. 4, 2. Johann Tobias Klotz in Tumpen Nr. 15, 3. Notburga Schöpf in Tumpen Nr. 21, 4. Josef Doblander in Tumpen Nr. 1 (letzterer kriegsvermisst und vertreten durch Johann Maurer). Diese insgesamt vier Mitberechtigten an der Liegenschaft in EZ 717 II KG Umhausen veranlassten die Umschreibung des Eigentümers von „Fraktion Hof Acherbach“ auf „Nachbarschaft Hof Acherbach“ – dies mit Genehmigung des Landeshauptmanns von Tirol vom Oktober 1920. Damit war das Schicksal der „Fraktion Hof Acherbach“ besiegelt. Verfassungswidrig war dieser Vorgang offensichtlich nicht!
ZWEITAUSEND WALDPARZELLEN
Eine Besonderheit der Tiroler Grundbuchanlegung war es, das Eigentum an Privatwäldern einer Ortsgemeinde oder einer „Fraktion“ zuzuordnen. Die bisherigen Eigentümer wurden auf „Gemeindegutsnutzungen“ verwiesen. Nicht immer wurden diese „Verkenntnisse“ von der betroffenen Bevölkerung akzeptiert.
So berichtete Rechtsanwalt Dr. Robert von Vilas als bestellter Kurator der Gemeinde Roppen am 24. September 1906 Folgendes an die Tiroler Landesregierung: „Sämtliche erschienenen Teilwaldbesitzer vertraten in nachdrücklichster Form den Standpunkt, dass das Eigentumsrecht zu ihren Gunsten eingetragen werden müsste. Ihren Standpunkt suchten sie dadurch zu rechtfertigen, dass sie sich seit ca. 150 Jahren selbst als Eigentümer im guten Glauben befinden, dass sie sowohl vor Gericht als auch vor den Verwaltungsbehörden als Eigentümer betrachtet und behandelt wurden, dass ihnen die Wälder vom Gericht in das freie, unbeschränkte Eigentum eingeantwortet wurden und dass sie sowohl im Verfachbuch als in den Grundbesitzbögen als Eigentümer aufscheinen. Eine Änderung in den Eigentumsverhältnissen bedeute eine wirtschaftliche Katastrophe für die Mitglieder der Gemeinde Roppen. Als Vertreter der Gemeinde Roppen nahm ich den gegenteiligen Standpunkt ein. Nach fünfstündigen, sehr erregten Verhandlungen (der Herr Grundbuchskommissär hatte Gendarmerieassistenz beigezogen) wurde unter Äußerungen des Unwillens der Gerichtsbeschluss verkündet, dass das Eigentumsrecht an sämtlichen Teilwäldern zugunsten der Gemeinde Roppen eingetragen werde.“
Betroffen waren ca. 2000 (!) Waldparzellen in der KG Roppen. Die Roppener Bürgerinnen und Bürger beharrten auf ihrem Standpunkt und sie haben sich als Eigentümer durchgesetzt. Noch heute besitzen die Roppener die jeweiligen Waldparzellen als ihr Alleineigentum.
CHAOS IM GRUNDBUCH SÖLDEN
Chaos hat die Grundbuchanlegung in Sölden erzeugt, wie das Protokoll Nr. 251 vom 23. Oktober 1912 zeigt: Der Gemeindevorsteher Johann Prantl forderte Gemeindeeigentum an der Lenzen- und an der Timmel-Alpe. Er berief sich auf die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle (FEPT) vom 12. September 1848. Die Alpinteressenten forderten ebenfalls Eigentum. Nur sie hätten die Almen „besessen, benützt und versteuert“. Der Grundbuchbeamte entschied sich für „Fraktionen“ als Eigentümer: „Die Fraktion (Parzelle) Sölden steht im Besitz der Timmel-Alpe. Die Fraktion Zwieselstein steht im Besitz der Lenzen-Alpe. Die Interessenten besitzen Weiderecht.“ Der Beamte glaubte, dass im Zuge der „Tiroler Forstregulierung 1847“ das Eigentum „Fraktionen“ zugesprochen worden sei. Rund 50 Liegenschaften wurden deshalb in der Katastralgemeinde Sölden auf die Eigentümeretikette „Fraktion“ einverleibt („Fraktion“ Sölden, Gurgl, Obergurgl, Untergurgl, Kaisers, Winterstall, Zwieselstein, Heilig-Kreuz, Hochwald, Grünwald, Innerwald usw.).
In Sölden war man mit diesen Eigentümerbezeichnungen unzufrieden. Eine „Berichtigungswelle“ in den 1920er Jahren war die Folge. Ein Beschluss des Gemeinderats von Sölden stellte klar, dass die Eigentümerbezeichnungen „Fraktion“ falsch seien – dies zumindest die Alm-Liegenschaften betreffend. Seitens der Gemeinde (Beschluss vom 2. März 1924) und der Landesregierung als Gemeindeaufsicht wurde allen „Interessenten“ die Berichtigung der Eigentumsverhältnisse angeboten. In den Jahren 1927 bis 1931 wurden 23 (!) Almliegenschaften von „Fraktion“ auf Miteigentum der Hofeigentümer umgeschrieben. Die „Überlassungsverträge“ stellten dazu einheitlich fest, dass der „Fraktion“ nichts gebührte als der „formelle Titel Eigentum“. Die Gemeinde Sölden erklärte namens der „Fraktionen“, dass sie für die Überlassung des formellen Eigentumsrechts keine Entschädigung verlange, „da eben ihr bisheriges Eigentum wegen der erschöpfenden Nutzungsrechte Dritter an sich vollkommen wertlos war und ist“. Die 41 Miteigentümer der Gaislachalm in EZ 498, Grundbuch Sölden, versäumten diese Gelegenheit. Die Agrarbehörde musste deshalb im Regulierungsverfahren über die Eigentumsverhältnisse an der Gaislachalm entscheiden. Am 29. September 1961 wurde festgestellt, dass Eigentümerin dieser Liegenschaft die Agrargemeinschaft Gaislachalpe sei. Eine von der Ortsgemeinde Sölden erhobene Berufung wurde auf dem Weg erledigt, dass die Agrargemeinschaft die geforderte unentgeltliche Nutzung für Liftanlagen und Schipisten im Winter einräumte; im Gegenzug hat die Ortsgemeinde das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft anerkannt. Heute wird bei Agrargemeinschaft Gaislachalpe ein „atypisches Gemeindegut“ angenommen.
DIE „SCHILDER FRAKTIONSGENOSSENSCHAFT“
Am 12. Juli 1906 unterfertigten zwei Mitglieder für die Fraktion Mattersberg sowie zwei Mitglieder für die Fraktion Moos, insgesamt also vier Mitberechtigte, das Grundbuchsanlegungsprotokoll Nr. 482 der KG Windisch-Matrei. Nach dem Inhalt dieser Urkunde sollte die „Schilder Alpgenossenschaft“ aus den „Fraktionen“ Mattersberg und Moos bestehen. Zusätzlich bestätigten das auch noch die zwei „üblichen“ Vertrauensmänner. Fast auf den Tag fünf Jahre später, am 3. Juli 1911, leitete die
k. k. Landeskommission für agrarische Operationen das Verfahren zur Regulierung der Verwaltungs- und Benützungsrechte an der „Schilder Alpgenossenschaft“ ein; die Liste der an der Alpe Beteiligten datiert vom Dezember 1911. Der Bescheid betreffend das Register der Anteilsrechte erging am 18. September 1925; das Verfahren endete mit Bescheid vom 27. Juli 1927. Darin stellte die Agrarbezirksbehörde Folgendes fest: „§ 3 Beteiligte und Anteilrechte. Die Schildalpe steht im Eigentum der Schilderalpinteressentschaft, bestehend aus den jeweiligen Eigentümern der nachstehend angeführten, in der KG Windisch-Matrei-Land gelegenen Stammsitzliegenschaften mit den angegebenen Anteilrechten.“ Es folgte eine Aufzählung von insgesamt 29 Stammsitzliegenschaften jeweils ohne Nennung des aktuellen Eigentümers; „Fraktionen“ wurden nicht genannt, ein Anteilsrecht für eine politische Ortsfraktion oder für die Ortsgemeinde war nicht vorgesehen. Die Grundbuchsanlegungsbeamten und die Beamten der k. k. Landeskommission für agrarische Operationen hatten sich im Fall der als „Schilder Alpgenossenschaft“ bezeichneten „Miteigentumsgemeinschaft“ der beiden „Fraktionen“ Mattersberg und Moos nahezu die Türklinke in die Hand gegeben: Die einen beendeten ihre Tätigkeit am 12. Juli 1906, die anderen legten am 3. Juli 1911 einen fertigen Bescheid zur Einleitung des Regulierungsverfahrens vor. Nachdem ein Eigentümerwechsel aus dieser Zeit nicht überliefert ist, stellt sich die Frage, warum die in den beiden Verfahren getroffenen Feststellungen nicht gleichlautend waren, sodass der Eindruck entstehen könnte, es müsse eine der beiden Entscheidungen unrichtig sein. Die k. k. Landeskommission für agrarische Operationen führte dazu sogleich 1911 in der Begründung zum Bescheid auf Verfahrenseinleitung aus, dass die „Schilderalpe“ laut Grundbuchseintragung zwar der aus den Fraktionen Mattersberg und Moos der politischen Gemeinde Windisch-Matrei-Land bestehenden Schilder-Alpgenossenschaft gehöre, dass diese Grundbuchseintragung den tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht genau entsprechen dürfte. Es handle sich vielmehr um eine den Besitzern bestimmter Talgüter gehörige Alpe und damit um ein gemeinschaftliches Grundstück im Sinne des § 4 lit b TRLG 1909, dessen Verwaltungs- und Benützungsrechte einer Regulierung zu unterziehen seien. Die Landeskommission für agrarische Operationen äußerte also schon 1911 grundlegende Zweifel an der Richtigkeit jener Eigentümerbezeichnung, die erst 1906 im Zuge der Grundbuchsanlegung gewählt worden war.
Zur Annahme, eine der beiden Kommissionen hätte eben eine falsche Entscheidung getroffen, existiert freilich eine Alternative: Möglicherweise hatten die Grundbuchsanlegungsbeamten schon 1906 unter dem Begriff „Fraktion“ das verstanden, was dann drei Jahre später im (Tiroler) Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz (1909) als Agrargemeinschaft definiert wurde. Aus der Sicht der nicht-juristischen Beteiligten an der Grundbuchsanlegung – den Vertretern aus Mattersberg und Moos sowie den beiden Vertrauensleuten – lag es jedenfalls nicht nahe, Einwendungen gegen die Wahl des Begriffes „Fraktion“ zu erheben: Im Franziszeischen Steuerkataster, der bekanntlich die Grundlage für die Grundbuchsanlegung bildete, waren nämlich „I. Moos Rotte“ und „II. Mattersberg Rotte“ als Eigentümer verzeichnet gewesen. Ob „Rotte“ oder „Fraktion“ – aus Sicht eines juristischen Laien konnte diese Wortwahl als reine „Geschmackssache“ erscheinen.
„Der Waldaufteiler“ Maximilian I. von Habsburg, genannt der letzte Ritter (* 22. März 1459 in Wiener Neustadt; † 12. Januar 1519 in Wels, Oberösterreich), war ab 1477 Herzog von Burgund, ab 1486 römisch-deutscher König, ab 1493 Erzherzog von Österreich und ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und von 1490 bis 1519 Landesfürst von Tirol. Von Ihm stammt die älteste, nachweisbare Urkunde, in der die Anordnung einer Waldaufteilung dokumentiert ist. Diese wurde im Jahr 1510 errichtet und sie dokumentiert die Bitte der Nachbarn von Kolsass, dass ein unter Erzherzog Siegmund ausgezeigter Wald am Kolsassberg zu gleichen, nach dem Los bestimmten Teilen unter den „Feuerstätten“ aufgeteilt werde. Die Nachbarn von Kolsass haben sich dabei auf ältere solche Aufteilungen in Mils, Fritzens und Baumkirchen berufen. Kaiser Max bewilligte die Bitte und wies Christian Pirchner, Richter zu Rettenberg, und Leonhardt Möltl, Bergrichter zu Schwaz, an, die nötigen Veranlassungen zu treffen. Der Wald der „Nachbarschaft zu Berg und Dorf des Oblay Kolsass“ wurde „mit dem Los nach den Feuerstätten und billigen Dingen“ ausgeteilt, damit „niemand wieder die Billigkeit beschwert“ werde. Gebildet wurden 22 Teile, zehn für die Nachbarn vom „Berg“, zwölf für die Nachbarn im „Dorf“.
Ursprünglich haben sich die Rechts- und Nutzungsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern in Tirol über Jahrhunderte gleichförmig entwickelt. Das Waldeigentum wurde dem Landesfürsten zugeordnet; die Nutzungen standen den jeweiligen Nachbarschaften zu. Solche Wälder wurden „gemeine Wälder“ oder „Gemeindewälder“ genannt. Daneben gab es Wälder, deren Nutzungen für landesfürstliche Bergwerke und Salinen reserviert waren, und Wälder im Eigentum des Adels oder von kirchlichen Institutionen.
Spätestens unter Kaiser Max, sohin ab Anfang des 16. Jahrhunderts, wurden „gemeine Wälder“ unter den „Feuerstattbesitzern“ aufgeteilt; auch nach der Waldaufteilung verblieb das Eigentum beim Landesfürsten. Diese Rechtsverhältnisse haben sich erst geändert, als der Landesfürst sein Obereigentum über alle Wälder Tirols zugunsten der Holzbezugsberechtigten aufgegeben hat: Das Eigentum fiel damit an die Gemeinschaft als solche, die „Gemeinde der Holzbezugsberechtigten“.
Die Rechtsverhältnisse an einer Liegenschaft, wo die Nutzung auf „Teilwaldbesitzer aufgeteilt ist, sind mit einem Wohnungseigentum vergleichbar: unteilbares Gemeinschaftsverhältnis an der gesamten Waldliegenschaft verbunden mit einem ausschließlichen Waldnutzungsanteil. Solche Rechtsverhältnisse wurden 1935 im neuen Tiroler Flurverfassungsrecht als eine Form der Agrargemeinschaft geregelt. Alternativ kann ein Eigentum der einzelnen Besitzer angenommen werden, wenn die Waldteilung in der erforderlichen Schärfe exekutiert war (Vermessungsurkunden, Vermarkung).
Erst die Anlegung des Franziszeischen Steuerkatasters in den 1850er Jahren und die Grundbuchanlegung (1898 bis 1940) haben verwirrende Verhältnisse geschaffen. Bei der Anlegung des Steuerkatasters sind parzellierte und nicht parzellierte Waldteile entstanden, je nach dem, ob die Waldteile vermessen und als eigene Parzellen erfasst wurden oder nicht. Wann sich die Beamten für „Einzelvermessungen“ entschieden haben und wann nicht, wurde bis heute nicht untersucht. Parzellierte Teilwälder wurden im Franziszeischen Steuerkataster als Eigentum der jeweiligen Waldbesitzer ausgewiesen, nicht parzellierte Teilwälder wurden häufig auf die Etiketten „Ortschaft“ oder „Gemeinde“ eingetragen.
Die Grundbuchanlegung hat die Rechtsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern neu beurteilt. Ein Waldeigentum laut Steuerkataster wurde ausdrücklich als irrelevant erklärt (s Artikel: Der Gemeindeliebhaber). Als Grundsatz wurde „Gemeinde-“ oder „Fraktionseigentum“ angenommen. Rückblickend auf den Zeitraum der Grundbuchanlegung zeigen sich stark unterschiedliche Darstellungen der Rechtsverhältnisse an den aufgeteilten Wäldern („Teilwäldern“).
1) Waldbesitz, der von der Grundbuchanlegung unbestritten als freies Eigentum der Grundbesitzer anerkannt wurde; solchen Waldbesitz gibt es vor allem in den ehemals „Bayrischen Gerichten“ Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel und in denjenigen Osttiroler Gebieten, die ehemals dem Salzburger oder Brixner Bischof zugeordnet waren
2) Waldbesitz, wo sich die Waldbesitzer ihr Einzeleigentum durch Hartnäckigkeit im Zuge der Grundbuchanlegung erkämpft haben (z. B. in Roppen)
3) Waldbesitz, der aufgrund des Tiroler Landesgesetzes vom 31.01.1910 (Änderung der Tiroler Gemeindeordnung in § 61) von den Ortsgemeinden mit Genehmigung der Landesregierung als Eigentum der Grundbesitzer anerkannt wurde und wo diese Eigentumsanerkennung grundbücherlich durchgeführt wurde; solche Wälder im Einzeleigentum erkennt man heute oft noch daran, dass im Grundbuch folgende Servitutsrechte aufscheinen: a) Viehtrieb und Holztrieb im bisherigen Umfang b) Anlegung, Wiederherstellung der bestehenden Wege c) für Gemeinde- und sonstige öffentliche Zwecke, Gewinnung von Baumaterial, Ableitung von Quellen und fließendem Wasser zur dauernden Benützung; dies alles für die jeweilige Ortsgemeinde
4) Waldbesitz, der grundbücherlich als Eigentum einer „Gemeinde“ oder „Fraktion“ geführt ist, der aufgrund des Tiroler Landesgesetzes vom 31.01.1910 als Eigentum der Grundbesitzer anerkannt wurde, wo jedoch die grundbücherliche Umsetzung aus welchen Gründen immer unterblieben ist
5) Waldbesitz, der grundbücherlich als Eigentum einer „Gemeinde“ oder „Fraktion“ geführt ist, auf dem grundbücherlich ausgewiesene, räumlich abgegrenzte, ausschließliche Holz- und Streubezugsservituten für bestimmte Liegenschaftsbesitzer lasten
6) Waldbesitz, der grundbücherlich als Eigentum einer „Gemeinde“ oder „Fraktion“ geführt ist, wo ebenfalls räumlich abgegrenzte, ausschließliche Holz- und Streubezugsrechte bestehen, ohne dass diese im Grundbuch als Servitutsrechte ausgewiesen sind, weil die Grundbuchanlegung nur Rechte nach § 63 der Gemeindeordnung zugestanden hat (und die Grundeigentümer keine weiteren Rechtsschritte gesetzt haben).
Aus heutiger Sicht sind die Unterscheidungen in den 1850er Jahren oder durch die Grundbuchanlegung zu relativieren: Wenn Grundbesitzer einen Waldteil über Jahrhunderte ausschließlich genutzt haben, ist im Moment der Aufgabe des landesfürstlichen Obereigentums Volleigentum der Privaten entstanden – abhängig von Vermessung und Vermarkung – ein Alleineigentum jedes Waldbesitzers oder ein Gemeinschaftsgut aller.
ERSTE „TEILWÄLDER“
Die ersten „Teilwälder“ entstanden spätestens am Beginn der Neuzeit, als in Tirol Erzherzog Siegmund der Münzreiche und Kaiser Max die Landesherrschaft ausübten. Die älteste nachweisbare Urkunde, in der die Anordnung einer Waldteilung dokumentiert ist, stammt aus dem Jahr 1510, der Herrschaftszeit von Kaiser Maximilian I. Diese Urkunde dokumentiert die Bitte der Nachbarn von Kolsass, dass ein ihrer Gemeinschaft unter Erzherzog Siegmund ausgezeigter Wald am Kolsassberg zu gleichen, nach dem Los bestimmten Teilen unter den „Feuerstätten“ aufgeteilt werde. Die Nachbarn von Kolsass haben sich dabei auf ältere solche Aufteilungen in Mils, Fritzens und Baumkirchen berufen. Kaiser Maximilian bewilligte die Bitte und wies die Herren Christian Pirchner, Richter zu Rettenberg, und Leonhardt Möltl, Bergrichter zu Schwaz, an, die nötigen Veranlassungen zu treffen. Der Wald der „Nachbarschaft zu Berg und Dorf des Oblay Kolsass“ sollte „mit dem Los nach den Feuerstätten und billigen Dingen“ ausgeteilt werden, damit „niemand wieder die Billigkeit beschwert“ werde. Gebildet wurden 22 Teile, zehn für die Nachbarn vom „Berg“, zwölf für die Nachbarn im „Dorf“.
Wann die noch älteren Waldaufteilungen in Mils, Fritzens und Baumkirchen durchgeführt wurden, auf die sich die Nachbarn von Kolsass im Jahr 1510 als Beispiel berufen haben, wurde noch nicht untersucht.
WALDAUFTEILUNGEN
Grundsätzlich können mehrere Phasen intensiver Waldaufteilungen festgestellt werden: Die erste war Mitte des 16. Jh. abgeschlossen; die zweite fällt in die 2. Hälfte des 17. Jh. und eine dritte in den Zeitraum um 1730. Aufgeteilt haben landesfürstliche Beamte auf Ansuchen der betreffenden Nachbarschaften und nach Bewilligung durch den Landesfürsten bzw. dessen Behörde.
Seit der Teilung nutzt ein jeder Eigentümer eines Stammsitzes sein Waldstück. Nur die Waldweide wurde typischerweise weiterhin von der ganzen Nachbarschaft ausgeübt. Das Eigentum blieb im Allgemeinen beim Landesfürsten. Erst im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 verzichtete der Landesfürst auf das Obereigentum; dies zugunsten der „holzbezugsberechtigten Gemeinde als solcher“, unter Vorbehalt besserer Rechte einzelner oder dritter. Bei dieser „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ handelt es sich nicht um die Schulgemeinde, aber auch nicht um die Kirchengemeinde und um keine Trauergemeinde, sondern um die Gemeinschaft der bezugsberechtigten „Feuerstattbesitzer“, die Summe der Teilwaldberechtigten. Für diese existierte bis zum Jahr 1935 kein rechtliches Organisationsmodell. Erst mit dem neuen Flurverfassungsrecht im Jahr 1935 konnte die Agrarbehörde diese Gemeinschaften organisieren und die Grundbucheintragungen berichtigen.
HR. Dr. Josef Jordan,
Amtserinnerungen, betr. die grundbücherliche Behandlung der Teilwälder in Deutschtirol erstattet von Hofrat Dr. Josef Jordan im J. 1929 (TLA- Bibliothek 10.551/6)
Bekanntlich gehörten die Waldungen als Teile der Almende ursprünglich den altgermanischen Marktgenossenschaften und den ihnen nachfolgenden bäuerlichen Wirtschaftsgemeinden, sind aber in der Periode der Erstarkung der landesfürstlichen Hoheitsrechte grösstenteils als Eigentum des Landesfürsten beansprucht worden, allerdings nicht als dessen Privateigentum, sondern mit der Widmung für öffentlich rechtliche Verwaltungsaufgaben (Bergbau und Hofhaltung). Eben wegen des Vorwaltens dieser öffentlich rechtlichen Gesichtspunkte ist die Nutzung der Wälder seitens der Gemeinden, bezw. der Bauern, für den Haus- und Gutsbedarf, wenn auch unter Aufsicht und Verwaltung der landesfürstlichen Forstbehörde, aufrecht geblieben und sind hauptsächlich im 18. Jahrhundert, aber auch vor- und nachher fast in allen Gemeinden grosse Teile der landesfürstlichen Waldungen ausgeschieden und unter die einzelnen Höfe nach bestimmten Teilflächen zur Nutzung verteilt worden, unbeschadet des landesfürstlichen Eigentums am Grund und Boden und der Oberaufsicht und Verwaltung der Forstbehörden.
Über diese Verteilung sind gewöhnlich auch eigene Urkunden errichtet (Teilungslibellen) worden. Die einzelnen Waldteile wurden weniger genau vermarkt und auch in Waldkarten ersichtlich gemacht. Diese Waldteile bildeten ein Zubehör zu den betreffenden Höfen und gingen mit diesen auf die Rechtsnachfolger über. Es hat sich dann die weitere Übung ausgebildet, dass die Teilwaldbesitzer aus ihren Waldanteilen nicht nur den Haus und Gutsbedarf deckten, sondern über den Mehrertrag auch zu Verkaufszwecken verfügten.
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren also die heutigen Gemeindewälder, formell landesürstliches Eigentum, das aber zum grössten Teil, d.h. soweit sie nicht für Bergbauzwecke und die Hofhaltung dienten, dem Landesfürsten meistens keinen Ertrag abwarf, da sowohl die verteilten, wie unverteilten Waldungen mit den althergebrachten Nutzungsrechten der Gemeinden und Bauern belastet waren. Mit dem Niedergang der landesfürstlichen Bergwerksbetriebe verringerte sich das Interesse des Landesfürsten an den Waldungen und andererseits machte sich mit der Entwicklung des Grundsteuerwesens das Bestreben geltend, auch die Waldungen der Grundsteuer zu unterziehen. Dies hat dazu geführt, das mit dem kaiserl. Patente vom 6.11.1847 der Verzicht des Landesfürsten auf alle Waldungen mit Ausnahme bestimmter Teile, welche als ärarische Waldungen aufrecht blieben, ausgesprochen und das Eigentum daran den „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ innerhalb ihrer Gebiete übertragen wurde, jedoch unter ausdrücklicher Wahrung der urkundmässig oder auch auf alte Übung begründeten Nutzungsrechte der Nutzungsberechtigten.
Zwecks Neuregelung der Grundsteuer, welche schließlich mit dem Grundsteuergesetz vom 24. Mai 1869, Nr 88 RGBl für ganz Österreich einheitlich durchgeführt wurde, hat eine allgemeine Katastralvermessung und Verfassung der heutigen Katastralmappen stattgefunden, und zwar in Tirol in der Zeit von 1855 bis 1861. Dabei wurden in manchen Bezirken, insbesondere im Pustertal und Unterinntal, die aufgeteilten Wälder auch in den Mappen nach den einzelnen Waldanteilen aufgrund der Teillibellen und Waldkarten ausgewiesen und mit Parzellennummern bezeichnet, während in anderen Bezirken eine solche Unterabteilung der Waldungen in der Katastralmappe unterblieben ist. Nach erhaltener Information beim Landesvermessungsamt wurde die eine oder andere Methode eingehalten, je nachdem die Vermessungsorgane eine genügende Vermarkung der Waldteilung vorgefunden haben oder nicht.
Dabei hatte die Parzellierung der Teilwälder in den Katastralmappen, wo diese stattgefunden haben, allerdings die Folge, dass diese Waldteile bzw. deren Parzellennummern, in den seit seit ungefähr 1870 angelegten Grundbesitzbögen der betreffenden Waldbesitzer aufgenommen worden sind und dass diesen auch die Waldgrundsteuern vorgeschrieben wurden.
Wir haben also mit Ende des vorigen Jahrhunderts Wälder, welche in den Katastralmappen abgegrenzt und mit eigenen Parzellennummern versehen und in den Grundbesitzbögen als Eigentum der Besitzer ausgewiesen waren und auch von diesen versteuert wurden, welche Wälder wir der Kürze halber „parzellierte Teilwälder“ (P.T.W.) bezeichnen wollen, dann Teilwälder, welche in der Katastralmappe und in den Grundbesitzbögen als unverteilter Gemeindewald aufschienen und auch von der Gemeinde versteuert wurden, in Wirklichkeit aber in der Natur und in den Gemeindewaldkarten aufgeteilt waren und von den Besitzern hinsichtlich des Holz- und Streuertrages in gleicher Weise ausschließlich genutzt wurden, die wir „nicht parzellierte Teilwälder“ (N.P.T.) nennen wollen.
Außerdem gab es in fast allen Gemeinden noch unverteilte Gemeinschaftswaldungen, die aber, besonders in Gemeinden, in denen Waldaufteilungen überhaupt nie stattgefunden haben, mehr oder weniger mit althergebrachten Holznutzungsrechten der Bauern belastet waren (Losteile etc.).
Überhaupt haben sich die Waldrechtsverhältnisse in einzelnen Gemeinden recht verschiedenartig entwickelt und sei nur beispielsweise darauf hingewiesen, dass es in manchen Gemeinde, so in Igls, Aldrans, Mutters und anderen, der alten Wirtschaftsgemeinde, bestehend aus den alten Höfen, unter dem Namen Waldinteressentschaft, gelungen ist, das Eigentum an den Waldungen zu behaupten, sodass die betreffenden heutigen politischen Gemeinden von Waldbesitz überhaupt ausgeschlossen sind. Auf solche besondere Waldrechtsverhältnisse kann in dieser Abhandlung, welche sich nur mit den so genannten Teilwäldern befasst, nicht näher eingegangen werden.
Erst mit der Anlegung der Grundbücher in Tirol aufgrund des Gesetzes vom 18.03.1897 Nr 9 EGBl ist der Teilwälderstreit entstanden, welcher durch ein Jahrzehnt den Landtag und die Behörden eingehendst beschäftigt hat. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die Frage, sollen bei der Grundbuchsanlegung die aufgeteilten Wälder als Rechte nach § 63 der Gemeindeordnung behandelt, also wegen des Mangels des Charakters von Privatrechten im Grundbuch überhaupt nicht berücksichtigt werden, oder sollen die Holz- und Streunutzungsrechte der Teilwaldbesitzer als deren Servitutsrechte zu Lasten der Gemeinde eingetragen werden, oder sollen schließlich die Waldbesitzer als Eigentümer ihrer Waldteile anerkannt werden.
Schon die Ministerialverordnung vom 10. April 1898, Nr 9, LGBl, womit eine Instruktion für die Grundbuchanlegungs-Kommission erlassen wurde, hat sich für eine die Eintragung der Nutzungsrechte der Teilwaldbesitzer als Servituten ausgesprochen (§ 37). Dies vorbehaltlich einer Prüfung der Frage, ob nicht tatsächlich ein aufgeteiltes Einzeleigentum der Waldbesitzer vorliege.
Ausgegangen ist der Streit im Jahr 1900 bei der Grundbuchsanlegung im Bezirke Lienz, wo, wie auch im Bezirke Sillian, die aufgeteilten Wälder auch in der Mappe parzelliert waren und die Bauern unter Hinweis darauf, dass sie bzw. ihre Vorbesitzer seit Menschengedenken sich als Eigentümer der Waldteile betrachtet haben und seit 30 Jahren als solche in den Grundbesitzbögen ausgewiesen waren und die ärarischen Waldsteuern gezahlt haben, Eigentumsansprüche geltend machten und wo die Gemeindevertreter, wohl auch im eigenen Interesse als Teilwaldbesitzer, diese Ansprüche energisch vertraten.
Dagegen hielt der Landesausschuss einvernehmlich mit dem Oberlandesgericht am Standpunkt fest, dass grundsätzlich und von besonderen Waldrechtsverhältnissen abgesehen, die Gemeinden als Eigentümer und die Waldbesitzer nur als Nutzungsberechtigte einzutragen seien.
Damit gaben sich die Bauern nicht zufrieden. Es kam zu langwierigen Prozessen und heftigem Widerstand der bäuerlichen Bevölkerung und der Gemeinden selbst, nicht nur im Pustertal, sondern auch in einzelnen Bezirken Nordtirols, wobei im Schoße des Landesausschusses selbst die Abgeordneten Dr. Schöpf und Schraffl unermüdlich für die Ansprüche der Teilwaldbesitzer eintraten. Schließlich wurde vom Landesausschuss der Gefertigte nach Pustertal entsendet, um in den einzelnen Gemeinden über die Rechtsverhältnisse genaue Erhebungen zu pflegen.
Aufgrund derselben wurde durch Mehrheitsbeschluss des Landesausschusses ein Kompromiss vorbereitet, in dem Sinne, dass die Gemeinden ermächtigt werden sollten, den reklamierenden Waldbesitzern das Eigentum an ihren Waldteilen förmlich abzutreten, sodass diese auch von der Grundbuchanlegung als Eigentümer der einzelnen Waldparzellen akzeptiert wurden.
Dies unter gewissen Garantien für die Gebundenheit der Waldteile an den Hofbesitz und mit dem Vorbehalt gewisser Rechte zugunsten der Gemeinde, nämlich der Weide, des Rechtes, Wege anzulegen und Wasser abzuleiten und Baumaterial mit Ausnahme von Holz für Gemeindezwecke zu gewinnen, welche Rechte im Grundbuch als Servituten der Gemeinde eingetragen werden sollen.
Dieser Lösung des langjährigen so genannten „Teilwälderstreites“ hat sich schließlich auch der Landtag mit Mehrheitsbeschluss angeschlossen und zur leichteren Durchführung der Waldabtretungen das Gesetz vom 30.06.1910 Nr 65 LGBl geschaffen, mit welchem in Abänderung des § 61 der Gemeindeordnung, die dort dem Landtage vorbehaltene Kompetenz zur Verteilung des Stammgutes der Gemeinden unter die Gemeindeglieder, hinsichtlich der Teilwälder dem Landesausschuss übertragen worden ist.
Der Landesausschuss hat dann einvernehmlich mit dem Oberlandesgericht für die Gemeindeausschussbeschlüsse und für die Abtretungsurkunden eigene Formulare verfasst und dieselben allen Gemeinden, in welchen von den Teilwaldbesitzern in Übereinstimmung mit der Gemeindevertretung oder dem Kollisionskurator, die Eigentumsanerkennung gefordert wurde, zur Verfügung gestellt.
Diesen Kompromissweg haben sich dann die meisten Gemeinden des Pustertals zunutze gemacht, aber auch viele Gemeinden der anderen Bezirke, und zwar größenteils in den Jahren 1911 und 1912, einzelne Gemeinden je nach dem Fortschritt der Grundbuchsanlegung auch in späteren Jahren. Ursprünglich und in der größten Mehrzahl handelte es sich dabei um parzellierte Waldparzellen.
In einzelnen wurde diese Eigentumsabtretung auch für Gemeinden mit nicht parzellierten Teilwäldern bewilligt, wobei dann die genaue Vermessung und Parzellierung in der Katastralmappe gewöhnlich nachgetragen wurde.
Der allgemeine Vorgang war der, dass die Gemeindevertretung, oder bei deren Befangenheit der Kollisionskurator, nach dem vorgeschriebenen Muster den Abtretungsbeschluss fasste, dieser vom Landesausschuss genehmigt und daraufhin die grundbuchsmäßige Abtretungsurkunde, gewöhnlich von einem Notar, ebenfalls nach dem vorgeschriebenen Formulare verfasst und vom Landesausschuss überprüft und genehmigt wurde, woraufhin die grundbücherliche Durchführung der Urkunde erfolgte.
In den ersten Jahren wurde regelmäßig auch die Zustimmung der Statthalterei gem. § 21 des Forstgesetzes eingeholt, später jedoch davon abgesehen in der Annahme, dass es sich nicht um Waldaufteilungen im Sinn dieses Paragraphen handle. Nicht alle Gemeinden, in welchen sich parzellierte Teilwälder befinden, haben jedoch von diesem Rechte Gebrauch gemacht, sondern viele haben es bei der grundbücherlichen Eintragung „Eigentum der Gemeinde und ausschließliche Holz- und Streunutzungsrechte der Teilwaldbesitzer“ belassen. Manche Gemeinden haben zwar mit Genehmigung des Landeausschusses die Abtretung beschlossen, aber aus unbekannten Gründen keine Urkunde vorgelegt, weshalb natürlich auch die grundbücherliche Durchführung der Waldabtretung in solchen Fällen gleichfalls unterblieben ist. Dies gilt insbesondere von Gemeinden mit nicht parzellierten Teilwäldern, weil die Gemeinden bzw. die Teilwaldbesitzer die Kosten der Vermessung scheuten.
Diese so geschilderte Teilwälderaktion betrifft aber nur die ehemals landesfürstlichen Wälder, welche allerdings die große Mehrzahl umfassten.
In den Gemeinden, die der ehemaligen Herrschaft der Bischöfe von Brixen und Trient und wahrscheinlich auch von Salzburg unterstanden, gab es auch aufgeteilte Wälder, die aber von der landesfürstlichen Waldzuweisung nicht betroffen wurden und daher regelmäßig bei der Grundbuchsanlegung den Waldbesitzern ohne weiters als Eigentumswälder zugeschrieben worden sind.
Während nun die Rechts- und Nutzungsverhältnisse an den Teilwäldern sich im ganzen ehemaligen Deutsch Tirol ziemlich gleichförmig entwickelt haben und daher auch noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts, abgesehen von der oben erwähnten Unterscheidung in parzellierte und nicht parzellierte Teilwälder einen einheitlichen Charakter aufwiesen, hat die Grundbuchsanlegung und die damit zusammenhängende Teilwälderaktion die Rechtsverhältnisse der Teilwälder auf ganz neue Grundlagen gestellt und verschieden geregelt, sodass wir jetzt unter den ehemaligen Teilwäldern folgende Gattungen unterscheiden müssen:
1) Teilwälder, die ins freie Eigentum der TW-Besitzer übergegangen sind, in erster Linie die ehemals bischöflichen Wälder.
2) Teilwälder, die erst aufgrund der Abtretungsurkunden ins Eigentum der Besitzer übergegangen sind, jedoch belastet mit den der Gemeinde als Servituten vorbehaltenen Rechten der Weide usw.
3) Teilwälder, die Eigentum der Gemeinde verblieben sind, jedoch belastet mit dem ausschließlichen Holz- und Streubezugsrecht der Besitzer als grundbücherliche Servituten.
4) Teilwälder, die gleichfalls Eigentum der Gemeinde verblieben sind und belastet mit dem ausschließlichen Holz- und Streubezugsrecht der Besitzer, wobei jedoch diese Nutzungsrechte im Grundbuch nicht aufscheinen, sondern noch immer als Rechte nach § 63 der Gemeindordnung zu gelten haben, aber ohne Beschränkung auf den Haus- und Gutsbedarf.
Bei allen diesen vier Gattungen ehemaliger Teilwälder hat der Eigentümer die bezügliche Grundsteuer zu zahlen, also bei 1 und 2 die Teilwälderbesitzer, bei 3 und 4 die Gemeinde, jedoch künftighin unbeschadet der Änderungen, die diesbezüglich die vom Landtag im Mai des Jahres beschlossene neue Gemeindeordnung mit sich bringen wird.
Über die heutigen Rechtsverhältnisse an den ehemaligen Teilwäldern geben nur die Grundbücher sicheren Aufschluss, nicht aber speziell hinsichtlich der Gattung 2, die bei der Landesregierung und bei den Gemeinden befindlichen Grundbuchsauszüge, weil dieselben großenteils noch vor Abschluss der Teilwälderaktion verfasst worden sind.
Wer sich genauer über die geschichtliche Entwicklung der Rechtsverhältnisse an den Teilwäldern und die Verhandlungen über die grundbücherliche Behandlung derselben informieren will, den verweise ich auf die stenografischen Landtagsberichte vom
19.04.1900, Seite 52 und Beilage 43;
02.05.1900, Seite 149 und Beilage 105,
18.06.1901, Seite 162 und Beilage 43;
17.08.1901, Seite 254 und Beilage 43;
10.09.1900, Seite 993 und Beilage 287;
21.09.1905, Seite 432 und Beilage 192,
28.04.1908, Seite 56 und Beilage 192;
02.10.1908, Seite 185 und Beilage 143;
15.10.1908, Seite 277 und Beilage 173;
07.11.1908, Seite 721 und Beilage 653;
31.01.1910, Seite 158 und Beilage 140.
Weiters auf die umfangreichen Teilwälderakten des Landesausschusses, speziell auf die Nr 29071 ex 1908; Nr 327 ex 1909, Nr 24022 ex 1909; Nr 1361/11 ex 1910; Nr 1361/14 ex 1910.
Nachstehend bringe ich aus meinen Vormerkungen auszugsweise eine Übersicht über die grundbücherliche Behandlung der Teilwälder in den einzelnen Gerichtsbezirken, wobei ich vollständigkeitshalber auch die Bezirke des abgetrennten Landesteils einbeziehe. Ich bemerke jedoch ausdrücklich, dass diese Übersicht auf Vollständigkeit nicht Anspruch machen kann, schon aus dem Grunde, weil ich während der Kriegsjahre vom Amte abwesend war und die damals unterbrochene Grundbuchsanlage auch heute in einzelnen Bezirken noch nicht abgeschlossen ist.
Von besonderem Interesse ist zu wissen, welche Gemeinden die Erlaubnis zur Abtretung der Teilwälder an die Teilwaldbesitzer durch Genehmigung der Abtretungsurkunden erhalten haben, wobei allerdings nur das Grundbuch sicheren Aufschluss gibt, ob diese Urkunden auch tatsächlich grundbücherlich zur Durchführung gekommen sind. Ich will der Kürze halber diese Gemeinde als „Urkundengemeinde“ = U.G.“ bezeichnen.
1. Gerichtsbezirk Lienz.
U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von Lienz und Bannberg, welche keine Urkunde vorgelegt haben, dann von Lengberg, Nikolsdorf und Nörsach, in welchen Gemeinden die Teilwaldbesitzer als Eigentümer eingetragen worden sind, wahrscheinlich weil es sich nicht um ehemals landesfürstliche Wälder gehandelt hat.
2. Ger. Bez. Sillian.
U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von Ober und Untertilliach, für welche das bei Lengberg Gesagte gilt und Sexten, welche Gemeinde die Abtretungsbewilligung erhalten, aber keine Urkunde vorgelegt hat.
3. Ger. Bez. Matrei i. Ost. T.
U.G. sind: Alle Gemeinden mit Ausnahme von St. Jakob, St. Veit, welche keine Teilwälder haben.
4. Ger. Bez. Telfs.
U.G. sind: keine. Teilwälder scheinen nur vorhanden zu sein in den Gemeinden Leutasch, Pettnau, Scharnitz, Seefeld.
5. Ger. Bez. Silz.
U.G. keine. In den Gemeinden, welche überhaupt T.W. haben, bleibt es bei § 63 Gde. Odg.
6. Ger. Bez. Imst.
U.G. keine. Im übrigen wie bei Silz.
7. Ger. Bez. Hall.
U.G. sind: Vögelsberg. In den übrigen Gemeinden sind viele Privatwälder und in den wenigen Gemeinden mit T.W. sind dieselben als Servituten behandelt.
8. Ger. Bez. Schwaz.
U.G. sind: Eben, Schwaz, Weer, Weerberg, Wiesing. Die übrigen Gemeinden haben keine T.W. oder keine Urkunden vorgelegt.
9. Ger. Bez. Rattenberg.
U.G. sind keine. Die meisten Gemeinden scheinen nur unverteilte Gemeindewälder zu haben.
U.G. sind: Dietenhain, Issing, Kiens, Pichlern Reischach. Die meisten übrigen Gemeinden haben die Abtretungsbewilligung erhalten, aber keine Urkunden vorgelegt.
14. Ger. Bez. Taufers.
U.G. Ahornach, Gais, St. Johann, Luttach, Mühlbach, Mühlen und Sand.
Nach meinen Vormerkungen haben ausser den oben mit U.G. bezeichneten Gemeinden anderer Bezirke, soweit in denselben die durch den Krieg unterbrochene Grundbuchanlegung bereits beendet war, sowie der Bezirke des heutigen Tirol, in denen die Grundbuchsanlegung seit dem Umsturz fortgesetzt und abgeschlossen worden ist, Abtretungsurkunden nicht mehr vorgelegt und auch von den wenigen Gemeinden, in denen die Grundbuchanlegung heute noch nicht durchgeführt ist, sind solche kaum mehr zu erwarten.
Wie aus obiger Zusammenstellung ersichtlich, haben von den Gemeinden des heutigen Tirols jene der Bezirke Sillian, Lienz und Matrei i.O. fast alle, von Oberinntal keine, von Unterinntal nur einzelne von der Teilwälderaktion Gebrauch gemacht, d.h. Übertragung des Eigentumsrechtes an die Teilwaldbesitzer, nicht nur angestrebt, wie so viele andere Gemeinden, sondern auch die bezüglichen Urkunden vorgelegt, die wohl auch mit wenigen Ausnahmen grundbücherlich durchgeführt worden sind.
Obige Darstellung soll lediglich dem Zwecke dienen, über die Entwicklung und Durchführung der T.W. Aktion eine übersichtliches Bild zu geben und damit das Studium des einschlägigen umfangreichen Aktenmateriales tunlichst zu ersparen.
Innsbruck, am 1. Juli 1928.
Dr. Jordan e.h.
Nachtrag.
Weitere vorbereitende Literatur zur Teilwälderfrage:
M. Mayer, zur Teilwälderfrage im Bezirke Lienz in Neue Tiroler Stimmen 1904 Nr. 180 ff., Sondernummern in der Archiv-Handbibliothek III, 530.
A. Schöpfer, Die Teilwälderfrage und das Grundbuch (1904).
St. Falser, Wald und Weide im Grundbuch (1896).
Molinari, Die Gerichtsurteile in der Teilwälderfrage, Ferdinandeum Bibliothek Nr. 5403. Perner, Neue Tiroler Stimmen 1906 Nr. 180.
Martina Wibmer, Obfrau der Agrargemeinschaft Nachbarschaft Mellitz in Osttirol, muss nun schon das zweite Verwaltungsstrafverfahren über sich ergehen lassen. Vorgeworfen wird ihr die Verletzung ihrer Pflichten als Obfrau einer „atypischen Gemeindeguts-Agrargemeinschaft“. Solange das Landesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz noch nicht entschieden hat, will Martina Wibmer das Gemeinschaftsgut jedoch nicht als Staatseigentum behandelt wissen.
Agrargemeinschaft Mellitz ist mit einer so genannten „Haller’schen Urkunde“ im Jahr 1943 reguliert worden. Verantwortlich zeichnete Dr. Wolfram Haller, Kärntner Agrarjurist und seinerzeitiger Vorstand der Agrarbehörde Villach. Dr. Haller war nach Osttirol beordert worden, weil ein aus Deutschland stammender, strammer NS-Parteigenosse als „Landrat“ die Enteignung aller Osttiroler Gemeinschaftsgüter betrieben hat. Streng nach dem Führerprinzip sollten alle autonomen Verwaltungen für die Gemeinschaftsalmen, -wälder und -weiden aufgelöst werden. Nur mehr die Bürgermeister sollten darüber verfügen.
Begründet wurde dieser radikale Eingriff mit der Einführung des NS-Gemeinderechts in Österreich im Oktober 1938. Die agrargemeinschaftlichen Strukturen wurden als Erscheinungen des politischen Gemeinderechts hingestellt und beseitigt. Die gesamte Verwaltung wurde vom Bürgermeister übernommen. Die Gemeinschaftskassen wurden für die Ortsgemeinden eingezogen. In diversen Gemeinden wurde sogar eine Eigentumsumschreibung im Grundbuch veranlasst. Entsprechend aufgebracht waren die Osttiroler Grundbesitzer.
Und nicht weniger aufgebracht ist Martina Wibmer, wenn sie heute dieselben Sprüche hört und dieselben Formulierungen liest, wie diese aus der NS-Zeit in Osttirol bekannt sind: Die Agrargemeinschaft sei eine Gemeindeorganisation. Das Eigentum stünde der Gemeinde zu; das Sagen hätte der Bürgermeister! Die Enteignung der Tiroler Bauern im 21. Jhdt ist eine Wiederholung dessen, was die NAZI den Stammsitzeigentümern schon einmal angetan haben.
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Bei der zuständigen Agrarbehörde Villach – Osttirol war während der Zeit der Naziherrschaft Teil des „Reichsgaus Kärnten“ – langten bittere Beschwerden ein. Dr. Wolfram Haller dazu in einem seiner zahlreichen Berichte: „Bitter wirkte sich die enge Verbundenheit der Agrargemeinschaften als Fraktionen mit der Gemeinde im Agrarbezirk Lienz aus […]. Ein aus dem Altreich gekommener Landrat, der mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut war, löste sofort alle Fraktionen auf Grund der Einführungsverordnung [zur Deutschen Gemeindeordnung 1935] auf und führte die Fraktionsgüter ins Vermögen der Gemeinden über. Dadurch entstand eine derartige Unruhe unter den Bauern, dass sogar das Reichssicherheitshauptamt in Berlin Erhebungen pflegen ließ. Eine Abordnung Tiroler Bauern unter Führung des vulgo Plauz in Nörsach kam zu mir nach Villach und bat dringend um Hilfe. Plauz erklärte, dass eher Blut fließen werde, als dass sich die Bauern ihre Rechte nehmen ließen.“
Dr. Wolfram Haller hat in der Folge alle Osttiroler Gemeinden bereist, er hat die Beteiligten vor Ort über die wahren Rechtsverhältnisse aufgeklärt und mit enormem Eifer und Geschick die agrarischen Operationen betrieben. Nicht zuletzt aufgrund eines großen Erfolges seiner Bemühungen wurde er durch einen Angehörigen der Reichsforstverwaltung beim Reichsforstmeister denunziert. In Konsequenz erging ein scharfer Erlass des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, Berlin, an den Reichsstatthalter in Klagenfurt. Der Reichsstatthalter wurde angewiesen, die gegen nationalsozialistische Gesetze gerichteten „Umtriebe“ des Dr. Haller in Osttirol abzustellen. In einem sehr ausführlichen Bericht wies Dr. Wolfram Haller an Hand alter Urkunden nach, dass es sich bei den Osttiroler Fraktionen um Agrargemeinschaften handle, die schon vor Jahrhunderten als Nachbarschaften bestanden hätten. Als hervorragender Kenner des Agrarrechts konnte er dem Reichsminister darüber hinaus belegen, dass Agrargemeinschaften in jeder zukunftsorientierten Landwirtschaftspolitik ihren Platz haben. Der Reichsminister hat diesen Bericht mit Befriedigung aufgenommen und Dr. Haller wurde sogar eingeladen, für die vom Ministerium herausgegebene Zeitschrift „Agrarrecht“ einen Aufsatz zu schreiben. Dr. Haller schrieb zwar keinen Aufsatz für diese Zeitschrift; seither hatte er jedoch den Rücken frei und er konnte unbehelligt den Nazi-Umtrieben gegen die Gemeinschaftsgüter in Osttirol durch Regulierung und Teilung ein Ende setzen. Dr. Wolfram Haller hat in der Zeit von 1938 bis 1947 in Osttirol weit über hundert Agrargemeinschaften körperschaftlich eingerichtet und die Gemeinschaftsgüter reguliert.
Im Frühsommer 2012 hatte die Tiroler Landesregierung bei Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber, Institut für Wirtschaftsgeschichte, Johannes Keper Universität Linz, ein Gutachten in Auftrag gegeben. Univ.-Prof. Dr. Sandgruber sollte die „Haller’schen Regulierungen“ in Osttirol untersuchen. Bar jeder Kenntnis der historischen Verhältnisse war aus Kreisen der damaligen Landtagsopposition der Vorwurf erhoben worden, die Regulierung von Agrargemeinschaften sei eine „Nazi-Methode“, um Staatsgüter verfassungswidrig den Mitgliedern des „Reichsnährstandes“ zuzuschanzen.
Martina Wibmer hat das veröffentlichte Gutachten von Roman Sandgruber genau gelesen. Schließlich ist ihre Agrargemeinschaft doch unmittelbar betroffen. Besonders die Zusammenfassung Professor Sandgrubers möchte sie allen Interessierten in das Stammbuch schreiben. Wie Professor Sandgruber erhoben hat, hat es in Osttirol unter der Nazi-Herrschaft zuerst eine rechtswidrige Enteignung der Bauernschaft gegeben und in der Folge eine Wiedergutmachung. Dr. Wolfram Haller ist somit gegen die Unrechtsmaßnahmen der Nazi-Bonzen eingeschritten; die Regulierungen und Teilungen waren aus heutiger Sicht rechtens. „Bei diesem Ergebnis habe ich mir natürlich erwartet, dass auch bei Agrargemeinschaft Mellitz festgestellt wird, dass kein atypisches Gemeindegut vorliegt“, so Martina Wibmer weiter. Es kam freilich anders: Mit Bescheid vom 5. März 2013 hat die Agrarbehörde I. Instanz entschieden habe, dass das Gemeinschaftsvermögen der Mellitzer Bauern ehemaliges Eigentum der Fraktion Mellitz der Ortsgemeinde Virgen gewesen sei. Die Ortsfraktionen seien in der Zeit des Nationalsozialismus aufgelöst worden; ihre Rechtsnachfolgerin wäre die Ortsgemeinde Virgen. Im Jahr 1943, als Dr. Wolfram Haller entschieden hätte, dass das Gemeinschaftsgut Eigentum der Agrargemeinschaft Mellitz sei, hätte demnach wahres Eigentum der Ortsgemeinde Virgen vorgelegen. Die Entscheidung des Dr. Wolfram Haller für ein Eigentum der Agrargemeinschaft Mellitz sei offenkundig verfassungswidrig gewesen.
Obwohl die Agrargemeinschaft und die Mitglieder gegen dieses Erkenntnis der Agrarbehörde I. Instanz Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht erhoben haben, verlangt die Agrarbehörde von Martina Wibmer, dass diese jetzt und sofort das Gesetz für eine atypische Gemeindeguts-Agrargemeinschaft anwendet. Für Martina Wibmer kommt das nicht in Frage. Die streitbare Obfrau: „Es ist schon eigenartig. 1938 haben Bürgermeister unter dem Nazi-Regime die Osttiroler Bauern enteignet. Die damalige Gauleitung in Klagenfurt schickt einen Spezialisten, den Dr. Wolfram Haller. Dieser prüfte in jedem Einzelfall, ob Gemeindeeigentum vorliegt oder Bauerneigentum. Bei uns hat Dr. Haller Bauerneigentum festgestellt und er hat unseren Vorfahren 1943 ihr Gemeinschaftsgut zurückgegeben. 70 Jahre später will es die Agrarbehörde besser wissen und enteignet uns? Ich bin’s meinen Kindern und Kindeskindern schuldig, dass ich mich gegen solche Bescheide zur Wehr setze!“
Die Meldung klingt wie ein aktueller Tageszeitungsartikel. „Reklamationsverfahren der Grundbuchanlegung in der Katastralgemeinde Lans. Neben Lechner und Reitmayr sind die Vertreter der Gemeinde anwesend. Die Bauern wollen sämtliche Holzbezugsberechtigte zu einer Verhandlung vorladen. Die Holzbezugsrechte seien keine Gemeindenutzungen, sondern seit jeher Privatrechte und als solche müssten diese auch behandelt werden.“ Am 26. November 1899 legte der Grundbuchanlegungskommissär die Angelegenheit der Landeskommission zur Entscheidung und Erledigung vor. Er selbst hatte ursprünglich auf „Gemeindegutsnutzung“ erkannt und zugunsten der alten Höfe in Lans keinerlei Rechte am Gemeindegut einverleibt. Dagegen richtete sich die Reklamation von Lechner und Reitmayr, denen sich die übrigen Stammliegenschaftsbesitzer von Lans angeschlossen hatten.
DIE LANDESKOMMISSION ENTSCHEIDET
Die Entscheidung fiel höheren Orts: Am 22. März 1901 wurden mit Rang vom 1. April 1900 die geforderten Servitutsrechte am Gemeindewald im Grundbuch einverleibt. Es heißt dort: Aufgrund von Ersitzung wird die Dienstbarkeit des Holz- und Streubezuges, nach Deckung des Holzbedarfs der Gemeinde Lans, zu öffentlichen Zwecken, auf diesen Grundparzellen zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Stammsitzliegenschaften in EZ 1. I bis 34. I, jeweils KG Lans, einverleibt.
Der Umfang der einzelnen Servitutsrechte wurde in Form von Anteilsrechten definiert, in Bruchteilen, nämlich konkret in 248stel-Anteilen. Die einzelnen Anteile variieren zwischen 4/248 Anteilen (ein halber Teil), 8/248 Anteilen (ein ganzer Teil), 16/248 Anteilen (zwei ganze Teile) sowie 22/248 Anteilen (zwei ganze und dreiviertel Teile). In Summe wurde der gesamte Holz- und Streunutzen der Liegenschaften des Gemeindeguts von Lans in quotenmäßig bestimmten Servitutsrechten den alten Stammsitzen von Lans zugeordnet. Damit war die Aufteilung der Holzerträge des Gemeindeguts von Lans klar geregelt: Der Gemeinde stand die Abdeckung des laufenden Holzbedarfs für öffentliche Zwecke zu, das heißt für das Gemeindehaus, die Schule, das Widum usw., und der verbleibende Ertrag war den Stammsitzliegenschaften der Katastralgemeinde Lans zugeordnet. Dies nach festen Quoten auf der Grundlage von privaten Servitutsrechten, die grundbücherlich sichergestellt waren.
Jahrzehntelang hat dieser Rechtsbestand unangefochten gegolten. Im Zuge des Regulierungsverfahrens der Agrargemeinschaft Lans in den 1950er Jahren wurden die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken des Lanser Gemeindeguts geprüft. Als Eigentumstitel der „Gemeinde“ ist bei der Grundbuchanlegung die „Forst-Eigentums-Purifikations-Urkunde“ herangezogen worden. Dieser Eigentumstitel stammt aus der Zeit der Tiroler Forstregulierung, die auf der allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847 beruht. Mit diesem Gesetz wurden die Waldeigentumsverhältnisse in Tirol grundlegend neu geordnet.
Die Agrarbehörde am Amt der Tiroler Landesregierung hat zu solchen Eigentumstiteln in ihrem Zehnjahresbericht vom 28. Juli 1959 an die Tiroler Landesregierung Folgendes zum Ausdruck gebracht: Die in Österreich einzigartige, kritische bzw. komplizierte Situation der Nutzungsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer am Gemeindegut gründe in der falschen Auslegung der Tiroler Forstregulierung aus dem Jahr 1847. Das kaiserliche Gesetz wollte den jeweiligen Grundeigentümern und den von diesen gebildeten Gemeinschaften die Waldungen zu Eigentum zuweisen. Trotz eines klaren historischen Gesetzeswillens seien im Zuge der Grundbuchanlegung die historischen Wirtschaftsgemeinden, die Gemeinschaften der historischen Stammsitze, mit den erst zu einem späteren Zeitpunkt entstandenen heutigen politischen Gemeinden gleichgesetzt worden. Deshalb sei fälschlich den heutigen politischen Ortsgemeinden bei der Grundbuchsanlegung das Eigentum einverleibt worden.
Aufgrund dieser Rechtsauffassung hat die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren über das Gemeindegut von Lans entschieden, dass Eigentümerin der betreffenden Liegenschaft nicht die Ortsgemeinde sei, sondern die neu konstituierte, körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft Lans, die Gemeinschaft aller historischen Stammsitze dieser Katastralgemeinde. In demselben Verfahren entschied die Agrarbehörde über die im Grundbuch einverleibten Holz- und Streubezugsservituten. Diese seien bei der Ermittlung der Anteilsrechte berücksichtigt worden, weshalb diese zufolge „Konfusion von herrschendem und dienendem Gut zu löschen“ seien. Kein Agrargemeinschaftsmitglied hat sich gegen die Löschung der Servitutsrechte ausgesprochen. Schließlich war die von allen gebildete Gemeinschaft, die Agrargemeinschaft, nun als Eigentümerin anerkannt.
ETWAS IST VERLOREN GEGANGEN
Heute geht die herrschende Auffassung zu den Rechtsverhältnissen am Gemeindegut von Lans davon aus, dass die Gemeinde seit jeher wahre Eigentümerin gewesen sei. Die historische Entscheidung der Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse sei als verfassungswidrige Enteignung zu verstehen. Deshalb soll der Ortsgemeinde der Substanzwert zustehen, der auch alle Holzerträge umfasst, die verbleiben, wenn der konkrete Naturalbedarf der Stammsitzliegenschaften gedeckt ist. Auch die erzielten Ertragssteigerungen in der Forstwirtschaft – die Agrargemeinschaft hat den jährlich nachhaltig erzielbaren Holznutzen fast verdoppelt – stehen nach dieser Auffassung der Ortsgemeinde zu. Vom Standpunkt der Stammliegenschaftsbesitzer besteht im Blick auf diese Entwicklung freilich der Eindruck, dass ihnen im Verlauf der Geschichte an irgendeiner Stelle Wesentliches abhanden gekommen sein muss!
Das Tiroler Verfachbuch und die Gemeindearchive dokumentieren die historischen Aktivitäten der Nachbarschaften, die heute als agrarische Gemeinschaften nach Flurverfassungsrecht konstituiert sind. Aus der älteren Zeit überwiegen Dokumente, die im Zuge der behördlichen Streitentscheidung unter den Nachbarschaften entstanden sind.
SPURENSUCHE EINER NACHBARSCHAFT
1177: Kaiser Friedrich I. Barbarossa bestätigte dem Kloster Biburg (Bayern) diverse Besitzungen unter anderem auch in Schöfens, in Navis und in Lans. Diese Urkunde ist der älteste schriftliche Beleg für die Existenz der Nachbarschaft Lans. Die Namenskundler gehen sogar von vorrömischen Wurzeln des Siedlungsgebietes aus. Das Altkeltische kannte einen Begriff „landa“, den man mit „freies Land“ oder „Heide“ übersetzen kann.
1449: Die „ehrsamen Nachbarschaften“ zu Lans und Sistrans einigen sich vor Ulrich Saurwein, Landrichter zu Sonnenburg im Inntal, betreffend „Bluembesuch und Behülzung“ (Weide und Holznutzung). Die gegenseitig gemachten Schäden sollten sich aufheben.
1486: Konrad Mürringer, Verweser des Landgerichts Sonnenburg im Inntal, regelte eine Auseinandersetzung zwischen der Nachbarschaft Igls und den Nachbarn zu Lans wegen der Nutzung und Erhaltung des Ramsbaches sowie „Wun“, „Waid“ und was dazu gehört im Grenzgebiet.
1536: An der Grenze zwischen dem Igler und dem Lanser Besitz wurden 21 Grenzsteine gesetzt und darüber eine Urkunde errichtet. Als Schiedsrichter fungierten der Richter in Stubai, Ruelanden Dieperskircher zu Hohenburg, und der Landrichter zu Sonnenburg im Inntal, Hannsen Magen.
1557: Die ehrsame „gemaine“ Nachbarschaft Lans und jene von Igls waren sich uneinig darüber, wo sich der in einer Urkunde von 1393 genannte „Schrippels“ befinde, der als Grenze zwischen ihren Weidegebieten vereinbart war. Nach der gütlichen Einigung werden die Gerichtskosten Halbe-Halbe aufgeteilt. Das Holz sollen die Igler und die Lanser im strittigen Gebiet gemeinsam nutzen. Entschieden hat den Streit der Landrichter zu Sonnenburg, Jakob Saurwein. Am öftesten sind die Lanser Nachbarn gegen die Igler und die Sistranser zu Gericht gezogen; im Juli 1637 haben die Lanser dann gemeinsam mit den Iglern auch einmal die Nachbarschaft Patsch verklagt. Regelmäßig trat eine gesamte Nachbarschaft als Prozesspartei gegen eine andere Nachbarschaft auf; einzelne Besitzer als Kläger oder Beklagte sind die Ausnahme in den historischen Streitigkeiten über Grenzen, Weide- und Holznutzungsrechte.
1956: EINE AGRARGEMEINSCHAFT ENTSTEHT
Das Gemeinschaftsgebiet der Lanser Nachbarn wurde im Zuge der Grundbuchanlegung im Jahr 1899 als Gemeindeeigentum erfasst. 1901 wurden im Zuge des „Reklamationsverfahrens“ zu Gunsten der Nachbarschaftsmitglieder Holznutzungsservituten im Grundbuch eingetragen. Danach war zuerst der Holzbedarf der Gemeinde Lans zu öffentlichen Zwecken abzudecken; der gesamte weitere Ertrag war nach Quoten den Mitgliedern der Nachbarschaft zugeordnet. Im Jahr 1956 entschied die Agrarbehörde, dass das Gemeinschaftsgebiet der Lanser Eigentum einer körperschaftlich einzurichtenden Agrargemeinschaft sei. Der Ortsgemeinde wurde ein Anteilsrecht von zehn Prozent zuerkannt. Alle Anteilsrechte wurden von der Agrarbehörde im Eigentümerblatt des Grundbuchs ausgewiesen.
Seit Gründung der Agrargemeinschaft wurden von den Mitgliedern 541.767 Forstpflanzen gesetzt und insgesamt 37.040 unbezahlte Arbeitsstunden im Gemeinschaftsgebiet geleistet. 20 km Forstwege wurden errichtet. Durch nachhaltige Forstwirtschaft wurde der Ertrag des Wirtschaftswaldes von 1.177 fm Nutzholz im Jahr 1955 auf 2.700 fm Nutzholz laut Stand 2012 gesteigert. Die Ertragssteigerung resultiert nicht nur aus gezielter Aufforstung und nachhaltiger Pflanzenpflege, sondern auch aus massiven Einschränkungen bei der Waldweide und Aufforstung diverser Weideparzellen. Agrargemeinschaft Lans hat 12 km vertraglich geregelte Wanderwege, Laufrouten und Gesundheitslehrpfade eröffnet; eine Vielzahl an Ruhebänken wurden aufgestellt. Das gesamte Forstwegenetz steht allen Wanderern und sonstigen Erholungssuchenden zur Verfügung. Im „Ull-Wald“ wurde eine Kneipp-Anlage errichtet. 34 Miteigentümer hatte die Agrarbehörde im Jahr 1956 festgestellt; hinzu kam die Ortsgemeinde mit einem Zehntelanteil. Die Lanser haben keinen Waldbesitz im Alleineigentum, weil es in der Vergangenheit nie zu einer Aufteilung des Gemeinschaftswaldes gekommen ist. Gemeinschaftlich bewirtschaftet werden in Lans insgesamt 436 ha Grundfläche, davon Wirtschaftswald 268,3 ha, Schutzwald außer Ertrag 55,5 ha, Schutzwald im Ertrag 69,1 ha, Wegfläche 7,5 ha und Almfläche 35,6 ha. Auf das Anteilsrecht der Ortsgemeinde entfallen anteilig 43,6 ha Wald- und anteilige Almfläche, auf jeden einzelnen Nachbarn durchschnittlich 11,5 ha.
Josef Ruetz aus Kematen ist Vollerwerbsbauer. Sein Hobby ist die Geschichte seines Stammsitzes, der „Untere Ruetz“ in Kematen samt dem damit verbundenen Gemeinschaftsbesitz, die Kemateralpe, der Archberg-Winkelbergwald und der Burgseitenwald. Einmal pro Woche fährt er ins Innsbrucker Landesarchiv, um in alten Urkunden zu forschen. „Das macht süchtig“, verrät er, während er in seiner fast 1000-seitigen Chronik des „Unteren Ruetz“ blättert. Der Erbhof „Unterer Ruetz“ ist seit 8. April 1704 im Besitz der Familie Ruetz. Josef Ruetz hat die Geschichte des Hofes freilich viel weiter zurückverfolgt; dies bis zu den Anfängen des Tiroler Verfachbuchs für den Gerichtsbezirk Sonnenburg (Innsbruck). Jeden Erwerbsvorgang über die Jahrhunderte hat Josef Ruetz ausheben und die betreffende Urkunde transkribieren lassen; dies zurück bis zur ältesten, im Tiroler Landesarchiv verwahrten Urkunde aus dem Jahr 1313. Der Hof stand zu dieser Zeit im Eigentum des Innsbrucker Stadtrichters Aut (Otto) von Matrei. Als dieser gestorben war, schenkte seine Witwe Gerwig, geb. von Liebenberg, im Jahr 1313 das Anwesen dem Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten. Der Hof, in den ältesten Dokumenten „Zirmbachgut“, später „Pucher Lehen“ genannt, war bis zur Grundentlastung im 19. Jahrhundert dem Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten zinspflichtig. Im „Boarischen Rummel“ des Jahres 1703 hatten die bayrischen und französischen Truppen in Kematen wild gehaust. Auch der „Untere Ruetz“, das „Pucher Lehen“ wurde niedergebrannt und der Besitzer ermordet. Da sich die 22 potenziellen Erben nicht einigen konnten, wurde das Gut 1704 an die Familie Edenhauser verkauft. Diese sind direkte Vorfahren der heutigen Besitzerfamilie Josef Ruetz. Der Stammhof, einer der ältesten Höfe in Kematen, stand neben der Kirche und trug die Hausnummer 12. 1910 brannte das Anwesen neuerlich ab und wurde mit geringfügigen Veränderungen wiedererrichtet. Im Zuge der Grundzusammenlegung in den 1960er Jahren wurde 1967 das Wirtschaftsgebäude und schließlich 1970 auch das Wohngebäude ins Michlfeld ausgesiedelt. 1988 übernahm Josef Ruetz nach alter Tradition den Hof von seinem Vater. Als Vollerwerbsbauer führt er ihn mit 45 Großvieheinheiten bis heute weiter. Natürlich hat die Geschichte des Hofes nicht erst im Jahr 1313 begonnen; die Urkunde aus dem Jahr 1313 ist lediglich der älteste Erwerbsakt für den Hof, der im Tiroler Landesarchiv aufbewahrt wird. Anzunehmen ist, dass die Geschichte des Hofs in Wahrheit schon mit den Anfängen der heutigen Besiedlung Tirols durch die Bajuwaren begonnen hat, sohin im 6. oder 7. Jh. n. Chr. Der dem Hof zuzuordnende Grundbesitz ist somit über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren entstanden. Der Gemeinschaftsbesitz Kemateralm, dessen Geschichte Josef Ruetz gerade bearbeitet, lässt sich anhand bekannter Urkunden noch länger in der Historie zurückverfolgen. Das Kernstück der Alm, der Berg Senders, war Teil der Schenkungen von Kaiser Konrad II. im Jahr 1027 an das „Bistum Brixen“. Im Jahr 1142 übergab Bischof Reginbert von Brixen den Berg Senders dem Stift Wilten als Ausstattung. 1352 schließlich übergab das Stift Wilten die Alm am Senders den Kematern, welche dafür einen jährlichen Grundzins von 26 Pfund Perner, Meraner Münz, bezahlen mussten. Dies bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als alle Grundzinse im Zuge der Grundentlastung abgelöst wurden. Wer wurde Eigentümer der Alm, als das Obereigentum des Stifts Wilten aufgehoben wurde? Die Grundbuchanlegungsbeamten hatten sich die Sache eher einfach gemacht. Um die Jahre 1898 bzw. 1899 hat man als Eigentümerin der Alm die Etikette „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ gewählt. Als Eigentumstitel wurde insbesondere die Verleihungsurkunde des Stifts Wilten aus dem Jahr 1352 (!) angeschrieben. Gerade so, als ob eine Gemeinde Kematen im Sinn des Verständnisses um die Wende zum 20. Jahrhundert im Jahr 1352 bereits existiert hätte.
HOFBESITZ UND GEMEINDERECHT
Über Jahrhunderte hat sich der Rechtsverkehr vor allem mit Nutzungsrechten an Gemeinschaftsliegenschaften befasst. Die älteste Urkunde aus dem Tiroler Raum, wo „Gemainnutzungen“ einer Hofstelle als Zubehör zugeschrieben sind und als Privatrecht mit der betreffenden Hofstelle auf den neuen Eigentümer übertragen werden, stammt aus dem 10. Jh. Bischof Altwin von Brixen verschaffte darin dem Edlen Berchtold „… illum usum, qui vulgo dicitur gimeineda“. Die älteste erhaltene Urkunde, in der die Bezeichnung „Gemain“ als Umschreibung für eine solche gemeinschaftlich genutzte Liegenschaft verwendet wurde, ist ein Tauschvertrag aus der Zeit von 1050/1065. Im Innsbrucker Stadtrecht von 1239 – zur Gänze in Latein abgefasst – werden die gemeinsam genutzten Weideplätze wie folgt beschrieben: „quod gemeinde dicitur“. Jedes individuelle Nutzungsrecht des einzelnen Hofbesitzers läuft parallel mit der vergleichbaren Berechtigung der anderen Hofbesitzer der Nachbarschaft. Die Tatsache solcher parallel laufender Nutzungsrechte mehrerer Nachbarn an ein und demselben Waldstück setzt eine „Gemeinschaftsordnung“ voraus. Solche Gemeinschaftsordnungen für Wald und Weide sind auch tatsächlich bis in das zwölfte Jh. zurück in schriftlicher Form nachweisbar. Beispielsweise ist aus Bozen ein so genanntes „Weistum“ aus dem Jahr 1190 bekannt, welches die Nutzung der Allmendwiesen und des gemeinsamen Waldes durch die dortigen Nachbarn regelte. Eigentum setzt den Willen voraus, eine Sache für sich zu behalten und andere davon auszuschließen. Insofern eine Gemeinschaft von Hofbesitzern eine Allmende exklusive für sich in Anspruch nimmt und sich mit diesem Exklusivitätsanspruch durchsetzt, entsteht Eigentum. Theoretisch denkbar ist der Eigentumserwerb an Allmendliegenschaften sowohl durch Okkupation als auch durch Ersitzung. Dies freilich im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung. Am so genannten Allmendland, am Gemeinschaftswald und der Gemeinschaftsweide haben die Fürsten traditionell besondere Rechte behauptet. Als Träger der Gesetzgebungsgewalt konnten sie ihren diesbezüglichen Willen in Gesetzesform kleiden. So wird behauptet, dass schon der Gründer Tirols, Meinhard II. (* um 1238; † 1. November 1295 in Greifenburg), den Rechtssatz aufstellte, dass die Tiroler Wälder Eigentum des Landesfürsten seien. Jedenfalls schriftlich dokumentiert ist, dass der Sohn von Meinhard II., Heinrich, Graf von Tirol und Herzog von Kärnten (* 1265; † 1335), im Jahr 1330 in seinem „Amtsbuch“ sämtliche Waldungen des Inn- und Wipptales als Eigentum des Tiroler Landesfürsten dekretierte. Ein Fürsteneigentum an den Wäldern und Weiden zu behaupten, ist das eine; dieses Eigentumsrecht in der Praxis durchzusetzen, ist das andere. Die Rechte, die der Landesfürst an den Gemaindliegenschaften für sich durchsetzen konnte, werden unter dem Begriff „Allmendregal“ zusammengefasst. Beispielsweise verfügte Anfang des 15. Jh. Friedrich, Landesfürst von Tirol (* 1382; † 1439), dass nunmehr jeder „Neubruch“ in der Gemain (= Umwandlung des Waldlandes in Weide oder Bauland) – egal ob durch einzelne oder durch die Gesamtheit der Berechtigten, der landesfürstlichen Genehmigung bedürfe. Weitere landesherrliche Rechte an den „Gemainen“ wurden insbesondere im Bereich der Jagd durchgesetzt. Unter Kaiser Maximilian I. (* 1459; † 1519) wurde im Tiroler Landlibell von 1511 Folgendes verfügt: „Von wegen der gemain, …, die sollen in kainem weg eingefanngen werden on der gerichtsherrn oder phlegers an dem ennd, … , auch der unnderthanen, denen dieselb gemaind zugehoeret, wissen und willen, welcher das darueber teatten, der oder dieselben sollen darumb gestrafft werden.“ Mit dieser Gesetzesregelung wurde klargestellt, dass von der Gemain nichts in Einzeleigentum umgewandelt werden dürfe ohne Zustimmung des Gerichtsherren, des Pflegers und ohne Wissen und Willen der Untertanen, denen die betreffende Gemaind „gehörte“. Für die gefürstete Grafschaft Tirol war damit verbrieft, dass ohne Wissen und Willen der berechtigten Nachbarschaften niemand Fremder auf den Gemeinschaftsliegenschaften angesiedelt werden durfte. Die Zustimmung der jeweiligen nutzungsberechtigten Nachbarschaft war ab dem Jahr 1511 in Tirol verfassungsmäßige Voraussetzung für die Ansiedlung von Zuzüglern auf den Gemeinschaftsliegenschaften. Daran knüpfte sich eine Entwicklung, die im Tiroler Forstregulierungspatent 1847 durch die förmliche Anerkennung des Privateigentumsrechts der Nachbarschaften ihren (vorläufigen) Abschluss fand.
„METTERNICH’SCHES FORSTSYSTEM“
Seit Verabschiedung des Tiroler Landlibells im Jahr 1511 waren über 300 Jahre vergangen. Jede Nachbarschaft nutzte über diesen Zeitraum ihre jeweiligen Gemeinschaftsliegenschaften mit Ausschluss anderer Nachbarschaften. Der Sache nach hat jede dieser „Wirtschaftsgemeinden“ Eigentum ausgeübt. Dies ungeachtet der Rechte des Landesherrn aus dem feudalen Obereigentum. Wesentlich ist, dass Dritte von der Nutzung ausgeschlossen wurden und dass die einzelne Nachbarschaft über die Erträgnisse ihrer Liegenschaften verfügt hat. Dabei wollte man die Vorgaben der landesfürstlichen Forstverwaltung immer weniger als verbindlich hinnehmen. Parallel entwickelte die aus dem Sieg über Napoleon und aus der Neuordnung Europas am Wiener Kongress 1815 gewaltig gestärkte Staatsgewalt (Restaurationszeit, Metternich’sches System) neues Selbstbewusstsein. Die landesfürstliche Forstverwaltung stellte sich deshalb im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder auf den Rechtsstandpunkt, dass in Tirol von einem allgemeinen landesfürstlichen Waldeigentum auszugehen sei. Die Tiroler Nachbarschaften hätten demnach an ihren Gemeinschaftswäldern keine Rechte; nur den einzelnen Hofeigentümern, den Feuerstattbesitzern, kämen kraft Ersitzung Holzbezugsrechte oder „Gnadenholzbezüge“ zu. Diese Rechtsauffassungen standen einander unvereinbar gegenüber. Als 1839 eine neue Waldordnung in Kraft trat, brach in Tirol ein wahrer Sturm von Rechtsstreitigkeiten los. Die Tiroler wollten von diesem angeblichen Eigentum des Landesfürsten an „ihren“ Wäldern nichts mehr wissen. Ein Bericht eines anonymen Schreibens in der Österreichischen Vierteljahresschrift für das Forstwesen des Jahres 1851 erklärt, dass eine heillose Verwirrung in den forstlichen Eigentumsverhältnissen entstand. Hunderte von Rechtsstreiten seien anhängig gewesen, „doppelt so viele Federn in Bewegung, um für und dagegen zu schreiben“. Die Forstverwaltung sei fast ausschließlich mit der Sammlung von Klagebehelfen und Instruierung von Klagen beschäftigt gewesen.“ Die kaiserliche Forstverwaltung befand sich in einem Dilemma. Nach den historischen Quellen hatte der Tiroler Landesfürst, ab 1804 „Kaiser von Österreich“, vornehmlich in der Umgebung von Bergwerken und Salinenbetrieben und in speziellen Forsten Herrschaftsrechte über die Wälder ausgeübt, weshalb das behauptete Eigentum an allen so genannten „gemeinen Wäldern“ auch unter den historischen Verhältnissen als Anmaßung empfunden wurde. Der absolut regierende Herrscher besaß zwar die Gesetzesmacht, um Staatseigentum zu schaffen. Auch für ein absolut regierendes Staatsoberhaupt gelten jedoch sachenrechtliche Grundprinzipien der Rechtsordnung – zumindest sinngemäß. Eigentum verlangt die faktische Machtausübung als Wesenselement. Wenn deshalb faktische Herrschaftsrechte an einer Sache „seit Menschengedenken“ nie ausgeübt wurden, dann entsteht auch für ein absolut regierendes Staatsoberhaupt ein gewisser Argumentationsnotstand. Die Zentralregierung in Wien – schon damals um elegante Auswege aus einem staatspolitischen Dilemma nicht verlegen – wählte, um beiden widerstreitenden Ansichten Genüge zu tun, die Variante eines kaiserlichen Gnadenaktes: In „huldvoller Berücksichtigung der im Verlauf der Zeit eingetretenen Verhältnisse“ [Ersitzung!] sollte das landesherrliche Hoheitsrecht an den Wäldern, Alpen und Auen Tirols so umgestaltet werden, dass auch die Stammliegenschaftsbesitzer zu ihrem Recht kämen. Rechtsgrundlage dafür war die mit aller höchster Entschließung vom 6. Februar 1847 befohlene „Regulirung der Tiroler Forstangelegenheiten“; das betreffende Gesetz ist als das „Tiroler Forstregulierungspatent 1847“ bekannt.
WALDZUWEISUNG IN OSTTIROL
Nach diesem Gesetz wurden zwei Regionen Tirols unterschieden: der so genannte „Regalitätsforstbezirk“ und das übrige Tirol (in den Grenzen des Jahres 1847!). Als „Regalitätsforstbezirk“ wurden die Kreise Oberinntal einschließlich des Lechtals und Unterinntal einschließlich des Wipptals sowie bestimmte Forstkomplexe südlich des Brenners definiert. Außerhalb dieses Regalitätsforstbezirks, insbesondere auch im Gebiet des heutigen Osttirols, hat der Kaiser generell auf sein Hoheitsrecht an den Wäldern, Alpen und Auen verzichtet. Der Landesfürst und „Kaiser von Österreich“ hat sein (behauptetes) Obereigentum an diesen Wäldern förmlich aufgegeben (Art. 6 des Forstregulierungspatents 1847). Die Wälder außerhalb Nordtirols sollten demnach Eigentum derjenigen werden, die in dem betreffenden Wald holzbezugsberechtigt waren. Das Tiroler Forstregulierungspatent 1847 spricht von den „bisher zum Holzbezuge berechtigten oder mit Gnadenholzbezügen beteilten Gemeinden als solchen“, deren Eigentum an den Wäldern nunmehr förmlich anerkannt würde. Gemeint war mit der „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ (natürlich) nicht eine Kirchengemeinde, nicht die Schulgemeinde und nicht eine Steuergemeinde. Genauso wenig war an die heutige politische Ortsgemeinde gedacht, wenn ersessenes Eigentum der „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ angesprochen wurde. Der Begriff „berechtigte Gemeinde“ steht für „Gemeinschaft“ – entsprechend dem damals üblichen Sprachgebrauch. Die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ war niemand anders als die Summe der jeweils berechtigten Nachbarn, die Summe der jeweiligen Gruppe an Hofbesitzern, mit deren Stammsitzliegenschaften das Holznutzungsrecht im betreffenden Waldstück verbunden war. Diese Nachbarschaften hatten die betreffenden Waldstücke über Jahrhunderte unter Ausschluss von anderen Nachbarschaften bewirtschaftet. In dem Moment, in dem das feudale Obereigentum der Fürsten abgeschafft wird, verbleiben als einzig denkbare Berechtigte diejenigen, die den jeweiligen Wald an Ort und Stelle seit jeher genutzt haben. Nur diese können zivilrechtliche Eigentümer werden. Ihre Rechtsstellung wurde per Gesetz vom Status „Nutzungsrecht“ in den Status „Eigentum“ umgewandelt. Die Bestätigung des Eigentums zu Gunsten der jeweils „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ erfolgte seitens des Landesherrn (selbstverständlich) unter dem Vorbehalt besserer Rechte Dritter. Diesen Vorbehalt erforderte schon die Tatsache, dass der Adressat der Eigentumsbestätigung, die jeweils „holzbezugsberechtigte Gemeinde“, keine generell abgrenzbare Erscheinung war, zumal die Rechtsverhältnisse in ihrer lokalen Vielfalt gar nicht geprüft werden konnten. Eine bestimmte Gruppe von Holzbezugsberechtigten konnte sich deshalb nicht gegenüber einer anderen Gruppe von Holzbezugsberechtigten auf das Tiroler Forstregulierungspatent 1847 als Rechtstitel ihres Eigentums berufen. Vielmehr hat hier das jeweils bessere Recht gegolten. Gleiches galt, falls einzelne Grundbesitzer bestimmte Waldstrecken alleine und ausschließlich für sich genutzt hatten. Mit dem Wegfall des Obereigentums des Landesfürsten wurde derjenige oder wurden diejenigen zu (Voll-)Eigentümern, welche die ausschließliche Nutzung als Gruppe oder auch als einzelne zumindest über die Ersitzungszeit des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs nachweisen konnten. Organisatorisch umgesetzt wurde die Maßnahme erst in den 1850er Jahren. Die Instruktion für Umsetzung dieser Maßnahme im Kreisregierungs-Bezirk Brixen aus dem Jahr 1853 und die weiteren Formularien dazu haben die damaligen politischen Gemeinden in die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse eingebunden. Formal wurden die politischen Gemeinden innerhalb der jeweiligen Gemeindegrenzen für die Zuweisung der Waldstrecken an den richtigen Eigentümer zuständig gemacht.
EIGENTUMSPURIFIKATION IN NORDTIROL
Im gesamten Nordtiroler Raum, den Kreisen Oberinntal und Unterinntal, im „Regalitätsforstbezirk“, wurde hingegen das landesfürstliche Hoheitsrecht an den Forsten, Almen und Auen als Grundsatz aufrechterhalten, jedoch wichtigen Modifikationen unterworfen. Es wurde folgender Kompromiss gefunden: Zum einen hat der historische Gesetzgeber eine ganze Reihe von Ersitzungstatbeständen anerkannt, zum anderen wurden die Holzbezugsrechte und „Gnadenholzbezüge“ der Hofbesitzer in Grund und Boden abgelöst. Ersessenes Privateigentum an Wäldern wurde insbesondere dann anerkannt, wenn einzelne oder ganze Nachbarschaften Jahrzehnte lange Grundsteuerzahlungen geleistet hatten. Anhand genau definierter Vorgaben wurde bei Erfüllung aller Voraussetzungen Privateigentum an Forsten, Alpen und Auen sowohl für Einzelbesitzer als auch für die Nachbarschaften als solche anerkannt – „Gemeinden“, „Gemeindsparzellen“ oder ähnlich genannt. Das Tiroler Forstregulierungspatent spricht von einer „Eigentumspurifikation“. Die Gesetzesgrundlage dafür war in Art. 2 Forstregulierungspatent 1847 gelegt. Nach dieser Gesetzesregelung „gestattete“ der „aller höchste Landesfürst“ auch in Nordtirol „die Beurteilung der Eigentumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden, in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältnisse, für das Vergangene in Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts“ – zu deutsch: Kaiser Ferdinand I. wollte und hat ersessenes Eigentum an Wäldern anerkannt. Dies allerdings nur unter genau definierten Voraussetzungen, die eine eigens einzusetzende Kommission anhand jedes Einzelfalles prüfen und darüber entscheiden sollte. Die Instruktion für diese Kommission stammt vom 16. Juni 1847 und diese enthält folgende bemerkenswerte Klarstellung dazu: „Die Commission hat also die Bestimmung, in jenen Forstgebieten Tirols, in welchen das landesfürstliche Forsthoheitsrecht als Regel aufrecht verbleibt, namens der obersten Finanzverwaltung […] das Privatforsteigenthum im außergerichtlichen Wege zu liquidiren, wodurch dasselbe von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert und in diesem besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Aerar ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll.“ Tausende Waldparzellen wurden in Nordtirol nach diesen Vorgaben des historischen Gesetzgebers im Zeitraum 1847 bis 1849 als Privateigentum anerkannt, zusätzlich Almliegenschaften und Auen. Für jeden Gerichtsbezirk in Nordtirol wurde eine so genannte Privatforsteigentums-Purifikations-Tabelle angelegt. In der Masse handelte es sich um Einzeleigentum an Waldparzellen und Gemeinschaftseigentum an Almen. Speziell im ehemaligen Gerichtsbezirk Sonnenburg, heute: Bezirksgericht Innsbruck, war es jedoch üblich, dass auch für den Gemeinschaftsbesitz an Wald schon damals (freiwillig) Grundsteuer bezahlt wurde. Insoweit dies der Fall war z. B. in Afling, Aldrans, Amras, Axams, Birgitz, Götzens, Grinzens, Hötting, Igls, Kematen, Kreith, Lans, Mutters, Natters, Patsch, Raithis, Vill, Völs und Wilten, wurden die Gemeinschaftswälder im Wege der „Purifikation“ als (gemeinschaftliches) Privateigentum anerkannt.
SERVITUTENABLÖSUNG IN NORDTIROL
In ihren praktischen Auswirkungen wesentlich bedeutsamer als die „Forsteigentumspurifikation“ war die systematische Ablösung der Nutzungsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer Nordtirols, die Forstservitutenablösung 1847. Dabei wurden die Nordtiroler Nachbarschaften, anders als die Osttiroler, nicht in Bausch und Bogen als Eigentümer ihrer „gemeinen Waldungen“ anerkannt. Vielmehr erwarben die Nutzungsberechtigten im Wege eines Ablösegeschäfts – Verzicht auf Nutzung gegen Eigentum (an einer verkleinerten Fläche) – die „gemeinen Waldungen“ nur zum Teil als gemeinschaftliches Privateigentum. Einen nicht unbedeutenden Anteil hat sich der Landesfürst zurück behalten. In diesen dem Staat vorbehaltenden Wäldern mussten die Stammliegenschaftsbesitzer auf ihre „Beholzungsservituten“ im Vergleichswege förmlich Verzicht leisten. Die Vertragsformel, die in den meisten dieser Servitutenablösevergleiche verwendet wurde, lautet wie folgt: „Leistet die Gemeinde für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf alle ihr von der k. k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission nicht ausdrücklich vorbehaltene Nutzungen und Bezüge, also auch auf das Streumachen, Grasmähen, und so fort in den vorbehaltenen Staatswäldern sowohl, als auch in den anderen Gemeinden überlassenen Wäldern feierlich Verzicht“. Im Gegenzug bestätigte der Landesfürst an den Ablöseliegenschaften das freie Eigentum. Das juristische Grundkonzept der Waldservituten-Ablösung war ein Tausch: Erledigung aller Nutzungsrechte auf dem Waldeigentum, welches sich der Landesfürst zurückbehalten oder anderen holzbezugsberechtigten Gemeinden (= Nachbarschaften) in das Eigentum übertragen wollte, Zug um Zug gegen freies Eigentum an einer Ablösefläche. Der Sache nach wurde das Eigentum auf eine aus den nutzungsberechtigten Stammliegenschaftsbesitzern gebildete „Korporation“ übertragen – die „Gemeinde der Holzbezugsberechtigten“. In einem Akt wurden die Nutzungsrechte der Betreffenden auf dem zurückbehaltenen Staatseigentum aufgehoben. Auf diese Art und Weise sind in Nordtirol die Masse der heutigen Agrargemeinschaftswälder entstanden – jeder einzelne Ablösungsvergleich durch die eigenhändige Unterschrift des Ministers in Wien anerkannt. Den Agrargemeinschaftwäldern steht der Staatswald in Nordtirol gegenüber, heute Bundesforsteliegenschaften. Die Ablöseflächen, das neue Nachbarschaftseigentum, sollte so bemessen sein, dass alle holzbezugsberechtigten Nachbarschaftsmitglieder künftig ihren Bedarf aus dem Gemeinschaftseigentum decken können. Vorausgesetzt wurde dabei, dass die neue Bewirtschaftung als Privateigentum wesentliche Ertragssteigerungen mit sich bringt.
Im heutigen Sprachgebrauch hat sich die Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ im Wesentlichen verengt auf die „politische Ortsgemeinde“, die Teil des Staates ist. Dies war nicht immer so. An das ursprünglich wesentlich breitere Begriffsverständnis, welches unter dem Begriff „Gemeinde“ jedwede beliebige Personenmehrheit verstanden hat, erinnern Begriffe wie „Fangemeinde“, „Trauergemeinde“, „Kirchengemeinde“ usw.
So definiert der Codex Theresianus, ein Gesetzesentwurf des gesamten Bürgerlichen Rechts, entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass drei Personen eine „Gemeinde“ bilden. „Gemeinde“ war nach diesem Begriffsverständnis insbesondere auch die organisierte Gemeinschaft von Hausbesitzern – heute würde man von „Gesellschaft“ oder „juristischer Person nach Privatrecht“ sprechen.
Die historische Vieldeutigkeit des Gemeindebegriffes und die spätere Verengung des Begriffsverständnisses im Verlauf des 19. Jahrhunderts erklären viele Probleme des heutigen Agrarrechts. In die öffentlichen Register der jüngeren Zeit wurden die Eigentümerbezeichnungen aus alten Urkunden übernommen. Dies zu Unrecht!
Eine „Gemeinde“ wurde so als Eigentümerin angesehen, obwohl (rückblickend) sich der Gemeindebegriff im allgemeinen Sprachgebrauch bereits auf die moderne Ortsgemeinde verengt hatte. Solche Verwechslungen sind passiert, wenn die Zeitgenossen zu wenig Verständnis für die großen Entwicklungslinien im Recht der alten Dorfgemeinschaften mitgebracht haben.
Die historische Gesellschaft Tirols war besonders anfällig für diese Fehlentwicklung. In Tirol kamen mehrere Umstände zusammen, die die moderne politische Ortsgemeinde als „Erbin“, als Rechtsnachfolgerin, der historischen Nachbarschaften erscheinen ließen.
Dies hat damit zu tun, dass die Tiroler Gemeinden bei Beginn der Grundbuchanlegung immer noch weitestgehend nur aus Mitgliedern der alten Nachbarschaften zusammen gesetzt waren.
Hinzu kam ein Wahlrecht zur Gemeindeführung, das vom so genannten „Grundsteuerschlüssel“ beherrscht war; der Besitz von Grund und Boden in der Gemeinde war für das Wahlrecht Ausschlag gebend.
Auch wurde die Grundbuchanlegung zu einem Zeitpunkt gestartet wurde, als in Tirol noch kein Flurverfassungsrecht (= damals: Teilungs- Regulierungs- Landesrecht) existierte. Ein Rechtsverständnis dafür, dass auch eine juristische Person des Organisationstyps „Agrargemeinschaft“ existieren könnte, hat deshalb weitgehend gefehlt. Statt eine Agrargemeinschaft als Trägerin des Eigentums zu erfassen, hat man auf „Gemeinden“ oder „Fraktionen“ zurück gegriffen.
Ein Bericht aus dem Jahr 1878 aus Niederösterreich fasst die Hintergründe und die Auswirkungen dieser Entwicklung für das damalige Kronland trefflich zusammen. Verfasser ist Dr. Josef Kopp, Reichstagsabgeordneter und Abgeordneter in Niederösterreichischen Landtag sowie Mitglied des damaligen Landesausschusses in Niederösterreich.
Im Auftrag des Niederösterreichischen Landtages hat Dr. Josef Kopp mehrjährigen Erhebungen in allen Gemeinden Niederösterreichs durchgeführt.
Sein Bericht vom 21. September 1878 liefert eine bemerkenswert tiefgründige Analyse der Sach- und Rechtslage.
Die faktischen Verhältnisse, weshalb Gemeinschaftsgut der Nachbarn in den neuen politischen Ortsgemeinden Niederösterreichs als ein Gut dieser neuen politischen Ortsgemeinden verstanden wurde, fasste Dr. Josef Kopp trefflich wie folgt zusammen:
„Ist diese moderne Gemeinde, dieser Mikrokosmus des Staates, diese juristische Person aber noch dasselbe wie die alte Dorfmark mit ihrer Wirthschaftsgenossenschaft?
Gewiß nicht, der territoriale Umfang und der Name ist derselbe geblieben, die Sache, der Begriff haben sich völlig geändert. Im Kataster aber und im Grundbuch steht noch der Name `Gemeinde´; wer ist nun das Rechtssubject bezüglich der dort eingetragenen Gemeindegründe?
Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg auf anwendbar war. Die `Gemeinde´ erschien in allen Urkunden als Eigenthümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne daß letztere gestorben wäre.
Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren. Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. …
Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“
„GEMEINDE“ IN DER PRIVATRECHTSKODIFIKATION
Ende 18. Jahrhundert: „Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“. So lautet eine Bestimmung zum Sachenrecht des Entwurfes zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahr 1796.
Diesen Gesetzesentwurf hatte Karl Anton Martini zu Wasserburg, Vorsitzender der Hofkommission in Gesetzessachen, einer der bedeutensten Juristen seiner Zeit, erarbeitet. Der „Gesetzesentwurf Martini“, auch „Ur-Entwurf zum ABGB“ genannt, wurde versuchsweise in Westgalizien in Kraft gesetzt. Deshalb ist er auch als „Westgalizisches Gesetzbuch“ bekannt. Nach dem Tod Martinis im Jahr 1800 hat sein bedeutenster Schüler, Franz von Zeiller, die weitere Bearbeitung des Gesetzeswerkes geleitet. 1811 war schließlich unser heute noch geltendes Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch fertig gestellt. Der „Ur-Entwurf“ ist deshalb auch für das geltende Recht von großer Bedeutung.
Der „Ur-Entwurf“ macht deutlich, was der Begriff „Gemeinde“ in der historischen Juristensprache bedeutete: Eine „Gemeinde“ war eine juristische Person nach privatem Recht, ein Zusammenschluss von Privatpersonen – ein heute in Vergessenheit geratenes gesetzliches Organisationsmodell. Die Rechtswissenschaft sprach damals auch von einer „Korporation“, von einer „persona moralis“ oder eben einer „Gemeinde“. Dies entsprechend einer Jahrhunderte alten Rechtstradition.
In Sinne dieser Tradition formulierte der Codex Theresianus im Jahr 1765: „… also, dass wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen können“ (Harras v Harrasovsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, II, S 26, § III n 133).
Passend berichtete das Tiroler Gubernium im Jahr 1784, was man in Tirol unter einer „Gemeinde“ verstünde: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z.B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA, Gutachten an Hof 1784, Bd 2, Fol 249 – zitiert nach Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol, Tiroler Heimat 2008, 162).
„Gemeinde“ ist nach diesem Verständnis eine private Personenvereinigung – heute würde man sagen eine Gesellschaft nach Privatrecht, gegründet von Privatpersonen.
Die Rechtsgelehrten des „gemeinen Rechtes“ hatten Grundsätze für diese „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ erarbeitet.
Als ihr Ursprung wurde die fortgesetzte Niederlassung von Menschen an bestimmten Orten angenommen. Eine „Gemeinde“ war vermögensfähig, sie hatte die Fähigkeit zum Besitzerwerb, die Fähigkeit zum Prozessieren sowie die volle Erbfähigkeit. Insbesondere konnten diese Gemeinden Verträge abschließen, sei es mit einzelnen Gemeindegliedern oder mit Externen (z. B. kirchlichen Einrichtungen) und natürlich auch mit anderen Gemeinden weltlicher oder geistlicher Art oder mit der Obrigkeit. Irgendeiner staatlichen Bestätigung bedurfte die Bildung einer solchen Gemeinde nicht.
Zu Recht wurde behauptet, dass viele derartige Verbände ebenso alt oder noch älter sind als die historischen Staaten.
Praktisch bedeutsam wurde die private Gemeindeorganisation meist im Zusammenhang mit gemeinschaftlichem Grundbesitz.
Dies lässt auch der Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus den 1790er Jahren deutlich erkennen:
Der Gesetzesabschnitt zum Sachenrecht regelt zuerst, dass Sachen entweder dem Staat als solchem gehören oder den Untertanen, den Privaten.
Die anschließenden zwei Paragraphen behandelten die Sachen des Staates. Sodann werden die Sachen der Privaten geregelt und die Eigentümer von Privatvermögen definiert. Der Gesetzestext spricht von den „Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft“, den Untertanen des Herrschers.
Diese privaten Untertanen waren entweder „Gemeinden“ oder „einzelne Personen“.
Zum „Gemeindeeigentum“ regelt der „Ur-Entwurf“ Folgendes: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber […] dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; […] sie heißen das Gemeindevermögen.“
Diese Regelung macht deutlich, dass mit dieser Gesetzesregelung die Rechtsverhältnisse an einer „Gesellschaft der Nachbarn“, am Nachbarschaftseigentum organisiert in einer juristischen Person nach Privatrecht, geregelt werden sollten. Das betreffende Nachbarschaftsvermögen diente entweder der Nutzung durch die jeweiligen Nachbarn (= Gemeindegut) oder es diente der (Finanzierung der) Gemeinschaft als solcher (Gemeindevermögen).
ORGANISATIONSMODELL FÜR GEMEINSCHAFTSEIGENTUM
Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ fiel den historischen Juristen vor allem als Organisationsmodell für gemeinschaftliches Eigentum in die Augen.
So hatte das Tiroler Gubernium im Jahr 1784 die „Gemeinde“ definiert als „gewisse Häuser, die gemeinschaftlich Nutzbarkeiten an Weiden, Waldungen und Gründen genießen“ [= Gemeindegut] und eine Kasse [= Gemeindevermögen] besitzen. Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ wird somit durch den Gemeinschaftsbesitz konstituiert. Die Mitberechtigung am Gemeinschaftsbesitz begründete die Gemeindemitgliedschaft. Die gemeinschaftliche Sache, die von den Gemeindegliedern genutzt wird, ist das zentrale Element, der „Materialisationspunkt“, um den herum sich die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ in den Dörfern entwickelt hat.
Der Begriff „Gemeinde“ war und ist darüber hinaus auch für andere Zusammenschlüsse von Personen gebräuchlich – beispielsweise für die kirchlichen Gemeinschaften, die „geistlichen Gemeinden“, die „Pfarrgemeinden“, aber auch für politische und soziale Verbindungen von Personen, seien es „nachhaltige Strukturen“ oder lose, spontane Verbindungen. Es gibt die Steuergemeinden, die Militärgemeinden, die Gerichtsgemeinden, die Schulgemeinden, die Jagdgemeinden, die (moderne) Fangemeinde, die „Trauergemeinde“ usw.
Im Großen ergibt sich folgende Einteilung:
Es gibt die Gruppe der geistlichen (= Religions-)Gemeinden, die Gruppe der politischen Gemeinden und die Gruppe der Gemeinden nach bürgerlichem Recht, und schließlich diverse lose „soziale Gemeinden“. Jede dieser völlig verschiedenen Erscheinungen kann gemeint sein, wenn von „Gemeinde“ die Rede ist. Meist ergibt sich schon aus dem Zusammenhang, welche Gemeindeerscheinung gemeint ist. Wenn z. B. der Pfarrer sich am Sonntag in der Predigt an die „Gemeinde“ wendet, wissen der Bürgermeister und die Gemeinderäte genau, dass nicht die politische Ortsgemeinde angesprochen ist, sondern die im Gotteshaus versammelte „Gemeinde der Kirchgänger“. Bleibt die Rechtsnatur der gemeinten „Gemeinde“ aus dem Sprachkontext unklar, ist die Bedeutung im Einzelfall durch Interpretation zu ermitteln.
Der Gemeinschaftsbesitz einer Mehrheit von Stammliegenschaftsbesitzern bildete den hauptsächlichen Anlass für die Anerkennung einer „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“. Hierfür hat sich die Bezeichnung „Wirtschaftsgemeinde“ eingebürgert. Der Gemeinschaftsbesitz wurde in Tirol „Gemain(d)“ oder „Gmoa(n)“ genannt. Unter „Gemain“ ist jener Grund und Boden zu verstehen, der von den Mitgliedern der Nachbarschaft, den „Feuerstattbesitzern“, gemeinsam bewirtschaftet wurde. In der Regel waren diese mitberechtigten Feuerstätten auch örtlich miteinander verbunden, weshalb die „Gemeinde“ in Tirol meist „Nachbarschaft“ genannt wurde.
DAS GEMEINSCHAFTSGUT
Das jeweilige Gemeinschaftsgut konnte nicht nur Alm, Wald oder Weide sein, sondern auch ein Brunnen oder eine Mühle – auch ein Backofen usw. Auch eine Pflicht konnte Veranlassung zur Gemeindebildung geben. Manche historische Nachbarschaft war verpflichtet, einen bestimmten Flussabschnitt zu regulieren [= „verarchen“]. Die Nachbarn bildeten insoweit eine „Verarchungsgemeinde“. Wenn diesem Zweck ein Stück Land gewidmet wurde, wo die Steine und das Bauholz gewonnen wurden, war die Liegenschaftsbezeichnung „Archenwald“ geläufig. Einen „Archenwald“ findet man heute noch in Kematen oder in Weer.
Kleinere Siedlungsverbände hatten oft eigene Heimweiden und eigene Almweiden. Dies konnte begleitet sein von einer Waldwirtschaft im Großverband. In St. Jakob im Defereggental haben sich bis heute solche Strukturen erhalten: Vier Nachbarschaften, in Osttirol „Rotten“ genannt, besitzen die lokalen Heimweiden um die jeweiligen Höfe; die Gemeinschaft aller Hofbesitzer der vier „Rotten“ besitzt in St. Jakob den Wald. Die zahlreichen Almen werden von ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gemeinschaften genutzt, zu einem beträchtlichen Teil auch von Hofbesitzern aus dem Südtiroler Ahrntal. Die typische Feuerstatt war somit in St. Jakob bei drei Wirtschaftsgemeinden beteiligt: an der aus den Nachbarn gebildeten „Weidegemeinde“, der großen „Waldgemeinde“ und einer „Almgemeinde“.
„Gemain“ als Hauptwort konnte sowohl die Bezeichnung einer Nachbarschaft sein, als auch die Bezeichnung der Nachbarschaftsliegenschaft. Die Nachbarschaftsmitglieder waren die „Gmoa“ (= Gemeinde) und ihr Gemeinschaftseigentum war die „Gmoa“ (= Gemeinde). Diese uralte Terminologie hat auch in das geltende Flurverfassungsrecht Eingang gefunden. Treffend bemerkt der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis Sammlung 9336/1982, dass der Begriff „Gemeinde“ nicht nur die heutige politische Ortsgemeinde bezeichnet, sondern auch zur Bezeichnung der Summe der Nutzungsberechtigten an den Gemeinschaftsliegenschaften verwendet wird und dass das Flurverfassungsrecht beiderlei Begriffsverständnis voraussetzt.
GMOA ODER GMOA?
Vor diesem Hintergrund ist der Gemeindebegriff im Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem ABGB von 1811, zu interpretieren. „Unter dem Begriff ‚Gemeinde’ versteht das ABGB keineswegs die Ortsgemeinde oder ein ähnliches territoriales Gebilde“, sondern es „gilt (…) als ‚Gemeinde’ eine Moralische Person, die als ‚Gemeinschaft’, ‚Körper’ aus ‚Mitgliedern’ (§§ 337, 1482), ‚Gliedern’ (§§ 539, 867) besteht, durch ‚Stellvertreter’ handelt (§ 867), über ein eigenes ‚Gemeindevermögen’ bzw. über ‚Gemeindegüter’ verfügen kann (§ 290) und von ‚weltlichen und (=oder) geistlichen Vorsteher(n)’ (§ 189) geleitet wird.“ (Wilhelm Brauneder, Von der moralischen Person des ABGB zur Juristischen Person der Privatrechtswissenschaft, in: Wilhelm Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts, Frankfurt/Main 1994, 159ff, Zitat 165.) Demnach kennzeichnet der Begriff „Gemeinde“ im ABGB also jede organisierte Personenmehrheit, eine Auffassung die durch zahllose zeitgenössische Quellen belegt werden kann.
Schon die Register zum ABGB oder zur Politischen Gesetzessammlung zeigen die Vielfalt verschiedener „Gemeinden“. Zitiert sei hier bloß, stellvertretend für dieses Verständnis, der wichtigste Redaktor und erste Kommentator des ABGB, Franz von Zeiller. Er erläuterte zu § 27 ABGB: „Die unter öffentlicher Authorität zu gemeinnützigen Zwecken verbundenen Gemeinden, wie die (!) der Städte, Märkte, Dörfer, oder der geistlichen Gemeinden, haben ihre besondere, durch politische Gesetze und Statuten bestimmte Verfassung, sie stehen, weil die einzelnen Glieder ihre in dem Gemeindevermögen begriffenen Rechte nicht verwahren können, unter einem besonderen Schutze des Staates, sind in der Verwaltung ihres Vermögens eingeschränkt und genießen besondere (auf Sachen) angewandte Personen-Rechte. Die Vorsicht fordert demnach, daß diejenigen, welche mit Gemeinheiten (!) Rechtsgeschäfte eingehen, sich zuvor genaue Kenntniß erwerben, ob und inwieweit dieselben oder ihre Vorsteher in der Verwaltung des Vermögens eingeschränkt oder begünstiget seyn.“ (Franz von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, Wien-Triest 1812, 132f).
REALGEMEINDE UND EINWOHNERGEMEINDE
Wenn Juristen von der historischen Wirtschaftsgemeinde sprechen, wird oft der Begriff „Realgemeinde“ verwendet. Dieser Begriff leitet sich ab von der „Realität“, einer veralteten Bezeichnung für Immobilie. Die „Realgemeinde“ (= Realitätengemeinde) ist die Summe der Grundbesitzer [besser: „Grundeigentümer“] in einer Gemeinde. Die „Realgemeinde Mieders“ ist demnach die Summe der Grundbesitzer in Mieders. Bezeichnend ist, dass im Burgenland die weit überwiegende Mehrzahl der Agrargemeinschaften die Bezeichnung „Urbarialgemeinde“ führt. Dies hat folgenden Hintergrund: Der Großteil des heutigen Burgenlands war über Jahrhunderte ein Teil des Ungarischen Königreiches. In Ungarn wurde schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein eigenes Gesetz für die agrarischen Gemeinschaften geschaffen. Was in Österreich eine Agrargemeinschaft ist, war in Ungarn die „Urbarialgemeinde“. „Urbar“ war ein zu ökonomischen, administrativen oder rechtlichen Zwecken angelegtes Verzeichnis von Liegenschaften, Abgaben und Diensten einer Grundherrschaft. Die „Urbarialgemeinde“ im Burgenland ist somit die Summe der Stammsitze, die in der Steuerliste der Grundherrschaft eingetragen waren. Die „Urbarialgemeinde“ vereinigte somit die Liegenschaftsbesitzer einer historischen Grundherrschaft. Im Ergebnis entspricht das vollkommen der Summe der historischen Stammsitze einer Nachbarschaft. Kraft Erbrechts oder Rechtsnachfolge unter Lebenden sind die heutigen Besitzer mit den über Jahrhunderte nachweisbaren Rechtsvorgängern verbunden. Wer die Geschichte des Gemeindebegriffes verstehen möchte, muss sich von Vorstellungen lösen, die nur die heutige Ortsgemeinde als Staatsorganisation im Blick haben und ein allgemeines gleiches Wahlrecht voraussetzen. Die historischen Nachbarschaften, die zu den Anfangszeiten der heutigen Besiedlung ein bestimmtes Territorium in Besitz genommen haben, setzten sich aus der Summe der Hofbesitzer der jeweiligen Nachbarschaft zusammen. Nur der jeweilige Besitzer eines Hofes hatte auch politische Rechte in dieser Nachbarschaft.
Die Verknüpfung von Haus- und Hofbesitz mit der Anerkennung als Nachbar war stark im historischen Rechtsempfinden verwurzelt. Als der Kaiser nach der Niederlage Napoleons die Umwälzungen unter Bayrisch-Französischer Besetzung beseitigt hat, wurden auch die alten Nachbarschaften (= Gemeinden) in Tirol per Gesetz wiedererrichtet. Dieses Gesetz stammt aus dem Jahr 1819 und wird das „Tiroler Gemeinderegulierungspatent“ genannt. Dieses Gesetz regelt auch die Mitgliedschaft zum politischen Gemeindeverband. Ausdrücklich bestimmt dieses Gesetz, dass ein Wohnsitz in der Gemeinde rechtlich ohne Bedeutung ist. („Der Umstand, ob die Gemeindeglieder in der Gemeinde wohnen oder nicht, begründet keinen Unterschied und die bloße Einwohnung bringt die Eigenschaft eines Gemeindegliedes nicht hervor“; § 1 Abs. 2 des Gemeinderegulierungspatents vom 14. August 1819). Politische Rechte, insbesondere Wahlrecht zur Gemeindevertretung hatten nach diesem Gesetz jene Personen, die innerhalb der Gemeindegrenzen so viel Liegenschaftsbesitz hatten, dass diese daraus eine direkte Steuer bezahlt haben – kurz: die Hofbesitzer. Gleichgestellt waren diesen nur die Inhaber von Gewerbebetrieben innerhalb der Gemeindegrenzen, sofern wiederrum aus dem Gewerbebetrieb eine direkte Steuer bezahlt wurde. Wo der jeweilige Besitzer von Grund und Boden oder des Gewerbebetriebes tatsächlich gewohnt hat, war egal. In der typischen Tiroler Landgemeinde hatten demnach nur die Hofbesitzer politische Rechte; nur diese bildeten die „Gemeinde“.
GRUNDBESITZ UND WAHLRECHT
Selbst als der historische Staat in den 1860er Jahren die heutigen Ortsgemeinden eingerichtet hat, knüpfte das Wahlrecht zur Gemeindevertretung in erster Linie an die Steuerleistung aus Grundbesitz. § 1 der Gemeinde-Wahlordnung für die gefürstete Grafschaft Tirol vom 9. Jänner 1866 lautete: „Wahlberechtigt sind: 1. diejenigen Gemeindeglieder, welche österreichische Staatsbürger sind und von ihrem Realbesitze, Gewerbe oder Einkommen seit wenigstens einem Jahr in der Gemeinde eine direkte Steuer entrichten“. Neben dem „Steuerzahlerwahlrecht“ gab es vor allem das „Intelligenzwahlrecht“ (Lehrer, Pfarrer, Studierte usw.) und das „Ehrenbürgerwahlrecht“. Die Wahlberechtigten waren zusätzlich in Wahlkörper gegliedert („Zensuswahlrecht“). In den ersten Jahrzehnten des modernen politischen Gemeindewesens in Tirol hatten somit typischerweise nur Grundbesitzer, d. h. die „Bauern“, ein Wahlrecht zur Gemeindevertretung und zusätzlich der Pfarrer und der Lehrer. Die typische politische Ortsgemeinde in Tirol war somit kraft Wahlrechts zur Zeit der Monarchie eine Gemeinde der „Grundsteuerzahler unter Einschluss des Pfarrers und des Lehrers“. Die „Gemeinde der Wahlberechtigten“ und die „Gemeinde der heutigen Agrargemeinschaftsmitglieder“ waren somit praktisch ident. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass für gewöhnlich heute auch das historische Wohnhaus des Pfarrers (das Widum) und das Schulhaus „Mitglied der Agrargemeinschaft“ sind.
Die historischen Nachbarschaften haben politische Aufgaben wahrgenommen, religiös-soziale und solche wirtschaftsgenossenschaftlicher Art. Die Historiker sprechen von einer „Markgemeinde“. Abhängig von der lokalen Rechtsentwicklung wurden die politischen Aufgaben früher oder später in staatlich implementierte Rechtsträger ausgelagert, die religiös-sozialen Aufgaben oft in Rechtsträger nach kirchlichem Recht. Die wirtschaftsgenossenschaftliche Seite der „Markgemeinde“ ist in vielen Gebieten deshalb untergegangen, weil das ursprünglich gemeinschaftlich genutzte Wirtschaftsgebiet unter den Hofbesitzern aufgeteilt wurde. Wegen Aufteilung des Gemeinschaftsbesitzes gibt es in vielen Gemeinden der Bezirke Kufstein und Kitzbühel heute gar keine Agrargemeinschaften mehr oder nur Gemeinschaftsalmen und Restgrundstücke in der Dorfflur (im Eigentum einer „Dorfgemeinschaft“). Dagegen ist von Schwaz das Inntal aufwärts das Gemeinschaftsgut, die „Gmoa“ oft ungeteilt geblieben.
GEMEINDE UND FEUERSTATT
Eine „Gemeinde“ war Rechtsträgerin nach privatem Recht, d. h. „Person“ im Sinn des Gesetzes. Aus heutiger Sicht auffällig ist die Tatsache, dass der „Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 1796“ bei der Aufzählung von privaten Untertanen des Kaisers die „Gemeinden“ noch vor den einzelnen Personen erwähnt („Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind entweder Gemeinden oder einzelne Personen“). Diese „Gemeinden nach bürgerlichem Recht“ erscheinen im Ur-Entwurf zum ABGB als die „wichtigeren“ privaten Untertanen. Die Kommunikations- und Informationsverhältnisse vergangener Jahrhunderte machen den Grund dafür deutlich: Der Herrscher hat es vorgezogen, seine Untertanen in „Hundertschaften“ anzusprechen, weil damals nur die jeweilige Gemeinschaft der Nachbarn, eben die „Gemeinde“, für die politische Führung wirklich greifbar war: Steuern wurden „gemeindeweise“ erhoben; Kriegslasten wurden „gemeindeweise“ auferlegt usw. Nicht einmal die Größe solcher „Gemeinden“ wurde in der älteren Zeit nach der Anzahl der Einwohner erhoben. Maßgeblich war die Anzahl der Häuser und Höfe, die Anzahl der „Feuerstätten“. Was wir heute als „Volkszählung“ veranstalten, war in der älteren Zeit die „Feuerstättenzählung“ – im heutigen Tirol erstmals nachgewiesen um das Jahr 1310. Die zweite fand um das Jahr 1420 statt.
Die „Gemeinde nach bürgerlichem Recht“ war über Jahrhunderte die wichtigste Erscheinungsform der juristischen Person nach Privatrecht. Als solche war die „Gemeinde“ schon im historischen Griechenland als „polis“ und im römischen Rechtskreis unter der Bezeichnung „communitas“, „vicus“ oder „colonia“ anerkannt. Nach dem „gemeinen Recht des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ war die „Gemeinde“ ein Verband von Personen, die sich zur Förderung eines erlaubten, die Mitglieder selbst überdauernden Zweckes zusammengeschlossen hatten. Im Jahr 1784 hat das Tiroler Guberium, die oberste Verwaltungsstelle im Land, Folgendes klargestellt: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluss anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z. B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ Diese Definition enthält alles, was nach heutigem Rechtsverständnis eine Agrargemeinschaft ausmacht: Gemeinschaftliches Liegenschaftsvermögen, nutzungsberechtigte Stammsitze und eine planmäßige gemeinsame Wirtschaft.
WIRTSCHAFTSGEMEINDE UND ABGB
Fünf Jahre nachdem der „Ur-Entwurf“ zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch fertig gestellt war, nahm eine neue Hofkommission in Gesetzessachen im Dezember 1801 die Beratungen über die im Begutachtungsverfahren erstatteten Einwendungen auf. Der Ur-Entwurf hatte am Beginn des Sachenrechts folgende Regelung zum Eigentum der Wirtschaftsgemeinde enthalten: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Das oberösterreichische und das niederösterreichische Appellationsgericht sowie die Universität Prag hatten für die Beratungen der Hofkommission zur Überarbeitung des Gesetzesentwurfes den Einwand erhoben, dass an den „Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitglied der Gemeinde der Gebrauch zustehe“.
Was die zwei Appellationsgerichte und die Universität Prag zum Ur-Entwurf des ABGB anzumerken hatten, ist jedoch eine Selbstverständlichkeit. Man muss nur die Mehrfachbedeutung des Gemeindebegriffes zu lesen wissen. Wirtschaftsgemeinden existierten innerhalb einer Einwohnergemeinde grundsätzlich so viele, wie verschiedene Eigentümergruppen vorhanden sind. Dazu folgendes Beispiel: Wenn in Lermoos vier gemeinschaftliche Wald- und Almgebiete bestehen, von denen das erste nur von den Obergarter Feuerstätten genutzt wird, das zweite nur von den Untergartern, das dritte nur von den „Dorf-Lermoosern“ und das vierte, der „Schober-Häselgör-Wald“, von allen Feuerstattbesitzern, nämlich den Obergartern, den Untergartern und den „Dorf-Lermoosern“ gemeinschaftlich, dann existieren in Lermoos vier „Wirtschaftsgemeinden“. Jeder Lermooser Stammsitzeigentümer ist bei zweien davon beteiligt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass nicht jeder Einwohner von Lermoos an den Liegenschaften der vier Wirtschaftsgemeinden beteiligt war. Dies aus einem ganz einfachen Grund: Nur weil jemand in Lermoos seinen Wohnsitz nimmt, erwirbt er noch keine Mitberechtigung an einem dort befindlichen Vermögen. Ein Schmied, der sich im Jahr 1799 in Dorf Lermoos niedergelassen hatte, hat dadurch kein Weiderecht auf der Duftlalm der Lermooser erworben und genauso wenig ein Holzbezugsrecht im „Schober-Häselgör-Wald“. Und wenn dieser Schmied ein Jahr später nach Untergarten übersiedelt wäre, hätte er auch durch diesen Schritt kein Weiderecht und auch kein Holzbezugsrecht erworben – weder in Untergarten, noch in Obergarten. Wenn die beiden Appellationsgerichte und die Universität Prag deshalb daran erinnerten, dass „von Hutweiden und Waldungen nach den Landesverfassungen keineswegs jedem einzelnen Mitglied der Gemeinde der Gebrauch zustehe“, so legten diese den Begriff einer „Einwohnergemeinde“ zu Grunde, während der Gesetzestext eine Wirtschaftsgemeinde voraussetzt. Nicht jeder Einwohner ist nutzungsberechtigtes Mitglied der Wirtschaftsgemeinde, aber jeder Nutzungsberechtigte ist Mitglied der Wirtschaftsgemeinde.
Den Verfassern des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches war der Unterschied zwischen einer Einwohnergemeinde und der Wirtschaftsgemeinde offensichtlich bewusst. Ungeachtet der zitierten Anmerkungen der beiden Appellationsgerichte und der Universität zum Ur-Entwurf wurde folgender Gesetzestext formuliert: „Auf gleiche Weise machen Sachen, welche nach der Landesverfassung zum Gebrauch eines jeden Mitgliedes einer Gemeinde dienen, das Gemeindegut; diejenigen aber, deren Einkünfte zur Bestreitung der Gemeindeauslagen bestimmt sind, das Gemeindevermögen aus“ – die heute noch geltende Fassung des § 288 ABGB. Das federführende Mitglied der Hofkommission, Franz von Zeiller, verweist in seinem Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus den 1810er Jahren auf die jeweils lokalen Rechtsordnungen in den verschiedenen Kronländern. Im Gesetz selbst ist dagegen nicht geregelt worden, wer von den Gemeindeeinwohnern ein Nutzungsrecht und damit eine Mitgliedschaft hat. Vielmehr ist es der Sache nach bei dem geblieben, was schon der Ur-Entwurf vorgesehen hatte: Es wurden die Rechtsverhältnisse der privaten Wirtschaftsgemeinden definiert. „Gemeindegut“ ist danach jenes Vermögen, das ein Mitglied der Wirtschaftsgemeinde nutzen darf, weil nur die Nutzungsberechtigten Mitglieder dieser Wirtschaftsgemeinde sein können. Anders ausgedrückt: Man ist Mitglied der Wirtschaftsgemeinde, weil man mitberechtigt ist. Oder: Nur die jeweils Nutzungsberechtigten sind in der jeweiligen Wirtschaftsgemeinde zusammengeschlossen. Dies unabhängig davon, wer sonst in der betreffenden Katastralgemeinde aufhältig ist, wer dort wohnt und dort seinen Lebensmittelpunkt errichtet hat. Die Wirtschaftsgemeinde und die Einwohnergemeinde sind verschiedene Paar Schuhe!
VERWECHSLUNG LEICHT GEMACHT
Und damit ist zurück zukommen auf den eingangs zitierten Bericht des Dr. Josef Kopp, den dieser im Jahr 1878 den Niederösterreichischen Landtag erstattet hat. Josef Kopp war freilich nicht der erste, der dieses Phänomen bemerkt und analysiert hatte.
Carl Peyrer, der Altmeister des Österreichischen Agrarrechts, hatte in seiner Abhandlung „Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse“ bereits ein Jahr zuvor gesetzliche Maßnahmen gefordert. Den Grund für den Handlungsbedarf des Gesetzgebers sieht er in größter Unklarheit und Verwirrung, verbunden mit Sorglosigkeit, wenn es sich darum handelte, „die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher, einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“
Peyrer, der als k.k. Ministerialrat im Ackerbau-Ministerium aufgrund seiner umfangreichen beruflichen Tätigkeit tiefgehende Einblicke in die damaligen agrarischen Verhältnisse in den diversen Österreichischen Ländern besaß, nennt dafür verschiedene Beispiele:
Die „Tabellen zur Land- und Forstwirtschaft des Königreiches Böhmen“, würden den so wichtigen Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsvermögen gar nicht kennen; beide Kategorien würden gemeinsam unter der Bezeichnung „Gemeindegründe“ geführt.
Selbst das „Statistische Jahrbuch des Ackerbauministeriums“ 1874 (zweites Heft über Forststatistik) lasse den Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftswaldungen kaum erkennen; nach dem Inhalt dieses „Statistischen Jahrbuches 1874“ würden in Kärnten nur „Reichsforste“ oder „Privatwälder“ existieren – die Kategorie „Gemeindewälder“ sei dort nicht vorgesehen; alle „Nachbarschaftswaldungen“ seien danach in Kärnten den „Privatwaldungen“ gleichgestellt.
Im „Küstenlande und in Dalmatien“ seinen dagegen alle gemeinschaftlich benutzten Gründe als „Gemeinde-Eigentum“ ausgewiesen – selbst die gemeinschaftlichen Weiden wären als „Gemeindeweiden“ eingetragen. Dies in krassem Gegensatz zu den Verhältnisse in Krain, wo aufgrund von Erhebungen durch den Landesausschuss sowie von Seiten der Regierung in den Jahren 1869 und 1870 die Überzeugung gewonnen wurde, dass die gemeinschaftlich benutzten Hutweiden kein Gemeindevermögen, sondern ein Gemeinschaftsvermögen bilden würden.
In der Bukowina hätten laut Bericht von Peyrer Servituten-Ablösungs-Vorgänge stattgefunden, wo die Ablösungsflächen als Ergebnis von Grundlasten-Verhandlungen „nominell an die Gemeinden“ zugeschrieben wurden. Peyrer bemerkt dazu, dass die Berechtigten nicht die Absicht gehabt haben konnten, ihre privaten Nutzungsrechte zugunsten der [Orts-]Gemeinde aufzugeben, was schon daraus ersichtlich sei, dass die einzelnen Berechtigten in den Äquivalenzwaldungen ihre Holznutzungsrechte ausübten. Die Gemeindevorsteher, ebenfalls Servitutsberechtigte, hätten nicht den mindesten Versuch unternommen, das Ablösungs-Äquivalent der Servitutsberechtigten als ein Gemeinde-Eigentum zu behandeln, somit andere Gemeindeglieder als die ursprünglich abgelösten, zum Genusse zuzulassen. Als aber neue Ansiedler gleichen Genuss am „Gemeindevermögen“ verlangten, entstand Streit, „ob der Wald nach dem Wortlaut der Urkunden den Gemeinden oder nach der offenbaren Willensmeinung aller Servitutsberechtigten, den Gemeinschaften der letzteren gehöre“.
Peyrer kommt schließlich auch auf Salzburg und Tirol zu sprechen und vergleicht diese mit den Problemfällen in der Bukowina: Wie in der Bukowina seinen auch in anderen Ländern, z.B. in Salzburg und Tirol, bei Forstregulierungen und Servitutenverhandlungen, „um das Geschäft leichter abzuwickeln“, die Ablösungs-Äquivalente nicht den Servitutsberechtigten, sondern nominell „der Gemeinde“ zugewiesen worden, „ohne dass diese Rechtsverhältnisse weiter klargestellt wurden“. Die Äquivalente waren nach der Summe der privatrechtlichen Nutzungsrechte der einzelnen servitutsberechtigten Güter berechnet und hätten daher selbstverständlich weder einen Überschuss für die Gemeinde, noch für andere, bisher nicht servitutsberechtigte Gemeindeglieder abgegeben. (Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 47 f).
Bereits im Jahr 1849 hatte Julius Weiske, Professor der Rechte an der Leipziger Juristenfakultät, eine umfangreiche Abhandlung zum Thema „Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder“ vorgelegt. Darin forderte er Verständnis für die Unterscheidung des fälschlich für Gemeindeeigentum angesehenen „Gemeindegutes“ vom wahren Eigentum der jeweiligen Ortsgemeinden. Julius Weiske: „So wären denn die Gemeinden darüber aufzuklären, wie diese Güter entstanden sind, wie die jetzt bevorzugt erscheinenden Mitglieder die rechtlichen Nachfolger derer sind, welche die heute sog. Gemeindegüter ungeteilt ließen, um sie gemeinschaftlich oder nach bestimmt festgesetzten Anteilen für sich zu benutzen. Dabei muss man in Erwägung ziehen, dass die, welche diese Einrichtung trafen, ebenso gut jene Grundstücke hätten teilen und zu ihren Äckern oder Privatgütern schlagen können. Wäre dies geschehen, so würde heute niemand behaupten: Da wir jetzt alle wirkliche Gemeindeglieder, gleichberechtigt und gleich verpflichtet sind, so darf auch kein Mitglied ein größeres Gut oder mehr Wald als ein anderes haben.“
VERWECHLUNGSGEFAHR ERKANNT
Selbstverständlich war die Unsicherheit der historischen Praktiker und ihre mangelnde Fähigkeit, das uralte Gemeinschaftsvermögen vom Eigentum der modernen Ortsgemeinde zu unterscheiden, auch Gegenstand der späteren agrarbehördlichen Verfahren.
So entschied der Oberste Agrarsenat anhand eines Falles aus Niederösterreich das folgende:
„Die Gemeinde Isper dieses Protokolls von 1829 war als solche nicht ident mit dem Markt Isper. Dies bedeutet weiters, dass der Gemeindewald nicht ein Wald des Marktes Isper, sondern ein Wald der Gemeinde Isper = der 26 Urhausbesitzer war. Wobei noch hinzuzufügen ist, dass das Wort Gemeinde im älteren Sprachgebrauch die Bedeutung Realgemeinde = Gmoa = Gesamtheit der Urhausbesitzer hat, da es im Jahr 1829 Ortsgemeinden im heutigen Sinn noch nicht gegeben hat. Wenn man weiters im Protokoll liest, dass der restliche Wald „weiterhin Gemeindewaldung bleibt“, so kann dies nur heißen, dass sich der Rechtszustand bezüglich des restlichen Waldes gegenüber dem Rechtszustand vor der Teilung nicht geändert hat. Aus dem Protokoll vom Jahr 1829 ist daher nur das eine zu gewinnen, dass unter dem Begriff „Gemeinde“ die 26 Urhausbesitzer verstanden wurden und dass somit schon damals alle Merkmale für das Vorhandensein einer Agrargemeinschaft sprachen.“ (Obersten Agrarsenates 245-OAS/58 vom 6. August 1958)
„Aus dem Protokoll vom Jahr 1829 ist daher nur das eine zu gewinnen, dass unter dem Begriff „Gemeinde“ die 26 Urhausbesitzer verstanden wurden und dass somit schon damals alle Merkmale für das Vorhandensein einer Agrargemeinschaft sprachen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Grundbuchanlegungsprotokoll vom 13.4.1885 zu werten, dessen Angabe „Die Marktgemeinde Isper besitzt …“ nicht den Tatsachen entspricht, weil tatsächlich die Gemeinde Isper, bestehend aus den 26 Urhausbesitzern, Eigentümerin ist.“ (Obersten Agrarsenates vom 6. August 1958, ebendort)
„Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde – auch Ortsgemeinde genannt – zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit Gemeinde, Gmoa, Marktgemeinde oder Commune bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung nicht bewusst wurde, das FLG hat in § 36 und § 37 an diesen geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder (Nutzungsberechtigten) mit Agrargemeinschaft bezeichnet.“ (Obersten Agrarsenates vom 6. August 1958, ebendort)
Nicht von ungefähr kommt es deshalb, dass der langjährige Leiter der Tiroler Agrarbehörde Dr. Albert Mair schon im Jahr 1958 im Zuge seiner Abhandlung „Probleme der Regulierung des Gemeindegutes“ folgendes feststellte: „Bei der Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass daher die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ Diesem Standpunkt hat sich Anfang der 1980er Jahre die Tiroler Landesregierung angeschlossen und im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 folgendes zu den historischen Verhältnissen in Tirol vorgebracht: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“
AUCH VFGH KENNT MEHRERE „GEMEINDEN“
Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof in ebendiesem Erkenntnis VfSlg 9336/1982 seinerseits klar gestellt, dass der Begriff „Gemeinde“ auch für das Phänomen des Gemeinschaftseigentums als Organisationsform der Nutzungsberechtigten Verwendung finde, und dass das Flurverfassungsrecht dies voraussetze. Neben der Bezeichnung für die politischen Ortsgemeinde und deren Eigentum, dem Gemeindegut, würde der Begriff „Gemeinde“ zur Bezeichnung einer Gesellschaft (Realgenossenschaft), zusammengesetzt aus den Nutzungsberechtigten, verwendet. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Phänomen der Servitutenablösung hätte der Gesetzgeber den Begriff der „Gemeinde als Gesellschaft der Nutzungsberechtigten“ vorausgesetzt und im Flurverfassungsrecht berücksichtigt. Beide Phänomene, das Gemeindegut einerseits und das aus Servitutenablösung entstandene Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten, seien streng zu unterscheiden (VfGH Slg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung).
AUCH DER VWGH KENNT VERSCHIEDENE „GEMEINDEN“
Am 30.06.2011 spracht der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es im Flurverfassungsrecht die Erscheinung gebe, dass eine „Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn Grundstücke in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind. In diesen Fällen erfasse der Begriff „Gemeinde“ eine juristische Person, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammensetze. Gleiches gilt für die Fälle von Grundstücken gem § 15 Abs. 1 lit. b Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951. „Gemeinde“ bedeutet in dieser Gesetzesbestimmung eine Gemeinschaftsorganisation der Nutzungsberechtigten. (VwGH VwSlg 18171 A/2011 vom 30.6.2011 Zl 2010/07/0091, 6.3.2)
… SCHLUSSFOLGERUNG
Jede ernstzunehmende Analyse der wahren historischen Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften hat deshalb zu berücksichtigen, dass der Begriff „Gemeinde“ – insbesondere in älteren Urkunden und öffentlichen Registern nicht nur eine politische Ortsgemeinde bezeichnen kann, sondern vielfach auch „Gemeinden“ im Sinn von Gemeinschaften privater Miteigentümer.
Es gilt der Grundsatz: Je älter eine Rechtsquelle ist, desto wahrscheinlicher ist die Begriffsverwendung im Sinn einer Gemeinschaft von Privaten.
Der Begriff „Gemeindegut“ ist schillernd und bunt. Dies zeigt schon die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes. Im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 betonte der Gerichtshof unter Berufung auf systematische Zusammenhänge zwischen Gemeinderecht und Flurverfassungsrecht, dass ein „Gemeindegut“ ein Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde sein müsse; im Mieders-Erkenntnis aus dem Jahr 2008 VfSlg 18.446/2008 wurde dieser Standpunkt bekräftigt.
Ungeachtet dessen wies der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlg 19.262 vom 10.12.2010 darauf hin, dass der Begriff „Gemeindegut“ im historischen Tiroler Flurverfassungsrecht ein Gut im Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnete.
VfGH VfSlg 19.262/2010 Pkt II A 2.3.6.3: „[…] der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs 2 lit d des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.]) […]“.
Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, aaO 254: „In der Rechtspraxis wurden dagegen bis zu dieser höchstgerichtlichen Entscheidung [Anm VfSlg 9336/1982] auch jene Liegenschaften als „Gemeindegut“ bezeichnet und verstanden, bezüglich derer – in den Worten des VfGH (Slg 9336/1982) – „’die Gemeinde’ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist“. Dieses [Anm Gemeindegut] blieb als materielles Eigentum der „Realgemeinde“ in der Gesetzgebung und der Praxis der Agrarbehörden anerkannt.“
Der Begriff „Gemeindegut“ wurde im historischen Recht verwendet, um Eigentum der Agrargemeinschaft zu definieren. Dieser Rechtssatz, den der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 im Anschluss an Öhlinger definiert hat, gilt generell für das Flurverfassungsrecht und für das Gemeinderecht ab Inkrafttreten des BG über die Grundsätze der Flurverfassung (BGBl 1932/256) – jedenfalls bis zur Veröffentlichung des Erkenntnisses VfSlg 9336/1982, was sich anhand der Entwicklung des Gemeinderechts leicht beweisen lässt.
Besonders bemerkenswert ist die Note des Bundeskanzleramtes, Zl 156.486-6 (ex 1935) „Gemeindegut und Flurverfassungs-Grundsatzgesetz B 256/1932“, gerichtet an alle Landeshauptmannschaften (insbesondere diejenige für Tirol in Innsbruck) zu den legistischen Eckpunkten einer Abgrenzung des Gemeinderechts zum Flurverfassungsrecht:
„1.) Der nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltende Teil des Gemeindegutes ist von der Gemeindefinanzverwaltung auszunehmen; am einfachsten wohl dadurch, dass man bei der Definition des Gemeindeeigentums (bzw des Gemeindevermögens und Gemeindegutes) diese gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (B 256/1932) agrargemeinschaftliche Liegenschaften ausdrücklich ausnimmt.
2.) Die materiellrechtlichen Bestimmungen über das Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen dieser nunmehr gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden ehemaligen Teile des Gemeindegutes wären als eigener Abschnitt (Hauptstück) in der Gemeindeordnung zu belassen. Es wäre aber zu beachten, dass künftig hinsichtlich dieser Agrargemeinschaft die Gemeinde nicht mehr die Stellung einer Behörde, sondern lediglich eines Beteiligten hat.
3.) In dem Abschnitt der Gemeindeordnungen über Recht und Maß der Teilnahme an den Nutzungen der gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz agrargemeinschaftlichen Liegenschaften wäre am Schluss folgender Paragraph anzufügen: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Gemeindeeigentum (oder „über das Gemeindevermögen und Gemeindegut“) finden auf die gemäß § 15 Abs 2 Pkt d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932, als agrargemeinschaftliche Grundstücke geltenden einstigen Teile des Gemeindegutes nur insoweit Anwendung, als sie mit dem Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz BGBl Nr 256/1932 und dem Flurverfassungs-Landes-Gesetz nicht im Widerspruch stehen.“
Rechtstexte müssen deshalb differenziert interpretiert werden, es ist im Einzelfall zu prüfen, ob mit dem Begriff „Gemeindegut“ ein Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnet werden sollte oder ein Eigentum einer Ortsgemeinde.
Dazu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 255, Zusammenfassung Pkt 5: „Gemeindegut ist nicht gleich Gemeindegut. Wenn der VfGH nur das im Gemeinderecht so bezeichnete Vermögen einer Gemeinde als Gemeindegut gelten lässt (und dieses zu Recht als „wahres“ Eigentum der Gemeinde qualifiziert), so lässt sich eben nicht alles darunter subsumieren, was im Flurverfassungsrecht und in der Praxis der Agrarbehörden im 19.Jhdt., im 20. Jhdt. bis zum Erkenntnis Slg 9336/1982 und auch noch später so bezeichnet wurde. Ältere einschlägige Rechtstexte müssen in diesem differenzierten Sinn interpretiert werden.“
HISTORISCHE WURZELN DES GEMEINDEGUTSBEGRIFFES
Im „Codex Theresianus“, einem Gesetzesentwurf, der in den 1760er Jahren unter Kaiserin Maria Theresia für die Österreichischen Erbländer entstanden ist, findet sich eine rudimentäre Definition dessen, was sich die historischen Juristen unter „Gemeinde“ vorgestellt haben. Danach sollten „wenigstens drei Personen eine Gemeinde oder Versammlung ausmachen“. Zu dieser „Gemeinde“, die aus mindestens drei Personen bestehen müsse, führt dieser Gesetzesentwurf weiter Folgendes aus:
„Der Gebrauch der Sachen, welche in dem Eigentum einer Gemeinde sind, ist entweder der Gemeinde selbst mit Ausschließung einzelner Mitglieder vorbehalten, oder allen einzelnen Mitgliedern derselben gemein.“ Zu den Sachen, die allen Mitgliedern dieser „Gemeinde“ gemeinschaftlich sind [= Gemeindegut], führt der Gesetzesentwurf weiter aus: „Zur anderen Gattung gehören gemeine Weiden, Wälder, Brunn- und Röhrwasser, Mühlen, Brauhäuser, Steinbrüche, Leim- oder Sandgruben, Bäder, Schießstätten, Luftgänge und dergleichen Sachen, deren Nutzen, Gebrauch oder Bequemlichkeit einzelnen Mitgliedern der Gemeinde entweder nach der bei derselben rechtmäßig eingeführten Ordnung, oder nach unseren Verleihungen und Verordnungen zusteht.“ Als Regelung, wie diese gemeinschaftliche Nutzung des „Gemeindeguts“ erfolgen solle, war Folgendes vorgesehen: „Doch hat sich bei dem Gebrauch derselben ein jeder also zu betragen, dass kein Anderer, dem solches gleichmäßig gebühret, hiervon ausgeschlossen, oder darinnen verhindert werde, sondern jeder menniglich sich in den geziemenden Schranken halte, und wo in dem Gebrauch eine Vorzüglichkeit gewisser Mitglieder vor anderen nach Ordnung der Gemeinde zustünde, dieselben hierinnen nicht beirre, noch sich in etwas eindringe oder dessen anmaße, wozu er nicht berechtigt ist.“
Ohne den Rechtsbegriff „Gemeindegut“ tatsächlich schon zu verwenden, beschreibt somit der unter Kaiserin Maria Theresia in den 1760er Jahren erstellte Gesetzesentwurf für ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, der „Codex Theresianus“, die Wirtschaftsgemeinde, die sich aus zumindest drei Personen zusammensetzen müsse und deren Eigentum. Dieses ist entweder der Gemeinschaft als solcher gewidmet (= Gemeindevermögen) oder der Nutzung durch die Mitglieder (= Gemeindegut).
In dieselbe Richtung ging eine vom Tiroler Gubernium aus dem Jahr 1784 überlieferte Definition der Gemeinde nach historischem Tiroler Landesrecht:
„In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weiden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Kassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z. B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“
Gemeindegut (= gemeinschaftlich genutzte Liegenschaften) und Gemeindevermögen (= die Gemeinschaftskassa) sind die Wesenselemente der historischen Wirtschaftsgemeinde. Spätestens mit dem Ur-Entwurf zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1796 fand das Gegensatzpaar „Gemeindegut“ und „Gemeindevermögen“ im Zivilrecht Verwendung, um die Vermögensverhältnisse in der „Gemeinde“ im Sinn von „Wirtschaftsgemeinde der Nachbarn“ zu kategorisieren: „Sachen, welche Gemeinden gehören, stehen in einem zweifachen Verhältnis: einige davon als Kirchen, öffentliche Plätze, Brunnen, Bäche, Weiden, Waldungen, Wege, dienen zum Gebrauche eines jeden Mitgliedes; sie heißen das Gemeindegut. Andere aber … dürfen von niemandem zu seinem besonderen Vorteile genutzt werden; … sie heißen das Gemeindevermögen.“ Die Unterscheidung zwischen Gemeindegut und Gemeindevermögen ist somit keine Schöpfung des politischen Gemeinderechts, das in Österreich seinen allgemein anerkannten Ausgang im provisorischen Gemeindegesetz des Jahres 1849 genommen hat. Vielmehr beruht diese Unterscheidung auf wesentlich älteren zivilrechtlichen Grundlagen. Geprägt wurde das Begriffspaar zur Darstellung der Rechtsverhältnisse in den historischen „Gemeinden nach bürgerlichem Recht“, einer uralten und in Vergessenheit geratenen juristischen Person nach Privatrecht, welche der historische Gesetzgeber des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1811 sozusagen vorgefunden und vorausgesetzt hat.
AGRARRECHTLICHES „GEMEINDEGUT“
Seit dem Jahr 1883 gibt es in den „österreichischen Ländern“ eine eigene reichsgesetzliche Regelung für das landwirtschaftlich genutzte Gemeinschaftseigentum, weil die unklaren Rechtsverhältnisse an diesen Gütern nach einer Regelung verlangten. Carl Peyrer, damals Ministerialrat im Ackerbauministerium, erläuterte dazu im Jahr 1877: „Der Genossenschaftsbesitz und der Gemeindebesitz wurden in durchaus unklarer Weise durcheinander geworfen, sodass heute in den österreichischen Ländern hunderte von Quadratmeilen mit völlig unklaren und ungeregelten Eigentumsverhältnissen vorkommen und der Verwüstung der Gemeindewaldungen kaum Einhalt getan werden kann.“ An anderer Stelle: „Es darf heute nicht mehr als gleichgültig angesehen werden, dass es derzeit in den österreichischen Ländern Grundstücke gibt, deren Flächenmaß auf mehr als eine Million Hektar angeschlagen werden muss, in welchen entweder die Eigentumsrechte oder doch die Nutzungsrechte in einem solch unklaren, ungeordneten oder streitigen Zustande sich befinden, welcher mehr und mehr zu Störungen der Rechtsordnung führen muß“ (Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 1877).
Speziell im Niederösterreichischen Landtag hat man sich schon in den 1870er Jahren intensiv mit der Problematik der sogenannten „Gemeindegründe“ befasst. 1878 berichtete der Niederösterreichische Landesausschuss, die damalige Landesregierung, unter anderem Folgendes an den Landtag, Berichtsverfasser: Dr. Josef Kopp: „Es fragt sich nun: Soll etwas geschehen und was soll geschehen?
Die erste Frage glaubt der Landesausschuss unbedingt bejahen zu sollen. Geschieht nichts, so muss der gegenwärtige keineswegs erquickliche Zustand immer unerquicklicher, die Unordnung und Unsicherheit immer schlimmer werden […]. Die Zivilgerichte können die verworrenen Knoten nicht lösen, […] da die zivilgerichtlichen Bestimmungen auf solche Zustände nicht berechnet sind, die Sache überhaupt nicht bloß vom zivilgerichtlichen, sondern auch vom wirtschaftlichen und administrativen Gesichtspunkte aus zu beurteilen ist. Der Landesausschuss findet in den wenigen einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnung nur ganz ungenügende Direktiven für sein Verhalten und sind diese Bestimmungen überhaupt einer Leuchte zu vergleichen, welche die Gegenstände nicht erhellt, sondern nur die tiefe Dunkelheit, in welche sie gehüllt sind, erst recht erkennen lässt.“
In Konsequenz forderte der Niederösterreichische Landtag das Einschreiten des Reichsgesetzgebers in Wien, der Sonderbehörden und eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen sollte, anhand derer die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegründen“ entwirrt werden könnten. Die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegründen“ sollten nicht mehr von den Zivilgerichten und nicht ausschließlich anhand des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches entschieden werden.
Das Ergebnis dieser von Niederösterreich, aber auch von Ländern wie Kärnten und Böhmen ausgehenden Bemühungen um neuartige Behörden und neuartige Gesetze zur „reformatorischen Gestaltung der Rechtsverhältnisse an agrarisch genutztem Grund und Boden“, waren die sogenannten „drei agrarischen Reichsgesetze“, die 1883 im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates debattiert wurden. Die Verhältnisse in Niederösterreich hatten Dr. Josef Kopp, Mitglied der damaligen Niederösterreichischen Landesregierung und Abgeordneter im Reichsrat, am 22. Februar 1883 zu folgender Äußerung veranlasst: „Ich kann den Herren versichern, dass im Lande Niederösterreich vielleicht augenblicklich kein Gesetz so notwendig ist und so sehr gewünscht und tagtäglich von den Gemeinden erbeten wird, als das vorliegende. Die Verwirrung und der Streit haben bereits eine ganz unerträgliche Höhe erreicht; […] kurz es ist eine geordnete Gemeindewirtschaft bei den bisherigen Zuständen gar nicht möglich. […] Denn selbst wenn man […] sich im Landesausschuss bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, nämlich die Ingerenz [= Zuständigkeit] der Gerichte, die in keiner Weise ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir […] dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“
Kräftige Unterstützung erhielt die Forderung nach einem Sonderrecht für die „Gemeindegründe“ auch aus dem damaligen Königreich Böhmen. Die Grundentlastungsmaßnahmen Mitte des 19. Jh. hatten zahlreiche Personen, die ursprünglich auf fremdem Eigentum lebten, zu Grundbesitzern und damit zu Steuerzahlern gemacht. Als Steuerzahler besaßen sie nunmehr auch das Wahlrecht zur Gemeindevertretung. Dadurch entstanden große Konflikte mit jenem Bevölkerungsteil, der schon immer versteuerten Grundbesitz besessen hatte und die „Gemeindegründe“ als „Gemeinschaftsgründe“ für sich in Anspruch nahm. Karl Cizek berichtet in seiner Schrift „Der Streit um die Gemeinde-Gründe“ aus dem Jahr 1879 von einer im Kronland Böhmen verbreiteten Praxis, wonach die jeweiligen Gemeinschaften der Ur-Hausbesitzer die neue politische Gemeinde beim allgemeinen Zivilgericht verklagt haben und mit ihrer Forderung nach Eigentumsanerkennung ausnahmslos durchdrangen. Nach abgeschlossenem Gerichtsverfahren hat man die Liegenschaften regelmäßig aufgeteilt. Landtag und Landesausschuss von Böhmen verlangten deshalb vehement nach einem Sonderrecht und nach Sonderbehörden. Auch der Landtag von Kärnten hatte wegen der Notwendigkeit einer Regelung der dortigen Nachbarschaftsgründe die Regierung aufgefordert, im Wege der Reichs- und sodann der Landesgesetzgebung Vorsorge zu treffen. Aus Kärntner Sicht stand im Vordergrund, „dass das vorhandene gemeinschaftliche Vermögen (zumeist Hutweiden, Waldungen und Alpen) endlich einmal eine Vertretung und Verwaltung erhalte“. Diese sollte nicht mehr nach den für solche Gemeinschaften „unzureichenden Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“ erfolgen und diese sollte in die Lage versetzt werden, „die Substanz des Vermögens vor Übergriffen zu wahren, welche sich eine Minorität, manchmal auch eine Majorität zu Schulden kommen lässt, dass überhaupt Ordnung in die Verwaltung und in den Besitzstand gebracht werde“.
REAKTION DES REICHSGESETZGEBERS
Im Februar des Jahres 1880 hatte die Reichsregierung die von verschiedenen Ländern vehement geforderten „drei agrarischen Reichgesetze“ im Herrenhaus des Österreichischen Reichsrates eingebracht. Die Erläuternden Bemerkungen der Regierung zum dritten dieser Gesetzesvorlagen, das war der „Gesetzentwurf betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse“, geben einen tiefen Einblick in das Verständnis des historischen Gesetzgebers vom Begriff „Gemeindegut“.
Dieser Gesetzgeber hatte sich erst wenige Jahre zuvor mit dem modernen Gemeinderecht grundlegend auseinandergesetzt; dieser Gesetzgeber hatte das Reichsgemeindegesetz von 1862 geschaffen und mit einheitlichen Gesetzesanträgen für Landesgemeindegesetze an alle Landtage der damaligen Kronländer, eine grundsätzlich einheitliche Rechtsgrundlage für die heutigen Ortsgemeinden geschaffen. Den Gemeinschaftsbesitz betreffend regeln diese Landesgemeindegesetze aus den Jahren 1863 bis 1866 einheitlich das Folgende: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“
Zum Entwurf des Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetzes führen die Erläuternden Bemerkungen unter anderem Folgendes aus:
„Die Bestimmung des § 1 Z 2 des Entwurfes [Anmerkung: betreffend „Gemeindegut“] haben die Grundstücke zum Gegenstande, welche als Gemeindegut oder Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben. In der alten Agrargemeinde stand bekanntlich die Teilnahme an der Nutzung des unverteilten Teiles der Gemeindemark (Allmende, gemeine Mark) den Markgenossen, das ist den Besitzern der markberechtigten Hofstätten, zu; dieser `Gemeindenutzen´ wurde anderen Ortsbewohnern, welche keine berechtigten Hofstätten besaßen, nur im Wege der Gestattung und häufig gegen eine bestimmte jährliche Gebühr eingeräumt. Die Markgenossen waren zugleich die Träger des Gesamtrechtes der Gemeinde, welches sich nicht nur in dem Eigentume und der berechtigten Benützung der gemeinen Mark, sondern auch in der Aufteilung und Handhabung der gemeinschaftlichen Wirtschaftsordnung (Flurzwang), und in der periodischen Weidegemeinschaft auf den unverteilten Feldern der Dorfmark äußerte. Andererseits hatten sie aber auch die Verpflichtung, für die Lasten der Gemeinde durch Beiträge aufzukommen, insoweit diese Lasten nicht unmittelbar aus Erträgnissen der gemeinen Mark überhaupt oder durch die Widmung einzelner Teile derselben zu bestimmten Zwecken gedeckt werden konnten. Zugleich übte die Markgenossenversammlung, teils selbst, teils durch ihre Beamten, die Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Polizei aus. Die alte Markgemeinde war also eine privatwirtschaftliche und zugleich öffentlich-rechtliche Gemeinschaft. Allmählich und namentlich durch den Einfluss des römischen Rechtes mit seiner scharfen Sonderung des Privatrechtes vom öffentlichen Rechte, ging die öffentlich-rechtliche Seite verloren, während zugleich durch die Vermehrung der Bevölkerung, den Zuzug städtischer Elemente und infolge der Entwicklung von Handel und Gewerbe neben den Elementen der alten privatwirtschaftlichen Gemeinde die weitere, moderne, die Gesamtheit der Ortseinwohner umfassende Gemeinde erblühte. […] Aus dem sich hieraus naturgemäß ergebenden Zwiespalte zwischen diesen, des ursprünglichen Charakters und ihrer früheren inneren Organisation entkleideten Überresten der alten Agrargemeinde einerseits und den anderen Elementen der modernen Gemeinde andererseits, sind die verschiedensten Resultate erwachsen, je nach der größeren oder geringeren Nachgiebigkeit dieser berechtigten Gemeinschaften gegen die Ansprüche anderer auf Mitbenützung des Gemeingutes, nach dem Maße und der Dauer ihres Einflusses in der Gemeindevertretung und nach der größeren oder geringeren Sorgfalt überhaupt, welche zugunsten der Gemeinschaft oder der erweiterten Gemeinde bei katastral- und grundbücherlichen Eintragungen und bei anderen Anlässen angewandt wurde.“
Der Reichsregierung war somit aufgrund von Erhebungen in allen Kronländern bewusst, dass ein Teilungs- und Regulierungsgesetz unterschiedlichen Verhältnissen in den verschiedenen Ländern gerecht zu werden hatte. Der Reichsgesetzgeber wollte sich deshalb auf grundsätzliche Bestimmungen beschränken, welche der eigentümlichen Natur der hierbei in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse entsprechen, „und zwar insbesondere wegen des engen Zusammenhangs dieser Verhältnisse mit der Gemeindeverfassung und dem Gemeindehaushalt“ und weil „immer auch Rücksichten der Bodenkultur im Auge behalten werden müssen, welche von Land zu Land mehr oder weniger differieren“.
Folgende hier wesentliche Grundsätze für das neue Recht werden bereits in den Erläuternden Bemerkungen der Reichsregierung vom Februar 1880 klargestellt:
Die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (XIV. Hauptstück) würden für die Regelung und Teilung der „Gemeindegründe“ nicht passen, weil die im Bürgerlichen Gesetzbuche behandelten Gemeinschaften mit Rücksicht auf ihre Entstehung (§ 825 ABGB) rein privatrechtlicher Natur sind, während die Nachbarschaften und ähnliche Gemeinschaften nach Ursprung und Entwicklung auch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts zu beurteilen seien. „Es muss also tatsächlich auch diesem letzteren Momente angemessene Rechnung getragen werden, wenn eine sachgemäße Normierung der Verhältnisse dieser Gemeinschaften erzielt werden soll, eine Normierung, welche geeignet ist, einerseits die eigenen wirtschaftlichen Interessen dieser Gemeinschaften und die rationelle Benützung von Grund und Boden im Allgemeinen zu heben, andererseits eine definitive Auseinandersetzung der fallweise mit der neuen politischen Gemeinde als solchen, oder mit gewissen Mitgliedern derselben (Häusler und dergleichen) schwebenden Differenzen, sowie eine endgültige Regelung der mit den Berechtigungen verbundenen Verpflichtungen herbeizuführen“.
Die Ausführungsgesetze, die in die Kompetenz die Landesgesetzgebung fallen, sollten zugleich auch die Rückwirkung der neuen Bestimmungen auf jene Normen der Gemeindeordnung feststellen, „welche die Benützung und allfällige Aufteilung des in Rede stehenden Grundbesitzes betreffen“. Schließlich stellt die Reichsregierung klar, dass bei der „Auseinandersetzung der Verhältnisse im Betreff der in Rede stehenden gemeinschaftlichen Grundstücke“ es immer eine Hauptfrage bilden würde, ob denn die Grundstücke tatsächlich agrargemeinschaftliche Grundstücke wären und bejahendenfalls, „wer daran eigentums- und nutzungsberechtigt sei“. Entscheiden sollten diese Fragen alleine die neuen Behörden, „in welchen die privat- und die öffentlich-rechtlichen Momente auf gleich angemessene Würdigung rechnen können“ und welche einen billigen Vergleich herbeiführen sollten, der insbesondere zu einer definitiven Bereinigung der Sachlage führt.
BERATUNGEN IM ABGEORDNETENHAUS IM JAHR 1883
Nach Beratung im Herrenhaus wurden die Gesetzesentwürfe an das Abgeordnetenhaus weitergereicht. Der dort eingesetzte „Commassionsausschuss“ legte am 31. Oktober 1882 dem Abgeordnetenhaus seinen Bericht vor. Darin gehen die gewählten Abgeordneten, denen die Streitigkeiten um die „Gemeindegründe“ unter den Nägeln brannten, zur Sache: Die agrargemeinschaftlichen Grundstücke seien solche, die – abgesehen von Dalmatien – sich „in allen österreichischen Ländern als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde bald unter der Bezeichnung ‚Gemeindegut‘, bald unter der Bezeichnung ‚Gemeingut‘ erhalten haben und bei welchen die mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sich vorfinden.“
Die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse seien „nicht bloß von Land zu Land, sondern von Fall zu Fall so verschieden und unklar und ihre Verwaltung so ungeregelt und wüst, dass es schon die höchste Zeit ist, diesen Mißständen ein Ziel zu setzen.“
An anderer Stelle: „Es wird von gut unterrichteter Seite behauptet, dass es noch mehr als eine Million Hektar sogenannter Gemeindehutweiden und Gemeindewaldungen gibt, bei denen die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse unklar und strittig sind und deren Verwaltung eine ungeregelte und wüste ist.“
In allen Gemeindeordnungen aus den Jahren 1883 bis 1866, so der Ausschussbericht weiter, finde sich wohl die Bestimmung, dass die privatrechtlichen Verhältnisse und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde ungeändert zu bleiben haben; allein mit diesem Satze werden die Streitfragen nicht gelöst, noch weniger wird das Verhältnis der Genossenschaft zur Gemeinde richtig gestellt. „Die weiteren Bestimmungen der Gemeindeordnungen, dass in Bezug auf die Teilnahme an den Erträgnissen und Nutzungen des Gemeindeeigentums und auf das Maß derselben sich nach der bisherigen unangefochtenen Übung zu benehmen ist, sind eben auch nicht geeignet in die bekanntlich äußerst verworrenen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse, Klarheit und Ordnung zu bringen, noch weniger aber geeignet, eine rationelle Verwaltung und die möglichst große Rentabilität herbeizuführen.“
Am 22. Februar 1883 fand im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates eine umfangreiche Debatte über das Teilungs- Regulierungs-Reichsgesetz statt, deren Ablauf in den stenographischen Protokollen akribisch nachgewiesen ist. Die verschiedenen Debattenbeiträge lassen erkennen, dass alle jene Fragen, die seit dem Erkenntnis des VfGH vom 1. März 1982 Slg 9336/1982 wieder zu Streitfragen im Flurverfassungsrecht gemacht wurden, nicht nur in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage von 1880 und im Bericht des Commassionsausschusses von 1882 klar beantwortet wurden, sondern dass genau diese Fragen auch Gegenstand der Debatte im Abgeordnetenhaus waren und jeweils eindeutig beantwortet wurden. Mit Erkenntnis vom 1. März 1982 Slg 9336/1982 hat der Verfassungsgerichtshof tief in das Flurverfassungsrecht eingegriffen. Dies mit der Behauptung, dass das Gemeinderecht des Jahres 1849 das „Gemeindegut“ zum Eigentum der Ortsgemeinde gestempelt hätte, einem Umstand, an welchem die späteren Gemeindeordnungen nichts mehr geändert hätten. Kraft Gemeinderecht sei das Gemeindegut zwingend Eigentum der Ortsgemeinde. Insoweit das Flurverfassungsrecht dieses behauptete Eigentum der Ortsgemeinde, eben das „Gemeindegut“, wie eine gewöhnliche Agrargemeinschaft behandle, sei dies verfassungswidrig.
UNZULÄNGLICHES GEMEINDERECHT
Das stenographische Protokoll der Debatte vom 22. Februar 1883 zeigt, dass genau diese Frage diskutiert und gerade nicht im Sinn der Behauptungen aus dem Jahr 1982 verstanden wurde.
So erklärte sich der Vertreter der kaiserlichen Regierung Anton Freiherr von Rinaldini, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221, dass nach Ansicht der Reichsregierung die vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuelle Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend seien. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, sei ungemein schwierig zu lösen, der Sache nach und im Blick darauf, welche staatliche Instanz entscheidungsbefugt sei.
Die Abgeordneten Dr. Josef Kopp, Mitglied des Niederösterreichischen Landesausschusses und Dr. Johann Žák, Berichterstatter des Commassionsausschusses und Mitglied des Böhmischen Landesausschusses, schlossen sich diesen Ausführungen vollumfänglich an. Dr. Johann Žák: „Man hat sehr oft vollen Grund, sich über die Entscheidungen des Landesausschusses und der Gerichte namentlich darüber zu wundern, wem das strittige Vermögen zugewiesen wurde. Wenn wir es bei der bisherigen Judikatur der politischen oder der Gerichtsbehörden bewenden lassen, werden wir in diese verworrenen Verhältnisse niemals eine Ordnung bringen. Es muss bezüglich dieser Sachen einmal tabula rasa gemacht werden und es ist hoch an der Zeit, solche Sachen, welche nur den Zwist in den Gemeinden nähren, sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Was die Gemeindeordnungen und insbesondere die böhmische Gemeindeordnung betrifft, so kann ich in der Tat sagen, dass ich in derselben fast gar keine Anhaltspunkte für die Entscheidung dieser Frage finde. Wenn man sich auf die bisherige unangefochtene Übung beruft und nach dieser entscheidet, so ist das ganz gewiss eine ganz hinfällige Basis.“
Als Zwischenergebnis ist folgendes festzustellen: Die Behauptung, dass das Gemeinderecht die Eigentumsverhältnisse an einem „Gemeindegut“ zwingend geregelt hätte, ist eine haltlose Erfindung der Verfassungsgerichtshofes, die den historischen Tatsachen, insbesondere dem erklärten Willen des Gesetzgebers, nämlich dem historischen Gesetzgeber des Gemeinderechts und demjenigen des Flurverfassungsrechts (damals: Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz) offen widerspricht.
BEGRIFFSVERSTÄNDNIS DES GESETZGEBERS
Das TRRG 1883 und die dazu ergangenen Ausführungsgesetze definierten den Begriff „Gemeindegut“ jedenfalls nicht mit Blick auf die Eigentumsverhältnisse. Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit der Commassionsbehörden nach dem Zuständigkeitstatbestand „Gemeindegut“ war vielmehr der Umstand, dass eine Liegenschaft der agrargemeinschaftlichen Benützung „nach Maßgabe der Gemeindeordnung“ unterlag. Weil das Flurverfassungsrecht in der Frage der Zuständigkeit bei den faktischen Benützungsverhältnissen anknüpfte, war die Rechtsgrundlage der gemeinschaftlichen Benützung nach Maßgabe der Gemeindeordnung nicht weiter zu hinterfragen. Denkbar sind jedenfalls zwei Varianten: Die Gemeinschaft der Teilgenossen (= Agrargemeinschaftsmitglieder) hat stillschweigend oder ausdrücklich entschieden, die Gemeindeordnung als lex contractus zur Verwaltung der Liegenschaft anzuwenden oder die Gemeindeordnung war ex lege anzuwenden, weil die Liegenschaft im (wahren) Eigentum der politischen Ortsgemeinde stand.
Welche von beiden Varianten im Einzelfall tatsächlich vorgelegen hat, entschied sich im Verfahren erst mit der Klärung der Eigentumsfrage. Diese Entscheidung war jedoch nicht Ausgangspunkt, sondern möglicher Endpunkt der agrarischen Operation. Die aus heutiger Sicht wesentliche Abgrenzung zwischen historischem Genossenschaftsvermögen (= im Eigentum der Agrargemeinschaft), welches in Anwendung der Gemeindeordnung verwaltet wurde und deshalb mit Blick auf das Erk VfSlg 9336/1982 zu Unrecht als „Gemeindegut“ erfasst wurde, und dem Gemeindegut als Eigentum der heutigen Ortsgemeinde war aus der Sicht der historischen Agrarbehörde bei der Einleitung des Verfahrens ohne Belang. Die Agrarbehörden waren zur Reorganisation der agrargemeinschaftlichen Besitz- und Benützungsverhältnisse an jedweder Erscheinungsform von agrargemeinschaftlicher Liegenschaft zuständig.
Nach dem klaren Willen des Reichsgesetzgebers 1883 sollten alle Arten von agrargemeinschaftlichen Liegenschaften der agrarbehördlichen Zuständigkeit unterliegen, sei es hinsichtlich der Regelung der Nutzungsrechte oder hinsichtlich der Klärung der Eigentumsverhältnisse. Gerade letztere Kompetenz war dem Reichsgesetzgeber ein besonderes Anliegen, weil die politisch heikle Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern der „alten Agrargemeinde“ und der „neuen Ortsgemeinde“ nicht den Zivilgerichten überlassen werden sollte. Eine als „Gemeindegut“ in die Kompetenz der Agrarbehörde einbezogene Liegenschaft war somit aus der Sicht des Reichsgesetzgebers grundsätzlich nicht anders zu behandeln als andere agrargemeinschaftliche Grundstücke: Es waren die Nutzungsrechte zu regulieren, es war die Verwaltung zu regeln und zu entscheiden, wem die betreffende Liegenschaft wirklich gehörte. Die (angeblich) undifferenzierte Einbeziehung des Gemeindegutes in die agrarischen Operationen war (und ist) eine formale , weil das Ergebnis der „Operation“ nicht im Gesetz präjudiziert ist. Die gebotene Differenzierung ergibt sich als Ergebnis des Verfahrens.
ERGÄNZUNG DER GEMEINDEORDNUNG
Das TRRG 1883 wollte der Ausführungsgesetzgebung einen rechtlichen Gestaltungsrahmen eröffnen, der wegen der zivilrechtlichen Implikationen der agrarischen Operationen für notwendig erachtet wurde . Für den Fall des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegutes wurde davon nicht vollständig Gebrauch gemacht. Mit Ausnahme von Kärnten enthielten nämlich sämtliche TRLGs der Jahre 1883 bis 1921 auffällige Einschränkungen der agrarbehördlichen Entscheidungsbefugnis : Im Fall der Regulierung von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut sollte die Regulierung der Verwaltungsrechte nur insofern stattfinden, als die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaft nicht schon durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt war, oder insofern innerhalb der letzterwähnten Regelungen noch besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung notwendig erkannt wurden .
Die Landesgesetze der Jahre 1884 bis 1921 – wiederum mit Ausnahme Kärntens, wo das Phänomen des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindeguts nicht existierte – hatten die Regulierung der Verwaltungsrechte und damit die körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft im Fall von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut somit gar nicht zugelassen. Die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften betreffend waren vielmehr lediglich nötige Ergänzungen der Gemeindeordnung zu verordnen. Anstatt Agrargemeinschaften an agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut körperschaftlich einzurichten und über die Eigentumsverhältnisse daran zu entscheiden, hatten die Behörden der Bodenreform eine zu unterstellende Verordnungsermächtigung genutzt und die Gemeindeordnung für den konkreten Fall ergänzt.
Auf der Grundlage des § 3 Abs 2 Tiroler TRLG 1909 wurden beispielsweise mit Generalakt vom 15. September 1928 der Agrarbezirksbehörde Innsbruck Zl 228/50 für den „Schwendauer–Wald“ „Normen der Verwaltung“ erlassen, welche als derartige „Ergänzung der Regelungen der Gemeindeordnung“ verstanden werden müssen. Es wurde ein „Fraktionsausschuss von Schwendau“, eingerichtet, der den „Schwendauer-Wald“ nach den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnung 1866 zum Gemeindegut zu verwalten hatte. In den 13 Absätzen umfassenden „Normen für die Verwaltung“ wurde (nach dem Wortlaut des Behördenaktes) in Ergänzung der Gemeinde-Ordnung ua angeordnet, dass der „Fraktionsausschuss“ (der Ortsgemeinde Schwendau) als „durchführende Organe“ einen Obmann, einen Obmann-Stellvertreter und einen Kassier aus dem Kreis der „Teilgenossen“ zu wählen hat; es wurde ein Geschäftsführungs- (und Vertretungsbereich) dieser Organe definiert, die Aufsicht durch den Fraktionsausschuss geregelt und ein Beschwerderecht gegen dessen Entscheidung an die Agrarbehörde vorgesehen . In Ermangelung der körperschaftlichen Einrichtung der Agrargemeinschaft bestand keine Grundlage, über die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zu entscheiden.
Insoweit die Verwaltung agrargemeinschaftlicher Liegenschaften deshalb bereits „durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt“ war, sollte es im zeitlichen Geltungsbereich der TRLGs 1884 bis 1921 dabei bleiben; die Verwaltung der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft wurde durch eine generelle Norm, welche die Gemeindeordnung für die spezielle Ortsgemeinde ergänzte, geregelt. Für diesen speziellen Bereich der Gemeindeverwaltung war die Agrarbehörde Aufsichtsbehörde über den Selbstverwaltungskörper Ortsgemeinde.
Sowohl die Motive als auch die praktischen Auswirkungen dieser gesetzlichen Regelung, für welche sich in den Ausführungsgesetzen zum FlVerfGG 1932 kein Gegenstück mehr findet, wären allemal einer eigenständigen Untersuchung wert. Im Ergebnis wurden mit diesen Gesetzesbestimmungen in den TRLGs 1884 bis 1921 die faktisch bestehenden Verhältnisse legitimiert, wenn privates Gemeinschaftsvermögen in den Organen der neuen politischen Ortsgemeinden verwaltet wurde. Bei einer Interpretation von Behördenakten aus dem zeitlichen Geltungsbereich der TRLGs ist dieser Rechtszustand jedenfalls zu beachten.
RECHTSANSICHTEN ZUM EIGENTUM AM GEMEINDEGUT
Als Ergebnis knapp vierjähriger systematischer Untersuchungen der Rechtsverhältnisse an den historischen Gemeinschaftsliegenschaften in den NÖ Gemeinden, hatte der Landesausschuss bereits 1878 dem Landtag einen Bericht und darauf aufbauend Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung vorgelegt. Dieser Bericht mündete im Antrag an den Reichsgesetzgeber, weil aus kompetenzrechtlichen Gründen ein Landesgesetz in Ermangelung von Landeskompetenzen auf dem Gebiet des Zivilrechtes als Verfassungsbruch erachtet wurde. Der Ausschussbericht trifft jedoch grundsätzliche Feststellungen zu den Rechtsverhältnissen an den „Gemeindegründen“ und legt die rechtspolitischen Motive der damals verantwortlichen Akteure offen. Zwei wesentliche Textpassagen seien deshalb hier wörtlich wiedergegeben, einmal die „Rechtfertigung“ dafür, das Eigentum der Nutzungsberechtigten an den „Gemeindegründen“ anzuerkennen, zum anderen die „Rechtfertigung“ dafür, diese Personengruppe trotzdem im Interesse geordneter Gemeindefinanzen und des sozialen Friedens in die Pflicht zu nehmen.
Der Bericht des NÖ Landesausschusses aus dem Jahr 1878 geht davon aus, dass die agrarische Operation betreffend die Gemeinschaftsliegenschaften im Regelfall aufgrund von Übereinkommen geschehen sollte. Nur für den Fall, dass kein Einvernehmen zu erzielen und die Eigentumsfrage durch die Behörde im Streitfall zu entscheiden wäre, gibt dieser Bericht eine Lösung vor:
„Wie man immer über den rechtlichen Ursprung der Besitz- und Nutzungsrechte denken mag, wenn selbst entgegen der Geschichte angenommen werden sollte, daß zu irgendwelcher Zeit ein Raub an der Gemeinde begangen wurde, so ist doch so viel gewiß, daß die Personen, welche ein solches Gemeindeeigenthum derzeit besitzen oder Nutzungen davon beziehen, vielleicht immer, jedenfalls in der ungeheuren Mehrzahl den guten Glauben für sich in Anspruch nehmen können. Mag auch ihre Rechtsanschauung eine irrige sein, sie besteht nun einmal und fordert Schonung; dazu kommt, daß bei allen Erbtheilungen und Erbschaftsübernahmen, bei allen Käufen, kurz bei jedem Uebergange eines Bauerngutes an einen anderen Besitzer der sogenannte Gemeindenutzen als ein Zugehör des Gutes in Anschlag gebracht und bei Käufen der Kaufpreis mit Rücksicht hierauf bemessen wurde. Würde man also den jetzigen Besitzern diesen Gemeindenutzen entziehen, oder verlangen, daß sie ihn neu erwerben, so würde wieder in den überwiegend meisten Fällen der jetzige Besitzer unverschuldet zu Schaden kommen. Es ist ferner eine erwiesene Thatsache, dass Gemeindegründe gewöhnlich zu der Zeit, da sie in Parcellen den Nachbarn zur Benützung zugewiesen wurden, unfruchbar oder doch nicht urbar waren; Sumpfboden und Steinhalden wurden erst, seit sie der Privatwirtschaft der Nachbarn übergeben wurden, durch ihren Fleiß cultivirt und sind jetzt werthvolles Besitzthum. Mit welchem Rechte könnte man diese Objecte, welche erst durch die jetzigen Besitzer und ihre Vorfahren werthvoll gemacht wurden, ihnen wieder entziehen? Mindestens müsste die Gemeinde die Meliorationskosten ersetzen. Welche Erhebungen wären da nothwendig, welche Processe würden entstehen und wie könnte die Gemeinde die zu ersetzenden Kosten auftreiben, und was wäre schließlich das Resultat? Daß die Gründe entweder wieder verkauft oder unter der Verwaltung der Gemeinde wieder deteriorirt würden.
Der Landesausschuß schlägt daher vor, den Personen, welche factisch die Nutzungen von einem Gemeindegute bezogen haben, dasselbe in das freie Eigenthum zuzuweisen. Diese Zuweisung soll aber in der Art geschehen, daß die neuen Eigenthümer namentlich bezeichnet werden. Die schon in obiger Darstellung erwähnten Fälle, in welchen nicht bestimmte Personen, sondern die jeweiligen Besitzer gewisser Wirtschaften als Eigentümer grundbücherlich eingetragen wurden, müssen schon mit Rücksicht auf die freie Theilbarkeit von Grund und Boden vermieden werden.“
ZWISCHENERGEBNIS:
Ein „Gemeindegut“ war somit nach dem Willen des historischen Gesetzgebers gerade kein Eigentum der Ortsgemeinde. Vielmehr hat der historische Gesetzgeber des Flurverfassungsrechts im Gemeindegut ein Gut gesehen, in welchem sich die Rechtsverhältnisse eines viel älteren Nachbarschaftsvermögens fortsetzten. Wie sich die Rechtsverhältnisse im konkreten Einzelfall darstellten und künftig darstellen sollten, das sei jedoch erst zu klären. Dies in einem eigenen Verfahren, heute „agrarische Operation“ genannt, und von neuen Commassionsbehörden, heute „Agrarbehörden“ genannt. Erst als Ergebnis einer solchen „agrarischen Operation“ (Teilung oder Regulierung), stünde fest, wem wirklich was gehört und wem nicht!
„GEMEINDEGUT“ UND REFORMBEDARF
Auch die Frage, wie und weshalb die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“ geklärt werden müssen, wurde am 22. Februar des Jahres 1883 im Wiener Reichsrat ausführlich diskutiert.
Beispielsweise äußerte sich der Regierungsvertreter Anton Freiherr von Rinaldini, damals Ministerialrat, später Sektionschef im Ackerbauministerium, im Zuge der Debatte folgendermaßen: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz auch diese Grundstücke, nebst dem so genannten Klassenvermögen, also auch das Gemeindegut, einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen, welche in einer Reihe von Ländern gemacht worden sind, die vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung, welche ja bloß auf die unangefochtene Übung hinweisen und eventuell, wo eine solche nicht besteht, Gemeinderatsbeschlüsse als normierend bezeichnen, nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß inhaltlich schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden“.
Dr. Johann Žák, Vorsitzender des Commassionsausschusses, Mitglied des Böhmischen Landtages und Mitglied im Böhmischen Landesausschuss, schloss sich diesen Ausführungen an: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.“
Auf den Punkt gebracht hat die Problematik der Abgeordnete Dr. Josef Kopp , Mitglied des Niederösterreichischen Landtages und Mitglied im Landesausschuss, mit folgender Wortmeldung: „Denn selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschuss bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz [= Zuständigkeit] der Gerichte in keiner Weise ausgeschlossen ist. So kommt es, dass derjenige, der mit dem Zustande unzufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach den hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen – kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“
Seit das Flurverfassungsrecht im Jahr 1909 in Tirol Einzug hielt (TRLG 1909 vom 19. Juni 1909 LGBl 61/1909), haben die Tiroler Agrarjuristen den Begriff „Gemeindegut“ im Sinn dieses traditionellen Verständnisses des Reichsgesetzgebers angewandt. Der historische Rechtsgesetzgeber hat im Jahr 1862 die Grundlagen des heutigen Gemeinderechts geschaffen; derselbe Gesetzgeber hat 1883 das Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz 1883, die „Mutter des Österreichischen Agrarrechts“, geschaffen. Auf den Grundsatzentscheidungen des Reichsgesetzgebers hat der Tiroler Landesgesetzgeber und haben die Tiroler Agrarbehörden aufgebaut. Ein „Gemeindegut“ war danach ein Liegenschaftsvermögen, dessen Eigentumsverhältnisse anhand der Rechtsverhältnisse im jeweiligen Land von der Agrarbehörde rechtskräftig zu entscheiden waren.
„GEMEINDEGUT“ WAR GEMEINSCHAFTSGUT
Von den zahllosen Entscheidungen der Agrarbehörde, in denen der Begriff „Gemeindegut“ zur Bezeichnung eines Guts im Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde, sei nur eine hervorgehoben, die sich in belehrender Absicht mit der Geschichte des „Tiroler Gemeindeguts“ auseinandersetzt. Der Bescheid stammt vom legendären Tiroler Agrarbehördenleiter Dr. Albert Mair.
„In diesem Zusammenhang scheint im Interesse der Information der am Regulierungsverfahren Beteiligten eine kurze Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Gemeindegutes von Nöten, womit der Nachweis erbracht wird, dass den Gemeinden, die bislang die Stellung einer treuhändischen Verwaltung des Gemeindegutes zur Sicherung der Nutzungsansprüche der Beteiligten hatten, nichts entzogen wird, was sie bisher unbeschränkt in ihrem Eigentum besessen hätten. Nach Erlass XXXVI ‚Regulierung der Tiroler Forstangelegenheiten‘, kundgemacht in der Provinzialgesetzessammlung für Tirol und Vorarlberg vom Jahr 1847, Seite 253, wurde bewilligt, dass die künftig den Untertanen vorbehaltenen, in den landesfürstlichen Staatswaldungen zustehenden Holzbezugsrechte durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden, denen sie angehören, abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden, die im Jahre 1847 noch nicht körperschaftlich eingerichtet waren, wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten verstanden.“ (Bescheid vom 12. Dezember 1962 III B1-1768/9, Regulierung des Gemeindegutes von Fügen, Dr. Albert Mair)
SCHLUSSFOLGERUNG
Unter dem Begriff „Gemeindegut“ wurde vom Beginn der Österreichischen Agrargesetzgebung im Jahr 1883 an ein Gut verstanden, das demjenigen gehört, der im Commassionsverfahren (heute: agrarische Operation) rechtskräftig als Eigentümer festgestellt wird.
Erst der Verfassungsgerichtshof hat mit seinen Erkenntnissen die falsche Rechtsauffassung etabliert, dass ein „Gemeinde- bzw. Fraktionsgut“ nur ein Eigentum der Ortsgemeinde sein könne. Diese Rechtsauffassung steht dem Willen des historischen Gesetzgebers sowohl des Gemeinderechts als auch des Flurverfassungsrechts diametral entgegen. Diese Rechtsauffassung steht am Beginn des aktuellen Agrarstreits. Und der Bundesgesetzgeber hat bis heute nie die Mühe auf sich genommen, die Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse VfSlg 9336/1982 und schon früher VfSlg 5669/1968 einer kritischen Würdigung zu unterziehen.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof kein Gesetz ändern darf, hat man in Tirol dessen Thesen vom wahren Eigentum der Gemeinde am Gemeindegut übernommen und versucht, schon im Dezember 1983 das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz mehr schlecht als recht anzupassen (LG vom 16. Dezember 1983 LGBl 18/1984, TFLG-Novelle 1984). Unberührt blieben freilich die zahllosen historischen Bescheide, die nach der alten Rechtslage ein Eigentum der Agrargemeinschaft als ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ bezeichneten. Und aus diesem Grund ist es auch ganz verkehrt, wenn in Tirol heute ein „atypisches Gemeindegut“ danach identifiziert wird, dass nur geprüft wird, ob die historische Agrarbehörde von einem „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ ausgegangen ist.
Die Regulierungen vieler Tiroler Agrargemeinschaften sei offenkundig verfassungswidrig gewesen – so die derzeit herrschende Auffassung. Tatsächlich hat der Verfassungsgerichtshof solches anhand eines Sachverhalts, der zur Agrargemeinschaft Mieders festgestellt wurde, so vorausgesetzt. Dies mit Erkenntnis vom 11. Juni 2008. Die Ortsgemeinde hätte einen Rechtsanspruch auf das Eigentum gehabt, weshalb die historische Entscheidung der Agrarbehörde, wonach ein Eigentum einer Agrargemeinschaft vorliege, „offenkundig verfassungswidrig“ war. Auch Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse muss man jedoch zu lesen wissen. Und gerade beim so genannten „Mieders-Erkenntnis“ von 2008 ist besondere Sorgfalt angesagt. Der Punkt ist, dass der Gerichtshof in diesem Erkenntnis gerade nicht geprüft hat, ob die Ortsgemeinde Mieders jemals wahre Eigentümerin war oder ob die Ortsgemeinde Mieders lediglich als Eigentümerin angesehen wurde. Diese Frage wurde im „Mieders-Erkenntnis“ und in dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren nie aufgeworfen und nicht geklärt. Wörtlich stellte der Verfassungsgerichtshof dazu im „Mieders-Erkenntnis“ vom 11. Juni 2008 fest: „Es war in keinem Verfahrensstadium davon die Rede, dass es sich etwa nicht um Gemeindegut gehandelt habe (war doch die Gemeinde, aber nicht die Summe von Nutzungsberechtigten als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen)“. Was nicht Gegenstand des Verfahrens war, brauchte der Gerichtshof (natürlich) nicht zu prüfen.
„GEMEINDEGUT“ ODER „GEMEINDEGUT“?
Die Tiroler Agrargemeinschaften haben auf diesen klarstellenden Hinweis im „Mieders-Erkenntnis“ reagiert. Als die Agrargemeinschaft Unterlangkampfen im April 2010 als „atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft“ beurteilt war, wurde in der Beschwerde dagegen an den Verfassungsgerichtshof geltend gemacht, dass das Regulierungsgebiet niemals ein wahres Eigentum einer Ortsgemeinde war. Die irreführende Eigentümeretikette „Fraktion Unterlangkampfen der Gemeinde Langkampfen“ im Grundbuch sei im Sinne von „Nachbarschaft der Gemeinde Langkampfen“ zu verstehen. Die Etikettierung könne ein Jahrhunderte altes Nachbarschaftsgut nicht in ein Staatsgut verwandeln. Der Verfassungsgerichtshof hat dieser Beschwerde zwar keine Folge gegeben, sondern die Rechtssache an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung weitergereicht. Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch für das weitere Verfahren Rechtssätze aufgestellt, die „Licht in das Dunkel des heutigen Tiroler Agrarstreits“ bringen würden. Als wichtigsten Kernsatz strich der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 10. Dezember 2010 hervor, dass der Begriff „Gemeindegut“ bzw. „Fraktionsgut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht im Sinn von „Eigentum einer Agrargemeinschaft“ verwendet wurde. Der VfGH: „… der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in § 36 Abs. 2 lit. des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff ‚Gemeindegut‘ im Sinne von ‚Eigentum der Agrargemeinschaft‘ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol, 250f)“. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger hatte sich an der zitierten Stelle ausführlich damit auseinandergesetzt, welche Rechtsfolgen sich aus dem Umstand ergeben, dass der Begriff „Gemeindegut“ im Flurverfassungsrecht über viele Jahrzehnte im Sinn von „Eigentum einer Agrargemeinschaft“ gebraucht wurde. Er stellte klar, dass es jeder juristischen Sorgfalt und Genauigkeit widersprechen würde, wenn man dem Begriff „Gemeindegut“ in einem historischen Bescheid heute einen anderen Inhalt gibt als vom historischen Tiroler Flurverfassungsrecht vorausgesetzt.
Anlass für die ausführliche Auseinandersetzung des Verfassungsgerichtshofes mit dem historischen Gemeindegutsbegriff war die Begründung des Landesagrarsenats vom April 2010 für ein atypisches Gemeindegut bei Agrargemeinschaft Unterlangkampfen. Ein „atypisches Gemeindegut“ wurde angenommen, weil die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren 1949 von einem „Fraktionsgut“ (= „Gemeindegut“) ausgegangen war. Vom historischen „Fraktionsgut“ wurde auf ein historisches Gut im Eigentum der Ortsgemeinde geschlossen. Laut VfGH war das ein Trugschluss, weil dieser Begriff im historischen Agrarrecht eben ein Gut im Eigentum der Agrargemeinschaft bezeichnete. Als zweiten Kernsatz strich der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ heraus, dass bei der Beurteilung von „Gemeindegut“ vor allem die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt vor der Regulierung geprüft werden müssen. Der VfGH: Wenn die Agrargemeinschaft die behördliche Feststellung beantragt, ob bestimmte Grundstücke solche im Sinne des „Mieders-Erkenntnisses“ wären, so komme es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung an. Die das „Mieders-Erkenntniss“ tragenden verfassungsrechtlichen Erwägungen haben nämlich die offenkundig verfassungswidrige Übertragung von Eigentum auf eine Agrargemeinschaft zum Ausgangspunkt. Der VfGH weiter: „Die Agrarbehörden sind bei Verfahren wie diesem mithin gehalten, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären und dabei alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen.“ „Der Verfassungsgerichtshof tritt der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft daher nicht schlechthin entgegen, wenn sie die Ansicht vertritt, dass die von ihr im Verfahren relevierten Urkunden – namentlich die Urkunde über die angebliche Verleihung des Heimweidegebiets an die ‚Gemeind und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen‘ im Jahr 1670 und die der Grundbuchsanlegung zugrunde liegenden Urkunden – für die Beurteilung der Eigentumsfrage rechtliche Relevanz haben könnten.“ In derartigen Fällen sei allerdings zunächst zu prüfen, ob vor der Regulierung ein Erwerbsvorgang zugunsten der politischen Gemeinde stattgefunden habe.
Nur ein ehemaliges wahres Eigentum der Ortsgemeinde kann ein „atypisches Gemeindegut“ im Sinn des „Mieders-Erkenntnisses“ hervorbringen. Davon sind die Fälle zu unterscheiden, wo lediglich eine falsche Grundbuchseintragung vorlag. Last but not least erlaubte sich der Verfassungsgerichtshof den wichtigen Hinweis, dass ein historischer Grundbuchsstand nicht zwingend ein richtiger gewesen sein müsse. Der VfGH: „Weiters ist allerdings […] zu berücksichtigen, dass Grundbuchseintragungen unrichtig sein können, […] weswegen der Grundbuchsstand nicht zwingend die wahren Eigentumsverhältnisse wiedergeben muss.“ Bei der Prüfung der wahren rechtlichen Eigentumsverhältnisse ist deshalb eine mögliche Unrichtigkeit des Grundbuchs einzukalkulieren.
„NUMMERNSPIEL“ DES VWGH
Ungeachtet der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom Dezember 2010 hat der Verwaltungsgerichtshof den Tiroler Agrargemeinschaften die Prüfung der wahren Eigentumsverhältnisse verweigert.
„Atypisches Gemeindegut“ gründe, so der Verwaltungsgerichtshof, auf einer „Qualifizierung durch die Agrarbehörde“. Die Substanz gebühre dem Staat, auch wenn die Ortsgemeinde nie eine wahre Eigentümerin gewesen sei. „Schwarzer Tag“ der Tiroler Agrargemeinschaften war der 30. Juni 2011. Der siebente Senat des Verwaltungsgerichtshofs entschied an diesem Tag in gut einem Dutzend von Einzelfällen folgende Rechtssätze: Es „erübrigt sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfene rechtshistorische Fragestellungen. Darauf, ob die entscheidungswesentliche Feststellung im Bescheid vom 17. Juni 1949 zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“ (VwGH Zl 2010/07/0075 Agrargemeinschaft Unterlangkampfen) Im Klartext: Der Verwaltungsgerichtshof stellte sich auf den Standpunkt, dass ein „atypisches Gemeindegut“ auch dann vorliegen könne, wenn das Regulierungsgebiet nie ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde gewesen sei. Wer zur Zeit der Tiroler Forstregulierung 1847 oder bei der Tiroler Grundbuchanlegung um 1900 Eigentümer war und wer allenfalls später das Eigentum erworben hat, sei ohne Bedeutung. Alle Einwände der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen, wonach die Ortsgemeinde Langkampfen das Eigentum nie erworben hatte, seien deshalb nicht zu prüfen.
„Wer Eigentümer war oder das Eigentum erworben hatte, ist ohne Relevanz!“ – so die Botschaft des Verwaltungsgerichtshofs. Und nach dieser Vorgabe, die allem widerspricht, was der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom
10. Dezember 2010 entschieden hat, hat der Tiroler Landesagrarsenat rund 250 Tiroler Agrargemeinschaften als „atypisches Gemeindegut“ beurteilt. Nach dieser Vorgabe werden geschätzt 15.000 Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder um ihre Anteile an der Substanz dieser Liegenschaften gebracht. Der Tiroler Landesagrarsenat am 15. September 2011, Agrargemeinschaft Sellrain: „Angesichts der im Regulierungsverfahren rechtskräftig getroffenen Grundstücksqualifizierung als Gemeindegut, wurde verbindlich entschieden, dass das Regulierungsgebiet Eigentum der Ortsgemeinde war. „Insbesondere kommt es gegenständlich auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Tiroler Forstregulierung 1847 oder im Zeitpunkt der Grundbuchanlegung gar nicht entscheidend an, genauso wenig auf die Frage, wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre“. Tiroler Landesagrarsenat
12. Jänner 2012 Agrargemeinschaft Oberpinswang: „Angesichts der im Regulierungsverfahren rechtskräftig und mit Bindungswirkung für die Zukunft getroffenen Grundstücksqualifizierung nach § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 erübrigte sich ein Eingehen auf die im vorliegenden Fall von der Agrargemeinschaft aufgeworfenen rechtshistorischen Fragestellungen. […] insbesondere kommt es gegenständlich auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Tiroler Forstregulierung 1847 oder im Zeitpunkt der Grundbuchanlegung gar nicht entscheidend an, genauso wenig auf die Frage, wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre.“ Tiroler Landesagrarsenat am 23. Februar 2012 Agrargemeinschaft Wenns: „Auf die Frage, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Tiroler Forstregulierung 1847 oder im Zeitpunkt der Grundbuchanlegung gestaltet haben, und wie die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kommt es nicht an, weil die Liegenschaften im Agrarbehördenverfahren als ein Gemeindegut nach Flurverfassungs-Landesgesetz 1952 beurteilt wurden. Damit wurde bindend entschieden, dass ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde vorgelegen hat“.
Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Tirolerinnen und Tiroler werden durch diese Judikatur um den Wert der Gemeinschaftsliegenschaften, um den gesamten Zugewinn aus Jahrzehnte langer Arbeit, um die Ersparnisse und alles Geschaffene enteignet. Dies aufgrund der Rechtsfiktion, wonach ein Regulierungsgebiet der Ortsgemeinde verfassungswidrig entzogen sei, wenn die historische Agrarbehörde ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ angenommen habe. Ob und wie die Ortsgemeinde jemals ein wahres Eigentum erworben hat (Kauf, Tausch, Schenkung, Ersitzung usw.) wurde und wird entgegen den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ 2010 in keinem einzigen Fall korrekt geprüft.
In Tirol vollzieht sich seit einigen Jahren eine bemerkenswerte Umgestaltung in den Eigentumsverhältnissen: Ursprünglich bäuerliches Gemeinschaftsgut, das in sogenannten „agrarischen Operationen“ rechtskräftig als Eigentum von Agrargemeinschaften festgestellt wurde, wird durch den Landesgesetzgeber in ein „atypisches Gemeindegut“ umgestaltet. Dieses „atypische Gut“ ist zwar dem Buchstaben nach weiterhin ein Eigentum der Agrargemeinschaft; der Sache nach wurde dieses Gut in ein Staatseigentum verwandelt. Alle Verfügungsbefugnisse über dieses Eigentum und die Erträgnisse daraus sollen dem Staat in Form der Ortsgemeinden zustehen.
Diese in der II. Republik beispiellose Vermögensverschiebung von den Privaten zum Staat wird mit dem behaupteten Erfordernis legitimiert, verletzte Rechte der Ortsgemeinden wieder herzustellen. Das Eigentum sei den Ortsgemeinden in den agrarischen Operationen „offenkundig verfassungswidrig“ entzogen worden. Offizielle Zahlen zum Umfang des enteigneten Grundbesitzes fehlen – gut informierte Kreise kolportieren 150.000 ha Grund und Boden, die entschädigungslos aus Gemeinschaftsbesitz in Staatsbesitz überführt wurden. Dies samt allen darauf befindlichen Baulichkeiten und Rechten. Hinzu kommen die in den Agrargemeinschaften verwalteten ersparten Barmittel von angeblich 50 Millionen Euro.
Zur Begründung wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2008 zur Agrargemeinschaft Mieders („Mieders-Verkenntnis 2008“) verwiesen. Über Beschwerde der Ortsgemeinde Mieders im Stubaital hatte der Verfassungsgerichtshof im Juni 2008 erkannt, dass das Anteilrecht der Gemeinde an der Agrargemeinschaft Mieders, bisher 10 %, erhöht werden müsse. Die Ortsgemeinde hätte seit jeher ein Recht auf den Substanzwert besessen. In dieses Recht sei bei der agrarischen Operation „offenkundig verfassungswidrig“ eingegriffen worden. Die Agrarbehörde hätte deshalb heute den „Regulierungsplan“ der Agrargemeinschaft anzupassen. Dem Recht der Ortsgemeinde auf den Substanzwert sei durch eine Erhöhung des Anteilrechts der Ortsgemeinde zum Durchbruch zu verhelfen.
Dabei wurde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) einfach vorausgesetzt, dass die Ortsgemeinde ursprünglich ein Recht auf das Eigentum hatte und dass dieses Eigentumsrecht im Zuge des agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens verletzt worden sei. Der Einwand, dass die Ortsgemeinde bei der Grundbuchanlegung zu Unrecht als Eigentümerin von Nachbarschaftsliegenschaften herhalten musste, wurde im Verfahren nie erhoben und vom Verfassungsgerichtshof auch gar nicht überprüft. Auch die Tatsache, dass die Agrarbehörde rechtskräftig entschieden hatte, dass gerade nicht die Ortsgemeinde, sondern die Agrargemeinschaft Mieders Eigentümerin sei, wurde vom VfGH im „Mieders-Verkenntnis“ mit raffinierter Rabulistik ausgehebelt.
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LANDESGESETZ ALS ENTEIGNUNGSNORM
Mit zwei Gesetzesnovellen zum Flurverfassungslandesgesetz (TFLG) vom 17.Dezember 2009 LGBl 7/2010 und 14. Mai 2014 LGBl 70/2014 wurde das Recht der Agrargemeinschaften in Tirol durchgreifend umgestaltet. Den Tiroler Kommunen wurde ein direkter Zugriff auf das Vermögen von rund 250 Agrargemeinschaften verschafft. Betroffen sind ca. 150.000 ha an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften samt allenfalls darauf errichteten Baulichkeiten und Anlagen sowie rund 60 Millionen Euro an liquiden Mitteln.
Die enteigneten Gebäude, meist „Bauhöfe“, Lagerhallen, Almgebäude, Bergrestaurants, wurden in den Jahrzehnten seit der Regulierung meist unter Mithilfe aller Mitglieder neu errichtet oder durchgreifend renoviert, die enteigneten Barmittel wurden über Jahrzehnte angespart. Anstelle der gewählten organschaftlichen Vertreter der Mitglieder verfügen seit 1. Juli 2014 Staatskommissare, die vom Gemeinderat bestellt werden, sogenannte „Substanzverwalter“. Dies als gesetzlich neu installierte Organe der Agrargemeinschaft! Diese „Substanzverwalter“ sind der Ortsgemeinde weisungsgebunden und sie sind berechtigt, jederzeit Vermögen aus solchen Agrargemeinschaften zu entnehmen und im Sinn der Ortsgemeinde zu verwenden.
Ein solches „atypisches Gemeindegut“ begegnet (derzeit) in 142 von insgesamt 279 Tiroler Ortsgemeinden.
„MIEDERS-VERKENNTNIS“ ALS GRUNDLAGE
Bekanntlich hat die Agrarbehörde die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften zu prüfen und darüber zu entscheiden, wer zu welchem Anteil Eigentümer der Liegenschaften ist. Seit dem Jahr 1909 besteht in Tirol eine gesetzliche Grundlage für solche „agrarischen Operationen“. Wenn Jahrzehnte später die Behauptung aufgestellt wird, dass eine solche Entscheidung falsch gewesen sei und dass eine solche Entscheidung nun korrigiert werden müsse und korrigiert werden könne, so bedeutet dies einen völlig neuen Umgang mit der Institution der Rechtskraft als Fundament des Rechtsstaates.
Der historische Bescheid der Agrarbehörde, mit dem die Eigentumsfrage rechtskräftig zu Gunsten einer Gemeinschaft von Grundbesitzern entschieden wurde, wird ausgehebelt; das Rechtsinstitut der Rechtskraft, eines der wichtigsten Fundamente des Rechtsstaates, wurde mit Füßen getreten!
FALSCHE FAKTEN UND RABULISTIK
Das „Mieders-Verkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes 2008 läuft auf das Ergebnis hinaus, dass der historische Bescheid, mit dem die Eigentumsfrage im konkreten Einzelfall rechtskräftig geklärt wurde, ausgehebelt wird.
Argumentiert wurde mit dem Gedanken, dass die historischen Entscheidungen über das Eigentumsrecht in sich widersprüchlich seien: Es gebe eine Entscheidung für ein Eigentum der Agrargemeinschaft und gleichzeitig eine Entscheidung für ein „Gemeindegut“ – für den Verfassungsgerichtshof ein Widerspruch. Dies deshalb, weil der Verfassungsgerichtshof sich im „Mieders-Verkenntnis“ (VfSlg 18.446/2008) und auch bereits in älteren Erkenntnissen (insbesondere VfSlg 9336/1982) auf den falschen Standpunkt stellte, dass ein „Gemeindegut“ zwingend ein Eigentum der Ortsgemeinde sein müsse.
Der Verfassungsgerichtshof: Wenn die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren ein „Gemeindegut“ als Regulierungsgegenstand angenommen habe, dann müsse dieses Gut ein Eigentum der jeweiligen Ortsgemeinde gewesen sein. Die weitere Entscheidung der Agrarbehörde, dass dieses Gemeindegut ein Eigentum der jeweiligen Agrargemeinschaft sei, hätte deshalb einen (offenkundig) verfassungswidrigen Eingriff in ein Gemeindeeigentum bedeutet; der betreffende Bescheid der Agrarbehörde sei (offenkundig) verfassungswidrig gewesen.
Die Behauptung von verfassungswidrigen Regulierungsergebnissen führt den Verfassungsgerichtshof unmittelbar zu der weiteren Rechtsfolgerung, dass diese Bescheide „verfassungskonform“ interpretiert werden müssten. Die „Substanz des Eigentums“ müsse der Ortsgemeinde erhalten werden. Zu diesem Ergebnis gelangt der Verfassungsgerichtshof durch eine neue Auslegung der historischen Bescheide: Die Agrarbehörde – so die Argumentation des Verfassungsgerichtshofes – hätte nicht nur ein Eigentum der Agrargemeinschaft festgestellt, sondern auch ein „Gemeindegut im Sinn von Substanz der Ortsgemeinde„. Ein Gemeindegut setze nämlich zwingend voraus, dass die „Substanz“ der jeweiligen Gemeinde zustehe.
In Konsequenz hatte der Verfassungsgerichtshof somit agrargemeinschaftliche Gebilde „entdeckt“, wo die Substanz der Ortsgemeinde zusteht und das Eigentum der Agrargemeinschaft. Die eigentumslose Substanz und das substanzlose Eigentum (P. Pernthaler) war erfunden – das „atypische Gemeindegut“.
ATYPISCHE AGRARGEMEINSCHAFT MIEDERS
Der Verfassungsgerichtshof: Wenn die Agrarbehörde deshalb im seinerzeitigen Regulierungsverfahren entscheiden habe, dass das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft Mieders zustehe, so sei diese Entscheidung offenkundig verfassungswidrig gewesen. Diese angebliche Verfassungswidrigkeit erfordere eine verfassungskonforme Interpretation dieser Bescheide.
Im Blick auf die Feststellung von „Gemeindegut“, an dem ein Eigentum der Agrargemeinschaft bestehe, wurde der Standpunkt eingenommen, dass im Zuge des historischen Regulierungsverfahrens der Ortsgemeinde das „Substanzrecht“ verblieben sei. Es sei der Wille der Agrarbehörde gewesen, ein „Gemeindegut“ festzustellen; dessen Wesensgehalt sei es aber, dass die „Substanz“ der Ortsgemeinde zustehe!
Zumindest müssten die Bescheide in diesem Sinn „verfassungskonform“ interpretiert werden: Hier das „eigentumslose Substanzrecht„, dort das „substanzlose Eigentumsrecht„. So der Verfassungsgerichtshof im bereits genannten Mieders-Verkenntnis 2008, VfSlg 18.447/2008.
DAS WESEN DES „ATYPISCHEN“
Vergeblich haben die Tiroler Agrargemeinschaften in nachfolgenden Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht, dass den Bescheiden, die in den historischen Regulierungsverfahren ergangen sind, niemals ein solcher Sinn unterstellt werden dürfe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diesen Einwand in einer ganzen Serie von Erkenntnissen am 30.06.2001 vom Tisch gewischt (VwGH 2010/07/0091, VwGH 2010/07/0092 uam).
Der Verwaltungsgerichtshof stellte sich auf den Standpunkt, dass eine Anknüpfung beim Begriff „Gemeindegut“ im historischen Regulierungsverfahren zwangsläufig ein atypisches Gemeindegut hervorgebracht hätte. Zwangsläufig folge aus dieser historischen Anknüpfung, dass heute die Substanz der Ortsgemeinde gehöre. Diese Interpretation aller historischen Bescheide sei objektiv zu vollziehen. Dass die historische Agrarbehörde solche Gebilde tatsächlich niemals feststellen wollte, sei ohne Relevanz. Irrelevant sei auch, dass keiner der am historischen Agrarverfahren Beteiligten an solche Rechtsfolgen denken konnte. (VwGH 2010/07/0091, VwGH 2010/07/0092 uam)
Für dieses Fantasiegebilde wurde der Begriff „atypisches Gemeindegut“ erfunden – Rabulistik vom Feinsten!
GEMEINDEGUTSIRRSINN IN TIROL
Im engsten zeitlichen Zusammenspiel mit der Veröffentlichung des sog. „Mieders-Verkenntnisses“ im Frühsommer 2008 wurde in Tirol ein generalstabsmäßig angelegter Raubzug gegen das agrargemeinschaftlich organisierte landwirtschaftliche Eigentum in Gang gesetzt. Vollzugsbehörde ist die Agrarbehörde, wo eine neue Abteilung geschaffen und mit einem halben Dutzend Juristen besetzt wurde.
Das Tiroler Gemeinschaftseigentum, hier “Gemeindegut” genannt, wurde als Diebesbeute hingestellt, welche dem Staat zurück zu geben sei. Tausende Hektar Gemeinschaftswald und viele Millionen EURO an ersparten Gemeinschaftsmitteln wurden in zahllosen Agrarbehördenverfahren den bisherigen Eigentümern entzogen und den Tiroler Ortsgemeinde zugewendet.
Im Ergebnis wurden seit Bekanntwerden des „Mieders-Verkenntnisses“ 2008 im Land Tirol Eigentumsverhältnisse geschaffen, wie diese nur in den historischen Grundherrschaften bekannt waren: Die Politiker als die neuen Grundherren, die Tiroler Grundbesitzer und Bauern als bloß Nutzungsberechtigte. Ein Eigentum am Gemeinschaftsbesitz wird den Bauern und Grundbesitzern vom Land Tirol nicht (mehr) zugestanden.
Die politische Hauptverantwortung für diesen Skandal trägt der im Jahr 2008 in Tirol an die Macht gekommene der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. Dieser hat das ausschließlich auf falschen Tatsachen gründende Verkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes, das “Mieders-Verkenntnis 2008″, zur Profilierung der eigenen Person verwendete. Geradezu gebetsmühlenartig wiederholte er sein Credo, dass das Mieders-Verkenntnis “auf Punkt und Beistrich” umgesetzt werden müsse. Die Tatsache, dass dieses Erkenntnis ausschließlich auf erfundenen Tatsachen, „Fake-News“, vom „gestohlenen Gemeindegut“ gründete, wurde einfach ignoriert.
Die gesamte politische Landschaft und der Tiroler Boulevard wurden zeitweise geradezu in die Raserei gegen das historische Bauerneigentum versetzt. Beängstigende Assoziationen weckten Massenaussendungen der LISTE FRITZ zum Thema “STOPPEN WIR DEN DIEBSTAHL AM VOLK” und Ähnliches.
NUR IN TIROL WIRD ENTEIGNET
Seit dem Jahr 2008 wurden in Tirol tausende Tirolerinnen und Tiroler wurden in dem Wahn enteignet, dass deren Gemeinschaftseigentum den heutigen politischen Ortsgemeinden gestohlen worden sei.
Ganz anders sind die Verhältnisse im angrenzenden Land Vorarlberg, wo die politische Landesführung die wahren Tatsachen und Fake-News zu trennen wusste. Das Mieders-Verkenntnis 2008 des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes wurde einer mehrjährigen Prüfung unterzogen. Keine einzige Vorarlberger GrundbesitzerIn wurde enteignet. Das agrargemeinschaftliche Vermögen blieb unangetastet.
Auch alle anderen Österreichischen Bundesländer ignorieren das Mieders-Verkenntnis 2008 kräftig. Nur Tirol ist anders!
985/995: „Gemainnutzungen“ werden als Zubehör einer Hofstelle und somit als Privatrechte übertragen. Der Edle Arnix übergibt „suam proprietatem“ … „cum omni ligitimo quo habuit rudera et prata, montibus et submontanis silvis aquis aquarumve decursibus venatione exitu et reditu pascuis viis et inviis et com omni communione quam hebere debuit et habuit.“
1050/1065: „Gemain“ wird als Bezeichnung für Allmendnutzung verwendet. Bischof Altwin von Brixen verschaffte dem Edlen Berchtold „… illum usum, qui vulgo dicitur gimeineda“.
1190: Ein „Bozner Weistum“ regelt die Nutzung von Allmendwiesen und des „gemeinen Waldes“.
1224: Im Sachsenspiegel wird ein Rechtssatz definiert, wonach ältere Rechte den Rechtserwerb durch Spätere einschränken oder ausschließen. („Die ok irst to der molen kumt, die sal erst malen“.)
1239: Im Innsbrucker Stadtrecht von 1239 werden die gemeinsam genutzten Weideplätze beschrieben als „… quod gemeinde dicitur“.
1310: Die Tiroler „Feuerstätten“ werden gezählt.
1330: Der Tiroler Landesfürsten definiert den Rechtssatz, wonach alle Tiroler Wälder Eigentum des Landesfürsten sind.
1510: Kaiser Maximilian befiehlt Christian Pirchner, Richter zu Rettenberg, und Leonhardt Möltl, Bergrichter zu Schwaz, den Wald der „Nachbarschaft zu Berg und Dorf des Oblay Kolsass“ unter den 22 Feuerstätten so aufzuteilen, dass „niemand wieder die Billigkeit beschwert“ werde.
1541: Die Waldordnung Kaiser Ferdinands I. regelt die Waldnutzungsrechte der Feuerstattbesitzer.
1768: Kaiserin Maria Theresia befiehlt die Aufteilung der „gemeinen Weiden“ zu Einzelbesitz.
1771: In Lermoos wird die befohlene Teilung der Gemeindeweide vorgenommen. Durch das Los erhält jede bewohnte Behausung einen ganzen Anteil, jede unbewohnte Behausung einen halben, jeder verheiratete „Beständer“ einen ganzen, jeder ledige einen halben Anteil, der Postmeister Franz Nikolaus Sterzinger und der Gastgeber Johann Georg Jäger in Anbetracht ihres größeren Hauswesens jedoch zwei ganze Teile im Voraus.
1784: Gemeindedefinition des Tiroler Guberniums: „In Tyroll wird unter der Benambsung Gemeinde eine gewisse, bald größere bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch einzeln zerstreuter Häuser verstanden, die gewisse Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche Schuldigkeiten haben z. B. eine bestimmte Strecke eines Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“
1815: In Tirol tritt das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) in Kraft. Es kennt „Gemeinden“ nicht als territoriale Einheiten, sondern als organisierte Personenmehrheiten („moralische Personen“). Im „Codex Theresianus“, III/133, war dazu festgestellt worden, „daß wenigstens drei Personen eine Gemeinde (…) ausmachen“ könnten.
1839: Nach dem Erscheinen der provisorischen Waldordnung vom Jahr 1839 brach ein Sturm von Rechtsstreitigkeiten los, die gegen das landesfürstliche Forstregal (= Obereigentum an den Tiroler Wäldern) gerichtet waren. In hunderten Prozessen forderten die Tirolerinnen und Tiroler ihre Anerkennung als Eigentümer.
1847: Im Forstregulierungspatent vom 6. Februar 1847 werden private Eigentumsrechte an Wäldern anerkannt („Forsteigentumspurifikation“); die Nutzungsrechte am landesfürstlichen Wald werden gegen gemeinschaftliches Privateigentum an bestimmten Waldstrecken abgelöst („Forstservitutenablösung“). In Osttirol verzichtet der historische Staat auf sein Obereigentum („Forstzuweisung“).
1847: Die Instruktion für die Kommission zur Ablösung der Servituten in den „vorbehaltenen Staatswäldern definiert am 1. Mai 1847, mit welchen Liegenschaften Forstnutzungsrechte verbunden waren.
1849: § 26 der prov. Gemeindeordnung regelt, dass die Einrichtung der Gemeinden ohne Auswirkung auf die privatrechtlichen Verhältnisse bleibe, insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen von Gemeindebürgern unberührt lasse.
1850: Der Ministerialerlass vom 11. Dezember 1850 Z. 13353 lieferte eine „Anleitung zur Verwaltung des Gemeinde-Eigenthums“. „Zum Gemeinde-Eigenthume können nicht jene Sachen gerechnet werden, welche gewissen Classen von Gemeindegliedern angehören. So haben in manchen Gemeinden bloß die Bauern mit Ausschluß der Häusler den Genuß gewisser Waldungen, Weiden etc., so haben an anderen Orten Zünfte, Innungen, die Besitzer gewisser Häuser, wie z. B. die brauberechtigten Bürger, ein eigenes Vermögen oder besondere Rechte. Hierauf bezieht sich der § 26 des Gemeindegesetzes, der verfügt, daß die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Classen, oder einzelner Glieder der Gemeinde ungeändert bleiben.“
1866: Auf der Grundlage des Reichsgemeindegesetzes von 1862 wird die Tiroler Gemeindeordnung vom 9. Jänner 1866 (LGBl 1866/1) geschaffen. Gem. § 12 TGO 1866 bleiben die privatrechtlichen Verhältnisse unberührt, insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen von Gemeindebürgern.
1883: Mit dem Reichsrahmengesetz vom 7. Juni 1883 betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte (TRRG 1883, RGBl 1883/94) wird das agrargemeinschaftliche „Gemeindegut“ der Zuständigkeit der Commassionsbehörden (= Agrarbehörden) unterworfen, welche in „agrarischen Operationen“ anstelle der Zivilgerichte über das Eigentumsrecht und die Nutzung daran entscheiden.
1896: Stephan Ritter von Falser vertritt in seiner im Blick auf die Grundbuchanlegung vorgelegten Abhandlung „Wald und Weide im Tirolischen Grundbuch“ die Auffassung, dass der Tiroler Landesfürst im Jahr 1847 die Tiroler Wälder den politischen Gemeinden zum Geschenk gemacht hätte.
1897: Der Tiroler Landesausschuss entscheidet zum Öster Klammwald (Umhausen), dass aus der Tiroler Forsteigentumspurifikation 1847 ein gemeinsames Privateigentum der Öster Feuerstattbesitzer hervorgegangen sei und gerade kein Gemeindeeigentum.
1898: Die GrundbuchanlegungsVO für Tirol setzt die Thesen des Stephan Ritter von Falser um; am Anwendungsfall der „geteilten Gemeindewälder“ (= Teilwälder) wird alles Waldeigentum in Tirol im Zweifel den neuen politischen Gemeinden zugeordnet.
1898: In Tirol wird mit der Anlegung moderner Grundbücher begonnen. Gemeinschaftsgüter wurden vornehmlich auf „Gemeinde“ oder „Fraktion“ einverleibt; auch aufgeteilte Waldparzellen wurden als Gemeindeeigentum erfasst.
1900: Mit Landtagsbeschluss vom 2. Mai 1900 verlangt der Tiroler Landtag, dass der Besitz an aufgeteilten Waldparzellen als Eigentums- oder zumindest als Servitutsrecht der Waldbesitzer erfasst werden soll.
1903: Als Ergebnis der Reklamationsverfahren gegen die Grundbuchanlegung werden speziell in den Osttiroler Gerichtsbezirken Lienz, Matrei und Sillian zahlreiche Gerichtsverfahren eingeleitet; Josef Schraffl berichtete 1908 im Tiroler Landtag von „einigen hundert“ unerledigten Verfahren.
1908: Der Tiroler Landesausschuss verlangt die Einstellung der Grundbuchanlegung bis zur Klärung der „Teilwälderfrage“.
1910: Mit Gesetzesbeschluss vom 31. Jänner 1910 ändert der Tiroler Landtag die Gemeindeordnung; die Anerkennung des Eigentumsrechts der Waldbesitzer am Vertragsweg wird gefördert.
1911 bis 1913: Fast alle Osttiroler Gemeinden, viele Gemeinden des Südtiroler Pustertales und einige Nordtiroler Gemeinden anerkennen das Eigentumsrecht der Teilwaldbesitzer im Vertragsweg, was von den Grundbuchgerichten zu akzeptieren war.
1911: In Tirol werden die ersten „agrarischen Operationen“ eingeleitet. 1909 wurde das Ausführungsgesetz zum TRRG 1883, das TRLG 1909 (LGBl 1909/61) und im Jahr 1910 die Ausführungsverordnung dazu (LGBl 1910/28) in Kraft gesetzt.
1920: Das Bundes-Verfassungsgesetz regelt das Bodenreformrecht, insbesondere agrarische Operationen als Zuständigkeit des Bundes in den Grundsätzen, der Landesgesetzgebung in der Ausführungsgesetzgebung dazu (Art. 12 B-VG); das Gemeinderecht wird als Landesangelegenheit ausgestaltet.
1932: Das Bundesgesetz vom 2. August 1932 betreffend die Grundsätze für die Flurverfassung (Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932, BGBl 1932/256) tritt an die Stelle des TRRG 1883. Die Agrarbehörden sind danach insbesondere zuständig, anstelle der Zivilgerichte über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut zu entscheiden.
1935: Das Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz vom 6. Juni 1935 (LGBl 1935/42) tritt in Kraft. Danach hat ausschließlich die Agrarbehörde zu entscheiden, in wessen Eigentum agrargemeinschaftlich genutztes „Gemeindegut“ steht.
1935: Die Tiroler Gemeindeordnung vom 10. Juli 1935 (LGBl 1935/36) ordnet ausdrücklich an, dass für die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gemeinde- und Fraktionsgut ausschließlich die Bestimmungen des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1935 maßgebend sind (§ 117, 140) und nicht die (Tiroler) Gemeindeordnung. Das Bundeskanzleramt hatte diese Klarstellung im Gesetzwerdungsprozess ausdrücklich gefordert.
1938: Mit 1. Oktober 1938 tritt die Deutsche Gemeindeordnung in Österreich in Kraft. Die „Fraktionen, Ortschaften, und ähnliche innerhalb der Gemeinde bestehenden Verbände, Körperschaften und Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ werden aufgelöst.
1938 bis 1945: Überall in Österreich wird agrargemeinschaftliches Vermögen von den Nazis als angebliches Gemeindeeigentum der privaten Verfügung entzogen. In Osttirol wurden in zahlreichen Fällen nicht nur Kasse und Verwaltungsunterlagen abgenommen, sondern auch im Grundbuch die Umschreibung des Gemeinschaftsvermögens veranlasst.
1939: In Osttirol entsteht eine solche Erregung und Unruhe unter den Bauern, dass das Reichssicherheitshauptamt in Berlin Erhebungen anordnet.
1941: In Osttirol wird die irrige Auslegung der Deutschen Gemeindeordnung korrigiert, wonach das Eigentum von agrarischen Gemeinschaften als vorgebliche „politische Ortsfraktionen“ den Ortsgemeinden zustehe (Haller’sche Urkunden).
1949: In der neuen Tiroler Gemeindeordnung wird gesetzlich klar gestellt, dass durch die Bestimmungen dieses Gesetzes die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt werden. (§ 82 TGO 1948)
1951: In Vorarlberg tritt ein Flurverfassungs-Landesgesetz in Kraft. Demnach ist allein die Agrarbehörde zuständig für die Entscheidung über Eigentumsverhältnisse und Nutzungsrechte an agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften; diese ausschließliche Kompetenz bezieht sich ausdrücklich auch auf das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung. Die Bestimmungen der Vorarlberger Gemeindeordnung 1935 betreffend das Gemeindegut wurden unter einem für das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung außer Kraft gesetzt. (§ 102 Abs. 3 VFLG 1951).
1965: Das Vorarlberger Gemeindegesetz 1965 tritt in Kraft. Darin stellte der Vorarlberger Landesgesetzgeber klar, dass die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung im Flurverfassungs-Landesgesetz geregelt seien. Für eine Übergangszeit bis zur Regulierung wurden die Gemeinden verpflichtet, die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften „vorläufig nach den Bestimmungen des Flurverfassungsgesetzes“ weiterzuführen. (§ 91 Abs. 4 VGO 1965)
1966: § 85 TGO 1966 regelt, dass die Bestimmungen der Gemeindeordnung gegenüber konkurrierenden Regelungen der Flurverfassung zurückzutreten haben. („Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung nicht berührt.“)
1982: Der Verfassungsgerichtshof (VfSlg 9336/1982) stellt sich auf den Standpunkt, dass die Landesgemeindeordnungen von Tirol und Vorarlberg das „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ zwingend als Eigentum der Ortsgemeinden definiere. Das Flurverfassungsrecht, welches Gemeindegut als Eigentum einer Agrargemeinschaft voraussetze, sei deshalb verfassungswidrig. Flurverfassungsrechtliche Bestimmungen des (Bundes-)Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes sowie der Ausführungsgesetze von Tirol und von Vorarlberg werden aufgehoben, weil diese Gesetzesbestimmungen das „Gemeindegut“ undifferenziert als „gewöhnliche Agrargemeinschaft“ behandeln würden. Dem Bundesgesetzgeber wird eine Frist von einem Jahr gesetzt, das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz zu sanieren.
1983: Der Bundesgesetzgeber verabsäumt die Sanierung des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951; eine Auseinandersetzung mit der falschen These, wonach ein Gemeindegut durch die Landesgemeindeordnungen als ein Eigentum der Ortsgemeinde definiert worden wäre, hat bis heute nicht stattgefunden.
2006: Die Tiroler Agrarbehörde stellt im Musterbescheid gegen Agrargemeinschaft Mieders fest, dass das Regulierungsgebiet ein ehemaliges Gemeindegut im Eigentum der Ortsgemeinde Mieders war; die historische Unrichtigkeit des Grundbuchstandes ist kein Thema dieses Verfahrens.
2008: Der Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass das „Gemeindegut von Mieders“ als ein „atypisches Gemeindegut“ erhalten geblieben sei. Die Gemeinde habe einen Anspruch auf Neufestsetzung ihres Anteils (30. Juni 2008 VfSlg 18446/2008).
2009: Der Tiroler Landtag novelliert das TFLG 1996, um dem „atypischen Gemeindegut“ Rechnung zu tragen (LGBl 2010/7). Alle wesentlichen Funktionen des Eigentumsrechts werden als „Substanzrecht“ der jeweiligen Ortsgemeinde zugeordnet.
2010: Der Verfassungsgerichtshof anerkennt anhand eines Sachverhaltes aus Niederösterreich, dass das Anteilsrecht an einer Agrargemeinschaft als Eigentum gem. Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur MRK geschützt sei (21. September 2010 VfSlg 19.150).
2010: Der Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass ein Grundbuchsstand nicht zwingend die wahren Eigentumsverhältnisse wiedergibt und dass der Begriff „Gemeindegut“ im Tiroler Agrarrecht ein Eigentum einer Agrargemeinschaft bezeichnet hat. Atypisches Gemeindegut setzte ein ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde voraus (10. Dezember 2010 VfSlg 19.262).
2011: Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet, dass ein „Gemeindegut“ im Flurverfassungsrecht nur ein Eigentum einer Ortsgemeinde sein könne. Habe die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren über „Gemeindegut“ entschieden, existiere unwiderlegbar ein ehemaliges Gemeindeeigentum (Zl 2010/07/0091 u. a. vom 30. Juni 2011). Der Widerspruch zum Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis vom 10. Dezember 2010 VfSlg 19.262 wird nicht problematisiert.
2013: Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 2013 VfSlg 19.802 entscheidet der Verfassungsgerichtshof, dass im Fall eines „atypischen Gemeindeguts“ alle Nutzungen, welche über die Rechte der Agrargemeinschaftsmitglieder hinausgehen, der Ortsgemeinde zustehen.
2014: Der Tiroler Landtag novelliert mit Gesetzesbeschluss vom 14. Mai 2014 das TFLG 1996 (LGBl 2014/70). Das „Substanzrecht“ der Ortsgemeinden umfasst nunmehr ausdrücklich alle nach der Regulierung erworbenen Liegenschaften und alle sonstigen geschaffenen Vermögenswerte. „Substanzverwalter“ werden eingesetzt.
2014: 1. Juli: 150.000 ha Liegenschaftsvermögen samt allen darauf befindlichen Gebäuden, Einrichtungen, Anlagen usw. sowie 60 Millionen Euro Cash wechseln tirolweit aus der autonomen Verwaltung durch die Mitglieder in die staatskommissarische Verwaltung durch „Substanzverwalter“.
2016: 30. Juni: Ende der gesetzlichen Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen für Agrargemeinschaftsmitglieder (§ 86d Abs. 2 TFLG).
Bald nach Verabschiedung des „Tiroler Forstregulierungspatents“ mit kaiserlicher Entschließung vom 6. Februar 1847 war die Forstservituten-Ablösung in Nordtirol gründlich vorbereitet worden. Dies zu allererst durch eine gründliche Erhebung des Ist-Standes.
Zum Zweck der Vorbereitung des Ablösungsgeschäfts wurden die Landgerichte als damalige Verwaltungsbehörden eingeschaltet. Diese hatten gemeindeweise Folgendes zu erheben:
1. die Nummern und Namen der Häuser und Güter;
2. Namen der Eigentümer;
3. die radizierten Gewerbe;
4. Neubauten, die seit dem Jahre 1829 entstanden waren;
5. die holzkonsumierenden Personalgewerbe und Fabriken;
6. die Anzahl der Nichteingeforsteten oder bloßen Inwohner“.
Anhand dieser Erhebungen, die ergänzt wurden durch die „Holzbezugslisten“ der Forstverwaltungsbehörden, wurden unter Berücksichtigung der jeweiligen Holzertragsverhältnisse in den verschiedenen Nachbarschaftsgebieten genaue Berechnungsgrundlagen geschaffen, wie viel Waldeigentum zur Ablösung der Nutzungsrechte in Eigentum an Grund und Boden erforderlich wäre.
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DIE KAISERLICHE „INSTRUKTION“ VOM 1. MAI 1847
Eine kaiserliche Instruktion, die am 1. Mai 1847 zum Forstregulierungspatent vom 6. Februar 1847 ergangen ist, hielt dazu genau fest, für welche Nachbarschaftsmitglieder Einforstungsrechte anzuerkennen waren.
Es galt folgende Generalregel: Die Ablösungskommission hatte sich gegenwärtig zu halten, dass Einforstungsrechte nur dem Bauernstande, den Besitzern von Grund und Boden, zustanden. Ausgenommen wurden davon jene, die lediglich in einem Neubau oder in einem Zubau wohnten.
Die Instruktion vom 1. Mai 1847 hielt dazu fest: „Hinsichtlich der Neubauten und der Vergrößerung bestehender Bauten kann das Recht der Einforstung nicht zugestanden werden.“
Auf den Holzbedarf der sogenannten „Inwohner“ wurde ebenfalls keine Rücksicht genommen. Das waren jene Nachbarschaftsmitglieder, die nur ein Haus, aber ansonsten keinen Grund und Boden besaßen und deshalb keine „Bauern“ waren. Diese mussten das von ihnen benötigte Holz seit jeher kaufen.
Es war bei der Forstservituten-Ablösung auch auf den Bedarf des „Gewerbestandes“ in der Regel keine Rücksicht zu nehmen. Der Landesfürst gestattete jedoch bei den sogenannten „radizierten Gewerben“ Ausnahmen. Dies dann, wenn diese auf einen über die Verjährungszeit hinausreichenden Besitzstand verweisen konnten oder „auf den Inhalt des ursprünglichen Steuerkatasters“ oder auf „allenfalls bestehende, an ein landesfürstliches Urbarium zu entrichtende Feuerstattzinse“.
In derartigen Fällen durften solche Gewerbetreibende ebenfalls als einforstungsberechtigt anerkannt werden. Jedoch nur derart, dass „ihr auf das Genaueste zu erhebender, bisheriger Bedarf, nicht aber auch die Möglichkeit einer Steigerung desselben, in den Gesamtbestand der in einer Gemeinde abzulösenden Beholzungsbefugnisse einbezogen werde“.
Umgekehrt wurde bei den Besitzern von Grund und Boden, den „Bauern“, eine wichtige Einschränkung gemacht: „Es findet die Einbeziehung solcher Gutsbesitzer, welche bereits eine ihrem Bedarf entsprechende Waldfläche in Folge Auftheilung oder Verleihung [zu Eigentum haben] oder die überhaupt aus einem stichhältigen Grunde gegenwärtig keine Einforstungsrechte in den Staatsforsten besitzen, in die Zahl der Gemeindeglieder nicht statt, für deren Bedürfniß durch die Abtretung von Aerarialforsttheilen zu sorgen ist.“
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NUR BAUERNGÜTER UND „RADIZIERTE“ GEWERBE
Der historische Gesetzgeber in der Person von Kaiser Ferdinand I. „dem Gütigen“ hat somit den Kreis jener Liegenschaftsbesitzer, denen Einforstungsrechte zugestanden wurden, klar abgegrenzt. Für jede Nachbarschaft, mit der die Ablösung der Einforstungsrechte verhandelt wurde, war zuerst die genaue Zahl der Einforstungsberechtigten zu erheben. Entsprechend der jeweiligen Zahl an Berechtigten wurde die Größe der entsprechenden Ablösungsfläche berechnet.
Die eingesetzte Staatskommission, die Forstservituten-Ablösungs-Kommission, hatte für den Raum des damaligen Nordtirol rund 36.150 holzbezugsberechtigte Tiroler Familien insgesamt erhoben. Als Eigentümer eines „Stammsitzes“ durften diese ihren Bedarf an Holz aus den „Staatswäldern“ beziehen. Für alle berechtigten Nordtiroler Stammsitze gemeinsam hat diese Kommission ca 734.760 m³ an jährlichen Holzbezügen berechnet. Diesem jährlichen Holzbezugsrecht entsprachen nach den damaligen Berechnungen ca. 206.109 ha Ablöseflächen insgesamt.
Dabei wurde jedoch nicht jede Nachbarschaft gleich behandelt. Vielmehr wurde die jeweilige Ablösefläche der Bonität der in Frage kommenden Waldflächen angepasst. Den Ablöseflächen standen die von „Beholzungsservituten“ frei gestellten Flächen an verbleibenden Staatswäldern gegenüber, heute Bundesforste in Nordtirol.
Maßstab für die Größe der jeweiligen Ablöseflächen war als Grundsatz der Haus- und Gutsbedarf nur der jeweiligen einforstungsberechtigten Nachbarn. Die Tiroler Forstservituten-Ablösung war somit keineswegs von dem Gedanken getragen, jedermann mit Holz zu versorgen. Vielmehr war die zuständige Staatskommission strikt beauftragt, im Einzelfall zu prüfen, wie im konkreten Einzelfall die Einforstungsrechte ausgeübt worden waren.
Im Detail führt die Instruktion vom 1. Mai 1847 dazu Folgendes aus: „Die Deckung des Haus- und Guts-Beholzungs-Bedürfnisses der Unterthanen ist vollständig, jedoch nur insofern im Auge zu behalten, als es rechtlich und wirklich besteht. Jeder Bezug der Unterthanen ist aber überhaupt nur mit jenen Modalitäten beachtlich, unter welchen ihnen die einzelnen Genußrechte nach den verschiedenen Forstgebiethen bisher zugestanden haben.“
Es war deshalb in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Rechte konkret in welchem Ausmaß in den jeweiligen Wäldern ausgeübt wurden. Danach wurde bemessen, welche Gegenleistung in Waldeigentum für die Ablösung dieser Rechte zustehe.
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FREIE MEHRHEITSENTSCHEIDUNG DER NACHBARN
Auf dieser Basis wurden mit dem jeweiligen Nachbarschaften Ablöseverhandlungen aufgenommen. Ziel war es, dem k. k. Ärar nach Möglichkeit auch noch ein „angemessenes Waldkapital“ zu erhalten. Die Verhandlungsführer des Kaisers, die Mitglieder der Forstservituten-Ablösungs-Kommission, haben schon 1847 damit argumentiert, dass die jeweiligen Nachbarn, wenn sie Eigentumswälder erhielten, darin eine bessere Waldpflege betreiben könnten. Aufgrund dieser besseren Waldpflege würden sie im Verlauf der Jahre die Erträge steigern und deshalb auf lange Sicht mit den Wäldern im Gemeinschaftseigentum ein besseres Auskommen finden.
Im Blick auf diese Zusage haben die jeweiligen Nachbarschaften teilweise beträchtliche Zugeständnisse bei den Ablöseflächen gemacht. Die Forstservituten-Ablösung 1847 war eine freiwillige Maßnahme. Die kaiserliche Kommission übte keinen Zwang aus. Nicht überall sind deshalb Ablösungsvergleiche zu Stande gekommen. Wenn die jeweilige Nachbarschaft ausgeschlagen hat, blieben die Einforstungsrechte weiter bestehen und der betreffende Wald blieb Eigentum des k. k. Ärars – heute Bundesforste.
Einforstungsberechtigt sind dort heute natürlich nur die Rechtsnachfolger jener Besitzer von Grund und Boden, deren Rechtsvorgänger schon nach der Rechtslage des Jahres 1847 solche Nutzungsrechte besessen haben. Eine solche Situation finden wir beispielsweise in der Ortsgemeinde Gerlos oder in der Gemeinde Alpbach. Weil in Gerlos auch nie irgendwelche Wälder aufgeteilt wurden, steht das gesamte Waldeigentum in dieser Gemeinde heute dem Bund zu, der die Rechtsnachfolge nach dem Landesfürsten für sich in Anspruch nimmt. Richtiger wäre es wohl, Eigentum des Landes Tirol als dem wahren Rechtsnachfolger des Landesfürsten anzunehmen.
Schon im Jänner 1911 hatten die Mutterer sich an die Agrarbehörde gewandt, weil die Mutterer Alm als Agrargemeinschaft reguliert werden sollte. Das Verfahren wurde 1924 abgeschlossen. Im Oktober 1930 wurde die Regulierung des Gemeinschaftswaldes eingeleitet. Nach 20-jähriger Verfahrensdauer setzte das Bezirksgericht Innsbruck im Jahr 1950 den letzten Akt. Alle Instanzen – vom Gemeinderat bis zum Oberlandesgericht, vom Bezirksgericht bis zur Landesregierung – hatten auf Eigentum der Agrargemeinschaft entschieden. Die Ortsgemeinde war nirgends mitbeteiligt, insbesondere nicht an den Walderträgnissen. Heute soll alles anders sein?
Der Name der Nachbarschaft Mutters ist urkundlich erstmals nachgewiesen in einer Besitzbeschreibung des Benediktinerklosters Ebersberg, Diözese Freising in Bayern. Die Entstehung dieser Urkunde wird auf den Anfang des 12. Jahrhunderts datiert. In Mutters besaß das Kloster zwei zehntpflichtige Höfe. Die Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass der Name Mutters vorrömischen Ursprungs ist und sich von „mutra“ (= Bergkuppe) herleitet.
ABT VON WILTEN ALS SCHIEDSRICHTER
Im Pfarrarchiv von Mutters wird eine große Anzahl von Urkunden verwahrt, die ein Bild davon geben, was die Gemüter der Nachbarn bewegte: Weide und Holznutzung. Eine der ältesten Urkunden enthält den durch Egloff von Wiesenbach am 4. Mai 1398 gesiegelten Vergleich der Nachbarn zu Natters, Mutters und Nock mit den Götznern auf der Gegenseite; verhandelt wurde wegen der „Weide und Holzung“ auf „gemeinländern zwischen wazzern“. Die prominenteste Besetzung findet sich bei einem Schiedsgericht, das am 19. Mai 1434 den Streit der Nachbarn von Mutters und Natters wegen des Grünseit-Waldes entschieden hat: Den Vorsitz führte Abt Johannes von Wilten höchstpersönlich. Als Beisitzer fungierten Bürger von Ampass, Innsbruck, Götzens, Axams und aus dem Stubaital. Gesiegelt wurde der Schiedsspruch von Ulrich Saurwein, damals Landrichter zu Sonnenburg.
Über die Jahrhunderte wurden in diversen Rechtsakten die Ausdehnung und die Grenzen der jeweiligen Nachbarschaftsgebiete verfestigt. Mit dem Ende des feudalen Obereigentums der kirchlichen und weltlichen Herren Mitte des 19. Jh. wurde aus dem Nutzungseigentum ein Volleigentum, entweder als Alleineigentum oder als gemeinschaftliches Eigentum der ganzen Nachbarschaft. In Mutters sind gleich zwei Eigentumsgemeinschaften entstanden: Die eine wurde bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1898 als „Nachbarschaft Raitis“ erfasst, die andere als „Gemeinde Mutters ohne Raitis“. Zum Hintergrund muss man wissen, dass in Tirol ein Gesetz zur Teilung und Regulierung von Agrargemeinschaften erst im Jahr 1909 in Kraft getreten ist. Im Jahr 1898, als diese Grundbucheintragungen entstanden sind, hat diese Organisationsform rechtlich in Tirol gar nicht existiert. Wie die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre festgestellt hat, sind die Grundbuchanlegungsbeamten deshalb bei solchen Liegenschaften sehr uneinheitlich vorgegangen. Einmal wurde die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen.
DAS NACHBARSCHAFTSEIGENTUM
Die Mutterer wussten allerdings genau, welche Bewandtnis es um das Gemeinschaftsgut hatte. Als der Eigentümer des „Klampererhofes“ im Sommer 1909 um Anerkennung eines Holzrechtes ersuchte, entschied der Gemeinderat, dass nur die Besitzer der „alten Feuerstätten“ am Gemeinschaftsbesitz beteiligt seien. Der „Klampererhof“ zähle nicht dazu. Über die Verwaltung des Gemeinschaftsbesitzes gibt ein Dokument der Agrarbezirksbehörde vom 11. Oktober 1921 Auskunft: Seit jeher hatten in der Gemeinde Mutters zwei ganz getrennte Kassen und zwei getrennte Verrechnungssysteme bestanden: „Kasse I“ für die Vermögensgebarung und Verrechnung der politischen Gemeinde Mutters und „Kasse II“ für die Vermögensgebarung und Verrechnung der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“, worunter die Gesamtheit der alten Stammsitze von Mutters verstanden wurde, 52 an der Zahl.
Die Errichtung der Agrargemeinschaft Mutters verlief in drei Phasen: Schon am 4. Juni 1910 hatten der Gemeinde-Vorsteher Johann Grubinger und drei weitere Gemeinderäte in Innsbruck beim k. k. Lokal-Kommissär für agrarische Operationen Dr. Pirker Erkundigungen wegen einer Regulierung für die Mutterer Alpe eingezogen; am 27. Jänner 1911 wurde die agrarische Operation förmlich beantragt. Vorausgegangen war dem ein Beschluss des Gemeinde-Ausschusses (= heute Gemeinderat), den die Tiroler Landesregierung zu bestätigen hatte. Die förmliche Verfahrenseröffnung oblag der k. k. Landeskommission für agrarische Operationen, die mit Erkenntnis vom 3. April 1911 in „Starbesetzung“ auf Verfahrenseinleitung entschieden hatte: Den Vorsitz führte Seine Exzellenz Markus Freiherr von Spiegelfeld, Beisitzer waren die drei k. k. Oberlandesgerichtsräte Eudard Lorenzoni, Anton Müller und Dr. Karl Schandl, als Landesausschussbeisitzer fungierte Dr. Paul Freiherr von Sternbach und als Referent k. k. Hofrat Adolf Freiherr von Rungg.
Als erste Maßnahme hatte der k. k. Lokal-Kommissär die Grenzen und die näheren Verhältnisse der Mutterer Alpe zu erheben; dies ist am 3. Juni 1913 geschehen. Eine Grenzstreitigkeit mit der Nachbarschaft Raitis wurde in einer gesonderten Verhandlung am 16. Juli 1913 beigelegt. Mit Bescheid vom 25. Juni 1914 wurden die zur Agrargemeinschaft Mutterer Alpe gehörenden Grundstücke förmlich festgestellt. Festgestellt wurden darüber hinaus jene 52 alten Hofliegenschaften, deren Gutsbestand ein Anteilrecht an dieser Alpe mitumfasste. Bei den Erträgen der Gemeinschaftsalpe erwähnt der Bescheid ausdrücklich den Pachtschilling, der für die Ausübung des Gast- und Schankgewerbes in der Sennhütte bezahlt wird. Offensichtlich war die Mutterer Alpe schon vor einhundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel!
REGIERUNG UND OBERLANDESGERICHT
INNSBRUCK PRÜFEN
Kriegsbedingt kam das Regulierungsverfahren dann zu einem Stillstand. Im Juni 1919 verfolgte das k. k. Lokal-Kommissariat vorübergehend die Idee, das „Operationsgebiet“ zu erweitern: Sämtliche Mutterer Gemeinschaftsliegenschaften sollten in das Regulierungsverfahren einbezogen werden. Weil das Eigentum grundbücherlich der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“ zugeschrieben war, verfasste der Lokal-Kommissär unter dem 27. Juni 1919 einen Vorhabensbericht an den zuständigen Landesrat. In diesem nahm er auch zu den Eigentumsverhältnissen an der Mutterer Alpe Stellung: „Die grundbücherliche Eintragung entspricht, wie im Zuge des Regulierungsverfahrens ermittelt, nicht den tatsächlichen Rechtsverhältnissen. Die Mutterer Alpe ist nicht als Gemeindegut im Sinn der Gemeindeordnung, sondern als Eigentum der Mutterer Alpinteressentschaft anzusehen, welche sich aus den jeweiligen Eigentümern der im Anteilsregister genannten Höfe zusammensetzt. Es ist daher beabsichtigt, die grundbücherliche Eintragung richtig stellen und das Eigentumsrecht am Gemeinschaftsgut für die Agrargemeinschaft Mutterer Alp- und Waldinteressentschaft eintragen zu lassen.“ Auch der Mutterer Gemeinderat wollte das gesamte agrargemeinschaftliche Vermögen in dieser ersten Phase der Regulierung einbeziehen; in der Sitzung vom 11. Mai 1919 wurde in diesem Sinn beschlossen. Gescheitert ist dies an formellen Voraussetzungen. Das Regulierungsverfahren wurde deshalb hinsichtlich der Mutterer Alpe mit „Generalakt“ der Agrarbezirksbehörde vom 5. Februar 1925, berichtigt am 19. Jänner 1926, abgeschlossen. Der Generalakt bestätigt förmlich das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft an der Alpe. Zuvor hatten die Tiroler Landesregierung mit Beschluss vom 24. April 1924 und der Gemeinderat mit Beschluss vom 13. Jänner 1924 das Eigentum der Agrargemeinschaft anerkannt und in die Berichtigung des Grundbuches ausdrücklich eingewilligt. Die Agrarbehörde hat dann die Richtigstellung des Grundbuches durch das Bezirksgericht Innsbruck beantragt, wobei nach damaliger Rechtslage auch noch das Oberlandesgericht Innsbruck als Prüfinstanz einschreiten musste. Dieses hat mit Beschluss vom 16. März 1926 den gesamten Vorgang genehmigt, sodass die Agrargemeinschaft als wahre Eigentümerin der Mutterer Alpe im Grundbuch eingetragen wurde.
DAS „ZWEI-KASSEN-SYSTEM“
Wie im Gemeinderatsbeschluss vom 11. Mai 1919 nachzulesen, existierte erhebliches weiteres Vermögen, das den 52 Mutterer Hofbesitzern zugeordnet und über die „Kasse II“ der Ortsgemeinde verwaltet wurde: 1.) der Urschelerhof, Haus Nr. 63, KG Mutters, 2.) die Waldung vom Sillbach bis zum Kahlgestein, 3.) die Brettersäge im Mühlgraben, 4.) zwei Schottergruben, 5.) das Stiermahd und 6.) diverse im Ortsried gelegene Parzellen. Das Protokoll der Agrarbezirksbehörde Innsbruck vom 11. Oktober 1921, gibt zu den näheren Verhältnissen dieser Liegenschaften folgende Auskunft: „1. Urscheler Hof: Dieser wurde von der Gemeinde Mutters ohne Raitis im Jahr 1909 gekauft und das erforderliche Geld hierzu bei der Raiffeisenkasse aufgeliehen. Das Haus samt Garten wurde vermietet und die Grundstücke wurden parzelliert und immer für ein Jahr deren Ernte verpachtet; zur Pachtung waren nur die Besitzer der 52 Höfe zugelassen. Die Pachtgelder wurden zur Verzinsung und Amortisierung des Ankaufskapitals verwendet und nach Rückzahlung desselben im Jahr 1917 in Kasse II verrechnet.“ Behandelt werden im genannten Protokoll ex 1921 weiters die Verhältnisse an der Waldung von der Sill bis zum Kahlgestein, die von jeher in der Benützung der 52 Höfe stand, deren Besitzer das Holz auch verkaufen durften; an der Brettersäge im Mühlgraben, die in den 1880er Jahren von den 52 Besitzern gebaut und deren Überschüsse in die „Kasse II“ verrechnet wurden, sowie an den Schottergruben, dem Stiermahd, den Pfrimesmähdern sowie den Grundstücken im Ortsried. Diese Liegenschaften wurden sämtlich als Eigentum der 52 Stammsitzeigentümer angesehen.
Nachdem schon die Regulierung der Almliegenschaft gut 15 Jahre in Anspruch genommen hatte, wollten der Gemeinderat und die Stammliegenschaftsbesitzer das weitere Agrarverfahren beschleunigen: Am 20. November 1925 beschloss der Gemeinderat von Mutters, die der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“ grundbücherlich zugeschriebenen Liegenschaften den rechtmäßigen Besitzern in das Eigentum zu übergeben. Dieser Beschluss des Gemeinderates von Mutters wurde unter Ausschluss der dem Gemeinderat angehörenden sechs Mitglieder der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe sowie unter Beiziehung von unparteiischen Ersatzmännern einstimmig gefasst. Am 13. Mai 1926 beschloss der Gemeinderat von Mutters, dass der Wunsch der Gemeinde bestehe, die Liegenschaften, die im Grundbuch als Eigentum der „Fraktion Mutters“ aufscheinen, einer Regulierung zu unterziehen und der Mutterer Interessentschaft zu übertragen. Wenn einzelne der Gemeinschaftsgüter nicht in das Agrarverfahren einbezogen werden könnten, so werde der Gemeinderat versuchen, für eine direkte Übertragung die Genehmigung der Aufsichtsbehörde zu erwirken. Am 4. Mai 1929 beschloss der Gemeinderat eine größere Anzahl dieser Liegenschaften aus dem Grundbuch der Gemeinde auszuscheiden und in die Agrargemeinschaft der Mutterer Alpe einzuverleiben; am 16. Juli 1930 wurde dieser Beschluss in detaillierterer Ausführung wiederholt.
52 ALTE „FEUERSTÄTTEN“
Unter dem 2. Juli 1930 errichtete die Ortsgemeinde Mutters gemeinsam mit der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe eine Aufsandungsurkunde, nach deren Inhalt die politische Gemeinde Mutters das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe an diversen Liegenschaften anerkannte.
Zum Rechtsgrund dieser Eigentumsanerkennung führt der errichtete Vertrag Folgendes aus: „Da diese Liegenschaften nie im Besitze und Genuss der Gemeinde Mutters standen, sondern vielmehr von den in der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe zusammengefassten Haus-, Hof- und Viehbesitzern von Mutters ausschließlich allein benützt und verwaltet wurden, überlässt und übergibt die Gemeinde Mutters, um das Eigentumsrecht mit dem faktischen Besitz in Einklang zu bringen, diese Liegenschaften der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe und letztere übernimmt dieselben in ihr volles und wahres Eigentum.“ Unter dem 2. Juni 1931 wurde ein Nachtrag verfasst.
Alle diese Rechtsakte sind vom Standpunkt der Aufsicht über das Gemeindevermögen durch die Tiroler Landesregierung genehmigt worden. In einem Amtsvermerk vom 4. September 1930 wurde dazu Folgendes festgehalten: „Gegen die formelle Abtretung der nie im Eigentum der Gemeinde gestandenen Realitäten bestehen keinerlei Bedenken.“ Am 20. Juli 1931 wurde die Berichtigung der Eigentumsverhältnisse im Grundbuch durchgeführt, nachdem die Aufsandungsvereinbarung noch vom Landesagrarsenat genehmigt worden war und die Agrarbezirksbehörde am 9. Juli 1931 dies bestätigt hatte.
Für die Regulierung des Gemeinschaftswaldes „von der Sill bis zum Kahlgebirge“ hatte die Agrarbehörde ein eigenes Verfahren durchgeführt, welches mit Erkenntnis des Landesagrarsenates vom 24. Oktober 1930 eingeleitet wurde. Der Senat unter dem Vorsitz von Landesrat Andreas Gebhart gelangte in Anwesenheit der weiteren Mitglieder Vz.Präs. des Oberlandesgerichts Dr. Blaas, des Richters des Oberlandesgerichts HR Dr. Zingerle, des Leiters der Rechtsabteilung für Bodenreform HR Dr. An der Lan, des Regierungsforstdirektors HR Ing. Johann Christian und des Landeskulturrats-Vz.Präs. Josef Steiger, zu der Erkenntnis, dass dieser Wald eine Gemeinschaftsliegenschaft ist, über welche ausschließlich die Agrarbehörde zu entscheiden hat. Nach weiterer, rund 15-jähriger Verfahrensdauer wurde mit Regulierungsplan vom 10. Oktober 1945 die Entscheidung gefällt, dass auch der Wald „zwischen der Sill und dem Kahlgebirge“ im wahren Eigentum der Agrargemeinschaft steht. Unter einem wurde die Agrargemeinschaft umbenannt: Seit diesem Tag lautet ihr Name „Agrargemeinschaft Mutters“. Den letzten Rechtsakt setzte das Bezirksgericht Innsbruck: Im April 1950 wurden auch bei den Waldliegenschaften die Eigentumsverhältnisse richtig gestellt. Nach rund 40-jähriger (!) Verfahrensdauer insgesamt und Involvierung jeder denkbaren Behörde vom Mutterer Gemeinderat bis zum Oberlandesgericht Innsbruck waren die Rechtsverhältnisse am Mutterer Gemeinschaftsbesitz geordnet.
Der Gemeinschaftsbesitz der 52 Mutterer Stammsitze umfasst knapp 425 ha Grundfläche, davon sind ca. 220 ha Wirtschaftswald, 83 ha Schutzwald im Ertrag, 50 ha Schutzwald außer Ertrag und 70 ha Almfläche. Die Agrargemeinschaft hat 36 km Wald- und Wirtschaftswege errichtet, die laufend instand gehalten werden. Im Durchschnitt entfällt somit auf jede der alten 52 Hofstätten ein Gemeinschaftsgebiet von rund 8,2 ha, wovon rund die Hälfte Schutzwald- oder Almflächen sind. Die Bauern von Mutters haben keinen nennenswerten Wald in ihrem Alleineigentum.
Bereits 1951 hatte die Glaserbäuerin Maria Feichtner beim Obersten Agrarsenat in Wien die Entscheidung erwirkt, dass der Nachbarschaftswald in Tulfes kein Gemeindegut sei. Der Oberste Agrarsenat hatte erkannt, dass die Ortsgemeinde zu Unrecht im Grundbuch eingetragen war. 1849 haben die Tulfer Nachbarn eine Servitutenablösung vereinbart: Der eine Teil des Hochwaldes wurde Nachbarschaftseigentum, der andere Teil nutzungsfreier Staatswald. So sind der Bundesforstwald und der Agrargemeinschaftswald in Tulfes entstanden. Heute soll auch der Agrargemeinschaftswald wieder Staatseigentum sein, über das die Ortsgemeinde verfügt.
Der Name der Nachbarschaft Tulfes ist erstmals nachgewiesen in einer Urkunde der Benediktiner-Abtei St. Georgenberg aus dem Jahr 1266. Die Vogtei über die Nachbarschaft wurde der Abtei
übertragen. Die älteste Urkunde der Nachbarschaft selbst verwahrt das Tiroler Landesarchiv. Am 29. Mai 1550 wurde ein Vergleich über den Tulfer Wald errichtet. Parteien waren die „Ehrsame Nachtperschafft zu Tulfs Vorperg“ und das „firstliche Pfannhaus Ambt zu Hall im Ynntal“, der staatliche Salinebetrieb. Anlass waren Beschwerden der „Pfannhaus Ambtsherren“, weil die „gemain Nachtperschafft zu Tulfs“ sich unterstehen würde, „je länger je mehr hinauf in den Ambtswald zu greifen und dort das Holz niederzuschlagen“. Die Urkunde dokumentiert die Grenzfestlegung und deren Vermarkung: Unterhalb der vermarkten Grenze ist „Nachtperschaft zu Tulfs Vorperg und gemainer Wald“; oberhalb derselben „Amtswald“ im Eigentum des Landesfürsten. Gleichzeitig wurden die Rechte der „Nachtpern zu Tulfs und ihrer Nachkommen“ auf Holzbezug aus dem Amtswald reguliert: Den Nachbarn sollte „Kachlofen, Schintl und Pfreten Holz, auch Saag und Zimerholz zu irer gebirenden Haußnottdurft“ nach altem Herkommen durch den „Ambtswaldmaister vergunnt und bewilligt“ werden. Schließlich wurde von der Saline zugestanden, dass ausschließlich die Tulfer Nachbarn das Holz im Tulfer Amtswald für den Salinebetrieb „hacken, verkohlen und liefern“ dürfen; dies gegen „gebirliche Besoldung“.
WALDTEILUNG IN TULFES
Im Jahr 1638 wurde der „gemaine Wald“ um das Dorf aufgeteilt. So sind ca. 500 Waldteile in der Größe von jeweils weniger als 1,1 ha entstanden. Im Jahr 1848 wurden diese Waldparzellen als Privateigentum anerkannt. Die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Hall dokumentiert, dass diese Waldung laut Steuerkataster „frei luteigen“ sei. Die Grundbuchanlegung fasste im Jahr 1904 alle Waldteile in einer Einlagezahl zusammen und schrieb das Eigentumsrecht einer Nachbarschaft zu. Mit „Teilwälder-Übertragungsurkunde“ vom Februar 1935 wurden diese Waldparzellen den jeweiligen Besitzern der Waldteile in das Eigentum übertragen. Die Urkunde erklärt, dass diese Nachbarschaft in Wahrheit eine „Agrargemeinschaft (Realgemeinde)“ sei, die nun aufgeteilt würde. Das Eigentum der einzelnen Tulfer Nachbarn an diesen Waldteilen ist auch heute unbestritten.
Mit Gesetz vom 6. Februar 1847, dem Tiroler Forstregulierungspatent, hat Kaiser Ferdinand I. die Ablösung der Holznutzungsrechte in den Tiroler Staatswäldern angeordnet. Den Stammliegenschaftsbesitzern sollte zur Ablösung ihrer Rechte ein Gemeinschaftseigentum an einem Teil des belasteten Staatswaldes angeboten werden. Die Tulfer haben das kaiserliche Angebot angenommen: Mit Servitutenablösungsvergleich vom 14. März 1849 wurden ihre Rechte im Tulfer Amtswald abgelöst. Moritz von Kempelen, k. k. Berg- und Salinen-Direktions-Sekretär berichtete am 6. Juni 1849 Folgendes an das Ministerium für Landeskultur und Bergwesen in Wien: Gemäß einer Urkunde vom Jahre 1550 ist den Tulfern das Recht zugesichert, aus dem Amtswald das „Bach-, Kachl-, Ofen-, Schintl-, Spalten-, Sag- und Zimmer-Holz zu ihren gebührenden Hausnotdürften“ zu beziehen. Diese Holzbezugsrechte seien im Steuerkataster eingetragen und würden als veräußerlich betrachtet. Es handle sich um 77 ½ Holzteile à zwei Klafter jährlich, wobei zusätzlich das nötige Bau-, Brunnröhren- und Stangenholz bezogen würde. Zur Ablöse dieser Rechte seien 591 Jauch produktiven Bodens aus dem Amtswald als Eigentum der Nachbarn vorgesehen. Zur Abdeckung der Salinebedürfnisse würden als nutzungsfreier Staatswald 370 Jauch produktiver Waldboden verbleiben. Die Tulfer würden dort auf alle Rechte verzichten. Der Landeskulturminister Ferdinand Ritter von Thinnfeld hat den Vergleich am 25. Jänner 1850 genehmigt.
FORSTSERVITUTENABLÖSUNG IN TULFES
Die Nachbarn von Tulfes hatten somit auf ihre Holzbezugsrechte auf Staatsgrund verzichtet; im Gegenzug hatten sie einen Teil des ursprünglich belasteten Grundes als Gemeinschaftseigentum erhalten. Von 961 Jauch staatlichen Waldbodens insgesamt entfielen 591 Jauch auf die Nachbarn von Tulfes, heute Gp 1857/1 Grundbuch Tulfes im Ausmaß von 255 ha; 370 Jauch hat die Servitutenablösungskommission für den Staat zurückbehalten, heute Gp 1858/1 im Ausmaß von 134 ha. Die Kommission hatte auf eine Teilung des seinerzeitigen Tulfer Amtswaldes in einen östlichen und einen westlichen Teil entschieden, wobei für den Staat der kleinere, westliche Teil Richtung KG Rinn vorbehalten wurde. Jenseits der Gemeindegrenze begegnet uns die Vorbehaltsfläche aus dem Servitutenablösungsvergleich mit den Rinner Nachbarn. Die heutigen Bundesforste als Verwalter der ehemals „aerarischen Wälder“ verfügen deshalb im Grenzbereich zwischen den Katastralgemeinden Tulfes und Rinn über ein geschlossenes Gebiet von heute insgesamt ca. 220 ha Waldfläche.
Im Oktober 1904 hatten die Grundbuchanlegungsbeamten die Rechtsverhältnisse zu beurteilen. Nach den Erhebungen sei der Hochwald in Gp 1857/1 in der Nutzung unter den Hofbesitzern der ganzen Gemeinde Tulfes so verteilt, dass das jährlich schlagbare Holz in 76 ½ Anteile (Lose) geteilt und verlost wird. Das Schnee- und Winddruckholz wird von der Gemeinde verkauft, der Erlös fließt nicht in die Gemeindekasse, sondern in eine abgesondert verwaltete Kasse, aus welcher die auf den Wald entfallenden Steuern, die Auslagen für Waldhüter, Weginstandhaltungen etc. bestritten werden. Im Steuerkataster vom Jahr 1787 findet sich bei den berechtigten Häusern bzw. Höfen folgende Bemerkung: „Derzeit wird ein ganzer (eventuell halber) Holzteil genossen. Das von den Berechtigten nicht zum Haus- und Gutsbedarf benötigte Holz kann ohne weiteres verkauft werden.“ Die Grundbuchsanlegung entschied: Die Gemeinde Tulfes sei Eigentümerin; die gesamte Holznutzung entfalle auf die Nachbarn als Servitutsberechtigte nach genau definierten Anteilen.
DIE GLASERBÄUERIN LEGTE BESCHWERDE EIN
In den 1940er Jahren entstanden Differenzen zwischen den Servitutsberechtigten und der Ortsgemeinde Tulfes. Die Ortsgemeinde hat Holzschlägerungen im „Gemeindewald“ vorgenommen, was Maria Feichtner vlg. Glaser und Genossen nicht dulden wollten. Über deren Beschwerde entschied die Agrarbehörde mit Bescheid vom 30. Dezember 1949, dass der Gemeinde Tulfes das Holzbezugsrecht auf Gp 1857/1 nur in dem Umfang zustehe, wie es ihr als Eigentümerin des Hauses Steinbriggen zukomme. Der gesamte Holznutzen sei in Form von Servitutsrechten auf 72 berechtigte Höfe aufgeteilt. Die Gemeinde sei Eigentümerin eines berechtigten Hofes. Dagegen erhob die Gemeinde Berufung an den Landesagrarsenat, der mit Erkenntnis vom 13. November 1950 entschied, dass ein Gemeindegut vorliege. Zur Regelung der Rechtsverhältnisse daran und um künftige Streitigkeiten ein für allemal auszuschließen, wurde das Regulierungsverfahren nach Flurverfassungsrecht eingeleitet und der Agrarbehörde aufgetragen, dieses durchzuführen.
Gegen das Erkenntnis des Landesagrarsenates erhoben die Glaserbäurin in Tulfes und Genossen Berufung an den Obersten Agrarsenat in Wien. Die Glaserbäurin wollte eine Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaft Gp 1857/1 als „Gemeindegut“ nicht akzeptieren. Mit Erkenntnis vom 2. Juni 1951 entschied der Oberste Agrarsenat wie folgt: Es sei weder von Servitutsrechten noch von Gemeindegut auszugehen. Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens stehe den jeweiligen Besitzern der Tulfer Höfe „weit mehr als ein bloßes Recht auf Holzbezug“ zu, nämlich „ein Anteilrecht an dem agrargemeinschaftlichen Gut“. Der Oberste Agrarsenat weiter: „Die irrige Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin des Gutes ist nur darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Grundbuchanlegung die alte Agrargemeinde mit der politischen Gemeinde irrtümlicherweise gleichgesetzt wurde.“
Auf dieser Grundlage wurde in der Folge das Regulierungsverfahren an der Liegenschaft Gp 1857/1 durchgeführt. Mit Bescheid vom 20. März 1954 entschied das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz, dass der Ortsgemeinde Tulfes ein Anteilsrecht von 10 % bzw. von 8 ½ Anteilsrechten zustehe; den 70 Nutzungsberechtigten wurden jeweils Anteilsrechte zwischen ½ und 2 ½ Anteilen zuerkannt. Mit Bescheid vom 23. Juni 1955 entschied das Amt der Tiroler Landesregierung über die Eigentumsverhältnisse an der Gp 1857/1: Das Eigentumsrecht stehe der Agrargemeinschaft Tulfes zu, die sich aus den Anteilsberechtigten zusammensetze. Die Dienstbarkeiten des Holzbezuges seien zu löschen, weil an deren Stelle das Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft trete. Die Nutzungen aus dem Eigentum und alle damit verbundenen Lasten seien nach den Anteilrechten zu tragen.
2013: GEMEINDEGUT WIRD GEFUNDEN
63 Jahre, nachdem der Oberste Agrarsenat ausgesprochen hatte, dass kein Gemeindegut vorliege, sondern Anteilsrechte an einem Gemeinschaftsgut, erkannte der Landesagrarsenat in Tirol mit Erkenntnis vom 19. Juni 2013, dass heute ein „atypisches Gemeindegut“ vorliege. Der Ortsgemeinde Tulfes sollen deshalb 100 % der Substanz und zusätzlich der Großteil der Holznutzung zustehen. Die übrigen Mitglieder der Agrargemeinschaft werden auf einen historischen Hof- und Gutsbedarf gekürzt. Eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos.
Wie der Lärchwald in Obsteig zum Gemeindegut der Mötzer wurde
Die heutige Ortsgemeinde Mötz ist aus zwei Gemeindeteilungen hervorgegangen: Einmal im Jahr 1833, als die Gemeinde Miemingerberg in die Gemeinden Obsteig, Untermieming und Wildermieming aufgeteilt wurde, sowie einmal im Jahr 1959, als die Gemeinde Mieming in diese und die neue Ortsgemeinde Mötz geteilt worden ist. Im Jahr 1833 wurde das zu teilende Gemeindevermögen genauestens erhoben. Rechte an Wald und Weide befanden sich nicht darunter. Das Vermögen der aufgeteilten Großgemeinde erschöpfte sich vielmehr in einem Armenfonds und einer Feuerlöschspritze.
Im Gemeindearchiv von Mötz finden sich zahlreiche Urkunden, die belegen, wie sich der Besitz der Nachbarschaft im Verlauf der Jahrhunderte gebildet und abgegrenzt hat – etwa in der „freundtlichen Vergleichung“ vom 29. Jänner 1632 zwischen der „Ehrsamen Gemain des Metzerviertls“ und den „Nachperleithen im Viertel Obgestaig“ oder im „Giettingen Vergleich“, der am 23. Oktober 1673 zwischen der „Gemain Möz und Obstaig firgangen“ ist, mit dem sich die Mötzer das Weiderecht und den Holzgenuss im „Larchwald“, auch „Rieglwald“ genannt, sicherten. Im Frühjahr 1797 hatten die beiden Nachbarschaften mit einer Rinderseuche zu kämpfen und der möglichen Ansteckungsgefahr, wenn das Galtvieh aus den verschiedenen Dörfern gemeinsam am Simmering gealpt würde. Am 30. Mai 1797 trafen die zwei „Gemeinden“ die Übereinkunft, dass die Tiere der Mötzer für einen Sommer der Simmering Alpe fern bleiben sollten.
1833: TEILUNG AM MIEMINGERBERG
In politischer Hinsicht bildeten alle Nachbarschaften des Mieminger Plateaus – einschließlich Mötz – über Jahrhunderte eine Einheit: Schon das landesfürstliche Steuer-Urbar aus dem Jahr 1406 nennt ein „ampt auf mieminger perg“, dem die Ortschaften „Metz, Miemingen, See, Wilraimingen, auf dem Gestayg pis an den Reßbach“ unterstellt waren. Anfang des 19. Jh. begegnet uns eine „Gemeinde am Miemingerberg“, die in 28 Ortschaften und Weiler gegliedert war. 1833 wurde die Großgemeinde entsprechend den drei Seelsorgestationen Untermieming, Wildermieming und Obsteig aufgeteilt. Jede der drei neuen Gemeinden sollte mit einem Vorsteher, zwei Ausschüssen (= heute Gemeinderäte) und den nötigen „Steuertreibern“ versehen werden. Der Bericht befasst sich detailliert mit den Kosten der bisherigen politischen Verwaltung, den künftigen Kosten, dem gemeinschaftlichen Vermögen sowie den gemeinsamen Schulden. Das Vermögen der Gemeinde Miemingerberg beschränkte sich auf einen Armenfonds und eine Feuerspritze. Der Armenfonds wurde geteilt. Die „Feuerlöschspritze“ sollte weiterhin „im Mittelpunkt des gesamten Kirchspiels aufgestellt“ und ein „Gemeingut der drei Comunen“ bleiben. Mit Dekret der Hofkanzlei in Wien vom 1. Februar 1833 wurde dieser Teilungsplan genehmigt und umgesetzt.
Von den Gemeinschaftsweiden und Gemeinschaftswäldern in der Gemeinde Miemingerberg ist weder im Bericht des Landgerichts Silz vom 6. Dezember 1831 etwas nachzulesen, noch im Bericht des Kreisamtes im Oberinntal 28. Dezember 1832 oder im Dekret der Hofkanzlei in Wien vom 1. Februar 1833. Wären Wald und Weide Vermögen von politischen Einrichtungen gewesen, hätte gerade im Blick auf den „Larch- bzw. Rieglwald“ der Mötzer aller Anlass für eine genaue Regelung bestanden: Im Jahr 1673 hatten sich die Mötzer das alleinige Recht dort gesichert. Mit Waldteilungsprotokoll vom 8. September 1818 war dieser Wald in 180 Parzellen unterteilt und zwischen den Mötzer Hof- und Gutsbesitzern aufgeteilt worden. Durch die neue Gemeindeteilung kam dieser Wald auf Gemeindegebiet von Obsteig zu liegen. Die Mötzer selbst wurden Teil der politischen Gemeinde Untermiemingen.
OBEREIGENTUM DES LANDESFÜRSTEN …
Spätestens seit dem 14. Jh. nahm der Tiroler Landesfürst das Obereigentum an den Wäldern und Almen für sich in Anspruch. Eigentum an Grund und Boden konnte nur der behaupten, der eine landesfürstliche Verleihungsurkunde besaß oder einen noch älteren Rechtstitel, wie beispielsweise das Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten, das sein Eigentum auf eine Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1140 stützt. Alle anderen waren nur als Nutzungsberechtigte anerkannt. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde die Regierung zu einer Rechtsbereinigung gezwungen. Durch das Tiroler Forstregulierungspatent vom 6. Februar 1947 ordnete der Kaiser für den Nordtiroler Raum eine generelle Servitutenablösung an: Die Nutzungsrechte wurden gegen Übereignung von Ablöseflächen aufgehoben. Zusätzlich wurde für spezielle Fälle die Anerkennung von ersessenem Privateigentum an Wäldern und Almen angeordnet. Voraussetzung war unter anderem, dass ein Wald unter den Hof- und Gutsbesitzern aufgeteilt war.
… WIRD ZUM PRIVATEIGENTUM
Die Mötzer Nachbarn nahmen für sich erfolgreich ersessenes Privateigentum in Anspruch: Gemäß Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Silz, ausgefertigt von der k. k. Berg- und Salinendirektion Hall am 14. Juli 1848, wurde insbesondere auch der Larch- oder Rieglwald in Obsteig als Privateigentum anerkannt. Am 12. September 1848 wurde die Eintragung dieser Urkunde im Verfachbuch vom k. k. Landgericht Silz angeordnet und durchgeführt. Das „Verfachbuch“ erfüllte in Tirol über Jahrhunderte die Funktion des heutigen Grundbuches. Eine Ausführungsverordnung zum Forstregulierungspatent vom 17. Juni 1847 erklärt, dass das „purifizierte“ Privateigentum von allen künftigen staatlichen Ansprüchen „enthoben und gesichert“ ist, sodass „in diesem besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Staat ein Ziel gesetzt und für die Zukunft begegnet werden soll“. Künftige staatliche Ansprüche auf das Eigentum oder die Substanz dieser Liegenschaften waren danach ausgeschlossen.
EIN DORFMEISTER WIRD FRAKTIONSVORSTEHER
Am 19. April 1909 beauftragten die Mötzer ihren Dorfmeister Alois Kluibenschödl, Bauer in Mötz, beim k. k. Grundbuchkommissär die Eintragungen ihrer in Obsteig gelegenen Lärchwald-Grundstücke in das öffentliche Grundbuch zu veranlassen. Die Entscheidung des Grundbuchkommissärs über das Eigentumsrecht war heikel: In Vertretung der „Gesamtgemeinde Mieming“ war auch der Gemeindevorsteher (= heute Bürgermeister) Johann Sonnweber erschienen und er verlangte, den Lärchwald als Eigentum der Gesamtgemeinde Mieming zu erfassen. Der Dorfmeister Kluibenschödl war offensichtlich vorbereitet: Der Lärchwald sei Alleineigentum der Gemeinschaft Mötz, was sich aus den Waldprotokollen von 1733 und 1735 ergebe (im Protokoll „Gemeinde Mötz“ genannt). Und dieser Wald sei unter den Ortsbewohnern durch das Waldteilungsprotokoll vom 8. September 1818 aufgeteilt. Dies alles ohne Zutun der Gemeinde Mieming in selbständiger Verwaltung. Am 28. April 1909 entschied der Grundbuchkommissär, dass der Lärchwald im letzten faktischen Besitz der „Fraction Mötz“ stehe und als Eigentum derselben eingetragen werde. Zusätzlich wurde auf Grund des Waldteilungsprotokolles vom 8. September 1818 zu Gunsten der Mötzer Stammsitzliegenschaften an jeder der 180 Grundparzellen die Dienstbarkeit des ausschließlichen und unbeschränkten Holz- und Streubezuges im Grundbuch eingetragen. Der Dorfmeister Alois Kluibenschödl, im Grundbuchanlegungsprotokoll zum „Fractions-Vorsteher“ erhoben, war mit dieser Entscheidung zufrieden. Auch der Gemeinschaftswald der Mötzer in der Katastralgemeinde Mieming wurde nach diesem System erfasst. Dieser Wald war bereits im Jahr 1735 in ca. 380 Waldteile unterteilt und unter den Mötzern aufgeteilt worden. Somit haben die Grundbuchanlegungsbeamten den Grundstein dafür gelegt, dass die Mötzer ihre in den Jahren 1735 und 1818 aufgeteilten Wälder als „Fraktion“ verwalteten.
DIE REGULIERUNG DER AGRARGEMEINSCHAFT
Im Jahr 1950 hat die Agrarbehörde das auf „Fraction Mötz“ im Grundbuch Mieming einverleibte Liegenschaftsvermögen im Zuge einer „agrarischen Operation“ überprüft. Einbezogen wurden die Grundstücke, die als Weide und zur Heugewinnung genutzt wurden und die aufgeteilten Waldgrundstücke. Als „Gemeindevermögen“ ausgeschieden wurden unter anderem das alte Schulgebäude in Mötz und das Mötzer „Spritzenhaus“. Die Agrarbehörde stellte fest, dass diese Grundstücke „seit jeher“ nur von den Eigentümern bestimmter Häuser in Mötz genutzt wurden, weshalb das Eigentum dieser Gesamtheit der Nutzungsberechtigten, bezeichnet als „Agrargemeinschaft Mötz“, zuzusprechen sei. In weiterer Folge hat die Agrarbehörde detailliert erhoben, welche „Teilwälder“ welchen Stammsitzen zuzuordnen sind. Die Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft wurden entsprechend der Größe der eingebrachten Teilwaldflächen festgestellt; ebenso die Tragung der mit dem Besitz verbundenen Lasten.
DIE BILDUNG DER ORTSGEMEINDE MÖTZ
Aufgrund des Landesgesetzes vom 15. Jänner 1959 wurde die politische Ortsgemeinde Mieming geteilt in diese und die neue Ortsgemeinde Mötz. Gemäß § 3 des Gesetzes erfolgte die Vermögensauseinandersetzung entsprechend dem Beschluss des Gemeinderates von Mieming vom 14. und 15. Oktober 1958. Mit Bescheid vom 27. März 1969 hat die Tiroler Landesregierung der neuerrichteten Ortsgemeinde Mötz jene Liegenschaften übertragen, die ihr aufgrund der Teilungsvereinbarungen zustanden. Mit Bescheid vom 2. Juni 2010 hat die Agrarbehörde entschieden, dass die Ortsgemeinde Mötz zusätzlich „Substanzrecht“ am Mötzer Lärchwald in Obsteig besitze. Der Landesagrarsenat hat diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 2. Dezember 2010 bestätigt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die von der Agrargemeinschaft Mötz erhobene Beschwerde steht noch aus.
Bereits im Jahr 1897 hatte der „Tiroler Landesausschuss“, das ist die heutige Landesregierung, in einem aufwändigen Verfahren geprüft, ob der „Öster Fraktionswald“ ein Privatgut oder ein öffentliches Eigentum sei. Diverse bürokratische Vorgänge waren notwendig, um die Erkenntnis zu gewinnen, dass ein gemeinschaftliches Privatvermögen vorliege, über das ohne Einwilligung des Landesausschusses verfügt werden könne. Trotzdem hat der Verwaltungsgerichtshof in Wien 114 Jahre später entschieden, dass die Ortsgemeinde Umhausen „Substanzrecht“ am Gemeinschaftseigentum der Öster besitze, weil im Zuge der Regulierung im Jahr 1959 die Agrarbehörde ein Fraktionsgut festgestellt hätte. Eine solche Feststellung begründe zwingend das „Substanzrecht“ der Ortsgemeinde, ohne dass geprüft werden müsse, ob die Ortsgemeinde jemals Eigentümerin war.
Die Geschichte des Gemeinschaftsgutes der Öster ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Nachbarschaft selbst. Urkundlich erstmals nachgewiesen in den Klosterdokumenten Augsburg-St. Gertrud aus dem Jahr 1071 als „Öste“, findet sich im Steuer-Urbar Meinhard II. aus dem Jahr 1288 die Schreibweise „Aeusten“. Die Sprachforscher leiten den Nachbarschaftsnamen aus dem Althochdeutschen her: „bi den ewistun“ bedeutet so viel wie „bei den Schafställen“. Das Gemeindearchiv von Umhausen dokumentiert diverse Rechtsakte zum Öster Gemeinschaftsgut. So wurde im Jahr 1758 mit landesfürstlicher Bewilligung das „Bockauele“ gerodet, in Weide umgewandelt und um 200 Gulden an die Nachbarn von Hopfgarten verkauft. Mit dem Geld haben sich die Öster eine Feuerspritze angeschafft. Eine Geschichte um 200 Zirbenstämme aus dem Öster Wald ist in den Akten des Tiroler Landesausschusses aus dem Jahr 1897 belegt.
660 GULDEN WAREN ZU VERTEILEN
Am 19. April 1897 trafen sich im Schulhaus zu Umhausen beim Gemeindevorsteher Josef Leiter 13 Ausschussmitglieder der Gemeinde Umhausen, um die Verwendung von 660 Gulden zu beraten, die durch den Verkauf von 200 Zirbenstämmen aus der Öster „Fraktions-Waldung“ erlöst worden waren. Beschlossen wurde, diesen Betrag an die 41 „Feuerstattbesitzer“ in Östen zu verteilen, weil die dortige Fraktions-Waldung ausschließlich den Feuerstattbesitzern gehöre. Laut Inhalt des Waldaufteilungs-Protokolls von 1745 hätte niemand anderer Anspruch auf die Fraktions-Waldung. In diesem Sinne richtete die Gemeinde Umhausen am 26. April 1897 ein Schreiben an den Tiroler Landesausschuss, mit der Bitte, der „hohe Landesausschuss“ wolle dem Gemeindebeschluss die Genehmigung erteilen. Der Wald sei gemäß Waldaufteilungsprotokoll von 1745 Eigentum der 41 Feuerstattbesitzer. Nur diese hätten seit dem Jahre 1880, als die Versteuerung des Waldes begonnen habe, die Grundsteuer entrichtet.
Dem Tiroler Landesausschuss schienen diese Informationen unzureichend. Mit Schreiben vom 29. April 1897 wurde die Gemeindevorstehung beauftragt, mitzuteilen, ob die Fraktion Östen eigenes Vermögen besitze und eine separate Verwaltung habe sowie ob für Fraktionsauslagen eigene Fraktionsumlagen eingehoben würden. Weiters sollte die Gemeindevorstehung bekanntgeben, „ob die 41 Hausbesitzer allein die Fraktionisten von Östen sind oder ob zu dieser Fraktion auch noch andere Besitzer gehören“. Diesem Auftrag kam der Gemeindevorsteher von Umhausen am 8. Mai 1897 nach. Er berichtete, dass die Fraktion Östen eigenes Vermögen besitze und eine separate Verwaltung habe. In den Jahren 1896 und 1897 seien eigene Fraktionsumlagen eingehoben worden, deren Höhe detailliert angegeben wurde. Schließlich teilte er mit, dass die „41 Haus- und Feuerstattbesitzer“ nicht die alleinigen „Fraktionisten von Östen“ wären, sondern dass „zu dieser Fraktion auch noch andere Grundbesitzer (ohne Haus) gehören, welche teilweise in Östen sesshaft“ wären, „zum größeren Theile (nämlich bei hundert an der Zahl) aber in den Fraktionen Umhausen und Tumpen ihren Wohnsitz“ hätten. Auf dieser Grundlage empfahl der Referent des Landesausschusses am 14. Mai 1897 in wenigen Zeilen, „gegen die Verteilung des Holzerlöses unter diese Feuerstattbesitzer nichts einzuwenden“.
In der am 15. Mai 1897 stattfindenden Sitzung des Tiroler Landesausschusses wurde jedoch ein vom Referentenvorschlag abweichender Beschluss gefasst: Das „Purifications-Protocoll“ von 1848 sollte beigeschafft und der in Rede stehende Walde genau bezeichnet werden. Sogleich wurde die Gemeindevorstehung von Umhausen erneut angeschrieben und „beauftragt“, diese Urkunde vorzulegen. Rund zwei Wochen später (26./27. Mai 1897) wurde im Landhaus ein Protokoll mit dem „namens der Gemeindevorstehung Umhausen“ erschienenen Johann Christian Frischmann aufgenommen. Er legte das Original eines Waldaufteilungsprotokolls vom
8. Juni 1745 sowie die Grundbesitzbogen vor und die Mappe zu dem Wald, aus welchem die 200 Zirbenstämme geschlagen wurden. Mit Schreiben vom 31. Mai 1897 teilte Frischmann dann ergänzend mit, dass sich das „Purifications-Protocoll von 1848“ wegen eines Streites bezüglich der Jagd im Hochgebirge schon seit 1887 beim Advokaten Dr. Kathrein in Hall befinde. Ersatzweise legte er aber einen Vergleich aus dem Jahr 1862 vor, dem entnommen werden könne, dass alle Waldungen in der Fraktion Östen einzig und allein den Feuerstätten gehören würden. Der Landesausschuss blieb hartnäckig. Nun wurde mit 8. Juni 1897 „die löbl. Advokaturskanzlei Dr. Theodor Kathrein in Hall“ ersucht, das „Waldpurifikationsprotokoll vom Jahre 1848 zur Einsichtnahme gefälligst anher mittheilen zu wollen“. Zwar erfolgte die Urkundenvorlage offenbar umgehend, zu einer Entscheidung kam es aber noch immer nicht. Vielmehr wandte sich der Landesausschuss am 18. Juni 1897 an die Bezirkshauptmannschaft Imst, die herausfinden sollte, woher diese Zirbenstämme tatsächlich stammten.
41 FEUERSTATTBESITZER ALS „FRAKTIONISTEN“
Zu den Ereignissen der folgenden Wochen ist die Überlieferung etwas lückenhaft. Offenbar hatte sich die Bezirkshauptmannschaft ihres Auftrags dadurch entledigt, dass sie die Forstinspektion Silz mit Erhebungen betraute. Zur Feststellung der Eigentumsverhältnisse am Klammwald, aus welchem die Fraktion Östen die Zirben verkauft hat, schrieb der Silzer Forsttechniker Rittmeyer mit 3. Juli 1897 an die Gemeindevorstehung von Umhausen und ersuchte um Übermittlung von Unterlagen. Rund zwei Wochen später übersandten die Umhauser die „Eigenthums-Nachweisung über das von der Purifikationskommission zuerkannte Eigenthum von Wäldern und Alpen“. Auf dieser Grundlage formulierte Rittmeyer am 17. Juli 1897 seine Antwort für die Bezirkshauptmannschaft, an die übrigens am gleichen Tag auch ein Urgenzschreiben des Landesausschusses abgegangen war. Rittmeyer schrieb die Urkunde, die die Umhauser vorgelegt hatten, wortgetreu ab. Es war die Tabelle der Forsteigentums-Purifikationskommission, ausgefertigt von der „k. k. Berg- und Salinen-Direktion Hall“ am 14. Juni 1848, bestätigt durch das „k. k. Landgericht Silz“ am 12. September 1848 und verfacht unter Zahl 648. Dem standardisierten Text des Originals entsprechend unterstrich Rittmeyer das im Kopf der Urkunde vorkommende Wort „Privateigenthum“ und er identifizierte den in dieser Tabelle für die „Parzelle“ Östen eingeschriebenen „Klammwald“ als jenes Waldstück, aus dem die Zirbenstämme stammten.
Mit 22. Juli 1897 legte der Imster Bezirkshauptmann dieses Ermittlungsergebnis dem Landesausschuss vor. Ungefragt interpretierte er auch die Eigentumsverhältnisse am Klammwald: Dieser sei, „insofern er der ‚Parzelle Östen‘ zugeschrieben ist, nicht als ein Privat-Interessentenwald, sondern als ein Gemeindefraktionswald zu betrachten“. Doch der Landesausschuss sah dies anders: Am
6. August 1897 endete der mühselige Ermittlungsvorgang ernüchternd in wenigen Zeilen: „41 Feuerstättenbesitzer von Östen haben auf Grund des Gemeinde-Ausschussbeschlusses die Bitte gestellt, es wolle die Aufteilung eines Holzerlöses von 660 fl bewilliget werden. Nach vielseitig gepflogener Erhebung wurde festgestellt: 1. Nach dem Berichte des Forsttechnikers in Silz, dass das verkaufte Holz aus dem so genannten Klammwald herrührt. 2. Dass der Klammwald laut Forst- Alpen- und Auen-Tabelle Nr 24 Privateigentum ist, daher die Bittsteller zur Verteilung des Holzerlöses keiner Bewilligung bedürfen.“ Noch am gleichen Tag wurde dieses Ergebnis, nämlich dass „zur beabsichtigten Verteilung des Holzerlöses eine höhere Genehmigung nicht notwendig ist“ – der Gemeindevorstehung Umhausen mitgeteilt. Der Öster Klammwald ist damit im Jahr 1897 als Privateigentum der 41 Öster Feuerstattbesitzer festgestellt worden.
OBEREIGENTUM DES LANDESFÜRSTEN …
Spätestens seit dem 14. Jh. nahm der Tiroler Landesfürst das Obereigentum an allen Tiroler Wäldern und Almen für sich in Anspruch. Eigentum an Grund und Boden konnte nur derjenige behaupten, der eine landesfürstliche Verleihungsurkunde besaß oder einen noch älteren Rechtstitel. Beispielsweise gründet das Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten sein Eigentum auf eine Schenkungsurkunde des Bischofs Reginbert von Brixen aus dem Jahr 1140, ein Eigentumstitel, der heute noch im elektronischen Grundbuch ausgewiesen ist. Einzelne Hofbesitzer oder Nachbarschaften, die keinen schriftlichen Eigentumstitel besaßen, waren nur als Nutzungsberechtigte anerkannt. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde das landesfürstliche Obereigentum in Tirol massiv in Frage gestellt. Zahlreiche Gerichtsverfahren gegen das landesfürstliche Ärar (die „Finanzkasse“) um das Eigentum waren anhängig. 1847 sah sich die Regierung zu einer Rechtsbereinigung gezwungen: Durch das „Tiroler Forstregulierungspatent“, ein Gesetz vom 6. Februar 1847, ordnete der Kaiser für den Nordtiroler Raum eine generelle Ablösung aller Holznutzungsrechte an („Servitutenablösung“). Die Nutzungsrechte der Hofbesitzer im landesfürstlichen Wald sollten am Vergleichsweg durch Vereinbarung mit den jeweiligen Nachbarschaften abgelöst werden. Als Gegenleistung wurde Gemeinschaftseigentum zuerkannt. Zusätzlich wurde für spezielle Fälle ersessenes Privateigentum an Wäldern und Almen „purifiziert“. Voraussetzung war unter anderem, dass die jeweiligen Hof- und Gutsbesitzer über lange Zeit bestimmte Abgaben für die betreffende Liegenschaft geleistet hatten oder dass ein bestimmter Wald unter den Hof- und Gutsbesitzern aufgeteilt war. Aus der „Tiroler Forstregulierung“ im Zeitraum 1847 bis 1849 ist der Großteil der heutigen „Nordtiroler Bundesforste“ als Staatseigentum und der Großteil des privaten Wald- und Almeigentums in Tirol hervorgegangen.
Die Nachbarn von Östen erfüllten die Voraussetzungen, dass ihre Wälder als Privateigentum „purifiziert“ werden konnten. Gemäß Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Silz, ausgefertigt von der k. k. Berg- und Salinendirektion Hall am 14. Juli 1848, wurden folgende Wälder als gemeinschaftliches Privateigentum der „Parzelle Östen“ anerkannt: der „Klammwaldig“ und der „Acherkar-, Gries-Saulen- und Farstrinnenwald“; dies in definierten Grenzen: Für den Klammwald: grenzt „1. an Ötztaler Bach und Öster Güter, 2. an Thureberger Grat und Hagelasegg, 3. an Gebirgsrücken, 4. an Grat von der Klammlesnase bis zum Altmoser Boden und von dort bis zum Zunternkopf“; für die Wälder Acherkar, Gries-Saulen und Farstrinnen: grenzt „1. an die Staatswaldung Acherkopf, wo jedoch die Grenze im Streit befangen ist. 2. an Rennebach in den Farstrinnen. 3. an Ötztalerbach, Fahrweg und Grundstücke. 4. an Acherkogelgrat; davon besitzt der Hof Acherbach die zugeschriebene äußerste Waldstrecke im Acherkar und die Parzelle Farst die dortnächst umliegende Waldstrecke, welche sub. Cat. Nr. 2293 vorkommt.“ Am 12. September 1848 wurde vom k. k. Landgericht Silz die Einverleibung der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichtsbezirks Silz, ausgefertigt am 14. Juli 1848, im Verfachbuch angeordnet und durchgeführt. Das von den Landgerichten geführte „Verfachbuch“ erfüllte in Tirol über Jahrhunderte die Funktion des heutigen Grundbuches.
Die Rechtsgrundlage für die so genannte Forsteigentumspurifikation (= Anerkennung als Privateigentum aufgrund Ersitzung) findet sich in Artikel 2 des Forstregulierungspatents vom 6. Februar 1847: In den Verwaltungskreisen Ober- und Unterinntal „gestatten seine Majestät die Beurteilung der Eigentumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältnisse für das Vergangene in Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts“, jedoch nur dann und insofern, als diese Ansprüche entweder schon gerichtlich geltend gemacht wurden oder binnen drei Monaten bei der Forsteigentums-Purifikationskommission angemeldet würden. Eine Ausführungsverordnung vom 17. Juni 1847 erklärt, dass das „purifizierte“ Privateigentum von allen künftigen staatlichen Ansprüchen „enthoben und gesichert“ sei, sodass „in diesen besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Staat ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll“. Jedes Blatt der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle enthält im Kopf folgenden drucktechnisch hergestellten Formeltext: „Forsteigentum – Purifikationstabelle für Forste, Alpen und Auen. Anerkennung des Privateigenthums über die auf Grund der a.h. Entschließung vom 6. Februar 1847 bei der tirolischen Privatforsteigenthums-Purifikations-Kommission angemeldeten Forste, Alpen und Auen, auf welche zufolge hoher Hofkammer-Präsidial-Genehmigung vom 23. März 1848, Zahl 117, die Staatsverwaltung keinen Eigentumsanspruch [geltend] macht, sondern welche sie, […] ohne Gewährleistung gegen die Ansprüche dritter Personen als Privateigentum anerkennt, weshalb sie zugleich die Einverleibung dieser Tabelle in das landgerichtliche Verfachbuch bewilliget.“ Zusammengefasst ging es darum, dass die Staatsverwaltung den Untergang des landesfürstlichen Obereigentums bestätigte, ohne sich festzulegen, welcher Private tatsächlich Eigentümer sei („ohne Gewährleistung gegen die Ansprüche dritter Personen“).
… WIRD PRIVATEIGENTUM
Zentrales Anliegen der Tiroler Forstregulierung 1847 war es, Staats- und Privatsphäre zu trennen: Erheblich verkleinerten, holznutzungsfrei gestellten Staatswäldern sollten nachhaltig bewirtschaftete, gemeinschaftliche Privatwälder gegenüber stehen, die sich auch als Objekt neuer Steuern anboten. Nach der bis zum Jahr 1847 geltenden Rechtslage war zwar jeder Tiroler Forst vermutetes Eigentum des „aller höchsten Landesfürsten“; mit jedem Hofbesitz in Tirol war jedoch das Recht verbunden, den „Haus- und Hofbedarf“ aus den Staatswäldern zu decken. Insbesondere das Holzbezugsrecht hatte dazu geführt, dass die Wälder für die landesfürstliche Kasse weitgehend ertragslos waren, weil im Staatswald keine nachhaltige Wirtschaft betrieben wurde. Diesen Verhältnissen wollte Kaiser Ferdinand I. 1847 ein Ende bereiten. In einem ersten Schritt definierte er einen abschließenden Kreis von Berechtigten: Die Ablösungskommission hat sich gewärtig zu halten, dass das Beholzungsservitut „nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht; dem Gewerbestande kann diese im Allgemeinen nach Analogie mit Titel II. Buch IV. der Tiroler Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbestandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen.“ (Ausführungsverordnung zur Forstservitutenablösung vom 1. Mai 1847)
Zur Vorbereitung der Servitutenablösung wurde gemeindeweise erhoben, mit wie vielen Berechtigten zu kalkulieren und in welchem Umfang die Rechte anzuerkennen seien. Bestehendes Waldeigentum aus landesfürstlichen Verleihungsakten wurde eingerechnet. Aus diesem Grund hatte die Forsteigentums-Purifikations-Kommission bei der Anerkennung der Öster Wälder als Privateigentum im Juli 1848 folgende Einschränkung ausgesprochen: „Wird aus Gnade als Privateigentum anerkannt unter der Bedingung der Beanschlagung des Ertrages dieser Wälder bei der Ausmittlung des Haus- und Hofbedarfes der Gemeinden […].“ Das für die „Parzelle Östen“ bereits purifizierte Waldeigentum wurde somit bei der Ablöseleistung für den Verzicht auf die Holznutzung im Staatsforst einkalkuliert.
FORSTSERVITUTENABLÖSUNG IN UMHAUSEN
Am 6. September 1847 hatten die Umhauser vor dem k. k. Landrichter Johann Marberger sechs Vertreter für die Verhandlungsführung über die Ablösung ihrer Forstnutzungsrechte gewählt, zwei aus dem Dorf Umhausen und je einen aus den Nachbarschaften Köfels, Tumpen, Niederthai und Östen. Siegmund Auer hat die Öster vertreten. Grundlage dafür war der Erlass der Wiener Hofkanzlei vom 29. Juni 1847, der die Rechtswirkungen der Bevollmächtigung ausdrücklich auch auf jene Berechtigten erstreckte, die sich am Bevollmächtigungsakt nicht beteiligen sollten. Der Wortlaut der Vollmacht lautete auf unbeschränkte Vertretungsmacht für die gesamte „Kirchspielgemeinde Umhausen“ über Forstrechte und Servituten in den k. k. Staatswäldern zu verhandeln, Vergleiche abzuschließen und deren Ablösung zu vereinbaren. Am 24. November 1848 haben die sechs Vertreter den Ablösungsvergleich unterfertigt und für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf die Forstnutzungen in den vorbehaltenen Staatswäldern feierlichst Verzicht geleistet (Pkt. siebentens des Vergleichsprotokolls). Im Gegenzug konnte das Eigentum an folgenden Wäldern eingehandelt werden: 1. herrschaftlichen Acherkopfwald, 2. Teil des Funduslägerwaldes, 3. Öster Kern- und Kopfwaldung sowie des Schachtele-Teilwaldes, 4. Armeleswald und Köfler Greitwald, 5. Teil des Mauslehen- und Tauferberg-Amtswaldes. Dies ausdrücklich zusätzlich zu den bereits von der Forsteigentums-Purifikations-Kommission als Privateigentum anerkannten Wäldern. Ausdrücklich wird im Vergleichsprotokoll festgestellt, dass die übrigen im Gemeindebezirk gelegenen Wälder im Eigentum des k. k. Ärars verbleiben. Insgesamt handelte es sich dabei über 550 ha Waldvermögen, die heutigen Bundesforste in Umhausen. Am 19. Oktober 1849 wurde der Vergleich seitens des
k. k. Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen in Wien bestätigt; das Protokoll trägt die eigenhändige Unterschrift des Ministers Ferdinand Ritter von Thinnfeld. Am 11. Mai 1856 hat das k. k. Landgericht Silz über Antrag der k. k. Berg- und Salinendirektion das Vergleichsprotokoll „zur Begründung dinglicher Rechte“ dem Verfachbuch einverleibt.
TEILUNGSVERTRAG VOM 15. JUNI 1862
Aus der Tiroler Forstregulierung war eine Vielzahl gemeinschaftlicher Privatwälder hervorgegangen. Wie die Nutzungsberechtigten in der Folge ihr neues Gemeinschaftseigentum verwalten und die Nutzung aufteilen sollten, wurde nicht geregelt. Die Öster wollten einen alleinigen Anteil an den mit Ablösungsvergleich vom 24. November 1848 erworbenen Wäldern, weshalb sie sich am 15. Juni 1862 verglichen haben: Die „Fraktion Östen, gerade so, wie es im Öster Waldprotokolle vom Jahre 1745 enthalten ist“, erhielt vom abgetretenen Acherkar-, Gries-Saulen- und Farstrinnenwald die Flächen zwischen Acherkar und Rennebach, vom Funduslägerwald den Teil zwischen dem Schachtele-Teilwald und dem Lägeralpzaun und die aufgeteilten Waldungen im Kern- und Kopfwald samt Schachtele-Teilwald. Im Gegenzug haben die Öster auf ihre Beteiligung im verbleibenden „Gemeindewald“ verzichtet.
Im Zuge der Grundbuchanlegung in Umhausen im Jahr 1909 wurde das Gemeinschaftseigentum der 41 Öster Feuerstattbesitzer als EZ 713 Grundbuch Umhausen der „Fraction Östen“ zugeschrieben. Der nach Ausscheidung des Öster Anteils verbliebene „Gemeindewald“ wurde in EZ 702 Grundbuch Umhausen als Eigentum der „politischen Gemeinde Umhausen“ erfasst. Im Jahr 1959 hat die Agrarbehörde entschieden, dass das Waldvermögen der „Fraction Östen“ in Wahrheit Eigentum einer „Agrargemeinschaft Östen“ sei, an der die 41 „Feuerstätten“ von Östen beteiligt seien. Im Jahr 1967 wurde von der Agrarbehörde auch über die Eigentumsverhältnisse am „Gemeindewald“ in EZ 702 Grundbuch Umhausen entschieden. Festgestellt wurde, dass diese Liegenschaft kein Eigentum der heutigen Gemeinde Umhausen sei, sondern das Eigentum einer „Agrargemeinschaft Kirchspielwald“.
Am 30. Juni 2011 hat der Verwaltungsgerichtshof in Wien entschieden, dass bei Agrargemeinschaft Kirchspielwald kein atypisches Gemeindegut und kein Substanzrecht der Ortsgemeinde Umhausen vorliege, hingegen sehr wohl bei Agrargemeinschaft Östen. Auch die 1862 aus dem „Kirchspielwald“ abgetrennten Waldteile, die den Östern übertragen wurden, seien Substanzrecht der Ortsgemeinde. Seither grübeln 41 Öster Feuerstattbesitzer darüber, warum das vom „Kirchspielwald“ abgetrennte Waldgebiet Substanzrecht der Ortsgemeinde Umhausen sein könne, obwohl für den gesamten verbliebenen Kirchspielwald das Gegenteil gilt.
Die Tiroler Grundbuchanlegung hat eine radikale Idee des Gemeindeeigentums an den Tiroler Wäldern und Almen vertreten. Urheber der Idee eines umfassenden Gemeindeeigentums an Wäldern und Almen war der damalige Richter des Oberlandesgerichts, Stephan Ritter von Falser. In einer im Blick auf die bevorstehende Tiroler Grundbuchanlegung verfassten Abhandlung „Wald und Weide im Tirolischen Grundbuch“ (1896) hat er diese Idee entwickelt.
Als Vehikel für ein generelles Gemeindeeigentum an Wald und Almweide musste die Tiroler Forstregulierung Ende der 1840er Jahre herhalten. Die Anerkennung („Purifikation“) von Privateigentum (Nordtirol), die Ablöse der Forstservituten im Staatswald (ebenfalls in Nordtirol) und die generelle Beseitigung des staatlichen Obereigentums (Süd- und Osttirol) wurde bei Falser in eine kaiserliche Schenkung an die Ortsgemeinden transformiert. Dies ohne nähere Begründung unter Missdeutung des vielfach in den Servituten-Ablösungsurkunden sowie in den Purifikationstabellen verwendeten Gemeindebegriffs, der gerade im Kontext der rund 280 errichteten Servituten-Ablösungsvergleiche ausschließlich eine „Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten“ bezeichnen sollte.
Die Idee eines generellen Gemeindeeigentums an Wald- und Weide als spezielle Note der Tiroler Grundeigentumsverhältnisse fand aufgrund des Einflusses von Stephan von Falser Eingang in die Durchführungsverordnung zur Tiroler Grundbuchanlegung (DurchführungsVO zur Grundbuchanlegung LGuVOBl Tirol 1898/9 vom 10. April 1898).
Aber auch der Tiroler Landesausschuss (= heute Landesregierung) machte sich diese Idee schnell zu eigen. Bis zu den Landtagswahlen im Jahr 1906 hat der Landesausschuss in Zusammenarbeit mit dem Oberlandesgericht Innsbruck diese Idee rücksichtslos und oft gegen die Auffassung des lokalen Grundbuchkommissärs samt einer einhelligen Gemeindebevölkerung durchgesetzt. Beim Landesausschuss lässt sich dieser Gesinnungswandel sogar nachweisen.
Noch am 06.08.1897 hatte der Tiroler Landesausschuss am Beispiel von 200 Zirbenstämmen, die im so genannten Klammwald der „Parzelle Östen“ geschlagen worden waren, ein Privateigentum festgestellt. Der so genannte „Klammwald in Östen“ sei laut „Forst-, Alpen- und Auen- Tabelle Nr. 24 dd. k.k. Berg und Salinen Direktion Hall 14. Juni 1848, verfacht beim Bez. Ght. Silz 12. Sept. 1848 Folio 648“, ein Privateigentum (dazu: Dorfgeschichten, Östen: Das Wiehern des Amtsschimmel 1897).
Strikt zuwider wurden im Zuge der 1898 beginnenden Grundbuchanlegung alle Gemeinschaftswälder, ungeachtet eines Ausweises in diesen „Forst-Eigentums-Purifikations-Tabellen“ (FEPT) als Privateigentum, als ein „Gemeindeeigentum“ oder als ein „Fraktionseigentum“ erfasst. Dies entgegen dem klaren Wortlaut der im Zuge der Tiroler Forstregulierung von den Staatsbehörden gesetzten „Purifikationsentscheidungen“. Dazu: Kaiser Ferdinand befiehlt, Anerkennung („Purifikation“) von Privateigentum.
Prälat Professor Dr. Aemilian Schöpfer und Josef Schraffl sowie ihren Mitstreiter von der Christlichsozialen Partei, die in den Wahlen zum Tiroler Landtag im Jahr 1906 einen überwältigenden Wahlsieg errungen hatten, ist es zu verdanken, dass die falschen Grundbucheintragungen – jedenfalls soweit privates Einzeleigentum für Gemeinden oder Fraktionen vereinnahmt worden war – in den 1910er und 1920er Jahren – ausnahmsweise auch noch später, korrigiert wurden.
„FERDINANDEISCHE SCHENKUNG“?
Aus den Landtags- und Landesausschussakten, genauso aus zahlreichen Grundbuchanlegungsprotokollen ergibt sich, dass im Zuge der Grundbuchanlegung in Tirol unzählige Waldgrundstücke, die nach der Verkehrsauffassung und dem Steuerkataster als Einzeleigentum anzusehen waren, systematisch umgeschrieben wurden auf die Etiketten „Gemeinde“ oder „Fraktion“. Was ursprünglich als Einzeleigentum angesehen wurde, ist durch diese Rechtsauffassung auf „Gemeindegutsnutzung“ gem. § 63 TGO 1866 „heruntergestuft“ worden. Der heftige Widerstand der betroffenen Waldbesitzer war meist vergeblich, weil die Grundbuchanlegungsbeamten und die übergeordneten Grundbuchanlegungskommissionen davon ausgingen, dass die Tiroler Wälder im Jahr 1847 durch Kaiserliche Schenkung in das Eigentum der heutigen Ortsgemeinden übergegangen wären. Gegen diese Rechtsauffassung haben sich Prälat Professor Dr. Aemilian Schöpfer und Josef Schraffl sowie ihre Mitstreiter von der Christlichsozialen Partei zehn Jahre lang im Tiroler Landtag zur Wehr gesetzt. Am 31. Jänner 1910 änderte der Tiroler Landtag auf Initiative von Josef Schraffl und Dr. Aemilian Schöpfer schließlich die Gemeindeordnung, sodass auf Gemeindeebene das Eigentum der Waldbesitzer anerkannt werden konnte. Dies im Wege von zivilrechtlichen Verträgen. Die Grundbuchgerichte hatten diese zur Kenntnis zu nehmen.
Die Grundlagen für die massenhafte Umschreibung von Einzeleigentum laut dem Franziszeischen Steuerkataster aus den 1850er Jahren auf Gemeindeeigentum hatte Stefan Ritter von Falser gelegt, damals einer der einflussreichsten Juristen Tirols. Stefan Ritter von Falser war von 1878 bis 1900 Richter an verschiedenen Zivilgerichten in Tirol und Vorarlberg und während der Vorbereitungen der Grundbuchanlegung Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck. In dieser Zeit hat er seine Schrift „Wald und Weide“ im Tirolischen Grundbuche, Innsbruck 1896, veröffentlicht. 1902 wurde er als Richter an den Verwaltungsgerichtshof in Wien berufen, ab 1912 in der Funktion eines Senatspräsidenten; 1917 wurde er auch Mitglied des Staatsgerichtshofes und ab 1922 Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Stefan Ritter von Falser vertrat die Auffassung, dass der „gnädige Landesfürst“ Kaiser Ferdinand I. die Tiroler Wälder im Jahr 1847 den heutigen politischen Ortsgemeinden geschenkt hätte. Der Landesfürst hätte wegen des Niederganges der Tiroler Bergwerke das Interesse am Waldeigentum verloren und deshalb 1847 das Eigentum an den Wäldern den politischen Gemeinden innerhalb ihrer Grenzen geschenkt. Ein im Steuerkataster aus den 1850er Jahren ausgewiesenes Einzeleigentum sei ohne Belang – es sei denn, es wäre eine allseitige Umzäunung hinzugetreten (Ersitzung!); der Umstand, dass die Stammliegenschaftsbesitzer spätestens seit Einführung der Allgemeinen Grundsteuer mit Gesetz vom 24. Mai 1869 RGBl 88 diese Waldgrundstücke versteuert hatten, blieb genauso unbeachtet wie eine nachgewiesene ausschließliche Nutzung „seit Menschengedenken“.
Diese systematisch falsche Auslegung der Vorgänge im Zuge der Tiroler Forstregulierung 1847 war relevant für die Nachbarschaftswälder und für das Einzeleigentum an Waldgrundstücken. Beides wurde im Zuge der Grundbuchanlegung in Tirol als Gemeindeeigentum angesehen. Für die Waldbesitzer sollte dies deshalb akzeptabel erscheinen, weil sich durch diesen Vorgang angeblich an ihren Nutzungsrechten nichts geändert hätte. Nur formell seien diese nunmehr eine „Teilnahme an den Gemeindegutnutzungen“ im Sinn des § 63 der Tiroler Gemeindeordnung 1866. Tatsächlich haben die heutigen Ortsgemeinden im Jahr 1847 rechtlich nicht einmal existiert; an einer kaiserlichen Schenkung im Jahr 1847 konnten diese deshalb nicht beteiligt gewesen sein.
Oft wird versucht, die behauptete Schenkung des Kaisers Ferdinand I. damit zu begründen, dass im Jahr 1847 schon politische Gemeinden existiert hätten und dass die heutigen politischen Ortsgemeinden, geschaffen auf der Grundlage des Reichsgemeindegesetzes von 1862, Rechtsnachfolger (und „Erben“) wären. Diese Tiroler „Urgemeinden“ hätten auf der Grundlage des so genannten „Gemeinderegulierungspatents“ aus dem Jahr 1819 (GRP 1819) existiert. Tatsächlich hatte der Tiroler Landesfürst, Kaiser Franz I., 1819 die Tiroler Gemeinden „reguliert“. Tatsächlich werden die „gemeinschaftlichen Güter und Realitäten“ im Gesetz von 1819 angesprochen – allerdings in einem ganz anderen Sinn als in den späteren Gesetzen für die heutigen Ortsgemeinden. § 3 GRP 1819 ordnet Folgendes an: „Die Einteilung der Gemeinden ist genau wieder so herzustellen, wie sie […] bis zum Jahr 1805 bestanden hat, da diese Einteilung mit dem verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten vollkommen übereinstimmt, durch die Steuerkataster wesentlich befestigt und durch das alte Herkommen geheiligt wird.“ Eine Rechtsgrundlage für „Gemeindegutsnutzungen“ existierte somit im Jahr 1847 nicht im Entferntesten; genauso wenig kannte dieses Gesetz eine Regelung für ein „Gemeindegut“. Sehr wohl kannte dieses Gesetz hingegen das „verjährte Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten“.
Nachdem der Tiroler Gesetzgeber schon im Jahr 1819 vom „verjährten Eigentum der Gemeindeglieder über die gemeinschaftlichen Güter und Realitäten“ gesprochen hatte, war es nur konsequent, dass der Tiroler Landesfürst Mitte des 19. Jahrhunderts im großen Stil ersessenes Privateigentum anerkannt hat. Die Rechtsgrundlage für den Nordtiroler Raum findet sich in Art. 2 des Tiroler Forstregulierungspatents 1847: Die Beurteilung der „Eigentumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden“ sollte „in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältnisse […] in Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts“ erfolgen [Ersitzung!]. Klarstellend ist in der Instruktion für die Privatforsteigentums-Purifikationskommission vom 17. Juni 1847 die Aufgabe der zuständigen Staatskommission wie folgt geregelt: § 1: „Die Kommission hat also die Bestimmung […] Namens der obersten Finanzverwaltung […] das Privatforsteigentum im außergerichtlichen Wege zu liquidieren, wodurch dasselbe von künftigen ärarischen Ansprüchen enthoben und gesichert […] werden soll.“
In Verkennung der Rechtsakte der Tiroler Forstregulierung wurde von den Grundbuchanlegungsbeamten die Anschreibung von Gemeindeeigentum auch dann vorangetrieben, wenn nach der allgemeinen Verkehrsauffassung Einzeleigentum vorgelegen hatte. Den Eigentümern wurden nur Gemeindegutsnutzungen zugestanden, welche im Grundbuch nicht eingetragen wurden. Der dadurch ausgelöste Entrüstungssturm ist als der so genannte „Teilwälderstreit“ bekannt, der für ein ganzes Jahrzehnt große Teile der Tiroler Bevölkerung, den Tiroler Landtag und die Tiroler Behörden beschäftigt hat. Rechtlich ist dieser auf die Frage zu reduzieren, ob die Waldteile als Rechte nach § 63 der Gemeindeordnung, als Servitutsrechte auf Gemeindeeigentum oder als Einzeleigentum der Waldbesitzer zu behandeln seien. Entbrannt ist der Streit im Jahr 1899 bei der Grundbuchanlegung in den Bezirken Lienz und Sillian, wo die Waldteile in der Katastermappe, die in den 1850er Jahren angelegt wurde (Urmappe des Franziszeischen Steuerkatasters) einzeln parzelliert und als Einzeleigentum ausgewiesen waren. Die Grundbesitzer haben Eigentumsansprüche geltend gemacht; dies unter Hinweis darauf, dass sie bzw. ihre Vorbesitzer seit Menschengedenken sich als Eigentümer der Waldteile betrachtet und seit den 1850er Jahren als solche in den Grundbesitzbögen ausgewiesen waren und zudem die ärarischen Waldsteuern gezahlt hätten. Auch die Gemeindevertreter haben sich dieser Auffassung angeschlossen, waren sie doch als Grundbesitzer ebenfalls von der Rechtsauffassung der Richterschaft nachteilig betroffen. Dagegen wurde das Oberlandesgericht Innsbruck in seiner gegenteiligen Rechtsauffassung vom Tiroler Landesausschuss unterstützt; dies bis zur Änderung der politischen Verhältnisse bei den Landtagswahlen im Jahr 1908. Der Landesausschuss war ursprünglich der Auffassung, dass – von besonderen Waldrechtsverhältnissen abgesehen – grundsätzlich von einem Gemeindeeigentum an den Wäldern auszugehen sei. Den Grundbesitzern stünden nur Gemeindegutsnutzungen zu.
GRUNDBUCHANLEGUNG AUSSETZEN?
Diese mit der damaligen Tiroler Verkehrsauffassung in klarem Widerspruch stehenden Rechtsanschauungen des Oberlandesgerichts Innsbruck und des Tiroler Landesausschusses bewogen den Tiroler Landtag schon am 2. Mai 1900 zu der Beschlussfassung, dass „Teilwaldrechte“ – falls es sich nicht als formelles Eigentumsrecht der Teilwaldbesitzer qualifiziert – in anderer geeigneter Weise als dingliches Recht eingetragen werden müssten. In Konsequenz hatte sich das Oberlandesgericht Innsbruck herabgelassen, die Teilwaldbesitzer als Servitutsberechtigte im Grundbuch einzuverleiben. Damit gaben sich die Grundbesitzer jedoch nicht zufrieden. Es kam zu langwierigen Prozessen und heftigem Widerstand der Grundbesitzer und der Gemeinden selbst. Am stärksten waren diese Proteste in den Gerichtsbezirken Lienz und Sillian sowie im Südtiroler Pustertal. Aber auch in einzelnen Bezirken Nordtirols gab es erbitterten Widerstand. Im Landtag und im Landesausschuss kämpften vor allem die Abgeordneten Josef Schraffl und Dr. Aemilian Schöpfer unermüdlich für die Ansprüche der Teilwaldbesitzer. Diverse Ausschüsse und der Landtag forderten schließlich vom Justizminister in Wien die Aussetzung der Grundbuchanlegung. Im Jahr 1909 gelang es Josef Schraffl und Dr. Aemilian Schöpfer schließlich, auch einen Beschluss des Tiroler Landesausschusseszu erwirken, wonach die Grundbuchanlegung ausgesetzt oder eingestellt werden sollte; dies so lange, bis eine politisch akzeptable Lösung der Teilwälderfrage erreicht wäre. Am 26. Juli 1909 trat die „verstärkte Grundbuchanlegungs-Landes-Kommission“ am Sitz des Oberlandesgerichts Innsbruck zusammen, um über diese Forderung des Landesausschusses zu beraten. Das zu Praes. 5908/19 A-9 des Oberlandesgerichts Innsbruck erstattete Gutachten berichtet eingangs von einer „großen Lebhaftigkeit“, mit der das Landesausschussmitglied Professor Dr. Aemilian Schöpfer für die Einstellung der Grundbuchanlegung in allen Katastralgemeinden mit Teilwäldern eingetreten sei. Ungeachtet dessen sprach sich die verstärkte Grundbuchanlegungs-Landes-Kommission gegen die „Sistierung der Grundbuchanlegung“ aus. Die Argumente der Kommission überzeugten letztlich auch das k. k. Justizministerium.
ARBEITSLOSE GRUNDBUCHKOMMISSARE?
Es sei unmöglich, so die „verstärkte Grundbuchanlegungs- Landes-Kommission“, die im Wege eines gesetzlichen Auftrages begonnenen Arbeiten im Verwaltungswege auszusetzen. Auch sei eine Beschränkung der Einstellung der Arbeiten auf Katastralgemeinden mit Teilwäldern praktisch undurchführbar, weil sich erst im Zuge der Grundbuchanlegung herausstelle, wie die Waldeigentumsverhältnisse in der betreffenden Katastralgemeinde beschaffen sind. Somit wäre gegebenenfalls die gesamte Grundbuchanlegung in Tirol zu sistieren, die dann auf Jahre hinaus eintreten würde. Ein Beamtenstand von zehn Grundbuchanlegungs-Kommissären und rund 70 „Kanzleioffizianten und Kanzleigehilfen“ wäre dann beschäftigungslos. Dies alles, ohne dass für die Teilwälderfrage etwas gewonnen wäre. Vielmehr würde die Lösung nach Meinung der Kommission nur erschwert, weil die Grundlagen für eine Lösung erst durch die Grundbuchanlegung authentisch festgestellt würden. Die Fertigstellung des Grundbuches sei „Vorfrage für die Lösung der Teilwälderfrage“, weil erst im Zuge der Grundbuchanlegung hervorkomme, ob ein „freies Eigentum Privater“, ob „unbelastete Gemeindewälder“ oder ob „Teilwälder“ vorliegen.
Natürlich hat das Justizministerium eine Sistierung der Tiroler Grundbuchanlegung abgelehnt.
Die Beurteilung der Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern im Zuge der Grundbuchanlegung war eine Frage des Zivilrechts, das durch die Richterschaft „am ordentlichen Rechtsweg“ anzuwenden war. Die Richterschaft, die die Grundbuchanlegung in letzter Konsequenz zu vollziehen hatte, hatte sich im Sinne des Standpunktes von Stefan Ritter von Falser festgelegt (s dazu: Der Gemeindeliebhaber).
Für die Praxis bedeutete dies:
Im Zweifel wurde ein „Gemeindegut“ der politischen Ortsgemeinde angenommen („Schenkungstheorie“) und die Rechte der Waldbesitzer daran waren Gemeindegutsnutzungen gem. § 63 TGO 1866, die nicht als Privatrechte angesehen wurden und deshalb nicht im Grundbuch eingetragen werden mussten.
„Ungern“ hat man den Grundbesitzern Servituten auf einem Gemeinde- oder Fraktionsgut einverleibt und noch seltener ein freies, unbelastetes Eigentum.
Auf die Abgrenzungskriterien, die im Einzelfall zum Tragen kamen, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Entscheidend war letztlich in der Praxis, wie die Beteiligten im Einzelfall aufgetreten sind und ob diese ihren Standpunkt mit entsprechendem Nachdruck vertreten und durch Urkunden belegt haben. Im Ergebnis haben sich die Grundbesitzer nur selten gegen die falsche Rechtsauffassung durchgesetzt, wonach der Tiroler Landesfürst 1847 ein Obereigentum der heutigen Ortsgemeinden geschaffen hätte.
ZIVILRECHT UND LANDESKOMPETENZEN
Im Zuge eines kometenhaften Aufstieges war die christlichsoziale Partei in Tirol unter Josef Schraffl und Professor Dr. Aemilian Schöpfer 1908 zur bestimmenden politischen Kraft geworden. Auf die Grundbuchanlegung konnte man trotzdem keinen Einfluss nehmen: Dem Tiroler Landesgesetzgeber fehlte die verfassungsrechtliche Kompetenz, um in die Eigentumsbeurteilung einzugreifen. Man entschloss sich deshalb, den Umweg über das Gemeinderecht zu gehen, wo der Tiroler Landtag als Gesetzgeber den wesentlichen Gestaltungsspielraum besaß.
Noch im Sommer 1909 wurde Dr. Josef Jordan vom Landesausschuss in das Pustertal entsandt, wo der Streit um das Eigentum an den Wäldern am heftigsten tobte. Dr. Jordan sollte die genauen Verhältnisse erheben und die Voraussetzungen für eine politische Lösung des Streits um das Waldeigentum ausloten. Auf der Grundlage seiner Berichte wurde die Änderung des Gemeinderechts vorbereitet. Die Idee war, die Ortsgemeinden in die Lage zu versetzen, im Wege eines Vertrages das Eigentum der Grundbesitzer anzuerkennen.
Zu diesem Zweck wurde ein Landesgesetz vorbereitet, welches die förmliche Eigentumsanerkennung erleichterte: Die Gemeinden wurden ermächtigt, den reklamierenden Teilwaldbesitzern das Eigentum an ihren Waldteilen förmlich abzutreten; im Gegenzug sollten der Gemeinde gewisse Recht, eingeräumt werden, nämlich die Waldweide, das Recht Wege anzulegen und Wasser abzuleiten sowie Baumaterial, mit Ausnahme von Holz, für Gemeindezwecke zu gewinnen.
Mit Landtagsbeschluss vom 31. Jänner 1910 wurde diese Lösung für den langjährigen Streit um die aufgeteilten Wälder vom Tiroler Landtag zum Gesetz erhoben. Die Tiroler Gemeindeordnung 1866 wurde in § 61 geändert, die vereinfachte Eigentumsanerkennung und die Abtretung des fälschlich zugewiesenen grundbücherlichen Waldeigentums wesentlich erleichtert.
Der Landesausschuss hat dann einvernehmlich mit dem Oberlandesgericht Innsbruck für die Gemeindeausschussbeschlüsse und für die „Abtretungsurkunden“ eigene Formulare verfasst, die den Ortsgemeinden und Waldeigentümern zur Verfügung standen.
Diesen Kompromissweg haben sich dann die meisten Gemeinden des Pustertals zunutze gemacht, aber auch diverse Gemeinden der anderen Bezirke, und zwar größtenteils in den Jahren 1911 und 1912, einzelne Gemeinden je nach dem Fortschritt der Grundbuchsanlegung auch in späteren Jahren. In der Gemeinde Tulfes wurde eine solche „Teilwälder-Übertragungsurkunde“ gar erst im Jahr 1935 errichtet und grundbücherlich durchgeführt.
ANHANG
Beilage 140 zu den Sten Berichten des Tiroler Landtages, X. Periode, II. Session 1910.
Beilage 140 zu den Stenographischen Berichten des Tiroler Landtags, X. Periode, II. Session 1910.
Antrag des Agrarausschusses betreffend die Abänderung des § 61 der Gemeindeordnung vom 10. Jänner 1866, LGBl Nr 1, Berichterstatter Prof. Dr. Ämilian Schöpfer.
Der Hohe Landtag wolle beschließen:
I. Der beiliegende Gesetzesentwurf wird genehmigt.
II. Der Landesausschuss wird beauftragt, hiefür die allerhöchste Sanktion zu erwirken.
III. Der Landesausschuss wird beauftragt, zur ehesten Lösung der Teilwälderfrage seine Mitwirkung dahin zu bieten, dass zwischen den Gemeinden und Waldbesitzern geschlossene Vergleiche, durch die einerseits das Eigentum der Besitzer an den Wäldern anerkannt bzw. im Wege der Teilung aufgrund der Novelle zum § 61 der Gemeinde-Ordnung ihnen übertragen, andererseits die Aufrechterhaltung der bisher bestandenen gemeinschaftlichen Nutzungsrechte gesichert wird, die Genehmigung des Landesausschusses erhalten. Der Landesausschuss wird ferner beauftragt, beim k.k. Oberlandesgerichte, bzw. bei der Grundbuch-Landesanlegungskommission sich dahin zu verwenden, dass bereits im Grundbuchanlegungs- und nicht erst im Richtigstellungsverfahren die Eintragung des Waldeigentums aufgrund solcher Vergleiche erfolge.
Der Obmann: Dr. von Grabmayr
Gesetz vom 30.06.1910, womit eine Ergänzung der Gemeindeordnung erlassen wird. LGBl 1910/65.
Artikel I. § 61 der Gemeindeordnung ist in seiner bisherigen Fassung aufgehoben und hat in Zukunft zu lauten wie folgt: Das Stammvermögen und das Stammgut der Gemeinde und ihrer Anstalten und Fonde ist ungeschmälert zu erhalten.
Ein vorzügliches Augenmerk hat die Gemeinde auf die Erhaltung und nachhaltige Pflege ihrer Waldungen zu richten und sie hat die forstpolizeilichen Vorschriften genau zu befolgen und befolgen zu machen.
Zur Verteilung des Stammvermögens und des Stammgutes oder eines Teiles derselben unter die Gemeindeglieder ist in der Regel ein Landtagsbeschluss erforderlich.
Wenn es sich um die Verteilung eines bereits nach bestimmten Nutzungsflächen zugeteilten Stammgutes der Gemeinde unter Aufrechterhaltung der bestehenden gemeinschaftlichen Nutzungsrechte handelt, oder wenn die Verteilung des Gemeindegutes aufgrund des Gesetzes vom 19. Juni 1909, LGBl Nr 61, vorgenommen wird, ist nur die Genehmigung des Landesausschusses erforderlich.
II. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Kundmachung in Kraft.
Die politische Ortsgemeinde Gerlos verfügt in der Katastralgemeinde Gerlos aus der Zeit der Grundbuchanlegung über rund 5.760 m² (!) Liegenschaftsvermögen, großteils Gemeindewege; weder Wald- noch Almeigentum findet sich darunter (EZ 52 Grundbuch Gerlos). Alle anderen Liegenschaften, welche die Ortsgemeinde heute besitzt wurden seit Mitte der 1970erJahre käuflich erworben.
Dem gegenüber steht die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, ehemals k.k. Aerar, heute Republik Österreich (Österreichische Bundesforste), im Ausmaß von 7.477 (!) ha. Die Liegenschaft ist mit zahlreichen Dienstbarkeitsrechten belastet; dies vornehmlich zugunsten von rund 60 alten Stammsitzen. Neben Weiderechten stehen zu: Rechte zum Bezug von Bau-, Nutz-, Zaun-, Brennholz und Streu sowie das Recht zum Bezug von Kalkholz, Bau- und Kalksteinen, Sand, Lehm und Schotter.
Diese ca 60 Stammsitzeigentümer sind somit servitutsberechtigt auf ehemals kaiserlichem Eigentum, heute Eigentum der Republik Österreich „Bundesforste“. Diese ca 60 Stammsitzeigentümer besitzen jedoch genauso wenig Waldeigentum wie die politische Ortsgemeinde Gerlos selbst. Dies, weil die Stammsitzeigentümer in Gerlos im Jahr 1849 (!) es nicht riskieren wollten, die Grundsteuer für den Wald zu tragen. Sie haben deshalb die Ablösung ihrer Forstservituten gegen Privateigentum an einem Gemeinschaftswald, verweigert.
Aus der Tiroler Forstregulierung 1847 ist deshalb in der Katastralgemeinde Gerlos kein gemeinschaftliches Waldeigentum der Gerloser Grundbesitzer hervorgegangen. Natürlich wurde auch die politische Gemeinde Gerlos nicht mit Waldeigentum „beschenkt“. Der Kaiser, damals “k.k. Aerar”, hat vielmehr das Waldeigentum in der Katastralgemeinde zur Gänze für sich behalten. Daraus ist die heutige Bundesforsteliegenschaft in der Katastralgemeinde Gerlos hervorgegangen.
Im Zuge der Grundbuchanlegung in der Katastralgemeinde Gerlos ist es deshalb auch zu keinen Verwechslungen von Gemeinschaftseigentum der Gerloser Grundbesitzer mit Gemeindeeigentum gekommen. Somit ist auch nie ein „Gerloser Gemeindegut“ entstanden.
Offenkundig ist, dass die politische Ortsgemeinde Gerlos ein „Gemeindegut“ nie besessen und nie vermisst hat. Für ein gründliches Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern und Almen ist das von hohem Interesse. Ganz ähnlich liegen die Grundeigentumsverhältnisse beispielsweise auch in Mayrhofen, in Alpbach, in Brandenberg oder in Steinberg.
Solche Grundeigentumsverhältnisse widerlegen schlagend die These, dass der “gütige Kaiser” die heutigen politischen Ortsgemeinden seinerzeit im Schenkungsweg zu Waldeigentümern gemacht hätte. Die Berichte der kaiserlichen Forst-Servituten-Ablösungskommission aus den Jahren 1847 bis 1849, liefern eine genaue Erklärung.
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Übersicht:
Grundeigentumsverhältnisse in Gerlos
Wo sind Gemeindegut und Bauernwälder geblieben?
Die holzbezugsberechtigte Gemeinde Gerlos
Nutzungsrechte im kaiserlichen Forst
Kommissionsbericht vom 21. Dezember 1849
“Servitutenablösung” heute?
Einfach zum Nachdenken
Das Zillertal: Heimat der Verweigerungsgemeinden
Aus dem “General Konspekt” vom 11. April 1850
Aus dem Kommissions-Protokoll vom 21. Dezember 1849
. Grundeigentumsverhältnisse in Gerlos
Die Ortsgemeinde Gerlos verfügt in der Katastralgemeinde Gerlos aus der Zeit der Grundbuchanlegung über rund 5.760 m² (!), das ist gerade einmal ein halber Hektar Grund und Boden – großteils Gemeindewege. Weder Wald- noch Almeigentum findet sich darunter. Eigentümlich ist der Ortsgemeinde Gerlos seit der Grundbuchanlegung die Liegenschaft in EZ 52 Grundbuch Gerlos, wo diese rund 5.000 m² vorgetragen sind. Alle anderen Liegenschaften, welche die Ortsgemeinde heute besitzt, wurden erst seit Mitte der 1970er Jahre käuflich erworben.
Dem gegenüber steht die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, ehemals k.k. Aerar, heute Republik Österreich, Österreichische Bundesforste, im Ausmaß von 7.477 ha (!). In dieser Liegenschaft ist praktisch das gesamter Waldvermögen in der Katastralgemeinde Gerlos vorgetragen, aber auch eine Unzahl von “öden” Flächen zwischen den Höfen und an den Wegen und Bächen usw.
In Gerlos haben wir somit eine Ortsgemeinde, die keinen einzigen Flecken Wald, aber auch keine Alm und auch keine Wiesen besitzt – kein Waldeigentum, kein Almeigentum und kein Wieseneigentum. Die politische Ortsgemeinde Gerlos besitzt somit auch kein “Gemeindegut”.
Besondere interessant ist diese Situation deshalb, weil die Stammsitzeigentümer in Gerlos ebenfalls kein Waldeigentum besitzen. Die “Bauern” können deshalb keine Schuld daran tragen, dass die Ortsgemeinde Gerlos kein Gemeindegut an Wäldern besitzt. Die “Bauern von Gerlos” haben dort jedenfalls nichts “gestohlen”.
Das gesamte Waldeigentum in der Katastralgemeinde Gerlos ist Eigentum der Republik Österreich, Österreichischen Bundesforste.
Wo sind Gemeindegut und Bauernwälder geblieben?
Einziger erwähnenswerter Waldbesitz in der Katastralgemeinde Gerlos ist derjenige im Eigentum der Republik Österreich, die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, ehemals k.k. Aerar, heute Österreichische Bundesforste im Ausmaß von 7.477 ha.
Hat der Kaiser den Wald behalten, statt diesen der Gemeinde Gerlos zu schenken?
Waren die Gerloser Bauern deshalb gehindert, der Gemeinde Gerlos den Wald zu “stehlen”, weil der Kaiser die Gemeinde Gerlos nicht beschenkt hat?
Weit gefehlt! Die Ursache für diese Verhältnisse ist nicht ein kaiserlicher Geiz oder Kleinmut oder Zorn. Ursächlich ist vielmehr die seinerzeitige Haltung der Stammsitzeigentümer in Gerlos. Diese haben es im Jahr 1849 abgelehnt, ihre Servituten im kaiserlichen Forst in Grund und Boden ablösen zu lassen. Der Kaiser wollte das Grundeigentum am Wald nicht zurückbehalten. Im Gegenteil. Die Stammsitzeigentümer in Gerlos haben das Angebot der kaiserlichen Kommission ausgeschlagen!
Der historische Hintergrund der heutigen Verhältnisse in der Ortsgemeinde Gerlos ist somit in der Tiroler Forstregulierung von 1847 zu suchen. Die Beamten der Forstservituten-Ablösungs-Kommission hatten den Stammliegenschaftsbesitzern von Gerlos im Spätherbst des Jahres 1849 ein ganz ähnliches Angebot unterbreitet wie beispielsweise den damaligen Stammliegenschaftsbesitzern von Gerlosberg, Rohrberg, Ramsau, Kaltenbach, Schwendau, Laimach, Aschau, Finkenberg, Tux oder anderen im Landgerichtsbezirk Zell gelegenen Gemeinden.
Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos haben den Abfindungsvergleich jedoch ausgeschlagen. Dies aufgrund einer außergewöhnlich hohen Steuerbelastung, die auf dem Gerloser Wald lastete und die die Stammliegenschaftsbesitzer übernehmen hätten müssen.
Die holzbezugsberechtigte Gemeinde Gerlos
Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos, im historischen Sprachgebrauch die (holzbezugsberechtigte) “Gemeinde Gerlos”, wurden dementsprechend nie Eigentümer einer Gemeinschaftsliegenschaft; das Waldeigentum ist “beim Kaiser” – richtig “k.k. Aerar”, verblieben. Im Zuge der Grundbuchsanlegung konnte deshalb auch das historische Eigentum der Nachbarschaft Gerlos nicht verwechselt werden mit demjenigen der politischen Ortsgemeinde Gerlos.
Die politische Ortsgemeinde Gerlos ist deshalb im Zuge der Grundbuchsanlegung mit keinerlei Wald- oder Almflächen bedacht worden; sämtliches Eigentum an den Wäldern, aber auch an allen öden Liegenschaften zwischen den Höfen und an den Wegen wurden als Eigentum des k.k. Aerar behandelt und so im Grundbuch einverleibt.
Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos haben auf diese Art nie für die von ihnen genutzten Wälder Grundsteuer bezahlt; im Gegenzug sind sie auch heute keine Eigentümer von Waldliegenschaften (abgesehen von Aufforstungen auf ursprünglichen Mähdern). Und weil die historische Gemeinschaft der Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos kein Eigentum besessen hat, konnte deren Eigentum im Zuge der Grundbuchanlegung – anders als in Gerlosberg – auch nicht irreführend als „Gemeindeeigentum“ im Grundbuch angeschrieben werden.
Die Verhältnisse in der Ortsgemeinde Gerlos machen deutlich, wem die Nutzungsrechte im historischen Staatsforst zugestanden haben und welcher Personengruppe im Fall einer Servitutenablösung die Eigentumsfläche als Gegenleistung zustand. Würde heute eine Servitutenablösung in Gerlos vereinbart, würde selbstverständlich die Ablösefläche, welche die Republik Österreich im Gegenzug für den Verzicht auf die Nutzungsrechte zur Verfügung zu stellen hätte, ausschließlich den 60 berechtigten Stammsitzen gehören. Die politische Ortsgemeinde würde leer ausgehen.
Am Beispiel der Gemeinde Gerlos wird eindrucksvoll deutlich, wem die Ablöseliegenschaften, die als Privateigentum aus der Tiroler Forstregulierung 1847 hervorgegangen sind, tatsächlich gehören: Es handelt sich um Gemeinschaftseigentum der abgelösten Grundbesitzer, der Gemeinschaft der Grundbesitzer, heute als Nachbarschaft bezeichnet, im historischen Sprachgebrauch auch “Gemeinde” genannt.
Nur wer ein Nutzungsrecht in Staatsforst besessen hatte, konnte an der Ablöseleistung beteiligt sein. Alles andere würde auf eine Enteignung der historischen Nutzungsrechte hinauslaufen.
Nutzungsrechte im kaiserlichen Forst
Die Liegenschaft in EZ 51 Grundbuch Gerlos, rund 7.500 ha Grund und Boden, großteils Wald, weist eine Besonderheit auf: Diese Liegenschaft ist mit zahlreichen Dienstbarkeitsrechten belastet – vornehmlich zugunsten von ca 60 alten Stammsitzen des Dorfes Gerlos. Diesen stehen neben Weiderechten insbesondere Rechte zum Bezug von Bau-, Nutz-, Zaun-, Brennholz und Streu sowie das Recht zum Bezug von Kalkholz, Bau- und Kalksteinen, Sand, Lehm und Schotter zu.
Diese ca 60 Servitutsberechtigten besitzen anstatt eines (gemeinschaftlichen) Waldeigentums heute noch Nutzungsrechte im Staatsforst – genannt “Einforstungsrechte” und kein Waldeigentum.
Wer servitutsberechtigt im k.k. Staatsforst gewesen ist, der wurde Miteigentümer der Ablöseliegenschaft, heute Agrargemeinschaft, wenn die Stammsitzeigentümer die Ablöse wollten. Die Instruktion für die Forstservituten-Ablösungs-Kommission vom 1. Mai 1847 definiert exakt und klar, wem abzulösende Rechte zustanden: Abzulösende Nutzungsrechte standen nur den „Bauern” zu, das waren “die Besitzer von Grund und Boden“. Gewerbetreibende waren nur dann nutzungsberechtigt, wenn sie – grob gesprochen – Feuerstattzins bezahlt haben.
Alle anderen, insbesondere die „Neubauten“ (aus der Sicht des Jahres 1847 [!]) waren vom Holzbezug im Staatsforst ausgeschlossen. Diese hatten sich ihren Holzbedarf auf „rechtlichem Weg“, d.h. gegen Bezahlung, zu beschaffen. Die Verhältnisse waren diesbezüglich nicht anders wie heute. Auch ein Kaiser hatte nichts zu verschenken!
Kommissionsbericht vom 21. Dezember 1849
Gemäß Instruktion vom 1. Mai 1847 war die Forstservituten-Ablösungs-Kommission verpflichtet, jeden abgeschlossenen Vergleich mit einem Bericht jedes einzelnen Kommissionsmitgliedes dem Ministerium vorzulegen. Der Bericht zu den im Landgerichtsbezirk Zell abgeschlossenen Vergleichen vom 21. Dezember 1849 ist in einer Ausfertigung im Tiroler Landesarchiv überliefert. Speziell die Verhältnisse in Gerlos betreffend berichten zwei der Kommissionsmitglieder folgende Details:
Aus dem “Protokoll, welches mit sämtlichen Komissionsgliedern über die Annehmbarkeit der im Landgerichte Zell abgeschlossenen Vergleiche aufgenommen wurde.
Dr. Anton Janiczek, Aushilfsreferent der kk. tirol. Kammerprokuratur: „Die Abfindungsversuche mit den übrigen Gemeinden des Landgerichtsbezirkes scheiterten theils an den überspannten Forderungen derselben, theils wie bei Brandberg u. Mayerhofen an der Uneinigkeit über die Abtheilung der gemeinschaftlich benützten Waldungen, die sie auch nicht in das gemeinschaftliche Eigenthum übertragen wollten, endlich auch u. zwar namentlich bei Gerlos an der Verweigerung der Steuerübernahme. Bei diesen Gemeinden erübrigt daher nichts anderes, als es vorläufig bei der bisherigen Einforstung zu belassen, jedoch auf eine bessere Waldwirthschaft hinzuwirken, und günstigere Verhältnisse zu einem etwaigen guten Abfindungsversuch abzuwarten, der seiner Zeit auch durch die Administrativbehörde eingeleitet werden könnte.“
Jakob Gaßer, kk. Gubernial Sekretär: „Die Ursache, warum mehrere Gemeinden des Zellerbezirkes zu keiner Abfindung vermacht werden konnten, läßt sich zumeist auf die eigenthümlichen Einforstungs- u. Steuerverhältnisse, vorzüglich aber auf die ungemessenen Ansprüche der Gemeindevertreter zurückführen; so zb. zahlt das Forstärar für die Gerloser Wälder jährlich bei 1200 f Steuer an den Steuerfond, welche Steuer zum großen Theil im Falle einer Abfindung die Gemeinde Gerlos übernehmen müßte, welches wohl nie zu erwarten sein dürfte.“
„Servitutenablösung“ heute?
Die „holzbezugsberechtigte Gemeinde Gerlos“, die nachweislich das Ablösungsangebot im Jahr 1849 nicht angenommen hat, weil die Liegenschaften mit außergewöhnlich hohen Steuerlasten belegt waren, setzt sich aus rund 60 Nutzungsberechtigten zusammen, die samt und sonders Eigentümer von Gerloser Stammsitzen sind. Da gibt es keine “Zugroasten” – es sei denn, sie hätten einen Stammsitz gekauft.
Bemerkenswert ist, wie diese Rechte der Gerloser Stammsitze heute reguliert sind: Die Stammliegenschaftsbesitzer sind berechtigt a) zum Bezug von Bau-, Nutz- und Zaunholz (in fm), b) zum Bezug von Brennholz (in rm), c) zum Bezug von Streu (Ast- und Bodenstreu in rm) d) zur Benützung des Waldbodens, nämlich zum Bezug von Kalkholz, Bau- und Kalksteinen, Sand, Lehm und Schotter; e) zur Ausübung der Weide (Kuhgräser, Schafgräser, usw usf – s Liegenschaft in EZ 51 GB Gerlos ca 7.500 ha).
Seltsam ist, dass „der Kaiser“ nichts vom Substanzrecht der Ortsgemeinde Gerlos wusste, anderenfalls er den Stammliegenschaftsbesitzern doch nicht das Recht einräumen hätte dürfen, Bau- und Kalksteine, Sand, Lehm und Schotter im Staatsforst abzubauen.
Und: Würden diese Rechte heute in Grund und Boden abgelöst, wem würde die Gegenleistung für den Verzicht auf diese „Einforstungsrechte“ wohl zustehen?
Einfach zum Nachdenken
Wenn die Bundesforste AG in der Katastralgemeinde Gerlos heute den Servitutenablösungsvergleich nachholen könnte, den die ca 60 Gerloser Stammliegenschaftsbesitzer im Jahr 1849 abgelehnt haben, wen würden die Österreichischen Bundesforste wohl in Grund und Boden ablösen?
Antwortvorschlag A: die politische Ortsgemeinde Gerlos
Antwortvorschlag B: die ca 60 Stammliegenschaftsbesitzer
Die richtige Antwort auf diese Frage sollte leicht zu geben sein!
Das Zillertal: Heimat der Verweigerungsgemeinden
Auffällig ist, dass gerade im hinteren Zillertal, das war seinerzeit der Gerichtsbezirk Zell (im Gegensatz zum Gerichtsbezirk Fügen), die Grundbesitzer es relativ oft abgelehnt haben, die mit ihren Stammsitzen verbundenen Forstservituten ablösen zu lassen. Während aus dem Oberland kaum Fälle bekannt wurden, dass eine holzbezugsberechtigte Gemeinschaft das Angebot der Forstservituten-Ablösungs-Kommission endgültig abgelehnt hätte, häufen sich derartige Fälle im hinteren Zillertal.
Aus dem “General Konspekt” vom 11. April 1850
Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall, Berg- und Forstrath, hat im April 1850 einen „General Konspekt“ über die Forstservituten Ablösung im Unterinnthaler Kreise erstellt. Die Verhandlungsergebnisse für den Landgerichtsbezirk Zell fasst er wie folgt zusammen:
“Zu X. Forstamt Zell, Landgericht Zell
Abfindungsmodalitäten:
Die Gemeinden 1 bis inklusive 9 (das sind Tux, Finkenberg, Rohrberg, Kaltenbach, Aschau, Gerlosberg, Ramsau, Laimach, Schwendau) sind von der Waldservituten-Ablösungskommission abgefunden worden, die übrigen sind dermalen noch unabgefunden. [Hinweis. Das waren: 10 Distelberg, 11 Hainzenberg, 12 Schwendberg, 13 Zellberg, 14 Zell, 15 Gerlos, 16 Mayrhofen, 17 Brandberg]
Bedeckungsverhältnisse:
Das Landgericht Zell zählt 1842 Familien, 9405 Seelen. Es entfallen 6,5 Klafter rechtlichen Holzbezugs, 21,5 Jauch produktive Waldfläche, 6,3 Klafter gegenwärtigen Ertrages auf die Familie. Es muss sohin zur vollständigen Holzbedeckung der gegenwärtige Ertrag von 0,28 Klafter auf 0,29 Klafter pro Jauch produktiv erhöht werden.
Sonstige Bemerkungen:
ad 2 (Finkenberg): Die unabgefundene Fraktion Dornauberg ist mit ihrem Holzbedarfe von 73 Klaftern gleich wie der Alpholzbezug von dem Ertrage der betreffenden vom Staatswalde bereits in Abschlag gebracht.
ad 3 (Rohrberg): Diese Gemeinde hat eine Taxstreuaushilfe gegen Abgabe von 6 Fichtenstämmen an den Goldbergbau erhalten.
ad 6 (Gerlosberg): Dieser Gemeinde wurde eine jährliche Schindelholzaushilfe bei erwiesenem Mangel gegen Ersatz der Gestehungskosten oder Stellung eines gleichen Brennholzquantums zugestanden.
ad 9 (Schwendau): Der Holzbedarf der unabgefundenen Gemeindefraktion Mühlau pro 72 Klafter ist samt dem Alpholzbezuge von dem Ertrage der betreffenden reservierten Staatswälder bereits in Abzug gebracht.
ad 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9 (das sind Finkenberg, Kaltenbach, Aschau, Gerlosberg, Ramsau, Laimach, Schwendau): Diese Gemeinden haben die bisher entrichteten Forstgebühren kapitalisch abgelöst.”
(General Konspekt über die Forstservituten Ablösung im Unterinnthaler Kreise, vom 11. April 1850, Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall, Berg- und Forstrath)
Aus dem Kommissions-Protokoll vom 21. Dezember 1849
Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall, Berg- und Forstrath, gibt im Protokoll, welches die Komissionsglieder über die im Landgericht Zell abgeschlossenen Vergleiche am 21. Dezember 1849 aufgenommen haben, interessante Erklärungen zur Kommissionsarbeit im hinteren Zillertal:
“Das Zillertal gehörte ehedem zum salzburgischen Gebiete. – An die Stelle der Verleihwaldungen, wie sie im Unterinnthale vorkommen, sind hier die sogenannten Freigelacke getreten, welche sich jedoch von den erstern bloß durch die Benennung unterscheiden. Es sind dies nemlich größtentheils aufgetheilte Waldungen, für welche die Theilinhaber den Kaufgroschen und für Verkaufsholz eine bestimmte geringe Abgabe an die Forstkasse entrichten. Von der Forsteigenth: Purif: Komission theils bedingt gegen Fortentrichtung der Forstpreise, theils unbedingt anerkannt, war es hier wie dort Aufgabe der Ablösungs Komission, die mit Waldtheilen entweder gar nicht versehenen, oder mit denselben nur unvollständig gedeckten Eingeforsteten zu befriedigen und nebenbei die kapitalische Ablösung der bisher entrichteten Forstpreise zu bewirken.
Die Verfolgung beider dieser Zwecke stieß jedoch hier auf ganz besondere Schwierigkeiten.
Die Viehzucht, welche im Zillerthal in den ausgedehntesten Maßen betrieben wird, indem sich der Viehhandel bis nach Russland erstreckt – hat einen so übermäßigen Bedarf an Waldstreu hervorgerufen, daß die Gewinnung derselben nur mehr mit dem größten Nachtheil für den Wald statt finden kann, wovon die bis auf die Wipfeln verstümmelten Bäume einen traurigen Beweis geben.
Diesem unwirthschaftlichen Gebaren in den freigelackten Waldungen, die mehr oder weniger als Privateigenthum betrachtet wurden, Einhalt zu thun, ist bisher trotz allen Bemühungen nicht gelungen, und so mußte sich die schädliche Rückwirkung auf den Holzertrag bald zum Nachtheil der übrigen Staatswälder geltend machen. Die Streugewinnung von den letztern Wäldern fernzuhalten, war man schon längst nicht mehr im Stande, nun ließen sich auch die genehmigten Holzbedürfnisse nicht mehr abwehren, und also kam es, daß gegenwärtig ausser in einigen entferntern Thälern, wie das Gerloser und Dornauberger Thal oder dem Zillergrund, – fast alle Staatswaldungen durch die Bedürfnisse der Unterthanen so belastet sind, daß ein Holzbezug zu Aerarial Zwecken schon seit Jahren nicht mehr statt finden konnte, und auch für die Zukunft nicht zu erwarten stand.
Da nun überdies die Wälder in diesen Landestheilen vom Staate versteuert werden, und in demselben Maße mit Gemeinde Wüstungen belegt sind, so hat das Aerar für den größten Theil der Waldungen nur Lasten zu tragen, ohne irgend einen Vortheil zu geniessen.
Aber selbst die entfernteren Thäler und Gründe bleiben nicht fern von jeder Belastung, indem die Gemeinden häufig Bauholzaushilfen aus denselben erfüllen. Ausserdem haben die größeren Komerzien Gewerbe, namentlich die Sensen Schmiede, ihr Gewerbeholz aus den letztgenannten Wäldern bezogen, ja einige von ihnen sprachen sogar ein Recht zum Holzbezuge gegen den mindern oder höhern Forstpreis an.”
Auszug aus: Protokoll, welches mit sämtlichen Komissionsgliedern über die Annehmbarkeit der im Landgerichte Zell abgeschlossenen Vergleiche aufgenommen wurde, 21. Dezember 1849, Moritz v. Kempelen, Berg- und Salinen-Directions-Assessor in Hall
Auf dem heutigen Gebiet der Ortsgemeinde Schwendau bestanden Mitte des 19. Jahrhunderts folgende Forstverhältnisse: Das Dorf Schwendau und der Weiler Burgstall nutzten jeweils eigene Waldgebiete. Bei den Nachbarn im Weiler Mühlen bestand die Besonderheit, dass diese, obzwar Teil der politischen Gemeinde Schwendau, nach den Forstnutzungsverhältnissen in Gemeinschaft mit den Bewohnern der Nachbargemeinde Hippach standen, damals als „Schwendberg“ bezeichnet. Die Stammliegenschaftsbesitzer von Mühlen nutzten somit ein Gemeinschaftsgebiet mit denen von Hippach, obwohl sie politisch der Gemeinde Schwendau zugeordnet waren.
KEIN ABLÖSUNGSVERGLEICH IN HIPPACH
Der Forstservituten-Ablösungskommission ist es gelungen, mit Vergleich vom 20. Dezember 1849 die Forstservituten der Schwendauer und der Burgstaller abzulösen. Entsprechend der üblichen Terminologie in diesen historischen Dokumenten wurden die Stammliegenschaftsbesitzer von Burgstall unter der Bezeichnung „Fraktion Burgstall“ erfasst, die aus Schwendau als „Fraktion Schwendau“. Die Stammliegenschaftsbesitzer von Mühlen verhandelten gemeinsam mit denjenigen von Hippach, wo die Kommission erfolglos war. Die Hippacher, einschließlich der Nachbarn von Mühlen blieben deshalb im Staatsforst „eingeforstet“, heute Bundesforste.
Im Bericht der Forstservituten-Ablösungskommission vom 21. Dezember 1849 bemerkte das Kommissionsmitglied Dr. Anton Janiczek, Aushilfsreferent der k. k. tirol. Kammerprokuratur, dazu Folgendes: „Die Sieberlagler Güter, welche nach der politischen Eintheilung zur Gemeinde Laimach gehören, werden ihre bisherigen Einforstungsrechte in Staatswaldungen aus dem Grunde behalten, weil sie die Waldbenützung gemeinschaftlich mit der nicht abgefundenen Gemeinde Schwendberg [heute: Hippach] ausüben, von welcher sie nicht getrennt werden konnten. In derselben Situation befindet sich die Fraktion Mühlen, welche in politischer Beziehung zur Gemeinde Schwendau gehört, aber in den Staatswaldungen gemeinschaftlich mit der Gemeinde Schwendberg eingeforstet ist.“ Die damals bestätigten Einforstungsrechte an den heutigen Bundesforsteliegenschaften auf Gemeindegebiet von Hippach bestehen noch heute. Diese Einforstungsrechte stehen nur den historischen Stammsitzen zu. Gemäß Servitutenpatent von 1853 können Forstnutzungsrechte seit dem Jahr 1853 nicht mehr neu ersessen werden.
SCHWENDAU WIRD 1928 REGULIERT
Im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung wurden die beiden aus dem Ablösungsvergleich vom 20. Dezember 1849 hervorgegangenen Gemeinschaftsgebiete der Schwendauer und der Burgstaller – entsprechend der Bezeichnung im Servituten-Ablösungsvergleich vom 20. Dezember 1849 – unter den Etiketten „Fraktion Schwendau“ und „Fraktion Burgstall“ erfasst. Wegen Unstimmigkeiten bei der Gemeinschaftsnutzung versuchten die Schwendauer beginnend ab dem Jahr 1905 die Aufteilung ihres Gemeinschaftsgebietes zu erreichen. Diese Bemühungen waren jedoch erfolglos. In den 1920er Jahren wurde jedoch nach dem neuen (Tiroler) Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz von 1909 eine Regulierung „als Fraktionsgut“ erreicht. Mit Register der Anteilsrechte vom März 1926 und Generalakt vom 15. September 1928 wurde durch die Agrarbehörde eine Ergänzung der Gemeindeordnung verfügt: Es wurde eine Verwaltung des Gemeinschaftsgebietes getrennt vom Gemeindeeigentum angeordnet, es wurde ein „Fraktionsausschuss“ konstituiert, der den „Schwendauer Wald“ nach den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnung über die Verwaltung des Gemeindegutes verwaltet; als durchführende Organe der Verwaltung habe dieser aus der Mitte der Teilgenossen einen Obmann, einen Obmannstellvertreter und einen Kassier zu bestellen, und zwar für die Dauer der Funktionsperiode des Gemeinderates; dies nach näheren Vorgaben der Agrarbehörde. Schließlich stellte die Agrarbehörde fest, dass „Fraktion Schwendau“ aus einer taxativ aufgezählten Anzahl von Stammsitzliegenschaften des Dorfes Schwendau bestehe; konkret wurden 48 anteilberechtigte Stammsitze festgestellt. Die körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft erfolgte jedoch nicht, weil das Tiroler Teilungs-Regulierungs-Gesetz 1909 dies für Agrargemeinschaften in Gemeindeverwaltung nicht vorgesehen hat.
In Burgstall kam es erst im Jahr 1958 zu Beschwerden der Nutzungsberechtigten und in Konsequenz zur Einleitung der Regulierung. Seitens des bestellten Gemeindevertreters, Bürgermeister Johann Spitaler, wurde am 3. Oktober 1958 im Regulierungsverfahren die Erklärung abgegeben, dass die
Gemeinde Schwendau keinen Anspruch auf Nutzung des Burgstallwaldes erhebe und dass zugestimmt werde, wenn kein Anteilsrecht zuerkannt werde. Mit Bescheid vom 12. August 1959 wurde entschieden, dass neun Stammsitze in Burgstall, nicht jedoch die Ortsgemeinde Schwendau, anteilberechtigt wären. Diese Feststellungen wurden im Regulierungsplan der Agrargemeinschaft Burgstall vom 27. Februar 1967 wiederholt. Unter einem hat die Agrarbehörde über die Eigentumsverhältnisse am Gemeinschaftsgebiet der Burgstaller entschieden. Das Gemeinschaftsgebiet der Burgstaller wurde als Eigentum der Agrargemeinschaft Burgstall festgestellt. Das Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz 1909 war in der Zwischenzeit vom Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 1935, und dieses vom Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 1952 abgelöst worden. Eine bestehende Gemeindeverwaltung war danach kein Hindernis mehr für die körperschaftliche Einrichtung einer Agrargemeinschaft.
ATYPISCHE FRAKTION BURGSTALL
Auf Grund dieser geänderten Rechtslage kam es bei Agrargemeinschaft Schwendau im Jahr 1964 zu einer Revision des Regulierungsplanes; auch Agrargemeinschaft Schwendau wurde als juristische Person „körperschaftlich eingerichtet“. Unter einem hat die Agrarbehörde auch im Fall des Schwendauer Gemeinschaftsgebietes über die Eigentumsverhältnisse entschieden. Auch hier wurde die Agrargemeinschaft als Eigentümerin festgestellt.
Mit Erkenntnis vom 5. April 2012 hat der Landesagrarsenat in Tirol befunden, dass Agrargemeinschaft Schwendau nicht aus „Gemeindegut“ reguliert wurde; der Ortsgemeinde Schwendau steht danach kein Substanzrecht am Regulierungsgebiet zu. Im Fall von Agrargemeinschaft Burgstall entschied dieselbe Behörde mit Erkenntnis vom 26. April 2012, dass eine Regulierung aus „Gemeindegut“ vorliege. Im Fall der ehemaligen Fraktion Burgstall stehe deshalb – anders als im Fall der ehemaligen Fraktion Schwendau – der Ortsgemeinde Schwendau heute das Substanzrecht am Regulierungsgebiet zu. Burgstall ist demnach eine „atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft“; die Burgstaller Stammliegenschaftsbesitzer fungieren demnach als „Hausmeister der Ortsgemeinde“, die „Gemeindesubstanz“ verwalten. Seit 1. Juli 2014 verfügt in allen Angelegenheiten der bestellte Staatskommissar der Ortsgemeinde Schwendau, der „Substanzverwalter“. Die Schwendauer sind dagegen als wahre Eigentümer ihres Gemeinschaftsgebietes anerkannt.
Diese Erkenntnisse des Landesagrarsenates Tirol zu den Gemeinschaftsliegenschaften von Schwendau und Burgstall sind in konsequenter Anwendung der Grundsatzentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom Juni 2011 gefällt worden. Danach ist es für die Feststellung von „atypischem Gemeindegut“ ohne Bedeutung, wer der wahre Eigentümer des Regulierungsgebietes ursprünglich gewesen ist. Entschieden wird vielmehr danach, ob die Agrarbehörde seinerzeit eine „Gemeindeguts- bzw. Fraktionsgutqualifizierung“ vorgenommen hat oder nicht. Eine solche Gemeindegutsqualifizierung soll bei den Burgstallern erfolgt sein, bei den Schwendauern hingegen nicht. Dass das agrargemeinschaftliche Eigentum der ehemaligen Fraktion Burgstall aus demselben Servituten-Ablösungsvergleich hervorging wie dasjenige der Schwendauer, ist laut höchstgerichtlicher Erkenntnis irrelevant.
Gedingstatt Zams, das sind ca. 5400 ha atemberaubende Felskulisse mit eingestreuten Weide- und Waldflächen, in Summe ein rundes Dutzend Almen, die seit Jahrhunderten von den Nachbarn von Angedair, Schönwies, Zams und Zamerberg gemeinsam bewirtschaftet werden. Neun Almgebäude werden für den Almbetrieb erhalten, von denen drei mit Solarenergie ausgestattet sind. Rund 40 Kilometer Wege und Stege führen durch das Gebirge, damit das Vieh sicher auf-, ab- und umgetrieben werden kann. Das Alter der Agrargemeinschaft lässt ihr Name erahnen: Im Begriff „Gedingstatt“ steckt der altdeutsche Begriff „Thingstatt“ = Gerichtsstätte, wo sich Mitglieder der Gerichtsgemeinde versammelten, um Recht zu sprechen. Im Stanzertal existiert ein Pendant dazu: das „Zweidrittelgericht Landeck“. Im Zuge der „Tiroler Forstregulierung“ wurden die Eigentumsverhältnisse am Gemeinschaftsgebiet der „Gedingstätter“ überprüft: Es wurde Privateigentum bestätigt („purifiziert“). Die Forsteigentums-Purifikations-Tabelle des Landgerichts Landeck nennt als Rechtsgrundlage einen Grenzmarkbrief vom Jahr 1452 sowie Kaufverträge vom 25. März 1536, 20. September 1806 und 28. Oktober 1816. Die Grundbuchanlegung hat im Jahr 1925 lediglich „Ersitzung“ und einen Kaufvertrag vom 30. November 1925 als Eigentumstitel angezogen. In den Augen der Grundbuchanlegungsbeamten erschien die „Gedingstatt“ als ein Verband, bestehend aus „der Gemeinde Schönwies und den den Gemeindefraktionen Zams, Zamerberg und Angedair“.
Hans Portner, Dorfvogt
Bevollmächtigter des “Dingstuhls zu Zams”
Wie dieses Gebilde nach historischem Recht organisiert war, lässt ein Kaufvertrag erahnen, der im Gemeindearchiv von Zams, „Archiv Madau“, verwahrt wird. Am 25. März 1536 kaufte der Bevollmächtigte des „Dingstuhls zu Zams“, Hans Portner, Dorfvogt zu Zams, um 175 Gulden von Christian Gramayser und seiner Ehefrau Barbara den Röthof im Röttal, das „Bau- und Lehenrecht der Behausung, Hofmark, Stück und Güter in Madau“. Die Urkunde wurde von Thomas Schweitzer, Richter zu Landeck, gesiegelt. Demnach war ein „Dingstuhl zu Zams“ im 16. Jahrhundert als eine juristische Person anerkannt, die durch einen Vertreter Kaufgeschäfte tätigen konnte. Der Rechtsbegriff „Agrargemeinschaft“ zur Bezeichnung solcher Gebilde hat erst im 20. Jahrhundert breiteren Eingang in die Rechtssprache gefunden. Früher nannte man diese Gebilde einfach „Gericht“, häufiger „Gemeinde“ oder eben „Gedingstatt“ – jeweils in Verbindung mit dem Namen der betreffenden Nachbarschaften. Die falsche Rechtsauffassung der Grundbuchanlegungsbeamten aus dem Jahr 1925, wonach die Eigentümerin ein „Gemeindeverband“ sei, der aus der Gemeinde Schönwies und den Gemeindefraktionen Zams, Zamerberg und Angedair bestehen soll, konnte an den wahren Rechtsverhältnissen nichts ändern.
Das „atypische Gemeindegut“ ist bekanntlich jenes, wo das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft zusteht, das Substanzrecht jedoch der Ortsgemeinde.
Im Blick auf dieses Substanzrecht der Ortsgemeinde wurde jede der drei Agrargemeinschaften von Obertilliach, das sind die
# Agrargemeinschaft Bergen,
# Agrargemeinschaft Leiten und die große
# Agrargemeinschaft Dorf mit Rodarm,
unterschiedlich beurteilt.
Verwunderlich ist nur, dass die Gemeindebewohner nie etwas davon bemerkt haben, dass bei jeder dieser drei Agrargemeisnchaften ganz unterschiedliche Verhältnisse herrschen.
In Obertilliach hat die Suche der Tiroler Agrarbehörde nach dem sogenannten „atypischen Gemeindegut“ gar verwunderliche Ergebnisse hervorgebracht:
Obwohl alle Nachbarn in der Gemeinde seit Menschengedenken Alm, Wald und Weide in gleicher Art und Weise nutzen, soll eine der drei Agrargemeinschaften, nämlich die der Nachbarn von Bergen mit 25 Mitgliedern, zu 100 % aus „atypischem Gemeindegut“ bestehen, diejenige der Nachbarn von Leiten mit 11 Mitgliedern, soll teilweise aus atypischem Gemeindegut bestehen, während die dritte, nämlich diejenige der Nachbarn von Dorf mit Rodarm mit 70 Mitgliedern, keinerlei „atypisches Gemeindegut“ aufweist.
WO SIND DIE DIEBE AM GEMEINDEGUT?
Agrargemeinschaft Dorf mit Rodarm, die mit Abstand größte Agrargemeinschaft der Gemeinde Obertilliach, ist zu 100 % „gemeindegutsfrei“.
Drei Agrargemeinschaften gibt es im Dorf; drei Mal wurde unterschiedlich entschieden: Die Nachbarn von Dorf und Rodarm behalten das gesamte Gemeinschaftsgut; die Nachbarn von Leiten behalten ein bisschen davon; die Nachbarn von Bergen verlieren das gesamte Gemeinschaftsgut.
Warum das so sei erklären die Juristen der Agrarbehörde folgendermaßen: Anders als der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlg 19.424/2010 angeordnet hat, muss zur Entscheidung über atypisches Gemeindgeut nicht das wahre Eigentum geprüft werden, sondern die „Qualifikation durch die Agrarbehörde„. Jene Mitglieder, deren Gemeinschaftsgebiet als „Gemeinschaftsgebiet“ „qualifiziert“ wurde, sind frei vom Substanzrecht der Ortsgemeinde; jene Gemeinschaftsgebiete, die als „Gemeindegut“ oder „Fraktionsgut“ qualifiziert wurden, haben nun das Substanzrecht picken. Die Mitglieder verlieren alles – nicht aufgrund einer ernsthaften Prüfung der wahren Eigentumsverhältnisse, sondern wegen einer willkürlichen historischen Zufälligkeit (siehe dazu: VwGH: Buchstabensuppelesen statt Faktencheck!)
„Von wegen der unterschiedlichen historischen Qualifizierung durch die Agrarbehörde!“ Die Nachbarn von Obertilliach haben jedenfalls nicht verstanden, warum eine angebliche „Qualifizierung“ durch die historische Agrarbehörde ausschlaggebend dafür sein soll, ob man heute als Dieb behandelt wird oder als Eigentümer.
EINHEITLICHE BEURTEILUNG IN DER VERGANGENHEIT
Es ist nachvollziehbar, dass diese unterschiedliche Behandlung bei den betroffenen Grundbesitzern in Obertilliach auf wenig Verständnis stößt. Eine so unterschiedliche Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaften in Obertilliach hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. In den 1940er Jahren hatten sich die Nachbarn von Obertilliach gemeinschaftlich beschwert, weil ihre Gemeinschaftsliegenschaften durch die neue Nazi-Führung enteignet wurden. Auf der Grundlage einer „Niederschrift vom 07. April 1939“ war bei allen drei agrargemeinschaftlichen Liegenschaften die „Gemeinde Obertilliach“ im Grundbuch als Eigentümerin einverleibt worden; die Obmänner der Agrargemeinschaften hatten alle Verwaltungsunterlagen, die Bankguthaben und die Handkasse dem Bürgermeister zu übergeben. Mit ihrer Beschwerde über diese Enteignung waren die Obertilliacher nicht alleine. Ganz Osttirol war auf den Beinen, als nach Einführung der Deutschen Gemeindeordnung zum
1. Oktober 1938 die Bürgermeister in Wald und Feld das Kommando übernehmen sollten. Der Kärntner Agrarjurist Dr. Wolfram Haller, der noch unter NS-Herrschaft mit der Untersuchung dieser Vorgänge in Osttirol beauftragt war, berichtete dazu Folgendes: „Bitter wirkte sich die enge Verbundenheit der Agrargemeinschaften als Fraktionen mit der Gemeinde im Agrarbezirk Lienz aus. Ein aus dem Altreich gekommener Landrat, der mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut war, löste sofort alle Fraktionen auf Grund der Einführungsverordnung zur Dt. Gemeindeordnung auf und führte die Fraktionsgüter ins Vermögen der Gemeinden über. Dadurch entstand eine derartige Unruhe unter den Bauern, dass sogar das Reichssicherheitshauptamt in Berlin Erhebungen pflegen ließ. Eine Abordnung Tiroler Bauern unter Führung des vulgo Plauz in Nörsach kam zu mir nach Villach und bat dringend um Hilfe. Plauz erklärte, dass eher Blut fließen werde, als dass sich die Bauern ihre alten Rechte nehmen ließen.“
DR. WOLFRAM HALLER PRÜFTE
Dr. Wolfram Haller hat in der Folge auch in Obertilliach die Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften geprüft. In seinem Bericht vom 31. Dezember 1941 schrieb er dazu Folgendes: „Gemeinde Obertilliach: Eine Verhandlungsniederschrift wurde nicht aufgenommen, da der Bürgermeister erklärte, seine Stellungnahme erst nach reiflicher Überlegung abgeben zu können. Mit Schreiben vom 11. November 1941 hat dann der Bürgermeister mitgeteilt, dass der Gemeinderat grundsätzlich bereit ist, den als Gemeindegliedervermögen eingezogenen Grundbesitz der ehemaligen Fraktionen Leiten, Bergen und Dorf mit Rodarm wieder auszuscheiden. Die Voraussetzungen hiefür sind gegeben. Über Einschreiten des Landrates wurde aufgrund der Verhandlungsniederschrift vom 7. April 1939 die Liegenschaft in EZ 14 II, 15 II und 72 II der KG Obertilliach als Gemeindegliedervermögen übernommen, da grundbücherlich die Fraktionen Bergen, Leiten bzw. Dorf mit Rodarm als Eigentümer einverleibt waren. Es liegt eine unrichtige Eintragung bei der Grundbuchsanlegung vor. Diese Liegenschaften gehörten nach ihrer geschichtlichen Entwicklung Agrargemeinschaften.“
Im Sommer 2012 hat o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber, Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz, im Auftrag der Tiroler Landesregierung die Vorgänge in Osttirol während der NS-Herrschaft untersucht und die historischen Grundlagen nachvollzogen. Im Osttiroler Lesachtal, mit den Ortsgemeinden Kartitsch, Obertilliach und Untertilliach, war zu berücksichtigen, dass diese Landesteile ehemals dem Bistum Brixen zugeschlagen waren, das dort die grundherrschaftlichen Rechte ausübte. Roman Sandgruber führt dazu in seinem Gutachten vom Oktober 2012 Folgendes aus: „Bei den bischöflichen Mensalwaldungen wurden die Einforstungsrechte durch die Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungskommission behandelt. Wie aus den Servitutenoperaten der Gemeindebereiche Assling, Anras, Obertilliach und Untertilliach hervorgeht, erfolgte die Ablösung der Holzbezugsrechte in der Weise, dass durch Sachverständige der durch die Eigenwälder nicht befriedigte Haus- und Gutsbedarf der berechtigten Güter erhoben und die zur Deckung dieses Abgangs benötigte Waldfläche ins Eigentum der Berechtigten abgetreten wurde. In den Servitutenoperaten im Bereiche der Gemeinde Obertilliach wurde vorerst das Eigentumsrecht an den früheren Staatswaldungen im Vergleichswege dadurch bereinigt, dass die fürst-bischöfliche Mensa zu 2/3 und die Gemeinde Obertilliach auf Grund der kaiserlichen Entschließung vom Jahre 1847 als Rechtsnachfolgerin des Forstärars zu 1/3 als eigentumsberechtigt anerkannt wurden. Im Erkenntnis der Grundlasten-Ablösungs- und Regulierung-Landeskommission vom 25. April 1868 Nr. 180/13 wurde sodann ausdrücklich festgestellt, dass die Gutsbesitzer die Rechte ohne Rücksicht auf die Gemeinde oder den Fraktionsverband, sondern lediglich als Eigentümer bestimmter Güter ausgeübt haben, daher die Rechte sich als wirkliche Servituten darstellen.“
PROFESSOR SANDGRUBERS URTEIL
Roman Sandgruber in seinem Gutachten vom Oktober 2012 weiter: „Als Beispiel sei die Fraktion Leiten und Bergen gewählt: Unter den berechtigten Gütern, deren Servitutsrechte durch Abtretung von Grund und Boden abgelöst wurden, erscheinen im Erkenntnis außer den Höfen, Gebäulichkeiten, Wege und Brücken der Ortschaften Bergen und Leiten. Es heißt in der Urkunde: ‚Die abgetretenen Waldpartien, welche zur Deckung des Holz- und Streubezugs für die bisher herrschenden Anwesen der Fraktion Leiten und Bergen bestimmt sind, haben ein Zugehör dieser Güter zu bilden. Die den Hofbesitzern von Leiten, dann den Hofbesitzern von Bergen abgetretenen Waldungen bilden zwar ein gemeinschaftliches Eigentum, jedoch der ideelle Anteil eines jeden Mitbesitzers wird in seiner Intensität durch das festgestellte Bedarfsquantum an Holz und Streu geregelt und formiert, worauf bei einer künftigen Aufteilung eine entscheidende Rücksicht zu nehmen ist.‘ Diese als ‚Fraktion Leiten‘ bezeichnete moralische Person wurde sowohl im Erkenntnis der Grundlasten-Ablösungs- und Regulierung-Landeskommission vom 25. April 1868 wie auch im Regulierungsvergleich vom 7. Jänner 1891 ausdrücklich als ‚Nachbarschaft‘ bezeichnet. In ganz gleicher Weise wurden die Servitutsrechte im Bereich der Gemeinde Untertilliach behandelt. Das galt für alle von der fürst-bischöflichen Mensa abgetretenen Wälder.“
Professor Sandgruber bestätigte somit aus heutiger Sicht die Beurteilung durch den Agrarjuristen Dr. Wolfram Haller. Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften in Bergen und Leiten, Gemeinde Obertilliach, waren die jeweiligen Nachbarschaften der Grundeigentümer in der Gemeinde. Dass trotz dieser eindeutigen Expertise zu den wahren Eigentumsverhältnissen in Leiten und Bergen einmal teilweise, einmal zur Gänze auf „atypisches Gemeindegut“ entschieden wurde, ist Folge der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, welche die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 10. Dezember 2010 systematisch ignoriert und die Beweisführung zu den wahren Eigentumsverhältnissen einfach ausschließt.
ATYPISCH-TYPISCH TIROL
Bekanntlich hat der Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass nicht die wahren Eigentumsverhältnisse den Ausschlag geben, sondern eine „Qualifizierung durch die Agrarbehörde“. „Atypisches Gemeindegut“ sei heute anzunehmen, wenn die historische Agrarbehörde ein „Gemeindegut“ oder ein „Fraktionsgut“ angenommen habe. Eine solche Entscheidung der Behörde sei wegen Rechtskraft heute unbekämpfbar und unüberprüfbar. Ob diese Entscheidung richtig war oder falsch, sei irrelevant – Rechtskraft heile alle Mängel. Dazu der Verwaltungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom 30. Juni 2011 Zl 2010/07/0075: Es „erübrigt sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfene rechtshistorische Fragestellungen. Darauf, ob die entscheidungswesentliche Feststellung im Bescheid vom 17. Juni 1949 zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“
Diese Rechtsauffassung ist für einen Rechtsstaat inakzeptabel; dies aus mehreren Gründen. Schwer ins Gewicht fallen vor allem zwei Argumente: Zum einen, dass der Verfassungsgerichtshof zu eben dieser Agrargemeinschaft Unterlangkampfen rund sechs Monate zuvor am 10. Dezember 2010 in seinem „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ VfSlg 19.262/2010 ausgesprochen hat, dass im historischen Tiroler Flurverfassungsrecht der Begriff „Gemeindegut“ im Sinn von Eigentum einer Agrargemeinschaft verwendet wurde. Die heutige Schlussfolgerung von historischem Gemeindegut auf historisches Eigentum einer Ortsgemeinde sei deshalb ein Trugschluss. Zum anderen, dass die historische Agrarbehörde bei der Annahme von „Gemeindegut“ oder „Fraktionsgut“ keinesfalls konsequent vorgegangen ist. Aus historischer Sicht war die Entscheidung für ein „Gemeinde- oder Fraktionsgut“ absolut untergeordnet. Wesentlich war, was im Regulierungsverfahren bezüglich der Eigentumsverhältnisse vereinbart und bescheidmäßig umgesetzt wurde. Die heutige Auslegung der historischen Bescheide anhand einer Rechtsauffassung, die vom damaligen Flurverfassungsrecht nicht gedeckt war, führt deshalb zu inhaltlich falschen, willkürlichen Ergebnissen. Dies zeigt sich deutlich, wenn man die heutige „Gemeindegutsbeurteilung“ von Agrargemeinschaften mit gleicher oder ähnlicher historischer Entwicklung vergleicht.
Niederthai ist eine Ortschaft der Gemeinde Umhausen im Bezirk Imst. Niederthai liegt auf rund 1540 m Seehöhe am Horlachbach oberhalb des Stuibenfalls. Zur Ortschaft gehören neben „Niederthai Dorf“ die Weiler Bichl, Lehen und Überfeld sowie die Rotten Ennebach, Höfle, Sennhof und Tölderboden. Das Tal des Horlachbaches verläuft in Niederthai von Osten nach Westen. Der Horlachbach trennt den Wald in eine Sonnseite und eine Schattseite; letztere wird im Ötztal „Neaderseite“ genannt. Die Niederthaier haben es sich einfach gemacht: Den Wald auf dem südseitigen Hang nennen sie seit jeher den „Neaderwald“; denjenigen am Nordhang „Sonnseite“. In den Wäldern auf beiden Seiten des Tales wurden Anfang des 19. Jahrhunderts sogenannte Waldteilungen durchgeführt. Ein landesfürstlicher Waldmeister hat mit seinen Gehilfen gleichwertige Waldstücke ausgewiesen, die dann den einzelnen Nachbarn zugelost wurden. Deshalb werden diese Waldteile heute noch „Lusse“ genannt.
Ob ursprünglich alle Hofstellen von Niederthai sowohl im Neaderwald als auch sonnseitig beteiligt waren, könnte anhand dieser Waldteilungsprotokolle nachvollzogen werden. Auf den Zeitpunkt der Regulierung der beiden Gemeinschaftswälder als Agrargemeinschaften Anfang der 1980er Jahre wurden jedenfalls unterschiedliche Beteiligungsverhältnisse festgestellt: Für den „Neaderwald“ hat die Agrarbehörde im Februar 1982 35 mitberechtigte Liegenschaftsbesitzer festgestellt. Diese wurden als „Agrargemeinschaft Neaderseite-Niederthai“ organisiert. Für den „Sonnseitenwald“ wurden knapp ein Monat später, im März desselben Jahres, 30 Mitberechtigte festgestellt. Diese wurden als „Agrargemeinschaft Sonnseite-Sennhof“ reguliert. Mehr als die Hälfte der Mitglieder von Agrargemeinschaft Sonnseite-Sennhof wurden gleichzeitig als Mitglieder der Agrargemeinschaft Neaderseite festgestellt.
GLEICHES MUSS …
Die Grundbuchanlegung in der Katastralgemeinde Umhausen datiert in den wesentlichen Teilen vom August 1909. Die Gemeinschaftsliegenschaften auf der „Neaderseite“ wurden unter der Eigentümerbezeichnung „Fraktion Niederthay Neaderseite“ erfasst; diejenigen auf der Sonnenseite unter der Eigentümerbezeichnung „Fraktion Niederthay Sonnseite“. Bei beiden Liegenschaftskomplexen hatte die Grundbuchanlegung den identen Eigentumstitel angezogen und im sogenannten Hauptbuch der Grundbuches Folgendes vermerkt: „Aufgrund der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli, verfacht 12. September 1848, wird das Eigentumsrecht für die Fraktion Niederthay Neaderseite (Fraktion Niederthay Sonnseite) einverleibt.“ Im Zuge des agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens, abgeschlossen im Februar 1982 (Agrargemeinschaft Neaderseite) sowie März 1982 (Agrargemeinschaft Sonnseite), hat die Agrarbehörde einheitlich für beide Regulierungsfälle entschieden, dass die jeweiligen Liegenschaften Eigentum der Agrargemeinschaften seien. Der Ortsgemeinde Umhausen wurde in beiden Fällen kein Anteilsrecht an den Agrargemeinschaften zuerkannt.
Aufgrund einer (scheinbar) identen Ausgangslage würde man sich erwarten, dass beide Liegenschaften im Blick auf die Suche nach „atypischem Gemeindegut“ im Tiroler Agrarstreit einheitlich beurteilt würden. Beide Waldstücke scheinen dieselbe Eigentumsgeschichte zu haben und die Personengruppe, die diese Waldstücke „seit Menschengedenken“ genutzt hat, überschneidet sich gut zur Hälfte. Der offenkundige Unterschied, dass der eine Wald auf der Schattseite des Tales gelegen ist und der andere auf der Sonnseite, kann rechtlich nicht ins Gewicht fallen. Der Landesagrarsenat hat dies anders gesehen. Ident beurteilt wurden nur die aufgeteilten Waldstücke, die sogenannten „Teilwälder“, unterschiedlich dagegen die ungeteilten Waldstücke. Im Fall von Agrargemeinschaft Neaderseite soll diesbezüglich Gemeinschaftseigentum vorliegen, im Fall von Agrargemeinschaft Sonnseite hingegen „atypisches Gemeindegut“.
… GLEICH BEHANDELT WERDEN
Warum dies so sei, begründete der Landesagrarsenat folgendermaßen: Mit agrarbehördlichem Bescheid vom 23. Februar 1982 sei in Ansehung genau bezeichneter Grundstücke der Liegenschaft in EZ 987 Grundbuch Umhausen (Agrargemeinschaft Neaderseite) die Eigenschaft als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 33 Abs. 1 lit. b (Gemeinschaftsgut) und Abs. 2 lit. d (Teilwälder) TFLG 1978 festgestellt worden. Das festgestellte Gemeinschaftsgut sei jedoch kein ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde oder politischen Ortsfraktion. Anders dagegen die Grundstücke der Agrargemeinschaft Sonnseite in EZ 711 Grundbuch Umhausen: Diesbezüglich hätte die Agrarbehörde mit Bescheid vom 26. März 1982 entschieden, dass es sich um Grundstücke im Sinn des § 33 Abs. 2 lit. c (Gemeindegut) und § 33 Abs. 2 lit. d (Teilwälder) TFLG 1978 handle. Die jeweilige historische Entscheidung der Agrarbehörde – der Landesagrarsenat spricht von einer „Qualifizierung“ der Liegenschaften – sei heute maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob sogenanntes „atypisches Gemeindegut“ vorliege oder nicht. Wegen dieser „Qualifizierung“ durch die Agrarbehörde im seinerzeitigen Regulierungsverfahren sei im Fall von Agrargemeinschaft Sonnseite eine verfassungswidrige Eigentumsübertragung anzunehmen. Dies mit der Konsequenz, dass die beteiligten Hofbesitzer nur mehr ihren aktuellen Naturalbedarf decken dürfen, während alle anderen Erträge aus den ungeteilten Liegenschaften dem Staat zufallen.
Der Tiroler Landesgesetzgeber hat sich die Überprüfung der Regulierungsfälle der Vergangenheit vermutlich anders vorgestellt. „Atypisches Gemeindegut“ entsteht bekanntlich als Folge einer rechtswidrigen Wegnahme von Gemeindeeigentum. Die entscheidende Frage, ob die Agrarbehörde in der Vergangenheit eine Ortsgemeinde rechtswidrig um ihr Gut gebracht hat oder ob durch die Agrarbehörde das Grundbuch richtig gestellt wurde, kann nur anhand der Eigentumsgeschichte der betreffenden Liegenschaft geklärt werden. Diese Eigentumsgeschichte der einzelnen Liegenschaften wäre zu überprüfen gewesen. Wer glaubt, er würde in den seinerzeitigen Erkenntnissen der Agrarbehörde den entscheidenden Hinweis finden, ob die Behörde seinerzeit richtig oder falsch entschieden hat, geht in die Irre.
Die gesetzliche Vorgabe zur Lösung der Streitigkeiten um das landesfürstliche Obereigentum lautete dahingehend, dass im sogenannten Regalitätsforstbezirk, d. h. im Bereich des gesamten heutigen Nordtirol, die Forstservituten insgesamt, vor allem aber die Holzbezugsservituten („Beholzugservitut“) der Stammliegenschaftsbesitzer, abgelöst werden sollten.
Die Rechtssphären sollten getrennt werden: Die Stammliegenschaftsbesitzer sollten Gemeinschaftswälder erhalten; in den verbleibenden Landesfürstlichen Wäldern sollten die Holzbezugsrechte verschwinden. Dies alles als Grundsatz.
Die Ablösung sollte gegen Abtretung von Gemeinschaftseigentum an einem Teil der belasteten Wäldern bewerkstelligt werden. Es sollten einerseits Staatsforste entstehen, die freigestellt waren von allen Holzungsrechten der damaligen Bevölkerung, andererseits sollten Forste im Privateigentum der jeweiligen Nachbarschaften entstehen.
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DER GESETZESWORTLAUT
Art 3 der Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847 lautet wie folgt:
(1) Seine Majestät geruhen allergnädigst zu bewilligen, dass in den künftig vorbehaltenen Staatswäldern die Holzbezugsrechte oder Gnadenholzbezüge der Untertanen, insoferne ihnen solche nach den alten Waldordnungen zukommen, durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das volle Eigentum, und zwar nicht der einzelnen Untertanen, sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist, abgelöst werden.
(2) In Ansehung derjenigen einzelnen Berechtigten, welche sich weigern würden, dem Willen der Mehrzahl der Gemeindeglieder beizutreten, werden von Seiten der k.k. vereinigten Hofkanzlei die nötigen Bestimmungen getroffen werden, um solche vereinzelte Einstreuungen im Interesse des Staates und der Gemeinden selbst zu beseitigen.
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NUR WER EIN HOLZBEZUGSRECHT HAT …
„… dass in den künftig vorbehaltenen Staatswäldern die Holzbezugsrechte oder Gnadenholzbezüge der Untertanen, insofern ihnen solche nach den alten Waldordnungen zukommen, abgelöst werden. “ Um die Tiroler Forstregulierung 1847 und ihre Auswirkungen zu verstehen, muss man zuerst und vor allem wissen, dass der Kaiser, der „allerhöchste Landesfürst“ von Tirol, in Nordtirol keinen Waldboden verschenken wollte. Vielmehr wollte er ein Geschäft machen: Diejenigen Landesbewohner, die ein Recht hatten, in den Wäldern Holz zu nutzen, sollten abgefunden werden; wem kein Recht auf Holznutzung zustand, wurde auch im Zuge der Forstregulierung kein Waldbesitzer!
Wer im Jahr 1847 im Tiroler Wald holzbezugsberechtigt war, definierte der Gesetzgeber in einer eigenen „Instruktion“ – nach heutigem Rechtsverständnis eine Verordnung. Die „Instruction für die Commission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols“ vom 1. Mai 1847, regelt im Zusammenhang mit der Definition des Holzbezugsrechts Folgendes:
„Die Beholzungsservitut. Sie besteht dem Befugnisse, aus den gemeinen Waldungen das zum Haus- und Gutsbedarf erforderliche Brenn- und Bauholz (auf Auszeigung des gemeinen Waldmeisters) unentgeltlich zu beziehen. Die Ablösungscommission hat sich gegenwärtig zu halten, dass dieses Befugniß nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht; dem Gewerbstande kann es im Allgemeinen nach Analogie mit Titel II. Buch IV. der Tiroler Landesordnung nicht zugestanden werden. Es ist somit bei der Ablösung auf den Bedarf des Gewerbestandes in der Regel keine Rücksicht zu nehmen. …“
nur Stammsitze, keine Neubauten
Immer wieder wird die falsche Behauptung verbreitet, dass die Servitutenablösung der Jahre 1847 bis 1849 in Nordtirol ein Geschäft gewesen sein, an dem alle Einwohner der damaligen politischen Gemeinden beteiligt gewesen seien. Dem Landesfürsten sei es ferne gelegen, irgendjemanden vom Beholzungsrecht auszuschließen. Alle Einwohner Tirols und nicht nur die Eigentümer der „alten Stammsitze“ seinen holzbezugsberechtigt gewesen.
Die Behauptung, jeder Einwohner Tirols sei ursprünglich berechtigt gewesen, seinen Holzbedarf in den Tiroler Wäldern zu decken, ist offenkundig gesetzwidrig. Die „Instruction für die Commission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols“ vom 1. Mai 1847 widerlegt diese Behauptung schlagend. Zum einen regelt diese Instruktion „die Ablösungscommission hat sich gegenwärtig zu halten, dass dieses Befugniß nur dem Bauernstande, d. i. den Besitzern von Grund und Boden zusteht„; zum anderen wurde eine wichtige Klarstellung in Bezug auf weichende Erben und Zuzügler getroffen: „… Hinsichtlich der Neubauten und der Vergrößerung bestehender Bauten kann das Recht der Einforstung nicht zugestanden werden; auf die Herhaltung der mit Feuerstattzinsen belegten Häuser ist jedoch gebührend Rücksicht zu nehmen. …“
Die Eigentümer von „Neubauten“ waren nicht holzbezugsberechtigt und selbst der Eigentümer eines alten Stammsitzes hatte kein Recht für die Bedürfnisse eines Zubaues, einer Vergrößerung des Stammsitzes usw, den Holzbedarf gratis im landesfürstlichen Wald zu decken. Dessen ungeachtet mussten die Bewohner eines solchen Zubaues nicht frieren. Sie mussten einfach das benötigte Holz kaufen – so wie alle anderen Landesbewohner – in Tirol und in den anderen Ländern des Kaiserthums Österreich.
die „betreffende Gemeinde“
Mit dieser eindeutigen gesetzlichen Klarstellung zum Kreis der Holzbezugsberechtigten, ist auch klar gestellt, welcher „Gemeinde“ die Ablösefläche zusteht: nämlich der Summe jener Hofbesitzer, denen die abgelösten Holzbezugsrechte zustanden.
Art 3 der Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847 regelt zu den Eigentumsverhältnissen an den Ablöseflächen, dass die Ablöseflächen „in das volle Eigentum“ überwiesen werden sollen, „und zwar nicht der einzelnen Untertanen, sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist“. Immer wieder wird in dieser Gesetzesstelle die Wurzel für das heute behauptete Eigentum der politischen Ortsgemeinde an den Nord-Tiroler Wäldern zu vermutet. Ein solches Gesetzesverständnis ginge jedoch in die Irre, weil die historische Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ vernachlässigt wird. Mit der Bezeichnung „Gemeinde“ wurde ehemals jede beliebige Personenmehrheit erfasst, wie heute noch verwendeten Begriffe bezeugen – beispielsweise „Kirchengemeinde“, „Schulgemeinde“, „Trauergemeinde“ oder „Fangemeinde“. (ausführlich dazu: right bar, „Gemeinde“, das waren …)
Wie sich die „Gemeinden der Tiroler Forstservitutenablösung“ zusammen setzten, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie die Ablöse von statten gehen sollte, wenn ein „Gemeindeeigentum“ im Sinn des Art 3 der Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1847 nicht möglich wäre – eine Option, die der Gesetzestext voraussetzt („… sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist„). Dann kämen nämlich die „einzelnen Untertanen“ zum Zuge.
Für diese Variante ergibt sich ganz offenkundig aus der Natur der Sache, dass nur derjenige, dessen Holzbezugsrecht (Gnadenholzbezug) abgelöst wird, Vertragspartner für die Entgegennahme der Gegenleistung sein kann. „Servitutenablösung“ ist ein „synallagmatisches“ Geschäft; dh: es liegt ein Leistungsaustausch zu Grunde – typischer Weise Holzbezugsrecht auf einer größeren Fläche, gegen Eigentum auf einer kleineren Fläche und beides in nachbarschaftlicher Gemeinsamkeit.
Die „betreffende Gemeinde“, der das volle Eigentum an der Ablösefläche im Austausch gegen die Holzbezugsrechte zugewiesen wurde, kann deshalb nur die Gemeinschaft der holzbezugsberechtigten Bauern sein – die Nachbarschaft der Stammsitzeigentümer. (ausführlich dazu: right bar KAISER FERDINAND BEFIEHLT, overview: Gemeindebegriff der Forstregulierung)
Insoweit deshalb der Gesetzgeber der Tiroler Forstregulierung für das „Geschäft“ der Servitutenablösung eine Eigentumsübertragung auf die „betreffende Gemeinde“ vorgesehen hat, so war damit die „berechtigte Gemeinde“, die Gemeinschaften der holzbezugsberechtigten Nachbarn (und nur diese) gemeint!
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DIE VERTRAGSPARTNER DES LANDESFÜRSTEN
Die Forstservituten-Ablösung auf der Grundlage der a. h. Entschließung vom 6. Februar 1847, Tiroler Forstregulierungspatent, war eine Maßnahme, welche der Landesfürst nur mit den Eigentümern jener Liegenschaften vollzog, welchen nach der damaligen Rechtslage Forstservituten zugeschrieben waren. Mit welchen Liegenschaften solche Rechte konkret verbunden waren, definiert die Instruktion für die Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols vom 1. Mai 1847 mit gesetzesgleicher Wirkung.
Die Aufgabe der Forstservituten-Ablösungskommission war es, diese Rechtsgrundlage im Einzelfall anzuwenden. Diese Aufgabe war heikel. Einerseits sollten die Kommissionsmitglieder dem Landesfürsten möglichst umfangreiche, servitutsfrei gestellte Wälder erhalten; andererseits mussten die Stammliegenschaftsbesitzer davon überzeugt werden, dass ein Ablösungsvergleich aus deren Sicht vorteilhaft sei. Die Servitutenablösung erfolgte in Nordtirol als freiwilliges Geschäft, zu welchem die Stammliegenschaftsbesitzer im Wege von gewählten Vertretern ihre freie Einwilligung erteilt (und manchmal auch verweigert) haben.
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„ACTUM BERWANG 1848“
Am 30. November 1847 versammelten sich in Rinnen vor dem Landgerichtsadjunkten Plattner, der vom Aktuar Alber unterstützt wurde, 50 Personen, die ausdrücklich als „volle Versammlung“ der „vorgetragene[n] Gemeinde Berwang aus mehreren Fraktionen bestehend“ charakterisiert wurden. Sie wählten, nachdem sie, wohl durch den Landgerichtsadjunkten, über „den Gegenstand der Frage deutlich und klar schon unterrichtet“, also über Hintergründe, Rechtsgrundlagen und Erfordernisse des einzuleitenden Verfahrens belehrt worden waren, zwölf „Vertretter“ für die „Verhandlungen, welche die k. k. Kommission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols zu pflegen hat“. Darüber wurde sogleich ein Wahlprotokoll aufgenommen. Anschließend an die Wahl erhielten die Gewählten eine Vollmacht auf der Basis eines standardisierten Textes: Darin wurden die zwölf Männer von den Unterzeichnern bevollmächtigt, „Sie Gemeinde in ihren Fraktionen resp. sie Gemeindeglieder (…) zu vertretten“, was in der Folge durch Aufzählung speziell zu erwartender Aspekte des abzuschließenden Rechtsgeschäfts ergänzend konkretisiert wurde. Die Vollmacht erstreckte sich demnach nicht nur auf Verhandlungen, sondern auch auf den Abschluss entgeltlicher und unentgeltlicher Verträge, auf Prozessführung, „Vergleiche“ und „Kompromiße“. Restlos klar war der Umfang dieser Geschäfte aber nicht einmal den staatlichen Funktionären: Sicherheitshalber wurde die Vollmacht nämlich auch auf Verhandlungen erstreckt, die der Forstservituten-Ablösungskommission „allenfalls durch etwa noch nachfolgende Instruktionen zur Pflicht gemacht werden sollten“.
Über die während der folgenden Monate stattgefundenen Verhandlungen wissen wir nichts; knapp ein Jahr nach Wahl und Bevollmächtigung der Vertreter, am 24. Oktober 1848, kam es jedenfalls zum Abschluss eines Vergleichs zwischen der „Gemeinde Berwang“ und der „Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission“. Den Kern dieses Akts bildet ein „Vergleichs-Protocoll“ von 17 Seiten, ergänzt durch Vermarkungs- bzw. Grenzfeststellungsprotokolle und ähnliche Unterlagen im Umfang von weiteren 71 Seiten.
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EIN DOKUMENT VON 88 SEITEN
Das „Vergleichs-Protocoll“ besteht aus einem fünfseitigen, in neun Punkte gegliederten lithographierten Standardtext, der teilweise ähnlich einem Formular durch Orts-, Parteien- und Personennamen zu ergänzen war – hier wurde auch die vierseitige Abschrift des Bevollmächtigungsprotokolls eingelegt –, sowie einem die konkreten Verhandlungsergebnisse, also die Vergleichsbestimmungen des Einzelfalles enthaltenden Text. Umfang und Inhalt dieses Teils waren naturgemäß von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängig; im Fall von Berwang benötigte man dafür zwölf Seiten. Dieser einzelfallbezogene Teil des Vergleichsprotokolls begann mit dem noch lithographierten Punkt „Zehntens“: „Die in das Eigenthum der Gemeinde … übergehenden Wälder sind folgende“. Eine bloße Aufzählung genügte hier freilich nur selten, einerseits weil den abgestuften Nutzungen und allenfalls weiterbestehenden Servituten Rechnung zu tragen war, andererseits weil – wie im Fall von Berwang – verschiedene Korporationen zuvor Nutzungsberechtigter als „Gemeinden“ verschiedene Waldteile ins Eigentum übertragen erhielten. So wurde gleich im zitierten Punkt „Zehntens“ die im Formular gelassene Lücke durch den Namen einer Gemeinde – nämlich „Fraction Stokach“ – gefüllt und dieser der „Kampwald“, der „Hochbrandwald“ und andere Liegenschaften übereignet. In den folgenden acht Vergleichspunkten folgten Waldeigentumsübertragungen an insgesamt acht weitere als „Fraktionen“ bezeichnete moralische Personen, nämlich Bichlbächle, Gröben, Berwang, Rinnen, „Brand mit Anrauth“, Mitteregg, Kelmen und Namlos – eine „Gemeinde Berwang“ erhielt kein Eigentum. Damit nicht genug, wurde ein „Theil des Schönbichlwaldes“ den „Fractionen“ Berwang und Gröben in gemeinschaftliches Eigentum übertragen, und zwar „nach Verhältniß ihrer Feuerstätten“.
Insgesamt wurden die Rechte an 48 Wäldern geklärt sowie 21 verbale Lage- und Grenzbeschreibungen vorgenommen – letztere mussten in weiterer Folge mit den Nachbarliegenschaften abgestimmt und in der Natur vermarkt werden. Alle anderen Wälder „im Gemeindebezirke Berwang“ wurden „für das k. k. Aerar als Eigenthum vorbehalten“. Auch in diesem Fall erfolgte aber keine restlose Beseitigung der Servituten; so wurde „der Fraction Mitteregg aus dem vorbehaltenen Gröber Staatswalde der unentgeltliche Bezug von Lärchstämmen für den Haus- und Guts-Baubedarf zugesichert“. Im Allgemeinen wurde das angestrebte Ende der Waldservituten jedoch erreicht: Ein eigener Punkt („Siebtens“) des lithographierten Standardtextes enthielt dazu den „feierlichsten Verzicht“ der „Gemeinde“ Berwang „für sich und sämmtliche Gemeindeglieder auf alle ihr von der k. k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission nicht ausdrücklich vorbehaltenen Nutzungen und Bezüge“.
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DAS GENEHMIGUNGSVERFAHREN
Mit dem Vergleichsabschluss war die Aufgabe der Fostservituten-Ablösungs-Kommission (FSAK) aber noch nicht beendet: Nun hatten die Kommissionsmitglieder ihre individuellen Stellungnahmen zur Frage der Annehmbarkeit und Angemessenheit des Vergleichs abzugeben, worüber ein Protokoll aufzunehmen war. Dieser Verfahrensabschnitt harrt noch einer detaillierten Untersuchung hinsichtlich der Praxis, etwa der unterschiedlichen Standpunkte, der Kräfteverhältnisse und Mechanismen der Meinungsbildung innerhalb der Kommission. Immerhin macht der Fall von Berwang aber deutlich, dass die FSAK gegenüber den Zentralstellen weniger den einzelnen Vergleich als das gesamte Ablösungsverfahren des jeweiligen Landgerichtssprengels beurteilte: Der an das Finanzministerium am 1. November 1848 übersendete „Hauptbericht“ über die „Ablösungs-Verhandlungen des Landgerichtes Reutte“ enthielt die „Verhandlungsakten“, bestehend aus „Vergleichen samt den dazu gehörigen forstämtlichen u[nd] landgerichtlichen Ausweisen, dem Begründungsprotokolle der Kommissionsglieder und einem Hauptkonspekte“. Dieser „Konspekt“ enthielt in tabellarischer Form Informationen über Art und Ausmaß der Holzbezugsrechte, die zur „Deckung des rechtlichen Holzbezuges bestimmten belasteten Staatswälder“, die „zur Deckung des Mangels bestimmten reservirten Staatswaldungen“ sowie die „künftighin vorbehaltenen Staatswaldungen“, jeweils mit Angaben über deren „productiv[e]“ und „unproductive“ Fläche.
Im umfangreichen „Protocoll, welches mit sämtlichen Komissionsgliedern über die im Landgerichtsbezirke Reutte von Seite der kk. Waldservituten-Ausgleichungs-Komission abgeschloßenen Vergleiche aufgenommen wurde“, reihten sich die Stellungnahmen der Kommissionsmitglieder aneinander. Es handelte sich also nicht um das Protokoll mündlicher Verhandlungen oder Diskussionen. Jedes Kommissionsmitglied schrieb sein Votum offensichtlich mit eigener Hand, wobei auf allgemeine Gesichtspunkte deutlich mehr Gewicht gelegt wurde als auf einzelne Details zu den jeweiligen Vergleichsverhandlungen oder -urkunden; letztere dienten eher als Illustration der allgemeinen Ausführungen. Die erste Stellungnahme stammte von Georg Kink, dem von allen Kommissionsmitgliedern mit den Ortsverhältnissen wohl am Besten vertrauten Landrichter von Reutte, auf ihn folgten Moritz von Kempelen, „kk. Berg- u[nd] Salinen D[irekt]ions-Sekretär, als Salinen Vertreter“, Dr. Anton Janiczek, „Aushilfsreferent der kk. tirol. Kammerprokuratur“, sowie schließlich Jakob Gaßer, „kk. Gubernial Sekretär“. Die Voten war unterschiedlich detailliert und dementsprechend auch verschieden umfangreich: Während sich Kink und Gaßer mit jeweils etwa acht Folioseiten begnügten, benötigte Janiczek 23, Kempelen gar 29 Folioseiten für seine Stellungnahme. Darüber hinaus hatte Kempelen auch den „Hauptbericht“ im Umfang von 27 Folioseiten verfasst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass interessante Informationen über Berwang gerade aus seiner Feder stammen.
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DAS PROTOKOLL DER KOMMISSIONSMITGLIEDER
Für Berwang hatte der „Konspect“ Holzbezugsrechte im Ausmaß von 2040 Klaftern (zu je 108 Kubikfuß) verzeichnet, wovon nur 1867 Klafter als „rechtlicher Bezug“ charakterisiert wurden. Zur Deckung dieses Holzbedarfs waren Staatswälder im Umfang von 3206 Joch belastet; nur 23 Joch erschienen unproduktiv. 3183 Joch produktiver Waldfläche lieferten durchschnittlich 1041 Klafter Holz, also deutlich weniger als sogar der „rechtliche Bezug“ ausmachte. Selbst nach Einbeziehung „der zur Deckung des Mangels reservierten Staatswaldungen“ blieb ein Mangel von jährlich 250 Klaftern. In seiner Stellungnahme führte Kempelen dazu aus: „Der bedeutende Mangel der Gemeinde Berwang rechtfertigt die Übergabe eines Theiles des reserv[ierten] Schönbichlwaldes umsomehr, als aus diesem Walde auch bisher Abgaben an Lerchholz an die Gemeinde erfolgten, und dagegen die übrigen reserv[ierten] Wälder[,] aus denen gleichfalls Gem. Aushilfen ertheilt worden waren, ohne Last reservirt werden konnten.“ Der Vergleich schien für das Aerar also günstig.
Mit der schlechten Holzertragslage war Berwang übrigens kein Einzelfall; es gehörte im Gegenteil sogar zu den Gemeinden mit einem eher besseren Verhältnis zwischen Bedarf und Ertrag. Im „Hauptbericht“ beschrieb Kempelen die Situation der Wälder des Außerfern insgesamt als ungünstig: „Das Landgericht Reutte ist nemlich, wie bekannt, von dem übrigen Tirol durch den Fernberg geschieden, der sich dem Norden zu abdacht, gegen welche Himmelsgegend sich auch das Hauptthal, u[nd] die einzelnen Nebenthäler öffnen. Dieser nördlichen und zugleich hohen Lage der Gegend ist es zuzuschreiben, daß sich der Ertrag der Wälder im Durchschnitt nirgends auf 0,4 Kl[a]ft[er] je Jauch erhebt (…) Aus diesem ungünstigen Ertragsverhältniße erklärt sich die im Vergleiche mit anderen Landgerichtsbezirken bedeutend größere Zutheilung an Waldflächen.“ Mehrere Gemeinden, darunter auch Berwang, „deren Wälder den Ertrag v[on] 0,3 Kl[a]ft[er] je J[au]ch übersteigen, haben auch eine verhältnißmäßig kleinere Fläche von 10,9 bis 25,0 Jauch je Fam[ilie] erhalten.“ In dieser relativ geringeren Zuteilung lag möglicherweise eine Gefahr für die Zukunft; jedenfalls begründete Kempelen an anderer Stelle seines Hauptberichts, warum der Berwanger Vergleich die vorbehaltenen Staatswälder nicht konkret benannte, also namentlich aufzählte: „Die künftig vorbehaltenen Staatswälder sind nicht in allen Vergleichen nomine angeführt, weil man, wie bei (…) Berwang, mit Grund befürchtete, daß deren Aufzählung nur neue Anforderungen hervorrufen und den Abschluß erschweren würde.“
Solcher Art waren die Informationen, die den zuständigen Wiener Zentralstellen zur Verfügung standen, um die zugleich vorgelegten Vergleichsprotokolle beurteilen und genehmigen zu können. In diesem vorletzten Verfahrensabschnitt spiegelt sich besonders deutlich der Umstand, daß die Forstregulierung in einen der turbulentesten Zeiträume der österreichischen Verfassungsgeschichte fiel, die Revolutionsjahre 1848/49, in denen der Übergang vom Kollegial- zum Ministerialsystem und in weiterer Folge die Ausdifferenzierung des Ministerialverwaltungsapparates erfolgten. Hatte die Instruktion für die FSAK vom 1. Mai 1847 noch an die Notwendigkeit erinnert, die privaten Vertragspartner an den „Vorbehalt der Genehmigung des Hofkammerpräsidiums“ zu erinnern, so enthielt der formularhaft vorgedruckte Teil des Vergleichstextes teilweise schon die Bestimmung, wonach sich die FSAK „die Ratifikation des hohen Finanzministeriums vorbehält“. Bis dahin war nur die jeweilige Gemeinde, nicht aber das Aerar an den Vergleich gebunden.
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DER MINISTER GENEHMIGT DEN VERGLEICH
Im Fall von Berwang wurde das alte Formular handschriftlich ausgebessert, also das Wort „Hofkammerpräsidium“ durchgestrichen und durch das Wort „Finanzministerium“ ersetzt. In diesem Sinne waren die Akten im November 1848 auch dem Finanzministerium vorgelegt worden, doch hatte dieses noch vor der entscheidenden Erledigung die Zuständigkeit bereits wieder abgegeben: Erst am 15. Oktober 1849 – somit knapp zwei Jahre nach der Wahl bevollmächtigter Vertreter und fast genau ein Jahr nach dem Vergleichsabschluss – wurde das „Vergleichsprotokoll (…) von Seite des k. k. Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen (…) bestätigt“; es trägt die eigenhändige Unterschrift des Landeskulturministers Ferdinand Ritter von Thinnfeld.
Für die verzögerte Genehmigung der Vergleichsabschlüsse des Sprengels Reutte war unter anderem – wohl neben der veränderten ministeriellen Zuständigkeit – eine Beschwerde der „sogenannten Mächler, welche Rechen, Sensen-Stiele, Hackenstiele etc verfertigen“, und der Sensenschmiede aus Ehrwald und Biberwier verantwortlich, auf die bei der Berechnung der Ablöseflächen keine Rücksicht genommen worden war. Im Hinblick darauf konnte man sich im Landeskulturministerium offenbar vorstellen, die „mit den Gemeinden Lermoos, Biberwier und Ehrwald bereits abgeschloßenen Waldservituten Ablösungsvergleiche rückgängig“ zu machen. „Gegen eine solche Verfügung“ sprach sich die FSAK allerdings „mit Entschiedenheit“ aus: „Die in Frage stehenden Mächler und Feldrequisiten Verfertiger sind Personal Gewerbe u[nd] dürfen als solche zu Folge der Komissions Instruktion nicht in den rechtlichen Holzbezug aufgenommen, also auf keine Weise bei Ermittlung des an die Gemeinde zu überlaßenden Wald Aequivalentes berücksichtigt werden. Diese Gewerbe haben sohin wie bisher auch künftighin mit ihrem nöthigen Holzmateriale sich im rechtlichen Wege selbst zu versehen“. Diese Argumentation überzeugte; das Ministerium ordnete die Zurückweisung der Beschwerde an und genehmigte die Vergleichsabschlüsse des Sprengels.
Der letzte Akt des Verfahrens fand wieder in Tirol statt. Am 13. November 1852 wurde das genehmigte Protokoll am zuständigen Gericht in Reutte verfacht, womit die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse abgeschlossen war.
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ZUSAMMENFASSUNG: FORSTSERVITUTENABLÖSUNG 1847
Im Rahmen der Tiroler Forstregulierung kam es unter anderem zu einer Forstservitutenablösung. Die dafür eingesetzte Forstservitutenablösungskommission verhandelte mit den eigens dazu unter Aufsicht der Landgerichte gewählten Vertretern der bis dahin an den aerarischen Wäldern jeweils Nutzungsberechtigten.
Dabei handelte es sich um sechs oder zwölf Personen, die als Bevollmächtigte auf der Grundlage einer vor dem zuständigen Landgericht errichteten und amtlich beurkundeten Bevollmächtigungsurkunde agierten. Die Vertretungsbefugnis der Bevollmächtigten war gesetzlich geregelt; sie waren uneingeschränkt hinsichtlich jeder Art von Forstservituten verhandlungs- und vertretungsbefugt.
Mit diesen Bevollmächtigten schloß die Forstservitutenablösungskommission auf freiwilliger, privatrechtlicher Grundlage, entgeltliche Rechtsgeschäfte in der Form von Vergleichen ab, die in der Folge von den Wiener Zentralstellen genehmigt und als Eigentumstitel anerkannt, verfacht und verbüchert wurden.
Die damaligen politischen Gemeinde gemäß Gemeinderegulierungspatent 1819 als partielle Vorläuferin der heutigen politischen Ortsgemeinde war in die Vorbereitung des Ablösungsgeschäftes mit der Durchführung angeordneter Erhebungen eingebunden. Anhand eines vorgegebenen Fragenkataloges hatten die Gemeindevorsteher Sachverhaltsgrundlagen für die jeweilige „Servitutenoperation“ zu erheben.
Nur die nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer konnten jedoch die vom Aerar geforderte Freistellung bestimmter Forstflächen von ihren Holznutzungsrechten bieten; nur die nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer hatten in Form einer durch das Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 konstituierten „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ Anspruch auf die Gegenleistung des Ablösungsgeschäfts, das freie Eigentum an anderen Teilflächen.
Aus verschiedenen Gründen wollte der historische Gesetzgeber kein Einzeleigentum der nutzungsberechtigten Stammsitzeigentümer, sondern ein Gemeinschaftseigentum der jeweiligen Nachbarschaft als „betreffende Gemeinde“ (= holzbezugsberechtigte Gemeinschaft). (argumentum: Die Ablösung sollte erfolgen „durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das volle Eigentum, und zwar nicht der einzelnen Untertanen, sondern der betreffenden Gemeinden, soweit es nur immer zulässig ist, …“)
Vom Kreis der Vertragspartner blieben daher jene ausgeschlossen, denen nach dem im Jahr 1847 geltenden Recht keine Forstnutzungsrechte an landesfürstlichen Waldungen zustanden, sei es, daß sie aufgrund von Teilung oder Verleihung bereits über so viel privates Waldeigentum verfügten, daß daraus ihr Haus- und Gutsbedarf gedeckt werden konnte, sei es, daß sie generell von Einforstungsrechten ausgeschlossen gewesen waren.
Der historische Gesetzgeber setzt ausdrücklich voraus, dass nur die holzbezugsberechtigten Stammsitzeigentümer am Ablösegeschäft teilnehmen und das waren grundsätzlich nur die „Besitzer von Grund und Boden“, die Bauern. Liegenschaften, auf denen ein Gewerbe betrieben wurde, wurde nur unter besonderen Umständen ein Holzbezugsrecht zugestanden; die Eigentümer von „Neubauten“ waren generell ausgeschlossen.
Die „jeweilige Gemeinde“, die im Zuge der Forstservitutenablösung Eigentümerin der jeweiligen Ablösefläche werden sollte, war somit keine politische Gemeinde und genauso wenig eine Kirchengemeinde. Es handelte sich vielmehr um die Gemeinschaft der ehemals Nutzungsberechtigten, die als „Gemeinde der Nutzungsberechtigten“ zusammengeschlossen wurden.
In der heutigen Diskussion um die Legitimität des agrargemeinschaftlichen Eigentums wird das historische Verständnis des Gemeindebegriffes missbraucht, um ein vermeintliches Substanzrecht der heutigen Ortsgemeinden zu begründen, das freilich nie existiert hat.
Im November 1847 haben sich alle Nachbarschaften des Stanzertals wegen ihrer Forstservituten mit dem k. k. Ärar verglichen. So entstanden die Gemeinschaftsliegenschaften der Nachbarschaften Strengen, Flirsch, Schnann, Pettneu und St. Anton. Weil man diese Nachbarschaften damals als „Gemeinde“ bezeichnete, nannte man ihr Gemeinschaftsgut „Gemeindegut“. Für die Nachbarn von Strengen haben sechs Bevollmächtigte den schriftlichen Vergleichstext unterfertigt (20. November 1847), für Flirsch waren es neun (22. November 1847); für Schnann und Pettneu jeweils sechs (24. November 1847) und in St. Anton zehn (26. November 1847). Binnen einer Woche wurden somit fünf Nachbarschaften abgehandelt.
DETAILLIERTE RECHENSCHAFT
Verhandelt haben diese Vergleiche für das k. k. Ärar der k. k. Adjunkt und Landgerichtsverwalter Johann Bergmeister, der Aushilfsreferent der k. k. tirol. Kammerprokuratur Dr. Anton Janiczek, der k. k. Berg- u. Salinen Direktions-Sekretär Anton Ebner und der k. k. Gubernial-Sekretär Jakob Gasser, jeweils als Kommissionsmitglieder, sowie der wirkliche Bergrat der k. k. Berg- und Salinendirektion zu Hall Gottlieb Zöttl, als Kommissionsvorsitzender. Am 30. November 1847 erstattete die Kommission pflichtgemäß Bericht an die Wiener Zentralstelle. Das Konzept dazu, welches von den einzelnen Mitgliedern eigenhändig erstellt wurde, ist erhalten und wird im Tiroler Landesarchiv verwahrt.
Die Kommissionsmitglieder rechtfertigten und begründeten in diesem Papier die verhandelten Vergleiche und empfehlen diese dem Ministerium zur Genehmigung. Johann Bergmeister begründete die Vorteilhaftigkeit der Vergleichsabschlüsse in knappen Worten: „Erstens würde der Ertrag der den Nachbarschaften übergebenen Waldungen hinter ihrem rechtlichen Bezug zurück bleiben; zweitens seien die der Forstkultur und dem guten Einvernehmen nachteiligen gemeinschaftlichen Nutzungsgebiete mehrerer Nachbarschaften getrennt worden; drittens hätten sich nach seiner Überzeugung die betreffenden Nachbarschaften zu ungünstigeren Vergleichsabschlusse unter keiner Bedingung herabgelassen.“ Dr. Anton Janiczek betonte besonders, dass die Kommission sich streng an ihre gesetzlichen Vorgaben gehalten und nur den „rechtlichen Bezug der eingeforsteten Gemeindeglieder mit Ausschluß der Neubauten und der persönlichen Gewerbe berücksichtigt“ hätte. Die den Nachbarschaften zugedachten Waldungen würden nach den Erkenntnissen der Sachverständigen selbst bei einem „vorratmäßigen Kulturzustand“ nur kärglich zur Deckung dieses Bezuges hinreichen.
NUR EINGEFORSTETE BERÜCKSICHTIGT
Anton Ebner begründete die Genehmigungsfähigkeit der fünf Vergleiche damit, dass überall nur so viel Waldterrain abgetreten wurde, als nach dem Erklären der sach- und lokalkundigen Forstorgane unerlässlich erforderlich war, um die Servituten der Einforstung abzulösen. Des weiteren seien die im Stanzertal für das Ärar vorbehaltenen Waldflächen nun frei verfügbar. Außerdem werden zur Deckung der in diesen Gegenden vorkommenden dringenden Staats-Bedürfnisse z. B. Straßenbau, Beamte etc. immerhin einige Waldungen vorbehalten. Am ausführlichsten äußerte sich Gottlieb Zöttl, der als Kommissionsvorsitzender konkrete Zahlen zur Rechtfertigung der Vergleichsabschlüsse präsentierte. Der Bericht Zöttls legt offen, wie groß die Waldflächen waren, die pro berechtigter Familie überlassen wurden und welche Erträgnisse diese Waldflächen damals erbracht hatten. Verwendet werden die damals gebräuchlichen Maße Jauch und Klafter. Außer im Fall der Nachbarschaft Schnann war es jeweils erforderlich, auch einen Teil der sogenannten „reservierten Staatswaldungen“ einzusetzen, um den Vergleichsabschluss zu erreichen. Gottlieb Zöttl analysiert in der Folge jeden einzelnen Vergleich. Insbesondere berechnet er für jedes Dorf, welche Ablösefläche pro Stammsitz – Zöttl spricht pro „Familie“ – berücksichtigt wurde.
ANALYSEN ZU JEDEM VERGLEICH
In der Gemeinde St. Anton wurden pro berechtigter Familie 14,6 Jauch an Waldfläche überlassen, die im Schnitt 4,36 Klafter Holz pro Familie abwerfen sollten. In dieser „hochgelegenen und kalten Gemeinde“ seien jedoch 6,48 Klafter Holz pro Jahr und Familie erforderlich, um den Haus- und Hofbedarf pro Jahr zu decken, was dem „rechtlichen Bezug“ entspreche. Der Ertrag pro Jauch produktiver Waldfläche müsse daher von 0,29 Klafter auf 0,44 Klafter pro Jahr erhöht werden, was geraume Zeit in Anspruch nehmen würde, weil die überlassenen Flächen großteils „entholzt“ seien.
Den Flirschern seien pro berechtigter Familie 12,7 Jauch produktiver Waldfläche überlassen worden, die damals pro Jauch und Jahr einen Holzertrag für jede berechtigte Familie von 3,33 Klafter abwerfen sollten. Den „rechtlichen Bezug“ beurteilte Zöttl in Flirsch mit 6,41 Klafter pro Familie und Jahr. „Das erforderliche Erzeugnis von 0,5 Klafter pro Jauch, um den rechtlichen Bezug zu bedecken“, erschien Zöttel unter den konkreten Verhältnissen in Flirsch „immerhin erreichbar“. Die Pettneuer hätten, so Zöttl, 9,7 Jauch pro berechtigter Familie erhalten, die damals 3,54 Klafter Holzertrag je Familie und Jahr abwarfen. Den rechtlichen Bezug beurteilte Zöttl in Pettneu – krass abweichend vom Nachbarort St. Anton – mit 4,23 Klafter pro Familie und Jahr, was „eine große Holzersparung“ ausdrücke. Übereinstimmend mit den Verhältnissen in St. Anton kalkulierte Zöttl eine mögliche Ertragsteigerung auf zumindest 0,44 Klafter pro Jauch und Jahr.
STRENGER BAUERN VERKÜRZT
Die Bauern von Strengen betreffend, deckt Zöttl in seinem Bericht einen Rechenfehler auf, der bei der Ermittlung des „rechtlichen Bezuges“ der einzelnen Familien mit 3,84 (!) Klafter Holz pro Jahr zum Nachteil der Strenger unterlaufen sein müsse.
Je berechtigter Familie seien deshalb an produktiver Waldfläche nur 8,92 Jauch berücksichtigt worden. Der gegenwärtige Ertrag dieser Wälder von 0,24 Klafter pro Jauch und Jahr könne jedoch auf 0,5 Klafter pro Jauch gesteigert werden, sodass den Bauern in Strengen „zur intensiven Verbesserung des Waldzustandes der Sporn gegeben“ sei.
SCHNANNER BAUERN ERFOLGREICH
Am besten abgeschnitten haben nach Zöttls Bericht die Nachbarn von Schnann, denen 21 Jauch je berechtigter Familie in Form von Gemeinschaftseigentum überlassen wurden. Diese sollen damals einen Ertrag von 0,33 Klafter Holz pro Jahr abgeworfen haben. Der rechtliche Bezug der Schnanner scheint dadurch gedeckt, ohne dass mit Ertragssteigerungen kalkuliert werden musste. Zöttl begründet diese offenkundige Bevorzugung der Schnanner gegenüber den anderen Nachbarschaften des Stanzertals damit, dass die ins Eigentum übertragenden Flächen schon seit jeher von den Schnannern genutzt wurden, weshalb die größte Missstimmung in der Gemeinde erzeugt worden wäre, wenn man einen Teil dieser Wälder dem Ärar vorbehalten hätte.
Ungeachtet der Benachteiligung der Nachbarn von Pettneu und noch mehr derjenigen von Strengen wurden alle Vergleichsabschlüsse ministeriell genehmigt und durch Einverleibung im sogenannten Verfachbuch verbüchert.
Im Tiroler Landesarchiv wird je eine Ausfertigung dieser Servituten-Ablösungsvergleiche aufbewahrt.
Gerald Kohl sieht die Streiter für das Gemeindeeigentum als Opfer. Opfer eine Begrifflichkeit, die – etwas derb ausgedrückt – das Gehirn vernebelt.
Gerald Kohl: „Der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon stellte schon vor rund 400 Jahren fest: „Die Menschen glauben, dass ihr Geist dem Worte gebiete; aber oft kehren die Worte ihre Kraft gegen den Geist um. Deshalb behindert eine falsche Begrifflichkeit die Erkenntnis und provoziert Streitigkeiten. Und das ist in Tirol mit dem Wort „Gemeindegut“ passiert.“
Und weiter: „Die Kraft des Begriffs Gemeindegut hat sich, um nochmals mit Bacon zu sprechen, gegen den Geist gekehrt. Die Kraft des Begriffs Gemeindegut wird, wenn man sie der juristischen Kategorie der Rechtskraft unterwirft, zu einer sich selbst legitimierenden Zwangsvorstellung, die sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entzieht. Der Rechtsstaat und die Gerechtigkeit bleiben auf der Strecke.“
Gerald Kohl sieht die Tiroler Stammsitzeigentümer als Opfer einer Begriffsverwirrrung mit der Kraft zur Enteignung von Gemeinschaftsgut! Im Jahr 1847 seien die Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern geklärt worden. Damals sind die heutigen Bundesforste als Staatseigentum entstanden und die privaten Gemeinschaftswälder der Nachbarschaften. Weil diese Nachbarschaften sich Gemeinde nannten, hat sich die Bezeichnung „Gemeindegut“ durchgesetzt.
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Interview mit ao. Univ.-Prof. Dr. Gerald Kohl, Universität Wien (2013)
GUT:Herr Univ.-Prof. Dr. Kohl, was sind die Ergebnisse Ihrer rechtshistorischen Forschungen zu den Nordtiroler Wäldern und Almen?
Ao. Univ.-Prof. Dr. Kohl: Die Forstregulierung 1847 hat die damals strittigen Eigentumsverhältnisse geklärt. Teils wurde ersessenes Privateigentum anerkannt, teils wurden Vergleiche zur Servitutenablösung geschlossen. Jene, die damals Nutzungsrechte an den landesfürstlichen Wäldern hatten, verzichteten auf diese Rechte und erhielten dafür gemeinschaftliches Privateigentum. Aus den dadurch großteils lastenfrei gewordenen Staatswäldern sind die Bundesforste in Nordtirol hervorgegangen. Demgegenüber standen die Gemeinschaftswälder im Eigentum der Nachbarschaften, die sich Gemeinden nannten.
Wie sind Gemeindewälder und Gemeindealmen entstanden?
Kohl: „Gemeinde“ ist ein historisch schillernder Begriff. Welcher Personenkreis sich hinter einer „Gemeinde“ verbirgt, ist von den in Frage kommenden Nutzungen abhängig und daher recht unterschiedlich – zum Beispiel bei Almen die Viehbesitzer, bei Wäldern die Feuerstättenbesitzer. Im Zuge der Forstregulierung 1847 trat an die Stelle des gemeinschaftlich genutzten Staatseigentums ein gemeinschaftlich genutztes Privateigentum. Für diese Gemeinschaften wurden mehrdeutige „Etiketten“ verwendet: „Gemeinde“, „Ortschaft“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“ usw. Diese Bezeichnungen wurden auch bei der Grundbuchanlegung verwendet.
Warum haben sich die Berechtigten nicht dagegen gewehrt, dass eine „Gemeinde“ oder eine „Fraktion“ im Grundbuch eingetragen wurde?
Kohl: Diese Gemeinschaften hatten sich zum Teil durch Jahrhunderte als „Gemeinde“ verstanden. Bis zum Ende der Monarchie waren in den Dörfern – abgesehen vom Lehrer und vom Pfarrer – praktisch nur die Besitzer von Grund und Boden, somit die heutigen Agrargemeinschaftsmitglieder, zur Gemeindevertretung wahlberechtigt. Solange sich die internen Verhältnisse nicht wesentlich änderten, gab es gar keinen Grund, sich von einem Selbstverständnis als „Gemeinde“ zu distanzieren.
Welche Eigentümerbezeichnung wäre richtigerweise bei der Grundbuchanlegung zu wählen gewesen?
Kohl: Die Konstruktion „juristische Personen“, wie wir sie heute kennen, war bis in das 20. Jahrhundert herauf strittig. Man war eher der Auffassung, eine juristische Person bedürfe der Anerkennung durch den Staat, bevor sie am Rechtsleben teilnehmen könnte. Nach dieser Auffassung durften die Grundbuchkommissäre die agrarischen Gemeinschaften gar nicht im Grundbuch eintragen.
Wie haben sich diese Auffassungsunterschiede ausgewirkt?
Kohl: Die agrarische Gesetzgebung begann in Tirol mit dem Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetz von 1909. Das war aus der Sicht der Grundbuchanlegung viel zu spät. Die Stammliegenschaftsbesitzer hatten sich damals schon mit anderen Modellen beholfen: In Leoben wurde z. B. für eine Gemeinschaft von 152 Stammliegenschaftsbesitzern in den 1870er Jahren ein Verein gegründet, der dann auch als Grundeigentümer aufscheinen konnte. In Tirol behalf man sich eben mit dem Gemeindebegriff, für den mit der Gemeindeordnung eine gesetzliche Grundlage vorhanden zu sein schien.
Wurde die Ortsgemeinde zur Eigentümerin, wenn die Gemeindeordnung 1866 als Verwaltungsgrundlage gewählt worden ist?
Kohl: Nein. Eigentum bedarf eines Eigentumstitels. Die Tatsache, dass die Stammliegenschaftsbesitzer ihren Gemeinschaftsbesitz wie Gemeindeeigentum verwaltet haben, ist kein Eigentumstitel. In Böhmen fanden Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Eigentumsprozesse statt. Die Ortsgemeinden haben diese vor Gericht ausgetragenen Streitigkeiten sämtlich verloren. Damals galt in Böhmen – nicht anders als in Tirol – das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch. Die böhmischen Gerichtsentscheidungen sind deshalb auch für das Verständnis der Tiroler Rechtslage repräsentativ.
Hat nicht der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1982 die These vertreten, dass das Eigentum auf die heutigen Ortsgemeinden übergegangen sei?
Kohl: Einen derartigen Eigentumsübergang hat es nie gegeben. Als in Österreich vor 150 Jahren die politischen Ortsgemeinden geschaffen wurden, bestand die Notwendigkeit, das Verhältnis zu den bereits früher bestandenen Gemeinschaften zu klären. Der Gesetzgeber entschied sich, die „privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinde ungeändert“ zu belassen. Diese Bestimmung findet sich genau so auch in der Tiroler Gemeindeordnung 1866 wieder.
Woraus erklärt sich der Irrtum des Verfassungsgerichtshofes?
Kohl:Die Gemeindeordnungen haben eine Art Aufsichts- und Entscheidungsfunktion der politischen Gemeinden anerkannt, die quasi als Vorläufer der Agrarbehörden fungierten. Im Gegenzug sollte der „Überling“ aus der Nutzung der Gemeinschaftsliegenschaften in die Gemeindekasse fließen. Verständlich ist dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Umstände: Weitgehende personelle Identitäten und eine noch nicht erfolgte Konstituierung von Agrargemeinschaften als eigenständige Rechtspersönlichkeiten.
Eine weitere These des Verfassungsgerichtshofs war, dass das Gemeinderecht das „Gemeindegut“ als Eigentum der Ortsgemeinde definiert hätte. Was sagt ein Rechtshistoriker dazu?
Kohl: Eine solche These ist falsch und würde auf eine entschädigungslose Enteignung der historischen Gemeinschaften hinaus laufen. Das Gemeinderecht verschafft keinen Eigentumstitel für bestimmte Liegenschaften. Vielmehr müssen – und das hat ja auch der Verfassungsgerichtshof in anderem Zusammenhang im Jahr 2010 festgestellt – die Eigentumsverhältnisse jeweils im Einzelfall geprüft werden. Das haben die Agrarbehörden bei der Regulierung getan. Eine solche eingehende Prüfung konnte nur unterbleiben, wenn es eine Parteieneinigung gab. Dann wurde eben diese Vereinbarung in Bescheidform umgesetzt. Dies entspricht etwa einem gerichtlichen Vergleich.
Warum gibt es Ihrer Meinung nach heute in Tirol einen Agrarstreit?
Kohl: Der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon stellte schon vor rund 400 Jahren fest: „Die Menschen glauben, dass ihr Geist dem Worte gebiete; aber oft kehren die Worte ihre Kraft gegen den Geist um.“ Deshalb behindert eine falsche Begrifflichkeit die Erkenntnis und provoziert Streitigkeiten. Und das ist in Tirol mit dem Wort „Gemeindegut“ passiert.
„Gemeindegut“ wird also als „Gemeindeeigentum“ missinterpretiert?
Kohl: Ja. Die Kraft des Begriffs „Gemeindegut“ hat sich, um nochmals mit Bacon zu sprechen, gegen den Geist gekehrt. Die Kraft des Begriffs „Gemeindegut“ wird, wenn man sie der juristischen Kategorie der „Rechtskraft“ unterwirft, zu einer sich selbst legitimierenden Zwangsvorstellung, die sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entzieht. Der Rechtsstaat und die Gerechtigkeit bleiben auf der Strecke.
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Interview aus Gemeindegut. Unabhängiges Magazin für Tirolerinnen und Tiroler, Heft 2 / April 2013. MP
Im Zuge der Tiroler Forstregulierung wurden die Forderungen der Tiroler nach Anerkennung als Waldeigentümer erfüllt. Der Kaiser hat freilich auch die Staatsinteressen im Auge behalten: Rund 100.000 ha des Nordtiroler Nutzwaldes wurden als Staatseigentum zurück behalten – heute Bundesforste in Nordtirol. Die anderen Wälder wurden als Einzeleigentum anerkannt oder diversen Nachbarschaften, damals „Gemeinden“ genannt, ins Gemeinschaftseigentum übertragen. Die Nachbarn von Steinberg am Rofan sind leer ausgegangen.
Die Waldordnung Kaiser Leopolds aus dem Jahr 1685 erklärte den Tiroler Wald als Eigentum des Landesfürsten. Dieses Gesetz wollten die Tiroler in den 1840er Jahren nicht länger akzeptieren. Nach Einholung von Gutachten zu den Waldeigentumsverhältnissen bereinigte Kaiser Ferdinand im Jahr 1847 die Rechtslage in Form einer Servitutenablösung. Eine Staatskommission erhob 36.150 holzbezugsberechtigte Tiroler Familien. Die Ablösung dieser Rechte gegen Waldeigentum erfolgte in Form von Gemeinschaftsliegenschaften für die jeweiligen Nachbarschaften. Weil man die Nachbarschaften damals als „Gemeinde“ bezeichnete, wurde dieses Nachbarschaftsgut als „Gemeindegut“ bezeichnet.
STAATSINTERESSE IM VORDERGRUND
Politisch versuchte der Kaiser eine Einigung mit den Tirolern zu erreichen. Bei den Vorgaben an seine Servituten-Ablösungskommission verfolgte er auch andere Ziele: In den gekräuselten Worten der Kanzleisprache des 19. Jahrhunderts (siehe nebenstehender Kasten) wies er seine Beamten an, vorrangig an die Staatsinteressen zu denken und umweltsensible Waldstrecken im Staatseigentum zu belassen. 283 Vergleiche betreffend Wald und Almen wurden in dieser Zeit mit den Nachbarschaften ausverhandelt. Die allermeisten wurden auch umgesetzt.
Abgesehen vom Schutz sensibler Zonen sollte der Holzbedarf für die landesfürstliche Saline Hall und für die Bergwerke sicher gestellt werden. Aus diesem Grund wurde in der kleinen Gemeinde Steinberg am Rofan nie eine Servituten-Ablösung in Erwägung gezogen. Die Bauern dort versorgten nämlich die Bergwerke Achenrain und Brixlegg mit deren Holzbedarf und die Kommision wollte deshalb an den Grundeigentumsverhältnissen nichts ändern.
„Gemeinschaftseigentum“, welches mit „Gemeindeeigentum“ verwechselt werden hätte können, ist in Steinberg am Rofan deshalb nie entstanden. Im Zuge der Grundbuchanlegung wurden der Ortsgemeinde Steinberg am Rofan nur rund 1 ha Grund (Gemeindewege und öffentliche Plätze) als Eigentum zuerkannt. Rund 6.000 ha Liegenschaften gehörten dem Kaiser, heute „Bundesforste“. Die Stammliegenschaftsbesitzer von Steinberg am Rofan sind heute noch als „Einforstungsberechtigte“ zur Nutzung dieser Staatsliegenschaften berechtigt.
Insoweit die Stammliegenschaftsbesitzer die Servituten-Ablösungsangebote nicht angenommen haben, definierte der historische Gesetzgeber die so genannten „Gemeindewälder“ als Staatseigentum, heute Bundeseigentum, gewidmet den „Bundesforsten“. Dies betraf auch die sogenannten „landesfürstlichen Freien“, das waren „öde Gründe“, welche sich zerstreut zwischen den Höfen, in und um die Dörfer und Weiler, dann an den Wegen befinden …“. Kam kein Vergleichsabschluss zustande, verblieb das gesamte Liegenschaftseigentum an Wald und „landesfürstlichen Freien“ im Eigentum des so genannten k. k. Ärar, der kaiserlich königlichen Finanzkasse. Kein Nachteil ohne Vorteil: Die Stammliegenschaftsbesitzer wurden diesfalls auch in späterer Folge nicht grundsteuerpflichtig, eine Konsequenz aus den Vergleichsabschlüssen, deren genaue Rechtsfolgen in den Jahren 1847 bis 1849, als die Masse der Servituten-Ablösungsvergleiche in Nordtirol abgeschlossen wurde, noch nicht kalkulierbar waren.
ZÄHE VERHANDLUNGEN IM ZILLERTAL
Eine von den „berechtigten Gemeinden“, welche sich nie zum Vergleichsabschluss „herbeigelassen haben“, war diejenige der Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos. Die Hintergründe für die Ablehnung des Ablösungs-Geschäfts macht das Protokoll vom 21. Dezember 1849 deutlich, welches von sämtlichen Mitgliedern der Forstservituten-Ablösungskommission über die „Annehmbarkeit der im Landgerichte Zell abgeschlossenen Vergleiche“ aufgenommen wurde: „Die Ursache, warum mehrere Gemeinden des Zellerbezirkes zu keiner Abfindung vermacht werden konnten, läßt sich zumeist auf die eigenthümlichen Einforstungs- u. Steuerverhältnisse, vorzüglich aber auf die ungemessenen Ansprüche der Gemeindevertreter zurückführen; so zb. zahlt das Forstärar für die Gerloser Wälder jährlich bei 1200 f Steuer an den Steuerfonds, welche Steuer zum großen Theil im Falle einer Abfindung die Gemeinde Gerlos übernehmen müßte, welches wohl nie zu erwarten sein dürfte. Die Gemeinden Brandberg u. Mairhofen haben bisher ein u. die nämliche Waldung gemeinschäftlich benützt, u. es konnte eine verhältnismäßige Abtheilung dieser Waldung zwischen beiden Gemeinden ungeachtet aller dahin gerichteten Bestrebungen der Kommission nicht erzweckt werden, weil Brandberg diesen Wald für sich allein als Eigentum in Anspruch nahm. Zellberg hat Staatswaldteile im Voraus als Eigentum angesprochen, welche die Kommission zur Abfindung der Gemeinde zwar als Eigentum zutheilen wollte. Allein diese Zuteilung konnte die auf weitere Staatswaldteile gerichteten Ansprüche der Gemeinde nicht befriedigen, daher eine Abfindung derselben nicht möglich war. Es ist indes zu erwarten, dass nachträglich solche Gemeinden sich zur Abfindung auf der Grundlage der kommissionellen Anträge melden dürften, besonders wenn der status quo in Hinkunft streng gehandhabt, u. eine solche Abfindung noch nachträglich angenommen wird. Letzteres ist auch sehr zu wünschen, weil dadurch nicht nur Differenzen mit dem Aerar, sondern auch unter den Gemeinden u. Gemeindeabtheilungen beseitigt würden. Johann Gasser, Gubernial Sekretär.“
Wie Gubernial Sekretär Johann Gasser richtig vermutete, war die Übernahme dieser Steuer den Stammliegenschaftsbesitzern von Gerlos tatsächlich nie möglich. Die praktischen Auswirkungen der Ablehnung des „landesfürstlichen Angebots“ zur Servitutenablösung lassen sich in der Katastralgemeinde Gerlos gut nachvollziehen: Die Stammliegenschaftsbesitzer von Gerlos besitzen kein Gemeinschaftseigentum an Nutzwäldern und selbstverständlich besitzt auch die politische Ortsgemeinde Gerlos kein Waldeigentum – woher auch? Zusätzlich zu den Wäldern verblieben die „landesfürstlichen Freien“, öde Gründe, welche sich zerstreut zwischen den Höfen, in und um die Dörfer und Weiler, dann an den Wegen befinden, im Eigentum des k. k. Aerars. Heute noch sind deshalb zahllose Flächen im Dorfkern und um den Dorfkern von Gerlos und selbstverständlich alle Wälder im Gemeindegebiet von Gerlos Eigentum des Staates, konkret Bundeseigentum unter der Verwaltung der Österreichischen Bundesforste AG.
Während im Tiroler Oberland – soweit ersichtlich – keine einzige Nachbarschaft den Vergleichsabschluss verweigert hat, findet man im hinteren Zillertal eine weit überproportional große Anzahl an „Verweigerungsgemeinden“. Das Protokoll, welches von sämtlichen Mitgliedern der Forstservituten-Ablösungskommission über die Annehmbarkeit der im Landgerichte Zell abgeschlossenen Vergleiche am 21. Dezember 1849 aufgenommen wurde, gibt darüber beredte Auskunft: „Bei der Gemeinde Finkenberg mußte die Fraktion Dornauberg in den Staatswaldungen eingeforstet belassen werden, weil die dazu gehörigen Höfe so zerstreut liegen, daß fast für jedes Gut eine Waldparzelle hätte ausgeschieden werden müssen, worin aber dennoch nicht alle nöthigen Holzsortimente enthalten gewesen wären.“ Und weiter: „Den Sieberlagler Gütern, welche nach der polit. Eintheilung zur Gemeinde Laimach gehören, werden ihre bisherigen Einforstungsrechte in Staatswaldungen aus dem Grunde vorbehalten, weil sie die Waldbenützung gemeinschaftlich mit der nicht abgefundenen Gemeinde Schwendberg ausüben, von welcher sie nicht getrennt werden konnten. In einem gleichen Falle befindet sich die Fraktion Mühlen, welche in polit. Beziehung zur Gemeinde Schwendau gehört, aber in den Staatswaldungen gemeinschaftlich mit der Gemeinde Schwendberg eingeforstet ist. Die Abfindungsversuche mit den übrigen Gemeinden des Landgerichtsbezirkes scheiterten theils an den überspannten Forderungen derselben, theils wie bei Brandberg u. Mayerhofen an der Uneinigkeit über die Abtheilung der gemeinschaftlich benützten Waldungen, die sie auch nicht in das gemeinschaftliche Eigenthum übertragen wollten, endlich auch u. zwar namentlich bei Gerlos an der Verweigerung der Steuerübernahme. Bei diesen Gemeinden erübrigt daher nichts anderes, als es vorläufig bei der bisherigen Einforstung zu belassen, jedoch auf eine bessere Waldwirtschaft hinzuwirken, und günstigere Verhältnisse zu einem etwaigen guten Abfindungsversuch abzuwarten, der seiner Zeit auch durch die Administrativbehörde eingeleitet werden könnte.“ Der Kommissionsvorsitzende Moritz von Kempelen zusammenfassend: „Alle Bemühungen und oft wiederholten Verhandlungen blieben jedoch erfolglos, und so wird leider in acht Gemeindebezirken dieses Landgerichtes der status quo der Einforstungen mit allen seinen hemmenden Einflüssen auf die Forst-Verwaltung u. Bewirtschaftung aufrecht erhalten werden müssen, wenn, was nicht unwahrscheinlich ist, ein oder die andere Gemeinde nicht selbst um nachträgliche Abfindung einschreitet.“
Em. o. Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne ( * 1924; † 2014), der Doyen des österreichischen Agrarrechts (2013). Zwanzig Jahre war em. o. Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne Leiter der Vorarlberger Agrarbehörde, bis er 1972 als Universitätsprofessor nach Wien berufen wurde. Den Werdegang des Verfassungsgerichtshof-Erk Slg 9336/1982 erlebte er als Zeitzeuge direkt mit. Sein Freund, der Tiroler Verfassungsrichter und Agrarexperte Andreas Saxer, hatte mit ihn eingebunden; dies ob der von Saxer befürchteten grundsätzlichen Auswirkungen auf das Flurverfassungsrecht.
Aus der Fehlentscheidung Slg 9336/1982 im Jahr 1982 – Professor Kühne spricht von einem „Verkenntnis“ – ist im Jahr 2008 das „Mieders-Erkenntnis“ hervorgegangen. Anders als in Tirol hat man jedoch in Vorarlberg bis heute keinen Fall von „Substanzrecht der Ortsgemeinde“ gefunden. Das „atypische Gemeindegut“ ist in Vorarlberg nicht aufgetaucht. Die Vorarlberger Stammsitzeigentümer wurden vom Gemeindeguts-Irrsinn verschont!
Em. o. Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne
* 1924; † 2014 Volks- und Mittelschule Feldkirch 1942 bis 1945: Militärdienst, Fronteinsatz, Ostfront, Funker 4. Kav.Brig. 1945 bis 1949: Jusstudium an der Universität Innsbruck 1950: Gerichtsjahr 1950 bis 1972: Landesdienst Vorarlberg 1953 bis 1972: Vorstand der Agrarbezirksbehörde 1972: Ernennung zum o. Universitätsprofessor für Rechtswissenschaften 1972 bis 1992: Vorstand des Instituts für Rechtswissenschaften an der TU Wien; 1992: Emeritierung 1980 bis 2002: Richter am Staatsgerichtshof in Lichtenstein Forschungsschwerpunkte: Bodenreformrecht, Enteignungsrecht, Raumordnungsrecht, Wasserrecht, Wechselbeziehungen zwischen Technik und Recht.
Erkenntnis oder Verkenntnis?
Seit seiner Emeritierung als Vorstand des Instituts für Rechtswissenschaften an der Technischen Universität in Wien, lebte O. Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne wieder in Hard in Vorarlberg. Seine Leidenschaft aus vergangenen Jahren als Jurist der Vorarlberger Landesregierung, das Agrarrecht, hat ihn dort wieder eingeholt. Josef Kühne war 20 Jahre lang Vorstand der Vorarlberger Agrarbehörde, jener Landesbehörde, die in den 1950er und 1960er Jahren 92 sogenannte Alpgenossenschaften und 29 Agrargemeinschaften aus „Gemeindegut“ reguliert hat.
Josef Kühne war Weggefährte des langjährigen Leiters der Tiroler Agrarbehörde Dr. Albert Mair. Beide leiteten zeitgleich in den Bundesländern Vorarlberg und Tirol die Agrarbehörde I. Instanz. Gemeinsam mit Albert Mair organisierte Josef Kühne die erste Agrarbehördenleitertagung 1958 in Bregenz, wo Albert Mair seinen mittlerweile berühmten Vortrag „Probleme der Regulierung des Gemeindeguts“ gehalten hat. Seither ist die Agrarbehördenleitertagung eine ständige Einrichtung geworden, bei der sich die österreichischen Agrarjuristen im Zweijahresturnus zum Gedankenaustausch treffen.
Als Universitätsprofessor in Wien wurde Josef Kühne Zeitzeuge der Entstehung des Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses Slg 9336/1982. Der mit Josef Kühne eng befreundete Tiroler Verfassungsrichter Andreas Saxer war in großer Sorge, dass das Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses Slg 9336/1982 zum Ursprung einer gravierenden Fehlentwicklung im Flurverfassungsrecht werden könnte.
Rückblickend bedauerte Josef Kühne, dass er die Anregungen seines Freundes, Andreas Saxer, nicht aufgegriffen hat. Erst das Mieders-Erk 2008 veranlasste Josef Kühne zur Feder zu greifen, um der falschen Idee vom Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde entgegen zuz treten. In zwei Beiträgen zum Sammelband „Die Agrargemeinschaften in Westösterreich“ (2011) hat er sich klar gegen die Enteignung der Tiroler Grundbesitzer positioniert.
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Interview mit Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne
Juli 2013
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Kühne. Jedes Bundesland hat seine eigene Agrarrechtsgeschichte geschrieben. Was ist an Vorarlberg besonders bemerkenswert?
Univ.-Prof. Dr. Kühne: In Vorarlberg wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg über nachhaltige Forderung der heimkehrenden Generation unter dem sehr fortschrittlichen LH Dr. Otto Ender ein Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetz geschaffen. Dringlich war damals die Aufteilung von schlecht bewirtschafteten agrargemeinschaftlichen Acker- und Weideflächen im Rheintal. Um ein Einzelteilungsverfahren des Gemeindeguts durchzuführen, wurde ein Spezialgesetz geschaffen. Danach wurden viele Hektar Gemeinschaftsgut im Rheintal in Einzeleigentum der Teilgenossen umgewandelt. Eigentliche Regulierungen von Agrargemeinschaften sind in Vorarlberg über Jahrzehnte nicht durchgeführt worden. Lediglich für Alpgenossenschaften wurden Verfahren zur Erlangung von Förderungen in größerer Zahl eingeleitet. Bis zum Inkrafttreten des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1951 wurde jedoch kein einziges Verfahren abgeschlossen.
Offensichtlich hatten Sie viel zu tun, als Sie die Leitung der Agrarbezirksbehörde übernommen haben.
Kühne: Das ist richtig. 1952 als 13. Bediensteter der neuen Agrarbezirksbehörde, die zuvor nur eine agrartechnische Abteilung in einem Nebengebäude war, musste ich erst einmal Büro, Personal und Geräte beschaffen. Von der vormaligen Agrarrechtsabteilung im Amt der Landesregierung wurden nur Stöße von unerledigten Akten beigesteuert – dies ohne Kommentar. Ein 1952 gesuchter erster statistischer Überschlag zeigte auf circa der Hälfte der Vorarlberger Landesfläche einen Stand von knapp 400 agrarischen Gemeinschaften, davon mehr als 300 Alpgenossenschaften und rund 60 Gemeinschaften aus Gemeinschaftsgut im Süden. Die Agrarstruktur weist nämlich eine hochinteressante Zweiteilung auf. Mit dem geschichtlich keltisch-rätischen und später rätoromanischen Gebiet im Süden, wo bis heute örtliche Gemeinschaften an Wald, Weide, Alpen und Ackerland bestehen, und einem alemannischen Norden, wo nur aufgeteilte Allmenden an Wald, Weide und Äckern existieren, mit zahlreichen Alpgenossenschaften im Bregenzerwald. Nennenswerte Adels- oder Klöstergüter mit Einforstungsrechten gab es nur vereinzelt. An Staats- bzw. Bundesforsten gab es nur die mit Vertrag von 1883 abgelösten Waldungen des Forstfonds Stand Montafon sowie die mit Servitutenablösevertrag 1972 durch die Agrargemeinschaft Nenzing erworbenen Waldungen von ca. 1500 ha im Tal Gamperdona. Bundesforste gibt es heute in Vorarlberg keine mehr.
Sie schreiben im Buch „Die Agrargemeinschaften in Westösterreich“, dass das Recht der Agrargemeinschaften seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs Sammlung 9336/1982 eine Entwicklung zur Wirrnis genommen hat. Wie ist das zu verstehen?
Kühne: In diesem Erkenntnis wurde anhand eines „Rückgriffes“ auf die längst überholten Gemeindeordnungen des 19. Jahrhunderts die Behauptung aufgestellt, dass Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung nur im Gemeinderecht und dort zwingend als ein Gut im Eigentum der Ortsgemeinde geregelt sei. Diese Behauptung ist schlicht und einfach falsch – völlig rechtsirrig. Das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung war schon nach der vorläufigen Gemeindeordnung 1849 und nach dem Reichs-Gemeindegesetz von 1862 aus dem Gemeindegutsbegriff ausdifferenziert und es war dessen unveränderter Bestand gewährleistet. Ein Eigentum der neuen politischen Gemeinden ist gesetzlich nicht statuiert. Und dieses Gemeinschaftsgut in agrargemeinschaftlicher Nutzung wurde dem Reichsrahmengesetz über die Teilung und Regulierung von 1883 unterworfen. Gemäß den jeweiligen Landesausführungsgesetzen sollte dieses Gemeindegut der „agrarischen Operation“ unterliegen, das heißt der Teilung und Regulierung. Das Gemeinderecht ist und war deshalb die falsche Rechtsquelle, um über das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung zu urteilen. Dies jedenfalls dann, wenn es um mehr geht als eine vorläufige Verwaltung.
Wann und wie ist eine Änderung des Gemeinderechts im Blick auf das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz erfolgt?
Kühne: Gemeinderecht ist Landessache.
Bodenreform und somit Flurverfassung ist hingegen in Grundsatzgesetzgebung Bundessache, in Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung Ländersache. Diese klare Kompetenzregelung erfordert die gesonderte Betrachtung jedes Bundeslandes. Blicken wir auf Tirol und Vorarlberg, so sieht man, dass die Landesgesetzgeber schon im Jahr 1935 die Gemeindeordnungen grundlegend an die durch die Bundes-Verfassung 1920, die dortige Kompetenzregelung „Bodenreform“ und das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 geänderte Rechtslage angepasst haben. Das Bundeskanzleramt hatte dazu allen Landesgesetzgebern eine Vorgabe geliefert. Ausdrücklich wurde von den Landesgesetzgebern verlangt, dass die nach dem Flurverfassungs-Grundsatzgesetz als Agrargemeinschaft geltenden, ehemaligen Teile des „Gemeindegutes“ vom Gemeinderecht auszunehmen seien. Die Gemeindeverwaltung sollte mit Erlass der Landes-Flurverfassungsgesetze enden. Die Landesgesetzgeber hätten diese Liegenschaften bei der Definition des Gemeindeeigentums auszunehmen, was in den Gemeindeordnungen beider Länder auch tatsächlich geschehen ist. Vorarlberg hat im Gemeindegesetz 1935 und im Gemeindegesetz 1965 die weitere Regulierung des Gemeinschaftsgutes ausschließlich dem Bodenreformrecht zugeordnet. Damit wurden alle Agrargemeinschaften samt dem ehemaligen Gemeindegut definitiv aus dem Gemeinderecht ausgenommen.
Wie ging es in Vorarlberg dann weiter?
Kühne: So lange die neuen Flurverfassungs-Landesgesetze noch nicht in Kraft waren, wurden die alten Verwaltungs-Regelungen der Gemeindeordnungen angewandt. Das Gesetz sagte klipp und klar aus, dass die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut, soweit dieses agrargemeinschaftlich genutzt wird, im künftigen Flurverfassungs-Landesgesetz geregelt werden und dass mit Inkrafttreten des Vorarlberger Flurverfassungs-Landesgesetzes das Gemeinderecht nicht länger anzuwenden ist. Im Jahr 1951 wurde dann in Vorarlberg das Flurverfassungs-Landesgesetz geschaffen. Mit dessen Inkrafttreten wurden die Bestimmungen der Vorarlberger Gemeindeordnung für das agrargemeinschaftlich genutzte Gemeindegut unanwendbar. Dies schließt eine „konkurrierende“ Gemeindezuständigkeit aus. Die Vorarlberger Agrarbehörde konnte freilich nicht alle Agrargemeinschaften zugleich regulieren. Dies hat der Vorarlberger Landesgesetzgeber dann auch erkannt. Das Gemeinderecht wurde deshalb 1965 nochmals angepasst. Die Ortsgemeinden wurden verpflichtet, unreguliertes Gemeindegut bis zur Regulierung unter Anwendung der Bestimmungen des Vorarlberger Flurverfassungs-Landesgesetzes 1951 zu verwalten. In Tirol ist die Rechtsentwicklung etwas anders verlaufen, jedoch mit demselben wesentlichen Ergebnis.
Wie konnte sich der Verfassungsgerichtshof 1982 diesen Tatsachen verschließen und die Behauptung aufstellen, dass das Gemeindegut zwingend durch das Gemeinderecht als Eigentum einer Ortsgemeinde geregelt sei?
Kühne: Ich habe bereits erklärt, dass dieses Erkenntnis grundfalsch, verfassungswidrig und rechtsirrig war. Ich spreche deshalb nur von einem „Verkenntnis“. Der Tiroler Verfassungsrichter Andreas Saxer war Referent und Berichterstatter in den Bodenreform-Beschwerdefällen Feldkirch und Innsbruck, die zu diesem „Verkenntnis“ geführt haben. Zum Fall Feldkirch hat mich Verfassungsrichter Saxer, mit dem ich befreundet war, schon damals an der TU Wien konsultiert, da ich in den 1950er Jahren verantwortlich für die Regulierung des Gemeinschaftsguts verschiedener Dörfer war. Saxer und sein Kollege Heimgar Quell setzten sich mit ihrer Meinung im Richterkollegium bei der Abstimmung jedoch nicht durch und es wurde ein neuer Referent bestellt, der letztlich dieses „Verkenntnis“ verantwortet hat. Bei einem eingehenden Gespräch zeigten sich Saxer und Quell damals in ernster Sorge, dass sich aus dem Urteil große Verwerfungen im Flurverfassungsrecht ergeben könnten. Die Befürchtungen erwiesen sich als mehr als berechtigt. Das Flurverfassungsrecht hat weitere Regulierungen verhindert und eine Entwicklung zu Verwirrung und nachfolgenden „Verkenntnissen“ des Verwaltungsgerichtshofes genommen. Eigentum von Agrargemeinschaften wird offenkundig rechtswidrig als Gemeindeeigentum hingestellt.
Herr Universitätsprofessor Dr. Kühne, die Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder verstehen nicht, warum ein „atypisches Gemeindegut“ in Vorarlberg bis heute nicht gefunden wurde. Wie erklären Sie das?
Kühne: Etwas, das nicht existiert, kann man nicht finden, sondern nur erfinden! Das, was im Grundbuch als Gemeindeeigentum angeschrieben war, war „nackter Tabularbesitz“ der Ortsgemeinden. Wer zu Unrecht im Grundbuch als Eigentümer aufscheint, muss dieses Eigentum herausgeben, sobald der wahre Eigentümer dies fordert. Wenn die Ortsgemeinden keinen Eigentumstitel für ihren Tabularbesitz hatten, mussten die Agrarjuristen das Eigentum den Agrargemeinschaften zusprechen. Das Agrarrecht verlangt jedoch nicht nur eine Entscheidung über den wahren Eigentümer. Das Agrarrecht verlangt auch, dass der Agrarjurist das Einvernehmen suchen soll zwischen der Ortsgemeinde und den Agrargemeinschaftsmitgliedern. Es soll ein Parteienübereinkommen, eine Einigung, erzielt werden. Die Engländer drücken das trefflich aus: „Don’t litigate, don’t arbitrate, find a settlement“. Und darauf habe ich bei den Regulierungen besonderen Wert gelegt.
Wie sahen diese Parteienübereinkommen aus?
Kühne: Unter meiner Anleitung wurden bei allen Vorarlberger Regulierungen von Gemeindegut ganze Vertragswerke erarbeitet. Alle Einzelheiten der Vermögensauseinandersetzung zwischen den Agrargemeinschaftsmitgliedern und der Ortsgemeinde wurden vereinbart, Grundstücksverzeichnisse erstellt und allenfalls Pläne. An solchen Verträgen ist nichts Verfassungswidriges, da gibt es nichts zu rütteln. „Pacta sunt servanda“ – das ist einer der ältesten und wichtigsten Grundsätze im Recht überhaupt. Im „Mieders-Erkenntnis“ vom Juni 2008 hat der Verfassungsgerichtshof derartigen „Parteienübereinkommen“ mit keinem Wort die Gültigkeit abgesprochen. Die Vorarlberger Agrarbehörde konnte dann gar nicht anders und hat diesen Verträgen auch für die Zukunft Verbindlichkeit zuerkannt. Das Phantom des „atypischen Gemeindeguts“ hat somit Vorarlberg verschont.
Im Gemeinderecht soll es auch Unterschiede geben?
Kühne: Das sind Details am Rande. Diese Details helfen aber beim Verständnis der Zusammenhänge zwischen Gemeinderecht und Flurverfassung. Nach der Rechtslage der Monarchie sollte agrargemeinschaftliches Gemeindegut entweder aufgeteilt werden oder in der Verwaltung durch die Ortsgemeinden bleiben. Eine Agrargemeinschaft neben der Gemeindeverwaltung war nicht vorgesehen. Die Österreichische Bundesverfassung 1920 hat dann eine Trennlinie gezogen: Bodenreformmaßnahmen konnten nicht mehr im Gemeinderecht geregelt werden. Deshalb hat das Vorarlberger Gemeinderecht 1935 die Anordnung getroffen, dass alle Bestimmungen der Gemeindeordnung für das agrargemeinschaftliche Gemeindegut außer Kraft treten, sobald das Vorarlberger Flurverfassungs-Landesgesetz in Kraft tritt. Ab dem Jahr 1951 hat deshalb das Vorarlberger Gemeinderecht keine inhaltlichen Bestimmungen zum agrargemeinschaftlichen Gemeindegut mehr enthalten. Die Gemeindeordnung von 1965 hat ausdrücklich angeordnet, dass die Gemeinden bei der Verwaltung des nicht regulierten agrargemeinschaftlichen Gemeindeguts das Flurverfassungsrecht anwenden müssen. Diese besondere Bestimmung fehlt im Tiroler Gemeinderecht. Dadurch blieb in Tirol mehr Platz für missverständliche Auslegung. Trotzdem sagt auch das Tiroler Gemeinderecht klipp und klar aus, dass das Gemeinderecht niemals in die gesetzlichen Vorschriften über die Flurverfassung eingreifen kann.
1982 hat sich der Verfassungsgerichtshof jedoch auf den Standpunkt gestellt, dass das agrargemeinschaftliche Gemeindegut im Gemeinderecht als Eigentum der Ortsgemeinde geregelt sei. Wie lässt sich das mit dem Gesetz vereinbaren?
Kühne: Ich kann mich hier nur wiederholen. Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 1982 mit dieser Aussage das Gesetz gebrochen. Ohne Beachtung der Bestandsgarantien der Gemeindegrundsatzordnungen von 1849/1862 und der entsprechenden Gemeindegesetze von Vorarlberg und Tirol aus den Jahren 1864 und 1866, 1935 und später, wurde das agrargemeinschaftliche Gemeindegut entschädigungslos als Eigentum der Ortsgemeinden „dekretiert“. Eine über hundertjährige Rechtsentwicklung wurde ignoriert. Das Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz 1883, die Landes-Ausführungsgesetze dazu, die Verfassung 1920, das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1932 samt Ausführungsgesetzen und die Anpassung der Landes-Gemeindegesetze daran, wurden ignoriert. Das vom Gesetzgeber historisch gewollte Verhältnis von Flurverfassung und Gemeinderecht wurde in das Gegenteil verkehrt. Deshalb spreche ich vom Verkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg 9336/1982.
In Tirol wird verbreitet, die Regulierung des Gemeindeguts sei von den Nazi erfunden worden. Was sagt ein Vorarlberger Agrarjurist dazu?
Kühne: Das ist glatter Unsinn. In Tirol und Vorarlberg bestand offenbar lange Zeit kein dringender Bedarf nach Teilungs- und Regulierungsgesetzen. Alte örtliche Gemeinschaften fungierten unangefochten als Rechts- und Verwaltungsstrukturen. Daneben haben aber auch sehr große, mehrere Dörfer („Kirchtürme“), ganze Talschaften umfassende agrarische Gemeinschaften bestanden, die kraft Gewohnheitsrecht als „moralische Personen“ nach uralten Statuten ihr Vermögen verwalteten. In Tirol wurde erst im Jahr 1908 auf Initiative des Agrarausschusses im Wiener Reichsrat ein Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht. 1909 trat das Tiroler Teilungs-Regulierungs-Landesgesetz in Kraft. In Vorarlberg wurde das Gesetz überhaupt erst 1921 geschaffen. Federführend war Alt-Landeshauptmann Dr. Otto Ender, ein hervorragender Experte des Bodenrechts. Im Motivenbericht zum Gesetz, den er selbst verfasst hat, erläutert er detailliert, warum das agrargemeinschaftliche Gemeindegut der Teilung und Regulierung zu unterwerfen ist. Vergleichbares findet sich in den Materialien zum Teilungs-Regulierungs-Reichsgesetz von 1883. Mit den Nazis hat das alles gar nichts zu tun. Leider gibt es viele selbst ernannte, angebliche „Agrar-Experten“, die in Wahrheit vom Agrarrecht nur nebulöse Vorstellungen haben. Das gilt für Tirol nicht weniger als für Vorarlberg.
Macht Sie der Vorwurf betroffen, die Agrarbeamten hätten rechtswidrig Eigentum vom Staat auf die Agrargemeinschaftsmitglieder übertragen?
Kühne: Nein keineswegs. Dieser Vorwurf ist schlicht unberechtigt! Die Regelung einer so schwierigen, uralten Materie wie des agrargemeinschaftlichen Gemeindeguts ist hoch komplex. Selbst Autoren, die den Agrargemeinschaften nicht unbedingt gewogen sind, befinden: „Die Verwirrung [um agrargemeinschaftliches Gemeinschaftsgut] ist so groß, dass selbst Fachleute, denen man durchaus Kenntnis der lokalen Verhältnisse zutrauen muss, wenn sie sich zweimal über den Gegenstand äußern, nicht selten einander widersprechende Behauptungen aufstellen.“ Eigentum kann große Emotion auslösen – speziell bei denen, die es nicht besitzen. Sachliche Erwägungen kann man widerlegen, unsachlich-gehässige nur vergessen.
Sie waren selbst über zwanzig Jahre lang Höchstrichter am Staatsgerichtshof in Liechtenstein. Gleichzeitig erlebten Sie als Universitätsprofessor und Institutsvorstand in Wien die Rechtsentwicklung sozusagen „hautnah“. Wie sehen Sie die Zukunft der Agrargemeinschaften?
Kühne: Die von mir im Einvernehmen erzielten Regulierungen haben Gemeindefrieden begründet, zu anerkannten Erfolgen der Waldbewirtschaftung und vor allem zu engagierter privatwirtschaftlich-föderativer Verwaltung geführt. Den Obmännern und Organen der Vorarlberger Agrargemeinschaften sei an dieser Stelle herzlich gedankt und weiterhin Erfolg gewünscht. So wenig ich das Wetter voraussagen will, so wage ich doch aus dem bisherigen Streitverlauf im Lande eines zu sehen: Eine „Rechtsreform“ wird früher oder später kommen, sei es durch höchstgerichtliches Judikat, eine Verfassungsreform oder letztlich durch einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Beharrlichkeit ist erforderlich, weil Gerichtshöfe es an sich haben, einmal beschrittene Pfade nicht verlassen zu wollen, auch wenn die Rechtsposition der historischen Wahrheit strikt zuwider ist. In Vorarlberg und Tirol wird beginnend mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 1982 ein „Dreißigjähriger Agrargemeinschaftskrieg“ geführt. In diesem Kampf ums Recht soll ein Zitat aus Goethes „Faust“ als Leitspruch dienen: „Wer das Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit.“
…
Interview aus Gemeindegut. Unabhängiges Magazin für Tirolerinnen und Tiroler. Heft 5/Juli 2013 und Heft 6/August 2013. MP
Warum das Mieders-Erkenntnis für Vorarlberg nicht anwendbar ist
Auszug aus: Zu Agrargemeinschaften in Vorarlberg, von Josef Kühne (2011)
12.1. Da die „Unterkommission“ im Amt der Landesregierung und die Initiative des Gemeindeverbandes zur Beurteilung des rechtlichen Status der regulierten Agrargemeinschaften in Vorarlberg vom VfGH – Erkenntnis „Mieders“ 2008 ausgehen, ist es angezeigt, hierauf näher einzugehen:
Unterkommission und Gemeindeverband übersehen die Sachverhaltsgrundlage, die – offensichtlich im Verfahrensverlauf unangefochten – dem VfGH-Erk Slg 18.446/2008 zu Grunde gelegt war: Die Agrarbehörde I. Instanz hatte mit Bescheid vom 9.11.2006 (in extenso zitiert im Erk) wesentliche Feststellungen getroffen, welche für die Regulierungen in Vorarlberg, hiermit bestätigt und belegt vom Verfasser als verantwortlichem „Operationsleiter“, allesamt nicht zutreffend sind.
12.2. Laut den im VfGH-Erk Mieders wiedergegebenen Feststellungen der Agrarbehörde I. Instanz im Bescheid vom 9.11.2006 wäre die historische Agrarbehörde – auf Vorarlberg umgelegt, der Verfasser – von folgenden Voraussetzungen ausgegangen:
„Den Regulierungsurkunden zum Gemeindegut kann nicht (gegen das Gesetz und gegen die Verfassung) eine Bedeutung und jener Inhalt unterlegt werden, dass Aufgabe und Inhalt der Gemeindegutsregulierung gewesen wäre, Gemeindegut nach den Regelungen der Bodenreform rechtlich zu beenden und zu vernichten. Das Gegenteil ist der Fall, das Vorliegen von Gemeindegut war rechtliche Voraussetzung, dass an diesem Gemeindegut die alten öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen und Nutzungsverhältnisse in einem Regulierungsplan der Agrarbehörde festgeschrieben werden konnten, lediglich die Verwaltung und Bewirtschaftung des Gemeindegutes sollte durch Regulierung mehr geordnet und gesichert werden. Damit ist aber die rechtliche Qualifikation als Gemeindegut keineswegs untergegangen! Dies war den leitenden Beamten in der Agrarbehörde und den an solchen Gemeindegutsagrargemeinschaften Beteiligten, vorrangig den jeweiligen Gemeinden, natürlich bewusst.“
Wie im Agrarbehördenbescheid zur Agrargemeinschaft Mieders vom 9.11.2006 solche „Feststellungen“ getroffen werden konnten, muss ein Rätsel bleiben, stehen diese doch in krassem Widerspruch zum historischen Verständnis vom Begriff „Gemeindegut“, offen gelegt in der Abhandlung des langjährigen Tiroler Behördenleiters Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, Vortragsmanuskript für die erste Agrarbehördenleitertagung 1958, Bregenz, abgedruckt in: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 7 ff. Für Vorarlberg darf der Verfasser, der gemeinsam mit Albert Mair 1958 die Agrarbehördenleitertagungen als bis heute ungebrochene Tradition initiiert hat, zu diesen Ausführungen folgendes klarstellen: Wie Albert Mair schon auf der Leitertagung 1958 klarstellte, ist das „agrargemeinschaftlich genutzte Gemeindegut“ vom „Gemeindegut im Allgemeinen“ zu unterscheiden (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindeguts, aaO, 9f). Die Tiroler und die Vorarlberger Gemeindeordnungen hatten übereinstimmend beim „Gemeindegut“ unterschieden: agrargemeinschaftliche genutztes Gemeindegut (recte Gemeinschaftsgut!) war und ist der rechtlichen und wirtschaftlichen Regelung nach der Flurverfassung zugewiesen; § 117 Tiroler Gemeindeordnung 1935 LGBl 36/1935 lautet: „Für die Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeindeguts, insoweit dieses aus agrargemeinschaftlichen Grundstücken im Sinne des Flurverfassungslandesgesetzes besteht, sind die Bestimmungen des Flurverfassungslandesgesetzes maßgebend.“ § 102 Abs (3) Vorarlberger Gemeindeordnung 1935 LGBl 1935/25 lautet: „Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 15 Absatz 2 Punkt d des Bundesgesetzes betreffend Grundsätze für die Flurverfassung BGBl Nr 256/1932 geltenden Teile des Gemeindegutes werden durch das Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz geregelt; bis dahin bleiben die bisher geltenden Vorschriften in Kraft.“
Was soll es heißen, wenn vor dem Hintergrund dieser klaren Entscheidungen in den Gemeindeordnungen im Bescheid vom 9.11.2006 der Tiroler Agrarbehörde I. Instanz in den Raum gestellt wird, „Gemeindegut nach den Regelungen der Bodenreform rechtlich zu beenden und zu vernichten“?
1. Es ist nach dem seit 1935 in Tirol und Vorarlberg geltenden Gemeinderecht beim Gemeindegut zu unterscheiden: Steht ein Gut in agrargemeinschaftlicher Nutzung oder handelt es sich um „Gemeindegut“ im Sinne von § 288 ABGB?
2. Es ist das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung (Gemeinschaftsgut) nach dem seit 1935 in Tirol wie in Vorarlberg geltenden Gemeinderecht ausdrücklich der Zuständigkeit der Agrarbehörde unterworfen, welche berufen ist, die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut „reformatorisch“ festzustellen und zu entscheiden.
3. Es ist das agrargemeinschaftlich genutzte Gemeindegut nach eindeutigem Wortlaut des Tiroler und Vorarlberger Gemeinderechts ausschließlich nach Flurverfassungsrecht geregelt – in Tirol seit 1935, in Vorarlberg wegen späteren Inkrafttretens des VFLG 1951 ab dessen Geltung.
4. Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die verschiedenen Tatbestände agrargemeinschaftlicher Liegenschaften im Allgemeinen und der Tatbestand des „agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindeguts“ im Speziellen die sachliche Zuständigkeit der Agrarbehörden definieren, eben das „Objekt der agrarischen Operation“.
5. Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die Agrarbehörden in Tirol und Vorarlberg selbstverständlich nicht das „Gemeindegut“ den Regeln der Bodenreform unterworfen haben, um es „zu vernichten“. Im Rahmen ihrer Aufgabe zur Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am „agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut“ war gem § 117 TGO 1935 in Verbindung mit §§ 36 Abs (2) lit d und 38 Abs (1) TFLG 1935 bzw gem § 102 Abs (3) VGO 1935 in Verbindung mit §§ 35 Abs (2) lit d und 37 Abs (1) VFLG 1951 zu entscheiden, wem agrargemeinschaftlich genutzte Grundstücke gehören. (Dazu: Pernthaler, Die Agrargemeinschaften und die agrarische Operation, in diesem Band … xxx; Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, aaO, 26 ff).
6. Es ist schließlich zur Kenntnis zu nehmen, dass eine Agrarbehördenentscheidung über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut keine andere Rechtsqualität hat als diejenige über agrargemeinschaftliche Grundstücke nach anderen Tatbeständen. Agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut ist nach den Gemeindeordnungen Tirols und Vorarlbergs seit 1935 ausschließlich nach Flurverfassungsrecht zu behandeln; die Behauptung in VfSlg 9336/1982, wonach „Gemeindegut“ undifferenziert gem Gemeindeordnungen als Eigentum der Ortsgemeinde festgeschrieben sei, ist schlicht f a l s c h , weil der historischen Wahrheit zu wider laufend. (Ausführlich: Kühne/Oberhofer, Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde, in diesem Band … xxx)
12.3. Laut den im VfGH-Erk Mieders wiedergegebenen Feststellungen der Agrarbehörde I. Instanz im Bescheid vom 9.11.2006 wäre die historische Agrarbehörde, um Gemeindegut nach den Regelungen der Bodenreform „rechtlich nicht beenden und zu vernichten“, in folgender konkreter Absicht zu Werke gegangen:
„Die Zuordnung des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft als Regulierungsmaßnahme […] erfolgte ohnehin als ’nudum ius‘, als nacktes Recht, weil der Regulierungsplan für Gemeindegut regelmäßig nur die damals (allein zulässige!) agrargemeinschaftliche Wald- und Weidenutzung festschrieb. Mehr Recht sollte und wurde auch durch die Zuordnung von Eigentum an die AG als Regulierungsmaßnahme der Agrarbehörde nicht vermittelt (vgl. dazu auch die rechtliche Abhandlung des Agrarbehördenleiters in der Veröffentlichung ‚Probleme der Regulierung des Gemeindegutes‘ im Tiroler Bauernkalender 1966, Seite 251 ff). Hohe Substanznutzungen sind erst lange nach der Regulierung der Holz- und Weidenutzung am Gemeindegut hervor gekommen. Ausschließlich damit, mit der gemeinschaftlichen Holz- und Weidenutzung, haben sich das Regulierungsverfahren und der Regulierungsplan Mieders befasst! Diese Tatsache spiegelt sich ebenso in allen agrarbehördlichen Regulierungsakten wider, wenn es um die Regulierung von Gemeindegut ging. […] Es ging also nur um Streitigkeiten bei der Holz- und Weidenutzung am Gemeindegut. In den Regulierungsverfahren wurden die Nutzungsberechtigten für Holz- und Weidenutzung am Gemeindegut – in seltenen Fällen auch die Jagdnutzung, … und der Umfang der Nutzungen und die Ausübungsmodalitäten festgestellt und die Überwachung und Einhaltung der Gemeinschaftsregeln […] für Holz und Weide für das Gemeindegut einer Agrargemeinschaft zugeordnet.“
Auf den Punkt gebracht wird im Bescheid vom 9.11.2006 behauptet, dass die historische Agrarbehörde agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut rechtlich grundlegend anders zu behandeln gehabt hätte und behandelt hat, wie andere agrargemeinschaftliche Grundstücke und dass am agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut nur die Wald- und Weidenutzung geregelt und der Agrargemeinschaft „nudum jus“ (nacktes Recht) „zureguliert“ worden wäre. Als Belegstelle für solches Behördentun wagt sich „der Bescheid“ auf die Abhandlung von Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes (Tiroler Bauernkalender 1966, Seite 251 ff, nunmehr auch: Die Agrargemeinschaften in Tirol, 7 ff) zu berufen.
Richtig ist an diesen „Feststellungen“ vom 9.11.2006 nur soviel, dass die jeweilige Ortsgemeinde im Regulierungsverfahren über Gemeindegut Parteistellung besitzt und dass diese als Mitnutzungsberechtigte mit einem Anteilrecht bedacht wurde. Sowohl in Tirol, als auch in Vorarlberg war es üblich, so auch in „Mieders“, die Details solcher Regulierungen im Übereinkommensweg zu definieren und auf Grundlage eines Übereinkommens zu entscheiden. Im Übrigen entbehren diese „Feststellungen“ der Tiroler Agrarbehörde im Bescheid vom 9.11.2006 jeder Grundlage.
1. Schlicht falsch und der historischen Wahrheit zuwider, ist die Behauptung, die „Zuordnung des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft als Regulierungsmaßnahme […] erfolgte ohnehin als ’nudum ius‘, als nacktes Recht, weil der Regulierungsplan für Gemeindegut regelmäßig nur die damals (allein zulässige!) agrargemeinschaftliche Wald- und Weidenutzung festschrieb. Von „nacktem Recht“, das eine Agrargemeinschaft kraft „Gemeindegutsregulierung“ besitzen sollte, hat der Verfasser als langjähriger Leiter der Vorarlberger Agrarbehörde zum ersten Mal im Sachverhalt zum Mieders-Erk vom 11.6.2008 gelesen.
2. Schlich falsch und der historischen Wahrheit zuwider, ist die Behauptung, Albert Mair wäre in seiner Abhandlung ‚Probleme der Regulierung des Gemeindegutes‘ im Tiroler Bauernkalender 1966, Seite 251 ff für ein Eigentum der Agrargemeinschaft als „nudum jus“ (nacktes Recht) eingetreten. Das Gegenteil ist der Fall: Albert Mair hat die Rechtsposition der Ortsgemeinde am agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegut, welches das Tiroler Gemeinderecht seit 1935 ausdrücklich der Flurverfassung unterstellt hatte (§ 117 TGO 1935) als Inhaberin eines nackten Rechts, einer „nuda proprietas“ verstanden, besser: als nackten Tabularbesitz. Dies dann, wenn die Prüfung der Rechtsverhältnisse ergeben hatte, dass die Ortsgemeinde zu Unrecht im Grundbuch einverleibt, weshalb auf Eigentum der Agrargemeinschaft zu entscheiden war. Wie Albert Mair schon in seinem Vortrag 1958 klargestellt hat, war im Regulierungsverfahren zu prüfen, „ob der Eigentumstitel der Gemeinde im Grundbuch auf Grund der historisch gewachsenen und tatsächlichen rechtlichen Besitzverhältnisse zur Zeit der Grundbuchsanlegung überhaupt zu Recht einverleibt wurde und ob es sich nicht um eine von vornherein objektiv unrichtige Grundbuchseintragung handelt“ (Albert Mair, aaO, 17). Dass diese Eigentumsentscheidung nicht willkürlich, sondern sachlich begründet war, haben Öhlinger/Oberhofer/Kohl, Das Eigentum der Agrargemeinschaft, in diesem Band 41ff, nachgewiesen.
3. Schlicht falsch und der historischen Wahrheit zuwider, ist schließlich die Behauptung, im Regulierungsverfahren über agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut sei nur die Regelung der Nutzungsberechtigungen zulässig. Diese im Kontext eindeutig unrichtige Behauptung hat in zweierlei Hinsicht einen Hintergrund. Zum einen war unter der Geltung des TRLG 1909 (Tirol) und TRLG 1921 (Vorarlberg) die Regulierung der Verwaltungsrechte (sprich: die körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft und Entscheidung zum Eigentum) nicht vorgesehen; vielmehr war die Gemeindeordnung im nötigen Umfang zu ergänzen (Kühne/Oberhofer, Gemeindegut und Anteilsrecht, in diesem Band 263ff); zum anderen wurden die Anteilsrechte tatsächlich entsprechend den Nutzungsanteilen an Wald und Weide reguliert. Freilich nicht, weil die „Substanz“ der Ortsgemeinde zugeordnet wurde, sondern weil die Agrargemeinschaft eine Nutzungsgemeinschaft ist – und zusätzlich war zu prüfen und zu entscheiden, bei welchen Grundstücken die Agrargemeinschaft und bei welchen die Ortsgemeinde Eigentümerin war und ist.
12.4. Schließlich unterstellen die im VfGH-Erk Mieders wiedergegebenen „Feststellungen“ der Agrarbehörde I. Instanz im Bescheid vom 9.11.2006 eine Zweckwidmung des Regulierungsgebietes für land- und forstwirtschaftliche Zwecke, wenn dort folgendes weiter behauptet wird:
„Keine Rede ist in den Regulierungsakten davon, dass die Verwendung von Flächen des Gemeindegutes für einen regelmäßigen Grundstücksverkauf als Bauland, für den Abschluss von Baurechtsverträgen zur Betriebsansiedlung im Gewerbegebiet, für die Errichtung und Verpachtung gewerblicher Betriebe, für die Verpachtung von Gemeindegutsflächen für Schiabfahrten, wie zur Errichtung von Campingplätzen, Gastronomiebetrieben, Golfplätzen, Tankstellen u.a.m. verwendet und damit reguliert hätten werden müssen und somit für diese Zwecke der jeweiligen politischen Gemeinde auch deren Eigentum am Gemeindegut und damit weitere daraus fließende Substanzwerte – als jene für die Holz- und Weidewirtschaft am Gemeindegut – im Regulierungswege zu entziehen gewesen wären. Für solche Zwecke das Gemeindegut zu verwenden, dies war natürlich nicht – weder nach Gesetz noch nach dem Inhalt der Regulierungsakten! – Grundlage, also Anlass und Zweck der Gemeindegutsregulierungen bei der Agrarbehörde.“
Offensichtlich soll mit diesen „Feststellungen“ ein besonderer Charakter eines agrargemeinschaftlichen Eigentums betont werden, das angeblich nur zu Zwecken der Land- und Forstwirtschaft genutzt werden dürfe. Auch diese Idee läuft der historischen Wahrheit zuwider:
Schon in seinen Anfängen hat das Teilungs- und Regulierungsrecht klargestellt, dass agrarische Gemeinschaften auch sonstiges Vermögen besitzen können (§ 2 lit g TRRG 1883). Nach dieser Bestimmung des TRRG 1883 blieb es der Landesgesetzgebung vorbehalten zu bestimmen, ob das Teilungs- und Regulierungsverfahren sich nur auf Liegenschaften oder auch auf andere unbewegliche oder auch auf bewegliche Vermögenschaften der in § 1 bezeichneten „agrarischen Gemeinschaften“ zu erstrecken habe. Der Reichsgesetzgeber des Jahres 1883 setzte voraus, dass die „alten Agrargemeinden“ sich nicht nur das Eigentum an den gemeinschaftlich agrarisch genutzten Liegenschaften bewahrt hätten, sondern auch an anderem Vermögen und solches Vermögen schaffen können.
Dazu der Abgeordneten Josef Kopp im Reichsrat (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9223f): „Kann man nun etwa den wichtigen Beisatz, der nach meinem Antrage hinzugefügt wurde, auslassen, dass die Landesgesetzgebung zu bestimmen hat, ob das Verfahren nur auf Grundstücke oder auch auf andere unbewegliche oder bewegliche Vermögenschaften sich zu erstrecken hat, […] die sehr wichtig ist, weil die Ausgleichung dieser widerstreitenden Ansprüche durch Verteilung von beweglichen und unbewegliche Vermögen geschehen kann, und weil dieses andere unbewegliche und das bewegliche Vermögen sehr häufig nichts weiter ist, als ein Ersparnis jener Klassenberechtigter, Nutzungsberechtigter, welche damit unter Umständen das Gemeindehaus, die Schule usw., ebenfalls erbaut haben …“
Die aus dem ersten Dezenium des Teilungs- und Regulierungsrechts (1884 – 1892: Mähren LGBl 31/1884; Kärnten LGBl 23/1885; Niederösterreich LGBl 39/1886; Krain LGBl 2/1888, Schlesien LGBl 13/1888; Salzburg LGBl 32/1892) stammenden Teilungs- und Regulierungs-Gesetze enthielten sogar eine besonders auffällige Regelung zu den „sonstigen einzubeziehenden Liegenschaften“. „Andere als die in § 1 bezeichneten Liegenschaften der Gemeinden, Gemeindeabteilungen oder agrarischen Gemeinschaften sowie bewegliche Vermögenschaften derselben, sind in die Teilung und Regulierung nach diesem Gesetz [in]sofern einzubeziehen, als von den Behörden erkannt wird, dass diese Liegenschaften zu Zwecken der Benützung der gemeinschaftlichen Grundstücke dienen, beziehungsweise dass die Liegenschaften oder die beweglichen Vermögenschaften, wie insbesondere Capitalien oder Forderungen, aus der Veräußerung, aus einer anderweitigen Verwendung, oder aus Ertragsüberschüssen der gemeinschaftlichen Grundstücke oder von Theilen derselben herstammen. (§§ 13 Mähr-TRLG 1884, 4 K-TRLG 1885; 6 Krain-TRLG 1887; 13 Schles-TRLG 1888; 13 Slbg-TRLG 1892; zurückhaltender: § 6 NÖ-TRLG 1886)
Schon seit den Anfängen des Teilungs- und Regulierungsrechts wurde die Existenz von anderem Gemeinschaftsvermögen als land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften vorausgesetzt. Das im Bescheid vom 9.11.2006 gezeichnete Bild der auf agrarische Nutzung beschränkten Agrargemeinschaft hat nie existiert. Ist die Agrargemeinschaft Eigentümerin eines Gemeinschaftsgebietes, so kann sie dieses im Rahmen der allgemeinen Gesetze nach Belieben nutzen und darüber verfügen (§ 354 ABGB) – die Führung von Wirtschaftsbetrieben eingeschlossen. Die Institutionsgarantie des Eigentums und das Verbot von unablösbaren Lasten aus dem Titel des geteilten Eigentums (Art 5 und 7 StGG) gilt insbesondere auch zu Gunsten des landwirtschaftlich genutzten Gemeinschaftseigentums. Für die Wiedererrichtung des Almendregals in der Spielart eines Obereigentums der politischen Ortsgemeinden bietet das geltende Verfassungsrecht keinen Platz.
12.5. Als langjährig verantwortlicher „Operationsleiter“ für Vorarlberg und Amtsvorstand der Agrarbezirksbehörde in der Zeit von 1953 bis 1971 stellt der Verfasser zusammenfassend fest:
Die „Feststellungen“ des Bescheides der Tiroler Agrarbehörde I. Instanz im Bescheid vom 9.11.2006, wie dem Mieders-Erk VfSlg 18.446/2008 als Sachverhalt – offensichtlich im weiteren Verfahren unbekämpft – zu Grunde gelegt, sind für Vorarlberg nicht zutreffend.
Der Verfasser hat in keinem einzigen Fall „nudum jus“ (nacktes Recht) „zureguliert“; der Verfasser hat vielmehr über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet und am sonstigen einbezogenen Vermögen entschieden – dies regelmäßig im besten Einvernehmen aller Beteiligten und auf Grundlage eines Übereinkommens. Grundlage dieser Entscheidungen war auch die klare Regelung in den Vorarlberger Gemeindeordnungen § 102 Abs 3 GO 1935 und § 91 Abs 4 GG 1965, wonach alle Rechtsverhältnisse am Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung nach Flurverfassungsrecht zu regeln und zu entscheiden sind.
Der so festgestellte Eigentümer war Eigentümer im rechtlichen Sinn. Nach § 354 ABGB kann der Eigentümer über die Sache nach Belieben im Rahmen der Gesetze verfügen.
Keine der wesentlichen Sachverhaltsbehauptungen im Bescheid vom 9.11.2006, im Mieders-Erk VfSlg 18.446/2008 der Entscheidung zu Grunde gelegt, trifft somit für Vorarlberger Verhältnisse zu.
Die Rechtssätze des Erk VfSlg 18.446/2008 sind deshalb auf die Vorarlberger Verhältnisse nicht zu übertragen.
Univ.-Prof. Dr. Fritz Raber lehrt seit 1970 Römisches Recht an der Universität Innsbruck. Zu seinen Spezialgebieten zählen die Entwicklung der Rechtsinstitute im späteren „Gemeinen Recht“ und das heute geltende Privatrecht.
Zur Enteignung der Tiroler Grundbesitzer hat er eine klare Meinung: „Das atypische Gemeindegut ist eine Fata Morgana!“ Dasselbe gelte für das Substanzrecht der Ortsgemeinde, das aus dem atypischen Gemeindegut resultieren soll!
Der Verfassungsgerichtshof habe 1982 den falschen Rechtssatz aufgestellt, dass Gemeindegut notwendig Eigentum einer Ortsgemeinde gewesen sei. Jede Entscheidung der Agrarbehörde im gegenteiligen Sinn wurde damit ohne Rücksicht auf den Einzelfall als verfassungswidriger Eigentumseingriff abgestempelt.
Im Mieders-Erkenntnis 2008 wurde dann zusätzlich behauptet, dass unter diesen Umständen „atypisches Gemeindegut“ entstanden sei – ein juristisches Phantasiegebilde, eine Fata Morgana.
Das neue Klischee der „offenkundig verfassungswidrigen Bescheide“ sollte eine Änderung der Beteiligungsverhältnisse rechtfertigen. Tatsächlich wurde der Eigentumseingriff nur fingiert.
Als der Verfassungsgerichtshof mit dem „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom Dezember 2010 den Rückzug aus dieser Judikatur vorbereitete und eine Prüfung der Eigentumsverhältnisse im Einzelfall vorgeschrieben hat, ist der Verwaltungsgerichtshof unvermutet in eine andere Richtung marschiert: Unter Rückgriff auf ältere Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse wurde der Rechtssatz zementiert, dass eine „Gemeindegutsqualifizierung“ in den historischen Agrarbehördenbescheiden auf ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde hinweise.
Diese Rechtsvermutung wurde vom Verwaltungsgerichtshof zusätzlich als angeblich unwiderlegbar hingestellt, weil die „Gemeindegutsqualifizierung“ rechtskräftig sei. Selbst ein Irrtum der Agrarbehörde wurde als unbeachtlich bezeichnet.
Das alles sei hanebüchener Unsinn, so die zusammengefasste Erkenntnis des Spitzenjuristen Univ.-Prof. Dr. Fritz Raber!
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Interview mit em. o. Univ.-Prof. Dr. Fritz Raber zur Enteignung der Tiroler Grundbesitzer (2013)
GUT: Sehr geehrter Herr Universitätsprofessor Dr. Raber. Sie lehren seit Jahrzehnten die Studenten das Römische Recht, die Entwicklung der Rechtsinstitute im späteren „Gemeinen Recht“ und das heute geltende Privatrecht. Was kann speziell das Römische Recht zum heutigen Agrarstreit beitragen?
Raber: Die Römischen Juristen sind bis heute wohl unübertroffen in der Schärfe, mit der sie Rechtsbegriffe voneinander abgegrenzt haben. Unmittelbar einschlägig für den Agrarstreit ist die schon im Römischen Recht entwickelte Rechtsfigur des „vermuteten Eigentümers“, des publizianischen Besitzers. Dieser „vermutete Eigentümer“ kann als ein Eigentümer über die Sache verfügen und zwar so lange, als kein besser Berechtigter ihm sein rechtlich vermutetes Eigentum streitig macht. Wenn dann allerdings ein besser Berechtigter die Herausgabe des Eigentums fordert, muss der „vermutete Eigentümer“ das Eigentum dem besser Berechtigten übertragen.
Inwiefern ist das Rechtsverhältnis zwischen einem „vermuteten Eigentümer“ und dem besser Berechtigten für den heutigen Agrarstreit relevant?
Raber: Eine Ortsgemeinde, die im Grundbuch als Eigentümerin ausgewiesen war, hatte die rechtliche Vermutung für sich, dass sie die wahre Eigentümerin sei. Eine solche Ortsgemeinde war so lange als Eigentümerin zu behandeln, bis sich die besser Berechtigte, die ursprünglich unregulierte Agrargemeinschaft, in einer „agrarischen Operation“ konstituierte und das Eigentum einforderte. Die Entscheidung darüber, wer wahrer Eigentümer war, erfolgte erst im Zuge der „agrarischen Operation“, konkret im Regulierungsverfahren. In der Mehrzahl der Fälle wurde die Agrargemeinschaft im Konsens aller Beteiligten als Eigentümerin anerkannt. Die Ortsgemeinde als bloß „vermutete Eigentümerin“ wurde dann von der Agrargemeinschaft als wahre Eigentümerin abgelöst. Bei gewissen Regulierungen haben sich die Beteiligten aber so geeinigt, dass die Ortsgemeinde wahre Eigentümerin sein sollte. Aufgrund eines entsprechenden Parteienübereinkommens samt Genehmigungsbescheid der Agrarbehörde wurde dann aus dem „vermuteten Eigentum“ der Ortsgemeinde deren wahres Eigentum kraft rechtskräftiger Agrarbehördenentscheidung. Bekanntestes Beispiel einer solchen Einigung war die Regulierung des Gemeindeguts von Sölden.
In den letzten Jahren ist der Eindruck entstanden, dass Agrarbehördenbescheide nur dann Rechtskraftwirkung entfalten, wenn der Bescheid zu Gunsten einer Ortsgemeinde ausgefallen ist. Täuscht der Eindruck?
Raber: Rechtstheoretisch gibt es keine Grundlage für eine solche Differenzierung. Agrarbehördenbescheide wirken wie Gerichtsurteile, unabhängig davon, ob im Einzelfall die Entscheidung für ein Eigentum der Gemeinde oder eines der Agrargemeinschaft fiel. Ist die Entscheidung rechtskräftig, so schafft diese Entscheidung Recht. Die seinerzeitigen Entscheidungen zu Gunsten der Agrargemeinschaften werden jedoch heute durch eine unverantwortliche Deutung, ja vielleicht sogar durch einen Missbrauch des Begriffs „Gemeindegut“, verfälscht.
Wie ist das zu verstehen?
Raber: Der Verfassungsgerichtshof hat 1982 den falschen Rechtssatz aufgestellt, dass Gemeindegut notwendig Eigentum einer Ortsgemeinde gewesen sei. Jede Entscheidung der Agrarbehörde im gegenteiligen Sinn wurde damit ohne Rücksicht auf den Einzelfall als verfassungswidriger Eigentumseingriff abgestempelt. Im „Mieders-Erkenntnis“ 2008 wurde dann zusätzlich behauptet, dass unter diesen Umständen „atypisches Gemeindegut“ entstanden sei – ein juristisches Phantasiegebilde, eine Fata Morgana. Das neue Klischee der „offenkundig verfassungswidrigen Bescheide“ sollte eine Änderung der Beteiligungsverhältnisse rechtfertigen. Tatsächlich wurde der Eigentumseingriff nur fingiert. Als der Verfassungsgerichtshof mit dem „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom Dezember 2010 den Rückzug aus dieser Judikatur vorbereitete und eine Prüfung der Eigentumsverhältnisse im Einzelfall vorgeschrieben hat, ist der Verwaltungsgerichtshof unvermutet in eine andere Richtung gegangen: Unter Rückgriff auf ältere Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse wurde der Rechtssatz erneuert, dass eine „Gemeindegutsqualifizierung“ in den historischen Agrarbehördenbescheiden auf ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde hinweise. Diese Rechtsvermutung wurde vom Verwaltungsgerichtshof auch noch als angeblich unwiderlegbar hingestellt, weil die „Gemeindegutsqualifizierung“ rechtskräftig sei. Selbst ein Irrtum der Agrarbehörde wurde als unbeachtlich bezeichnet. Wegen der Rechtskraft solcher „Qualifizierung“ seien, wurde behauptet, die wahren Eigentumsverhältnisse am „Gemeindegut“ irrelevant.
Kann man die Rechtskraftwirkung bei der „Gemeindegutsqualifizierung“ anders beurteilen als bei der Entscheidung über die Anteilsverhältnisse?
Raber: Sie sprechen das zentrale Dilemma dieser ganzen Judikatur-Linie an. Als Reaktion auf das „Mieders-
Erkenntnis“ des Verfassungsgerichtshofes 2008 wurden die Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften in Tirol systematisch erforscht. Es wurde erforscht, wie die Agrarbehörde den Begriff „Gemeindegut“ verwendet hatte. Schon in den ersten Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof wurde aufgezeigt, dass Eigentum der Agrargemeinschaft als „Gemeindegut“ bezeichnet wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Tatsache jedoch ignoriert und ausgesprochen, mit einem rechtskräftig festgestellten „Gemeindegut“ habe nur Eigentum einer Ortsgemeinde gemeint gewesen sein können. Und dieses sei eben rechtskräftig festgestellt. Eine solche Rechtskraft muss freilich auch für die (rechtskräftigen) Bescheide über die Anteilsrechte wirken. Von einem „Substanzrecht“ der Ortsgemeinde ist in diesen Bescheiden nirgends die Rede gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat über diesen offenkundigen Widerspruch jedoch noch nicht entschieden.
Dem Eigentumsschutz für die Agrargemeinschaftsmitglieder wird in Tirol entgegengehalten, dass „Gemeindegut“ nur Eigentum der Ortsgemeinde sein könne. Offensichtlich sehen Sie das anders?
Raber: Der Rechtsbegriff „Gemeindegut“ findet sich schon im Westgalizischen Gesetzbuch von 1797 und insbesondere im ABGB aus dem Jahr 1811. Die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ werden jedoch bereits im Codex Theresianus, einem Rechtsbuch aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia, beschrieben. Der Codex Theresianus enthält auch eine bemerkenswerte Beschreibung, was man sich unter einer „Gemeinde“, der das Gemeindegut gehört, vorzustellen hätte: Danach konnten schon drei Personen eine „Gemeinde“ ausmachen. Man kann sich leicht vorstellen, dass es daher zahlreiche Gemeinschaften gab, die nach dieser Definition als „Gemeinde“ anzusehen waren. Und dieser Begriff „Gemeindegut“ hat sich für das gemeinschaftlich genutzte Eigentum der diversen Gemeinschaften erhalten. Die Schlussfolgerung, dass die jeweilige Eigentümerin eines Gemeindeguts ausschließlich eine politische Gemeinde sein könne, ist deshalb einfach falsch und der historischen Wahrheit zuwider.
Wie kann man Ihrer Auffassung nach den Agrarstreit in Tirol lösen?
Raber: Der Verfassungsgerichtshof hat im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vorgegeben, dass zu allererst die wahren Eigentumsverhältnisse in jedem Einzelfall zu klären wären. Nichts anderes setzt auch die Tiroler Novelle zum Flurverfassungsrecht des Jahres 2010 voraus. Solange man beim „Gemeindegutsbegriff“ ansetzt, läuft man Gefahr, Eigentum von Tirolerinnen und Tirolern in Staatseigentum zu verwandeln und damit Unrecht zu schaffen. Der Streit wird so nur verschärft und nicht beigelegt. Das kann redlicher Weise niemand in diesem Land wirklich wollen. Damit wäre auch ein Lösungsweg vorgezeichnet: Unabhängige und anerkannte Experten müssen nachvollziehen, wessen Eigentum die strittigen Wälder und Almen wirklich waren. Der bloße Hinweis auf das Wort „Gemeindegut“ oder auf die ursprünglichen Grundbuchseintragungen sagt darüber nichts Endgültiges aus.
…
Interview aus Gemeindegut. Unabhängiges Magazin für Tirolerinnen und Tiroler, Heft 3 / Mai 2013. MP
Gemeinschaftsliegenschaften zeichneten sich bereits sehr früh als ein Problem für die Grundbuchsanlegung ab. Im Oktober 1897 gab das Justizministerium den „mit der Grundbuchsanlegung betrauten richterlichen Organen (…) Directiven zur entsprechenden Würdigung und Darnachachtung“, wobei diese Richtlinien insbesondere jene „Gattungen von Liegenschaften“ betrafen, die „in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung einschlagen“. Dazu wurden neben den typischen „aerarischen“ Grundstücken insbesondere jene der Kirchen, geistlichen Orden und Korporationen, Friedhöfe, Schulen, Stiftungen etc gerechnet. Als ein „allgemeiner Grundsatz“ wurde den Grundbuchsanlegungskommissären eingeschärft, „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; dabei müsse „darauf gesehen werden, dass die der juristischen Person nach Gesetz oder Satzung zukommende Benennung richtig eingetragen und nicht für denselben Eigenthümer jeweils eine verschiedene Bezeichnung angewendet werde“. Schon darin zeichnet sich das Dilemma der nicht mit einer Satzung versehenen Personengemeinschaften, der im Sinne des ABGB „moralischen Personen“, ab – darauf wird noch einzugehen sein.
Blickt man nun in die Tiroler Grundbücher, so findet man nicht nur eine große Vielfalt höchst bemerkenswerter Eigentümerpersönlichkeiten, sondern auch nicht wenige Fälle, in denen die Grundbuchsanlegungskommissäre nicht nach den ihnen erteilten – und tatsächlich wohl auch unzureichenden – Direktiven vorgegangen waren. Für die Vielfalt kann etwa die KG Prägraten im historischen Gerichtsbezirk Windisch-Matrei als Beispiel dienen. Hier wurden bei der Grundbuchsanlegung folgende Eigentümerpersönlichkeiten festgestellt: „Fraktion St. Andrä“, „Fraktion Bobojach“, „Fraktion Hinterbühel“, „Fraktion Wallhorn“, „Fraktion Obermauern der Gemeinde Virgen“, „Göriach Bobojacher Alpenwald-Genossenschaft“, „Nachbarschaft Bühel“, „Hintertösen Weidegenossenschaft“, „Gemeinde Virgen ohne die Fraktion Mitteldorf“, „Gemeinde Schlaiten“, „Bobojach u. Wallhorner Sägegenossenschaft“, „Forstlehnmoos Genossenschaft“, „Groder-Mair-Felder-Schwaiggenossenschaft“, „Toinigweidegenossenschaft“ sowie die „Stierfleckgenossenschaft St. Andrä Dorf“. Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder nur denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und/oder Zweckvermögen konfrontiert, dennoch fehlten hier einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“.
GERICHTSGEMEINDEN IM GRUNDBUCH
Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und Zweckvermögen konfrontiert. Dennoch fehlten einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“. Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, die Schulgebäude im Zweifel auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eigenes Rechtssubjekt einzutragen“. So wurden in der KG Längenfeld bei „Schulliegenschaften“ folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schulgemeinde Bruggen“, „Schulgemeinde Dorf“ und „Schulgemeinde Unterried“. Als Vergleichsbeispiel finden sich in anderen Gemeinden die den Dorfschützen gewidmeten Übungsplätze, die zum Beispiel als „k. k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, „k. k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder als „k. k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“ eingetragen wurden. Aus der Zeit der Grundbuchanlegung findet man nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“ als Eigentümer. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft“ in Mieders, das „Gerichtsviertel untere Schranne“ in Ebbs oder der „Rustikalgerichtsfonds Sillian“ (bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen). Ähnliche Wurzeln haben die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“, die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“, die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg-Radfeld“.
Gerne wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen. Beispiele dafür lassen sich u.a. nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld), Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle) sowie Zamserberg, wo sowohl die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“ stolze Eigentümerin war. Die Tiroler Landesregierung hatte schon 1982 auf dieses Wirr-Warr hingewiesen und klar gestellt, dass bei der Grundbuchsanlegung einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen wurden. Es sei allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten gelegen, welchen Ausdruck er verwendete. Besonders häufig haben die Grundbuchbeamten den Begriff „Fraktion“ zur Bezeichnung eines Liegenschaftseigentümers verwendet.
FRAKTIONEN IM GRUNDBUCH
„Fraktion“ als historische Eigentümerbezeichnung findet sich in den Tiroler Grundbüchern in jeder denkbaren Spielart und Kombination, wie ein Streifzug durch die historischen Grundbücher deutlich macht. Fraktionen bestehend aus vollständig aufgezählten Liegenschaften (z. B. in Untertilliach), Genossenschaften bestehend aus Fraktionen (z. B. Mullitz-Alpgenossenschaft, bestehend aus den Fraktionen der Gemeinde Virgen a) Niedermauern b) Welzelach), Nachbarschaften bestehend aus Fraktionen (z. B. Nachbarschaft Unterbach und Grünau, bestehend aus der Fraktion Unterbach der Gemeinde Bach und den Fraktionen Ober- und Untergrünau der Gemeinde Elbigenalp) sind nur ein kleiner Auszug aus diesem bunten Wortgewirr. Diese Erscheinungen sind heute ganz überwiegend aus dem Grundbuch verschwunden, auch wenn das elektronische Tiroler Grundbuch in Summe noch über 70 derartige Liegenschaften nachweist. Alleine im Grundbuch der KG Windisch-Matrei Land (heute: Grundbuch 85103 Matrei-Land) waren im Zuge der Grundbuchsanlegung 13 unterschiedliche „Fraktionen“ als Liegenschaftseigentümer einverleibt; hinzu kamen jedenfalls eine „Genossenschaft bestehend aus Fraktionen“, und eine „Genossenschaft bestehend aus einer Fraktion und taxativ aufgezählten Höfen“. All diese Eigentümerpersönlichkeiten sind seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sukzessive als Agrargemeinschaften identifiziert worden, sodass heute im elektronischen Grundbuch dieser Katastralgemeinde keine einzige „Fraktion“ mehr nachweisbar ist.
Diese Veränderungen erfolgten nicht schlagartig, sondern im Rahmen eines „Erosionsprozesses“, der am Beispiel der KG Matrei-Land, GB 85103, gut illustriert werden kann: Aus den erwähnten 15 „Fraktionen“ und „Fraktions-Gesellschaften“ wurden 13 Agrargemeinschaften reguliert und zwar drei in den 1920er Jahren, drei in den 1930er Jahren, sechs in den 1940er Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft und schließlich eine in den 1960er Jahren. Die gleiche Erosion, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, zeigt sich im Grundbuch Umhausen: Hier hatte die Grundbuchsanlegung acht Eigentümer mit der Zusatzbezeichnung Fraktion festgestellt. Die „Fraktion Farst“ und „Fraktion Köfels“ wurden mit Bescheid vom 1. März 1949 als Agrargemeinschaften reguliert. Die „Fraktion Umhausen“ folgte am 10. August 1959, die „Fraktion Östen“ am 5. Oktober 1959. Erst 1982 wurde die „Fraktion Niederthai Neaderseite“ umgegründet, 1983 die „Fraktion Tumpen“ und aus der „Fraktion Niederthai Sonnseite“ wurden die Agrargemeinschaften Sonnseite Sennhof (1982) und 1990 die Agrargemeinschaft Bichl-Höfle.
RECHTFERTIGUNG FÜR DIE BEGRIFFSWAHL
Überlegungen der Grundbuchbeamten dazu, warum als Eigentümerbezeichnung so oft der Begriff „Fraktion“ verwendet wurde, lassen sich nur ganz selten nachweisen. Eine Ausnahme bildet das Grundbuch-Anlegungsprotokoll Nummer 482 der ehemaligen Katastralgemeinde „Windisch-Matrei Land“. Dort wurde vom Grundbuchanlegungsbeamten im Juni 1906 folgende Begründung festgehalten: „Die Schilder Alpgenossenschaft ist Eigentümerin aufgrund Ersitzung und besteht aus den Fraktionen a) Mattersberg und b) Moos der Gemeinde Windisch-Matrei. Wenngleich von der Fraktion Mattersberg das Brenneranwesen und von der Fraktion Moos verschiedene Anwesen in die Schilderalpe nicht auftriebsberechtigt sind, so besitzt die Schilderalpe trotzdem für die Fraktionen Mattersberg und Moos den Charakter einer Fraktionsalpe. Es darf also von den auftriebsberechtigten Anwesen der beiden Fraktionen kein Grasrecht weiterverkauft werden, ohne dass nicht zugleich ein entsprechend großer, in den beiden Fraktionen einliegender Grund mitverkauft würde. Die Grasrechte sind mit anderen Worten fest verbunden mit den ganzen Anwesen oder wenigstens mit den einzelnen Stücken der Fraktionen Mattersberg und Moos. Die bestimmte Stückzahl, mit der die einzelnen Anwesen auftriebsberechtigt sind, entspricht der Größe der betreffenden Anwesen und wurde vor ungefähr 20 Jahren im gegenseitigen Einverständnis unter den Hofbesitzern geregelt. Nachdem es sich bei der Schilderalpe um eine Fraktionsalpe handelt, gründen sich die Auftriebsrechte der einzelnen Anwesen auf den § 63 der Gemeindeordnung.“ Alles klar?
2. Was man so alles im historischen Tiroler Grundbuch findet!
SCHULGEMEINDEN UND ANDERE
Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, „Schulgebäude“ würden, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ sei, „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen sein“ (Pkt 6). Eine derartige „dritte Person“ fanden die Grundbuchsanlegungsbeamten eben in speziellen „Schulgemeinden“: So wurden in der KG Längenfeld bei diversen, Schulzwecken gewidmeten Liegenschaften nicht die Schulen als solche, sondern folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schulgemeinde Bruggen“, „Schulgemeinde Dorf“ und „Schulgemeinde Unterried“. Der gegenteilige Vorgang zeigt sich bei „Schießstattgemeinden“: Hier erfolgte, vielleicht in Anlehnung an die für Schulen getroffene Anordnung, gerade nicht die Verbücherung einer „Gemeinde“, sondern des jeweiligen Schießstandes selbst: Als Rechtsträger begegneten daher zum Beispiel der „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“, der „k.k. Gemeindeschießstand Längenfeld“ der „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder der „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“. Dies stand im Widerspruch zur Anordnung, es sei „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; in diesem Sinne erfolgte – typischerweise erst Jahrzehnte nach der Grundbuchsanlegung – eine Berichtigung auf den wahren Rechtsträger, also einen Schützenverein bzw eine „Schützengilde“. Schulgemeinden wurden in der Regel auf politische Ortsgemeinden berichtigt.
Im Rahmen der Grundbuchsanlegung begegneten nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“, in der Regel aus „Gemeinden“ oder „politischen Gemeinden“ zusammengesetzt. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg“, das „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“, der „Rustikalgerichtsfond Sillian, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“, das „Zweidrittelgericht Landeck“ oder die „Gedingstatt Zams“. Weitere Beispiele für „überörtliche Realgemeinden“ sind die „Pfarrgemeinde Breitenwangbestehend aus den Gemeinden Ehenbichl, Pflach, Reutte und Breitenwang“, die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“, die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“, die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“, die „Zwei Drittel Galtalpinteressentschaft“, die „Landdrittel Alpinteressentschaft“, die „Waldgemeinschaft Kappl–See“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg–Radfeld“. Einen besonderen Fall findet man in Mutters; hier bilden mehrere quotenlose Gemeinschaften – die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“, die „Nachbarschaft Raithis“ und die „Gemeinde Kreith“ – gemeinsam eine Miteigentümergemeinschaft nach Quoten. Teilweise konnten diese „überörtlichen Realgemeinden“ öffentlichen Interessen gewidmet sein, teilweise waren sie der privaten Nutzung durch die beteiligten „Wirtschaftseinheiten“ vorbehalten.
Weiters wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen, worauf schon 1982 die Tiroler Landesregierung hingewiesen hatte. Beispiele dafür lassen sich jedenfalls nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld), Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle), Reith bei Seefeld sowie Zamserberg; hier fanden sich als Eigentümer sowohl die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“.
VIER „GEMEINDEN MUTTERS“?
Mit den „überörtlichen“ Gemeinden einerseits bzw den Katastralgemeinden andererseits sind jene Erscheinungen zu vergleichen, bei denen als Eigentümer nicht einfach „Gemeinden“ mit jeweils einem einzelnen (geographischen) Namenszusatz verbüchert wurden, sondern bei denen eine genauere Definition dieser Eigentümerpersönlichkeiten durch einen weiteren Zusatz erfolgte, nämlich „Gemeinden ohne …“ oder „Gemeinden mit Ausschluss …“ bestimmer Objekte. Von Gemeinden ausgenommen wurden meist bestimmte „Nachbarschaften“ oder „Weiler“, die dann im Gegenzug über eigenes Liegenschaftsvermögen verfügten. Dies ist etwa der Fall in der bereits erwähnten KG Mutters, wo einerseits die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“ , andererseits die „Nachbarschaft Raithis“ begegnet, darüber hinaus aber auch eine schlichte „Gemeinde Mutters“ wohl als „Gesamtgemeinde“ sowie sogar ausdrücklich eine „Gemeinde Mutters einschließlich der Nachbarschaft Raithis“ , letztere sozusagen als Gegenstück zur „Gemeinde ohne…“.
„GEMEINDE SCHARNITZ MIT AUSSCHLUSS DER NACHBARSCHAFT INNRAIN“
Vergleichbares findet sich in der KG Kematen mit der „Gemeinde Kematen ohne Afling“ (in der benachbarten KG Grinzens abgewandelt definiert als „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ ), der „Nachbarschaft Afling“ , der „Gemeinde Kematen“ sowie schließlich der „Gemeinde Kematen mit Afling“ . Weitere Beispiele sind die KG Grinzens mit dem „Weiler Neder“ und der „Gemeinde Grinzens ohne Neder“ , die KG Scharnitz mit der „Gemeinde Scharnitz“ , der „Nachbarschaft Innrain“ und der „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ oder die KG St. Sigmund mit der „Gemeinde St. Sigmund“ , der „Nachbarschaft Praxmar“ sowie der „Gemeinde St. Sigmund mit Auschluss der Nachbarschaft Praxmar und der Höfe in Kreuzlehen (…)“ . In allen diesen Fällen aus der „Frühzeit“ der Tiroler Grundbuchsanlegung – in Kematen und St. Sigmund wurden die Grundbücher 1899, in Mutters 1900, in Grinzens 1901 und in Scharnitz 1905 eröffnet – gab es demnach zwei bis vier verschiedene „Gemeinden“; die verschiedenen Ausprägungen von „Gemeinde“ wurden dabei kommentarlos als jeweils eigenständige Rechtsträger in jeweils eigenen Grundbuchsanlegungsprotokollen behandelt, die inhaltlich in keinem Bezug miteinander standen.
Die Eigentumsverhältnisse in der eben erwähnten KG St. Sigmund zeigen übrigens, dass die Exklusion aus Gemeinden („Gemeinde ohne…“) kein zwingendes Merkmal der „Nachbarschaften“ war. In der KG St. Sigmund wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung neben der „Nachbarschaft Praxmar“ drei weitere „Nachbarschaften“ als Eigentümerinnen einverleibt, nämlich die „Nachbarschaft Gleirsch“, die „Nachbarschaft Haggen“ und die „Nachbarschaft Peida“; dazu kam noch eine „Alpgenossenschaft Kraspes“. Ausschließlich diese „Alpgenossenschaft Kraspes“ wurde bereits im Zuge der Grundbuchsanlegung aufgelöst und in realrechtlich gebundenes Miteigentum überführt.
Hinsichtlich einiger – nicht jedoch aller (!) – der „Nachbarschaft Gleirsch“ zugeordneten Liegenschaften erfolgte später eine entsprechende Klarstellung durch die politische Ortsgemeinde St. Sigmund: Sie erklärte mit Gemeindeausschussbeschluss vom 19. Juni 1912, dass die Eigentümerin dieser Liegenschaften in Wahrheit eine realrechtlich gebundene Miteigentumsgemeinschaft sei, zusammengesetzt aus drei Stammsitzen zu unterschiedlichen Anteilen. Damit nahm die politische Ortsgemeinde 1912 eine Funktion wahr, die nach TRRG 1883 und TRLG 1909 eigentlich Kompetenz der Agrarbehörde gewesen wäre; sie agierte quasi „in agrarbehördlicher Funktion“.
Eine andere Variante der „Gemeinde ohne…“ existierte im Grundbuch der zuvor genannten KG Prägraten, nämlich eine „Gemeinde ohne Fraktion“: Die „Gemeinde Virgen ohne Fraktion Mitteldorf“ besaß nach den Ergebnissen der Grundbuchsanlegung im Gemeindegebiet von Prägraten Miteigentum mit „Gemeinde Prägraten“. Fraktionen waren in den Tiroler Grundbüchern allenthalben zu finden und sind dies teilweise auch bis heute. Dies und der Umstand, dass der Fraktionsbegriff mehrdeutig und im Hinblick auf die Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts besonders umstritten ist, rechtfertigen eine gesonderte, ausführliche Betrachtung des „Fraktionseigentums“.
Die Grundbuchanlegung war in Tirol lange Zeit Streitobjekt. Die Tiroler wollten beim bewährten Verfachbuch bleiben
Die „Grundbuchklagen“ von vier Tiroler Agrargemeinschaften beschäftigen derzeit die Tagespresse. Bei der Prüfung der Gemeindegutseigenschaft sei unberücksichtigt geblieben, dass die ursprüngliche Grundbucheintragung auf „Gemeinde“ bzw. „Gemeindefraktion“ unrichtig war. Das Zivilgericht, das für die Grundbücher zuständig ist, solle nun die Verhältnisse überprüfen. GUT recherchiert zur Tiroler Grundbuchanlegung und zum Beispiel zweier Almliegenschaften in Jerzens.
Die Grundbuchanlegung erfolgte in Tirol reichlich verspätet erst ab der Jahreswende 1897/98. Die Tiroler wollten an „ihrem Verfachbuch“ festhalten. In einem Bericht an den Tiroler Landtag aus dem Jahr 1862 hatte der Landtagsabgeordnete und Oberlandesgerichtsrat in Innsbruck, Johann Kiechl, große Schwierigkeiten bei der Systemumstellung vorhergesagt: Er befürchtete eine Menge Besitzreklamationen und Eigentumsprozesse. Denn, so Johann Kiechl im Jahr 1862: „Bei Erörterung der Eigentumsverhältnisse tauchen oft die schwierigsten Rechtsfragen auf, besonders zwischen Gemeinden, Gemeindefractionen, Nachbarschaften und bevorrechteten Klassen, die oft nur auf Grund des bisherigen Besitzes entschieden werden können.“ Andere Bundesländer hatten bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Walter Schiff, ein Wiener Agrarökonom, resümierte 1898: Nun war aber in den Grundbüchern bald ‚die Gemeinde‘ zu Eigentum eingetragen, bald ‚die Bauernschaft‘, die ‚Nachbarschaft‘, die ‚Bauern‘, die ‚Rustikalisten‘ oder ‚die jeweiligen Besitzer der Bauernhöfe‘. Vor dem Jahr 1849 waren dies alles Synonyma für die ‚Realgemeinde‘ gewesen. „Die Verschiedenheit der unter dem gleichen Namen ‚Gemeinde‘ begriffenen Personen vor und nach dem Jahr 1849 blieb unbeachtet und die Eintragung unverändert.“
GRUNDBUCHANLEGUNG: „NICHT GENÜGEND“
Anfang der 1980er Jahre urteilte die Tiroler Landesregierung in einer Stellungnahme an den Verfassungsgerichtshof schonungslos: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete. Da die tatsächliche Nutzung weiterhin gemäß der alten Übung erfolgte, war es für den Berechtigten in wirtschaftlicher Hinsicht gleichgültig, ob seine Bedürfnisse an Holzbezugs- und Weidemöglichkeiten durch die Mitgliedschaft zur Nachbarschaft, zu einer Interessentschaft oder durch eine Gemeindegutsnutzung gedeckt wurden. So gesehen zeigt sich, dass das Gemeindegut nur eine von mehreren historischen Ausformungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte darstellt. [Es dürfe nicht übersehen werden], dass die Gemeinde hinsichtlich des Gemeindegutes eben nicht als (politische) Gemeinde auftritt, sondern mangels einer eigenen rechtlichen Verfassung der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft ex lege bildet […]. In diesen Fällen ist die Gemeinde nicht als politische Gemeinde ‚Eigentümerin‘, sondern sie ist als ‚Erbin‘ der alten Realgemeinde anzusehen und damit nicht als Gebietskörperschaft, sondern als Rechtsnachfolger der alten genossenschaftlichen organisierten Realgemeinde (heute als Agrargemeinschaft definiert).“
Die Vorstellung einer „Gemeinde als Erbin“ ist freilich nicht zutreffend. Eine solche Deutung geht nämlich von zwei verschiedenen juristischen Personen aus, von denen eine, nämlich die „Nachbarschaft“, verstorben sei. Bereits im Jahr 1878 hatte sich Dr. Josef Kopp, Mitglied der NÖ Landesregierung, mit diesem irrigen Bild auseinandergesetzt. Josef Kopp fand 1878 einprägsame Worte: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Charakter, ohne dass man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten. Die ‚Gemeinde‘ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass letztere gestorben wäre.“ Karl Peyrer, seinerzeit Ministerialrat im Ackerbauministerium, hatte im Jahr 1877 aus diesen Zuständen den Schluss gezogen, dass damals die bloße Bezeichnung einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ genügte, um ein Genossenschaftsvermögen der politischen Gemeinde zuzuordnen.
Das Grundbuchsanlegungsverfahren war in Tirol durch Gesetz vom 17. März 1897 und durch eine „Vollzugsvorschrift“ geregelt. Es gab ein mehrstufiges, teils durch Edikte gegliedertes Verfahren, das zunächst bei den Grundsteuerunterlagen anknüpfte, woran Erhebungen anschlossen. Der auf dieser Grundlage erstellte Entwurf wurde in der Folge einem „Richtigstellungsverfahren“ unterworfen, aus dem schließlich das „Hauptbuch“ hervorging, gegen das abermals Reklamationen möglich waren. Die Teilnahme der Parteien sowie wiederholte Reklamationsmöglichkeiten sollten Fehler schnell ans Licht bringen. Die praktische Durchführung der Grundbuchsanlegung blieb hinter diesen Erwartungen zurück. Teilweise war eine der Ursachen ein heute kaum nachvollziehbares Desinteresse der Bevölkerung. Dies hat der Tiroler Grundbuchsanlegungskommissär Rudolf Plangg in einem 1927 in den Tiroler Heimatblättern erschienenen Artikel überliefert. Er erinnerte u. a. an einen Fall von Stockwerkseigentum im Oberland: „Mögt’s mocha was wöllt’s“, rief ein eben den Backofen ausbessernder Stockwerkseigentümer dem verdutzten Plangg zu. Für Auskünfte stand er nicht zur Verfügung.
MÖGT’S MOCHA WAS WÖLLT’S!
Die Vollzugsvorschrift verlangte die Erhebung des Eigentumsrechts und des Eigentumstitels. „Die hinsichtlich gewisser Liegenschaften (Alpen) bestehenden Eigentumsgemeinschaften sind zumeist als Miteigentum aufzufassen. Ein Miteigentum kann aber nur dann eingetragen werden, wenn sich die Quoten der einzelnen Eigentümer ermitteln lassen. Lassen sich die Quoten aber nicht bestimmen, ist das Eigentumsrecht für eine juristische Person einzutragen.“ So lautete die Vorgabe an die Grundbuchanlegungskommissare. Die Einverleibung des Eigentums einer juristischen Person begegnete jedoch einem fundamentalen Problem: Eine (noch) nicht regulierte Agrargemeinschaft war (noch) keine „juristische Person“. Die Rechtslehre setzte vielmehr damals voraus, dass die juristische Person durch einen staatlichen Akt anerkannt werden müsse. Mangels Regulierung konnte die Agrargemeinschaft nicht als juristische Person anerkannt und daher auch nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Die Einverleibung von Miteigentum schied schon dann aus, wenn Miteigentumsquoten nicht bestimmt werden konnten. Versetzt man sich also in die Lage eines Grundbuchsanlegungskommissärs, so erscheint die Verbücherung des Eigentums zugunsten einer „Gemeinde“ oder einer „Fraktion“ auf den ersten Blick als eine geradezu perfekte Lösung. Nach Miteigentümern musste dann nicht länger geforscht werden und den Betroffenen waren die Bezeichnungen „Gemeindewald“ bzw. „Gemeindealm“ geläufig.
Bei den Jerzener Almliegenschaften war bei der Grundbuchanlegung 1906 zunächst wie üblich auf den Inhalt des Grundsteuerkatasters zurückgegriffen worden: Das die Tanzalpe betreffende Grundbuchanlegungsprotokoll vom 10. April 1906 nannte als Eigentümer nach dem Grundsteuerkataster „Gastl Jakob mit 90 Mitbesitzern“, das die Riegentalalpe betreffende Protokoll vom selben Tag „Gastl Jakob mit 95 Mitbesitzern“. Eine sodann folgende „Erhebung der Eigentumsrechte“ führte zur Wahl folgender Eigentümerbezeichnung für die Tanzalpe: „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitze, der Ober- und Außerhöfe ausgenommen das äußere Gistelwies“. Als Eigentümerin der Riegentalalpe wurde angeschrieben eine „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitzen, Ober- und Außerhöfe“. Was man sich unter diesen Gebilden vorzustellen hätte, erläutern die Grundbuchanlegungsprotokolle nicht. Einen wesentlichen Widerspruch zu den Angaben des Grundsteuerkatasters scheint man nicht erkannt zu haben. Schließlich hat Jakob Gastl, laut Steuerkataster einer der Miteigentümer, die beiden Anlegungsprotokolle als Vollmachtträger für die Eigentümer und als „Vertrauensmann“ unterfertigt. Etwa ein Jahr später, am 15. Mai 1907, hielt ein Protokoll des Grundbuchsanlegungskommissärs fest, dass keine Einwendungen gegen die kundgemachten Protokolle erhoben wurden.
TINTE VON DÜNKLEREM ROT-TON
Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt kam es zu einer „Weiterentwicklung“ der Eigentümerbezeichnung: In beiden Grundbuchanlegungsprotokollen wurde mit Tinte von dünklerem Rot-Ton vermerkt: „Zufolge der im Zuge der Grundbuchanlegung gepflogenen Nachtragserhebungen wird obige Parzelle hier abgeschrieben u[nd] der N. 144 zugeschrieben. Gelöscht“. Zugleich wurden mit gleicher Tinte die Eigentümerbezeichnung und die Unterschrift Jakob Gastls als Vollmachtträger durchgestrichen. Im Grundbuchanlegungsprotokoll „N. 144 Jerzens Gemeinde“ vom 6. April 1906 wurden „Tanzalpe [Parz.-Nr.] 1486“ und „Rygetal [Parz.-Nr.] 1488“ im Anschluss an die gewöhnliche Reihenfolge aufsteigender Parzellennummern ergänzt; dies ebenfalls mit dünkler-roter Tinte. Die dazu gehörigen Eigentumstitel wurden auf der folgenden Seite in einen vorher offenbar verbliebenen Abstand „hineingequetscht“. Im sogenannten Hauptbuch des Grundbuchs wurden demzufolge die Eigentümerinnen beider Liegenschaften bezeichnet mit „Gemeinde Jerzens“.
Warum die Eigentümerbezeichnung auf „Gemeinde“ geändert wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Um Gemeindevermögen zu identifizieren, war „in jeder Gemeinde insbesondere auch das Gemeindeinventar einzusehen“, so lautete § 34 Abs. 2 der Vollzugsvorschrift. Die erhaltenen Gemeindeinventare von Jerzens für 1909 und 1910 enthalten jedenfalls keinen Hinweis auf ein Eigentum an den beiden Almliegenschaften. Ein mögliches, wenngleich vom Gesetz nicht anerkanntes Motiv für die beschriebenen Vorgänge könnte gewesen sein, einen Mehraufwand zu ersparen, indem keine Miteigentümer angeschrieben werden. Die Grundbuchanlegung im Gerichtsbezirk Imst stand ohnehin unter keinem guten Stern: Ein Visitationsbericht des Oberlandesgerichts konstatierte im Oktober 1907 massive Rückstände und kritisierte, dass durch mehrere Monate keine neuen Grundbücher eröffnet worden waren. Eine etwas „großzügigere“ Handhabung der Grundbuchanlegungsvorschriften entspräche vor diesem Hintergrund der allgemeinen Lebenserfahrung.
Im Jahr 1965 hat die Agrarbehörde entschieden, dass niemand anderer als eine Agrargemeinschaft, die sich aus den auftriebsberechtigten Hofbesitzern zusammensetzt, die Eigentümerin dieser Almliegenschaften sei. Unlängst gelangte dieselbe Behörde zu der Erkenntnis, dass die Entscheidung des Jahres 1965 verfassungswidrig war, weshalb heute „atypisches Gemeindegut“ vorliegt.
Die Tiroler „Nachbarschafts-Gemeinden“ hatten in der Zeit zwischen 1839 und 1846 hunderte Prozesse gegen das Aerar eingeleitet. Anlass war das von der historischen Tiroler Forstverwaltung behaupteten flächendeckenden Obereigentum des Landesfürsten an allen Tiroler Wäldern. Diese Prozesslawine der Jahre 1839 – 1846 hat den Landesgesetzgeber bewogen mit dem Tiroler Forstregulierungspatent 1847 reinen Tisch zu machen und die Holzbezugsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer abzulösen.
Exzellenz Karl Friedrich Freiherr Kübek von Kübau spielte dabei eine besondere Rolle, weil dieser als „Vorsteher des Münz- und Bergwesens“ zu dieser Zeit durch seine uneingeschränkte und kluge Unterstützung der Tiroler Forderungen wesentlich dazu beigetragen hat, dass es überhaupt zur Tiroler Forstregulierung gekommen ist. Karl Friedrich Freiherr Kübek von Kübau (* 28. Oktober 1780 in Iglau, Mähren; † 11. September 1855 in Hadersdorf bei Wien) Herr und Landstand in Tirol, Böhmen, Mähren und Schlesien, k.k. wirklicher geheimer Rath, war ab 1840: Präsident der k.k. allgemeinen Hofkammer und ab 1841 Vorsteher des Münz- und Bergwesens. 1850 wurde er Präsident des Reichsrats.
Dabei wurden in Nordtirol „217.000 niederösterreichische Klafter“ Holzbezugsrechte (jährlich wiederkehrend) abgelöst gegen das Privateigentum an 358.140 Joch Waldfläche in Summe. Je Stammsitz (je berechtigter „Familie“) wurden durchschnittlich 6 niederösterreichische Klafter Holzbezugsrecht anerkannt. Dies ergab 9,9 Joch Waldfläche im Durchschnitt je berechtigter Familie, von denen 10% durchschnittlich unproduktiv waren. Kalkuliert wurde mit einem Durchschnittsertrag von 0,67 niederösterreichische Klafter pro Joch, eine Vorgabe, welche nach zeitgenössischen Angaben „eine ungleich bessere als die bestandene und die gegenwärtig noch bestehende Waldwirtschaft“ erforderte. Als Ergebnis wurden ca 80.000 Ha Staatsforste – heute Bundesforste – von unseren Rechtsvorgängern holzbezugsfrei gestellt. Bei einer Umrechnung dieser Zahlen ergibt sich annäherungsweise eine Anzahl von 35.000 holzbezugsberechtigter Stammsitzliegenschaften im heutigen Nordtirol, welche auf ihre „Beholzungsservituten“ – so die Legaldefinition in der „Instruction für die Commission zur Ablösung der Servituten in den vorbehaltenen Staatswäldern Tirols“ (IFSAK) – verzichten haben. Die Gegenleistung für diesen Verzicht auf individuelle Holzbezugsrechte, das freie Privateigentum an ca 200.000 Ha Wald, soll heute enteignet werden, obwohl die ca 35.000 Nordtiroler Stammliegenschaftsbesitzer in diesen Vergleichsabschlüssen bedeutende Zugeständnisse machen. Es wurde für diese umfangreiche Verzichtsleistung zwischen beiden Vertragsteilen vorausgesetzt, dass die jeweilige Gruppe von Berechtigten mit dem eigenen Eigentum ungleich besser wirtschaften werde, wie auf fremdem Vermögen, eben in den Staatsforsten. Die Ertragssteigerung durch Bewirtschaftung von eigenem Eigentum war kalkuliert; Eigentum für die Eingeforsteten war vorausgesetzt. Nur durch die Kalkulation mit Ertragssteigerung wegen vorausgegangener Privatisierung war es überhaupt möglich, die „Ausforstung“ der Stammliegenschaftsbesitzer zu kalkulieren, weil vor dieser Maßnahme die gesamten Tiroler Wälder für den Landesfürsten wegen der schlechten Wirtschaft in den „Gemeinswäldern“ praktisch ertragslos waren.
Hinweis: Alle aus einer schematischen Umrechnung gewonnenen Zahlen sind mit Vorsicht zu behandeln, umfasste doch der Regalitätsforstbezirk aus der Sicht des Jahres 1847 auch Forste außerhalb der Kreise Ober- und Unterinntal; hinzu kommen Gebietsabtrennungen im Bereich des historischen Gerichtsbezirkes Nauders nach dem 1. Weltkrieg.
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Die Forstservituten-Ablösung in Tirol
R.S., Österreichische Vierteljahresschrift für Forstwesen 1851, Seite 376 ff (Zwischenüberschriften eingefügt von MP)
Eine der wichtigsten und erfolgreichsten Maßregeln, welche in neuester Zeit in Absicht auf die Regelung des österreichischen Forstwesens, nicht nur angeordnet, sondern auch consequent durchgeführt wurde, ist die Forstservituten-Ablösung in Tirol.
Die bezügliche Bestimmung der Staatsverwaltung wurde von der Bevölkerung Tirols mit Freuden begrüßt, und in öffentlichen politischen Blättern günstig beurteilt. Forstwirthe und Verwaltungsmänner haben aber weder über die Maßregel selbst, noch über ihren Erfolg bisher ihre Ansichten öffentlich bekanntgegeben; wohl aber ist uns bekannt, daß über die Sache verschiedene Meinungen bestehen, und wir halten es daher nicht nur für wünschenswert, daß hierüber ein klares Bild niedergelegt werde, sondern wir schmeicheln uns auch, den geehrten Lesern dieser Blätter damit eine nicht unwillkommene Gabe zu bieten.
Bevor wir indessen zur Darstellung der Sache selbst schreiten, müssen wir vorerst die vor dem Jahre 1847 im Kronlande Tirol bestandenen forstlichen Rechtsverhältnisse näher beleuchten; denn in diesen wurzelt ja die ganze bedeutungsvolle Maßregel. Die Forstverfassung Nordtirols greift mit ihren äußersten, noch auffindbaren Fäden, bis in das 14. Jahrhundert zurück.
Die Historie der Tiroler Forstverfassung
Im Jahr 1330 hat nämlich König Heinrich von Böhmen in dem von ihm „aufgerichteten“ Amtsbuche sämtliche Waldungen des Inn- und Wipptales als sein Eigentum erklärt.
Auf Grund dieser Erklärung wurde erst zwei Jahrhunderte später die Waldordnung vom Jahr 1541 von Kaiser Ferdinand I., und im Jahr 1685 die bis zum heutigen Tage noch nicht außer Wirksamkeit gesetzte Inn- und Wipptaler Waldordnung Kaiser Leopolds I. erlassen. Beide Waldordnungen erklären alle Waldungen Tirols als Eigentum des Landesfürsten, und sprechen es gesetzlich aus, dass niemand ein Waldeigentum durch landesfürstliche Verleihurkunden ausweisen.
Diese gesetzliche Bestimmung schloss daher die Erwerbung eines Waldeigentums durch Ersitzung aus.
Es mag allerdings befremden, das die tirolischen Landesfürsten, die noch, wie bekannt, dem biederen Tirolervolke stets ihre besondere Gunst zuwandten, gerade in Bezug auf die Forste mit dieser nicht allzu freigebig waren, und noch zu einer Zeit, wo man bereits andernorts von der starren Aufrechterhaltung des Waldreservates nach zulassen begannen, das Waldeigentum in Tirol fast ausschließlich nur für sich erhalten wissen wollten. Aber gerade in dieser, bis zum Jahre 1847 mit unerschütterlicher Konsequenz an den Tag gelegten Absicht liegt der sprechende Beweis von der weisen Fürsorge der Landesfürsten.
Mit richtigem Blicke haben sie seit jeher erkannt, dass das Wohl des Landes und seiner Bewohner in einem innigen Zusammenhabe mit einer guten Waldwirtschaft stehe, ja das diese unerlässliche Bedingung für das erstere sei; und nur in der Absicht, damit die Quellen des tirolschen Wohlstandes: Bergwerke und Salinen, dann „Land und Leute in künftiger Zeit an Holz keinen Abgang oder Mangel leiden dürfen, sondern jederzeit mit guter Notdurft versehen werden mögen,“ verfügten sie: „sind alle Wälder, Höhen keine ausgeschlossene, Unser eigen.“
In diesen, der Waldordnung entnommenen Worten liegt ein tiefer Sinn. – Es ist damit die wohlwollende Absicht ausgesprochen die Waldungen Tirols nicht allein als eine Quelle des landefürstlichen Einkommens, sondern als ein Mittel zu Förderung eines höheren Zweckes – des Wohlstandes der Nation – als landesfürstliches Eigentum erhalten, und gut bewirtschaften zu wollen. In diesen Worten findet aber auch der Anspruch der Bewohner Tirols, auf nachhaltige Deckung ihrer Bedürfnisse aus landesfürstlichen Waldungen, seinen richtigen Grund, und das ursprüngliche aus allerhöchster Gnade erflossene Recht der Einforstung seinen unwiderlegbaren Haltpunkt.
Wer die alten tirolischen Waldordnungen genau kennt, wir zugeben, dass sie für die damalige Zeit ganz vortrefflich waren. Sie haben die Rechtsverhältnisse kurz und klar dargestellt, und Bestimmungen über die Bewirtschaftung enthalten, die nichts zu wünschen übrig ließen; sie waren für die Ewigkeit berechnet. – Würden sie genau befolgt worden sein, die Mehrzahl ihrer Bestimmungen fände auch wirklich heute noch, und wahrlich nicht zum Nachteile des Landes und seiner Bewohner, volle Anwendung!
Doch unsere damaligen Fachgenossen haben zur Genüge erfahren, dass die besten Forstgesetzte nichts nützen, wenn sie nicht gehandhabt werden. Sie alle schon kannten das traurige Übel, welches bis heutigen Tages unter Erbteil geblieben ist. Das Gesetz war gut, doch zu dessen Handhabungen bedurfte es eines ausreichenden und Wohlbestellten Wirtschafts- und Aufsichtspersonales, und eines tatkräftigen Zusammenwirkens aller Regierungsorgane – und dies fehlte. Nach den Grundbestimmungen der tirol. Forstverfassung erfolgte die Deckung der Holzbedürfnisse der Landbautreibenden Untertanen aus landesfürstlichen Waldungen ohne nähere Bezeichnungen. Es gab nur eine Kategorie von landefürstlichen Waldungen. Mit den Überschüssen aus denselben verfügte der Landesfürst nach Belieben.
Schlechte Wirtschaft, durch neue Ansiedlung vermehrter Bedarf, und besonders das durch Mangel an Aufsicht sehr begünstigte Streben nach Erweiterung des Grund- und vorzugsweise Alpenbesitzes, schmälerten von Jahr zu Jahr das Holzerträgnis, und trotz dem Bestande des I. f. Forstregales – die Waldfläche.
Diese Wahrnehmung mussten endlich zu der Überzeugung führen, dass es hohe Zeit sei, den Waldbesitz im Allgemeinen, und besonders jene Waldungen, welche für den Bergbau- und Salinenbetrieb von hervorragender Wichtigkeit waren, vor weiteren Usurpationen zu wahren.
Es wäre allerdings im Rechte gegründet gewesen, wenn die Forstverwaltung alle usurpierten Waldstrecken, welche teils gerodet, teils als Alpen benützt wurden, revindicirt hätte; doch dies geschah aus Gründen, deren Erörterung nicht hierher gehört, nicht, sondern man begnügte sich lediglich damit, den Status quo zu erheben, und denselben Stillschweigend als gesetzlich anzuerkennen. Zu diesem Zwecke wurden die so genannten Waldbereitungen (Waldbeschreibungen) angeordnet, wobei der Waldmeister eigentlich nichts weiter, als die faktischen Berodungs- und Benützungsverhältnisse der einzelnen Forste in einem Buche verzeichnete. Bei dieser Gelegenheit hat zugleich der Waldmeister jenen Waldungen, aus welchen Untertanen wegen ihrer Entlegenheit nichts bezogen haben, oder welche für Bergwerke und Salinen wirklich in Angriff waren, als „Amtswaldungen,“ hingegen jene, wo die Untertanen fortwährend ihren Bedarf erhielten, als „gemeine Waldungen“ bezeichnet, und höchst oberflächlich begrenzt. Die ersten Waldungen wurden nun in allen amtlichen Akten reservierte, und letztere belastete Staatswaldungen benannt.
Auf solche Weise stellte sich der Begriff der zwei Hauptkategorien der tirol. Staatsforste fest, und ging so in die Inn- und Wipptaler Waldordnung vom Jahre 1685 über.
Berücksichtige man den bei der Ausscheidung der Waldkategorien beobachteten Vorgang, so erscheint es klar, dass auch die reservierten Staatsforste nicht frei von Belastungen waren. Tatsächlich wurde aber auch, wenn die „gemeinen“ Waldungen unzureichend befunden wurden, der Abgang aus den Amtswaldungen erholt.
Es war dies im Verlauf der Zeit immer mehr und mehr der Fall, so zwar, dass zuletzt fast keine Amtswaldungen in Nordtirol vorhanden waren, woraus nicht auch der Bedarf der Untertanen teilweise gedeckt worden wäre. Ja, viele dieser Amtswaldungen wurden lediglich für Eingeforstete benützt, und es mussten sogar solche forste, welche im Forstgesetze namentlich als reine Amtswaldungen aufgeführt sind, nach und nach den Forstrechtlern eingeräumt werden. Mit der faktischen Ungültigkeit des ursprünglichen Begriffes von einer Amtswaldung, verloren auch die „Waldbereitungen“ ihren Wert, und gegenwärtig dienen sie nur noch als laut sprechende Belege für den unaufhaltsamen Krebsschaden ungeregelter Einforstungen.
Wäre in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu der, damals schon als sehr dringen bezeichneten Regelung der Forstservituten geschritten worden, so hätte Tirol – dieses an Waldboden so reiche Land – jene Übel nie kennen gelernt, von denen es gegenwärtig so hart betroffen wird. Damals aber, und später auch noch geraume Zeit, lag die Regelung der forstlichen Verhältnisse Tirols vorzugsweise in den Händen der Rechtsgelehrten, welche ihre Tätigkeit vorwiegend der Legalitätsfrage und der Untersuchung widmeten: ob die Ansprüche der Landbautreibenden Bevölkerung Tirols auf Bedeckung ihrer Frostproduktenbedürfnisse aus I. f. Waldungen, im strengen Rechte gegründet, oder als ein Ausfluss der landesherrlichen Gnade anzusehen sind.
Während dieses, viele Jahre hindurch geführten juristischen Gefechtes, blieb indessen die gedrückte Forstverwaltung nicht müßig. Sie fing von neuem an, die faktischen Benützungsverhältnisse der Forste zu erheben, und brachte diese Erhebungen in eine den gesetzlichen Bedingungen mehr entsprechende Form. sie war bemüht, den gegenwärtigen Stand wenigstens aufrecht zu erhalten, Übergriffe der Forste zu erheben, und brachte diese Erhebungen in eine den gesetzlichen Bedingungen mehr entsprechende Form. Sie war bemüht, den gegenwärtigen Stand wenigstens aufrecht zu erhalten, Übergriffe der Eingeforsteten hintanzuhalten, und alle Ansprüche auf Forstnutzungen, welche nicht in den alten Waldordnungen gegründet waren, abzuweisen, Über die Richtberechtigten wurden Bewertungen geführt, und denselben Forstprodukte nur gegen Entgelt angewiesen. Es wurden ferner einzelnen eingeforsteten Gemeinden die bisher von ihnen benützten Waldungen zur Aufteilung unter die einzelnen Gemeindeglieder übergeben, ihre übrigen Einforstungswälder deutlicher begrenzt, und auch von den Eingeforsteten, wenn sie außerhalb ihrer Einforstungsbezirke Bezüge beanspruchten, Stockzinse und Recognitionen abverlangt.
Der „erste Tiroler Agrarstreit“
Durch diese vorzugsweise in Absicht auf die Walderhaltung eingeleiteten Maßregeln entstand eine Unzahl von Streitigkeiten die aber fast durchgehend unerledigt geblieben sind. Doch der, ein Jahrhundert hindurch auf Kosten der Waldungen künstlich zurückgehaltenen Sturm brach nach dem Erscheinen der provisorischen Waldordnung vom Jahr 1839 erst recht los.
Diese Waldordnung anerkannte ein Nutzeigentum an Forsten, befiehlt den Administrativstellen, den faktischen Besitz zu schützen und zieht somit, ohne die alten klaren Waldordnungen zu widerrufen, das Bestehen des I. f. Forstregales gewissermaßen gesetzlich in Zweifel. Gemeinden und Privaten traten in Folge dessen mit ihren bisher verborgen gehaltenen Ansprüchen auf, und riefen das Gesetz um Schutz in ihrem vermeintlichen Besitze an. Dies, und der Umstand, dass sich einige Gemeinden und Privaten bei der summarischen Grundsteuerregulierung auch rücksichtlich jener Waldungen, aus welchen sie bisher ihre Bedürfnisse bedeckten, mit einem Steuerkapitale fatirten, die ausgeworfenen Grundsteuer bezahlten, und sich hinfort aus plausibel scheinenden Gründen als Waldeigentümer betrachteten, brachte in die forstlichen Eigentumsverhältnisse eine so namenslose Verwirrung, dass eine Lösung derselben wirklich gar nicht absehbar erschien.
Hunderte von Rechtstreiten waren anhängig, doppelt so viele Federn in Bewegung, um für und dagegen zu schreiben, und namentlich war die Forstverwaltung fast ausschließlich mit Sammlung von Klagebehelfen und Instruierung von Klagen beschäftigt. Es wurden Sequefrationen eingeleitet, große Summen als schuldige Forstgebühren in Vormerkung genommen; es wurde auf beiden Seiten mit außerordentlichem Eifer gekämpft; mancher Advokat begründete durch diese Waldstreitigkeiten seinen gegenwärtigen Ruf; die Forstmänner studierten mit Eifer die Gesetze, – doch die Objekte, denen der hartnäckige Kampf galt, verfielen dabei plan- und regellos – der Art!
Das auf solche Weise dem darniederliegenden Forstwesen nicht zu helfen war, musste Jedermann klar werden, und wer noch einen Zweifel darüber gehabt hätte, dem würde der zusehends schlechter gewordene Waldzustand, die ungemeine Erbitterung der Gemüter und endlich die Tatsache, dass die Verwicklungen immer noch im Zunehmen begriffen waren, denselben gelöst haben.
Aus vielen Teilen des Landes gelangten Bitten and den tirol. Landtag um Bevorwortung durchgreifender Maßregeln zur Ordnung der Forstverhältnisse, und um Sistierung der resultatlosen Zivilprozesse.
Die immer allgemeiner und dringender gewordene gleiche Bitte drang endlich, von alle Seiten unterstützt , nach Oben, und fand vor dem Throne Seiner Majestät, Ferdinands I., gnädiges Gehör und durch das energische Eingreifen des damaligen Präsidenten der k. k. Hofkammer, Freiherrn von Kübek, schnelle Willfähre.
Die a.h. Entschließung vom 6. Februar 1847
Die allerhöchste Entschließung vom 6. Februar 1847 war der glänzende Erfolg der vereinten Bemühungen der Bevölkerung Tirols. Nach dieser a.h. Entschließung wurde das l.f. Forsthoheitsrecht bloß auf die Forste des Ober- und Unter-Inntales, dann auf den Forstkomplex Panneveggio im Fleimsertal, dann Latemar im Bozner Kreis sowie endlich auf einige unbedeutende Forste ebenfalls jenseits des Brenners, welche zur Bedeckung montanistischer Entitäten unentbehrlich sind, beschränkt, und die Austragung der obschwebenden Verhandlungen rücksichtlich der Primörer Forste im administrativen Weg angeordnet. Alle übrigen, bisher dem Landesfürsten aus dem Titel des Hoheitsrechtes angehörigen Forste des Landes sind den servitutsberechtigten Gemeinden, unbeschadete Ansprüche Dritter, ins volle Eigentum abgetreten worden.
Aber auch in Ansehung jener Forste, rücksichtlich welcher der l.f. Hoheitsrecht aufrecht erhalten wurde, haben Sr. Majestät bei Beurteilung der Besitz- und Eigentumsansprüche der Privaten und Gemeinden, für das vergangene, die Anwendung des allgemeinen bürgerlichen Rechts dann gestattet, wenn diese Ansprüche entweder schon gerichtlich gestellt waren oder binnen drei Monaten bei der bestellten Forsteigentums-Purifikations-Kommission angemeldet wurden.
Ferner wurde angeordnet, auch in den Regalitätsforsten die Servituten und Gnadenholzbezüge der Untertanen, insofern ihnen solche nach den alten Waldordnungen zukommen, soweit nur immer tunlich, durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das volle Eigentum der betreffenden berechtigten Gemeinden abzulösen.
Dieses Eigentum soll nach dem bestimmten Willen Sr. Majestät, nur unter den Beschränkungen genossen werden dürfen, welche das zu erlassende Forstpolizeigesetz feststellen wird. Bis dahin hat die Waldordnung vom Jahr 1839, wonach die Verwaltung der Gemeindeforste dem Staat zusteht, in Wirksamkeit zu verbleiben.
Einsetzung zweier Kommissionen
Zur Durchführung dieser a.h. Anordnungen wurden zwei Kommissionen zusammengesetzt. Die eine hatte die Aufgabe: Das Waldeigentum reinzustellen, und die Zweite: Die Servitutsrechte und Gnadenbezüge abzulösen. Die Wirksamkeit dieser letzteren – der Servitutenausgleichungskommission – wollen wir nun im Nachstehenden näher zu beleuchten versuchen.
An der Spitze derselben stand ein Forstmann, außerdem bestand sie aus einem politischen, einem Justiz- und einem Montanbeamten. An den Beratungen nahm auch der Landrichter, in dessen Bezirk die Kommission eben tagte, als stimmfähiges Mitglied teil. Ein Aktuar besorgte die umfassende Korrespondenz und die Zusammenstellung der Ausarbeitungen. Die Forstverwaltungsorgane wirkten bei den Vorberatungen der Kommission lediglich informierend, und hatten bei den Ablösungs-Verhandlungen selbst keine Stimme.
Im Spätsommer 1847 begann die so zusammengesetzte Kommission ihre Wirksamkeit damit, dass sie die einzelnen Forstverwaltungsbehörden zur Nachweisung über die Größe und den Ertrag der Reichsforste aufforderte, und den Bedarf der eingeforsteten Gemeinden zu erheben befahl.
Erhebung der Fakten
Die der Forstverwaltung zugekommene Aufgabe hatte aber ihre ganz besonderen Schwierigkeiten. Die bei Weitem größere Mehrzahl der Forste war nicht vermessen, geschweige denn taxirt. Alles was hierüber vorlag, waren summarische Anschätzungen von höchst zweifelhaftem Wert und mussten daher, so gut es nur immer anging, einer Überprüfung und Berichtigung unterzogen werden. Ebenso wenig als Fläche und Ertrag der Waldungen, war auch der Bedarf der Eingeforsteten bekannt.
Über die faktischen Abgaben wurden zwar Aufschreibungen geführt, doch diese zeigten sich mehr oder weniger ungenügend. Häufig kamen nämlich Gemeindebezirke vor, wo die faktische Abgabe augenscheinlich unzureichend war, den Bedarf der Berechtigten zu decken; teils hat der schlechte Zustand der Forste eine Restringierung der Anforderungen zur Notwendigkeit gemacht, und teils war es den Gemeinden wegen Entlegenheit der belasteten Forste viel zusagender, ihre Bedürfnisse aus ihren holzbestockten Wiesen zu entnehmen, oder anderwärts anzukaufen, als sie im Einforstungswege zu erholen. Wollten nun die Forstverwalter der Kommission über den wahren Forstproduktenbedarf der Gemeinden einigermaßen verlässliche Ziffern liefern, so erübrigte nichts anderes, als hiebei vergleichend zu Werke zu gehen. Gemeinden, wo die Erhebung des wirtschaftlichen Verbrauches mit praktischer Schärfe zulässig war, wurden zum Vergleichsmaßstab gewählt.
Unter solchen Umständen wird es wohl jedermann begreiflich finden, dass die Forstverwaltung eine äußerst schwierige Aufgabe zu lösen hatte, deren Umfang sich übrigens leicht ermessen lässt, wenn ich bemerke, dass dabei 283 Gemeinden und nahezu 600.000 Jochwaldungen in Betracht kommen. So schwierig und umfassend auch diese Aufgabe war, so wurde sie doch allenthalben so gelöst, dass die gewonnenen Resultate von der Kommission als Anhaltspunkte für ihre Verhandlungen benützt werden konnten. Es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass das Vorhandensein genauer Ziffern über den Ertrag der Wälder von Vorteil gewesen wäre, doch so wie die Sachen lagen, hätte der Gewinn nur darin bestanden, dass die Kommission Gewissheit darüber erlangt haben würde, mit wie viel Ertrag sie den problematischen Bedarf der Berechtigten bedeckt hat. Für die Verhandlungen selbst aber waren genauere Angaben über den Ertrag der Wäldern, und selbst auch über den Bedarf der Eingeforsteten, wie sie hie und da auch wirklich vorlagen, durchaus nicht so förderlich, als man meinen sollte.
Wir müssen hier nämlich in Erinnerung nehmen, dass die Ablösung der Servituten nicht auf Grundlage eines Ablösungsgesetzes, sondern lediglich im Wege freiwilliger Vereinbarung erfolgte. Die mit aller Sorgfalt gepflogenen Erhebungen über Bedarf und Ertrag wurden daher von den Berechtigten immer mit zweifelhafter Mine betrachtet, wenn das darauf gegründete Anbot ihrer Überzeugung nicht entsprach, oder wohl gar ungünstiger ausfiel, als der status quo. War es aber auch den Berechtigten zu verargen, dass sie es taten? Keineswegs, denn noch waren sie durch kein Gesetz verpflichtet, die erhobenen Ziffern über ihren Forstproduktenbedarf und die Tarations-Resultate als unfehlbar anzuerkennen, oder eine solche Wirtschaft in ihren Einforstungs-Waldungen zu führen, wie sie der Tarator gerade voraussetzte; und sicherlich hätte die Kommission mit keiner Gemeinde einen Vergleich abgeschlossen, wenn sie derselben nicht die gewisse, auch der Gemeinde genugsam einleuchtende Aussicht geboten hätte: Der künftige Stand werde ein günstigerer sein, als der gegenwärtige zurecht bestehende.
Die Gemeinden bezogen bisher sorglos ihren Bedarf, und wurde ihnen daher weiter nichts, als der Fortbezug derselben aus den ihnen ins Eigentum angetragenen Waldungen geboten, so waren sie gegen den status quo offenbar im Nachteil; denn die wahrscheinliche Bestreitung der Verwaltungskosten, und der Steuern, deren Ziffer niemand kannte, wären neue Lasten ohne errungene Vorteile gewesen, und einen Vergleich abzuschließen, welcher gegen den status quo nicht nur keine Vorteile, sondern offenbar Nachteile bietet, widerstreitet der Vernunft. Waren daher auch für eine oder die andere Gemeinde genauere Liquidationen des Bedarfs und Ertrages gepflogen, so musste denn doch von diesen Ziffern nach Maßgabe der Billigkeit, welche sich, wie schon gesagt, in Zahlen nicht recht ausdrücken ließ, mehr oder weniger Umgang genommen werden.
Durch das eben gesagte will man indessen keineswegs den Wert verlässlicher Ertrags- und Bedarfsansätze, als Grundlage derartiger Vergleichsverhandlungen, in Zweifel ziehen. Es war aber demselben in Beziehung auf Tirol, wo es sich um eine schnelle Durchführung der angeordneten Maßregel handelte, kein so übergroßer beizulegen, dass die Schaffung derselben um jeden Preis anzustreben gewesen wäre. Hätten die Forste vermessen und taxirt werden sollen, so wäre hiezu, abgesehen von dem Kostenaufwande, ein Zeitraum von vielen Jahren erforderlich gewesen, was der so dringenden politischen Maßregel ungemein viel Eintrag getan hätte. Die Vermessung und Schätzung wäre aber für das Ablösungsgeschäft immer noch von nur untergeordnetem Werte geblieben, wenn nicht auch gleichzeitig eine Liquidierung der Servituten, eine Regelung derselben im gesetzlichen Wege, durchgeführt worden wäre; denn wo mehrere Fakturen eines Produktes nach dem Gefühle, nach Gutdünken angenommen werden müssen, dort wird auch die größte Schärfe der anderen Faktoren das Produkt zu keinem genaueren machen.
Und wären auch alle bisher genannten, auf das Ablösungsresultat einflussreichen Faktoren mit mathematischer Schärfe bekannt gewesen, so wäre doch immer einer in Zahlen unausdrückbar geblieben. Dieser Faktor ist: Der Vorteil, welcher der Gesamtheit nicht minder, als wie dem Staat als Waldeigentümer, durch die Ablösung selbst in gewisser Voraussicht stand. – Wir haben schon früher erwähnt, dass die Überschüsse in den belasteten Reichsforsten ein Eigentum des Staates waren. Diese Überschüsse haben sich aber letzterer Zeit durch schlechte Wirtschaft fast auf Null reduziert, und es wäre wahrscheinlich trotz der besten Gesetze eine Unmöglichkeit geworden, die eingeforsteten Gemeinden in ihren Bezügen einzuschränken, eine gute Wirtschaft einzuführen, und für die übrigen Staatsangehörigen Überschüsse zu erzielen, von denen die Eingeforsteten nie einen Vorteil gezogen hätten. – Es wäre damit jedenfalls eine Aufopferung ohne Aussicht auf Lohn gefordert worden. Durch die Teilung der Waldungen zwischen Staat und Gemeinden hingegen, wird aber auch jeder Teilhaber die Früchte seines Fleißes selbst genießen. Es wird an vielen Orten das Möglichste, im Allgemeinen aber mehr wie bisher produziert, und somit jedenfalls ein Gewinn erzielt werden, dessen ziffernmäßige Berechnung auch gegenwärtig wohl noch zu gewagt wäre.
„Österreichische“ Lösungen
Ähnliche Betrachtungen mögen die hohe Staatsverwaltung veranlasst haben, die Ablösung der Servituten in Nordtirol auch mehr auf praktische Anschauung, als auf feste Zahlenverhältnisse zu stützen. Bevor die Kommission ihre Verhandlungen mit den Gemeindebevollmächtigten anknüpfte, ließ sie sich das faktisch bestehende Einforstungsverhältnis der betreffenden Gemeinde durch die Forstverwaltungsorgane darlegen und untersuchte dasselbe auf seinen rechtlichen Bestand. Fast ohne Ausnahme lautete die Berechtigung auf den ganzen Bedarf, dieser aber war, wie schon erwähnt, eine nur annäherungsweise bestimmbare Größe. Die Kommission durfte somit den Angaben der Forstverwaltung nicht unbedingt Glauben beimessen, sondern sie musste sich in jedem einzelnen Fall ein selbstständiges Urteil darüber bilden. Zumeist unterlag dies auch keiner so großen Schwierigkeit. Fast allenthalben hatten die Gemeinden gewisse, in den alten Waldbereitungen näher bezeichnete Walddistrikte zu ihrer Bedarfsbedeckung zugewiesen, und ziemlich genau war es bekannt, ob die Gemeinde außer der Bezüge aus ihren Einforstungswaldungen, auch noch anderweitig Forstprodukte, und in welcher Menge empfangen habe.
Der wirtschaftliche Zustand der Einforstungswälder ließ weiter der Kommission keinen Zweifel darüber, ob die betreffende Gemeinde von nachhaltigem Zuwachse ihres Einforstungs- Komplexes oder bereits vom Materialkapital zehre. Der Zustand und die Flächenausdehnung der ältesten Klasse gab hiefür einen richtigen Anhaltspunkt. Diese summarische Untersuchung gewährte in den meisten Fällen volle Überzeugung, ob die in Rede stehende Gemeinde mit Rücksicht auf ihre bisherigen Bedürfnisse in ihrem Einforstungs-Komplexe einen Überschuss oder Mangel habe. Die ganze Unterhandlung mit den bevollmächtigten Gemeindevertretern hatte nun sofort in der Hauptsache, entweder die Hinwegnahme der überschüssigen Fläche, oder die Hinzugabe der zur vollständigen Bedarfdeckung nötigen, zum Gegenstande. Bei dem fast durchaus schlechten Zustande der belasteten Wälder war der erstere Fall die Ausnahme, und der letztere die Regel. Nachgewiesener Mangel bei zweifellosen Flächenüberschüssen wurde durch subsidiarische Aushilfen, welche zumeist nur auf Bau- und Nutzholz lauteten, bedeckt. Standen für sichtlich unbedeckte Gemeinden keine günstig gelegenen Reichsforste zur Verfügung, so war auch, trotz des Erkennens des Mangels, alle Möglichkeit abgeschnitten, demselben durch Waldzuteilung abzuhelfen. In allen solchen, leider nicht so seltenen Fällen, war die Verhandlung schnell und einfach damit abgeschlossen, dass der Gemeinde alle bisher von mir benützten Waldungen ins Eigentum abgetreten wurden. In Hinkunft muss es daher Sorge dieser Gemeinden sein, durch möglichste Beschränkung ihres bisherigen Bedarfes und durch zweckmäßige Wirtschaft, dem sichtlich drohenden Übel eines Holzmangels zeitlich genug vorzubauen. Zum Glück ist dies fast allenthalben, wenn auch nur mit zeitlichen Opfern möglich. Dem Vergleichsabschlusse konnten sich wohl solche Gemeinden füglich nicht entschlagen, denn es wurde ihnen klar, dass sie im Fall sie es täten, nichts gewinnen, sich wohl aber der mit dem Waldeigentume verbundenen Vorteile begeben würden.
Größer waren die Schwierigkeiten eines Übereinkommens, wo die Gemeinde, auch bei Voraussetzung einer mittelguten Wirtschaft, sichtlich nicht mehr als die Bedeckung ihres Bedarfs durch die Zuteilung ihrer Einforstungswälder zu gewärtigen hatte, oder wo der Mangel evident vorlag, und andere Reichsforste in der Nähe waren, welche von der Gemeinde bereits benützt wurden, oder benützt werden konnten. Die Gemeinden forderten in solchen Fällen zumeist mehr, als die Kommission zu geben für notwendig und billig erachtete und oft erst nach mehrtägigen Verhandlungen und wiederholten Untersuchungen der Waldungen ist es der Kommission gelungen, zu einem, beide Teile befriedigenden Resultate zu gelangen.
Doch die größten Schwierigkeiten waren dann zu überwinden, wenn es sich darum handelte, den mit Überschuss versehenen Gemeinden einen Teil ihres Einforstungs-Komplexes abzunehmen und denselben entweder als servitutsfreies Staatseigentum vorzubehalten, oder den Abgang einer Nachbargemeinde damit zu bedecken. Oft haben solche Gemeinden die Holzüberschüsse verkauft; dies geschah zwar widerrechtlich, wurde aber bei dem gänzlichen Daniederliegen der Rechtspflege in Forstsachen geduldet, wodurch im Verlauf der Zeit gleichsam ein Unrecht zum Rechte erwuchs. Solche Gemeinden standen daher faktisch offenbar besser, als das Anbot der Kommission lauten konnte, nur mit dem Unterschiede, dass das Verhältnis vor der Abfindung ein usupirtes, nicht im Recht gegründetes war, während dem neuen, zwar mindergünstigen, immerhin aber Vorteile gewährenden, die Weihe der Rechtsbeständigkeit aufgedrückt werden sollte. Hier bedürfte es der Entfaltung aller Energie der Kommission um die Gemeinden auf das Maß billiger Forderungen zurückzuführen; und wirklich ist dies auch, nur mit wenigen Ausnahmen, völlig gelungen. Wo indessen alle Anstrengungen scheiterten, wurde der status quo mit der Aussicht der Zurückführung desselben auf den streng rechtlichen, aufrechterhalten, und somit die Gemeinde mit ihren nicht anerkannten Ansprüchen vor den Zivilrichter gewiesen.
Ständige Gegenreichnisse der Berechtigten an die Forstverwaltung kamen nur in wenigen Bezirken, und nirgends von Bedeutung vor. Die Gemeinden haben sich dann entweder zur Zahlung des Kapitalbetrages verstanden, oder sie zogen es vor, sich mit einer verhältnismäßig geringeren Waldzuteilung zu begnügen. Der letztere Fall war der gewöhnliche. So kolossal auch die der Kommission gestellte Aufgabe war, und so unwahrscheinlich es auch im ersten Augenblick erschien, dass sie befriedigend gelöst werden könne, so ist es doch nichts desto weniger wahr, dass die Kommission, getragen von dem Vertrauen der Bevölkerung, dieselbe innerhalb eines Zeitraums von nicht viel mehr als 2 Jahren zu einem alle Erwartungen übertreffenden Abschlusse brachte. Mit allen berechtigten nordtirolischen Gemeinden wurden die Verhandlungen gepflogen, mit 240 Gemeinden Übereinkommen geschlossen und für die nicht abgefundenen 43 Gemeinden die Vergleichsentwürfe verfasst. Aber auch die letzteren Gemeinden haben sich seit dem Jahr 1849, wo die Kommission zu tagen aufhörte, die Überzeugung verschafft, dass der ihnen angebotene Stand ungleich vorteilhafter als der beibehaltene zu werden verspricht, und haben sich daher auch nachträglich zum Abschluss von Vergleichen herbei gelassen. Im gegenwärtigen Momente dürften wenige Gemeinden mehr übrig sein, welche von der ihnen zu Teil gewordenen allerhöchsten Begünstigung keinen erfolgreichen Gebrauch gemacht haben.
Schlussergebnisse: Übersicht
Eine detaillierte Zusammenstellung der von den beiden Kommissionen in Nordtirol erzielten Resultate dürfte wohl für die Mehrzahl der Leser dieser Blätter von minderem Interesse sein und würde auch die Grenzen dieses Aufsatzes weit überschreiten, doch die uns bekannt gewordenen Schlussergebnisse glauben wir dem forstlichen Publikum nicht vorenthalten zu sollen.
Bei der Forstregulierung im Ober- und Unterinntal in Frage kommende Waldfläche beträgt ungefähr 557.565 Joch; hievon wurden als Privateigentum anerkannt 40.000 Joch, zur Ablösung des Bezugsrechts von beiläufig 217.000 Niederösterreichische Klafter Holz wurden in das Eigentum der berechtigten Gemeinden abgetreten: 358.140 Joch. Es verbleiben somit Staatseigentum: 159.425 Joch, mit einem Durchschnittsertrag von beiläufig 75.000 Niederösterreichischen Klafter Holz. Im großen Durchschnitte stellte sich für jede Familie ein Bedarf von 6 Klafter Holz zu 108 Kubikfuß Raum heraus und dieser wurde durchschnittlich mit einer Waldfläche von 9,9 Joch, wovon im Durchschnitt 10 % unproduktiv sind, abgelöst.
Zur vollständigen Bedarfsbedeckung der Bezugsberechtigten muss daher das Niederösterreichische Joch produktiver Waldfläche nahezu 0,67 Klafter Durchschnittsertrag liefern, was zwar immerhin erreichbar ist, jedenfalls aber eine ungleich bessere, als die bestandene und gegenwärtig noch bestehende Waldwirtschaft bedingt.
So wie die Einforstung auf den Holzbedarf, so allgemein und ungeregelt haftete auch das Streu- und Weidebenützungsrecht der Gemeinden auf allen Reichsforsten. Der Ablösung und bzw Regelung dieser Servituten widmete die Kommission nicht minder ihre Aufmerksamkeit. In der Regel wurden die den Gemeinden zur Bedeckung ihrer Holzbedürfnisse zuerkannten Waldungen auch zur Deckung des Streubezuges als zulänglich befunden, daher nur in seltenen Fällen dieses Servitut besonders zur Verhandlung kam. Dort wo es aber geschehen musste, wurde den Gemeinden der Streubezug aus den vorbehaltenen Reichsforsten unter beschränkten Bestimmungen auch ferner hin gestattet. Die Bezugsorte sowohl als auch die Streumenge sind nach den diesfalls geschlossenen Übereinkommen von der Forstverwaltung, mit Ausschluss jeder weiteren Berufung, festzustellen und es hat hiefür die wirtschaftliche Zulässigkeit maßgebend zu sein. Die Streunutzung in den Reichsforsten ist somit gegenwärtig. Keine Servitut mehr, sondern sie hängt lediglich von dem diskretionären Ermessen der Forstverwaltung ab.
Ganz anders verhält es sich mit der Waldweide. Sie ist der Lebensnerv des Tiroler Landmannes. Wird sie ihm genommen, oder auch nur mehr als es zur Walderhaltung notwendig ist, beschränkt, so wird ihm damit auch die Möglichkeit entzogen, seinen Viehstand – die ergiebigste Quelle reinen Einkommens – zu erhalten, und entsprechend zu vermehren. Für die Waldweide in Tirol gibt es keinen anderen folgewichtigen Ersatz, als – die Waldweide selbst. – Sie muss in Tirol in der möglichst größten Ausdehnung bestehen, gleichviel nun, ob sie als Servitut, oder als eine freiwillige entgeltliche Gestattung ausgeübt wird.
Würde die Grundentlastung auf die Spitze getrieben, und die Waldweide in Tirol allgemein abgelöst werden sollen, so müsste den Berechtigten der volle Geldwert derselben als Entschädigung geboten und außerdem noch die feierliche Zusicherung erteilt werden, dass sie gegen Leistung der Rente des Ablösungs-Kapitals, und in den entlasteten Forsten ausgeübt werden könne. Die Servitut erhielt dann nur eine andere Form, und der Waldeigentümer würde sich nur zu seinem Nachteile seines Kapitals entledigen, für welches er im günstigen Falle einfache Zinsen vergütet erhielte.
Wird hingegen der Waldeigentümer durch das Gesetz insoweit geschützt, dass er seinen Wald in kürzerer Zeit unbeirrt zu verjüngen vermag, so werden auch die wenigen Kubikfuß möglichen Holzzuwachsverlustes durch das vermehrte National-Einkommen aus der Waldweide hundertfältig aufgewogen. Gewährt ihm das Gesetz dieses unverkümmert, so ist jede weitere Forderung einer Ungerechtigkeit gegen die Landwirtschaft, die zu begehen wohl am allerwenigsten dem Staate zugemutet werden kann.
In diesem Sinn ist die Kommission bei Behandlung der Weideservituten vorgegangen, und hat daher auch fast in allen vorbehaltenen Reichsforsten die Waldweide im Allgemeinen aufrecht erhalten und nur in jene Schranken gewiesen, welche das Gesetz behufs der Walderhaltung vorschreibt, was auch nach unserer Überzeugung vollkommen genügt, um beiden Zweigen der Landeskultur eine gedeihliche Entwicklung zu sichern.
Erfolg der Servitutenablösung
Durch die Tätigkeit der Forstservituten-Ausgleichungs-Kommission sind somit die Reichsforste in Nordtirol, von den auf ihnen gehafteten Einforstungsrechten der Gemeinden fast durchgehend vollständig entlastet, die noch aufrecht erhaltenden unbedeutenden Holzungsrechte einzelner Privaten, dann die Streu- und Weiderechte in der Art geregelt, dass alle Zweifel über deren rechtliche Ausdehnung verschwinden müssen. Die bezüglichen Verträge sind in die öffentlichen Bücher eingetragen, die abgetretenen sowohl, als auch die als Staatseigentum verbliebenen Waldungen sind im gegenwärtigen Augenblicke fast völlig vermarkt und es ist daher dem tirolischen Forstwesen für alle Zukunft ein Rechtsboden unterlegt, auf welchem alle weiteren Bestimmungen für die freudige Entwicklung der Forstwirtschaft mit voller Beruhigung gestützt werden können.
Dies alles geschah zu einer Zeit der größten politischen Aufregung, wo auch Besonnene an dem Fortbestand der staatlichen Ordnung zu zweifeln begannen. – Während aber anderenorts die Stürme dahinbrausten und selbstsüchtige Begierden entfesselt wurden, ordnete der Tiroler, ebenso unerschütterlich in seiner Treue als in seinem Glauben an den Sieg des Heiligen Rechtes, den eigenen Haushalt, die Rechte seines Landesfürsten anerkennend, und selbst vertrauend jenen Männern, welche der gütigste der Monarchen als Ordner ausgesendet hatte.
Sein Vertrauen hat ihn nicht getäuscht, und ebenso wenig wird er sich täuschen, wenn er die Hoffnung auf die redliche Regelung der vom Staat in die Hand genommenen, leider aber tief darniederliegenden Forstverwaltung Tirols festhält; denn nimmermehr wollen wir glauben, dass man unterlassen werde, den Schlussstein der für Tirol so segenverheißenden Maßregel zu setzen und eine, den Anforderungen der Zeit Genüge leistende Forstverwaltung, eher noch, bevor es abermals zu spät werden dürfte, ins Leben zu rufen.
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RS,
Die Forstservituten-Ablösung in Tirol.
In: Vierteljahresschrift für Forstwesen (1851), 387ff.
Ausführlich zu dieser Servitutenablösungsmaßnahme:
Gerald Kohl,
Die Forstservitutenablösung 1847 im Rahmen der Tiroler Forstregulierung 1847.
In Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 105 ff